„Wer bin ich, wenn ich nicht um dich kreise?“ Säulen (d)einer Identität
Im höheren Erwachsenenalter, oftmals nach vielen Jahren des Zusammenlebens mit erkrankten Eltern, in stillen Momenten, in Momenten des Alleinseins, wird manchmal eine innere Stimme laut. Dann kommt plötzlich die Frage auf: Wer bin ich? Und vor allem: Wer bin ich, wenn ich nicht um den Kranken kreise? Diese Frage, oftmals gerade dann gestellt, wenn sich schon eine Loslösung anbahnt, kann eine tiefergehende Identitäts-Krise auslösen. Jens Flassbeck hat diesen Prozess mit dem Buchtitel „Ich will mein Leben zurück“ eindrücklich auf den Punkt gebracht. Denn: Wenn Menschen mit Angehörigen aufwachsen, die beispielsweise sucht- oder/und psychisch erkrankt sind, dann ist ihr Leben oftmals vom Kreisen um diesen Menschen bestimmt. Die Tage und das Leben scheinen damit ausgefüllt: Kinder aus belasteten Familien müssen ständig aufpassen, dass nichts Schlimmes passiert, ob die nächste Krise bevorsteht usw,. Viele Kinder scheinen sich, gerade wenn diese Belastung bis in das Erwachsenenalter anhält, in diesem Aufpassen und Kreisen um erkrankte Eltern zu verlieren, sie gehen sich, wie sie beschreiben, irgendwann selbst verloren. Sich nicht mehr um einen Erkrankten zu drehen (und oft geht die kindliche Sorge um erkrankte Eltern im Erwachsenenalter auf einen erkrankten Partner über), stellt eine große Herausforderung dar. Gefühle brechen auf: Trauer über ungelebtes Leben, Zorn über „verschwendete“ Energie…Ohnmacht über Sinnlosigkeit und Leere.Aus dieser entstandenen Leere muss ein „eigenes“ Leben neu gebaut werden. Das zeigte sich bei vielen Betroffenen als schwieriger, jedoch lohnenswerter Prozess. Aber wie funktioniert das, fragen Betroffene, wie weiß ich überhaupt, was ich eigentlich will, wo doch solange nur zählte, was die anderen wollen? In diesem Prozess braucht es oft Hilfestellungen. Bücher können hierbei Hilfe sein ( s. unten) wie auch Phasen der Ruhe und Stille, der Rückbesinnung auf sich selbst. Oft macht gerade dieses „Zu sich Kommen“ Betroffenen zunächst Angst: zu ungewohnt, sich mit sich selbst zu beschäftigen, zu fremd und unvertraut.
Übung anhand der Säulen der Identität (in Anlehnung an Hilarion Petzold) hier
Literaturempfehlung Selbsthilfe:
… theoretisch-therapeutische Aspekte zur Identität
CO-Abhängigkeit: dieser Begriff schwirrt durch die Szene. Lange Zeit wurden Angehörige von Suchterkrankten tragischer Weise, wenn Sie denn überhaupt in den Blick genommen wurden, vor allem als Verursacher von Suchterkrankung wahrgenommen: paradoxerweise wurden die, denen etwas angetan wurde, hier vorschnell als Schuldige identifiziert. Angehöriger eines Suchtkranken zu sein bedeutet vieles: vor allem ein Leben lang an den Folgen der Erkrankung zu leiden. Das Bemühen, die Krise irgendwie zu meistern, führt bei Kindern von Erkrankten zum frühzeitigen „Selbstverlust im Anderen“. Dieses Beziehungsmuster wird oft in den Beziehungen, die Betroffene als Erwachsene führen, wiederholt. (Nach Barnowski-Geiser, 2015/2009: Vater, Mutter, Sucht/Hören, was niemand sieht;s.a. Flassbeck, J.: Co-Abhängigkeit; Ich will mein Leben zurück!).