Verschwiegene Kindheitsbelastung?…Du bist nicht allein!

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Auffällig unauffällig, perfekt, im Inneren toben Gefühle, die Sie haltlos überfordern? Sie fühlen sich manchmal einsam, allein unter Menschen? Dann gehören sie womöglich zur Gruppe der Kinder, deren Kindheitsbelastung verschwiegen wurde…

Viele Kindheitsbelastungen werden verschwiegen: über Jahre, Jahrzehnte, manchmal sogar bis auf dem Sterbebett und sogar darüber hinaus. Kinder von Suchtkranken etwa, von psychisch erkrankten ober missbrauchenden Eltern (um nur einige zu nennen) haben oft unfassbares Leid erlebt: da dieses Leid so groß war und tabuisiert wurde, wird es familiär als nicht vorhanden, als nicht existent gehandelt. Über das Erlebte Stillschweigen zu wahren, wird zur Eintrittskarte in die familiäre Zugehörigkeit – Sprechen bedeutet hier „Ausgeschlossen werden“ aus dem inneren familiären Zirkel – für Kinder ein existenzielles Risiko, das sie in ihrer kindlichen Hilflosigkeit nicht eingehen können. Für die Zugehörigkeit zahlen sie den Preis der Isolation, sie sind oft über Jahrzehnte in ihrer Einsamkeit gefangen (in Anlehnung an Barnowski-Geiser Vater, Mutter, Sucht 2021).

 

Die Folgen und das Leid der Kinder

In der Folge halten betroffene Kinder ihre gefühlsmäßige Isolation für selbstverschuldet, sie halten sich nicht für wertvoll genug, dass jemand sich mit ihnen beschäftigt. Irgendwann verlieren sie das Zutrauen zu ihrer Wahrnehmung und in der Folge das Zutrauen zu sich selbst. Diese Gefühle begleiten sie über die Kindheit hinaus. Menschen sind soziale Wesen, das heißt sie werden das, was sie sind, vor allem durch andere Menschen: im Guten wie im Schlechten. Je größer das familiäre Tabu war, umso mehr brauchen Betroffene Menschen, die ihre Wahrnehmung bezeugen, die zu und hinter ihnen stehen, Menschen, die sie aufbauen und stärken.  Wenn dies in der Kindheit nicht möglich war, so ist es im Erwachsenenalter nicht zu spät, nach diesen anderen Menschen zu suchen. Für manche Menschen ist die Therapie der erste Ort, an dem sie eine Würdigung ihrer Kindheitsbelastung, eine Würdigung ihrer eigenen Wahrnehmung erfahren. Es reicht dabei nicht, wie Betroffene beschreiben, nur über die Belastung zu reden, sie zu verstehen, sondern es braucht gefühlsmäßige Anteilnahme, Mitgefühl, Anteilnahme, Trost und Resonanz. Um wieder fühlen zu können, brauchen Betroffene fühlende TherapeutInnen.

Oftmals sind diese Kinder als Erwachsene überrascht, wenn sie bemerken, dass sie ihr Kindheitsleiden mit anderen Menschen teilen. Sie sind erstaunt, dass die familiären Strukturen sich ähneln, die Tabus, die Isolation. Wenn Erwachsene es dann schaffen, sich anderen mitzuteilen, Verbindungen herzustellen, Netzwerke zu bilden, sich Selbsthilfe in Gruppen zu suchen, dann passiert meist etwas Wunderbares: das Leiden findet Worte, es findet Resonanz, es findet Echo, Ausbruch aus dem uralten inneren Gefängnis wird möglich. Das Ende der Flucht vor dem eigenen Inneren rückt in greifbare Nähe.

Ich wünsche Ihnen wertschätzende Andere und die Kraft nach diesen Menschen zu suchen, wenn Sie sie noch nicht gefunden haben: Sie sind nicht allein mit Ihrer Belastung!

Wärmendes durch den sonnigen März

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Verschwiegene Kindheitsbelastung?…Du bist nicht allein!

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Auffällig unauffällig, perfekt, im Inneren toben Gefühle, die Sie haltlos überfordern? Sie fühlen sich manchmal einsam, allein unter Menschen? Dann gehören sie womöglich zur Gruppe der Kinder, deren Kindheitsbelastung verschwiegen wurde…

Viele Kindheitsbelastungen werden verschwiegen: über Jahre, Jahrzehnte, manchmal sogar bis auf dem Sterbebett und sogar darüber hinaus. Kinder von Suchtkranken etwa, von psychisch erkrankten ober missbrauchenden Eltern (um nur einige zu nennen) haben oft unfassbares Leid erlebt: da dieses Leid so groß war und tabuisiert wurde, wird es familiär als nicht vorhanden, als nicht existent gehandelt. Über das Erlebte Stillschweigen zu wahren, wird zur Eintrittskarte in die familiäre Zugehörigkeit – Sprechen bedeutet hier „Ausgeschlossen werden“ aus dem inneren familiären Zirkel – für Kinder ein existenzielles Risiko, das sie in ihrer kindlichen Hilflosigkeit nicht eingehen können. Für die Zugehörigkeit zahlen sie den Preis der Isolation, sie sind oft über Jahrzehnte in ihrer Einsamkeit gefangen (in Anlehnung an Barnowski-Geiser Vater, Mutter, Sucht 2015).

 

Die Folgen und das Leid der Kinder

In der Folge halten betroffene Kinder ihre gefühlsmäßige Isolation für selbstverschuldet, sie halten sich nicht für wertvoll genug, dass jemand sich mit ihnen beschäftigt. Irgendwann verlieren sie das Zutrauen zu ihrer Wahrnehmung und in der Folge das Zutrauen zu sich selbst. Diese Gefühle begleiten sie über die Kindheit hinaus. Menschen sind soziale Wesen, das heißt sie werden das, was sie sind, vor allem durch andere Menschen: im Guten wie im Schlechten. Je größer das familiäre Tabu war, umso mehr brauchen Betroffene Menschen, die ihre Wahrnehmung bezeugen, die zu und hinter ihnen stehen, Menschen, die sie aufbauen und stärken.  Wenn dies in der Kindheit nicht möglich war, so ist es im Erwachsenenalter nicht zu spät, nach diesen anderen Menschen zu suchen. Für manche Menschen ist die Therapie der erste Ort, an dem sie eine Würdigung ihrer Kindheitsbelastung, eine Würdigung ihrer eigenen Wahrnehmung erfahren. Es reicht dabei nicht, wie Betroffene beschreiben, nur über die Belastung zu reden, sie zu verstehen, sondern es braucht gefühlsmäßige Anteilnahme, Mitgefühl, Anteilnahme, Trost und Resonanz. Um wieder fühlen zu können, brauchen Betroffene fühlende TherapeutInnen.

Oftmals sind diese Kinder als Erwachsene überrascht, wenn sie bemerken, dass sie ihr Kindheitsleiden mit anderen Menschen teilen. Sie sind erstaunt, dass die familiären Strukturen sich ähneln, die Tabus, die Isolation. Wenn Erwachsene es dann schaffen, sich anderen mitzuteilen, Verbindungen herzustellen, Netzwerke zu bilden, sich Selbsthilfe in Gruppen zu suchen, dann passiert meist etwas Wunderbares: das Leiden findet Worte, es findet Resonanz, es findet Echo, Ausbruch aus dem uralten inneren Gefängnis wird möglich. Das Ende der Flucht vor dem eigenen Inneren rückt in greifbare Nähe.

Ich wünsche Ihnen wertschätzende Andere und die Kraft nach diesen Menschen zu suchen, wenn Sie sie noch nicht gefunden haben: Sie sind nicht allein mit Ihrer Belastung!

Wärmendes durch den Winter sendet

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Heilung braucht Hoffnung

Wenn Kinder wiederholt von Eltern enttäuscht wurden, (wenn etwa das Versprechen, sich von der Sucht zu lösen oder gewalttätiges Verhalten zu unterlassen, wieder und wieder nicht eingehalten wurde oder elterliches Verhalten nicht „diskutiert“ oder angesprochen werden darf), dann fällt es   besonders schwer, noch an jemanden oder an etwas zu glauben.In der Folge wird es sogar zu einem Problem, auf die Möglichkeit der Veränderung überhaupt zu hoffen, auch als Erwachsene. Es fällt dann schwer, überhaupt noch hoffnungsvoll zu sein, überhaupt noch etwas zu ersehnen und wünschen.Manche dieser erwachsenen Kinder haben sich über die Jahre in der hoffnungslosen Traurigkeit eingerichtet: sie ist ihnen zur inneren Heimat geworden. Dieses Vertraute zu verlassen, ist schwer.

Manche Menschen, die in ihrer Kindheit besonderen Belastungen ausgesetzt waren, erkranken zudem körperlich oder/und seelisch. Hier wird es besonders schwierig, die Hoffnung auf die Heilung und Veränderung zu beleben, sie nicht gänzlich zu verlieren. Viele Beispiele zeigen uns, wie mächtig Hoffnung in das Leben spielt, wenn es um existenzielle Erkrankung geht: „Totgesagte“ lebten entgegen aller gegenteiligen Voraussagen lange weiter, „Kerngesunde“ starben, nachdem ihnen irrtümlich mitgeteilt wurde, dass sie nur noch sehr kurze Zeit zu leben hätten.  Ungewöhnliche Heilungswege zeigt Anne Devillard in ihrem Buch „Heilung aus der Mitte“ in Experteninterviews unterschiedlicher Couleur (Kuby, Dahlke, Dürr, Willigis Jäger  usw.) – Die Bedeutsamkeit von Einstellung, Hoffnung und Glaube zeigt sich eindrücklich – wenngleich dort, wo die persönliche Erfahrung kurzerhand zum Rezept für jedermann erhoben wird, m.E. Vorsicht angezeigt scheint.

Wie sich die Kindheitsbelastung auch im Jetzt auswirkt:  der Wunsch nach Heilung ist  groß. „Sehnsucht“  nach Heilung und einem besseren Leben, zeigt sich als wertvoller Motor: sie treibt an und ist ein guter Verbündeter. Diese Sehnsucht braucht  Unterstützung durch den Faktor „Hoffnung“.  Es mag für Sie befremdlich klingen, aber  in der Zusammenarbeit mit Betroffenen zeigte sich: Erwachsene mit schweren Kindheitsbelastungen müssen „Hoffen“ üben –  also, packen wir es mit der zeitgemäßen Formulierung an: Train your hope!

Übung Train your hope

Wenn Hoffnung, Glaube und Vertrauen auf der Strecke geblieben sind, dann ist der Weg ebendahin nicht leicht: diese Fähigkeit muss wie im Sport erst trainiert und aufgebaut werden. Beginnen Sie jetzt: Seien Sie geduldig mit sich, was viele Jahre nicht möglich war, ist nicht in einer Übungseinheit in wenigen Minuten zu ändern…

Probieren Sie aus…passt es gerade?

Dann nehmen  sich jetzt einige Minuten Zeit. Gehen Sie, so wie es auf dieser Seite an anderen Stellen beschrieben wurde, in der bewährten Weise mit der Achtsamkeit zu Ihrem Atem, gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit zu sich selbst. Nun sinnieren Sie ein wenig: was hoffen Sie ganz und gar nur für sich selber (Hinweis: in vielen Fällen etwa wünschen sich Menschen in Beziehungen, die in großer Abhängigkeit voneinander geführt werden, dass sich der Partner verändern möge, also dass er aufhört mit einem schädigenden Suchtverhalten etc.- meist erfolglos)-. 

Formulieren Sie nun diese Hoffnung, die sich auf ihr Leben bezieht, sehr genau. Schreiben Sie Ihren Satz auf und formulieren Sie ihn solange um, bis er exakt für sie stimmt. Bei anderen Betroffenen lautet ein Satz etwa :“

Ich weiß, dass ich ruhig und zufrieden leben kann!“ oder

„Unabhängig davon, wie sich die Menschen um mich herum entwickeln, weiß ich, dass ich mein Leben positiv gestalten kann.“ oder

„Ich werde ab sofort gut für mich sorgen!“

Wenn Sie Ihren Satz gefunden haben und er Ihnen, so wie er nun formuliert ist, stimmig erscheint, so ist er Satz wichtig für Ihr weiteres Leben. Ihn heute zu formulieren, war ein wichtiger erster Schritt. Damit dieser Satz Sie auf dem Weg in Ihr neues Leben wirklich stützt, also wirklich Teil ihres neuen Denkens und Hoffens wird, müssen Sie ihn fortan wertschätzen, indem sie ihn regelmäßig wiederholen. Finden Sie ein Ritual, zu einem festen Zeitpunkt am Tag, an dem Sie diesem Satz durch mehrmaliges Wiederholen einen Platz geben. Ihre Gehirnbahnen, so zeigen uns Forschungen, können neugebaut werden und damit auch ihr Hoffnungspotenzial- diese neuronalen Bahnen brauchen Wiederholung und Ihre Begeisterung bei der Sache…

Vielleicht haben Sie Bilder im Kopf, wie dieses  Leben mit Heilung sich anfühlen wird: Finden Sie ein Symbol, einen Klang ,ein Musikstueck oder eine Landschaftsszene, etwas, was dieses Gefühl wiedergibt.  Kombinieren  Sie dieses mit Ihrem Satz. Wichtig ist: Tun Sie es mit dem Bewusstsein, dass Sie Ihr Leben gerade jetzt in die Hand nehmen. Wenn Sie all dies halbherzig und ohne Glauben auf Hoffnung machen, diese Zeilen lesen, nur um Sie, wie gewohnt, abzuspeichern unter: „Klar, man kann viel reden, bei mir klappt das alles eh nicht!“ dann wird sich diese Aussage wahrscheinlich auch in dieser negativen Weise erfüllen.

Seien Sie in der nächsten Woche achtsam, wo Ihnen Wünsche nicht materieller Art begegnen, Visionen, Sehnsüchte…notieren Sie diese.

Wenn Sie alleine nicht zu Glaube und Hoffnung finden, suchen Sie nach einen wertschätzenden Anderen, dem Sie sich anvertrauen: auch das kann wahre Wunder bewirken! Wenn es diesen Menschen in Ihrem Leben gerade nicht gibt, schauen Sie in guten Selbsthilfeforen nach Online-Gesprächspartnern. Auch das kann ein erster Schritt sein, Ihrer Hoffnung nachzugehen.

Wie finden Menschen mit Kindheitsbelastungen ihre Heilung?…Damit beschäftigen sich viele Beiträge auf dieser Seite. Als ein entscheidender Einflussfaktor für ihr gelingendes Leben zeigte sich, wie wir nun angesehen habe, die Fähigkeit, zu hoffen. Diese Fähigkeit ist eng verknüpft mit dem, was Erikson das Urvertrauen nennt. Dieses entsteht nach Eriksons Auffassung im ersten Kontakt mit den Eltern. Petzold spricht in diesem Zusammenhang von Grundvertrauen, das auf dem Grund menschlicher Existenz fuße, einem Fundament, das unsere Existenz trage (Petzold , S.231). Diesem Verständnis nach verfügen Menschen über ein Grundvertrauen, das „einfach da“  ist. Es wird durch die frühen Beziehungen  bekräftigt. Für manche ist auf diesem Urgrund eine enge Gottesverbindung, eine Kosmos-Verbindung oder Spiritualität angesiedelt. Wie sich dieser Grund auch jeweils gestaltet, zu diesem Grund und dem Grundvertrauen müssen und können Menschen mit Kindheitsbelastungen zurückfinden. Diesen Weg zum Grund zu ermöglichen, stellt  eine zentrale Aufgabe von Therapie für Erwachsene mit Kindheitsbelastungen. Eine therapeutische Beziehung kann hier eine wichtige Rolle auf dem Weg zu Grundvertrauen und Hoffnung übernehmen. Eine andere wichtige Bedeutung kann darin bestehen, Einstellungswandel zu begleiten. Wann wir entlastet, gesund, heil sind, ist eine Frage der Perspektive:

Jacob Klaesi

„Gesundheit ist das Vermögen, auch Krankheit und Gebrechen gleichmütig, wenn nicht gar heiter und dankbar, jedenfalls aber würdig und fruchtbringend zu ertragen.“

zitiert nach Petersen, in: Die Rolle des Therapeuten und die therapeutische Beziehung, S.22/23)

Hat dieses Zitat des Schweizer Psychiaters Klaesi auch in Ihnen Widerspruch hervorgerufen?  Ein hoher Anspruch liegt in dieser Aussage: aber auch eine interessante Perspektive. Die Ansprüche an das eigene Heilsein zu reduzieren, die angestrebte Heilung nicht mit vollständiger Gesundung gleichzusetzen sondern den guten Umgang mit Krankheit als „gesund“ zu definieren, kann entlastend wirken. Betroffene, die in der Lage waren, auch kleine Verbesserungen zu würdigen (Krankheits-, Belastungs- und Schmerztagebücher waren dabei hilfreich), fühlten sich gesünder, bezeichneten sich insgesamt als „heiler“. Es zeigte sich, dass Heilung für Betroffene mit Kindheitsbelastungen das Gelingen eines Balanceaktes bedeutete: der Balance zwischen Akzeptanz und Gestaltung. Die Akzeptanz, dass kindliche Belastung nicht folgenlos geblieben ist einerseits, und das Zutrauen zur eigenen Gestaltungsfähigkeit andererseits: ein Bewusstsein für die eigene Wirkmächtigkeit, das Ausmaß und die Einstellung zu den Belastungen aktiv zu wandeln ebenso wie das Wissen, um die Grenzen des menschlichen Einfluss.

Ich wünsche Ihnen eine gute Balance und Mut zur Hoffnung. Vielleicht versetzen Sie mit Ihrem Glauben noch nicht „Berge“, aber einen kleinen wichtigen Stein in die richtige Richtung!

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Zitate aus

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin und Autorin.

Ihre Bücher zum Thema: Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht ( 2009).

Arbeit und Unterstützung nach dem AWOKADO-Hilfe-Konzept (auch in individuell zugeschnittenen Kompaktblöcken) in ihrer Praxis KlangRaum in Erkelenz

„Fakenews waren in meiner Familie an der Tagesordnung“ – über Vertrauen und Misstrauen in schwierigen Zeiten

Herr K., Sozialarbeiter, 35 Jahre alt, ruft an. Er sei verunsichert. Er wisse nicht mehr, wo ihm der „Kopf stehe“. „Corona und die beruflichen Unsicherheiten machen mir Angst. Ich verliere zunhemend die Orientierung, ich weiß nicht, wem und was ich glauben soll. Was ist Fake, was muss ich ernst nehmen?“

Herr K. ist Erwachsener aus einer Alkoholikerfamilie. Viele Menschen mit diesen und anderen Kindheitsbelastungen fühlen sich augenblicklich besonders verunsichert. „In unserer Familie wusste man nie, wo man dran war, eigentlich war alles Fake – Fakenews über das Trinken meines Vaters waren bei uns an der Tagesordnung. Ja, Fake ist bis heute die Normalität bei meinen Eltern!“

Oftmals wird Menschen wie Herrn K. entgegengehalten: „Du musst einfach mehr Vertrauen haben!“ Menschen mit Kindheitsbelastungen würden ja gerne…sie kennen aus ihrer Kindheit jedoch oft so verzerrte Wahrheiten, dass sie längst nicht mehr wissen, wem und was sie glauben schenken können. Pauschales Vertrauen erscheint da wenig hilfreich, wie uns Fakenews und andere ungute mediale Entwicklungen zeigen. Auch Politiker demonstrierten in der garnicht fernen Vergangenheit teils, nicht nur in Amerika,  einen sehr speziellen Umgang mit Wahrheit und Wirklichkeit: die Wahrheit, das Eigentliche und Offizielle wird kurzerhand umdefiniert, uminterpretiert oder so gezeigt ( retuschiert), wie es der eigenen Vorstellung entspricht. Dieser Mechanismus ist Kindern aus belasteten Familien oft zutiefst vertraut: Ihre Eltern haben familiäre Geschichte genauso interpretiert, umgeschrieben oder umgedeutet wie es für sie selbst am ehesten „passte“ oder wie es, so glaubten diese Eltern, für alle am ehesten zu verkraften war: Eben  so, dass  das Familiengefüge zusammenblieb. Fakenews, alternative Fakten und andere Verzerrungen sind für Kindheitsbelastete heimatlich vertrauter Boden, ein Boden der familienspezifischen Narration (Erzählung): die Erzählung einzelner Familienmitglieder kann sehr unterschiedlich ausfallen, wie Sie es vielleicht auch aus Ihrem Leben kennen (s. Meine schwierige Mutter 2017). Diese Uminterpretation wird in manchen Familien so intensiv betrieben, dass die Betroffenen kaum noch zwischen Realität und Verzerrung unterscheiden können, weder die Erzählenden noch die Hörenden. Blind abverlangtes Vertrauen führt oft in chronische Verwirrung. „Jedes Leben ist voller Illusionen, wohl weil uns die Wahrheit zu unerträglich erscheint. Und doch ist uns die Wahrheit so unentbehrlich, dass wir ihren Verlust mit schweren Erkrankungen bezahlen.“ (Alice Miller 1997, S.11)

Warum der klare Blick sie ganz schön verwirren kann

Jahrzehntelanges Ansehen von täglicher Werteverschiebung oder Umdeutung bleibt nicht ohne Folgen: Betroffene Kinder und Erwachsene wissen oftmals nicht mehr, was richtig und falsch, was wichtig oder unwichtig ist. Für Betroffene liegt das, was sie erleben oder erlebt haben, oftmals im Nebel, im Diffusen, ist unklar und nicht greifbar. Manchmal fehlen jegliche Erinnerungen an die Kindheit, zurückgeblieben ist nur ein dumpfes Gespür, dass irgendetwas nicht stimmt, ohne dafür einen Grund benennen zu können. Das Unaushaltbare in den „Nebel des Vergessens“ zu hüllen, erscheint als not-wendiges Coping, den in der elterlichen Sucht begründeten Krisen zu begegnen. Zugleich löst dieses „Nebulöse“ Unsicherheit aus, vor allem, wenn es zum chronifizierten Erleben wird. Der Verlust des gerichtet Seins, unterdrückte Gefühle, einhergehend mit der Beeinträchtigung der Bewertungsfähigkeit, wirken verstärkend in Richtung eines sich unklar und diffus Fühlens Betroffener. Letztlich wird nicht nur das Erleben der Krise weggeblendet, sondern das gesamte Erleben in den Nebel getaucht: Betroffene beginnen vor ihren eigenen Wahrnehmungen, vor ihren ureigenen Gefühlen davonzulaufen. Oftmals äußern Menschen im therapeutischen Prozess gerade dann, wenn sie die familiäre Realität im Erwachsenenalter erstmals klar sehen: Jetzt bin ich total verwirrt! Das erscheint paradox: aber Der Verdrängungsschutz hat eingesetzt, der Klarblick unterliegt dem Tabu. Es hilft vielen Betroffenen, Verwirrung als eigenen Schutzmechanismus zu akzeptieren und würdigen.

Wie Raffaela das Glauben lernen will – ein Beispiel aus einer kreativtherapeutischen Einheit

 „Und jetzt will ich endlich glauben!“

Raffaela, 13 Jahre alte und Tochter einer drogenabhängigen Mutter, hat einen Stimmungsstein mit in die Therapie gebracht. Sie findet an diesem gerade unter Jugendlichen in Mode gekommenen Accessoire interessant, herauszufinden, welche Stimmungen sie denn habe. „Ich möchte gerne positive Stimmungen haben, die anderen lieber nicht!“, meint sie. Sie sprüht auf meine Anregung hin ihre aktuellen Stimmungen mit Gouachefarbe auf Papier und kommentiert jeweils: „Rot: Das ist meine Liebe zu verschiedenen Personen, auch zu Mama, ich freue mich, dass sie jetzt eine Wohnung nimmt, Grün ist meine Hoffnung, Lila meine Unsicherheit. Am meisten beunruhigt sie die Stelle, an der alles ineinander geht, ganz viele Gefühle und Stimmungen, die sie mit absoluter Verwirrung verbindet. „Ich weiß oft meinen Weg nicht mehr!“, sagt sie leise.  „Ich weiß nicht, woran ich glauben soll. Ich will glauben, dass Mama es jetzt schafft, trocken zu werden und dann klappt das manchmal doch wieder nicht. Und wenn andere daran zweifeln, dass Mama trocken wird, wenn andere was anderes sagen, dann bin ich total verwirrt. Ich will jetzt aber glauben, dass das klappt diesmal.“ Wir suchen in ihrem Bild nach einer Stelle für das Gegenteil der Verwirrung. Dies ist eine Stelle mit geraden Linien. „Hier weiß ich, wo es lang geht. mein Leben hat eine Richtung. Jetzt ist mal die Mama in meinem Leben dran!“ ( Sie hofft, mit ihrer Mutter wieder zusammenleben zu können, Anm. d. Verf.) Das Bild der Klarheit und des geraden Weges gefällt ihr. Sie setzt es in Klang um, trommelt. Sie hört ein spannenderes Leben, das kommen wird. Ich höre in ihrem Spiel eine hohe Dauererregung, die ich in meiner Resonanz anstrengend finde. „Das ist es auch!“, sagt sie. „Ich will gar nicht mehr runter kommen. Pausen mag ich nicht.“ Ich ermuntere sie, in ihr Spiel Pausen einzubauen, was sie tut. „Pausen schlaffen mich ab, dann komme ich nicht zurück in den Glauben. Wenn ich Zeit habe und es ruhig ist, dann habe ich Zweifel. Und jetzt will ich endlich glauben!“ Raffaela,13 Jahre aus Barnowski-Geiser 2009: Hören, was niemand sieht)

Der Weg in das Vertrauen gelingt nach meinen Erfahrungen weder über blindes Vertrauen noch über ungeprüftes Zustimmen zu teils verdrehter Welt, sondern er führt über das Ernstnehmen, der radikalen Akzeptanz des eigenen Misstrauens, durch vorsichtiges Überprüfen: Misstrauen ist ein notwendiger Prozess. Dieser Prozess braucht Zeit und Selbst-Vertrauen, Hinwendung zum Ich. Das musste Raffaela mühsam lernen – ihre Mutter hatte immer wieder schlimme Rückfälle- irgendwann konnte Raffaela das Kreisen um die Sucht der Mutter aufgeben, ihre Hoffnungen relativieren- und ihre Mutter und ihre eigene Situation realistischer einschätzen. Nur da, wo Misstrauen und Zweifeln, Hinterfragen und in Frage stellen erlaubt ist, da, wo Zeit und Muße für Abwägen ist, kann nach meinen Erfahrungen wirkliches Vertrauen, das im eigenen Grund fußt, entstehen. In der Politik und in der Familie, insbesondere in so schweren Krisenzeiten wie der augenblichen.

Und..über den Weg nach Innen zur inneren Weisheit. Vielleicht auch heute mit einer kleinen Einheit, unserer Corona-Krisen-KreativChallenge, für Sie

Corona-Krisen-KreativChallenge Klingender Kraftort

Suchen Sie einen Ort, an dem Sie ungestört sind. Gehen Sie mit Ihrer Achtsamkeit zu Ihrem Atem…lassen Sie sich Zeit, in sich anzukommen…wenn Sie mögen, stellen Sie sich nun vor, dass Sie mit jedem Ihrer Ausatemzüge ein Stück näher zu Ihrem Inneren reisen, zu Ihrem inneren Kraftort…wie sieht es hier aus, welche Farben und Formen gibt es hier, welche Klänge?…Gestalten Sie diesen, suchen sie anschließend ein für Sie passendes Musikstück… spielen Sie es mehrmals, hören Sie es „mit dem ganzen Körper“

Neue Resonanzerfahrungen können bei alten Wunden verdammt Gutes bewirken – und da ist Musik ein echter Schatz…aber dazu vielleicht in den nächsten Tagen mehr. Wozu würden Sie gern etwas mehr erfahren, was können Sie noch gebrauchen, gerade in dieser Zeit? Lassen Sie es mich wissen, gern auch wieder über die Kommentarfunktion oder das Kontaktformular.

Lassen Sie es sich so gut wie eben möglich gehen -,

herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Selbstwert-Mutmacher: wie wir Selbstwert durch das Besinnen auf unsere eigenen Werte steigern können

Liebe Blogleserin und Leser,

ich melde mich nun mal wieder und hoffe, dass es Ihnen so gut als möglich geht…: Neues habe ich gelesen und ist mir begegnet. Dazu nun wieder regelmäßiger hier Blogbeiträge.

Dauerbrenner: Selbstwertprobleme! Immer wieder begegnen mir Menschen aus belasteten Familien, die nach allgemeinen Kriterien erfolgreich scheinen, die sich aber unter der nach Außen gezeigten Stärke unbedeutend, klein und schwach fühlen. Selbstwertprobleme bleiben für Erwachsene mit Kindheitsbelastungen meist ein großes Thema: ja,eine Lebensaufgabe.

Heute erzähle ich Ihnen:

  • wie diese Selbstwertproblematik in belasteten Familien entsteht
  • wie Sie wieder zu mehr Selbstwert finden
  • eine Anleitung, sich auf kreative Weise mit Ihren Werten auseinanderzusetzen

Denn: Sie können etwas tun, Ihr Lebensgefühl und Ihr Selbstwert sind veränderbar!

Wie Kindern in belasteten Familien der Selbstwert abhanden kommt

Wenn Eltern über viele Jahre schwer belastet sind (etwa durch Krankheiten, Süchte, Persönlichkeitsstörungen u.a.), dann bekommt oftmals in ihrem Leben anderes zentrale Bedeutung. Dieses „andere“ erfährt dann die Aufmerksamkeit, die eigentlich ihren Kindern zusteht. Die den Kindern zustehende Wertschätzung geht verloren. Da dreht sich das Leben der Mutter etwa nur noch darum, wie sie ihren Alkohol bekommt und wie sie in Ruhe trinken kann, Fassade bewahrt – das Kind wird Teil des süchtigen Systems der Mutter, auch ihres Bewertungssystems: es droht bewertet zu werden über den alles bestimmenden Suchtfaktor, sein Wert im Bewertungssystem der Mutter droht sich dann an der Frage zu orientieren: Ist mein Kind  dienlich, mein Trinkverhalten zu sichern? Der  Wert, der dem Kind dann zugeschrieben wird, bemisst sich im kranken System nach völlig verschobenen Maßstäben, die sich über Jahre intern ungut aufgebaut haben. Das Kind wird in diesen Fällen (und das reicht oftmals bis ins hohe Erwachsenenalter) wenig bis gar nicht um seiner selbst Willen gesehen, sondern dann vor allem in seiner Funktonalität für das Aufrechterhalten des Systems bewertet, hier das Kranke. Das Kind lernt, insbesondere wenn dieser ungute Mechanismus über viele Jahre andauert und wenig andere Bezugspersonen zur Verfügung stehen, seinen Selbstwert aus diesem System zu beziehen… und verhält sich entsprechend der Systemnorm: es „schluckt“ das Unangenehme, es macht keinen Ärger, lügt vielleicht für die süchtige Mutter, besorgt Alkohol für sie, obwohl es genau an den Folgen, die durch den Alkoholgebrauch entstehen, besonders leidet. Es ist jedoch meist chancenlos, denn positive Aufmerksamkeit erhält es, wenn es der Mutter dient. Die fehlende Wertschätzung durch die so wichtige erste Bezugsperson droht Teil seines Selbstkonzeptes zu werden: „Ich bin nur etwas wert, wenn ich jemanden anderen stütze!“, lautet dann die unbewusste Selbstzuschreibung. Betroffene erlangen in belasteten Familien so meist einen sehr niedrigen Selbstwert. Verstärkt wird diese Problematik durch weitere systemtypische Faktoren: betroffenen KIndern fehlen adäquate Modelle , hat doch schon das erkrankte Elternteil selbst einen geringen Selbstwert (Beobachtungslernen). Süchtige Elternteile neigen teils zu fortgesetzter Entwertung ihrer Umwelt, spalten zwischen ihrem Kind und dem „feindlichen“ Außen.  Scham über die Unfähigkeit, gute Eltern zu sein, wird vertuscht, Im Gegenteil führt diese vertuschte Scham dazu, dass das Kind keine Anerkennung für seine (familiären) Leistungen erhält. Die erlernte und stillschweigend eingeforderte Selbstaufgabe bis hin zum emotionalen missbraucht Werden, erfährt eine Entwertung im internen Bewertungssystem ( „Ich müsste doch mal für mich eintreten!“ , denken sie „Immer schlucke ich alles und kriege den Mund nicht auf“ etc.). Als Erwachsene drohen diese KInder im besonderen Maße abhängig zu sein von der Wertschätzung anderer, von Partnern, Chefs und hierarchisch höher gestellten, Eltern ähnlichen Figuren: meist bleibt ihnen nach einer Kindheit, die von emotionalem Missbrauch gezeichnet war ( oder auch bis zum heutigen Tage immer noch ist), eine klaffende Leerstelle im Inneren erhalten, die sich nicht zu füllen scheint – Leere- und Sinnlosigkeit machen sich breit, fortschreitende Selbstentwertung greift Raum. Aus Entwertung und entwertendem Umgang wird geschwächter Selbstwert.

Wie Sie wieder zu mehr Selbstwert finden

Erst, wenn Betroffene beginnen, diesen Prozess der familiären Bewertungsentwicklung zu durchschauen und in Zusammenhang zu Ihrem Selbstwert zu setzen… können sie sich endlich auf ihre eigenen Normen und  Werte zurückbesinnen… ihre eigenen Werte neu überprüfen… oder auch sie erstmalig entdecken… familiäre Bewertungen entdecken und von den eigenen Werten unterscheiden … und schließlich ihren Selbstwert nicht mehr nur an der Anerkennung durch andere, sondern in der Übereinstimmung mit ihren eigenen Werten finden…Erst dann tritt meist ein manifester Selbstwert, der stabil auf dem eigenen Inneren begründet ist, zutage. Die nachfolgende Kreative Selbsterfahrung kann Sie auf diesem Weg unterstützen.

Kreative Selbsterfahrung  Meine Werte

Wie hoch schätzen Sie Ihren Selbstwert augenblicklich ein? (1-10, 10 als höchster, 0 als niedrigster Wert)

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Wie hoch war der Selbstwert in Ihrer Kindheit?

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Nennen Sie spontan fünf Werte, für die sie sich persönlich einsetzen möchten…

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Stellen sie sich vor, diese Werte wären Reiseproviant, das sie nur begrenzt mitnehmen könnten. Tauschen sie einen Wert nach dem anderen solange aus, bis der Ihnen wichtigste übrig bleibt.

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Welche Werte galten in Ihrer Herkunfts-Familie? Wo gibt es Schnittmengen mit Ihren eigenen Werten, wogegen grenzen Sie sich klar ab?



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Gibt es Werte in Ihrer Familie, die sie förmlich „schräg“ oder „verrückt“ finden?

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Fertigen Sie eine kleine Zeichnung an, um diese Schrägheiten in einem Comic darzustellen. Gestalten Sie anschließend Ihre eigenen Werte hinein.

Inwieweit passen Ihre Werte zu denen an Ihrem Arbeitsplatz, wie ist das dort das vorherrschende Menschenbild?


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Nennen Sie 3 konkrete Schritte, die Sie aktiv tun können, um mehr in Übereinstimmung mit Ihren Werten zu leben…

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Fertigen Sie ab sofort eine Selbstwert- Kurve an, in die Sie täglich Ihren Selbstwert eintragen ( 10 ist hoher Selbstwert, 0 ist niedrig). Notieren Sie Ereignisse, die den Kurvenverlauf stark beeinflussen.

Durch die Beschäftigung mit Ihren Werten machen Sie eine wichtige Bestandsaufnahme. Wenn sie mehr Ihren Werten gemäß leben, hat dies in der Regel auch ein besseres Selbstwertgefühl zufolge. Für Erwachsene aus belasteten Familien ist dies eine schwierige Aufgabe…scheuen Sie sich nicht, eine Person Ihres Vertrauens hinzuzuziehen, wenn Sie an Punkten in der Bearbeitung  Schwierigkeiten entdecken.

Ich hoffe, Sie können bald, ganz herbstlich, Ihre Früchte und Ernte einfahren,

herzlich

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Bücher zur Thematik von Autorin Dr. Waltraut Barnowski-Geiser hier

Mehr unter www.barnowski-geiser.de

Mutmacher Selbstwert: warum wir ihn durch das Besinnen auf unsere eigenen Werte steigern können

Wenn Eltern über viele Jahre schwer belastet sind (etwa durch Krankheiten, Süchte, Persönlichkeitsstörungen u.a.), dann bekommt oftmals in ihrem Leben anderes zentrale Bedeutung oder erfährt die Wertschätzung, die eigentlich ihren Kindern zusteht. Da dreht sich das Leben der Mutter etwa nur noch darum, wie sie ihren Alkohol bekommt und wie sie in Ruhe trinken und zugleich Fassade aufrechterhalten kann – das Kind wird Teil des süchtigen Systems der Mutter; es wird bewertet über den alles bestimmenden Suchtfaktor, sein Wert im Bewertungssystem der Mutter droht sich dann etwa an der Frage zu orientieren: Ist das Kind  dienlich, mein Trinkverhalten zu sichern? Der  Wert, der dem Kind dann zugeschrieben wird, bemisst sich hier im kranken System nach völlig verschobenen Maßstäben, die sich über Jahre intern ungut aufgebaut haben. Das Kind wird in diesen Fällen (und das reicht oftmals bis ins hohe Erwachsenenalter) wenig bis gar nicht um seiner selbst Willen gesehen, sondern dann vor allem in seiner Funktonalität für das Aufrechterhalten des Systems bewertet, hier das Kranke. Das Kind lernt, wenn dieser ungute Mechanismus über viele Jahre andauert und wenig andere Bezugspersonen zur Verfügung stehen, seinen Selbstwert aus diesem System zu beziehen… und verhält sich entsprechend der Systemnorm: es „schluckt“ das Unangenehme, es macht keinen Ärger, lügt vielleicht für die süchtige Mutter, besorgt Alkohol für sie, obwohl es genau an den Folgen, die durch den Alkoholgebrauch entstehen, besonders leidet. Die fehlende Wertschätzung im Außen droht zunehmend Teil seines inneren Selbstkonzeptes zu werden. Betroffene erlangen in belasteten Familien meist einen sehr niedrigen Selbstwert: als Modell fungiert in der Regel ein erkranktes Elternteil mit geringem Selbstwert (Beobachtungslernen), süchtige Elternteile neigen etwa zu fortgesetzter Entwertung ihrer Umwelt, ihre Scham über die UNfähigkeit als Elternteil wird vertuscht, sodass das KInd kaum bis gar keine Anerkennung für seine Leistungen erhält und die erlernte und stillschweigend eingeforderte Selbstaufgabe von ihnen selbst zugleich wieder eine Entwertung im internen Bewertungssystem erfährt ( „Ich müsste doch mal für mich eintreten!“ , denken sie „Immer schlucke ich alles und kriege den Mund nicht auf“ etc.). Als Erwachsene drohen sie im besonderen Maße abhängig zu sein von der Wertschätzung anderer, von Partnern, Chefs und hierarchisch höher gestellten, Eltern ähnlichen Figuren: meist bleibt ihnen nach einer Kindheit, die von emotionalem Missbrauch gezeichnet war ( oder auch bis zum heutigen Tage immer noch ist), eine klaffende Leerstelle im Inneren erhalten, die sich nicht zu füllen scheint – Leere- und Sinnlosigkeit machen sich breit, fortschreitende Selbstentwertung greift Raum. Aus entwertung und entwertendem Umgang wird geschwächter Selbstwert,

Erst dann, wenn Betroffene beginnen, diesen Prozess der familiären Bewertungsentwicklung zu durchschauen und in Zusammenhang zu Ihrem Selbstwert zu setzen… können sie sich endlich auf ihre eigenen Normen und  Werte zurückbesinnen… ihre eigenen Werte neu überprüfen… oder auch sie erstmalig entdecken… familiäre Bewertungen entdecken und von den eigenen Werten unterscheiden … und schließlich ihren Selbstwert nicht mehr nur an der Anerkennung durch andere, sondern in der Übereinstimmung mit ihren eigenen Werten finden…Erst dann tritt meist ein manifester Selbstwert, der stabil auf dem eigenen Inneren begründet ist, zutage. Die nachfolgende Kreative Selbsterfahrung kann Sie auf diesem Weg unterstützen.

Kreative Selbsterfahrung  Meine Werte

Wie hoch schätzen Sie Ihren Selbstwert augenblicklich ein? (1-10, 10 als höchster, 0 als niedrigster Wert)

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Wie hoch war der Selbstwert in Ihrer Kindheit?

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Nennen Sie spontan fünf Werte, für die sie sich persönlich einsetzen würden…

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Stellen sie sich vor, diese Werte wären Reiseproviant, das sie nur begrenzt mitnehmen könnten. Tauschen sie einen Wert nach dem anderen solange aus, bis der Ihnen wichtigste übrig bleibt.

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Welche Werte galten in Ihrer Herkunfts-Familie? Wo gibt es Schnittmengen mit IHren eigenen Werten, wo grenzen Sie sich ganz klar ab?



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Gibt es Werte in Ihrer Familie, die sie förmlich „schräg“ oder „verrückt“ finden?

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Fertigen Sie eine kleine Zeichnung an, um diese Schrägheiten in einem Comic darzustellen. Gestalten Sie anschließend Ihre eigenen Werte hinein.

Inwieweit passen Ihre Werte zu Ihrem Arbeitsplatz und die Werte dort, das vorherrschende Menschenbild, zu Ihnen?


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Nennen Sie 3 konkrete Schritte, die Sie aktiv tun können, um mehr in Übereinstimmung mit Ihren Werten zu leben…

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Fertigen Sie ab sofort eine Selbstwert- Kurve an, in die Sie täglich Ihren Selbstwert eintragen ( 10 ist hoher Selbstwert, 0 ist niedrig). Notieren Sie Ereignisse, die den Kurvenverlauf stark beeinflussen.

Durch die Beschäftigung mit Ihren Werten machen Sie eine wichtige Bestandsaufnahme. Wenn sie mehr Ihren Werten gemäß leben, hat dies in der Regel auch ein besseres Selbstwertgefühl zufolge. Für Erwachsene aus belasteten Familien ist dies eine schwierige Aufgabe…scheuen Sie sich nicht, eine Person Ihres Vertrauens hinzuzuziehen, wenn Sie an Punkten in der Bearbeitung große Schwierigkeiten entdecken.

Ich hoffe, Sie können bald Früchte und Ernte einfahren,

herzlich

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Bücher zur Thematik von Autorin Dr. Waltraut Barnowski-Geiser hier

 

Vor das Vertrauen haben die Götter das Misstrauen gesetzt-Über-Leben zwischen Fakenews und alternativen Fakten

„Du musst Vertrauen haben!“, ist oft als  dogmatische Forderung an Menschen aus belasteten Familien zu vernehmen. Diese würden ja gerne…sie kennen aus ihrer Kindheit oft so verzerrte Wahrheiten, dass sie längst nicht mehr wissen, wem und was sie glauben schenken können. Pauschales Vertrauen erscheint da wenig hilfreich, wie uns Fakenews und andere ungute mediale Entwicklungen zeigen, nicht zuletzt auch in der Politik. Auch Politiker demonstrieren augenblicklich teils, nicht nur in Amerika,  einen sehr speziellen Umgang mit Wahrheit und Wirklichkeit: die Wahrheit, das Eigentliche und Offizielle wird kurzerhand umdefiniert, uminterpretiert oder so gezeigt ( retuschiert), wie es der eigenen Vorstellung entspricht. Dieser Mechanismus ist Kindern aus belasteten Familien oft zutiefst vertraut: Ihre Eltern haben familiäre Geschichte genauso interpretiert, umgeschrieben oder umgedeutet wie es für sie selbst am ehesten „passte“ oder wie es, so glaubten diese Eltern, für alle am ehesten zu verkraften war, so, dass  das Familiengefüge zusammenblieb. Fakenews, alternative Fakten und andere Verzerrungen sind heimatlich vertrauter Kindheitsboden. Es entsteht eine spezifische Narration (Erzählung): die Erzählung anderer Familienmitglieder muss längst nicht mit ihrer eigenen übereinstimmen ( s. Meine schwierige Mutter 2017). Diese Uminterpretation wird in manchen Familien so intensiv betrieben, dass die Betroffenen kaum noch zwischen Realität und Verzerrung unterscheiden können, weder die Erzählenden noch die Hörenden. Verwirrung ist eine Folge, blind abverlangtes Vertrauen eine andere. Alice Miller beschreibt:

„Jedes Leben ist voller Illusionen, wohl weil uns die Wahrheit zu unerträglich erscheint. Und doch ist uns die Wahrheit so unentbehrlich, dass wir ihren Verlust mit schweren Erkrankungen bezahlen.“ (Miller 1997, S.11)

Der Weg in das Vertrauen gelingt nach meinen Erfahrungen nicht über blindes Vertrauen, über ungeprüftes Zustimmen zu teils verdrehter Welt, sondern er führt über das Ernstnehmen des eigenen Misstrauens, durch vorsichtiges Überprüfen: Misstrauen ist ein notwendiger Prozess, der oft in der Kindheit und in belastetenden Situationen, auch mit den eigenen Eltern, rettend war. Nur da, wo Misstrauen und Zweifeln, Hinterfragen und in Frage stellen erlaubt ist, kann wirkliches Vertrauen entstehen. In der Politik und in der Familie.

Einen guten Start in den Frühling wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Sich öffnen und die heimische Burg verlassen

 Manche Familien sind in einem unausgesprochenen Pakt des Schweigens gefangen: sie reden zwar miteinander über Alltägliches, über Dinge, die zu organisieren sind, Belangloses, aber nicht über das, was sie eigentlich bewegt. Kinder erspüren in diesen Familien von Klein auf, dass das, was sie fühlen und wirklich bewegt, das, was man als den Schatten der Familie bezeichnen könnte, besser nicht ausgesprochen wird. So leben die im Tabu gefangenen zwar miteinander, aber einsam hinter unsichtbaren Burgmauern. Aussprechen bedeutete hier das Risiko, die familiäre Zugehörigkeit zu verlieren.  Nicht Aussprechen wird leider nur auch dann noch zum Muster, wenn diese Kinder ihre Herkunfts- Familien längst verlassen haben und eigene Beziehungen eingehen. Hesses Betrachtung ist in diesem Zusammenhang wertvoll…probieren Sie es aus!

Einen guten Start in den Frühling

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser