Spurenfrei und Tadellos? Unterwegs zwischen Schönheitswahn, Fassadenpolitur und vergoldeten Brüchen
Neulich war zu lesen, dass es eine neue Generation von Smartphones geben soll, die Kratz-und Gebrauchsspuren unmittelbar weglöscht. Was ist das für ein Zeitalter, kann man zurecht fragen, in dem Gebrauchsspuren weggelöscht werden sollen, wo alles glatt und perfekt aussehen soll? Schönheitschirurgen haben Hochkonjunktur, Anti-Aging-Produkte ebenso.
Auf subtile Weise droht sich diese „Spurenfrei-tadellos-perfekt“-Sichtweise auch in die Betrachtung der Seele zu weben. Vergangenes wird in dieser Mentalität beiseite gewischt, so getan, als hätte es Kratzer, Belastendes nie gegeben: „man“ trägt eine polierte Fassade. Diese Mentalität zahlen gerade die Kinder belastetender Eltern mit einem hohen Preis, laufen sie doch Gefahr, sich in dieser Mentalität vollends selbst zu verlieren. Der Erfolgsmensch hat demnach möglichst auch eine Erfolgsbiografie, eine Erfolgskindheit. So wird Schmerz weggewischt, zugedeckt und übergangen, mit einem hohen Preis: damit einher geht der Verlust von Ganzheit und Zugang zum ureigenen gerade So-Sein.
Spurenlesen und Brüche vergolden?
Neulich erzählte eine Klientin von einer alten japanischen Tradition: Wenn Porzellan hinfällt, etwa eine Tasse, so wird diese nicht weggeworfen, sondern vorsichtig zusammengesetzt und geklebt: die geklebten Nahtstellen werden anschließend mit Gold verziert. Welch eine schöne und nachhaltige Weise mit den Dingen umzugehen: Den Bruch vergolden, die Narbe anschauen und verschönern. Wie kann das Kindern aus belasteten Familien gelingen? …nach meinen Erfahrungen vor allem, indem die Narben und Spuren gewürdigt und wertgeschätzt, anders in ihr Leben und ihre Erzählung über ihr Leben (Narration) eingebunden werden…Diesem Themenkreis möchte ich meine Beiträge in der Adventszeit widmen! Also, lesen Sie gern wieder rein!
Ihre
Waltraut Barnowski-Geiser