Wenn Kinder wiederholt von Eltern enttäuscht wurden, (wenn etwa das Versprechen, sich von der Sucht zu lösen oder gewalttätiges Verhalten zu unterlassen, wieder und wieder nicht eingehalten wurde oder elterliches Verhalten nicht „diskutiert“ oder angesprochen werden darf), dann fällt es Kindern besonders schwer, noch an jemanden zu glauben.In der Folge wird es sogar zu einem Problem, auf die Möglichkeit der Veränderung überhaupt zu hoffen, auch als Erwachsene. Es fällt dann schwer, überhaupt noch hoffnungsvoll zu sein, überhaupt noch etwas zu ersehnen und wünschen.Manche dieser erwachsenen Kinder haben sich über die Jahre in der hoffnungslosen Traurigkeit eingerichtet: sie ist ihnen zur inneren Heimat geworden. Dieses Vertraute zu verlassen, ist schwer.
Manche Menschen, die in ihrer Kindheit besonderen Belastungen ausgesetzt waren, erkranken zudem körperlich oder/und seelisch. Hier wird es besonders schwierig, die Hoffnung auf die Heilung und Veränderung zu beleben, sie nicht gänzlich zu verlieren. Viele Beispiele zeigen uns, wie mächtig Hoffnung in das Leben spielt, wenn es um existenzielle Erkrankung geht: „Totgesagte“ lebten entgegen aller gegenteiligen Voraussagen lange weiter, „Kerngesunde“ starben, nachdem ihnen irrtümlich mitgeteilt wurde, dass sie nur noch sehr kurze Zeit zu leben hätten. Ungewöhnliche Heilungswege zeigt Anne Devillard in ihrem Buch „Heilung aus der Mitte“ in Experteninterviews unterschiedlicher Couleur (Kuby, Dahlke, Dürr, Willigis Jäger usw.) – Die Bedeutsamkeit von Einstellung, Hoffnung und Glaube zeigt sich eindrücklich – wenngleich dort, wo die persönliche Erfahrung kurzerhand zum Rezept für jedermann erhoben wird, m.E. Vorsicht angezeigt scheint.
Wie sich die Kindheitsbelastung auch im Jetzt auswirkt: der Wunsch nach Heilung ist groß. „Sehnsucht“ nach Heilung und einem besseren Leben, zeigt sich als wertvoller Motor: sie treibt an und ist ein guter Verbündeter. Diese Sehnsucht braucht Unterstützung durch den Faktor „Hoffnung“. Es mag für Sie befremdlich klingen, aber in der Zusammenarbeit mit Betroffenen zeigte sich: Erwachsene mit schweren Kindheitsbelastungen müssen „Hoffen“ üben – also, packen wir es mit der zeitgemäßen Formulierung an: Train your hope!
Übung Train your hope
Wenn Hoffnung, Glaube und Vertrauen auf der Strecke geblieben sind, dann ist der Weg ebendahin nicht leicht: diese Fähigkeit muss wie im Sport erst trainiert und aufgebaut werden. Beginnen Sie jetzt: Seien Sie geduldig mit sich, was viele Jahre nicht möglich war, ist nicht in einer Übungseinheit in wenigen Minuten zu ändern…
Probieren Sie aus…passt es gerade?
Dann nehmen sich jetzt einige Minuten Zeit. Gehen Sie, so wie es auf dieser Seite an anderen Stellen beschrieben wurde, in der bewährten Weise mit der Achtsamkeit zu Ihrem Atem, gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit zu sich selbst. Nun sinnieren Sie ein wenig: was hoffen Sie ganz und gar nur für sich selber (Hinweis: in vielen Fällen etwa wünschen sich Menschen in Beziehungen, die in großer Abhängigkeit voneinander geführt werden, dass sich der Partner verändern möge, also dass er aufhört mit einem schädigenden Suchtverhalten etc.- meist erfolglos)-.
Formulieren Sie nun diese Hoffnung, die sich auf ihr Leben bezieht, sehr genau. Schreiben Sie Ihren Satz auf und formulieren Sie ihn solange um, bis er exakt für sie stimmt. Bei anderen Betroffenen lautet ein Satz etwa :“
Ich weiß, dass ich ruhig und zufrieden leben kann!“ oder
„Unabhängig davon, wie sich die Menschen um mich herum entwickeln, weiß ich, dass ich mein Leben positiv gestalten kann.“ oder
„Ich werde ab sofort gut für mich sorgen!“
Wenn Sie Ihren Satz gefunden haben und er Ihnen, so wie er nun formuliert ist, stimmig erscheint, so ist er Satz wichtig für Ihr weiteres Leben. Ihn heute zu formulieren, war ein wichtiger erster Schritt. Damit dieser Satz Sie auf dem Weg in Ihr neues Leben wirklich stützt, also wirklich Teil ihres neuen Denkens und Hoffens wird, müssen Sie ihn fortan wertschätzen, indem sie ihn regelmäßig wiederholen. Finden Sie ein Ritual, zu einem festen Zeitpunkt am Tag, an dem Sie diesem Satz durch mehrmaliges Wiederholen einen Platz geben. Ihre Gehirnbahnen, so zeigen uns Forschungen, können neugebaut werden und damit auch ihr Hoffnungspotenzial- diese neuronalen Bahnen brauchen Wiederholung und Ihre Begeisterung bei der Sache…
Vielleicht haben Sie Bilder im Kopf, wie dieses Leben mit Heilung sich anfühlen wird: Finden Sie ein Symbol, einen Klang oder eine Landschaftsszene, etwas, was dieses Gefühl wiedergibt. Kombinieren Sie dieses mit Ihrem Satz. Wichtig ist: Tun Sie es mit dem Bewusstsein, dass Sie Ihr Leben gerade jetzt in die Hand nehmen. Wenn Sie all dies halbherzig und ohne Glauben auf Hoffnung machen, diese Zeilen lesen, nur um Sie, wie gewohnt, abzuspeichern unter: „Klar, man kann viel reden, bei mir klappt das alles eh nicht!“ dann wird sich diese Aussage wahrscheinlich auch in dieser negativen Weise erfüllen.
Seien Sie in der nächsten Woche achtsam, wo Ihnen Wünsche nicht materieller Art begegnen, Visionen, Sehnsüchte…notieren Sie diese.
Wenn Sie alleine nicht zu Glaube und Hoffnung finden, suchen Sie nach einen wertschätzenden Anderen, dem Sie sich anvertrauen: auch das kann wahre Wunder bewirken! Wenn es diesen Menschen in Ihrem Leben gerade nicht gibt, schauen Sie in guten Selbsthilfeforen nach Online-Gesprächspartnern. Auch das kann ein erster Schritt sein, Ihrer Hoffnung nachzugehen.
Wie finden Menschen mit Kindheitsbelastungen ihre Heilung?…Damit beschäftigen sich viele Beiträge auf dieser Seite. Als ein entscheidender Einflussfaktor für ihr gelingendes Leben zeigte sich, wie wir nun angesehen habe, die Fähigkeit, zu hoffen. Diese Fähigkeit ist eng verknüpft mit dem, was Erikson das Urvertrauen nennt. Dieses entsteht nach Eriksons Auffassung im ersten Kontakt mit den Eltern. Petzold spricht in diesem Zusammenhang von Grundvertrauen, das auf dem Grund menschlicher Existenz fuße, einem Fundament, das unsere Existenz trage (Petzold , S.231). Diesem Verständnis nach verfügen Menschen über ein Grundvertrauen, das „einfach da“ ist. Es wird durch die frühen Beziehungen bekräftigt. Für manche ist auf diesem Urgrund eine enge Gottesverbindung, eine Kosmos-Verbindung oder Spiritualität angesiedelt. Wie sich dieser Grund auch jeweils gestaltet, zu diesem Grund und dem Grundvertrauen müssen und können Menschen mit Kindheitsbelastungen zurückfinden. Diesen Weg zum Grund zu ermöglichen, stellt eine zentrale Aufgabe von Therapie für Erwachsene mit Kindheitsbelastungen. Eine therapeutische Beziehung kann hier eine wichtige Rolle auf dem Weg zu Grundvertrauen und Hoffnung übernehmen. Eine andere wichtige Bedeutung kann darin bestehen, Einstellungswandel zu begleiten. Wann wir entlastet, gesund, heil sind, ist eine Frage der Perspektive:
Jacob Klaesi
„Gesundheit ist das Vermögen, auch Krankheit und Gebrechen gleichmütig, wenn nicht gar heiter und dankbar, jedenfalls aber würdig und fruchtbringend zu ertragen.“
zitiert nach Petersen, in: Die Rolle des Therapeuten und die therapeutische Beziehung, S.22/23)
Hat dieses Zitat des Schweizer Psychiaters Klaesi auch in Ihnen Widerspruch hervorgerufen? Ein hoher Anspruch liegt in dieser Aussage: aber auch eine interessante Perspektive. Die Ansprüche an das eigene Heilsein zu reduzieren, die angestrebte Heilung nicht mit vollständiger Gesundung gleichzusetzen sondern den guten Umgang mit Krankheit als „gesund“ zu definieren, kann entlastend wirken. Betroffene, die in der Lage waren, auch kleine Verbesserungen zu würdigen (Krankheits-, Belastungs- und Schmerztagebücher waren dabei hilfreich), fühlten sich gesünder, bezeichneten sich insgesamt als „heiler“. Es zeigte sich, dass Heilung für Betroffene mit Kindheitsbelastungen das Gelingen eines Balanceaktes bedeutete: der Balance zwischen Akzeptanz und Gestaltung. Die Akzeptanz, dass kindliche Belastung nicht folgenlos geblieben ist einerseits, und das Zutrauen zur eigenen Gestaltungsfähigkeit andererseits: ein Bewusstsein für die eigene Wirkmächtigkeit, das Ausmaß und die Einstellung zu den Belastungen aktiv zu wandeln ebenso wie das Wissen, um die Grenzen des menschlichen Einfluss.
Ich wünsche Ihnen eine gute Balance und Mut zur Hoffnung. Vielleicht versetzen Sie mit Ihrem Glauben noch nicht „Berge“, aber einen kleinen wichtigen Stein in die richtige Richtung!
Ihre
Waltraut Barnowski-Geiser
Zitate aus
Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin und Autorin.
Ihre Bücher zum Thema: Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht ( 2009).
Arbeit und Unterstützung nach dem AWOKADO-Hilfe-Konzept (auch in individuell zugeschnittenen Kompaktblöcken) in ihrer Praxis KlangRaum in Erkelenz