An unsichtbaren Fäden des Gestern:Wenn Schuld das Leben bestimmt

Ein Gefühl, das Menschen mit Kindheitsbelastungen von der Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter beschäftigt, ist Schuld. Schuld ist hier gemeint als sich schuldig Fühlen, im Sinne einer inneren Bewertung .

„Das heißt, dass ein erlebtes Schuldgefühl nicht gleichsam bedeutet, dass diejenige Person, an der man scheinbar schuldig wurde, sich selbst als jemanden erlebt, dem etwas angetan wurde. Das Quälende der Schuldgefühle besteht gerade darin, sich ohne äußerlich erkennbaren Grund maßlos schuldig zu fühlen.“ (Musiktherapeutin Gitta Strehlow, 2005)

Auch die therapeutische Szene hat an diesen Entwicklungen keinen unerheblichen Anteil: lange Zeit wurden etwa im suchttherapeutischen Bereich Angehörige vielmehr als Verursacher von Krankheit angesehen (hier von Sucht), anstatt als diejenigen, die etwas erliiten. Erst in neueren Ansätzen werden spezifisch an Angehörigen orientierte Konzepte verfolgt (u.a. Flassbeck, Barnowski-Geiser).

In ihren Erklärungszuschreibungen erleben sich Betroffene diffus, beschreiben das Schuldgefühl als „einfach da“, abseits aller logischen Erklärungen. Bei vielen Kindern findet eine Umleitung statt, indem sie ihre Belastung verschieben und sich selbst als belastend beschreiben, sich damit „schuldig machen“. Manche Kinder äußerten während fortlaufender Therapie  heftige Schuldgefühle, die sogar mit Todeswünschen einhergingen. Oftmals leiden sie unter einem existentiellen Erleben von „Nicht- Gewollt- Sein“. Betroffene glauben, sich das Recht ihrer Existenz und Anwesenheit erst erarbeiten zu müssen. In diesen inneren Konstruktionen wird Eltern ein hohes Zugriffrecht zugebilligt. Erwachsene Betroffene glauben, weit über die Kindheit hinaus für ihre Herkunftsfamilie zur Verfügung stehen zu müssen: eben einfach, weil  sie sich auf ihnen selbst nicht bekannte Art und Weise schuldig gemacht hätten. Derart Betroffene scheinen diese Schuld förmlich abarbeiten zu müssen, was  eine innere Loslösung sowie Autonomiebestrebungen fast unmöglich erscheinen lässt – zumindest solange dieser Mechanismus ihnen nicht bewusst wird..

 „Und ich war ihrer Ansicht nach schuld, dass sie immer mehr trank, weil das mit mir alles nicht auszuhalten war… So äußerte sie sich… und sie sagte mir auch, dass sie, wenn sie im Auto saß, schon oft daran gedacht hatte, gegen die Wand zu rasen – wegen mir. Heute macht mich das wütend!“ (V16,HerrI.,40 Jahre).

Frau O., die sich nach ihren Erzählungen von ihrer Herkunftsfamilie deutlich gelöst habe, da es unter Alkoholeinfluss wiederholt zu sexuellen und gewalttätigen Übergriffen durch den Vater kam, wenig Loyalität durch Mutter und Geschwister gegeben habe, stellt ihre Herkunftsfamilie mit Tieren nach. Für sich selbst wählt Frau O. ein schwarzes Schaf, das die Aufschrift trägt:  ‚Welcome’. Diese Aufschrift fällt ihr erst durch einen Hinweis der Therapeutin auf. Frau O stellt sehr verwundert fest: „Und doch ist es genau so, wie ich es hier gewählt habe. Weil ich benannt habe, was sich sehe, war ich das schwarze Schaf meiner Familie, und doch würde ich bis heute alles tun, wenn meine Familie in Not ist. Ich fühle mich tief in der Schuld, die ich nicht erklären kann!“ (V17,Frau O., 46 Jahre)

Zitiert nach Barnowski-Geiser 2009: Hören, was niemand sieht

Schuld mobilisiert aktive, selbstkontrollierte Versuche, etwas wiedergutmachen zu können.“ (Strehlow 2005) Der Wunsch, sich für die Herkunftsfamilie einsetzen zu wollen, ist bei Betroffenen  besonders stark. Besonders bei Kindern, die ihre kranken Eltern durch Tod verloren haben, werden Schuldfragen existenziell. Auch berichteten betroffene Kinder von anderen Familienmitgliedern (in der näheren und erweiterten Verwandtschaft), die ihnen Schuld am Tod  eines erkrankten Elternteils zuschrieben. Manche Familiensysteme sind durch Tod oder Selbstmord eines Erkrankten offenbar so stark traumatisiert, dass es dann darum geht, die Schuld von sich selber  „wegzubekommen“. Im Sinne von ‚Angriff ist die beste Verteidigung’ scheuen so offenbar weder Großmütter davor zurück, ihre Enkel in der Verantwortung für den Tod des Erkrankten zu beschuldigen, wie Geschwister einander, Väter ihre Töchter: sicherlich ein Ausdruck allerhöchster familiärer Not.

Kann das Schuldthema nicht aufgedeckt werden, zeigte es sich bei Betroffenen als lebensbestimmende Triebfeder des eigenen Handelns: verschleißende und sich selbst missachtende Muster, einer Selbstbestrafung gleichendes Verhalten waren die Folge.  Auch Raubbau mit dem eigenen Körper, ein wenig liebevoller, fast an Selbstverachtung grenzender, nicht gesundheitsförderlichen Umgang mit sich selbst geht oftmals mit ungelösten Schuldzuschreibungen einher.

Beitrag in Anlehnung an Barnowski-Geiser:Hören, was niemand sieht 2009

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