Wo Kränkung regiert, ist Krankheit nicht weit: Wie Kränkung das Leben belasteter Familien bestimmt und wie rettende Wege hinausführen

Zum heutigen Blogbeitrag animierte mich ein hörenswerter Vortrag von Prof. Reinhard Haller, Psychiater und Psychotherapeut aus Österreich. Er spricht zum Thema „Die Macht der Kränkung“. Haller beschäftigt sich mit Kränkungen im allgemeinen und mir scheint die Brücke in die belastete Familie sinnvoll. Ich halte dieses Thema für belastete Familien und ihre (erwachsenen) Kinder für besonders bedeutungsvoll, denn: Wenn wir uns belasteten Familien nähern, so ist ihnen ein Merkmal in der Regel gemein: alle Familienmitglieder haben schlimme Kränkungen erlitten. Die Art der Kränkung mag sich unterscheiden, auch die Symptome und Folgen ebenso wie der Umgang: gemeinsam in der familiären Dynamik ist meist die Tabuisierung, hier werden  Kränkungen totgeschwiegen, werden nicht aufgearbeitet, sondern auf andere Weise, den Betroffenen meist selbst nicht bewusst, ausagiert… und in unguter Weise drohen Auswirkungen so von den Eltern an die Kinder und nachfolgende Generationen weitergegeben zu werden. Aus Kindern, die Kränkungen erfahren, werden leicht Eltern, die meist unabsichtlich, ihre Kinder neuerlich kränken. Fehlende Liebe während des Aufwachsens sowie fehlende positive Resonanzen (Petzold, Rosa etc.) erzeugen Kränkungen und Gekränktsein: aus Gekränkten drohen Kränker zu werden. Teils wird in der gesamten Gesellschaft eine Zunahme narzistischer Tendenzen beschrieben, denen oftmals massive Kränkungen zugrunde liegen

Die familiäre Anhäufung dieser Phänomene tut, besonders bleibt sie unbearbeitet, niemandem gut: Ein krankmachender Teufelskreis entsteht. Über das Ausmaß der Kränkung sind Teile der Familie, wie es der Wortsinn schon andeutet, erkrankt: nicht nur die Wissenschaft der Psychoneuroimmunologie (Schubert u.a.) zeigt uns  in jüngster Zeit eindrucksvolle Zusammenhänge zwischen  Beleidigungen, Demütigungen, Mobbing, frühen Traumatisierungen und Krankheiten, für die sich keine körperlichen Ursachen finden lassen.

Fassen wir Kränkung als Teil eines Tanzes zwischen schwierigen Eltern und Kindern (Geiser-Heinrichs/Barnowski-Geiser 2017), als Teil einer spezifischen Interaktion (Haller) auf, dann scheint es wichtig, die Beziehung und das Gesamtsystem  im Auge zu haben, also systemisch zu schauen, um Änderung und Hilfe möglich werden zu lassen. Zentral für Betroffene auf Ihrem Weg zur Heilung der Kränkung scheint:

  • Zulassen, dass es Kränkungen gab und gibt (im AWOKADO-KOnzept als Würdigung der Belastung beschrieben)
  • betrauern dürfen
  • einen eigenen Standpunkt, eine neue Haltung, zu den Kränkungen finden (in verstrickten Familien meist nicht ohne Außenstehende zu schaffen)
  • die entstandenen Wunden pflegen ( auch Trost annehmen, insbesondere außerhalb des familiären Systems), statt sich weiter in Selbstverletzung, Selbst-Quälen und Selbst-Beschimpfen zu ergeben.

Prof. Hallers Vortrag in der Reihe fürs Leben lernen der Arbeiterkammer AT finden sie augenblicklich in der Teleakademie des Alpha-TVs oder auf youtube

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche

IHre

Waltraut Barnowski-Geiser