Sich mit sich selbst versoehnen: Körper und Geist vereinen

Kommt Ihnen das bekannt vor?…Sie wissen „alles“ über Problemfamilien und Störungsbilder, sie kennen unzählige Fakten über Kindheit, ihre Ursachen und familiäre Dynamik, Sie sind womöglich sogar in einem einschlägigen sozialen Berufsfeld gelandet…aber wenig können sie wirklich fühlen, leiden unter dem Gefühl, all Ihrem Wissen auf der persönlichen Ebene allenfalls Verdrängung entgegensetzen zu können, Ihr Körper ist Ihnen nicht geheuer, wirkt wie ein schlummernder Feind, der allenfalls unter Kontrolle gebracht werden muss?… Damit sind Sie nicht allein, denn so geht es vielen betroffenen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien.

Heute ist womöglich der Zeitpunkt gekommen,  nicht mehr endlos das in der Vergangenheit Geschehene zu drehen, wenden und bearbeiten. Dann ist es vielleicht an der Zeit, das „Kreisen um das Gestern“ übend loszulassen und durch neue Erfahrungen zu ersetzen. Damit auch dies nicht „bloße“ Theorie bleibt, ist Ihre Aktivität gefordert…es braucht den Mut, übend neue Erfahrungen zu machen, gleichsam auf Neustart zu gehen, zu re-setten in neudeutsch, im Inneren  umzustrukturieren. Anregungen dazu finden sich auch in der Praxis der Achtsamkeit, wie sie etwa Thich Nhat Hanh vorstellt und über Jahrtausende erprobt und geübt wurde. Vielleicht sagen Sie nun: kenne ich schon alles…ja, aber üben Sie auch tatsächlich? Leben Sie achtsam oder wissen Sie nur darum?

Wie eine liebende Mutter, die für einige Tage ihr Kind verlassen musste, zu ihrem Kind heimkehre  und es zärtlich in die Arme nimmt, so könne nun der Geist den Körper in die Arme nehmen, beschreibt Thich Nhat Hanh diesen Prozess auf liebevolle Weise. Insbesondere, wenn die Anspannung im Körper eingeladen wird, zu gehen und wir sie loslassen, (vielleicht zunächst nur einen Atemzug lang) kann dies nach meinen Erfahrungen  heilsam wirken auf Kindheitsbelastete. Regelmäßig angewendet kann sie zur späten Versöhnung zwischen Körper und Geist führen, auf einmal fühlen sich Betroffene „anders, lebendiger, wacher“. Das Neuartige wirkt weiter in der Weise, wie Betroffene nun achtsamer sprechen und ihre Welt anders wahrnehmen und gestalten. Es findet ein grundlegender Perspektivwechsel statt.

Untersuchungen zeigen, „dass der Körper, wie er im Gehirn repräsentiert ist, möglicherweise das unentbehrliche Bezugssystem für neuronale Prozesse bildet, die wir als Bewusstsein erleben; „dass unser eigener Organismus und nicht irgendeine absolute äußere Realität den Orientierungsrahmen abgibt für die Konstruktion, die wir von unserer Umgebung anfertigen, und für die Konstruktion der allgegenwärtigen Subjektivität, die wesentlicher Bestandteil unserer Erfahrungen ist; dass sich unsere erhabensten Gedanken und größten Taten, unsere höchsten Freuden und tiefsten Verzweiflungen den Körper als Maßstab nehmen.“ (Damasio 1997, S.17)

 Meist wird der Körper von Menschen mit Kindheitsbelastungen erst dann wahrgenommen, wenn er in seiner Funktion gestört ist. Vom „Leib, der ich bin“  wird er zum „Körper, den ich habe“. (Fuchs 2000b) Während der gesunde Körper im Hintergrund als selbstverständliche und selbstvergessene Existenz scheinbar nicht beachtet werden muss, rückt der kranke Körper als Feindbild nun in den Blick: als außerhalb der eigenen Person liegendes Problemfeld. Der Psychiater Fuchs beschreibt Krankheit als gestörte Harmonie, die mit einer Entfremdung, einer Partikularisierung innerhalb der Leiblichkeit einhergehe. (Fuchs 2000). Und auch der Hirnforscher Damasio schreibt: „Die Seele atmet durch den Körper und Leiden findet im Fleisch statt, egal ob es in der Haut oder in der Vorstellung beginnt.“ (Damasio 1997, S.19) Im Umkehrschluss meint somit Integration des Körpers, „ihn als Teil der eigenen Innenwelt anzuerkennen und ihn nicht nur als ein Ding, als einen Gegenstand, einen biologischen Organismus, also als Teil der Außenwelt (was der Körper natürlich auch ist), zu behandeln.“ (Seemann 1998, S.17) Menschen entwicklen unterschiedliche Schwerpunkte, werden Kopf- oder Gefühlsmenschen etc. Der Körper kann nicht losgelöst vom Fühlen und Denken Betroffener angesehen werden: mit Hilfe  des Geistes können wir den Körper gleichsam nach Hause holen, ihn wieder anbinden ( s.a. Kreative Selbsterfahrung: Der Anker in meinem Körper).

Eine gute Woche und Sonniges an diesem Feiertag wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser