Eine schwierige Kunst: wie der Beziehungs-Tanz zwischen Mutter und Kind scheitern oder gelingen kann

„Erst als ich die Beziehung zu meiner Mutter bearbeitet habe, hat sich meine Beziehung zu meiner Tochter entscheidend verbessert!“ (Frau I. , 40-Jährige Pädagogin und Mutter einer 12jährigen Tochter)

Häufig ist in der Fachliteratur von schwierigen Kindern die Rede. Aber was ist mit schwierigen Eltern?  Dieses Thema wird eher stiefkindlich behandelt… und wenn es um erwachsene Kinder mit schwierigen Kindheiten geht, erst Recht: wenig und nur vereinzelt kliententelspezifische Hilfe (wie etwa dankenswerterweise in den Beiträgen der KollegInnen Jens Flassbeck, Dami Charf); auch in der therapeutischen Szene muss man das Thema als Ordchideendisziplin bezeichnen. Die Not der betroffenen Menschen erscheint groß, die Ratlosigkeit der therapeutisch Tätigen ebenso: deshalb haben wir, meine Tochter Maren Geiser-Heinrichs ( Psychologin in einer Beratungsstelle) und ich, beschlossen, unsere Erfahrungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Begonnen haben wir diese gemeinsamen Schritte mit einem Selbsthilfebuch für erwachsene Betroffene und begrenzen aufgrund der großen Komplexität der Themen: Wir haben uns als erstes der Mütterthematik  bei erwachsenen Kindern gewidmet, die Väterthematik soll folgen. So viel vorab: wir halten beide Eltern (0der auch andere nahe Bezugspersonen) für bedeutsam in der Lebensentwicklung.

Gern möchten wir mehr Menschen für die Bedeutung kindlicher Erfahrungen sensibilisieren und für Veränderungswege öffnen. Erkennen ist der 1. Schritt auf dem Weg zur Veränderung. Die Qualität der Interaktion (wir beschreiben es in unserem Buch als lebenslangen Tanz) zwischen nahen Betreuungspersonen, meist zwischen der leiblichen Mutter und dem Kind, ist gerade in den ersten Lebensjahren des Kindes entscheidend und wird (nicht nur zu Beginn) entscheidend geprägt durch die Kompetenz der Mutter; sie sollte als die weisere  (Begriff nach Grossmann&Grossmann) agieren ( und kann es nicht zwangsläufig wie gewünscht oder angenommen).  Vor allem Feinfühligkeit und Bindungssicherheit sind als mütterliche Kompetenzen gefragt. Erlebt das Kind hier wenig Einfühlsames und wenig Sicheres, so kann dies weitreichenden Einfluss nehmen: u.a. auf seine Art und Weise in die Welt zu gehen, auf seinen Lebenserfolg, aber auch vor allem auf sein Selbsterleben. Ich empfehle zum tifergehenden Verständnis  an dieser Stelle gern einen Vortrag von Karin Grossmann, in dem sie ihre eindrucksvollen Langzeit- Forschungsarbeiten zur Bindung zwischen Eltern ( auch unter väterlich-feinfühligen Aspekten) und Kind prägnant und gut verständlich erklärt (gut investierte 40 Minuten, finde ich). Wer mehr erfahren mag, dem sei das allerdings hochpreisige Buch des Forscherpaares ans Herz gelegt.

Ein Kind einer, nennen wir sie wie im Buch  „schwierige“ Mutter, kann  an den Folgen eines nicht gelungenen Bindungstanzes zeitlebens mit Leib und Seele leiden -und doch sind die Folgen  nicht zwangsläufig, und auch nicht irreversibel oder irreparabel. Wie genau dieser Tanz zwischen Mutter und Kind vonstatten geht, wie der kindlich erlernte Tanz unser Erwachsenenleben bestimmt und vor allem, wie Betroffene sich im Erwachsenenalter selbst helfen können, möchten wir in unserem neuen Buch beschreiben: Meine schwierge Mutter. Das Buch für erwachsene Töchter und Söhne. Ein kreatives Selbsthilfeprogramm mit Selbsttest kann Sie in Ihrem persönlichen Veränderungs-Prozess unterstützen.

Unser Anliegen: Die Weitergabe durch die Generationen abmildern

In der therapeutischen Praxis zeigt sich: viele Probleme, die Mütter an ihren Kindern beschreiben, kennen diese selbst auch aus Kindheitsttagen… ohne dass ihnen dieser Teil ihrer Biografie wirklich bewusst wäre. Erst auf Nachfragen, etwa „Wie ging es Ihnen im Alter Ihrer Tochter?„, werden plötzlich Paralellen, Wiederholungen durch die Generationen überdeutlich. Die Mutter will nicht gewalttätig sein wie ihre Mutter…und findet doch in Augenblicken der Überforderung mit der eigenen Tochter keinen anderen Weg- Verzweiflung, Selbstvorwürfe, Schuld: ein ungutes Gebräu. Heute wollen diese Frauen und Männer es bei ihren Kindern anders machen: aber weit und breit kein geeignetes Modell in Sicht, ebenso kein verinnerlichtes Arbeitsmodell, das fähig schien, das Alte zu ersetzen. Wer keine feinfühligen Eltern erleben durfte, hat es schwerer, diese Fähigkeit in sich selbst auszubilden. Es wird zur Herausforderung, den eigenen Kindern das nötige Feingefühl, die erforderliche Bindungssicherheit zu geben. Dann lieber gar nicht erst Mutter oder Vater werden? Kinderlosigkeit wird oftmals die Not- Lösung, die zugleich selten gut erträglich scheint.Beim Thema schwierige Mütter bewegen wir uns in vielerlei Hinsicht auf einem engen Grat, Frauen vor allem  zwischen den Polen eine schwierige Mutter Haben und schwierige Mutter- Sein.

Muttermythos und Tabu

Ihre eigene Mutter schwierig zu empfinden, können sich manche Menschen gut eingestehen und locker darüber plaudern (in manchen Kreisen gilt das sogar als cool und chick), für andere ist das ein so verbotenes Thema, das es kaum denkbar, geschweige denn aussprechbar wäre. Wenn das Schwierigsein ein geringeres Ausmaß zeigt, ist es leichter, wahrzunehmen und mitzuteilen, wenn das Ausmaß große ist, Traumatisierung, Beschämung und wiederholte tiefe Kränkungen beinhaltet, wird der Umgang schwieriger. Erschwert wird dieser Umgang, so zeigt sich in unseren Arbeiten, durch ethisch-moralische Maßstäbe. Man darf doch nicht die eigene Mutter in Frage stellen, denken Betroffene, das wollte man als Mutter doch auch nicht! Getreu dem ethischen Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren!“, können sich dann Betroffene, die in ihrer Kindheit viel Ungutes erlebten, oft nur noch ins Verdrängen retten- in der Folge ins Verstummen- und beschreiten so unbemerkt einen unguten Pfad der Weitergabe von Schwierigkeiten an die nächste Generation… Tabuisieren und Verschweigen waren der Preis, den die Kinder für ihre Zugehörigkeit zur Familie zu zahlen hatten. Die Gefahr ist dann groß, dass aus dem betroffenen Kind einer schwierigen Mutter neuerlich selbst eine schwierige Mutter wird: wer nicht um seine Biografie weiß, wer schwere Bindungsdefizite und Leerstellen im Erleben in sich trägt, droht unbewusst Ungutes an die nächste Generation weitergzugeben. Zugleich kann das Erkennen und Auseinandersetzen ebenso wie gute neue Erfahrungen einen Weg in ein jetzt.besser.leben.  ebnen, auch im gute Mutter- oder Vater-Sein.

Im nächsten Beitrag mehr rund um diese Thematik. Für heute Danke fürs Lesen, fürs Weiterempfehlen, Diskutieren… wir freuen uns, wenn unsere Arbeit Ihnen weiterhilft.

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Du bist, also bin ich: was Martin Buber, eine frühkindlich erlebte Trennung und Goldgräber verbindet

Martin Buber – ein Clubmitglied in unserem Kreis der Kindheitsbelasteten? Diese Frage duerfen wir wohl mit „Ja!“ beantworten.

Buber galt als bedeutender Humanphilosoph: in das Zentrum seiner Überlegungen stellte er die zwischenmenschliche Begegnung.  Begegnung sah er als grundlegend für menschliche Identität, das Leben selbst vor allem als Ansammlung von Begegnungen. Wenig bekannt ist, dass Buber auch zum Kreis der Kindheitsbelasteten zu zählen ist: Im Alter von 4 Jahren trennen sich Bubers Eltern, die Mutter geht, Buber leidet entsetzlich. Wiederholt beschreibt er, diesen Verlust nicht verwunden zu haben. Seine Aussage (in Fortführung des Philosophen Descartes) Du bist…also bin ich läßt sich auch im Umkehrschluss weiterdenken, dann kommt sie der Vernichtung nahe: wenn du nicht bist, kann ich nicht sein… Überall suche er nach diesem Du, nach der Mutter, so beschreibt er es. Man könnte erwarten, dass er an diesem Leiden zerbricht: er aber leidet und nutzt seine Kindheitswunde, um anderen Menschen zu helfen. Die tiefgreifende Kindheitsverletzung des Verlustes wird heute als Motor gesehen für seine teils als genial eingestuften Arbeiten zur Zwischenmenschlichkeit. Sich selbst in seinem Mutterverlust zu verstehen wurde seine Triebfeder und unermüdlicher Motor.. und dabei gelingt es ihm, ein großes Lebenswerk zu schaffen. Indem er seine Wunde zu verstehen sucht, findet er letzlich sein „Gold“: Beziehungswissen, dass er in einem großen Werk auf vielfältige Wege an andere Menschen weitergibt.

Nur eine gute Begegnung reiche, um vergangene Begegnungen zu kompensieren, schreibt Buber später ( und findet selbst ein „heilsames Du“ in der Beziehung zu seiner Partnerin).Betroffene beschreiben rueckblickend oft Ldie „eine Lehrerin,die um mich wusste“,den einen „Trainer,der einfach da war“,“die Nachbarin,zu der man in die warme Stube durfte und sogar ein Brot bekam“ etc als ein solches Du. Die Wunden verwandeln, sie zu Ihrem klein-grossen Wunder, zu Ihrem ganz persönlichen Gold werden zu lassen: ist das in Ihrem Leben gelungen und wenn ja,wie genau haben Sie das bewerkstelligt? Wer war Ihr praegendes Du? Dieser Blick ist vielleicht unvertraut, aber lohnenswert: Wagen Sie einen wohlwollenden, wertschätzenden Blick auf  Ihre Biografie…werden Sie ihr eigener Goldgräber. Schreiben Sie doch eine kleine Erzählung dazu…ich werde  gern lesen,auch persoenlich ueber das Kontaktformular dieser Seite..

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser