Lockdown? Nicht vergessen: Suchtkinder sind Meister der Krisenbewältigung

Krisenmeisterschaft

Menschen mit schweren Kindheitstbelastungen sind in der Regel zwangsläufig KrisenbewältigungsmeisterInnen geworden: leider haben Sie diese Fähigkeit oft , so wie die Belastungen im Gestern, völlig vergessen. Mich interessiert seit vielen Jahrzehnten, was genau Menschen hilft, mit schweren familiären Krisen umzugehen… und wie es dennoch möglich wird, ein befriedigendes oder gar glückliches Leben zu führen. Dazu habe ich über ein Jahrzehnt Menschen befragt und anschließend analysiert, welche Bausteine der Krisenhilfe sie gefunden hatten, um ihr Leben gelingen zu lassen. Immer wieder zeigten sie sich als besonders stark, kreative Lösungen für scheinbar Unlösbares zu finden, sozial kompetent und humorvoll (Wolin&Wolin).

Fallen

Zwei Fallen in der Krisenbewältigung sind augenfällig:

Suchtkinder und Menschen mit Kindheitsbelastungen umgeben sich oft mit Menschen, die ihnen Energie absaugen.

Sie lassen sich, resonanzfähig wie sie sind, leicht mit „runterziehen“.

Erste Hilfe

Auswählen

Kontakte bewusst wählen und dosieren ( auch online). Wenn Sie sich regelmäßig nach Telefonaten und Videofonaten ausgelaugt und erschöpft fühlen, hilft es meist, diesen Kontakt zu begrenzen.

Musik: Resonanz und Zeit für mich

Menschen mit Kindheitsbelastungen sind oft besonders ansprechbar über Musik: Musik kann auch gerade jetzt in der Coronazeit die fehlende Resonanz in Kontakten ein Stück mildern: Musik versetzt in Schwingung, verbindet und ermöglicht eine andere Stimmungslage. Probieren Sie es aus…mit welcher Musik kommen sie „gut drauf“)?

Eine gute Woche wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

„Ich erwarte nichts, dann werd ich auch nicht enttäuscht!“ – Warum sich freuen für Kindheitsbelastete eine Mutprobe bedeutet

„Ich erwarte nichts!“, sagt Herr I.mit dem Brustton der Überzeugung, „dann werde ich auch nicht enttäuscht.“ Zugleich beschreibt er Gefühle von Verdruß, eine aufkommende Lebensunlust, nichts mache ihm wirklich Freude.

Menschen aus belasteten Familien, wie auch Herrn I., scheint manchmal die Freude abhanden gekommen zu sein: Wie bei Herrn I. ist dieser Freudverlust Teil einer lebenslangen Geschichte, Teil einer Biografie des schleichenden Freudverlustes. Erkrankte Eltern ( etwa diejenigen, die an einer Sucht leiden) versprechen oft Dinge und halten sie nicht ein. Zum x-ten Male verspricht die Mutter, nicht mehr zu trinken, zum Familienausflug „clean“ zu sein, das Kind zu begleiten…und wieder und wieder wird es nichts, wieder und wieder läuft die Freude ins Leere und wird enttäuscht. Machen Kinder, wie auch Herr I., diese Erfahrung wiederholt und über Jahre, ist einer ihrer Bewältigungswege, das Hoffen und Freuen einzustellen. Die wiederholt erlebte Frustration und Resignation wird gleichsam vorweggenommen, um sie nicht wieder zu erleben. Dieser Selbstschutzmechanismus geht oft einher mit einem Verlust von Lebensqualität. Erst wenn dieser Mechanismus erkannt wird, kann sich langsam die Freude einen Weg in das Leben Betroffener bahnen. Dies erfordert Mut, Mut, einer neuerlichen Enttäuschung ins Auge zu sehen, aber auch den Mut, sich auf eine andere Erfahrung einzulassen.

Gerade in den schwierigen Pandemiezeiten muessen wir selbst Freudvolles regelrecht suchen.Kreativitaet ist gefragt.Und: worauf freuen Sie sich?

Mut zu Freudigem wünscht

IHre

Waltraut Barnowski-Geiser

Heimweh, Sehnsucht und Co: Coronazeiten als Brutstätten der Sehnsucht

Corona stellt uns, wie wir hier schon einige Male beleuchtet haben, vor besondere Herausforderungen. Die Folgen der sozialen Distanzierung werden gerade erst präziser in den Blick genommen. In meiner Arbeit fällt mir auf, dass die Themen „Leere“ und „Verlorenheit“ verstärkt eine Rolle spielen im Leben der Menschen mit Kindheitsbelastungen. Manch einem kommt die staatlich erzwungene Diustanzierung zu schwierigen Eltern nicht ungelegen: und dennoch lässt sie in manch Kindheitsbelastetem ein ungutes Gefühl zurück: etwas fehlt, seit Kindheitstagen. Betroffene empfinden Leere, „Nichts“, bei genuaerem Nachforschen werden alte Wunden, Verlorenheit, mangelnde Geborgenheit, spürbar. Dieses Gefühl gleicht dem kindlichen Heimweh der Menschen, die die elterliche Nähe ein Leben lang suchten und nie fanden.

Die offene Rechnung: Kindheitsbelastungs-Heimweh

Fühlen auch Sie sich manchmal scheinbar grundlos traurig und niedergeschlagen, haben an kaum etwas Interesse, fühlen sich appetitlos im Wechsel mit Heißhungerattacken?…Sie haben das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören, verspüren wenig Motivation zur Arbeit und auch nicht, tatkräftig etwas Neues zu beginnen? Dann kann es sein, dass sie unter chronischem Belastungs-Heimweh leiden…

Wenn kindliche Bedürfnisse nach elterlicher Liebe und Zuwendung nicht befriedigt wurden, dann scheint oft lebenslang etwas offen zu bleiben. Etwas Unbestimmtes scheint verloren. Etwas, das am ehesten mit dem Begriff Heimweh zu beschreiben ist. In der Folge richten erwachsene Kinder ihr Bemühen darauf, dieses Heimweh wegzubekommen, es von den Eltern doch noch gestillt zu bekommen oder auch, es einfach nicht mehr zu fühlen.

Viele Kinder aus belasteten Familien leiden im hohen Erwachsenenalter  an chronischem Heimweh, ohne darum zu wissen: belastete Familien sind wahre Brutstätten der Sehnsucht (zit. Vater, Mutter, Sucht, s.u.). Der Begriff Heimweh wird allgemein als Beschreibung gewählt, wenn in früher Kindheit eine Gemeinschaft verloren gegangen ist. Bei belasteten Kinder bekommt Heimweh eine andere Dimension.  Heimweh, das ich als Belastungsheimweh bezeichnen möchte, ist vielmehr bei all denjenigen vorhanden, die eine familiäre Gemeinschaft nie befriedigend erlebt haben und bei denjenigen, die sich selbst in der Suche nach elterlicher Liebe verloren gegangen sind. Belastungsheimweh ist immer auch ein Suche nach uns selbst, nach der eigenen Identität – oft einhergehend mit großer Verzweiflung.

Die junge Frau ist außer sich. Ihr Freund betrüge sie permanent, schlage sie, wenn sie ihn darauf anspreche und sie nehme diese Behandlung wieder und wieder in Kauf. Sie verstehe sich selbst nicht, Biografisches kommt ihr in den Sinn. Sie ist Tochter eines Alkoholikers und einer depressiven, tablettenabhängigen Mutter. In der Arbeit zu diesem Thema äußert sie, süchtig nach Ihrem Freund zu sein. „In meiner Familie hat das angefangen: ich bin der Liebe, die ich nicht bekam, hinterhergelaufen. Wie ein Stier hinter dem roten Tuch, so laufe  ich seitdem der Liebe hinterher!“

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Selbstfürsorge- die Challenge für Krisenkinder

Krisen passieren. Sie treffen Menschen unterschiedlich: wie Krisen verarbeitet werden, hängt vom individuellen Erleben ab. Jeder Mensch trägt biografische Spuren in sich; auf diesen begangenen Boden fällt das Krisenereignis und wird dementsprechend bewertet.

Wie gehen Sie mit Krisen um?
Die Coronakrise passiert vielen Menschen auf der ganzen Welt sie trifft dort auf sehr unterschiedliche Vorbedingungen ( vor allem auch Bedingungen des Gesundheits-und Sozialsystems) und auf individuelle Geschichte. Erwachsene aus belasteten Familien haben in der Regel viele Krisen in der Familie erlebt. Wie gut sie diese überstanden haben, hängt von ihren Widerstandskräften ( auch Resilienz) genannt und ihren besonderen Verletzlichkeiten (als Vulnerabilität in der Fachsprache Bezeichnet) ab. Sind in den Krisenzeiten tiefe Verletzungen entstanden ( Traumata sogar), dann springen die Symptome aus den alten Zeiten leicht bei neuen Krisen wieder an: d.h., das Herzrasen, das Erstarren, das Nicht-mehr-zur-Ruhe-KOmmen etc, scheint grundlos aufzutreten: gerade zu Beginn der Coronakrise fühlten sich viele Betroffene in einem eigentümlichen Taumel, einem Schwebezustand zwischen Wirklichkeit und Traum. „Das kann doch nicht wahr sein“ und „Wielange dauert das denn noch? waren oft zu hörende Fragen.

Krisentypologien und Phasen
Parallelen zwischen der aktuellen Coronakrise und Kindheitsbelastungen sind augenfällig. Jetzt scheint diese Covid-Krisensituation Normalität zu werden, so geht es auch vielen Menschen in suchtbelasteten Familien: die elterliche Sucht/Krankheit ist immer da, aber sie muss in den HIntergrund gedrängt werden, um ein Funktionieren zu ermöglichen. Dieses Funktionieren am Krisenrand kostet Kraft, deutlich mehr Kraft als Zeiten ohne Krisenbelastung, chronifiziert über Jahre und Jahrzehnte wird es verzehrend: und jeder und jede fühlt sich unterschiedlich stark belastet. Mit der Suchtproblematik verbindet die Coronakrise viel: auch hier weiß man nicht, wann es wieder aufhört, ob es in der eigenen Region ,im eigenen Körper begonnen wird und selbst die Phasen der nachlassenden Ansteckung können das „Vor der nächsten Krise“ bedeuten.
IN meinen Untersuchungen zur Krisenbelastung fand ich folgende Typologien der Alkoholbelastung, die sich teils auch auf die Coronakrise übertragen lassen:

Schleichende Krisenbelastung:
Man weiß nichts Genaues, „vielleicht ist es gar kein schlimmes Virus“

Dauerhafte Krisenbelastung /Menschen beginnen, mit der Belastung zu leben
Tabuisierte Krisenbelastung /“Es ist doch gar nichts“
Partielle Enttabuisierung ( insbes. bei Suchterkrankungen, die Familienmitglieder beginnen über die Suchtbelastung zu sprechen)
Enttabuisierung und öffentlich Werden
(Die Familie sucht Verbündete im Außen)

Mehrfachbelastung/Mehrfachabhängigkeit (Mehrere Belastungen sind gleichzeitig zu tragen)

Lösungsbelastung (die Belastung und erlittene Wunden wirken nach, oft Jahre)

Es kann wichtig für Sie sein, festzustellen, in welcher Krisensituation Sie sich gerade befinden: vielleicht in der dauerhaften Coronabelastung und der Lösungsbelastung der zurückliegenden Kindheitsbeschwernisse? Dann ist das ein dickes Paket, aber wichtig ist nun auch die Frage: was hat Sie eigentlich immer durchgetragen, worauf konnten Sie sich bei sich selbst doch schlußendlich immer verlassen? Oder die Kindheitsbelastung dauert bis ins Heute und andere Krisen kamen immer wieder erschwerend hinzu? Wahrscheinlich sind Sie, auch wenn es sich nicht so anfühlt, Meister und Meisterinnen der Krisenbewältigung – wichtig jedoch, dass Sie sich selbst wieder in den Blick bekommen und auch kleinste Spielräume nutzen, etwas für sich selbst zu tun. Selbstfürsorge scheint mir dafür ein pasendes Wort.

Passen Sie auf sich auf,
Ihre
Waltraut Barnowski-Geiser

Mein bester Freund,mein wahrhaftigster Zeuge: wie Ihr Körper vom Gestern erzählt

Er weiss, was dir gut tut und was nicht.

Keiner kennt dich so wie er.

Er folgt dir treu auf Schritt und Tritt.

Er vergisst nicht.

Er leistet unfassbar viel für dich.

So einen Freund hätten sie gern an Ihrer Seite? Sie haben Ihn schon: Ihren Körper!  Ihr Körper macht all das ein Leben lang: da er jedoch auch die Gefühle und Wahrheiten zu schwierigen Familiensitutionen erzählt, bezeugt und erinnert, steht er in belasteten Familien leicht in der feindlichen Ecke: der Körper wird kurzerhand zum Verräter erklärt, gerade da wo Fassaden aufgebaut werden. Kinder aus belasteten, tabuisierenden Familiensystemen verinnerlichen diese Sicht irgendwann: sie beäugen ihren eigenen Körper kritisch, misstrauisch, vertrauen ihm nicht… Die inzwischen verstorbene Tanztherapeutin Trude Schoop nannte den Körper in diesem Sinne eine „Klatschbase“.Und der Körper kann auch dann noch,vielleicht zum ersten Mal erzählen, wenn das Belastende lange vorbei ist. Wenn der Koerper sehr lange unerhoert bleibt, Körper und Seele nicht mehr weiterwissen, kann das in Krankheit münden: auch als Spätfolge im Erwachsenenalter.

Wie man doch noch gut Freund mit dem Körper werden kann, zeigt Hanne Seemann in ihrem lesenswerten Buch.

Und was hilft mir heute, fragen Sie sich zurecht,gerade jetzt in der Coronakrise,in der mein Koerper unter Stress steht,dauerangespannt ist?…wie würden Sie einen alten verletzten Freund behandeln? Vielleicht pflegen, zuhoeren,streicheln, verstehen, was ihm wiederfuhr, trösten?…Seien Sie heute gut zu Ihrem Freund, dem Körper…fragen Sie ihn nach seinen Wuenschen…das kann Ihre heutige CoronaKrisenKreativChallenge sein:denn gerade jetzt,wo andere ferner ruecken muessen,koennen wir uns selbst naeher kommen.Einen schoenen Tag wuenscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Den Himmel sehen…auch in der Krise

Die Krise rund um das Corona-Virus dauert an. Nun sind wir schon ein ganzes Stück des Weges hier im Blog gemeinsam gegangen.

Nehmen Sie sich doch einen Augenblick Zeit und gehen Sie der augenblicklichen Krise im Außen nach… überlegen, wann Sie die Corona-Krise eigentlich zum ersten Mal bewusst wahrgenommen haben?

Wann fing das Thema Corona an, in Ihrem Leben Bedeutung zu bekommen?

Was hat sie eingeschränkt, vielleicht sogar massiv, und was haben Sie vielleicht auch neu dazugewonnen?

Was hat Sie durch die Krisentage getragen?

Menschen mit schweren Kindheitstbelastungen sind in der Regel zwangsläufig KrisenbewältigungsmeisterInnen geworden. Mich interessiert seit vielen Jahrzehnten, was genau Menschen hilft, mit schweren familiären Krisen umzugehen… und wie es dennoch möglich wird, ein befriedigendes oder gar glückliches Leben zu führen. Dazu habe ich über ein Jahrzehnt Menschen befragt und anschließend analysiert, welche Bausteine sie gefunden hatten, um ihr Leben gelingen zu lassen. Einige dieser Interviews, die ich mit kreativen Methoden geführt habe, in den nächsten Tagen hier in Kurzfassung. Die Befragten waren eingeladen, die Zeit vor der Therapie, das Jetzt und ihre Zukunft in Bildern, Klängen oder Bewegungen darzustellen. Heute Frau H, zum Zeitpunkt der Befragung 37 Jahre alt und Tochter eines chronischen Alkoholikers

Vor der Therapie: „Hexenkessel

„Ich bin in einem inneren Hexenkessel gefangen, nichts aus mir darf hinaus. Ich habe Ängste und weiß nicht mehr weiter. Ich habe die Orientierung für mein Leben verloren.“

Jetzt:  „Himmel sehen

„Ich sehe die Dinge klar und habe wieder einen Blick für die Weite. Ich sehe den Himmel über mir und verspüre Lebensfreude.“

Zukunft „In Balance“

„Ich möchte noch ausgeglichener werden und  nicht mehr abhängig von meinen Stimmungen, vielleicht noch unabhängiger von meinen Beziehungen.“

Hilfreich:

„Ich habe in der Therapie zum ersten Mal Wertschätzung und Würdigung erfahren und mich dadurch getraut, wahrzunehmen, was in mir brodelt. Die Würdigung in der Therapie hat mich geöffnet und mir eine neue Orientierung gegeben.“

(zit. Barnowski-Geiser, 2009. Hören, was niemand sieht)

Sehen Sie nun auch wieder den Himmel? Ein schönes Bild, finde ich…und das wünsche ich IHnen,

herzlich

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser