Neue Rezension „Vererbtes Schicksal“

Die Wunden und Traumata unserer Vorfahren spielen in unser Leben? Ja, das ist inzwischen durch Forschung hinlänglich bekannt. Wie wir uns von den Wunden unserer Vorfahren im Heute selbst befreien können, damit beschäftigt sich im besonderen Psychotherapeutin Sabine Lück in ihrem Fachbuch, mit vielen Anleitungen zur Selbsthilfe. Für die Stiftung Zu-Wendung für KInder habe ich das Buch rezensiert. Lesen Sie hier

Einen guten Sommer wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Sie möchten sich selbst endlich besser verstehen?

Auf den Spuren der eigenen Identität begegnen uns auch Menschen, an die wir uns nicht gern erinnern…

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Viele Erwachsene aus belasteten Familien entdecken irgendwann an sich selbst Verhaltensweisen oder Stimmungslagen, in denen sie sich nicht verstehen. Sie fühlen sich etwa grundlos traurig, wertlos, obwohl sie eigentlich viel leisten, sie beobachten an sich Suchtverhalten, dass sie doch so unbedingt vermeiden wollten, in dem Anspruch, bloß nicht so zu werden wie Vater oder Mutter. Tragisch zu beobachten, wie sich Belastungen in bestimmten Familien verdichten und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Kinder aus Suchtfamilien haben ein um sechsfach erhöhtes Risiko selbst an einer Suchterkrankung zu erkranken gegenüber Kindern nichtsüchtiger Eltern. So sehen wir, dass oftmals Großvater, Vater und Sohn Alkoholiker sind etc. Ebenso gibt es ein hohes Risiko für andere psychische Eigenerkrankungen, so etwa für Töchter von Alkoholikern ein hohes Risiko für Essstörungen. Jeder Erwachsene aus einer belasteten Familie bewegt sich zwischen Chance und Risiko: die Kette der Weitergabe der Sucht (Transmission) unhinterfragt fortzusetzen oder die Weitergabe der familiären Dynamik zu durchbrechen. Dies gelingt u.a. dadurch,  dass familiäre Tabus, verleugnete Gefühle und die spezifische Dynamik endlich zur Sprache kommen können. Meist können diese erwachsenen Kinder sich selbst in ihrem „So-Sein“ erst dann verstehen, wenn sie es gewagt haben, in den Ihnen wie ein Abgrund erscheinenden familiären Kontext ihrer Kindheitstage zu blicken. Oft erst dann, wenn die Spuren dieser Tage verstanden und entdeckt sind, wird Veränderung möglich.

„Ich möchte dazugehören“- die Sehnsucht der Kindheitsbelasteten

Menschen aus belasteten Familien fühlen sich oftmals einsam und nicht zughörig. Zugehörigkeit zu finden wird dann eine bestimmende Lebensaufgabe. Oftmals haben diese Gefühle ihre Wurzeln in Kindheitstagen. Familien, die im Tabu gefangen sind, entwickeln eine eigene Dynamik. Die familiäre Wahrnehmung wird so ausgerichtet, dass das Tabu und die Täuschung in jedem Fall  aufrecht erhalten werden kann. Daran arbeiten alle Familienmitglieder mit, dieser Prozess läuft meist unbewusst ab. Besonders tragisch gestaltet er sich für all diejenigen, die sich in ihrer Familie um das Aussprechen der Wahrheit bemühen. Da sich das tabuisierende System bedroht fühlt, geraten diejenigen Familienmitglieder, die um Wahrhaftigkeit ringen, an den Rand des Systems: sie gelten als Sündenböcke, als Verräter, paradoxer Weise sogar als „nicht richtig“, „nicht glaubwürdig“. Wenn dieser Prozess über wichtige Jahre in der Kindheit anhält, wird die familiäre Fremdzuschreibung den betroffenen Familienmitgliedern zur eigenen Sicht, sozusagen zur zweiten Haut. MIt dieser Selbstzuschreibung gehen sie künftig in andere Systeme Gruppen, in Klassengemeinschaften, in eigene Familienbeziehungen usw.: ein zu schwerer kindlicher Rucksack, der kaum alleine zu tragen ist!

An diesem Punkt brauchen derart belastete Menschen andere Menschen: Menschen, die wohlwollend mit ihnen auf ihre Wahrnehmung schauen, die stärkend in ihrem Rücken sind, die aufmerksam zu-und  hinhören. Manchmal ist es dann auch an der Zeit, therapeutische Hilfe zu suchen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Sommerzeit mit lieben Menschen an Ihrer Seite und vielen schönen Momenten,

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Unterschätzt und übersehen: die Stärken der Suchtkinder und die Stärkenfresserspirale

Kinder aus hochbelasteten Familien, wie etwa aus Suchtfamilien, entwickeln auch besondere Stärken: sozial-emotional oft hochkompetent, mit Managerqualitäten höchster Güte ausgestattet, Durchhaltemeisterinnen, Einfühlungsexperten für Stimmungen und Atmosphären etc ( vgl. Barnowski-Geiser/Buch Vater, Mutter, Sucht). Das wurde die längste Zeit (sogar in Forschungsaktivitäten jüngerer Zeit) sträflich übersehen. Diese Stärken zeichnen die betroffenen Kinder in besonderer Weise aus; sie sind ihnen jedoch meist selbst wenig bewusst. Da sie für Ihre besonderen Leistungen und ihren Einsatz für andere in ihren Familien kaum Anerkennung erhielten, sogar eher zum Sündenbock gestempelt wurden, ist ihnen der Zugang zu ihren Stärken oft verwehrt: sie übersehen diese als Erwachsene so, wie sie es im Kindesalter durch die eigenen Eltern erfahren haben. Die betroffenen Kinder geraten in eine Stärkenfresserspirale. In der elterlichen Scham über das eigene Unvermögen, elterliche Fürsorge angemessen und dauerhaft anzubieten, sondern diese viel zu früh an das Kind delegiert zu haben, fällt die alltägliche Höchstleistung des Kindes unter den Tisch. Es beginnt eine Negativspirale in einer verquer anmutenden familiären Dynamik: es gibt demnach Keine (Sucht)-Erkrankung, kein elterliches Versagen, kein Leiden und folglich keine besondere Leistungen der Kinder. Über Jahrzehnte gelebt, wird diese Spirale Teil der Selbstzuschreibung der Kinder: das erwachsene Suchtkind leistet und leistet, gibt und gibt, und bewertet das in vertrauter Manier der Herkunftsfamilie: „Ich habe doch gar nichts gemacht!“ Kommen dann noch entsprechende PartnerInnen, ArbeitskollegInnen oder Chefs dazu, wiederholt sich die Stärkenfresserspirale allzu ungut. Die Stärkenfresserspirale tritt auch bei anderen elterlichen Erkrankungen auf, die mit Tabusisierung einhergehen ( z.B. elterliche psychische Erkrankung, elterliche Traumatisierung etc.)

Überlegen Sie: Was nährt Ihren Stärkenfresser und wie und wodurch könnte er sich zur Ruhe setzten?

Wo und durch wen wird Ihr Engagement gewürdigt?

Wann und wie können Sie es selbst würdigen?

Eine gute Zeit und interessante Erkenntnisse wünscht herzlich

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Wenn gestern nicht einfach vorbei ist… Wie wir schwierige Kindheitserfahrungen überwinden

Wenn Menschen als Kinder in ihren Familien Ungutes erlebt haben, und das oftmals über Jahre hinweg, manchmal von Geburt an, dann trifft der Ausspruch „Vorbei ist vorbei!“ bei ihnen oftmals einen sehr empfindlichen Nerv. So wahr diese Aussage, (oftmals von Angehörigen oder Freunden sogar durchaus gut gemeint) auch an den aktuellen Fakten gemessen sein mag, so wenig hilft sie Betroffenen: denn ihr tägliches Erleben ist ein anderes. Sie fühlen sich oftmals innerlich, scheinbar grundlos, ängstlich, überfordert und hilflos, und das, obwohl sie im Außen oftmals Ungeheures leisten. Treten im Außen Krisen auf, wie etwa die Corona-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine, wirken diese Ereignisse verstärkend, wie Trigger in alte Krisenzeiten.

Was passiert genau bei diesen Menschen? Lassen Sie uns, um das genauer zu verstehen, neurowissenschaftliche Erkenntnisse zu Rate ziehen. Wir wissen heute (und natürlich sind Beschreibungen für diese hochkomplexen Vorgänge zwangsläufig sehr vereinfachend), dass unser Gehirn sich so aufbaut, wie es genutzt wird. Die Verschaltung der Synapsen ist also nutzungsabhängig,  bestimmt von anschwellenden und abschwellenden Erregungspotenzialen. Das gilt auch, so beschreibt es etwa Gerald Hüther in seinem Buch „Biologie der Angst“, für emotionale Verschaltungen. Wenn also ein Kind in eine Familie hineingeboren wird, in der die Eltern große eigene Probleme haben, dann wird es schon als Säugling viel davon mitbekommen, dazu in Resonanz gehen. Wir wissen heute aus entwicklungspsychologischen Forschungen, dass schon Säuglinge viel mehr wahrnehmen als wir je angenommen haben: auch Atmosphären, Stimmungen, Emotionen. Stellen wir uns eine Familie vor: vielleicht  lebt hier ein suchtkranker Vater, der, wenn er trinkt laut wird und Streit anfängt, täglich über sich die Kontrolle verliert und eine Mutter, die sich liebevoll um ihr Baby kümmert, aber durch die Probleme mit dem Ehemann gereizt und an ihren Grenzen der Belastbarkeit angekommen ist: all dies wird ihr Baby mitbekommen, Angst und Schrecken gleichsam mit der Muttermilch aufsaugen. Auf das Wahrgenommene kann das Baby unterschiedlich reagieren: eine Möglichkeit zu reagieren kann sein, Angst zu entwickeln. Aus dieser befeuerten Hirnspur der ersten Lebensmonate, der verschalteten Synapsenspur der Angst, wird leicht ein breiterer Hirnweg, wenn er künftig täglich genutzt wird. Wird, um im Bild zu bleiben, die Angstspur lange Zeit und wiederholt gefahren (etwa weil die Sucht und die damit vorhandenen familiären Probleme stärker werden), kann sie zu einem breiten Trampelpfad, einer regelrechten Hirnautobahn werden. Wird diese Autobahn über Jahre, gar Jahrzehnte so weiter genutzt, dann kann es passieren, dass unser Säugling, nennen wir ihn hier Suchtkind, auch als erwachsene Frau mit 40 oder gar 60 Jahren alltäglich auf dieser Angstautobahn fährt. Sie hat den Eindruck, gar nicht anders fahren zu können. Scheinbar hat sie grundlos Angst, gibt es doch aktuell gar keinen Anlass zu Ängsten und Sorgen. Frau Suchtkind fühlt sich nun ihren Gefühlen hilflos aufgeliefert. Doch das heutige Gefühl ist nicht sinnlos, auch wenn Frau Suchtkind es berechtigter Weise als unangenehm empfindet: dieses Gefühl macht unsere Frau Suchtkind darauf aufmerksam, dass das früh als Kind Erlebte heute Hinwendung und Zuwendung verlangt.

Nicht mehr Fühlen – auch ein (Paar)-Problem
So wie sich Frau Suchtkind ständig sorgt und ängstigt, gibt es andere Menschen mit unguten Kindheitserfahrungen, die andere Bewältigungsstrategien gefunden haben: sie fühlen nicht mehr. Gefühle, das haben sie bemerkt, sind ungeheuer schmerzhaft. Damit soll Schluss sein! Sie wollen sich nicht mehr erschüttern lassen. Dieser Vorgang läuft nicht bewusst ab, sondern ist oftmals ein Schutzmechanismus der Seele, den Betroffene selbst nicht einmal bemerken. Oftmals bemerken sie erst erst durch die Rückmeldungen von anderen, dass etwas problematisch und nicht ganz in Ordnung ist. Die Partnerin etwa drängt: „Mach mal Therapie, ich komme nicht an dich heran!“ Eine neuerliche Verzweiflung. Sich mit diesen schlimmen Erfahrungen auf einen fremden Menschen einlassen, gar einen Therapeuten, wo sich Betroffene selbst schon manchmal fragen, ob mit ihnen noch alles stimmt? Dann besser nichts machen! Und nun stecken sie fest. Derart Betroffene und ihre Partner stecken oft in Krisen fest, die von großer Sprach-und Hilflosigkeit gezeichnet sind. Neben Angst und Gefühllosigkeit, Scham und Schuld, leidet dann mit der Zeit vor allem eines: das eigene Selbstwertgefühl. Die Lebensqualität leidet, Betroffene bleiben unter ihren eigenen Möglichkeiten zurück- sie sind unzufrieden, fühlen sich diffus unzulänglich – ihr Umfeld, vor allem ihre Beziehung, leidet oft mit. Und wieder droht eine Familie unglücklich zu werden, so wie es die Betroffenen aus ihrer Herkunftsfamilie kennen- und gerade das wollten sie in ihrem Leben doch unbedingt vermeiden. Ein Teufelskreis.

Der erste Schritt aus dem Dilemma
Was kann aus diesem Dilemma heraushelfen? Der erste Schritt ist der schwierigste: er bedeutet, wahrzunehmen, was wirklich los ist. Dazu gehört viel Mut. Vielleicht brauchen Sie dabei Unterstützung. Einen Menschen, der die Belastungen, die sie getragen haben, würdigen kann, aber der auch mit ihnen einen Blick auf Ihre Stärken und das, was sie bis heute geschafft haben, werfen kann.  Die Würdigung der Belastungserfahrung und die Würdigung der eigenen Stärken, die sie aus und in diesen Krisen entwickelt haben, beschrieben Menschen in meinen Befragungen als einen der wichtigsten Hilfefaktoren, sich besser und entlasteter zu fühlen (Barnowski-Geiser (2015): Vater, Mutter, Sucht). Kreative Wege eröffnen Möglichkeiten, sich diesen Stärken anzunähern. Sie ermöglichen uns, neue Hirnspuren zu ebnen und Abfahrten von der alten Autobahn. Da folgt der zweite Schritt, der im Angesicht von schwierigen Kindheitserfahrungen zugegeben sehr schwer ist: Sie müssen an die Möglichkeit der eigenen Veränderung glauben!

Alles Beste in diesen schwierigen Zeiten wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Verschwiegene Kindheitsbelastung?…Du bist nicht allein!

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Auffällig unauffällig, perfekt, im Inneren toben Gefühle, die Sie haltlos überfordern? Sie fühlen sich manchmal einsam, allein unter Menschen? Dann gehören sie womöglich zur Gruppe der Kinder, deren Kindheitsbelastung verschwiegen wurde…

Viele Kindheitsbelastungen werden verschwiegen: über Jahre, Jahrzehnte, manchmal sogar bis auf dem Sterbebett und sogar darüber hinaus. Kinder von Suchtkranken etwa, von psychisch erkrankten ober missbrauchenden Eltern (um nur einige zu nennen) haben oft unfassbares Leid erlebt: da dieses Leid so groß war und tabuisiert wurde, wird es familiär als nicht vorhanden, als nicht existent gehandelt. Über das Erlebte Stillschweigen zu wahren, wird zur Eintrittskarte in die familiäre Zugehörigkeit – Sprechen bedeutet hier „Ausgeschlossen werden“ aus dem inneren familiären Zirkel – für Kinder ein existenzielles Risiko, das sie in ihrer kindlichen Hilflosigkeit nicht eingehen können. Für die Zugehörigkeit zahlen sie den Preis der Isolation, sie sind oft über Jahrzehnte in ihrer Einsamkeit gefangen (in Anlehnung an Barnowski-Geiser Vater, Mutter, Sucht 2021).

 

Die Folgen und das Leid der Kinder

In der Folge halten betroffene Kinder ihre gefühlsmäßige Isolation für selbstverschuldet, sie halten sich nicht für wertvoll genug, dass jemand sich mit ihnen beschäftigt. Irgendwann verlieren sie das Zutrauen zu ihrer Wahrnehmung und in der Folge das Zutrauen zu sich selbst. Diese Gefühle begleiten sie über die Kindheit hinaus. Menschen sind soziale Wesen, das heißt sie werden das, was sie sind, vor allem durch andere Menschen: im Guten wie im Schlechten. Je größer das familiäre Tabu war, umso mehr brauchen Betroffene Menschen, die ihre Wahrnehmung bezeugen, die zu und hinter ihnen stehen, Menschen, die sie aufbauen und stärken.  Wenn dies in der Kindheit nicht möglich war, so ist es im Erwachsenenalter nicht zu spät, nach diesen anderen Menschen zu suchen. Für manche Menschen ist die Therapie der erste Ort, an dem sie eine Würdigung ihrer Kindheitsbelastung, eine Würdigung ihrer eigenen Wahrnehmung erfahren. Es reicht dabei nicht, wie Betroffene beschreiben, nur über die Belastung zu reden, sie zu verstehen, sondern es braucht gefühlsmäßige Anteilnahme, Mitgefühl, Anteilnahme, Trost und Resonanz. Um wieder fühlen zu können, brauchen Betroffene fühlende TherapeutInnen.

Oftmals sind diese Kinder als Erwachsene überrascht, wenn sie bemerken, dass sie ihr Kindheitsleiden mit anderen Menschen teilen. Sie sind erstaunt, dass die familiären Strukturen sich ähneln, die Tabus, die Isolation. Wenn Erwachsene es dann schaffen, sich anderen mitzuteilen, Verbindungen herzustellen, Netzwerke zu bilden, sich Selbsthilfe in Gruppen zu suchen, dann passiert meist etwas Wunderbares: das Leiden findet Worte, es findet Resonanz, es findet Echo, Ausbruch aus dem uralten inneren Gefängnis wird möglich. Das Ende der Flucht vor dem eigenen Inneren rückt in greifbare Nähe.

Ich wünsche Ihnen wertschätzende Andere und die Kraft nach diesen Menschen zu suchen, wenn Sie sie noch nicht gefunden haben: Sie sind nicht allein mit Ihrer Belastung!

Wärmendes durch den sonnigen März

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Leichtigkeit und Schwere haben sich zusammengefügt!“ oder wie Frau N.`s Leben besser gelingt

Menschen mit belasteten Kindheiten warten, nicht nur im Advent: sie warten auf Heilung, auf ein besseres Leben – oft ist diese Besserung für sie gekoppelt an Veränderung erkrankter Elternteile oder Partner. Sie denken, dass ihr Leben nur besser sein könne, wenn etwa die Mutter aufhört zu trinken, der Vater nicht mehr so depressiv ist u.ä. Damit einher geht meist der verständliche Wunsch, für all die schlechten Erfahrungen der Kindheitstage doch noch entschädigt zu werden, endlich Ruhe und Frieden zu finden; andere möchten endlich eine Beziehung erleben, in der sie so geliebt werden wie sind – anders als damals.

Wie haben Menschen es geschafft, die mächtigen Spuren des Gestern hinter sich zu lassen und heute besser zu leben? Dazu möchte ich Ihnen hier immer wieder mal Menschen vorstellen, die ich auf kreativen Wegen interviewt habe und die auf ihre Weise ihren Weg zu einem besseren Leben schildern. Soviel vorab: Meist hatte das als besser empfundene Leben weniger mit der Veränderung des Angehörigen zu tun…

Beginnen wir mit einer jungen Frau, die ich hier Frau N. nennen möchte. Frau N. hat einen sozialen Studiengang abgeschlossen und ist aus ihrem Elternhaus erst kürzlich ausgezogen. Das war ein großer Schritt für sie. Ihr Vater ist Alkoholiker mit Dauerkonsum, „heimlich und heftig“, wie sie sagt, „mit allen Ausbrüchen  und Auswüchsen, die man sich vorstellen kann“. Auch wenn er immer noch arbeite und ein bekannter Jurist in seiner Heimatsatdt sei: sein Alkohol-Doppelleben sei für die meisten Menschen wohl nicht vorstellbar, auch nicht seine heimische Cholerik. Um ihren Weg von der Zeit vor der Therapie bis heute zu schildern, wählt Frau N. Kunstdrucke, denen sie selbst Namen gibt.

Vor der Therapie „Stürzen“ (Kunstdruck von Frida Karlo)

„Ich war stumm und drohte zu erstarren. Ich hatte lauter ungute Männerbeziehungen und war nicht aus meinem Elternhaus abgelöst, fühlte mich für alles dort zuständig, während mir die Atmosphäre gar nicht gut tat. Ich hatte wenig Selbstbewusstsein, es fühlte sich an, als würde ich demnächst tief stürzen.“

Jetzt:„Dem Gipfel nahe“ (Kunstdruck v. C.D. Friedrich)

„Ich habe sehr viel geschafft, ich bin ausgezogen und viel selbstbewusster. Ich achte auf mich und spüre mich – ich schaue vom Gipfel in eine andere Welt, von der ich früher nur eine Ahnung hatte. Ich freue mich, dass ich das jetzt auch mit einem Partner, der mich achtet, teilen kann. Das ist neu. Ich fühle mich sehr leicht, Leichtigkeit und Schwere haben sich zusammengefügt. Ich habe eine eigene Familie und lebe in einer liebevollen Atmosphäre mit viel Zärtlichkeit, die mir so fremd war. Ich traue mich heute, mich auf mir liebe Menschen einzulassen. Ich habe einen Blick für meinn Leben – früher war ich nur mit meinen Eltern beschäftigt. Ich weiß jetzt, dass ich sie nicht ändern kann und auch nicht zuständig bin. Mir half, dass ich in der Therapie ernst genommen und so wieder achtsam für mich selbst wurde. Ich fühlte mich geschützt und unterstützt – in meiner eigenen Wahrnehmung- das hatte gefehlt.“ (zit. in Anlehnung an Barnowski-Geiser, W. :Hören, was niemand sieht).

Wie gelingt Frau N ihr neues Leben: sie musste etwas zurücklassen, in diesem Fall ihr Elternhaus und die damit verbundene ungute Dauernähe zum Suchtkranken und seinen Ausbrüchen. Sie musste Abstand zu ihrer eigenen Überverantwortlichkeit gewinnen und demütig einsehen, dass sie die Situation der Eltern nicht wirklich ändern kann. Sie musste einen Blick für die Leichtigkeit neben der Schwere finden, achtsam für Leichtes werden und wirklich leichter leben.

Gern empfehle ich an dieser Stelle das Online-Angebot einer Kollegin

Einen guten Start in eine Woche mit kleinen wunderbaren Momenten wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

 

Verschwiegene Kindheitsbelastung?…Du bist nicht allein!

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Auffällig unauffällig, perfekt, im Inneren toben Gefühle, die Sie haltlos überfordern? Sie fühlen sich manchmal einsam, allein unter Menschen? Dann gehören sie womöglich zur Gruppe der Kinder, deren Kindheitsbelastung verschwiegen wurde…

Viele Kindheitsbelastungen werden verschwiegen: über Jahre, Jahrzehnte, manchmal sogar bis auf dem Sterbebett und sogar darüber hinaus. Kinder von Suchtkranken etwa, von psychisch erkrankten ober missbrauchenden Eltern (um nur einige zu nennen) haben oft unfassbares Leid erlebt: da dieses Leid so groß war und tabuisiert wurde, wird es familiär als nicht vorhanden, als nicht existent gehandelt. Über das Erlebte Stillschweigen zu wahren, wird zur Eintrittskarte in die familiäre Zugehörigkeit – Sprechen bedeutet hier „Ausgeschlossen werden“ aus dem inneren familiären Zirkel – für Kinder ein existenzielles Risiko, das sie in ihrer kindlichen Hilflosigkeit nicht eingehen können. Für die Zugehörigkeit zahlen sie den Preis der Isolation, sie sind oft über Jahrzehnte in ihrer Einsamkeit gefangen (in Anlehnung an Barnowski-Geiser Vater, Mutter, Sucht 2015).

 

Die Folgen und das Leid der Kinder

In der Folge halten betroffene Kinder ihre gefühlsmäßige Isolation für selbstverschuldet, sie halten sich nicht für wertvoll genug, dass jemand sich mit ihnen beschäftigt. Irgendwann verlieren sie das Zutrauen zu ihrer Wahrnehmung und in der Folge das Zutrauen zu sich selbst. Diese Gefühle begleiten sie über die Kindheit hinaus. Menschen sind soziale Wesen, das heißt sie werden das, was sie sind, vor allem durch andere Menschen: im Guten wie im Schlechten. Je größer das familiäre Tabu war, umso mehr brauchen Betroffene Menschen, die ihre Wahrnehmung bezeugen, die zu und hinter ihnen stehen, Menschen, die sie aufbauen und stärken.  Wenn dies in der Kindheit nicht möglich war, so ist es im Erwachsenenalter nicht zu spät, nach diesen anderen Menschen zu suchen. Für manche Menschen ist die Therapie der erste Ort, an dem sie eine Würdigung ihrer Kindheitsbelastung, eine Würdigung ihrer eigenen Wahrnehmung erfahren. Es reicht dabei nicht, wie Betroffene beschreiben, nur über die Belastung zu reden, sie zu verstehen, sondern es braucht gefühlsmäßige Anteilnahme, Mitgefühl, Anteilnahme, Trost und Resonanz. Um wieder fühlen zu können, brauchen Betroffene fühlende TherapeutInnen.

Oftmals sind diese Kinder als Erwachsene überrascht, wenn sie bemerken, dass sie ihr Kindheitsleiden mit anderen Menschen teilen. Sie sind erstaunt, dass die familiären Strukturen sich ähneln, die Tabus, die Isolation. Wenn Erwachsene es dann schaffen, sich anderen mitzuteilen, Verbindungen herzustellen, Netzwerke zu bilden, sich Selbsthilfe in Gruppen zu suchen, dann passiert meist etwas Wunderbares: das Leiden findet Worte, es findet Resonanz, es findet Echo, Ausbruch aus dem uralten inneren Gefängnis wird möglich. Das Ende der Flucht vor dem eigenen Inneren rückt in greifbare Nähe.

Ich wünsche Ihnen wertschätzende Andere und die Kraft nach diesen Menschen zu suchen, wenn Sie sie noch nicht gefunden haben: Sie sind nicht allein mit Ihrer Belastung!

Wärmendes durch den Winter sendet

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Hoffnung: „Wann reißt der Himmel auf?“

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Wenn Menschen mit Angehörigen aufwachsen, die chronisch erkrankt sind, oftmals durch ihre gesamte Kindheit hindurch und manchmal noch weit darüber hinaus, dann fühlt sich das Leben an wie ein endloser Sumpf, aus dem es nie mehr ein Entkommen zu geben scheint. Die Coronakrise kommt für diese Menschen nun als besondere Erschwernis hinzu. Das Unberechenbare der krise erinnert an alte Wunden, katapultiert traurige Gefühle, Ohnmacht und Hilflosigkeit an die Oberfläche. Ob diese elterliche Erkrankung das Etikett „Sucht“, „manisch-depressiv“ oder „Kriegstrauma“ trägt: Diese mitbetroffenen Kinder fühlen sich oftmals hoffnungslos. Ihre erlebte Ohnmacht und die gefühlte Hilflosigkeit gegenüber der elterlichen Krankheit ( sowie auch ihren „am eigenen Leibe“ hautnah alltäglich erlebten Folgen) wirken endlos. Dieses dauerhafte Erleben beeinflusst, wie Betroffene ihre Welt sehen und wie sie künftig auf diese zugehen werden. Ihre persönliche Glücksdefinition ist davon geprägt, und lautet etwa:

  • Mein Leben wäre prima, wenn meine Eltern nicht mehr krank wären…oder:
  • Wenn meine Mutter nicht mehr trinkt, erst dann (und nur dann), kann ich glücklich sein.
  • Wenn mein Vater sich endlich seine Kriegs-Traumatisierungen in einer Therapie ansieht, dann wird es endlich auch für mich besser…

Die Erfahrung zeigt: solange diese Kinder auch als Erwachsene ihr Glück und Wohlergehen von der Gesundheit oder Krankheit ihrer Eltern abhängig machen, solange finden sie selbst kaum Frieden und Glück. Erst wenn das eigene Leben, ein Recht auf eigene Bedürfnisse und ein Recht auf eigenes Glück, ohne den erkrankten Elternteil, in den Vordergund rücken kann, „reißt der Himmel“ auch für sie, um im Bild zu bleiben, ein Stück auf.

Der Song der Gruppe Silbermond kann eine gute Hilfe sein, über die Frage des Lebensglücks nachzusinnen. Viele Betroffene beschreiben es so oder änhlich: Als ich die Krankheit meiner Eltern ein Stück loslassen konnte, diese nicht mehr kontrollierte und sie auch nicht mehr besiegen musste, erst dann gewann ich selbst mehr Lebensqualität.

Es gibt also eine Aussicht auf ein besseres Leben: unabhängig davon, ob Ihr Elternteil weiter trinkt, weiter psychisch erkrankt ist usw. Geben Sie Ihre Hoffnung nicht auf, ändern Sie dort etwas, wo sie es können: bei sich selbst!

Vielleicht beginnen Sie in dieser Woche damit, den Himmel zu beobachten…einfach so!

Hier ein Link zum Video der Gruppe Silbermond

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche,

Ihre Waltraut Barnowski-Geiser

Klopfen Sie sich mal selbst auf die Schulter

Wie mag es Ihnen gerade ergehen in diesen besonderen Zeiten? Gehören Sie zu denjenigen, die gerade mehr arbeiten müssen? Im Beruf, in der Familie, vielleicht mit zeitlich mehr Präsenz und unter ungleich schwierigeren Bedingungen? Oder gehören sie zu denjenigen, die sogar unmittelbar von der Krankheit Covid 19 betroffen waren, mit Krankheitssymptomen, Quarantäne …oder als mitbetroffene Anghehörige? Leben Sie alleine und müssen nun in diesen Zeiten sehr viel Zeit alleine verbringen, verspüren vielleicht oft Einsamkeit? Wir alle durchleben gerade unterschiedliche Lebenswirklichkeiten in einer uns weltweit gemeinsamen Pandemiezeit.

In der Zusammenarbeit mit Erwachsenen aus belasteten Familien fallen mir in dieser Zeit auf: die erhöhte Leistungsbereitschaft und die zugleich wenig bis garnicht vorhandene Würdigung dieser Krisenmeisterung.

Leisten bis der Arzt kommt

Menschen, die in belasteten Familien aufgewachsen sind, übernehmen oft früh Verantwortung und werden selbst von den erkrankten Eltern, die um sich und ihre Erkrankung kreisen, oft wenig gesehen:, so können die Kinder wenig Selbstwert aufbauen. Diesen geringen Selbstwert kompensieren die betroffenen Kinder, indem sie besonders viel leisten. Da diese Leistungen meist ebenso wenig gewürdigt werden durch die Erwachsenen, internalisieren die Kinder die fehlende Wertschätzung: sie erleben ihr eigenes Tun als bedeutungslos und wenig wertvoll. Sie strengen sich aber weiter an, gehen über ihre Grenzen, leisten“ bis der Arzt kommt“- so finden wir oft gerade hier Burnoutpatienten.

Gerade geht es weiter mit Lockdown light. Kann es sein, dass auch gerade Sie viel geschafft haben in dieser jetzigen Krise: Innovatives, Anpassungsbereitschaft, Einsatz, Mitmenschlichkeit.?Weil gerade Sie durch Ihre Lebenserfahrung eine KrisenmeisterIn sind, aber eben auch wenig Wertschätzung für dieses Meistern besitzen?

Eine biografische Antwort auf die Krise finden

Mit der Stunde der Geburt beginnt die Übung gegen die Unsicherheit und Zweifel im Leben die eigene biografische Melodie zu setzen.Durch Erorberungen, Erschütterungen, Laufbahnen, Fehltritte und Krisen hindurch drehen wir Lebensjahr für Lebensjahr den Film unseres Lebens. Wir selbst sind die Drehbuchautoren, führen Regie, spielen verschiedene Rollen…“

Annelie Keil: Auf brüchigem Boden Land gewinnen

Mit diesem Impuls der Woche möchte ich Sie ermuntern, den Film Ihres Lebens neu anzuschauen: aus der wertschätzenden Perspektive. Eine Ermutigung, sich doch selbst endlich auf die Schulter zu klopfen; das haben Sie vermutlich verdient. Und da die Corona-Krise noch einige Zeit andauern wird, haben Sie dieses Schulterklopfen auch dringend nötig – die Aussicht auf den Impfstoff kann nun zu Hoffnungen berechtigen, dass die massive Krise endlich scheint- aber wir brauchen weiter langen Atem.

Kreatives Selbstcoaching (30 Minuten einplanen )





Schreiben Sie auf, was Sie persönlich in der Zeit seit des Ausbruchs des Virus ( in Deutschland ca seit Ende Februar 2020) anders, gut, mehr gemacht haben, pro Aspekt ein neues Blatt.

Gestalten Sie ein Symbol auf das Blatt.

Ordnen Sie die Blätter. Fügen Sie noch ei weiteres hinzu. Geben Sie Ihrer Gestaltung einen würdigenden Platz.Schauen Sie sie in dieser Woche mindestens einmal am Tag an…

Wenn sich dieses Tun fremd anfühlt, machen Sie gerade wahrscheinlich den besten ersten Schritt in ein neues Drehbuch…Regisseurin Ihres Lebens-KunstWerks.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Angst, meine Kindheit,Corona und ich

Angst ist in diesen Krisentagen weit verbreitet. Sehen wir Angst zunächst als  ein Gefühl, das primär unserem Schutz dient. Ausprägung und Stärke der Angst, der Umgang mit der CoronaKrise und ihren Folgen, ist individuell. Bei jedem Menschen fallen Krisen und die damit auftretenden Ängste auf einen biografischen Boden: jede/r hat Unterschiedliches erlebt und auf unterschiedliche Weise bewältigt. Was wir in unserem Leben erfahren haben und unser Umgang damit, bestimmt, wie wir auf neue Situationen zugehen. Unser Umgang mit der aktuellen Corona-Krise ist bestimmt durch vorhergehende Krisenerfahrungen. Menschen mit frühen und dauerhaften belastenden Erfahrungen in ihren Familien sind somit geprägt: sie entwickeln teils große Ängste, wenn Situationen unkontrollierbar erscheinen und sie auf deren Verlauf offensichtlich keinen Einfluss haben. Zugleich haben belastete Kinder auch besondere Stärken und Copings entwickelt, die sie im Jetzt unterstützen können- die Zugänge zu diesen Krisenhelfern sind ihnen teils abhanden gekommen, in Vergessenheit geraten oder unter ängstlicher Erstarrung verschütt gegangen.

Was Krisen, Stress, Gefühle und das Gehirn miteinander zu tun haben

Die schlechte Nachricht, die Ihnen als Betroffene sicher bereits bekannt ist, vorab: Kinder, die dauerhaft Krisen  ihrer belasteten Familien ausgesetzt sind, können massive Folgen davontragen; diese Folgen sind teils messbar an ihrem Serum-Cortisolspiegel und in Hirnstrukturen,  können sie doch neuronale Strukturen des Hippocampus, der Amygdala sowie des Corpus Callosum zerstören. Verursacht werden zum Teil organisch begründbare Regulationsstörungen, später auch komplexe Störungen von Lernen, Emotionen und Verhalten (Trost 2003). Auch wenn dieser Zusammenhang von neuronaler Schädigung für betroffene Kinder in quantitativen Untersuchungen noch nicht hinreichend untersucht ist, muss vermutet werden, dass Gehirne von Kindern aus belasteten Familien durch das emotionale Klima ihrer Familien stark geprägt sind. Es steht zu befürchten, dass lang andauernde wiederholte Belastungen der familiären Umwelt neuronal entsprechend verankert werden und diese‚ emotionalen Straßen’ auch dann aufgesucht werden, wenn es nicht mehr von Nöten ist. Dies zeigte sich bei denjenigen erwachsenen Personen, die bis ins hohe Alter keine Auflösung des familiären Tabus erfahren hatten, bei denen sich etwa Suchtbelastung durch etliche Jahrzehnte zog und auch im Erwachsenenalter lebensbestimmend blieb. Es scheint in diesem Fall schwer zu sein, eingefahrene Hirnstraßen zu verlassen (etwa die der Angst und Ohnmacht) und neue Straßen (Freude,Hoffnung etc.) zu befahren. Damit kann ein wesentlicher Faktor zur Orientierung in der Welt durch das familiäre Erleben maßgeblich negativ beeinflusst werden.

Vererbt durch die Generationen?

Sogar genetisch scheinen diese Erfahrungen Spuren zu hinterlassen (In jüngerer Zeit wurde an Mäusen nachgewiesen, dass die Gene bei Nachkommen traumatisierter Mütter in Mitleidenschaft gezogen waren; sie zeigten sich als weniger Stressresistent und verzweifelter in eigenen Krisensituationen). „Muss ich das auch noch wissen?“, denken Sie nun vielleicht,“ das ist doch nur traurig. Ich finde, ja, sie sollten das wissen, um sich selbst ein Stück besser zu verstehen und sich in Ihrem „So-Sein“ annehmen und nicht noch zusätzlich abwerten, als „Weichei, Mimose, Versager“. Erst, wenn wir verstehen, warum wir wurden, wie wir sind, können wir besser neue Krisen bewältigen, einen Zugang zu unserer wahren Identität bekommen: im anderen Falle, wenn wir Altes unerkannt abspalten, drohen wir uns selbst fremd zu bleiben und in alten, ungünstigen Krisencopings ( zum Beispiel dem Erstarren) feststecken zu bleiben. Angst ist ein Signalgeber, im besten Fall Wachrüttler.

Hirne sind nutzungsabhängig: warum Kinder mit familiärer Belastung leicht ängstlich werden

Schauen wir weiter aus neurowissenschaftlicher Perspektive. Versuchte Erklärungen müssen im Angesicht der hochkomplizierten  Vorgänge in unseren Hirnen unverschämte Vereinfachungen bleiben…versuchen wir dennoch eine Annäherung: Außenwelt hinterlässt Spuren in der Innenwelt. Neurologisch spricht man hierbei von inneren Repräsentationen der Außenwelt. Auch die Repräsentationen unserer Gefühlswelt (neurowissenschaftlichen Untersuchungen u.a. von Braun, Spitzer) spiegeln  erlebte Erfahrungen. Unsere Gefühlswelt ist erlernt, vor allem in sozialer Erfahrung. Befinden, Stimmungen und Gefühle sind bei Kindern aus belasteten Familien stark in Mitleidenschaft gezogen. Kinder lernen etwa: „Wenn Papa trinkt, gibt es Ärger für mich!“ Wird diese Erfahrung wiederholt gemacht, wird diese Erfahrung auch neuronal verschaltet: sie bildet eine Hirnspur. Je öfter diese Erfahrung gemacht werden, umso tiefer gräbt sich diese Spur im Hirn ein, sprich: Kinder entwickeln Ängste ( eine Hirnautobahn „Angst“) und weitere mit diesem Erleben verbundene Gefühle werden nutzungsabhängig verschaltet. Aus dem Kind, das in einer Szene Angst hat, wird bei dauerhafter Wiederholung, leicht ein überängstliches Kind: insbesondere dann, wenn, wie oft in tabuisierenden Familien, das Gefühl des Kindes nicht benannt und besprochen werden darf, das Kind folglich keine angemessene Unterstützung in Form von Trost oder Halt erfährt.

Kindheit prägt unser Erleben als Erwachsene

Das Befinden Betroffener wird durch dieses kindliche Krisenerleben geprägt, das Gehirn entsprechend gebaut – auch als Erwachsene, wenn das Elternhaus längst verlassen wurde, sind diese grundlegenden Verschaltungen angelegt. Es ist also nachvollziehbar, dass ein in der Kindheit entsprechend „verschalteter“ Erwachsener, der die Spur Angst zu einer regelrechten Autobahn im Kopf entwickelt hat (Formulierung in Anlehnung an Hüther), auch als Erwachsener schnell auf eben dieser Autobahn landet. Denkweisen, Selbstbild, Körpererfahrung usw. sind neuronal verschaltet: sie bilden ein Erlebens- Panorama im Jetzt, das im familiären System erlernt wurde.

Denken wir die vorangestellten Forschungen für Erwachsene aus belasteten Familien weiter, so wird deutlich:

  • es besteht ein Zusammenhang zwischen emotionalen Belastungen in Kindheitstagen und emotionaler Befindlichkeit im Erwachsenenalter
  • es besteht ein Zusammenhang von wiederholten stressenden Kindheitserfahrungen und chronischen/schweren Erkrankungen im Erwachsenenalter.

Eine große Belastung der Lebensqualität von Menschen mit belasteter Kindheit erscheint  evident. Somit stellt die aktuelle Corona-Krise neben medizinisch-alltäglichen Überlegungen insbesondere Menschen mit Kindheitsbelastungen vor große psychische Herausforderungen – .

„Help…I need somebody“

Fasst man die vorab geschilderten Forschungsergebnisse zusammen, so sind die Belastungen und Folgen bei Kindheitsbelastungen hoch einzustufen. Und dennoch eine gute Nachricht aus der Forschung:  es gibt Stärkendes! Widerstandskräfte, die uns schützen, sogenannte Resilienzen. Resilienzen sind also das, was uns stark macht.  Resilienzen sorgen dafür, dass viele Menschen mit Kindheitsbelastungen eben auch nicht erkranken. Eine bedeutsame stabile Beziehung im Umfeld eines aufwachsenden Kindes ist eine solch hochwirksame Resilienz. Sind Erkrankungen vorhanden, zeigten sich etwa Meditation und soziale Anbindung als hochwirksam. Vernetzen und andere Menschen mit ins Boot Holen zeigt in allen Lebensphasen Wirkung. Nervensystem und Immunsystem können einander verständigen, dies können wir für uns nutzen. Decartes Dualismus hat lange Medizin bestimmt. Aber neuere Forschungen überprüfen, wie Gehirn und Immunsystem zusammenhängen und es wird deutlich: sie sind in ständigem Austausch. Ein gestresstes Gehirn beeinflusst das Immunsystem, somit gilt auch die Umkehrung: ein entspanntes Gehirn entlastet den Körper. Körper und Geist sind eine Einheit, was ganzheitliche, integrative, leiborientierte, kreative und komplementär-Medizin für Betroffene auf den Plan ruft. Basis bildet weiterhin die Schulmedizin. Gute Erfolge ließen sich auch durch kognitive Umstrukturierung erzielen, also problematische, dysfunktionale Gedanken, etwa durch einen anderen Gedanken zu ersetzen ( wie es in einigen Religionen und Philosophien auch seit Jahrtausenden gelehrt wird)…  Selbstheilung können Sie aktiv unterstützen. Sogar ein EEG kann signifikant verändert werden. Sie können durch Ihre Lebens-und Denkweise Einfluss nehmen.

Ein wichtiger Faktor: eine soziale Umgebung, ein Feld der Hoffnung (gerade dürfen wir auf einen Impfstoff hoffen) und Zuwendung (teils Liebe genannt), im Idealfall im eigenen Zuhause. Der Satz: „Ich kann gesund werden!“, oder: „Ich kann meine Kindheitswunden überwinden!“ gehört zur hochwirksamen Einstellung, die Veränderung und damit Wege aus der erstarrten Angst möglich werden läßt. Hilfe für Betroffene muss individuell erfolgen, spezifisch zugeschnitten sein: sie benötigt mindestens einen wohlwollenden Anderen. Immer sollte sie Anregung zur Selbsttätigkeit beinhalten (hierzu auch das AWOKADO-Selbsthilfe-Programm in Vater, Mutter, Sucht 2015 und Meine schwierige Mutter 2017).

Das hilft
Glauben wir den Erkenntnissen der Psychoneuroimmunologie, so helfen Krisenkindern bei der schwierigen Bewältigung vor allem: Optimismus, stabile Sozialkontakte, ein  Alltag mit guten Erfahrungen sowie körperliche Nähe.

Der in der Kapitelüberschrift verwendete Oldie der Beatles bringt auf den Punkt, was wir Kindheitsbelastungen, Stimmungs-und Befindlichkeitstörungen entgegensetzen können: Hilfe suchen und annehmen, die Verbindung und Zuwendung von anderen, nahestehenden Menschen…die entstehende Überlastung im Beruf würdigen und zunehmend mehr Menschen müssen sich eingestehen, dass längst nicht mehr alles schaffbar ist, bestimmt nicht alles wir früher, perfekt laufen kann- nur, so gut es eben geht.  Vielleicht schreiben Sie anderen hier, indem Sie die Kommentarfunktion nutzen, wie Sie es gerade schaffen trotz Corona-Krise, vielleicht trotz Ihrer Angst – ich freue mich, von Ihnen zu lesen.

Bleiben Sie gesund und behalten Sie bei aller nötigen Hygiene vor allem auch Ihre Seele im Blick,

bis ganz bald

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Schwierige Eltern kann man nicht ändern… die eigene Perspektive schon

Frau I. ist es leid, sagt sie: alles habe sie versucht, aber ihre Mutter trinke weiter mehr als ihr gut tue. Sie sei mit nichts zufrieden, ihre Besuche seien der Mutter nie genug, während sie ihr zugleich vermittle, dass sie die Tochter ihr eigentlich schon immer zuviel sei. Zudem mache sie die Tochter auch noch verantwortlich dafür, dass ihr Leben durch ihre ungewollte Schwangerschaft aus den Fugen geraten sei. Frau I. gelangt zu der Einsicht:  Meine Mutter wird sich niemals ändern, nur ich selbst kann etwas ändern…

Wenn das Zusammensein mit den Eltern ein Leben lang schwierig erlebt wird, wie im Fall Frau von I. beschrieben, können die Ursachen vielschichtig sein, die Auswirkungen auf die Lebensqualität der erwachsenen Kinder gewaltig. Es kann sich etwa um eine ungünstige Passung zwischen Eltern und Kind handeln, aber auch um schwerwiegende Belastungen, die die Eltern selbst tragen und die auch für ihre Angehörigen, insbesondere für die Kinder, zur Lebenerschwernis werden. Ob diese Belastung nun Sucht, psychische Probleme, chronische Erkrankung, Traumatisierung, mangelnde Empathie-und Feinfühligkeit oder Bindungsstörung heißt, ob diese als Störung diagnostiziert wurde oder auch niemals: die betroffenen Kinder tragen eine schwere Belastung, die ihnen oftmals zur Lebensaufgabe wird – manche können, wenn sie alt genug sind (manchmal erst, wenn die Distanz zu den Eltern größer ist), immerhin ihre Perspektive, ihre Haltung und ihre Einstellung zu den elterlichen Schwierigkeiten verändern. Betroffene beschreiben erfolgreiche Perspektivwechsel als ( in Anlehnung an das Fachbuch „Meine schwierige Mutter“ , Klett-Cotta 2017):

Einen Schritt zurücktreten…

Aus einem Abstand heraus die Situation betrachten…

In einer konzentrierten Zurückgezogenheit den Konflikt neu ansehen…

Akzeptieren, dass es so schwierig ist wie es ist statt schönzureden oder zu tun, als ob alles prima wäre….

Fuer kreativ Inspirierte: Die Beziehung als Tanz auf der Bühne imaginieren…

Sich in die Schuhe der Eltern stellen: die eigene Lebensgeschichte aus der Sicht der Mutter oder des Vaters erzählen…

Loslassen: nicht mehr um die Beziehung ringen, sondern den Blick weiten, etwa sich mit Freude anderen Dingen zuwenden…

die Bedeutsamkeit der schwierigen elterlichen Beziehung im Jetzt neu  bewerten,vielleicht relativieren…

Sich selbst und die eigenen Bedürfnisse, vielleicht erstmals, in den Mittelpunkt der eigenen Aufmerksamkeit stellen…

Nicht mehr darauf hoffen, dass sich die Eltern ändern, sondern sich selbst altiv zu verändern…

Die Kontrolle über das elterliche Verhalten ( zum Beispiel Trinken) loslassen…

Sich nicht länger selbst die Schuld geben…

Scham überwinden: mit anderen sprechen statt sich hinter Burgmauern zu verbarrikaridieren.

Perspektivwechsel brauchen Zeit, Mut und Veränderung, immer einen ersten Schritt, sei er auch noch so klein. Welcher Schritt soll der Ihre sein?

Eine erfüllende Zeit mit sonnigen Momenten wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Ihre Gefühle haben eine Geschichte…und sind wandelbar

Manche Menschen kommen verzweifelt in die Therapie: sie haben nun schon mehrere Therapien hinter sich, sie haben ihre Beziehung beendet und einen neuen Job angefangen: sie fühlen sich jedoch weiterhin schlecht und unglücklich. Ihre Lebensqualität empfinden mit „nicht so gut“ milde beurteilt. Oftmals hat die Beeinträchtigung der Lebensqualität ihre Wurzel in der Biografie der Betroffenen, hier in der Geschichte ihrer Gefühle. Versuchen wir es aus neurowissenschaftlicher Sicht vereinfacht zu erklären: unser Gehirn verschaltet sich nutzungsabhängig. Nehmen wir Herrn A: von Beginn seines Lebens an ist er mit viel Angst, Unsicherheit und Sorge aufgewachsen ( seine Eltern waren wenig beziehungsfähig und konnten, insbesondere als  er noch Kleinkind war, wenig feinfühlig auf ihn eingehen ). Man könnte im Modell sagen, dass Herr A.  die Hirnspur „Angst und Sorgen“viel genutzt hat ( natürlich unbewusst und nicht freiwillig!). Aus einem oft genutzten Hirnweg kann eine regelrechte Hirnautobahn im Kopf entstehen: breit, viel befahren und immer bereit, genutzt zu werden. Die positiven Emotionen bleiben vielleicht wenig, bis gar nicht genutzt: sie drohen im unguten Falle zu verkümmern. So auch bei Herrn A., er fühlt sich chronisch schwer und traurig, erlebt sich unbegründet dauerängstlich, sein Leben als „schwer“, ohne , dass es einen wirklichen aktuellen Grund gäbe. Über die Jahre kann aus  Gefühlen unter bestimmten Bedingungen eine dauerhafte Grundstimmung und ein allgemeines Befinden werden: es fühlt sich chronisch nicht gut an.Betroffene glauben dann, dies nie mehr hinter sich lassen zu können, schieben ihre schlechte Dauerstimmung auf ihren „Charakter“ oder glauben, sich noch mehr um ihre Probleme kümmern zu müssen: indem sie sich noch mehr änstigen und sorgen. Herr A. muss also nicht mehr nur in Problemen „wühlen“, wie er es nennt, sondern die Quaität der Leichtigkeit und Inbeschwertheit Raum geben. Kindheitsbelastete drohen, wieder und wieder auf der alten Autobahn der Angst und Sorge zu landen, so auch Herr A. Spätestens dann ist mehr desselben kontraproduktiv: nun müssen neue Wege beschritten werden. Wenn Kindheitsbelastungen bearbeitet wurden, Lebensumstände gewandelt wurden und doch die Lebensqualität beeintrchtigt ist, dann lonht sich „Gefühlsarbeit“. Um aus dem alten Dilemma herauszukommen, ist es nötig:

  • den Mechanismus der „unguten Autobahn“ zu erkennen
  • eigene Gefühle und Stimmungen wahrzunehmen und zu identifizieren,
  • Gefühle neu zu bewerten und einzuordnen
  •  einen Perspektivwechsel vorzunehmen
  • neue Gefühle zu erproben und leben.

Die gute Nachricht für alle chronisch Schlecht-Fühler: Sie können etwas tun, Sie können aktiv Einfluss auf Ihre Stimmung nehmen…und damit meine ich kein zwanghaftes „Positivdenken“ mit Schönfärberei.

Zur Unterstützung empfehle ich zwei auf diese Belastung zugeschnittene Übungen.Um anders zu fühlen (oder auch überhaupt wieder), zeigen sich in meiner therapeutischen Arbeit mit Kindheitsbelasteten als besonders hilfreich:

1  Besser fühlen…Brücken bauen

2 Der Anker im Körper

Diese beiden Methoden möchte ich Ihnen hier zur Selbstanwendung vorstellen. Sprechen Sie diese Arbeit ggf. mit Ihrem Therapeuten ab, machen Sie dies nur, wenn Sie sich gerade stabil genug für neue Erfahrungen fühlen.

Kreative Selbsterfahrung Teil 1 „Brückenbau“

Diese Übung erfordert ein wenig Zeit und einen Ort, an dem Sie ungestört sein können...setzen oder legen Sie sich nun bequem hin. Achten Sie darauf, dass Sie nicht eingeengt werden und ihr Atem frei fließen kann…. Nehmen Sie nur wahr, wie Sie aus- und einatmen…nichts ändern müssen, alles sein lassen..

Wenden Sie sich nun einem Gefühl zu, dass Sie in der letzten Zeit unangenehm erleben ( das kann auch Gefühllosigkeit sein).  Stellen Sie sich vor, dieses Gefühl wäre eine Landschaft… wie sieht es hier aus, wie riecht es, schmeckt es, welche Geräusche sind da, welche Farben sind vorherrschend? Schauen Sie nur von oben auf die Landschaft, gehen Sie nicht hinein…wechseln Sie nun die Gegend….

Wie sieht die für Sie gegenteilige Landschaft aus…wie riecht es schmeckt es, welche Farben sind hier, welche Klänge, welche Menschen? Probieren Sie aus, wie es sich anfühlt, in dieser Landschaft umherzugehen. Wie ändert sich ihr Gang, ihr Körpergefühl, ihr Gangtempo?

Lassen Sie im nächsten Schritt zwischen diesen beiden Landschaften Brücken entstehen: sie können auf dieser Brücke hin- und hergehen und die Landschaften so aufsuchen, wie  Ihnen danach ist. Sie können nun immer, wenn Sie im unguten Gefühl angekommen sind auch auf die andere Seite wechseln. Probieren Sie das ein paar mal hier und jetzt aus.

Indem Sie diese Übung nun öfter anwenden, können Sie das Verknüpfen Ihrer Gefühlswelten unterstützen. Je regelmäßiger Sie dies tun, umso nachhaltiger greift der Veränderungsprozess ( auch hier gilt: Ihr Gehirn ist nutzungsabhängig!).

2 Kreative Selbsterfahrung: Der Anker in meinem Körper

Diese beiden Methoden möchte ich Ihnen hier zur Selbstanwendung vorstellen. Sprechen Sie diese Arbeit ggf. mit Ihrem Therapeuten ab, machen Sie dies nur, wenn Sie sich gerade stabil genug für neue Erfahrungen fühlen.

 Diese Übung erfordert ein wenig Zeit und einen Ort, an dem Sie ungestört sein können...setzen oder legen Sie sich nun bequem hin. Achten Sie darauf, dass Sie nicht eingeengt werden und ihr Atem frei fließen kann…. Nehmen Sie nur wahr, wie Sie aus- und einatmen…nichts ändern müssen, alles sein lassen…Denken Sie nun , wi es sich anfühlt, wenn Sie sich ganz bei sich und mit sich eins fühlen. Vielleicht erinnern Sie auch eine entsprechende Situation. Wie hat sich Ihr Körper angefühlt dabei? An welchem Punkt in Ihrem Körper ist dieses Gefühl zu Hause? Stellen Sie sich nun, wenn diese Vorstellung angenehm ist, vor, wie Sie mit jedem Ausatemzug tiefer in Ihren Körper sinken und seiner inneren Weisheit fplgen. Welche Körperstelle meldet sich, bewerten Sie nicht, auch wenn Ihnen diese Stelle ungewöhnlich erscheint…. Gehen Sie mit Ihrer Achtsamkeit zu diese Stelle: wie fühlt es sich genau an, welche Farben sind hier zu sehen, welche Klänge zu hören? Nur wahrnehmen. Wenn die Stelle gut mit den Händen erreichbar ist, so legen Sie eine Hand über diese Stelle, andernfalls stellen Sie sich eine Hand über dieser Stelle vor. Nehmen Sie die Energie wahr und verbinden sich mit dieser Stelle.

Wiederholen Sie diese Übung, wenn Sie sie angenehm erleben, ab sofort täglich.

Bei aufsteigenden unangenhemen Gefühlen können auch diese, nach einiger Übung im Körper, verortet und gewandelt werden ( z. B. Wut, sitzt heute in meinem Kiefer). Dann mit der stabilisierenden Stelle verbinden ( Wohlfühlstelle, z.B. im Herzen), indem Sie sich vorstellen, die Energie aus der Wohlfühlstelle zur unangenhemen Körperstelle fließen zu lassen- auch eine Brücke, wie in Übung 1 , kann zwischen diesen Stellen imaginiert werden, wenn Sie dies als angenehm erleben. Probieren Sie aus und wandeln Sie so ab, wie es IHnen persönlich entspricht-.

 Eine gute Zeit wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Wer hat eigentlich das Problem? Verantwortung abgeben und Probleme bei den Eltern lassen

Herrn R.s Vater ist depressiv…solange Herr R. denken kann. Behandlungen vermeidet der Vater, Ärzte und Therapeuten, so denkt der Vater,  machten sein Leiden nur noch schlimmer. Für Herrn R. bedeutet das, „von Kindesbeinen an mit dem Leiden meines Vaters ziemlich alleine dazustehen“ – seine Mutter tat zeitlebens so, als habe der Vater nichts, erzählt er. Sein Vater interessiere sich wenig für ihn, sei vor allem  mit sich selbst beschäftigt und schwermütig. Er wirft seinem Sohn Herrn R. vor, wie gut es ihm doch gehe… während er „vor die Hunde gehe“. Herr R. kann kaum noch abschalten, befürchtet, ähnlich depressiv zu werden wie sein Vater, hat nun Eheprobleme wegen derer er Hilfe sucht. Von seiner Frau fühlt Herr R. sich nicht wirklich geliebt (er hat Angst, dass sie ihn verlasse), seine Kinder beklagen seine Verschlossenheit.

In Gesprächen wird deutlich, das Herr R. bis heute annimmt, das Verhalten seines Vaters ginge auf ihn zurück. Er sei nicht der Sohn, den der Vater sich gewünscht habe. Er sei kein guter Gesprächspartner und hätte sich noch viel stärker engagieren sollen, dem Vater zu helfen. Er hätte wahrscheinlich nie aus dem Elternhaus ausziehen dürfen, vermutet Herr R.

Herr R. bezieht die Krankheit seines  Vaters auf sich. Er glaubt, die Depression des Vaters hätte grundlegend etwas mit ihm zu tun, sei letztlich durch ihn verursacht. Der Vater sei so, weil er, Herr R. nicht interessant, nicht kooperativ , nicht klug genug sei usw. Dies ist nicht ein „schrulliger Zug“ des Herrn R., wie vielleicht manch einer annehmen könnte, sondern eine schwere Belastung aus KIndheitstagen: da er seit Kindestagen mit der Erkrankung des Vaters belastet wird und mit dieser Belastung alleine gelassen wird, aktivieren sich seine kindlichen Erklärungen wiederholt (Geiser-Heinrichs 2017)

Eltern haben ihre Probleme in 99% aller Fälle unabhängig von ihren Kindern – dies ist wichtig zu erkennen. Der Vater ist depressiv, die Mutter trinkt. Punkt! Die Eltern haben alle damit verbundenen Probleme –  Kinder sind mitbetroffen und fühlen sich verständlicherweise diesen Krankheiten gegenüber ohnmächtig. Sie haben die Erkrankung aber nicht verursacht – ihre übernommene Verantwortung liegt meist im Verborgenen und ist den erwachsenen Kindern oftmals zunächst ebensowenig  bewusst wie die übernommene Schuld.

Wie kommt es, dass viele Kinder sich für die Krankheit der Eltern verantwortlich fühlen? Versuchen wir zu verstehen, wie es zu diesem Mechanismus kommen kann, indem wir Entwicklungspsychologie und Neurowissenschaften zu Rate ziehen: Kinder machen unterschiedliche Entwicklungsstadien durch. Im Kindesalter durchlaufen sie eine Phase, die Psychologen auch als Phase des Egozentrismus bezeichnen (Piaget). Kinder glauben in diesem Alter, alles erschaffen zu können und für alles, was um sie herum passiert, verantwortlich zu sein. Bei Streitigkeiten der Eltern etwa fragen sich Kinder, welchen Grund es dafür  wohl gibt. Da das Kind noch nicht in der Lage ist, Beziehungskonflikte und Probleme der Eltern tiefergehend zu durchschauen, gibt es sich selbst daran die Schuld. Unangemessenes Handeln der Eltern, das mit bestimmten Krankheiten wie Sucht oder Beziehungsproblemen zusammenhängt,  beziehen die Kinder auf sich (Geiser-Heinrichs/Barnowski-Geiser 2017). Halten diese Probleme über viele Jahre an, so wird diese dauernd genutzte Hirnspur „Ich bin verantwortlich für unsere familiären Probleme“, bis hin zum „Ich bin schuld am So-Sein, an der Krankheit meiner Eltern“ zu einer breiten vielbefahrenen Hirn-Autobahn, wie es die Neurowissenschaftler vereinfachend erklären (Hüther). Da die entstandenen Probleme von Kindern nicht befriedigend bewältigt werden können, resultiert daraus in der Folge meist ein herabgesetzter Selbstwert: ein grundlegendes Gefühl der Unzulänglichkeit sowie das Gefühl, überhaupt nicht liebenswert zu sein. Im ungünstigen Falle entsteht ein Lebensproblem, das mit in die nächste Beziehung genommen wird und sogar die neu gegründete Familie, wie im Falle von Herrn R., nachhaltig negativ beeinflussen kann. „Ich bezieh  nicht mehr alles auf mich“, kann ein wichtiger Schritt sein zu mehr Lebens-und Beziehungsqualität sein. Damit aus dieser Aussage eine gelebte Haltung wird, muss sie täglich, wie beim Sport, eingeübt werden: damit einen neue Hirnspur langsam aufgebaut wird, um im Bild zu bleiben, zu einer neuen Hirnautobahn werden kann. Oft hilft es, einen mantraartigen Satz zu formulieren und diesen zu wiederholen.

Eine schwere elterliche Erkrankung ist schwer auszuhalten. Viele Kinder fühlen sich ohnmächtig ausgeliefert, bis ins hohe Erwachsenenalter. Erst das Eingestehen der Ohnmacht, gerade wenn die unmittelbare Belastung vorbei ist (die erwachsenen Kinder Kontakt zu den Eltern und Dosierung des Kontaktes selbst bestimmen können), erlaubt es jedoch, aus dem Anstrengungs-Hamsterrad auszusteigen. Da Ohnmacht so schwer zu ertragen ist, erscheint der „Verursacherglaube“ der erwachsen gewordenen Kinder in manchen scheinbar als leichtere Wahl (diese Wahl wird jedoch unbewusst getroffen), gibt es doch hier einen aktiven Anteil, eine scheinbare Gestaltungsmöglichkeit. Ein Trugschluss: das Abarbeiten an der Krankheit, der Wunsch, die Krankheit zu besiegen und elterliche Liebe, „gesehen werden wie man wirklich ist“, endlich zu bekommen, werden leicht zum Sysiphos-Projekt. Ein Reset, ein zurück auf Null, tut hier oft gut: die elterlichen Probleme nicht mehr auf sich beziehen. Dabei unterstützt, den Kopf zu Hilfe zu nehmen und innerlich deutlich Stop zu sagen, wenn das Kreisen um Schuld einsetzt.

Eine gutes Wochende wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Heilung braucht Hoffnung

Wenn Kinder wiederholt von Eltern enttäuscht wurden, (wenn etwa das Versprechen, sich von der Sucht zu lösen oder gewalttätiges Verhalten zu unterlassen, wieder und wieder nicht eingehalten wurde oder elterliches Verhalten nicht „diskutiert“ oder angesprochen werden darf), dann fällt es   besonders schwer, noch an jemanden oder an etwas zu glauben.In der Folge wird es sogar zu einem Problem, auf die Möglichkeit der Veränderung überhaupt zu hoffen, auch als Erwachsene. Es fällt dann schwer, überhaupt noch hoffnungsvoll zu sein, überhaupt noch etwas zu ersehnen und wünschen.Manche dieser erwachsenen Kinder haben sich über die Jahre in der hoffnungslosen Traurigkeit eingerichtet: sie ist ihnen zur inneren Heimat geworden. Dieses Vertraute zu verlassen, ist schwer.

Manche Menschen, die in ihrer Kindheit besonderen Belastungen ausgesetzt waren, erkranken zudem körperlich oder/und seelisch. Hier wird es besonders schwierig, die Hoffnung auf die Heilung und Veränderung zu beleben, sie nicht gänzlich zu verlieren. Viele Beispiele zeigen uns, wie mächtig Hoffnung in das Leben spielt, wenn es um existenzielle Erkrankung geht: „Totgesagte“ lebten entgegen aller gegenteiligen Voraussagen lange weiter, „Kerngesunde“ starben, nachdem ihnen irrtümlich mitgeteilt wurde, dass sie nur noch sehr kurze Zeit zu leben hätten.  Ungewöhnliche Heilungswege zeigt Anne Devillard in ihrem Buch „Heilung aus der Mitte“ in Experteninterviews unterschiedlicher Couleur (Kuby, Dahlke, Dürr, Willigis Jäger  usw.) – Die Bedeutsamkeit von Einstellung, Hoffnung und Glaube zeigt sich eindrücklich – wenngleich dort, wo die persönliche Erfahrung kurzerhand zum Rezept für jedermann erhoben wird, m.E. Vorsicht angezeigt scheint.

Wie sich die Kindheitsbelastung auch im Jetzt auswirkt:  der Wunsch nach Heilung ist  groß. „Sehnsucht“  nach Heilung und einem besseren Leben, zeigt sich als wertvoller Motor: sie treibt an und ist ein guter Verbündeter. Diese Sehnsucht braucht  Unterstützung durch den Faktor „Hoffnung“.  Es mag für Sie befremdlich klingen, aber  in der Zusammenarbeit mit Betroffenen zeigte sich: Erwachsene mit schweren Kindheitsbelastungen müssen „Hoffen“ üben –  also, packen wir es mit der zeitgemäßen Formulierung an: Train your hope!

Übung Train your hope

Wenn Hoffnung, Glaube und Vertrauen auf der Strecke geblieben sind, dann ist der Weg ebendahin nicht leicht: diese Fähigkeit muss wie im Sport erst trainiert und aufgebaut werden. Beginnen Sie jetzt: Seien Sie geduldig mit sich, was viele Jahre nicht möglich war, ist nicht in einer Übungseinheit in wenigen Minuten zu ändern…

Probieren Sie aus…passt es gerade?

Dann nehmen  sich jetzt einige Minuten Zeit. Gehen Sie, so wie es auf dieser Seite an anderen Stellen beschrieben wurde, in der bewährten Weise mit der Achtsamkeit zu Ihrem Atem, gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit zu sich selbst. Nun sinnieren Sie ein wenig: was hoffen Sie ganz und gar nur für sich selber (Hinweis: in vielen Fällen etwa wünschen sich Menschen in Beziehungen, die in großer Abhängigkeit voneinander geführt werden, dass sich der Partner verändern möge, also dass er aufhört mit einem schädigenden Suchtverhalten etc.- meist erfolglos)-. 

Formulieren Sie nun diese Hoffnung, die sich auf ihr Leben bezieht, sehr genau. Schreiben Sie Ihren Satz auf und formulieren Sie ihn solange um, bis er exakt für sie stimmt. Bei anderen Betroffenen lautet ein Satz etwa :“

Ich weiß, dass ich ruhig und zufrieden leben kann!“ oder

„Unabhängig davon, wie sich die Menschen um mich herum entwickeln, weiß ich, dass ich mein Leben positiv gestalten kann.“ oder

„Ich werde ab sofort gut für mich sorgen!“

Wenn Sie Ihren Satz gefunden haben und er Ihnen, so wie er nun formuliert ist, stimmig erscheint, so ist er Satz wichtig für Ihr weiteres Leben. Ihn heute zu formulieren, war ein wichtiger erster Schritt. Damit dieser Satz Sie auf dem Weg in Ihr neues Leben wirklich stützt, also wirklich Teil ihres neuen Denkens und Hoffens wird, müssen Sie ihn fortan wertschätzen, indem sie ihn regelmäßig wiederholen. Finden Sie ein Ritual, zu einem festen Zeitpunkt am Tag, an dem Sie diesem Satz durch mehrmaliges Wiederholen einen Platz geben. Ihre Gehirnbahnen, so zeigen uns Forschungen, können neugebaut werden und damit auch ihr Hoffnungspotenzial- diese neuronalen Bahnen brauchen Wiederholung und Ihre Begeisterung bei der Sache…

Vielleicht haben Sie Bilder im Kopf, wie dieses  Leben mit Heilung sich anfühlen wird: Finden Sie ein Symbol, einen Klang ,ein Musikstueck oder eine Landschaftsszene, etwas, was dieses Gefühl wiedergibt.  Kombinieren  Sie dieses mit Ihrem Satz. Wichtig ist: Tun Sie es mit dem Bewusstsein, dass Sie Ihr Leben gerade jetzt in die Hand nehmen. Wenn Sie all dies halbherzig und ohne Glauben auf Hoffnung machen, diese Zeilen lesen, nur um Sie, wie gewohnt, abzuspeichern unter: „Klar, man kann viel reden, bei mir klappt das alles eh nicht!“ dann wird sich diese Aussage wahrscheinlich auch in dieser negativen Weise erfüllen.

Seien Sie in der nächsten Woche achtsam, wo Ihnen Wünsche nicht materieller Art begegnen, Visionen, Sehnsüchte…notieren Sie diese.

Wenn Sie alleine nicht zu Glaube und Hoffnung finden, suchen Sie nach einen wertschätzenden Anderen, dem Sie sich anvertrauen: auch das kann wahre Wunder bewirken! Wenn es diesen Menschen in Ihrem Leben gerade nicht gibt, schauen Sie in guten Selbsthilfeforen nach Online-Gesprächspartnern. Auch das kann ein erster Schritt sein, Ihrer Hoffnung nachzugehen.

Wie finden Menschen mit Kindheitsbelastungen ihre Heilung?…Damit beschäftigen sich viele Beiträge auf dieser Seite. Als ein entscheidender Einflussfaktor für ihr gelingendes Leben zeigte sich, wie wir nun angesehen habe, die Fähigkeit, zu hoffen. Diese Fähigkeit ist eng verknüpft mit dem, was Erikson das Urvertrauen nennt. Dieses entsteht nach Eriksons Auffassung im ersten Kontakt mit den Eltern. Petzold spricht in diesem Zusammenhang von Grundvertrauen, das auf dem Grund menschlicher Existenz fuße, einem Fundament, das unsere Existenz trage (Petzold , S.231). Diesem Verständnis nach verfügen Menschen über ein Grundvertrauen, das „einfach da“  ist. Es wird durch die frühen Beziehungen  bekräftigt. Für manche ist auf diesem Urgrund eine enge Gottesverbindung, eine Kosmos-Verbindung oder Spiritualität angesiedelt. Wie sich dieser Grund auch jeweils gestaltet, zu diesem Grund und dem Grundvertrauen müssen und können Menschen mit Kindheitsbelastungen zurückfinden. Diesen Weg zum Grund zu ermöglichen, stellt  eine zentrale Aufgabe von Therapie für Erwachsene mit Kindheitsbelastungen. Eine therapeutische Beziehung kann hier eine wichtige Rolle auf dem Weg zu Grundvertrauen und Hoffnung übernehmen. Eine andere wichtige Bedeutung kann darin bestehen, Einstellungswandel zu begleiten. Wann wir entlastet, gesund, heil sind, ist eine Frage der Perspektive:

Jacob Klaesi

„Gesundheit ist das Vermögen, auch Krankheit und Gebrechen gleichmütig, wenn nicht gar heiter und dankbar, jedenfalls aber würdig und fruchtbringend zu ertragen.“

zitiert nach Petersen, in: Die Rolle des Therapeuten und die therapeutische Beziehung, S.22/23)

Hat dieses Zitat des Schweizer Psychiaters Klaesi auch in Ihnen Widerspruch hervorgerufen?  Ein hoher Anspruch liegt in dieser Aussage: aber auch eine interessante Perspektive. Die Ansprüche an das eigene Heilsein zu reduzieren, die angestrebte Heilung nicht mit vollständiger Gesundung gleichzusetzen sondern den guten Umgang mit Krankheit als „gesund“ zu definieren, kann entlastend wirken. Betroffene, die in der Lage waren, auch kleine Verbesserungen zu würdigen (Krankheits-, Belastungs- und Schmerztagebücher waren dabei hilfreich), fühlten sich gesünder, bezeichneten sich insgesamt als „heiler“. Es zeigte sich, dass Heilung für Betroffene mit Kindheitsbelastungen das Gelingen eines Balanceaktes bedeutete: der Balance zwischen Akzeptanz und Gestaltung. Die Akzeptanz, dass kindliche Belastung nicht folgenlos geblieben ist einerseits, und das Zutrauen zur eigenen Gestaltungsfähigkeit andererseits: ein Bewusstsein für die eigene Wirkmächtigkeit, das Ausmaß und die Einstellung zu den Belastungen aktiv zu wandeln ebenso wie das Wissen, um die Grenzen des menschlichen Einfluss.

Ich wünsche Ihnen eine gute Balance und Mut zur Hoffnung. Vielleicht versetzen Sie mit Ihrem Glauben noch nicht „Berge“, aber einen kleinen wichtigen Stein in die richtige Richtung!

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Zitate aus

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin und Autorin.

Ihre Bücher zum Thema: Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht ( 2009).

Arbeit und Unterstützung nach dem AWOKADO-Hilfe-Konzept (auch in individuell zugeschnittenen Kompaktblöcken) in ihrer Praxis KlangRaum in Erkelenz

Familienatmosphäre und Lebensqualität

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Coronakrise erzeugt Atmosphaeren.Kinder aus belasteten Familien sind besonders anfaellig und sensibel fuer Atmosphaeren um sie herum.Augenblicklich beschreiben viele Bedrohungsatmosphaere unter sonnigem Nichts-Ist… Musik kann Helfen.

Fühlen Sie sich manchmal, gleichsam aus dem Nichts, scheinbar grundlos, schlechter Stimmung? Fühlen Sie sich aus heiterem Himmel überfallen von Leere oder Traurigkeit? Dann teilen sie dieses Schicksal mit vielen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien: alte Atmosphären prägen aktuelles Erleben. Verdrängte Altlasten beeinträchtigen ihr Lebensgefühl, bestimmen oft unbemerkt Lebensqualität (Orth, Ilse 2012).
Wenn Menschen in einer belasteten Familie aufwachsen, dann erzählen Diagnosen (etwa „Suchtkrank“ oder „Borderline“) wenig über das, was dies alltäglich für die mitbetroffenen Angehörigen, insbesondere für Kinder, bedeutet. Familienbeziehungen sind zwischenleibliche Beziehungen (Ilse Orth). Der Alltag der Familien ist geprägt durch Atmosphären, die sich aus den Gefühlen und Stimmungen der beteiligten Familienmitglieder ergeben. „Zum Zerreißen gespannt“, „Unberechenbar und ungeheuerlich bedrohlich“, „Wie ein Monster lauerte die Gewalt aus den Ecken“…, so oder ähnlich beschreiben es Betroffene. Für Kinder aus belasteten Familien ist der Vorgang, tagtäglich Krisen anzusehen, diese hautnah zu erleben, per se eine Belastung. Wenn diese Krisen zugleich tabusisiert werden, als nicht vorhanden, mit „Es ist doch nichts!“ familiär belegt werden, drohen diese Krisen zu einer Quelle großen Leidens zu werden. Als dramatisch an diesem Leiden zeigte sich insbesondere, dass die erlebten Szenen und Atmosphären Betroffenen wenig greifbar erschienen. Wenn diese nicht greifbaren Atmosphären die Kindheit bestimmen, sie „nur so in der Luft liegen“, so werden diese von den betroffenen Kindern verinnerlicht: sie wirken weiter in ihrem Denken, in ihrem Fühlen, wohnen in ihren Körpern, in einem, wie wir es in der leiborientierten Therapie nennen, Leibgedächtnis – es wird sie in ihrem Erwachsen Werden und Sein begleiten.Es entscheidet mit darüber, wie sie auf die Welt zugehen. So werden leicht aus den im Tabu gefangenen Einsamen und Stummen aus Kindheitstagen Erwachsene Burgbewohner mit Haut und Haar (Barnowski-Geiser 2015). Bleiben die alten familiären Szenen unaufgearbeitet, so weben sie ein unsichtbares Netz von Stimmungen im Heute: unbegreifliche Traurigkeit, überbordernde Ängste etc. Sie drohen eine Quelle fortgesetzten Leidens, weitergegeben von Generation zu Generation, zu werden.

Der erste Schritt heraus aus diesem Dilemma ist Achtsamkeit für die eigene Stimmung und Befindlichkeit. Dazu finden Sie auf diesen Seiten einige Übungen. Im zweiten Schritt besteht die Möglichkeit, genauer zu schauen: differenzieren Sie: welche Stimmung gehört gerade jetzt zu ihnen und welche Stimmung gehört in Ihre Vergangenheit. Gehört etwa die Ängstlichkeit eher ihren Eltern als Ihnen selbst? Überprüfen Sie…

Ihre eigenen Stimmungen und Gefühle kommen Ihnen ganz fremd vor.? Sie wissen wenig darüber, sie sind Ihnen kaum zugänglich? Es lohnt ein Ausflug in die Musiktherapie: sie enthält,vielleicht auf den ersten Blick, ungewöhnlich erscheinende Zugänge…

Was hören Sie gerne? Welche Stimmungslage ist in dieser Musik angesprochen?

Musik kann einerseits ein guter Spiegel sein, was Ihre Seele gerade stimmungsmäßig beschäftigt, andererseits können Sie mit Musik aktiv etwas in schwierigen Stimmungslagen tun.

Kreativ-Coaching Sei dein eigener DJ

Suchen Sie in dieser Woche jeden Tag ein Musikstück, das genau Ihrer Stimmungslage entspricht. Tanzen Sie zu dieser Musik- auch wenn Ihnen das vielleicht unpassend erscheint. Nach diesem Tanz suchen Sie eine Musik, die Ihnen jetzt gut tut…vielleicht ist diese Musik völlig gegensätzlich…tanzen Sie auch diese Musik. Spüren Sie nach….wie geht es Ihnen jetzt? Notieren Sie in einem Heft, welche Musik Ihnen besonders bei schlechter Stimmung hilft.

Wenn die Belastung durch ihre Stimmungen für sie quälend wird, kann es ratsam sein, Hilfe und Unterstützung professioneller Art in Anspruch zu nehmen.

Quellen
Barnowski-Geiser (2015): Vater, Mutter, Sucht. Wie erwachsene Kinder suchtkranker Eltern trotzdem ihr Glück finden.
Orth, Ilse (2012): Unbewusstes in der therapeutischen Arbeit mit künstlerischen Methoden, kreativen Medien – Überlegungen aus der Sicht „Integrativer Therapie“ (in Polyloge/Internetzeitschrift)

Mehr aus wissenschaftlicher Perspektive zu Familienatmosphäre, Stimmungen und Lebensqualität… hier weiterlesen

„Ich erwarte nichts, dann werd ich auch nicht enttäuscht!“ – Warum sich freuen für Kindheitsbelastete eine Mutprobe bedeutet

„Ich erwarte nichts!“, sagt Herr I.mit dem Brustton der Überzeugung, „dann werde ich auch nicht enttäuscht.“ Zugleich beschreibt er Gefühle von Verdruß, eine aufkommende Lebensunlust, nichts mache ihm wirklich Freude.

Menschen aus belasteten Familien, wie auch Herrn I., scheint manchmal die Freude abhanden gekommen zu sein: Wie bei Herrn I. ist dieser Freudverlust Teil einer lebenslangen Geschichte, Teil einer Biografie des schleichenden Freudverlustes. Erkrankte Eltern ( etwa diejenigen, die an einer Sucht leiden) versprechen oft Dinge und halten sie nicht ein. Zum x-ten Male verspricht die Mutter, nicht mehr zu trinken, zum Familienausflug „clean“ zu sein, das Kind zu begleiten…und wieder und wieder wird es nichts, wieder und wieder läuft die Freude ins Leere und wird enttäuscht. Machen Kinder, wie auch Herr I., diese Erfahrung wiederholt und über Jahre, ist einer ihrer Bewältigungswege, das Hoffen und Freuen einzustellen. Die wiederholt erlebte Frustration und Resignation wird gleichsam vorweggenommen, um sie nicht wieder zu erleben. Dieser Selbstschutzmechanismus geht oft einher mit einem Verlust von Lebensqualität. Erst wenn dieser Mechanismus erkannt wird, kann sich langsam die Freude einen Weg in das Leben Betroffener bahnen. Dies erfordert Mut, Mut, einer neuerlichen Enttäuschung ins Auge zu sehen, aber auch den Mut, sich auf eine andere Erfahrung einzulassen.

Gerade in den schwierigen Pandemiezeiten muessen wir selbst Freudvolles regelrecht suchen.Kreativitaet ist gefragt.Und: worauf freuen Sie sich?

Mut zu Freudigem wünscht

IHre

Waltraut Barnowski-Geiser

Sich mit sich selbst versoehnen: Körper und Geist vereinen

Kommt Ihnen das bekannt vor?…Sie wissen „alles“ über Problemfamilien und Störungsbilder, sie kennen unzählige Fakten über Kindheit, ihre Ursachen und familiäre Dynamik, Sie sind womöglich sogar in einem einschlägigen sozialen Berufsfeld gelandet…aber wenig können sie wirklich fühlen, leiden unter dem Gefühl, all Ihrem Wissen auf der persönlichen Ebene allenfalls Verdrängung entgegensetzen zu können, Ihr Körper ist Ihnen nicht geheuer, wirkt wie ein schlummernder Feind, der allenfalls unter Kontrolle gebracht werden muss?… Damit sind Sie nicht allein, denn so geht es vielen betroffenen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien.

Heute ist womöglich der Zeitpunkt gekommen,  nicht mehr endlos das in der Vergangenheit Geschehene zu drehen, wenden und bearbeiten. Dann ist es vielleicht an der Zeit, das „Kreisen um das Gestern“ übend loszulassen und durch neue Erfahrungen zu ersetzen. Damit auch dies nicht „bloße“ Theorie bleibt, ist Ihre Aktivität gefordert…es braucht den Mut, übend neue Erfahrungen zu machen, gleichsam auf Neustart zu gehen, zu re-setten in neudeutsch, im Inneren  umzustrukturieren. Anregungen dazu finden sich auch in der Praxis der Achtsamkeit, wie sie etwa Thich Nhat Hanh vorstellt und über Jahrtausende erprobt und geübt wurde. Vielleicht sagen Sie nun: kenne ich schon alles…ja, aber üben Sie auch tatsächlich? Leben Sie achtsam oder wissen Sie nur darum?

Wie eine liebende Mutter, die für einige Tage ihr Kind verlassen musste, zu ihrem Kind heimkehre  und es zärtlich in die Arme nimmt, so könne nun der Geist den Körper in die Arme nehmen, beschreibt Thich Nhat Hanh diesen Prozess auf liebevolle Weise. Insbesondere, wenn die Anspannung im Körper eingeladen wird, zu gehen und wir sie loslassen, (vielleicht zunächst nur einen Atemzug lang) kann dies nach meinen Erfahrungen  heilsam wirken auf Kindheitsbelastete. Regelmäßig angewendet kann sie zur späten Versöhnung zwischen Körper und Geist führen, auf einmal fühlen sich Betroffene „anders, lebendiger, wacher“. Das Neuartige wirkt weiter in der Weise, wie Betroffene nun achtsamer sprechen und ihre Welt anders wahrnehmen und gestalten. Es findet ein grundlegender Perspektivwechsel statt.

Untersuchungen zeigen, „dass der Körper, wie er im Gehirn repräsentiert ist, möglicherweise das unentbehrliche Bezugssystem für neuronale Prozesse bildet, die wir als Bewusstsein erleben; „dass unser eigener Organismus und nicht irgendeine absolute äußere Realität den Orientierungsrahmen abgibt für die Konstruktion, die wir von unserer Umgebung anfertigen, und für die Konstruktion der allgegenwärtigen Subjektivität, die wesentlicher Bestandteil unserer Erfahrungen ist; dass sich unsere erhabensten Gedanken und größten Taten, unsere höchsten Freuden und tiefsten Verzweiflungen den Körper als Maßstab nehmen.“ (Damasio 1997, S.17)

 Meist wird der Körper von Menschen mit Kindheitsbelastungen erst dann wahrgenommen, wenn er in seiner Funktion gestört ist. Vom „Leib, der ich bin“  wird er zum „Körper, den ich habe“. (Fuchs 2000b) Während der gesunde Körper im Hintergrund als selbstverständliche und selbstvergessene Existenz scheinbar nicht beachtet werden muss, rückt der kranke Körper als Feindbild nun in den Blick: als außerhalb der eigenen Person liegendes Problemfeld. Der Psychiater Fuchs beschreibt Krankheit als gestörte Harmonie, die mit einer Entfremdung, einer Partikularisierung innerhalb der Leiblichkeit einhergehe. (Fuchs 2000). Und auch der Hirnforscher Damasio schreibt: „Die Seele atmet durch den Körper und Leiden findet im Fleisch statt, egal ob es in der Haut oder in der Vorstellung beginnt.“ (Damasio 1997, S.19) Im Umkehrschluss meint somit Integration des Körpers, „ihn als Teil der eigenen Innenwelt anzuerkennen und ihn nicht nur als ein Ding, als einen Gegenstand, einen biologischen Organismus, also als Teil der Außenwelt (was der Körper natürlich auch ist), zu behandeln.“ (Seemann 1998, S.17) Menschen entwicklen unterschiedliche Schwerpunkte, werden Kopf- oder Gefühlsmenschen etc. Der Körper kann nicht losgelöst vom Fühlen und Denken Betroffener angesehen werden: mit Hilfe  des Geistes können wir den Körper gleichsam nach Hause holen, ihn wieder anbinden ( s.a. Kreative Selbsterfahrung: Der Anker in meinem Körper).

Eine gute Woche und Sonniges an diesem Feiertag wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Familientragik:gemeinsam einsam

Corona veraendert unsere sozialen Beziehungen. Die Krise pointiert,verschaerft,spitzt zu. Die Zahl der erwachsenen Kinder, die sich in der Herkunftsfamilie einsam und fremd fuehlt,sich von ihren Eltern nicht verstanden fühlt, scheint groß zu sein. Eine große Rolle spielen in diesem Prozess  Hören und Begegnen. Dabei scheint vielmehr „Nebeneinanderher“als  „Miteinander“ verbreitet gewesen zu sein….und sich teils tragisch im Jetzt zu wiederholen.

Zuhoeren-eine Beziehungsvoraussetzung

Nicht nur Ehen und Partnerschaften scheitern  an mangelndem Zu-Hören, auch Freundschaften, Kollegialität und nicht zuletzt Beziehungen zwischen Kindern und Eltern zerbrechen, interpretiert als scheinbar nicht vorhandenes Interesse. Hören und Begegnen meint hier nicht, Wortinhalte aufzuschnappen und diese für die eigene Erzählung oder für das Weitererzählen zu nutzen, (um etwa Erziehungsbotschaften an das Kind scheinbar gekonnt einzuflechten oder das Kind zu verbessern), sondern Zu-Hören meint,  Worte und das Erleben des Anderen ganz in sich aufzunehmen. Je weniger Eltern Beziehung zu ihrem eigenen Innenraum hatten und haben, zu ihren Gefühlen und Stimmungen etwa, umso weniger sind sie oft in der Lage, wirkliche Begegnung zu ihren Kindern zu ermöglichen. Süchte und manche psychische Erkrankung verstellen Eltern teils den Weg zu ihrem eigenen Innenraum ( oder sie werden süchtig, weil der Weg schon früh verstellt war). Das Kind interpretiert dieses mangelnde auf es Eingehen, elterliches nicht wirklich Zuhören und in Resonanz gehen Können, in der Regel als seinen eigenen Fehler: Das Kind glaubt, nicht interessant oder nicht gut genug zu sein, damit Eltern ihm zuhörten. Es idealisiert in diesen Fällen die Eltern als „richtig und kompetent“ und sich selbst als „defizitär“. Oftmals stellt es sich bei genauerer Untersuchung der Beziehungsverlaufes aber genau anders herum dar: dann haben Eltern Probleme mit Hören und Begegnen, da ihnen der Kontakt zur eigenen Innenwelt verloren gegangen ist.

Nicht gehoert- weniger Selbstwert

Nun könnte man meinen, dass diese Kausalität nicht so wesentlich ist: die Praxis zeigt jedoch, dass die angenommene Begründung wesentlich ist für die Weise, wie das Kind sich in der Welt bewertet, für seinen Selbstwert: dauerhaft nicht richtig gesehen und verstanden Fühlen geht meist mit niedrigem Selbstwert einher. Und sie drohen als Erwachsene selbst zu Eltern zu mutieren, die ihren Kindern ungewollt Ähnliches antun:siechaben Probleme,wirklich,aufrichtig und offen,zuzuhoeren. Viele Eltern der Neuzeit scheinen das Zu-Hören nicht gelernt, verlernt oder seine Bedeutung vergessen zu haben.

Einsam unter Menschen:gemeinsam einsam

Je höher der Leistungsdruck, je mehr wir vor allem „weiterkommen“ müssen und uns kaum spüren dürfen, umso größer ist die Gefahr, dass wir anderen nicht mehr wirklich zuhören und selbst von ebensolchen anderen nicht mehr gehört werden. Wir stülpen anderen vielleicht unsere Ideologie über, benutzen sie, um unser Wissen „loszuwerden“, zu glänzen vielleicht: aber der Beziehungsraum im Dazwischen droht zu verarmen. In der Folge fühlen wir uns dann selbst unter Menschen, die wir eigentlich lieben und schätzen, allein und verlassen: einsam unter Menschen… ein Gefühl, das vielen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien nur allzu bekannt ist.

Ich werde nicht geliebt…die unendliche Beziehungsgeschichte

Diese kindliche Erfahrung droht in den erwachsenen Beziehungen wiederholt zu werden: „Er hört mir nicht zu!“  Wie oft diese Aussage, durchaus auch geschlechtsunterschiedlich, geäußert wird…oftmals ist diese Aussage mit der Steigerung: „Sie interessiert sich nicht für mich!“ gekoppelt, eine katastrophale Überzeugung, die oft vorausgeht, wenn Beziehungen endgültig zu scheitern drohen.

Überlegen Sie doch einmal, wann Sie sich zuletzt von einem Menschen völlig verstanden gefühlt haben? Wie ist dieses Gefühl entstanden, was hat der andere genau getan, was hat es bei Ihnen ausgelöst?

Der Weg zum Du fuehrt ueber das Ich

Der Weg aus der Einsamkeit und Isolationsgefühlen muss uns immer auch zu uns selbst führen. Dazu bietet die Coronakrisen,neben den schweren Belastungen auch Chancen. Der Weg nach Innen, zu uns selbst und in die Ruhe, ist eine wesentliche Voraussetzung, um Hören und begegnen zu können: uns selbst und anderen.  Nur wenn wir uns von unseren eigenen Gedanken und Gefühlen distanzieren können, wenn wir unser eigenes „Ding“ loslassen können, erst dann können wir wirklich hören und begegnen. Für viele Erwachsene aus belasteten Familien ist das Nicht-Gehört-Werden das Vertraute: oftmals suchen sie sich Partner und Freunde, bei denen ihnen dieses NichtgehörtWerden neuerlich „passiert“. Ein erster Schritt hinaus aus diesem Käfig des Nichtgehört Werdens ist der Weg, sich selbst zuzuhören. Was erzählt Ihr Körper, Ihr inneres Kind, welche Gefühle haben Sie gerade jetzt? Manche Menschen warten verzweifelt auf die nächsten Ferien, den nächsten Urlaub, das Ende der Corona Shutdowns, damit sie endlich etwas erleben könnten:  doch dazu muss nicht hektisch in die Ferne gereist werden, spannende Abenteuer liegen nahe: Ihr Inneres haelt diese Abenteuer für Sie bereit. Und von Ihrem Inneren ist es nur ein Schritt zum Partner im Jetzt.

Einen guten Start (oder auch Fortsetzung) in die Schul- und Arbeitszeit wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Passen Sie gut auf sich auf-Vom Schutz in familiären Dauerstürmen und anderen Katastrophen

Wenn Herr N, 34 jähriger Mathematiker, die Atmosphäre in seiner Herkunftsfamilie beschreibt, dann könnte man denken, man habe es mit einer Katatstrophenmeldung zu tun. „Meine Mutter ist ein Tornado!“, erzählt Herr N, „Wenn sie loslegt, fühlen wir uns alle vernichtet, kein Stein steht mehr auf dem anderen. Und das Schlimme ist: nach dem Tornado ist vor dem Tornado.“

Elterliche Tornados können tiefe Spuren hinterlassen ( Buch zum Thema).In Kindern, die die Kindheitsjahre hindurch mit einem besonders schwierigen Elternteil überstehen mussten (und manchmal dieser Belastung weit ins Erwachsenenalter hinein ausgesetzt sind), können diese Erfahrungen  nachhaltig wirksam bleiben, insbesondere, wenn sie über Jahrzehnte, oftmals ohne jede Zuwendung von Außen durchlebt werden mussten. Oft haben diese Eltern selbst als Kinder Dinge erlebt, die sie nicht verkraftet haben: ihr Blick auf ihre elterlichen Aufgaben, die sich z.B. mit Trösten und Halten, mit einfühlendem auf das Kind Eingehen beschreiben lassen, ist dann meist verstellt. Im Gegenteil fordern diese Eltern diese Qualitäten sogar von ihren Kindern selbst ein.

Was tun? Schutz ist von Nöten. Kinder verfügen teils über günstige Widerstandskräfte. sogenannte Resilienzen. Was tun, wenn die Belastung bis ins Erwachsenenalter anhält? Schauen wir pragmatisch. Was rät man Menschen, die in klimatisch schwierigen Gegenden reisen wollen: möglichst die Gegend meiden. Menschen, die dort beheimatet sind, rät man fortzugehen, wenn möglich oder entsprechenden Schutz aufzubauen ( die Seele findet Wege, indem sie etwa nicht mehr wahrnimmt)- aus therapeutischer Arbeit kennen Sie vielleicht die Arbeit mit imaginären Schutzräumen ( dazu auch Bücher von Reddemann und Huber empfehlenswert). Als Kind können die meisten nicht fort, als Erwachsene jedoch gibt es, auch wenn sich das oftmals anders anfühlt, eine Wahl: Distanzieren kann dann eine not-wendige Option sein. In Ambivalenz zwischen Liebe und Lösen gefangen, stellt dies eine schwierige Herausforderung für Betroffene dar.

Wenn das Leben der Liebe zum erkrankten Elternteil regelmäßig in Zerstörung und Selbstaufgabe mündet, kann es an der Zeit sein, das Kontaktmaß auf ein erträgliches Maß zurückzustufen und so Belastung zu reduzieren ( s.a. Beziehungs-Entlastungs-Diagramm). Herr N beschreibt, dass es ihm helfe,  das Geschehen zu Hause heute endlich zu begreifen… Worte zu finden… die Schwierigkeit bei der Mutter und weniger nur bei sich selbst zu suchen..und zu wissen, dass er nicht so viel Kraft habe, jeden mütterlichen Tornado mitzuerleben- Selbstschutz durch weniger Besuche laute sein Rezept. Er sei jetzt achtsam auf Tornados gefasst…

Liebe Grüße und Bestes für eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

„Es tönen die Lieder…“- Warum sie summend die Corona-Krisenzeiten besser überstehen

Wie die Zeit vergeht! Agnetha von der Popgruppe Abba wird heute 70 Jahre alt, und die immer ein wenig durchs Leben tobende Barbara Rütting ist im Alter von 92 Jahren am Wochenende leider verstorben. Auch die Corona-Krise bestimmt unser Leben schon einige Wochen: ein unendlicher Zeitkorridor schien vor mir zu liegen und fast erscheint mir auch diese Zeit nun schnell vergangen. Gerade in den letzten Tagen erreichen mich sehr positiv gestimmte Mails von LeserInnen und Lesern, die sich inzwischen offenbar, trotz großen Kindheitsbelastungen, gut in der Corona-Krise, teils mit völliger Quarantäne, zurechtgefunden haben. Von Zeitgeschenken, wunderbaren Naturerfahrungen, entdecktem inneren Reichtum und erlebter Verbundenheit trotz Kontaktsperre ist in Ihren Mails die Rede – ich danke Ihnen sehr für diese Rückmeldungen, die mich berühren und ungeheuer freuen!

Pfeiffen, summen, Musizieren, schlafen- so unterschiedliche Copings

So unterschiedlich wie unsere jeweiligen Lebensweisen, so unterschiedlich sind offenbar auch unsere Bewältigungsstrategien. Der Musiker Daniel Barenboim etwa spielt viel Klavier, schläft 12 Stunden und konstatierte, wie in der SZ nachzulesen, dass sich auch nach einem eingenommenen Frühstück wunderbar weiter schlafen ließe…Musik und Krise scheinen ein unschlagbares Duo: sie finden nicht selten zueinander, wie uns nicht zuletzt einige Biografien bekannter Komponisten zeigen. Aber auch im Kleinen scheint Musik hilfreich sein zu können. Ich erinnere mich gut an meine langjährige Taetigkeit als Musiktherapeutin einer Gesamtschule: wie wichtig den Kindern dort Musik war. Und etwas Seltsames war auffällig: dass viele von Ihnen oft leise, immer und überall, vor sich hin summten. Manche berichteten, dass ihr Summen andere nerve, aber dass es ihnen gut tue, Sicherheit gebe: ein Gefühl von Halt und mit sich selbst verbunden sein. Wie so oft, hatten die Kinder, die meist aus krisengeprüften Familien und Situationen stammten,  damit einen gesunden Bewältigungsweg für sich gefunden.

Singen, Summen,Voodoozauber?

Sich selbst helfen durch summen und singen? Das ist ist kein Voodoozauber. Lassen Sie uns ein wenig ausholen: gerade wenn wichtige kindliche Beziehungen negativ, belastend, ablehnend erlebt wurden, geht das mit körperlichem Stress einher.Betroffene können, hält dieser Stress lange, oft über Jahre, ein ganzes Leben gar, an, kaum noch entspannen. Nervensystem und Hormonhaushalt aktivieren Notfallprogramme für Stress, ohne wieder, da dieser dauerhaft anhält, in einen Ruhemodus zu gelangen. So befinden sich Menschen aus belasteten Familien in dauerhaften Ausnahmesituationen, auf die der Körper mit der Ausschüttung von Kortisol reagiert. So wichtg dieses Hormon bei Stresssituationen ist, so schädlich ist es, wenn es dauerhaft im Organismus agiert. Die Bildung weißer Blutzellen wird gehemmt, im letzten wird das Immunsystem geschädigt. Während diese Anfälligkeit in jungen Jahren teils noch kompensiert werden kann, gelingt diese Anpasssung mit zunehmendem Alter schlechter. Zahlreiche Erkrankungen können auftreten. Diese Erkrankungen können wir letztlich nicht ausschließen: aber wir können Ressourcen aktivieren. Musik kann eine zusätzliche Selbstheilungsressourcesein. Der Forscher und Arzt Benson hat eindrucksvolle Forschungsergebnisse geliefert ( The Relaxation Response, 1975/Weiterführendes zum „Heilsamen Singen“ auch bei Wolfgang Bossinger http://traumzeit-verlag.de/verlagsprogramm–shop/gesamtverzeichnis/die-heilende-kraft-des-singens.php) Angst wird nachweislich gesenkt, die Körperfunktionen normalisiert: die Stimmung wird gehoben.

Also, vielleicht ist es ja ein Abbasong, den Sie heute summen mögen, ein Kirchenlied, eine kleine Melodie: versuchen Sie es! Summen kann gut tun!

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Warum bin ich ängstlicher als andere? Über das ungute Duo Corona-Krise und belastete Kindheit

Sind Sie augenblicklich ziemlich gereizt, genervt bei geringsten Anlässen, in einer Daueranspannung mit zum Zerbersten gespannten Muskeln, im Daueralarm? Wenn Sie in sich nachforschen, bemerken Sie große Ängste und Sie fragen sich, ob diese Ängste im Angesicht der Corona-Krise berechtigt oder doch übertrieben sind? Und ob Sie diese Ängste nicht einfach mal, wenigstens für ein paar Stunden, abstellen können, so wie scheinbar manch andere, die offenbar vergnügt in Parks sitzen, was natürlich auch der Krise nicht angemessen erscheint?

Angst ist in diesen Tagen weit verbreitet, ein Gefühl, das zunächst einmal unserem Schutz dient. Ausprägung und Stärke der Angst, der Umgang mit der CoronaKrise und ihren Folgen, ist individuell. Bei jedem Menschen fallen Krisen und die damit auftretenden Ängste auf einen biografischen Boden: jede/r hat Unterschiedliches erlebt und auf unterschiedliche Weise bewältigt. Was wir in unserem Leben erfahren haben und unser Umgang damit, bestimmt, wie wir auf neue Situationen zugehen. Unser Umgang mit der aktuellen Corona-Krise ist bestimmt durch vorhergehende Krisenerfahrungen. Menschen mit frühen und dauerhaften belastenden Erfahrungen in ihren Familien sind somit geprägt: sie entwickeln teils große Ängste, wenn Situationen unkontrollierbar erscheinen und sie auf deren Verlauf offensichtlich keinen Einfluss haben. Zugleich haben belastete Kinder auch besondere Stärken und Copings entwickelt, die sie im Jetzt unterstützen können- die Zugänge zu diesen Krisenhelfern sind ihnen nur teils abhanden gekommen, in Vergessenheit geraten oder unter ängstlicher Erstarrung verschütt gegangen. In den nächsten Tagen und Wochen möchte ich Ihnen dazu Gedanken und Hilfen anbieten, in der Hoffnung, sie auf diese Weise ein bisschen unterstützen zu können.

Was Krisen, Stress, Gefühle und das Gehirn miteinander zu tun haben

Die schlechte Nachricht, die Ihnen als Betroffene sicher bereits bekannt ist, vorab: Kinder, die dauerhaft Krisen  ihrer belasteten Familien ausgesetzt sind, können massive Folgen davontragen; diese Folgen sind teils messbar an ihrem Serum-Cortisolspiegel und in Hirnstrukturen,  können sie doch neuronale Strukturen des Hippocampus, der Amygdala sowie des Corpus Callosum zerstören. Verursacht werden zum Teil organisch begründbare Regulationsstörungen, später auch komplexe Störungen von Lernen, Emotionen und Verhalten (Trost 2003). Auch wenn dieser Zusammenhang von neuronaler Schädigung für betroffene Kinder in quantitativen Untersuchungen noch nicht hinreichend untersucht ist, muss vermutet werden, dass Gehirne von Kindern aus belasteten Familien durch das emotionale Klima ihrer Familien stark geprägt sind. Es steht zu befürchten, dass lang andauernde wiederholte Belastungen der familiären Umwelt neuronal entsprechend verankert werden und diese‚ emotionalen Straßen’ auch dann aufgesucht werden, wenn es nicht mehr von Nöten ist. Dies zeigte sich bei denjenigen erwachsenen Personen, die bis ins hohe Alter keine Auflösung des familiären Tabus erfahren hatten, bei denen sich etwa Suchtbelastung durch etliche Jahrzehnte zog und auch im Erwachsenenalter lebensbestimmend blieb. Es scheint in diesem Fall schwer zu sein, eingefahrene Hirnstraßen zu verlassen (etwa die der Angst und Ohnmacht) und neue Straßen (Freude,Hoffnung etc.) zu befahren. Damit kann ein wesentlicher Faktor zur Orientierung in der Welt durch das familiäre Erleben maßgeblich negativ beeinflusst werden. Sogar genetisch scheinen diese Erfahrungen Spuren zu hinterlassen (In jüngerer Zeit wurde an Mäusen nachgewiesen, dass die Gene bei Nachkommen traumatisierter Mütter in Mitleidenschaft gezogen waren; sie zeigten sich als weniger Stressresistent und verzweifelter in eigenen Krisensituationen). „Muss ich das auch noch wissen?“, denken Sie nun vielleicht,“ das ist doch nur traurig. Ich finde, ja, sie sollten das wissen, um sich selbst ein Stück besser zu verstehen und sich in Ihrem „So-Sein“ annehmen und nicht noch zusätzlich abwerten, als „Weichei, Mimose, Versager“. Erst, wenn wir verstehen, warum wir wurden, was wir sind, können wir besser neue Krisen bewältigen, einen Zugang zu unserer wahren Identität bekommen: im anderen Falle, wenn wir Altes unerkannt abspalten, drohen wir uns selbst fremd zu bleiben und in alten, ungünstigen Krisencopings ( zum Beispiel dem Erstarren) feststecken zu bleiben.

Hirne sind nutzungsabhängig: warum Kinder mit familiärer Belastung leicht ängstlich werden

Schauen wir weiter aus neurowissenschaftlicher Perspektive. Versuchte Erklärungen müssen im Angesicht der hochkomplizierten  Vorgänge in unseren Hirnen unverschämte Vereinfachungen bleiben…versuchen wir dennoch eine Annäherung: Außenwelt hinterlässt Spuren in der Innenwelt. Neurologisch spricht man hierbei von inneren Repräsentationen der Außenwelt. Auch die Repräsentationen unserer Gefühlswelt (neurowissenschaftlichen Untersuchungen u.a. von Braun, Spitzer) spiegeln  erlebte Erfahrungen. Unsere Gefühlswelt ist erlernt, vor allem in sozialer Erfahrung. Befinden, Stimmungen und Gefühle sind bei Kindern aus belasteten Familien stark in Mitleidenschaft gezogen. Kinder lernen etwa: „Wenn Papa trinkt, gibt es Ärger für mich!“ Wird diese Erfahrung wiederholt gemacht, wird diese Erfahrung auch neuronal verschaltet: sie bildet eine Hirnspur. Je öfter diese Erfahrung gemacht werden, umso tiefer gräbt sich diese Spur im Hirn ein, sprich: Kinder entwickeln Ängste ( eine Hirnautobahn „Angst“) und weitere mit diesem Erleben verbundene Gefühle werden nutzungsabhängig verschaltet. Aus dem Kind, das in einer Szene Angst hat, wird bei dauerhafter Wiederholung, leicht ein überängstliches Kind: insbesondere dann, wenn, wie oft in tabuisierenden Familien, das Gefühl des Kindes nicht benannt und besprochen werden darf, das Kind folglich keine angemessene Unterstützung in Form von Trost oder Halt erfährt. Das Befinden Betroffener wird durch dieses kindliche Krisenerleben geprägt, das Gehirn entsprechend gebaut – auch als Erwachsene, wenn das Elternhaus längst verlassen wurde, sind diese grundlegenden Verschaltungen angelegt. Es ist also nachvollziehbar, dass ein in der Kindheit entsprechend „verschalteter“ Erwachsener, der die Spur Angst zu einer regelrechten Autobahn im Kopf entwickelt hat (Formulierung in Anlehnung an Hüther), auch als Erwachsener schnell auf eben dieser Autobahn landet. Denkweisen, Selbstbild, Körpererfahrung usw. sind neuronal verschaltet: sie bilden ein Erlebens- Panorama im Jetzt, das im familiären System erlernt wurde.

Denken wir die vorangestellten Forschungen für Erwachsene aus belasteten Familien weiter, so wird deutlich:

  • es besteht ein Zusammenhang zwischen emotionalen Belastungen in Kindheitstagen und emotionaler Befindlichkeit im Erwachsenenalter
  • es besteht ein Zusammenhang von wiederholten stressenden Kindheitserfahrungen und chronischen/schweren Erkrankungen im Erwachsenenalter.

Eine große Belastung der Lebensqualität von Menschen mit belasteter Kindheit erschent  evident. Somit stellt die aktuelle Corona-Krise neben medizinisch-alltäglichen Überlegungen insbesondere Menschen mit Kindheitsbelastungen vor große psychische Herausforderungen – .

„Help…I need somebody“

Fasst man die vorab geschilderten Forschungsergebnisse zusammen, so sind die Belastungen und Folgen bei Kindheitsbelastungen hoch einzustufen. Und dennoch eine gute Nachricht aus der Forschung:  es gibt Stärkendes! Widerstandskräfte, die uns schützen, sogenannte Resilienzen. Resilienzen sind also das, was uns stark macht.  Resilienzen sorgen dafür, dass viele Menschen mit Kindheitsbelastungen eben auch nicht erkranken. Eine bedeutsame stabile Beziehung im Umfeld eines aufwachsenden Kindes ist eine solch hochwirksame Resilienz. Sind Erkrankungen vorhanden, zeigten sich etwa Meditation und soziale Anbindung als hochwirksam. Vernetzen und andere Menschen mit ins Boot Holen zeigt in allen Lebensphasen Wirkung. Nervensystem und Immunsystem können einander verständigen, dies können wir für uns nutzen. Decartes Dualismus hat lange Medizin bestimmt. Aber neuere Forschungen überprüfen, wie Gehirn und Immunsystem zusammenhängen und es wird deutlich: sie sind in ständigem Austausch. Ein gestresstes Gehirn beeinflusst das Immunsystem, somit gilt auch die Umkehrung: ein entspanntes Gehirn entlastet den Körper. Körper und Geist sind eine Einheit, was ganzheitliche, integrative, leiborientierte, kreative und komplementär-Medizin für Betroffene auf den Plan ruft. Basis bildet weiterhin die Schulmedizin. Gute Erfolge ließen sich auch durch kognitive Umstrukturierung erzielen, also problematische, dysfunktionale Gedanken, etwa durch einen anderen Gedanken zu ersetzen ( wie es in einigen Religionen und Philosophien auch seit Jahrtausenden gelehrt wird)…  Selbstheilung können Sie aktiv unterstützen. Sogar ein EEG kann signifikant verändert werden. Sie können durch Ihre Lebens-und Denkweise Einfluss nehmen.

Ein wichtiger Faktor: eine soziale Umgebung, ein Feld der Hoffnung und Zuwendung (teils Liebe genannt ), im Idealfall im eigenen Zuhause. Der Satz: „Ich kann gesund werden!“, oder: „Ich kann meine Kindheitswunden überwinden!“ gehört zur hochwirksamen Einstellung, die Veränderung möglich werden läßt. Hilfe für Betroffene muss individuell erfolgen, spezifisch zugeschnitten sein: sie benötigt mindestens einen wohlwollenden Anderen. Immer sollte sie Anregung zur Selbsttätigkeit beinhalten (hierzu auch das AWOKADO-Selbsthilfe-Programm in Vater, Mutter, Sucht 2015 und Meine schwierige Mutter 2017).
Glauben wir den Erkenntnissen der Psychoneuroimmunologie, so helfen Krisenkindern bei der schwierigen Bewältigung vor allem: Optimismus, stabile Sozialkontakte, ein guter Alltag und körperliche Nähe.

Der in der Überschrift verwendete Oldie der Beatles bringt auf den Punkt, was wir Kindheitsbelastungen, Stimmungs-und Befindlichkeitstörungen entgegensetzen können: Hilfe suchen und annehmen, die Verbindung und Zuwendung von anderen, nahestehenden Menschen… dies stellt im Angesicht der Corona-Krise eine weitere Herausforderung dar, sollen wir uns doch sozial distanzieren, zumindest real körperlich. Hier ist Ihre Kreativität gefragt: feste Termine für Videoanrufe, bleibender Austausch per Email etc . Vielleicht schreiben Sie anderen hier, indem Sie die Kommentarfunktion nutzen, wie Sie es gerade schaffen trotz Corona-Krise – ich freue mich, von Ihnen zu lesen.

Bleiben Sie gesund und behalten Sie bei aller nötigen Hygiene vor allem auch Ihre Seele im Blick,

bis ganz bald

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

TV-Interview

Liebe treue Leserin und Leser,

heute wende ich mich mit einer Anfrage an Sie/Euch: fuer eine Fernsehreportage (öffentlich-rechtliches TV) wird eine weibliche Betroffene aus einer Suchtfamilie gesucht, die bereit waere ueber Ihre Erfahrungen zu berichten. Also, wenn auch Sie es wichtig finden, dass wir eine breitere Öffentlichkeit fuer unsere Thematik  sensibilisieren und sich vorstellen können, ein INterview zu geben, kontaktieren Sie mich gern- möglichst zeitnah.

Demnächst wieder mehr Neues, Buchvorstellungen und mehr von hier.

Sonniges durch den Regen sendet

Ihre/Eure

Waltraut Barnowski-Geiser

„Die eigene Würde retten!“ – von der Suche zwischen Wahrheit, Tabu und Lüge

Würde (so wie auch Würdigung und Wertschätzung), scheint, schauen wir auf manch eine belastete Familie, die über Jahre und Jahrzehnte eben ihren schweren Belastungen ausgesetzt war, oft leise und still, gleichsam klamm-heimlich verloren gegangen zu sein. Würde gleicht hier in diesen Familien einem Fremdwort, mit dem man nicht mehr viel anfangen kann, dass man sich, so scheint es, kaum leisten kann; beinahe scheint es Kindern nach vielen Jahren so, als würde sie den Menschen hier in ihrer Familie nicht einmal zustehen: die Ent-Würdigung ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Was süchtige Menschen beispielsweise teils ihren Familien antun, überschreitet oft jede Grenze, oft auch jedes Vorstellungsmaß… und dabei denke ich nicht nur an körperliche Gewalt, sondern auch an verbale Dauerattacken, Kämpfe rund um das Aufrechterhalten des Tabus, das Ringen um Normalität, die beständige Suche in Sucht etwa, die die Angehörigen zu Statisten eines schleichenden Selbstmords degradiert… und das oftmals jahrzehntelange vergebliche Ringen auf Seiten mitbetroffener Kinder und Partner, doch noch gesehen und geliebt zu werden. Um diese Liebe zu bekommen, glauben diese erwachsenen Kinder, dass sie sich verbiegen müssten: Preis ist ihre eigene Würde, die sie zu verlieren drohen oder zumindest Teilaspekte derselben…die Selbstachtung nimmt schleichend Schaden.

Herrn M.s Mutter, so findet Herr M heraus, übersteht den Narzissmus und die Sucht des Vaters über Jahrzehnte, indem sie ihn einfach anders sieht als er ist. Nicht süchtig eben, sondern einfach großartig. Alles, was zu dieser, ihrer Wahrheit nicht passt, schneidet sie aus ihrer Wahrnehmung; sogar so weit, dass sie Menschen, die ihre Wahrheit als Lüge zu entlarven drohen, aus ihrem Leben verbannt. Anstatt ihre Sicht auf ihren Ehemann als Lüge zu sehen und in Frage stellen zu müssen, stellt sie diese Menschen, die Überbringer der „Wahrheit“ oder Realität, als Lügner hin. Herr M. erwartet, das seine Mutter dies endlich eingestehe, denn ihr Verhalten sei unter aller Würde: die Aufdeckung der familiären Wahrheit brauche er, so findet er heraus, um sich seinen letzten Funken von Würde zu bewahren. Er wolle nicht weiter, wie Jahrzehnte zuvor, mitspielen und heile Welt vorgaukeln. Gespräche mit seiner Mutter laufen erfolglos: immer deutlicher wird Herrn M., dass seine Mutter so stark in ihrer eigenen Identität verunsichert ist, so bindungsschwach und abhängig, dass eine realistischere Sicht auf den Vater ihr gesamtes Lebenskonzept erschüttern würde. Wenn der Sohn ihr diese weiter abverlange, werde sie eher den Kontakt zu ihm abbrechen, vermutet er…diesen Kontaktabbruch erwägt Herr M., wie er sagt selbst schon länger, um seine Würde nicht weiter zu beschädigen, er will endlich „die eigene Würde retten!“.

Viele chronisch belastete Familien stecken in einer Abhängigkeitsfalle, in der Wahrheit und Würde geopfert werden. Ein Ausweg scheint nicht in Sicht, solange die einzelnen Familienmitglieder nicht in der Lage sind, Hilfe zu suchen und mit Klarblick eigen-ständig schauen zu können. Es braucht Kraft, die Verblendung wirklich anzuschauen. Den Würdeverlust wahrzunehmen, ihn anzuschauen ist für Kinder aus belasteten Familien oft der 1. Schritt auf dem Weg zur Veränderung des eigenen Lebens. Dies erfordert Stärke, die oftmals nach jahrzehntelangem Kampf nicht mehr vorhanden zu sein scheint. Oftmals sind Lebenslügen und Verblendung Teil der Identität geworden, die Verstrickung bestimmt mehr und mehr über die einzelnen Familienmitglieder, ihre Sicht auf sich selbst, auf die Familie und die Welt.

„Die Würde scheint uns weniger bedroht, wenn die Lüge wegen der Größe der inneren Gefahr verzeihlich ist, wie bei einer verleugneten tödlichen Krankheit oder beim Eingeständnis einer Unfähigkeit, die für das Selbstbild vernichtend wäre. Dann denken wir: das kann man von niemandem verlangen. Lebenslügen… sollten nur dann als würdelos beurteilt werden, wenn dem Betreffenden die Stärke zugeschrieben wird, ihrer Auflösung standzuhalten.“ Bieri, Eine Art zu leben, S.226

Eigen-ständig Denken wird in belasteten Familien oft als Bedrohung wahrgenommen, die mit Ausschluss belegt wird: oft ohne Worte liegt die Ausgrenzung doch drohend in der Luft, ist Teil einer unguten Atmosphäre, Teil des familiären Klimas geworden.Wir kommen in der Arbeit mit familiendynamischen Aspekten immer an ethische Fragestellungen, mit denen viele erwachsene Kinder, oftmals Tag und Nacht, und doch wenig bewusst, befasst sind.

Vielleicht halten Sie kurz inne und schreiben etwas zu den nachfolgenden Fragen:

  • Welche Werte sind in Ihrer Familie bestimmend?
  • Und für welche Werte möchten Sie eintreten?
  • Was bedeutet für Sie Würde und was braucht Ihre Würde?
  • Für wen stellen diese Ihre eigenen Vorstellungen eine Bedrohung dar?

Der Philosoph Peter Bieri hat ein  Buch über die Vielfalt der Würde verfasst, das ich all denjenigen unter Ihnen empfehlen mag, die über schnelle Lösungen hinaus interessiert sind,  gern tiefer schauen…auch wenn sich das Buch nicht speziell auf belastete Familien bezieht und somit einen Transfer auf die eigene Situation erfordert, halte ich es für diese unsere Zielgruppe lohnenswert.

Eine Art zu leben

 

Eine gute Zeit

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Mehr von dieser Autorin, u.a. bei Klett-Cotta

Schwierige Eltern kann man nicht ändern… die eigene Perspektive schon

Frau I. ist es leid, sagt sie: alles habe sie versucht, aber ihre Mutter trinke weiter mehr als ihr gut tue. Sie sei mit nichts zufrieden, ihre Besuche seien der Mutter nie genug, während sie ihr zugleich vermittle, dass sie die Tochter ihr eigentlich schon immer zuviel sei. Zudem mache sie die Tochter auch noch verantwortlich dafür, dass das Leben der Mutter durch ihre ungewollte Schwangerschaft aus den Fugen geraten sei. Frau I. gelangt zu der Einsicht:  Meine Mutter wird sich niemals ändern, nur ich selbst kann etwas ändern…

Wenn das Zusammensein mit den Eltern ein Leben lang schwierig erlebt wird, wie im Fall Frau von I. beschrieben, können die Ursachen vielschichtig sein, die Auswirkungen auf die Lebensqualität der erwachsenen Kinder gewaltig. Es kann sich etwa um eine ungünstige Passung zwischen Eltern und Kind handeln, aber auch um schwerwiegende Belastungen, die die Eltern selbst tragen und die auch für ihre Angehörigen, insbesondere für die Kinder, zur Lebenerschwernis werden. Ob diese Belastung nun Sucht, psychische Probleme, chronische Erkrankung, Traumatisierung, mangelnde Empathie-und Feinfühligkeit oder Bindungsstörung heißt, ob diese als Störung diagnostiziert wurde oder auch niemals: die betroffenen Kinder tragen eine schwere Belastung, die ihnen oftmals zur Lebensaufgabe wird – manche können, wenn sie alt genug sind (manchmal erst, wenn die Distanz zu den Eltern größer ist), immerhin ihre Perspektive, ihre Haltung und ihre Einstellung zu den elterlichen Schwierigkeiten verändern. Betroffene beschreiben erfolgreiche Perspektivwechsel als ( in Anlehnung an das Fachbuch „Meine schwierige Mutter“ , Klett-Cotta 2017):

Einen Schritt zurücktreten…

Aus einem Abstand heraus die Situation betrachten…

In einer konzentrierten Zurückgezogenheit den Konflikt neu ansehen…

Akzeptieren, dass es so schwierig ist wie es ist statt schönzureden oder zu tun, als ob alles prima wäre….

Die Beziehung als Tanz auf der Bühne imaginieren…

Sich in die Schuhe der Eltern stellen: die eigene Lebensgeschichte aus der Sicht der Mutter oder des Vaters erzählen…

Loslassen: nicht mehr um die Beziehung ringen, sondern sich mit Freude anderen Dingen zuwenden…

dDie Bedeutsamkeit der schwierigen elterlichen Beziehung relativieren…

Sich selbst und die eigenen Bedürfnisse, vielleicht erstmals, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellen…

Nicht mehr darauf hoffen, dass sich die Eltern ändern, sondern sich selbst altiv zu verändern…

Die Kontrolle über das elterliche Verhalten ( zum Beispiel Trinken) loslassen…

Sich nicht länger selbst die Schuld geben…

Scham überwinden: mit anderen sprechen statt sich hinter Burgmauern zu verbarrikaridieren.

Perspektivwechsel brauchen Zeit, Mut und Veränderung, immer einen ersten Schritt, sei er auch noch so klein. Welcher Schritt soll der Ihre sein?

Eine erfüllende Herbstzeit mit sonnigen Momenten wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Einsam unter den Liebsten – Wenn Eltern mit sich selbst nicht in Kontakt sind…sind sie es schwerlich mit ihren Kindern

Die Zahl der erwachsenen Kinder, die sich von ihren Eltern nicht verstanden fühlt, scheint groß zu sein. Eine große Rolle spielen in diesem Prozess  Hören und Begegnen.

Nicht nur Ehen und Partnerschaften scheitern  an mangelndem Zu-Hören, auch Freundschaften, Kollegialität und nicht zuletzt Beziehungen zwischen Kindern und Eltern zerbrechen oftmals an scheinbar nicht vorhandenem Interesse. Hören und Begegnen meint hier nicht, Wortinhalte aufzuschnappen und diese für die eigene Erzählung oder für das Weitererzählen zu nutzen, (um etwa Erziehungsbotschaften an das Kind scheinbar gekonnt einzuflechten oder das Kind zu verbessern), sondern Zu-Hören meint,  Worte und das Erleben des Anderen ganz in sich aufzunehmen. Je weniger Eltern Beziehung zu ihrem eigenen Innenraum haben, zu ihren Gefühlen und Stimmungen etwa, umso weniger sind sie in der Lage, wirkliche Begegnung zu ihren Kindern zu ermöglichen. Süchte und manche psychische Erkrankung verstellen Eltern teils den Weg zu ihrem eigenen Innenraum ( oder sie werden süchtig, weil der Weg schon früh verstellt war). Das Kind interpretiert dieses mangelnde auf es eingehen, elterliches nicht wirklich Zuhören und in Resonanz gehen Können, in der Regel als seinen eigenen Fehler: es glaubt, nicht interessant oder nicht gut genug zu sein, damit Eltern ihm zuhörten. Es idealisiert in diesen Fällen die Eltern als „richtig und kompetent“ und sich selbst als „defizitär“. Oftmals stellt es sich bei genauerer UNtersuchung der Beziehungsverlaufes aber genau anders herum dar: dann haben Eltern Probleme mit Hören und begegnen, da ihnen der Kontakt zur eigenen Innenwelt verloren gegangen ist. Nun könnte mam meinen, dass diese Kausalität nicht so wesentlich ist: die Praxis zeigt jedoch, dass die angenommene Begründung wesentlich ist für die Weise, wie das Kind sich in der Welt bewertet, für seinen Selbstwert: dauerhaft nicht richtig gesehen und verstanden Fühlen geht meist mit neidrigem Selbstwert einher. Und sie scheinen als Erwachsene selbst zu Eltern zu mutieren, die ihren Kindern ungewollt Ähnliches antun, das ihnen selbst widerfuhr. Viele Eltern der Neuzeit scheinen das Zu-Hören nicht gelernt, verlernt oder seine Bedeutung vergessen zu haben.

Je höher der Leistungsdruck, je mehr wir vor allem weiterkommen müssen und uns kaum spüren dürfen, umso größer ist die Gefahr, dass wir anderen nicht mehr wirklich zuhören und selbst von ebensolchen anderen nicht mehr gehört werden. Wir stülpen anderen vielleicht unsere Ideologie über, benutzen sie, um unser Wissen „loszuwerden“, zu glänzen vielleicht: aber der Beziehungsraum im Dazwischen droht zu verarmen. In der Folge fühlen wir uns dann selbst unter Menschen, die wir eigentlich lieben und schätzen wollen, allein und verlassen: einsam unter Menschen… ein Gefühl, das vielen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien nur allzu bekannt ist.

Diese kindliche Erfahrung droht in den erwachsenen Beziehungen wiederholt zu werden: „Er hört mir nicht zu!“  Wie oft diese Aussage, durchaus auch geschlechtsunterschiedlich, geäußert wird…oftmals ist diese Aussage mit der Steigerung: „Er interessiert sich nicht für mich!“ gekoppelt, eine katastrophale Überzeugung, die oft vorausgeht, wenn Beziehungen endgültig zu scheitern drohen.

Überlegen Sie doch einmal, wann Sie sich zuletzt von einem Menschen völlig verstanden gefühlt haben? Wie ist dieses Gefühl entstanden, was hat der andere genau getan, was hat es bei Ihnen ausgelöst?

Der Weg aus der Einsamkeit und Isolationsgefühlen muss uns immer auch zu uns selbst führen. Der Weg nach Innen, zu uns selbst und in die Ruhe, ist eine wesentliche Voraussetzung, um Hören und begegnen zu können: uns selbst und andere.  Nur wenn wir uns von unseren eigenen Gedanken und Gefühlen distanzieren können, wenn wir unser eigenes „Ding“ loslassen können, erst dann können wir wirklich hören und begegnen. Für viele Erwachsene aus belasteten Familien ist das Nicht-Gehört-Werden das Vertraute: oftmals suchen sie sich Partner und Freunde, bei denen ihnen dieses NichtgehörtWerden neuerlich passiert. Ein erster Schritt hinaus aus diesem Käfig des Nichtgehört Werdens ist der Weg, sich selbst zuzuhören. Was erzählt Ihr Körper, Ihr inneres Kind, welche Gefühle haben Sie gerade jetzt? Manche Menschen warten verzweifelt auf die nächsten Ferien, den nächsten Urlaub, damit sie endlich etwas erleben können:  doch dazu muss nicht hektisch in die Ferne gereist werden, spannende Abenteuer liegen nahe, hält Ihr Inneres für Sie bereit.

Ansonsten noch etwas zur Orga der Seiten: ich versuche, wie Sie vielleicht schon gesehen haben, diese für Sie noch übersichtlicher zu gestalten, damit Sie zu den unterschiedlichen Aspekten des AWOKADO-Konzeptes, zur Kreativen Selbsterfahrung etc. noch schneller fündig werden.

Einen guten Start in die Schul- und Arbeitszeit wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Wo Kränkung regiert, ist Krankheit nicht weit: Wie Kränkung das Leben belasteter Familien bestimmt und wie rettende Wege hinausführen

Zum heutigen Blogbeitrag animierte mich ein hörenswerter Vortrag von Prof. Reinhard Haller, Psychiater und Psychotherapeut aus Österreich. Er spricht zum Thema „Die Macht der Kränkung“. Haller beschäftigt sich mit Kränkungen im allgemeinen und mir scheint die Brücke in die belastete Familie sinnvoll. Ich halte dieses Thema für belastete Familien und ihre (erwachsenen) Kinder für besonders bedeutungsvoll, denn: Wenn wir uns belasteten Familien nähern, so ist ihnen ein Merkmal in der Regel gemein: alle Familienmitglieder haben schlimme Kränkungen erlitten. Die Art der Kränkung mag sich unterscheiden, auch die Symptome und Folgen ebenso wie der Umgang: gemeinsam in der familiären Dynamik ist meist die Tabuisierung, hier werden  Kränkungen totgeschwiegen, werden nicht aufgearbeitet, sondern auf andere Weise, den Betroffenen meist selbst nicht bewusst, ausagiert… und in unguter Weise drohen Auswirkungen so von den Eltern an die Kinder und nachfolgende Generationen weitergegeben zu werden. Aus Kindern, die Kränkungen erfahren, werden leicht Eltern, die meist unabsichtlich, ihre Kinder neuerlich kränken. Fehlende Liebe während des Aufwachsens sowie fehlende positive Resonanzen (Petzold, Rosa etc.) erzeugen Kränkungen und Gekränktsein: aus Gekränkten drohen Kränker zu werden. Teils wird in der gesamten Gesellschaft eine Zunahme narzistischer Tendenzen beschrieben, denen oftmals massive Kränkungen zugrunde liegen

Die familiäre Anhäufung dieser Phänomene tut, besonders bleibt sie unbearbeitet, niemandem gut: Ein krankmachender Teufelskreis entsteht. Über das Ausmaß der Kränkung sind Teile der Familie, wie es der Wortsinn schon andeutet, erkrankt: nicht nur die Wissenschaft der Psychoneuroimmunologie (Schubert u.a.) zeigt uns  in jüngster Zeit eindrucksvolle Zusammenhänge zwischen  Beleidigungen, Demütigungen, Mobbing, frühen Traumatisierungen und Krankheiten, für die sich keine körperlichen Ursachen finden lassen.

Fassen wir Kränkung als Teil eines Tanzes zwischen schwierigen Eltern und Kindern (Geiser-Heinrichs/Barnowski-Geiser 2017), als Teil einer spezifischen Interaktion (Haller) auf, dann scheint es wichtig, die Beziehung und das Gesamtsystem  im Auge zu haben, also systemisch zu schauen, um Änderung und Hilfe möglich werden zu lassen. Zentral für Betroffene auf Ihrem Weg zur Heilung der Kränkung scheint:

  • Zulassen, dass es Kränkungen gab und gibt (im AWOKADO-KOnzept als Würdigung der Belastung beschrieben)
  • betrauern dürfen
  • einen eigenen Standpunkt, eine neue Haltung, zu den Kränkungen finden (in verstrickten Familien meist nicht ohne Außenstehende zu schaffen)
  • die entstandenen Wunden pflegen ( auch Trost annehmen, insbesondere außerhalb des familiären Systems), statt sich weiter in Selbstverletzung, Selbst-Quälen und Selbst-Beschimpfen zu ergeben.

Prof. Hallers Vortrag in der Reihe fürs Leben lernen der Arbeiterkammer AT finden sie augenblicklich in der Teleakademie des Alpha-TVs oder auf youtube

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche

IHre

Waltraut Barnowski-Geiser

Es wird Ihnen alles zu viel?… Perspektivwechsel: Wovon gibt es zu wenig?

Wenn die Kindheit belastet war, ist der Nachhall meist bis weit in das Erwachsenenalter spürbar, manchmal sogar das ganze Leben lang. Weniger dann in konkreten Erinnerungen, die quälten, sondern vielmehr in einer grundlegenden Befindlichkeit, in diffusen Stimmungsanwandlungen oder auch in einem sich abgeschnitten Fühlen, das sich in Leere-Attacken, in unverbunden und lustlos Sein, in Müdigkeits- und Sinnlosigkeitsgefühlen zeigen kann – und vor allem in einem Dauerüberlastungsgefühl.  Wenn alles als Zuviel erlebt wird, kann eine Hilfe sein, an diesem Zuviel anzusetzen; meistens wird jedoch von Betroffenen beschrieben, dass an der Menge und Qualität der Belastung wenig zu ändern sei (gerade Kinder schwieriger Eltern sind ja geübte und bewährte Lastenträger, da sie dies allzu früh erlernen mussten). Als hilfreich erweist sich dann oftmals ein Perspektivwechsel, wie er in der Integrativen Therapie und gestalttherapeutischer Arbeit häufig angewendet wird. Dann ist dem Problem aus einem anderen Blickwinkel nachzugehen: Was im Leben ist zu wenig oder wovon gibt es zu wenig? Nun treten andere, oft überraschende Aspekte in den Vordergrund…es ist möglich, dem Kern der Problematik so näher zu kommen. „Liebe und Wertschätzung fehlt!“, sagt Frau K. etwa leise, nach einiger Zeit des stummen Sinnens

Machen Sie doch selbst den Test und stellen Sie sich diese Frage: Was ist in meinem Leben zu wenig oder was kommt zu kurz? Versuchen Sie eine Antwort möglichst erst dann, nachdem Sie einige Minuten achtsames Atmen/Körperachtsamkeit oder achtsames Gehen praktiziert haben. Dann fällt die Antwort meist anders aus, dann darf sie aus der Tiefe aufsteigen statt nur dem gewohnten Gedankengang zu folgen: Weil wir so verschaltet sind, dass wir im Alltag  funktionieren müssen, melden sich als erstes nur gewohnte Musterverschaltungen. Antworten aus unserer Tiefe (manche nennen es auch Unterbewusstes oder innere Stimme etc.) brauchen Raum und Zeit… und einen Zugang, den wir über den Atem ( als eine Möglichkeit) legen können.

Und auch kreative Arbeit ( weitere kreative Coachungs und Selbsterfahrungsübungen auf dieser Seite) mit Vorstellungen und Imaginationen kann neue Antworten liefern…Probieren Sie auf den ersten Blick vielleicht verrückt oder ungewöhnlich Erscheinendes: lassen Sie doch einmal den Baum vor Ihrem Fenster erzählen, was in Ihrem Leben zu wenig ist…oder geben Sie Ihrem Haustier eine Stimme, es kennt sie wahrscheinlich sehr gut….

Der erste Schritt zur Veränderung, und das klingt beinahe paradox, ist Wahrnehmen und Annehmen, was ist: Hinschauen, sich trauen, nicht mehr im Gestern und noch nicht im Morgen leben…dem Mangel Raum geben, und danach auch der Fülle, damit sie Gehör finden und sich wandeln.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

„Nicht müde werden“ – Hoffnung zwischen Ohnmacht und Wunder

Nicht müde werden

sondern dem Wunder

leise

wie einem Vogel

die Hand hinhalten.

Hilde Domin

 

Diese Zeilen der verstorbenen Dichterin Hilde Domin fand ich dieser Tage bei Recherchen für unser neues Musikprogramm wieder. Diese Zeilen sind mir kostbar; und sie erscheinen mir wertvoll für Menschen, die Krisen erleben, gerade für Menschen mit Kindheitsbelastungen. Wer mit erkrankten Eltern aufwuchs, der kennt Müdigkeit, Erschöpfung und ein Gefühl, die Belastung nicht länger tragen zu können, zur Genüge. Und immer wieder erzählen betroffene Menschen von ihrer nicht versiegenden Hoffnung, ihren persönlichen Wundern, Ereignissen und Einstellungsveränderungen, die zumindest einem Wunder gleichen.

In manchen endlos erscheinenden Dauerkrisen mit erkrankten Angehörigen braucht es diesen Glauben und den Mut, dem Wunder die Hand hinzuhalten. Beides möchte ich in dieser Woche als Begleiter auf Ihre Wege schicken,

herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Bücher  der Blogautorin zum Themenkreis der Angehörigenbelastung hier

Neue Wege gehen: Körper und Geist versöhnen

Kommt Ihnen das bekannt vor?…Sie wissen „alles“ über Problemfamilien und Störungsbilder, sie kennen unzählige Fakten über Kindheit, ihre Ursachen und familiäre Dynamik, Sie sind womöglich sogar in einem einschlägigen sozialen Berufsfeld gelandet…aber wenig können sie wirklich fühlen, leiden unter dem Gefühl, all Ihrem Wissen auf der persönlichen Ebene allenfalls Verdrängung entgegensetzen zu können, Ihr Körper ist Ihnen nicht geheuer, wirkt wie ein schlummernder Feind, der allenfalls unter Kontrolle gebracht werden muss?… Damit sind Sie nicht allein, denn so geht es vielen betroffenen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien.

Heute ist womöglich der Zeitpunkt gekommen,  nicht mehr endlos das in der Vergangenheit Geschehene zu drehen, wenden und bearbeiten. Dann ist es vielleicht an der Zeit, das „Kreisen um das Gestern“ übend loszulassen und durch neue Erfahrungen zu ersetzen. Damit auch dies nicht „bloße“ Theorie bleibt, ist Ihre Aktivität gefordert…es braucht den Mut, übend neue Erfahrungen zu machen, gleichsam auf Neustart zu gehen, zu re-setten in neudeutsch, im Inneren  umzustrukturieren. Anregungen dazu finden sich auch in der Praxis der Achtsamkeit, wie sie etwa Thich Nhat Hanh vorstellt und über Jahrtausende erprobt und geübt wurde. Vielleicht sagen Sie nun: kenne ich schon alles…ja, aber üben Sie auch tatsächlich? Leben Sie achtsam oder wissen Sie nur darum?

Wie eine liebende Mutter, die für einige Tage ihr Kind verlassen musste, zu ihrem Kind heimkehre  und es zärtlich in die Arme nimmt, so könne nun der Geist den Körper in die Arme nehmen, beschreibt Thich Nhat Hanh diesen Prozess auf liebevolle Weise. Insbesondere, wenn die Anspannung im Körper eingeladen wird, zu gehen und wir sie loslassen, (vielleicht zunächst nur einen Atemzug lang) kann dies nach meinen Erfahrungen  heilsam wirken auf Kindheitsbelastete. Regelmäßig angewendet kann sie zur späten Versöhnung zwischen Körper und Geist führen, auf einmal fühlen sich Betroffene „anders, lebendiger, wacher“. Das Neuartige wirkt weiter in der Weise, wie Betroffene nun achtsamer sprechen und ihre Welt anders wahrnehmen und gestalten. Es findet ein grundlegender Perspektivwechsel statt.

Untersuchungen zeigen, „dass der Körper, wie er im Gehirn repräsentiert ist, möglicherweise das unentbehrliche Bezugssystem für neuronale Prozesse bildet, die wir als Bewusstsein erleben; „dass unser eigener Organismus und nicht irgendeine absolute äußere Realität den Orientierungsrahmen abgibt für die Konstruktion, die wir von unserer Umgebung anfertigen, und für die Konstruktion der allgegenwärtigen Subjektivität, die wesentlicher Bestandteil unserer Erfahrungen ist; dass sich unsere erhabensten Gedanken und größten Taten, unsere höchsten Freuden und tiefsten Verzweiflungen den Körper als Maßstab nehmen.“ (Damasio 1997, S.17)

 Meist wird der Körper von Menschen mit Kindheitsbelastungen erst dann wahrgenommen, wenn er in seiner Funktion gestört ist. Vom „Leib, der ich bin“  wird er zum „Körper, den ich habe“. (Fuchs 2000b) Während der gesunde Körper im Hintergrund als selbstverständliche und selbstvergessene Existenz scheinbar nicht beachtet werden muss, rückt der kranke Körper als Feindbild nun in den Blick: als außerhalb der eigenen Person liegendes Problemfeld. Der Psychiater Fuchs beschreibt Krankheit als gestörte Harmonie, die mit einer Entfremdung, einer Partikularisierung innerhalb der Leiblichkeit einhergehe. (Fuchs 2000). Und auch der Hirnforscher Damasio schreibt: „Die Seele atmet durch den Körper und Leiden findet im Fleisch statt, egal ob es in der Haut oder in der Vorstellung beginnt.“ (Damasio 1997, S.19) Im Umkehrschluss meint somit Integration des Körpers, „ihn als Teil der eigenen Innenwelt anzuerkennen und ihn nicht nur als ein Ding, als einen Gegenstand, einen biologischen Organismus, also als Teil der Außenwelt (was der Körper natürlich auch ist), zu behandeln.“ (Seemann 1998, S.17) Menschen entwicklen unterschiedliche Schwerpunkte, werden Kopf- oder Gefühlsmenschen etc. Der Körper kann nicht losgelöst vom Fühlen und Denken Betroffener angesehen werden: mit Hilfe  des Geistes können wir den Körper gleichsam nach Hause holen, ihn wieder anbinden ( s.a. Kreative Selbsterfahrung: Der Anker in meinem Körper).

Eine gute Woche und Sonniges an diesem Feiertag wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Gut in Deckung? Vom Schutz in familiären Dauerstürmen und anderen Katastrophen

Wenn Herr N, 34 jähriger Mathematiker, die Atmosphäre in seiner Herkunftsfamilie beschreibt, dann könnte man denken, man habe es mit einer Katatstrophenmeldung zu tun. „Meine Mutter ist ein Tornado!“, erzählt Herr N, „Wenn sie loslegt, fühlen wir uns alle vernichtet, kein Stein steht mehr auf dem anderen. Und das Schlimme ist: nach dem Tornado ist vor dem Tornado.“

Elterliche Tornados können tiefe Spuren hinterlassen ( Buch zum Thema).In Kindern, die die Kindheitsjahre hindurch mit einem besonders schwierigen Elternteil überstehen mussten (und manchmal dieser Belastung weit ins Erwachsenenalter hinein ausgesetzt sind), können diese Erfahrungen  nachhaltig wirksam bleiben, insbesondere, wenn sie über Jahrzehnte, oftmals ohne jede Zuwendung von Außen durchlebt werden mussten. Oft haben diese Eltern selbst als Kinder Dinge erlebt, die sie nicht verkraftet haben: ihr Blick auf ihre elterlichen Aufgaben, die sich z.B. mit Trösten und Halten, mit einfühlendem auf das Kind Eingehen beschreiben lassen, ist dann meist verstellt. Im Gegenteil fordern diese Eltern diese Qualitäten sogar von ihren Kindern selbst ein.

Was tun? Schutz ist von Nöten. Kinder verfügen teils über günstige Widerstandskräfte. sogenannte Resilienzen. Was tun, wenn die Belastung bis ins Erwachsenenalter anhält? Schauen wir pragmatisch. Was rät man Menschen, die in klimatisch schwierigen Gegenden reisen wollen: möglichst die Gegend meiden. Menschen, die dort beheimatet sind, rät man fortzugehen, wenn möglich oder entsprechenden Schutz aufzubauen ( die Seele findet Wege, indem sie etwa nicht mehr wahrnimmt)- aus therapeutischer Arbeit kennen Sie vielleicht die Arbeit mit imaginären Schutzräumen ( dazu auch Bücher von Reddemann und Huber empfehlenswert). Als Kind können die meisten nicht fort, als Erwachsene jedoch gibt es, auch wenn sich das oftmals anders anfühlt, eine Wahl: Distanzieren kann dann eine not-wendige Option sein. In Ambivalenz zwischen Liebe und Lösen gefangen, stellt dies eine schwierige Herausforderung für Betroffene dar.

Wenn das Leben der Liebe zum erkrankten Elternteil regelmäßig in Zerstörung und Selbstaufgabe mündet, kann es an der Zeit sein, das Kontaktmaß auf ein erträgliches Maß zurückzustufen und so Belastung zu reduzieren ( s.a. Beziehungs-Entlastungs-Diagramm). Herr N beschreibt, dass es ihm helfe,  das Geschehen zu Hause heute endlich zu begreifen… Worte zu finden… die Schwierigkeit bei der Mutter und weniger bei sich selbst zu suchen..und zu wissen, dass er nicht so viel Kraft habe, jeden mütterlichen Tornado mitzuerleben- Selbstschutz durch weniger Besuche laute sein Rezept. Er sei jetzt achtsam auf Tornados gefasst…

Liebe Grüße und Bestes für eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

„Sei, was wir brauchen!“ -Wie Ihre familiären Beziehungen prägen, wer Sie heute sind

„Gewöhnlich haben wir die Familie als den Ort betrachtet, an dem wir Liebe, Verständnis und Unterstützung finden können, selbst wenn alles andere versagte. Sie ist der Platz, an dem wir uns erfrischen können und an dem wir auftanken, um mit der Welt draußen besser fertig zu werden. Aber für Millionen belasteter Familien ist das ein Mythos.“ (Satir 1993, S.27)

Kinder belasteter Eltern sehen es als ihre Aufgabe an, ihre unglücklichen Eltern glücklich zu machen: Diese Tatsache hat vielschichtige Folgen, die Betroffene bis ins Erwachsenenalter prägen können: das, was die anderen brauchen, ist so wichtig, dass betroffene Kinder sogar für sie existenzielle Bedürfnisse bei sich selbst übergehen, um den belasteten Elternteil glücklich und zufrieden zu machen… und dieses Beziehungsmuster im nicht seltenen Fall mit in ihre weiteren nahen Beziehungen im Erwachsenenalter nehmen. Sie scheinen sich selbst verloren gegangen zu sein.

Wie kommt es dazu? Die Antworten sind vielschichtig, ein Blick auf die Situation der Familie lohnt sich. Belastete Familien befinden sich oftmals in Dauerkrisen, in denen sie zusammenrücken müssen; oft entsteht eine besondere Abhängigkeit, ein besonderes Angewiesensein aufeinander, manchmal ohne emotionale Nähe und Liebe, die die Kinder benötigen. Diese enge Anbindung, die Minuchin Ende der 70er Jahre als familiäre „Verstrickung“ beschrieb, wurde als sehr problematisch für die Entwicklung des Individuums angesehen.IN diesem Feld hat die systemische Forschung viel Pionierarbeit geleistet.

„Aber in der verstrickten Familie geht das Individuum gewissermaßen im System verloren. Seine individuelle Autonomie ist so schwach definiert, dass ihm ein Funktionieren auf individuelle und eigene Weise so gut wie unmöglich gemacht ist.“ (Minuchin/Rosman/Baker 1978, S.43f).

Es entwickelt sich eine belastete Famlienstruktur mit einer eigenen Dynamik, sie nimmt Einfluss auf die gesamte innerfamiliäre Kommunikationsstruktur. Die verstorbene Familientherapeutin Virginia Satir beschreibt vier Formen der gestörten Kommunikation: Beschwichtigung, Anklage, Rationalisieren und Ablenken. Diese Formen begegneten mir besonders in der Arbeit mit Familien, die sich in der Phase der tabuisierten schleichenden oder/und chronischen Belastung befinden (Phasen nach Barnowski-Geiser 2009).

Beschwichtigung zeigt sich insbesondere in der Form, Empfindsamkeit zu entwerten. Sie gipfelt in Äußerungen wie „Ach, die x ist einfach so ein überempfindliches Kind!“

Rationalisieren zeigt sich oft, indem Eltern in therapeutischen Gesprächen dem Erleben des Kindes wenig angemessen erscheinende Vorträge halten. Äußern die Kinder Gefühle und weinen, zeigen sich diese Eltern in der Interaktion zu ihren Kindern seltsam erstarrt und unerreichbar, wenig tröstlich: sie rufen das KInd zurück zur Vernunft.

Anklagen Besonders bitter für Kinder werden Strukturen, die sie zum „Angeklagten“ machen; oftmals um von familiären Problemen abzulenken. Dies passiert etwa dann, wenn Eltern einen Konsens finden, etwa die Suchtbelastung und familiären Probleme weiterzuleben, ohne sie öffentlich werden zu lassen. Kinder übernehmen hier teilweise sehr selbstverständlich die Rolle des „Sündenbockes“, in die sie gedrängt werden. „Wenn Anna nicht so viele Probleme in der Schule häte, müsste ich nicht trinken“, lautet die elterliche Logik, teils vom Partner mitgetragen.

Ablenken: Während Dramatisches und Schlimmes passiert, das eigentlich die gesamte Aufmerksamkeit aller erfordert, wird der Fokus auf eigentlich Nebensächliches gerichtet, etwa“Die Kinder haben ihre Pflichten nicht erfüllt, den Essenstisch nicht abgeräumt“ etc.

Und zugleich gehen die Auswirkungen in den belasteten Familien weit über die Kommunikationsstruktur hinaus: die beschriebene Dynamik des Familiengeheimnisses bringt Resonanzmuster hervor, in denen das Eigene teilweise zugunsten der Systemschwingung aufgegeben werden muss. Betroffene spüren von Klein auf, dass sie vor allem im System einen guten Platz finden, wenn sie sind, was das System braucht. Sie leben in erzwungenen Resonanzräumen, in denen sie irgendwann vergessen haben, dass sie eigene Bedürfnisse haben und erfüllen müssen, vergessen, wer sie eigentlich sind… weil sie es schlichtweg vergessen mussten.

Die Frage: Was brauche ich? muss in diesen Fällen als neue Orientierung von Tag zu Tag gestellt werden, die Erfüllung der Bedürfnise kleinschrittig geübt werden. Probieren Sie es vielleicht in der nächsten Woche aus, nehmen Sie diese wichtige Frage als Begleiter mit in Ihre Woche, auch wenn Ihre Eltern oder Partner erkrankt und bedürftig sind…und das ist, wenn Sie zu den Betroffenen erwachsenen Kindern gehören, wirklich eine schwierige Übung!

Eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Leichtigkeit und Schwere haben sich zusammengefügt!“ oder wie Frau N.`s Leben besser gelingt

Menschen mit belasteten Kindheiten warten, nicht nur im Advent. Advent verbinden viele mit dem Warten auf das Licht. Christlich orientierte Menschen warten in der Adventszeit auf den Erlöser, den sie in Christus verkörpert sehen.Menschen mit Kindheitsbelastungen warten auf Heilung, auf ein besseres Leben – oft ist diese Besserung für sie gekoppelt an Veränderung erkrankter Elternteile oder Partner. Sie denken, dass ihr Leben nur besser sein kann, wenn etwa die Mutter aufhört zu trinken, der Vater nicht mehr so depressiv ist u.ä. Damit einher geht meist der Wunsch, dass der kindlich erlebte Mangel, schlechte Erfahrungen doch noch entschädigt werden, endlich Ruhe und Frieden einkehre; andere möchten endlich eine Beziehung erleben, in der sie so geliebt werden wie sind – anders als damals.

Wie haben Menschen es geschafft, die mächtigen Spuren des Gestern dennoch hinter sich zu lassen und heute besser zu leben? Dazu möchte ich Ihnen in den nächsten Wochen einige Menschen vorstellen, die ich auf kreativen Wegen interviewt habe und die auf ihre Weise ihren Weg zu einem besseren Leben schildern. Soviel vorab: Meist hatte das als besser empfundene Leben weniger mit der Veränderung des Angehörigen zu tun…

Beginnen wir mit einer jungen Frau, die ich hier Frau N. nennen möchte. Frau N. hat einen sozialen Studiengang abgeschlossen und ist aus ihrem Elternhaus erst kürzlich ausgezogen. Das war ein großer Schritt für sie. Ihr Vater ist Alkoholiker mit Dauerkonsum, „heimlich und heftig“, wie sie sagt, „mit allen Ausbrüchen  und Auswüchsen, die man sich vorstellen kann“. Auch wenn er immer noch arbeite und ein bekannter Jurist in seiner Heimatsatdt sei: sein Alkohol-Doppelleben sei für die meisten Menschen wohl nicht vorstellbar, auch nicht seine heimische Cholerik. Um ihren Weg von der Zeit vor der Therapie bis heute zu schildern, wählt Frau N. Kunstdrucke, denen sie selbst Namen gibt.

Vor der Therapie „Stürzen“ (Kunstdruck von Frida Karlo)

„Ich war stumm und drohte zu erstarren. Ich hatte lauter ungute Männerbeziehungen und war nicht aus meinem Elternhaus abgelöst, fühlte mich für alles dort zuständig, während mir die Atmosphäre gar nicht gut tat. Ich hatte wenig Selbstbewusstsein, es fühlte sich an, als würde ich demnächst tief stürzen.“

Jetzt:„Dem Gipfel nahe“ (Kunstdruck v. C.D. Friedrich)

„Ich habe sehr viel geschafft, ich bin ausgezogen und viel selbstbewusster. Ich achte auf mich und spüre mich – ich schaue vom Gipfel in eine andere Welt, von der ich früher nur eine Ahnung hatte. Ich freue mich, dass ich das jetzt auch mit einem Partner, der mich achtet, teilen kann. Das ist neu. Ich fühle mich sehr leicht, Leichtigkeit und Schwere haben sich zusammengefügt. Ich habe eine eigene Familie und lebe in einer liebevollen Atmosphäre mit viel Zärtlichkeit, die mir so fremd war. Ich traue mich heute, mich auf mir liebe Menschen einzulassen. Ich habe einen Blick für meinn Leben – früher war ich nur mit meinen Eltern beschäftigt. Ich weiß jetzt, dass ich sie nicht ändern kann und auch nicht zuständig bin. Mir half, dass ich in der Therapie ernst genommen und so wieder achtsam für mich selbst wurde. Ich fühlte mich geschützt und unterstützt – in meiner eigenen Wahrnehmung- das hatte gefehlt.“ (zit. in Anlehnung an Barnowski-Geiser, W. :Hören, was niemand sieht).

Wie gelingt Frau N ihr neues Leben: sie musste etwas zurücklassen, in diesem Fall ihr Elternhaus und die damit verbundene ungute Dauernähe zum Suchtkranken und seinen Ausbrüchen. Sie musste Abstand zu ihrer eigenen Verantwortlichkeit gewinnen und demütig einsehen, dass sie die Situation der Eltern nicht wirklich ändern kann. Sie musste einen Blick für die Leichtigkeit neben der Schwere finden, achtsam für Leichtes werden und wirklich leichter leben.

Einen guten Start in eine  Adventszeit mit wunderbaren Momenten wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

 

Gestalten Sie aktiv Ihre Gefühlslandschaft oder: auch Gefühle haben ihre Geschichte

Manche Menschen kommen verzweifelt in die Therapie: sie haben nun schon mehrere Therapien hinter sich, sie haben ihre Beziehung beendet und einen neuen Job angefangen: sie fühlen sich jedoch weiterhin schlecht und unglücklich. Ihre Lebensqualität empfinden mit „nicht so gut“ milde beurteilt. Oftmals hat die Beeinträchtigung der Lebensqualität ihre Wurzel in der Biografie der Betroffenen, hier in der Geschichte ihrer Gefühle. Versuchen wir es aus neurowissenschaftlicher Sicht vereinfacht zu erklären: unser Gehirn verschaltet sich nutzungsabhängig. Nehmen wir Herrn A: von Beginn seines Lebens an ist er mit viel Angst, Unsicherheit und Sorge aufgewachsen ( seine Eltern waren wenig beziehungsfähig und konnten, insbesondere als  er noch Kleinkind war, wenig feinfühlig auf ihn eingehen ). Man könnte im Modell sagen, dass Herr A.  die Hirnspur „Angst und Sorgen“viel genutzt hat ( natürlich unbewusst und nicht freiwillig!). Aus einem oft genutzten Hirnweg kann eine regelrechte Hirnautobahn im Kopf entstehen: breit, viel befahren und immer bereit, genutzt zu werden. Die positiven Emotionen bleiben vielleicht wenig, bis gar nicht genutzt: sie drohen im unguten Falle zu verkümmern. So auch bei Herrn A., er fühlt sich chronisch schwer und traurig, erlebt sich unbegründet dauerängstlich, sein Leben als „schwer“, ohne , dass es einen wirklichen aktuellen Grund gäbe. Über die Jahre kann aus  Gefühlen unter bestimmten Bedingungen eine dauerhafte Grundstimmung und ein allgemeines Befinden werden: es fühlt sich chronisch nicht gut an.Betroffene glauben dann, dies nie mehr hinter sich lassen zu können, schieben ihre schlechte Dauerstimmung auf ihren „Charakter“ oder glauben, sich noch mehr um ihre Probleme kümmern zu müssen: indem sie sich noch mehr änstigen und sorgen. Herr A. muss also nicht mehr nur in Problemen „wühlen“, wie er es nennt, sondern die Quaität der Leichtigkeit und Inbeschwertheit Raum geben. Kindheitsbelastete drohen, wieder und wieder auf der alten Autobahn der Angst und Sorge zu landen, so auch Herr A. Spätestens dann ist mehr desselben kontraproduktiv: nun müssen neue Wege beschritten werden. Wenn Kindheitsbelastungen bearbeitet wurden, Lebensumstände gewandelt wurden und doch die Lebensqualität beeintrchtigt ist, dann lonht sich „Gefühlsarbeit“. Um aus dem alten Dilemma herauszukommen, ist es nötig:

  • den Mechanismus der „unguten Autobahn“ zu erkennen
  • eigene Gefühle und Stimmungen wahrzunehmen und zu identifizieren,
  • Gefühle neu zu bewerten und einzuordnen
  •  einen Perspektivwechsel vorzunehmen
  • neue Gefühle zu erproben und leben.

Die gute Nachricht für alle chronisch Schlecht-Fühler: Sie können etwas tun, Sie können aktiv Einfluss auf Ihre Stimmung nehmen…und damit meine ich ein zwanghaftes „Positivdenken“ mit Schönfärberei.

Zur Unterstützung empfehle ich zwei auf diese Belastung zugeschnittene Übungen.Um anders zu fühlen (oder auch überhaupt wieder), zeigen sich in meiner therapeutischen Arbeit mit Kindheitsbelasteten als besonders hilfreich:

1  Besser fühlen…Brücken bauen

2 Der Anker im Körper

Diese beiden Methoden möchte ich Ihnen hier zur Selbstanwendung vorstellen. Sprechen Sie diese Arbeit ggf. mit Ihrem Therapeuten ab, machen Sie dies nur, wenn Sie sich gerade stabil genug für neue Erfahrungen fühlen.

Kreative Selbsterfahrung Teil 1 „Brückenbau“

Diese Übung erfordert ein wenig Zeit und einen Ort, an dem Sie ungestört sein können...setzen oder legen Sie sich nun bequem hin. Achten Sie darauf, dass Sie nicht eingeengt werden und ihr Atem frei fließen kann…. Nehmen Sie nur wahr, wie Sie aus- und einatmen…nichts ändern müssen, alles sein lassen..

Wenden Sie sich nun einem Gefühl zu, dass Sie in der letzten Zeit unangenehm erleben ( das kann auch Gefühllosigkeit sein).  Stellen Sie sich vor, dieses Gefühl wäre eine Landschaft… wie sieht es hier aus, wie riecht es, schmeckt es, welche Geräusche sind da, welche Farben sind vorherrschend? Schauen Sie nur von oben auf die Landschaft, gehen Sie nicht hinein…wechseln Sie nun die Gegend….

Wie sieht die für Sie gegenteilige Landschaft aus…wie riecht es schmeckt es, welche Farben sind hier, welche Klänge, welche Menschen? Probieren Sie aus, wie es sich anfühlt, in dieser Landschaft umherzugehen. Wie ändert sich ihr Gang, ihr Körpergefühl, ihr Gangtempo?

Lassen Sie im nächsten Schritt zwischen diesen beiden Landschaften Brücken entstehen: sie können auf dieser Brücke hin- und hergehen und die Landschaften so aufsuchen, wie  Ihnen danach ist. Sie können nun immer, wenn Sie im unguten Gefühl angekommen sind auch auf die andere Seite wechseln. Probieren Sie das ein paar mal hier und jetzt aus.

Indem Sie diese Übung nun öfter anwenden, können Sie das Verknüpfen Ihrer Gefühlswelten unterstützen. Je regelmäßiger Sie dies tun, umso nachhaltiger greift der Veränderungsprozess ( auch hier gilt: Ihr Gehirn ist nutzungsabhängig!).

2 Kreative Selbsterfahrung: Der Anker in meinem Körper

Diese beiden Methoden möchte ich Ihnen hier zur Selbstanwendung vorstellen. Sprechen Sie diese Arbeit ggf. mit Ihrem Therapeuten ab, machen Sie dies nur, wenn Sie sich gerade stabil genug für neue Erfahrungen fühlen.

 Diese Übung erfordert ein wenig Zeit und einen Ort, an dem Sie ungestört sein können...setzen oder legen Sie sich nun bequem hin. Achten Sie darauf, dass Sie nicht eingeengt werden und ihr Atem frei fließen kann…. Nehmen Sie nur wahr, wie Sie aus- und einatmen…nichts ändern müssen, alles sein lassen…Denken Sie nun , wi es sich anfühlt, wenn Sie sich ganz bei sich und mit sich eins fühlen. Vielleicht erinnern Sie auch eine entsprechende Situation. Wie hat sich Ihr Körper angefühlt dabei? An welchem Punkt in Ihrem Körper ist dieses Gefühl zu Hause? Stellen Sie sich nun, wenn diese Vorstellung angenehm ist, vor, wie Sie mit jedem Ausatemzug tiefer in Ihren Körper sinken und seiner inneren Weisheit fplgen. Welche Körperstelle meldet sich, bewerten Sie nicht, auch wenn Ihnen diese Stelle ungewöhnlich erscheint…. Gehen Sie mit Ihrer Achtsamkeit zu diese Stelle: wie fühlt es sich genau an, welche Farben sind hier zu sehen, welche Klänge zu hören? Nur wahrnehmen. Wenn die Stelle gut mit den Händen erreichbar ist, so legen Sie eine Hand über diese Stelle, andernfalls stellen Sie sich eine Hand über dieser Stelle vor. Nehmen Sie die Energie wahr und verbinden sich mit dieser Stelle.

Wiederholen Sie diese Übung, wenn Sie sie angenehm erleben, ab sofort täglich.

Bei aufsteigenden unangenhemen Gefühlen können auch diese, nach einiger Übung im Körper, verortet und gewandelt werden ( z. B. Wut, sitzt heute in meinem Kiefer). Dann mit der stabilisierenden Stelle verbinden ( Wohlfühlstelle, z.B. im Herzen), indem Sie sich vorstellen, die Energie aus der Wohlfühlstelle zur unangenhemen Körperstelle fließen zu lassen- auch eine Brücke, wie in Übung 1 , kann zwischen diesen Stellen imaginiert werden, wenn Sie dies als angenehm erleben. Probieren Sie aus und wandeln Sie so ab, wie es IHnen persönlich entspricht-.

 Eine gute Zeit wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Ihre Erfolgsstrategie… Beziehen Sie Probleme Ihrer Eltern nicht mehr auf sich!

Herrn R.s Vater ist depressiv…solange Herr R. denken kann. Behandlungen vermeidet der Vater, Ärzte und Therapeuten, so denkt der Vater,  machten sein Leiden nur noch schlimmer. Für Herrn R. bedeutet das, „von Kindesbeinen an mit dem Leiden meines Vaters ziemlich alleine dazustehen“ – seine Mutter tat zeitlebens so, als habe der Vater nichts, erzählt er. Sein Vater interessiere sich wenig für ihn, sei vor allem  mit sich selbst beschäftigt und schwermütig. Er wirft seinem Sohn Herrn R. vor, wie gut es ihm doch gehe… während er „vor die Hunde gehe“. Herr R. kann kaum noch abschalten, befürchtet, ähnlich depressiv zu werden wie sein Vater, hat nun Eheprobleme wegen derer er Hilfe sucht. Von seiner Frau fühlt Herr R. sich nicht wirklich geliebt (er hat Angst, dass sie ihn verlasse), seine Kinder beklagen seine Verschlossenheit.

In Gesprächen wird deutlich, das Herr R. bis heute annimmt, das Verhalten seines Vaters ginge auf ihn zurück. Er sei nicht der Sohn, den der Vater sich gewünscht habe. Er sei kein guter Gesprächspartner und hätte sich noch viel stärker engagieren sollen, dem Vater zu helfen. Er hätte wahrscheinlich nie aus dem Elternhaus ausziehen dürfen, vermutet Herr R.

Herr R. bezieht die Krankheit seines  Vaters auf sich. Er glaubt, die Depression des Vaters hätte grundlegend etwas mit ihm zu tun, sei letztlich durch ihn verursacht. Der Vater sei so, weil er, Herr R. nicht interessant, nicht kooperativ , nicht klug genug sei usw. Dies ist nicht ein „schrulliger Zug“ des Herrn R., wie vielleicht manch einer annehmen könnte, sondern eine schwere Belastung aus KIndheitstagen: da er seit Kindestagen mit der Erkrankung des Vaters belastet wird und mit dieser Belastung alleine gelassen wird, aktivieren sich seine kindlichen Erklärungen wiederholt (Geiser-Heinrichs 2017)

Eltern haben ihre Probleme in 99% aller Fälle unabhängig von ihren Kindern – dies ist wichtig zu erkennen. Der Vater ist depressiv, die Mutter trinkt. Punkt! Die Eltern haben alle damit verbundenen Probleme –  Kinder sind mitbetroffen und fühlen sich verständlicherweise diesen Krankheiten gegenüber ohnmächtig. Sie haben die Erkrankung aber nicht verursacht – ihre übernommene Verantwortung liegt meist im Verborgenen und ist den erwachsenen Kindern oftmals zunächst ebensowenig  bewusst wie die übernommene Schuld.

Wie kommt es, dass viele Kinder sich für die Krankheit der Eltern verantwortlich fühlen? Versuchen wir zu verstehen, wie es zu diesem Mechanismus kommen kann, indem wir Entwicklungspsychologie und Neurowissenschaften zu Rate ziehen: Kinder machen unterschiedliche Entwicklungsstadien durch. Im Kindesalter durchlaufen sie eine Phase, die Psychologen auch als Phase des Egozentrismus bezeichnen (Piaget). Kinder glauben in diesem Alter, alles erschaffen zu können und für alles, was um sie herum passiert, verantwortlich zu sein. Bei Streitigkeiten der Eltern etwa fragen sich Kinder, welchen Grund es dafür  wohl gibt. Da das Kind noch nicht in der Lage ist, Beziehungskonflikte und Probleme der Eltern tiefergehend zu durchschauen, gibt es sich selbst daran die Schuld. Unangemessenes Handeln der Eltern, das mit bestimmten Krankheiten wie Sucht oder Beziehungsproblemen zusammenhängt,  beziehen die Kinder auf sich (Geiser-Heinrichs/Barnowski-Geiser 2017). Halten diese Probleme über viele Jahre an, so wird diese dauernd genutzte Hirnspur „Ich bin verantwortlich für unsere familiären Probleme“, bis hin zum „Ich bin schuld am So-Sein, an der Krankheit meiner Eltern“ zu einer breiten vielbefahrenen Hirn-Autobahn, wie es die Neurowissenschaftler vereinfachend erklären (Hüther). Da die entstandenen Probleme von Kindern nicht befriedigend bewältigt werden können, resultiert daraus in der Folge meist ein herabgesetzter Selbstwert: ein grundlegendes Gefühl der Unzulänglichkeit sowie das Gefühl, überhaupt nicht liebenswert zu sein. Im ungünstigen Falle entsteht ein Lebensproblem, das mit in die nächste Beziehung genommen wird und sogar die neu gegründete Familie, wie im Falle von Herrn R., nachhaltig negativ beeinflussen kann. „Ich bezieh  nicht mehr alles auf mich“, kann ein wichtiger Schritt sein zu mehr Lebens-und Beziehungsqualität sein. Damit aus dieser Aussage eine gelebte Haltung wird, muss sie täglich, wie beim Sport, eingeübt werden: damit einen neue Hirnspur langsam aufgebaut wird, um im Bild zu bleiben, zu einer neuen Hirnautobahn werden kann. Oft hilft es, einen mantraartigen Satz zu formulieren und diesen zu wiederholen.

Eine schwere elterliche Erkrankung ist schwer auszuhalten. Viele Kinder fühlen sich ohnmächtig ausgeliefert, bis ins hohe Erwachsenenalter. Erst das Eingestehen der Ohnmacht, gerade wenn die unmittelbare Belastung vorbei ist (die erwachsenen Kinder Kontakt zu den Eltern und Dosierung des Kontaktes selbst bestimmen können), erlaubt es jedoch, aus dem Anstrengungs-Hamsterrad auszusteigen. Da Ohnmacht so schwer zu ertragen ist, erscheint der „Verursacherglaube“ der erwachsen gewordenen Kinder in manchen scheinbar als leichtere Wahl (diese Wahl wird jedoch unbewusst getroffen), gibt es doch hier einen aktiven Anteil, eine scheinbare Gestaltungsmöglichkeit. Ein Trugschluss: das Abarbeiten an der Krankheit, der Wunsch, die Krankheit zu besiegen und elterliche Liebe, „gesehen werden wie man wirklich ist“, endlich zu bekommen, werden leicht zum Sysiphos-Projekt. Ein Reset, ein zurück auf Null, tut hier oft gut: die elterlichen Probleme nicht mehr auf sich beziehen. Dabei unterstützt, den Kopf zu Hilfe zu nehmen und innerlich deutlich Stop zu sagen, wenn das Kreisen um Schuld einsetzt.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser


Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) und Meine schwierige Mutter (gemeinsam mit ihrer Tochter Maren) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms.

Hoffnung: „Wann reißt der Himmel auf?“

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Wenn Menschen mit Angehörigen aufwachsen, die chronisch erkrankt sind, oftmals durch ihre gesamte Kindheit hindurch und manchmal noch weit darüber hinaus, dann fühlt sich das Leben an, so beschreiben es betroffene erwachsene Kinder, wie ein endloser Sumpf, aus dem es nie mehr ein Entkommen zu geben scheint.Ob diese elterliche Erkrankung das Etikett „Sucht“, „manisch-depressiv“ oder „Kriegstrauma“ trägt: Diese mitbetroffenen Kinder fühlen sich oftmals hoffnungslos. Ihre erlebte Ohnmacht und die gefühlte Hilflosigkeit gegenüber der elterlichen Krankheit ( sowie auch ihren „am eigenen Leibe“ hautnah alltäglich erlebten Folgen) wirken endlos. Dieses dauerhafte Erleben beeinflusst, wie Betroffene ihre Welt sehen und wie sie künftig auf diese zugehen werden. Ihre persönliche Glücksdefinition ist davon geprägt, und lautet etwa:

Mein Leben wäre prima, wenn meine Eltern nicht mehr krank wären…oder:

Wenn meine Mutter nicht mehr trinkt, erst dann (und nur dann), kann ich glücklich sein.

Wenn mein Vater sich endlich seine Kriegs-Traumatisierungen in einer Therapie ansieht, dann wird es endlich auch für mich besser…

Die Erfahrung zeigt: solange diese Kinder auch als Erwachsene ihr Glück und Wohlergehen von der Gesundheit oder Krankheit ihrer Eltern abhängig machen, solange finden sie selbst kaum Frieden und Glück. Erst wenn das eigene Leben, ein Recht auf eigene Bedürfnisse und ein recht auf eigenes Glück, ohne den erkrankten Elternteil, in den Vordergund rücken kann, „reißt der Himmel“ auch für sie, um im Bild zu bleiben, ein Stück auf.

Der Song der Gruppe Silbermond kann eine gute Hilfe sein, über die Frage des Lebensglücks nachzusinnen. Viele Betroffene beschreiben es so oder änhlich: Als ich die Krankheit meiner Eltern ein Stück loslassen konnte, diese nicht mehr kontrollierte und sie auch nicht mehr besiegen musste, erst dann gewann ich selbst mehr Lebensqualität.

Es gibt also eine Aussicht auf ein besseres Leben: unabhängig davon, ob Ihr Elternteil weiter trinkt, weiter psychisch erkrankt ist usw. Geben Sie Ihre Hoffnung nicht auf, ändern Sie dort etwas, wo sie es können: bei sich selbst!

Vielleicht beginnen Sie in dieser Woche damit, den Himmel zu beobachten…einfach so!

Hier ein Link zum Video der Gruppe Silbermond

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche,

Ihre Waltraut Barnowski-Geiser

Unterschätzt und übersehen: die Stärken der Suchtkinder

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Kinder aus Suchtfamilien, und das wurde die längste Zeit (sogar in Forschungsaktivitäten jüngerer Zeit) sträflich übersehen, entwickeln auch besondere Stärken. Diese Stärken zeichnen die betroffenen Kinder in besonderer Weise aus; sie sind ihnen jedoch meist selbst wenig bewusst. Da sie für Ihre besonderen Leistungen in ihren Familien kaum Anerkennung erhielten, sogar eher zum Sündenbock gestempelt wurden, ist ihnen der Zugang zu ihren Stärken oft verwehrt: sie übersehen diese als Erwachsene so, wie sie es im Kindesalter durch die eigenen Eltern erfahren haben. Die betroffenen Kinder geraten in eine Tabu-Stärkenfresserspirale. In der elterlichen Scham über das eigene Unvermögen, elterliche Fürsorge angemessen und dauerhaft anzubieten, sondern diese viel zu früh an das Kind delegiert zu haben, fällt die alltägliche Höchstleistung des Kindes unter den Tisch. Es beginnt eine Negativspirale in einer verquer anmutenden familiären Dynamik: Keine (Sucht)-Erkrankung, kein elterliches Versagen, kein Leiden und folglich keine besondere Leistungen der Kinder. Über Jahrzehnte gelebt, wird diese Spirale Teil der Selbstzuschreibung der Kinder: das erwachsene Suchtkind leistet und leistet, und bewertet das in vertrauter Manier: „Ich habe doch gar nichts gemacht!“ Kommen dann noch entsprechende Partner, Arbeitskollegen oder Chefs dazu, wiederholt sich die Tabu-Stärkenfresserspirale allzu ungut.Die Tabu-Stärkenfresserspirale tritt auch bei anderen elterlichen Erkranungenauf, die mit Tabusisierung einhergehen ( z.B. elterliche psychische Erkrankung, elterliche Traumatisierung etc.)

Wenn gestern nicht einfach vorbei ist… Schwierige Kindheitstage trotzdem überwinden!

Wenn Menschen als Kinder in ihren Familien Ungutes erlebt haben, und das oftmals über Jahre hinweg, manchmal von Geburt an, dann trifft der Ausspruch „Vorbei ist vorbei!“ bei ihnen oftmals einen sehr empfindlichen Nerv. So wahr diese Aussage, (oftmals von Angehörigen oder Freunden sogar durchaus gut gemeint) auch an den aktuellen Fakten gemessen sein mag, so wenig hilft sie Betroffenen: denn ihr tägliches Erleben ist ein anderes. Sie fühlen sich oftmals innerlich, scheinbar grundlos, ängstlich, überfordert und hilflos, und das, obwohl sie im Außen oftmals Ungeheures leisten.

Was passiert genau bei diesen Menschen? Lassen Sie uns, um das genauer zu verstehen, neurowissenschaftliche Erkenntnisse zu Rate ziehen. Wir wissen heute (und natürlich sind Beschreibungen für diese hochkomplexen Vorgänge zwangsläufig sehr vereinfachend), dass unser Gehirn sich so aufbaut, wie es genutzt wird. Die Verschaltung der Synapsen ist also nutzungsabhängig,  bestimmt von anschwellenden und abschwellenden Erregungspotenzialen. Das gilt auch, so beschreibt es etwa Gerald Hüther in seinem Buch „Biologie der Angst“, für emotionale Verschaltungen. Wenn also ein Kind in eine Familie hineingeboren wird, in der die Eltern große eigene Probleme haben, dann wird es schon als Säugling viel davon mitbekommen, dazu in Resonanz gehen. Wir wissen heute aus entwicklungspsychologischen Forschungen, dass schon Säuglinge viel mehr wahrnehmen als wir je angenommen haben: auch Atmosphären, Stimmungen, Emotionen. Stellen wir uns eine Familie vor: vielleicht  lebt hier ein suchtkranker Vater, der, wenn er trinkt laut wird und Streit anfängt, täglich über sich die Kontrolle verliert und eine Mutter, die sich liebevoll um ihr Baby kümmert, aber durch die Probleme mit dem Ehemann gereizt und an ihren Grenzen der Belastbarkeit angekommen ist: all dies wird ihr Baby mitbekommen, Angst und Schrecken gleichsam mit der Muttermilch aufsaugen. Auf das Wahrgenommene kann das Baby unterschiedlich reagieren: eine Möglichkeit zu reagieren kann sein, Angst zu entwickeln. Aus dieser befeuerten Hirnspur der ersten Lebensmonate, der verschalteten Synapsenspur der Angst, wird leicht ein breiterer Hirnweg, wenn er künftig täglich genutzt wird. Wird, um im Bild zu bleiben, die Angstspur lange Zeit und wiederholt gefahren (etwa weil die Sucht und die damit vorhandenen familiären Probleme stärker werden),kann sie zu einem breiten Trampelpfad, einer regelrechten Hirnautobahn werden. Wird diese Autobahn über Jahre, gar Jahrzehnte so weiter genutzt, dann kann es passieren, dass unser Säugling, nennen wir ihn hier Suchtkind, auch als erwachsene Frau mit 40 oder gar 60 Jahren alltäglich auf dieser Angstautobahn fährt. Sie hat den Eindruck, gar nicht anders fahren zu können. Scheinbar hat sie grundlos Angst, gibt es doch aktuell gar keinen Anlass zu Ängsten und Sorgen. Frau Suchtkind fühlt sich nun ihren Gefühlen hilflos aufgeliefert.Doch das heutige Gefühl ist nicht sinnlos, auch wenn Frau Suchtkind es berechtigter Weise als unangenehm empfindet: dieses Gefühl macht unsere Frau Suchtkind darauf aufmerksam, dass das früh als Kind Erlebte heute Hinwendung und Zuwendung verlangt.

Nicht mehr Fühlen – auch ein (Paar)-Problem
So wie sich Frau Suchtkind ständig sorgt und ängstigt, gibt es andere Menschen mit unguten Kindheitserfahrungen, die andere Bewältigungsstrategien gefunden haben: sie fühlen nicht mehr. Gefühle, das haben sie bemerkt, sind ungeheuer schmerzhaft. Damit soll Schluss sein! Sie wollen sich nicht mehr erschüttern lassen. Dieser Vorgang läuft nicht bewusst ab, sondern ist oftmals ein Schutzmechanismus der Seele, den Betroffene selbst nicht einmal bemerken,Oftmals bemerken sie erst erst durch die Rückmeldungen von anderen, dass etwas problematisch und nicht ganz in Ordnung ist. Die Partnerin etwa drängt: „Mach mal Therapie, ich komme nicht an dich heran!“ Eine neuerliche Verzweiflung. Sich mit diesen schlimmen Erfahrungen auf einen fremden Menschen einlassen, gar einen Therapeuten, wo sich Betroffene selbst schon manchmal fragen, ob mit ihnen noch alles stimmt. Dann besser nichts machen! Und nun stecken sie fest. Derart Betroffene und ihre Partner stecken oft in Krisen fest, die von großer Sprach-und Hilflosigkeit gezeichnet sind. Neben Angst und Gefühllosigkeit, Scham und Schuld, leidet dann mit der Zeit vor allem eines: das eigene Selbstwertgefühl. Die Lebensqualität leidet, Betroffene bleiben unter ihren eigenen Möglichkeiten zurück- sie sind unzufrieden, fühlen sich diffus unzulänglich – ihr Umfeld leidet oft mit.Und wieder droht eine Familie unglücklich zu werden, so wie es die Betroffenen aus ihrer Herkunftsfamilie kennen- und gerade das wollten sie in ihrem Leben doch unbedingt vermeiden. Ein Teufelskreis.

Der erste Schritt aus dem Dilemma
Was kann aus diesem Dilemma heraushelfen? Der erste Schritt ist der schwierigste: er bedeutet, wahrzunehmen, was wirklich los ist. Dazu gehört viel Mut. Vielleicht brauchen Sie dabei Unterstützung. Einen Menschen, der die Belastungen, die sie getragen haben, würdigen kann, aber der auch mit ihnen einen Blick auf Ihre Stärken und das, was sie bis heute geschafft haben, werfen kann.  Die Würdigung der Belastungserfahrung und die Würdigung der eigenen Stärken, die sie aus und in diesen Krisen entwickelt haben, beschrieben Menschen in meinen efragungen als einen der wichtigsten Hilfefaktoren, sich besser und entlasteter zu fühlen (Barnowski-Geiser (2015): Vater, Mutter, Sucht). Kreative Wege eröffnen Möglichkeiten, sich diesen Stärken anzunähern. Sie ermöglichen uns, neue Hirnspuren zu ebnen und Abfahrten von der alten Autobahn. Da folgt der zweite Schritt, der im Angesicht von schwierigen Kindheitserfahrungen zugegeben sehr schwer ist: Sie müssen an die Möglichkeit der eigenen Veränderung glauben!