Neue Rezension „Vererbtes Schicksal“

Die Wunden und Traumata unserer Vorfahren spielen in unser Leben? Ja, das ist inzwischen durch Forschung hinlänglich bekannt. Wie wir uns von den Wunden unserer Vorfahren im Heute selbst befreien können, damit beschäftigt sich im besonderen Psychotherapeutin Sabine Lück in ihrem Fachbuch, mit vielen Anleitungen zur Selbsthilfe. Für die Stiftung Zu-Wendung für KInder habe ich das Buch rezensiert. Lesen Sie hier

Einen guten Sommer wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Sie möchten sich selbst endlich besser verstehen?

Auf den Spuren der eigenen Identität begegnen uns auch Menschen, an die wir uns nicht gern erinnern…

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Viele Erwachsene aus belasteten Familien entdecken irgendwann an sich selbst Verhaltensweisen oder Stimmungslagen, in denen sie sich nicht verstehen. Sie fühlen sich etwa grundlos traurig, wertlos, obwohl sie eigentlich viel leisten, sie beobachten an sich Suchtverhalten, dass sie doch so unbedingt vermeiden wollten, in dem Anspruch, bloß nicht so zu werden wie Vater oder Mutter. Tragisch zu beobachten, wie sich Belastungen in bestimmten Familien verdichten und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Kinder aus Suchtfamilien haben ein um sechsfach erhöhtes Risiko selbst an einer Suchterkrankung zu erkranken gegenüber Kindern nichtsüchtiger Eltern. So sehen wir, dass oftmals Großvater, Vater und Sohn Alkoholiker sind etc. Ebenso gibt es ein hohes Risiko für andere psychische Eigenerkrankungen, so etwa für Töchter von Alkoholikern ein hohes Risiko für Essstörungen. Jeder Erwachsene aus einer belasteten Familie bewegt sich zwischen Chance und Risiko: die Kette der Weitergabe der Sucht (Transmission) unhinterfragt fortzusetzen oder die Weitergabe der familiären Dynamik zu durchbrechen. Dies gelingt u.a. dadurch,  dass familiäre Tabus, verleugnete Gefühle und die spezifische Dynamik endlich zur Sprache kommen können. Meist können diese erwachsenen Kinder sich selbst in ihrem „So-Sein“ erst dann verstehen, wenn sie es gewagt haben, in den Ihnen wie ein Abgrund erscheinenden familiären Kontext ihrer Kindheitstage zu blicken. Oft erst dann, wenn die Spuren dieser Tage verstanden und entdeckt sind, wird Veränderung möglich.

„Ich möchte dazugehören“- die Sehnsucht der Kindheitsbelasteten

Menschen aus belasteten Familien fühlen sich oftmals einsam und nicht zughörig. Zugehörigkeit zu finden wird dann eine bestimmende Lebensaufgabe. Oftmals haben diese Gefühle ihre Wurzeln in Kindheitstagen. Familien, die im Tabu gefangen sind, entwickeln eine eigene Dynamik. Die familiäre Wahrnehmung wird so ausgerichtet, dass das Tabu und die Täuschung in jedem Fall  aufrecht erhalten werden kann. Daran arbeiten alle Familienmitglieder mit, dieser Prozess läuft meist unbewusst ab. Besonders tragisch gestaltet er sich für all diejenigen, die sich in ihrer Familie um das Aussprechen der Wahrheit bemühen. Da sich das tabuisierende System bedroht fühlt, geraten diejenigen Familienmitglieder, die um Wahrhaftigkeit ringen, an den Rand des Systems: sie gelten als Sündenböcke, als Verräter, paradoxer Weise sogar als „nicht richtig“, „nicht glaubwürdig“. Wenn dieser Prozess über wichtige Jahre in der Kindheit anhält, wird die familiäre Fremdzuschreibung den betroffenen Familienmitgliedern zur eigenen Sicht, sozusagen zur zweiten Haut. MIt dieser Selbstzuschreibung gehen sie künftig in andere Systeme Gruppen, in Klassengemeinschaften, in eigene Familienbeziehungen usw.: ein zu schwerer kindlicher Rucksack, der kaum alleine zu tragen ist!

An diesem Punkt brauchen derart belastete Menschen andere Menschen: Menschen, die wohlwollend mit ihnen auf ihre Wahrnehmung schauen, die stärkend in ihrem Rücken sind, die aufmerksam zu-und  hinhören. Manchmal ist es dann auch an der Zeit, therapeutische Hilfe zu suchen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Sommerzeit mit lieben Menschen an Ihrer Seite und vielen schönen Momenten,

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Trauma, Krankheit, Scham: ein ungutes Trio

Erwachsene aus belasteten Familien kennen es nur zu gut: die Vergangenheit wirkt bis ins Heute nach, ohne, dass Betroffene oft genau wissen, warum: was ist eigentlich passiert? Warum reagieren sie in manchen Situationen sonderbar, verstört, rückzüglich, ängstlich…oftmals haben sie Traumatisches erlebt. Trauma, das massive Spuren hinterlassen hat, sodass Betroffene es verdrängen mussten. Ähnliches wird eindrücklich nachgezeichnet im Film „Auf dem Grund“. Die familiären Beziehungen sind nachhaltig durch das Trauma geprägt, Krankheitsscham verhindert, um Hilfe zu ersuchen, alle in der Familie leiden: bis Protagonistin Anne ein lang zurückliegendes Familiengeheimnis aufdeckt. HIer habe ich den Film für die Stiftung „Zu-Wendung für Kinder“ unter diesen Aspekten ein wenig näher beleuchtet.

Unfreiwillige Kinderhelden

Wenn Kinder in Suchtfamilien hineingeboren werden, so trifft  sie dies unvorbereitet: während  Sportler sich auf Höchstleistungen jahrelang vorbereiten, werden Kinder unvorbereitet mit Extremen einer Suchtfamilie konfrontiert, die sie einfach „irgendwie“ bewältigen müssen. Wenn süchtige Extrem-Belastung durch nahe Angehörige ihr Leben durchzieht, ist eine Bewältigungsstrategie, die meist unterbewusst abläuft, eine Rolle zu übernehmen.  Manche Kinder leisten dann dauerhaft schier Übermenschliches, sie gleichen „Superman“ – und bekommen für dieses Leistungen in ihren Familien leider kaum Anerkennung. Andere werden zu einer „Mutter Tereza“ oder einem „Robin Hood“. Andere werden zum einsamen „Mogli“, oder zur ständig kontrollierenden und Geheimnisse entdeckenden „Miss Marple“. Diese Rollen sind nur leider kein Spiel, sondern notwendiges Korsett, das sich nur noch schwer ablegen lässt.

Zugleich entwickeln  Betroffene in diesen Rollen spezifische Stärken, die sie im Besonderen auszeichnen – für die sie selbst  jedoch meist wenig Wertschätzung besitzen ( Spezifischer Rollen-Selbsttest und Stärkenmodell in Barnowski-Geiser: Vater, Mutter, Sucht 2019).

Wenn Sie Ihren Rollen, Stärken und Fallen auf die Spur kommen möchten, ist es wichtig , sich mit anderen zu verbinden. Gerade auch jetzt in der Coronazeit. Teils berichten Betroffene von guten Erfahrungen mit Chats, Videotreffen etc., Nacoa Berlin startet am 14. Februar wieder eine Aktionswoche, um auf die Situation von Suchtkindern aufmerksam zu machen. Vielleicht klicken Sie auch dort mal rein und können feststellen: ich bin nicht allein mit meinem Problem.

Eine gute Zeit und Gesundheit wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Angst, meine Kindheit,Corona und ich

Angst ist in diesen Krisentagen weit verbreitet. Sehen wir Angst zunächst als  ein Gefühl, das primär unserem Schutz dient. Ausprägung und Stärke der Angst, der Umgang mit der CoronaKrise und ihren Folgen, ist individuell. Bei jedem Menschen fallen Krisen und die damit auftretenden Ängste auf einen biografischen Boden: jede/r hat Unterschiedliches erlebt und auf unterschiedliche Weise bewältigt. Was wir in unserem Leben erfahren haben und unser Umgang damit, bestimmt, wie wir auf neue Situationen zugehen. Unser Umgang mit der aktuellen Corona-Krise ist bestimmt durch vorhergehende Krisenerfahrungen. Menschen mit frühen und dauerhaften belastenden Erfahrungen in ihren Familien sind somit geprägt: sie entwickeln teils große Ängste, wenn Situationen unkontrollierbar erscheinen und sie auf deren Verlauf offensichtlich keinen Einfluss haben. Zugleich haben belastete Kinder auch besondere Stärken und Copings entwickelt, die sie im Jetzt unterstützen können- die Zugänge zu diesen Krisenhelfern sind ihnen teils abhanden gekommen, in Vergessenheit geraten oder unter ängstlicher Erstarrung verschütt gegangen.

Was Krisen, Stress, Gefühle und das Gehirn miteinander zu tun haben

Die schlechte Nachricht, die Ihnen als Betroffene sicher bereits bekannt ist, vorab: Kinder, die dauerhaft Krisen  ihrer belasteten Familien ausgesetzt sind, können massive Folgen davontragen; diese Folgen sind teils messbar an ihrem Serum-Cortisolspiegel und in Hirnstrukturen,  können sie doch neuronale Strukturen des Hippocampus, der Amygdala sowie des Corpus Callosum zerstören. Verursacht werden zum Teil organisch begründbare Regulationsstörungen, später auch komplexe Störungen von Lernen, Emotionen und Verhalten (Trost 2003). Auch wenn dieser Zusammenhang von neuronaler Schädigung für betroffene Kinder in quantitativen Untersuchungen noch nicht hinreichend untersucht ist, muss vermutet werden, dass Gehirne von Kindern aus belasteten Familien durch das emotionale Klima ihrer Familien stark geprägt sind. Es steht zu befürchten, dass lang andauernde wiederholte Belastungen der familiären Umwelt neuronal entsprechend verankert werden und diese‚ emotionalen Straßen’ auch dann aufgesucht werden, wenn es nicht mehr von Nöten ist. Dies zeigte sich bei denjenigen erwachsenen Personen, die bis ins hohe Alter keine Auflösung des familiären Tabus erfahren hatten, bei denen sich etwa Suchtbelastung durch etliche Jahrzehnte zog und auch im Erwachsenenalter lebensbestimmend blieb. Es scheint in diesem Fall schwer zu sein, eingefahrene Hirnstraßen zu verlassen (etwa die der Angst und Ohnmacht) und neue Straßen (Freude,Hoffnung etc.) zu befahren. Damit kann ein wesentlicher Faktor zur Orientierung in der Welt durch das familiäre Erleben maßgeblich negativ beeinflusst werden.

Vererbt durch die Generationen?

Sogar genetisch scheinen diese Erfahrungen Spuren zu hinterlassen (In jüngerer Zeit wurde an Mäusen nachgewiesen, dass die Gene bei Nachkommen traumatisierter Mütter in Mitleidenschaft gezogen waren; sie zeigten sich als weniger Stressresistent und verzweifelter in eigenen Krisensituationen). „Muss ich das auch noch wissen?“, denken Sie nun vielleicht,“ das ist doch nur traurig. Ich finde, ja, sie sollten das wissen, um sich selbst ein Stück besser zu verstehen und sich in Ihrem „So-Sein“ annehmen und nicht noch zusätzlich abwerten, als „Weichei, Mimose, Versager“. Erst, wenn wir verstehen, warum wir wurden, wie wir sind, können wir besser neue Krisen bewältigen, einen Zugang zu unserer wahren Identität bekommen: im anderen Falle, wenn wir Altes unerkannt abspalten, drohen wir uns selbst fremd zu bleiben und in alten, ungünstigen Krisencopings ( zum Beispiel dem Erstarren) feststecken zu bleiben. Angst ist ein Signalgeber, im besten Fall Wachrüttler.

Hirne sind nutzungsabhängig: warum Kinder mit familiärer Belastung leicht ängstlich werden

Schauen wir weiter aus neurowissenschaftlicher Perspektive. Versuchte Erklärungen müssen im Angesicht der hochkomplizierten  Vorgänge in unseren Hirnen unverschämte Vereinfachungen bleiben…versuchen wir dennoch eine Annäherung: Außenwelt hinterlässt Spuren in der Innenwelt. Neurologisch spricht man hierbei von inneren Repräsentationen der Außenwelt. Auch die Repräsentationen unserer Gefühlswelt (neurowissenschaftlichen Untersuchungen u.a. von Braun, Spitzer) spiegeln  erlebte Erfahrungen. Unsere Gefühlswelt ist erlernt, vor allem in sozialer Erfahrung. Befinden, Stimmungen und Gefühle sind bei Kindern aus belasteten Familien stark in Mitleidenschaft gezogen. Kinder lernen etwa: „Wenn Papa trinkt, gibt es Ärger für mich!“ Wird diese Erfahrung wiederholt gemacht, wird diese Erfahrung auch neuronal verschaltet: sie bildet eine Hirnspur. Je öfter diese Erfahrung gemacht werden, umso tiefer gräbt sich diese Spur im Hirn ein, sprich: Kinder entwickeln Ängste ( eine Hirnautobahn „Angst“) und weitere mit diesem Erleben verbundene Gefühle werden nutzungsabhängig verschaltet. Aus dem Kind, das in einer Szene Angst hat, wird bei dauerhafter Wiederholung, leicht ein überängstliches Kind: insbesondere dann, wenn, wie oft in tabuisierenden Familien, das Gefühl des Kindes nicht benannt und besprochen werden darf, das Kind folglich keine angemessene Unterstützung in Form von Trost oder Halt erfährt.

Kindheit prägt unser Erleben als Erwachsene

Das Befinden Betroffener wird durch dieses kindliche Krisenerleben geprägt, das Gehirn entsprechend gebaut – auch als Erwachsene, wenn das Elternhaus längst verlassen wurde, sind diese grundlegenden Verschaltungen angelegt. Es ist also nachvollziehbar, dass ein in der Kindheit entsprechend „verschalteter“ Erwachsener, der die Spur Angst zu einer regelrechten Autobahn im Kopf entwickelt hat (Formulierung in Anlehnung an Hüther), auch als Erwachsener schnell auf eben dieser Autobahn landet. Denkweisen, Selbstbild, Körpererfahrung usw. sind neuronal verschaltet: sie bilden ein Erlebens- Panorama im Jetzt, das im familiären System erlernt wurde.

Denken wir die vorangestellten Forschungen für Erwachsene aus belasteten Familien weiter, so wird deutlich:

  • es besteht ein Zusammenhang zwischen emotionalen Belastungen in Kindheitstagen und emotionaler Befindlichkeit im Erwachsenenalter
  • es besteht ein Zusammenhang von wiederholten stressenden Kindheitserfahrungen und chronischen/schweren Erkrankungen im Erwachsenenalter.

Eine große Belastung der Lebensqualität von Menschen mit belasteter Kindheit erscheint  evident. Somit stellt die aktuelle Corona-Krise neben medizinisch-alltäglichen Überlegungen insbesondere Menschen mit Kindheitsbelastungen vor große psychische Herausforderungen – .

„Help…I need somebody“

Fasst man die vorab geschilderten Forschungsergebnisse zusammen, so sind die Belastungen und Folgen bei Kindheitsbelastungen hoch einzustufen. Und dennoch eine gute Nachricht aus der Forschung:  es gibt Stärkendes! Widerstandskräfte, die uns schützen, sogenannte Resilienzen. Resilienzen sind also das, was uns stark macht.  Resilienzen sorgen dafür, dass viele Menschen mit Kindheitsbelastungen eben auch nicht erkranken. Eine bedeutsame stabile Beziehung im Umfeld eines aufwachsenden Kindes ist eine solch hochwirksame Resilienz. Sind Erkrankungen vorhanden, zeigten sich etwa Meditation und soziale Anbindung als hochwirksam. Vernetzen und andere Menschen mit ins Boot Holen zeigt in allen Lebensphasen Wirkung. Nervensystem und Immunsystem können einander verständigen, dies können wir für uns nutzen. Decartes Dualismus hat lange Medizin bestimmt. Aber neuere Forschungen überprüfen, wie Gehirn und Immunsystem zusammenhängen und es wird deutlich: sie sind in ständigem Austausch. Ein gestresstes Gehirn beeinflusst das Immunsystem, somit gilt auch die Umkehrung: ein entspanntes Gehirn entlastet den Körper. Körper und Geist sind eine Einheit, was ganzheitliche, integrative, leiborientierte, kreative und komplementär-Medizin für Betroffene auf den Plan ruft. Basis bildet weiterhin die Schulmedizin. Gute Erfolge ließen sich auch durch kognitive Umstrukturierung erzielen, also problematische, dysfunktionale Gedanken, etwa durch einen anderen Gedanken zu ersetzen ( wie es in einigen Religionen und Philosophien auch seit Jahrtausenden gelehrt wird)…  Selbstheilung können Sie aktiv unterstützen. Sogar ein EEG kann signifikant verändert werden. Sie können durch Ihre Lebens-und Denkweise Einfluss nehmen.

Ein wichtiger Faktor: eine soziale Umgebung, ein Feld der Hoffnung (gerade dürfen wir auf einen Impfstoff hoffen) und Zuwendung (teils Liebe genannt), im Idealfall im eigenen Zuhause. Der Satz: „Ich kann gesund werden!“, oder: „Ich kann meine Kindheitswunden überwinden!“ gehört zur hochwirksamen Einstellung, die Veränderung und damit Wege aus der erstarrten Angst möglich werden läßt. Hilfe für Betroffene muss individuell erfolgen, spezifisch zugeschnitten sein: sie benötigt mindestens einen wohlwollenden Anderen. Immer sollte sie Anregung zur Selbsttätigkeit beinhalten (hierzu auch das AWOKADO-Selbsthilfe-Programm in Vater, Mutter, Sucht 2015 und Meine schwierige Mutter 2017).

Das hilft
Glauben wir den Erkenntnissen der Psychoneuroimmunologie, so helfen Krisenkindern bei der schwierigen Bewältigung vor allem: Optimismus, stabile Sozialkontakte, ein  Alltag mit guten Erfahrungen sowie körperliche Nähe.

Der in der Kapitelüberschrift verwendete Oldie der Beatles bringt auf den Punkt, was wir Kindheitsbelastungen, Stimmungs-und Befindlichkeitstörungen entgegensetzen können: Hilfe suchen und annehmen, die Verbindung und Zuwendung von anderen, nahestehenden Menschen…die entstehende Überlastung im Beruf würdigen und zunehmend mehr Menschen müssen sich eingestehen, dass längst nicht mehr alles schaffbar ist, bestimmt nicht alles wir früher, perfekt laufen kann- nur, so gut es eben geht.  Vielleicht schreiben Sie anderen hier, indem Sie die Kommentarfunktion nutzen, wie Sie es gerade schaffen trotz Corona-Krise, vielleicht trotz Ihrer Angst – ich freue mich, von Ihnen zu lesen.

Bleiben Sie gesund und behalten Sie bei aller nötigen Hygiene vor allem auch Ihre Seele im Blick,

bis ganz bald

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Berechtigte Hoffnung oder Irrglaube: Ist es wirklich nie zu spät für eine glueckliche Kindheit?

In dieser Woche möchte ich mit Ihnen einer wichtigen Fragestellung folgen: Kann man eine glückliche Kindheit als Erwachsener nachholen? Diese Versprechung soll zumindest den Versprechungen einiger Autoren und Seminarleitern zufolge, zu jeder Zeit einzulösen sein. Ben Furmann benannte sein Buch nach dieser Aussage…und wollte wohl vor allem Hoffnung machen. Jedoch: Wenn es möglich wäre, glückliche Kindheit nachzuholen, dann beinhaltete das doch unendliche Möglichkeiten…Vergangenes Leid wäre demnach in der Gegenwart zu verwandeln, Glück wäre machbar. Ist es wirklich nie zu spät für eine glückliche Kindheit? Machen Sie etwas falsch, wenn Sie sich aktuell nicht gut fühlen? Die Beantwortung unserer Ausgangsfrage scheint nicht leicht.

Perspektivwechsel

Ist jeder einfach seines Glückes Schmied?  Betroffene mit Kindheitsbelastungen ( im Folgenden kurz Bel-Kids genannt) gewinnen den Eindruck, einfach falsch zu denken, unfähig zu sein…oder zu sensibel…einfach „zu“: die Kette der Selbstbeschuldigungen kann unendlich fortgesetzt werden… und mündet dann oft in der Frage: Mache ich etwas falsch in meinem Leben? Oftmals stellt sich in therapeutischer Arbeit heraus, dass Eltern oder andere Menschen viel falsch gemacht haben, ihrer Sucht gefolgt sind etwa: und nicht der Belastete selbst. Um dies herauszufinden, benötigen Menschen oft Krisen: alles bricht zusammen, die alte Weise zu denken, das Wertsesystem, womöglich wichtrige Beziehungen…und nun wird die Krise zum Wendepunkt. Und damit oft zur Chance..

Auf das Maß kommt es an…

Ob „Einfach glücklich sein“ durch einen Entschluss möglich ist, ist zumindest auch maßgeblich vom Schweregrad der kindlichen Belastung abhängig. Je früher die Kindheitsbelastung einsetzte und dort womöglich frühe Traumata (tiefgreifende seelische Verletzungen) hinterließ, umso weniger können sich Menschen ausschließlich durch eine bloße Einstellungsänderung in glücklichere Menschen verwandeln. Dies zu behaupten (und das ist in bestimmten Szenen durchaus verbreitet), stellt eine große Ignoranz traumatisierten Menschen gegenüber dar. Wenn die Belastung keine tiefgreifenden seelischen Spuren hinterlassen hat, ist die Palettte des Einflußnahme größer: dann ist über den Einsatz des Willens und sogenannte kognitive Umstrukturierung (vereinfacht gesagt ein Wandeln der Denkmuster) oft ein zufriedenes und glücklicheres Leben möglich. Bei Menschen mit schweren Kindheitstraumatisierungen ist eine längerfristige Therapie meist unumgänglich: und auch diese ist längst kein Garant für ein glückliches Leben. Auch Therapieprozesse sind dann von Höhen und Tiefen gezeichnet- aber die Gesamtbilanz fällt für Betroffene in der Regel glücklicher aus.

Was bedeutet Glück?

Nehmen Sie ein paar Atemzüge Zeit… was bedeutet für Sie Glück?…Wann haben Sie sich glücklich gefühlt zuletzt?…und als Kind?…Ist Glück für Sie erstrebenswert?

Was Glück bedeutet, ist für jeden etwas anderes. In der Glücksforschung hat man herausgefunden, dass materielles Glück sich schnell verflüchtigt: wer also etwa einen großen Geldbetrag gewinnt, der kann kurzfristig mehr Glück erleben- nach kurzer Zeit pendelt sich der Gewinner jedoch auf Normalniveau ein.

Schauen wir aus philiosophischer Perspektive, so wird Glück sowohl als etwas Individuelles und als etwas Flüchtiges beschrieben. Um nach dem Glück zu suchen, muss man demnach zunächst benennen können, was glücklich macht. Als Glücksuchende brauche ich also eine Vorstellung davon, was denn Glück für mich genau ist. Um diese Vorstellung überhaupt entwickeln zu können, muss jemand glückliche Zustände erlebt haben und sie auch erinnern –  das setzt voraus, Glücksmomente auch als eben solche wahrgenommen zu haben.  Manchmal wissen Menschen mit Kindheistbelastungen schlicht nicht, wie sich Glück anfühlt – sie haben es wenig erlebt.Damit fehlt ihnen eine wichtige Voraussetzung,  glücklich zu werden: sie müssen also im Jetzt achtsam sein, was Sie angenehm, schön, bereichernd empfinden. Oft ist die kurzfristige Beglückung wenig hilfreich: ist etwas zugleich in Übereinstimmung mit dem eigenen Lebenssinn, mit dem eigenen Wesen, wird es dann besonders „glücklich“ erlebt.

Im Buddhismus geht man davon aus, dass man erst Freude und Glück  empfinden sollte, bevor man sich dem Leiden zuwendet. Wenn jemand krank ist, muss erst gestärkt werden, bevor er Schweres  erfährt (etwa das Ausmaß seiner Erkrankung). Die alltägliche Praxis der Meditation soll den Menschen darin  unterstützen. Buddha leitete an, wie man zu Freude  und Glück kommt durch die Praxis der Meditation.  Es muss erst Stärke gefunden werden, imdem man sich um Freude und Glück kümmert. Wenn man zu schwach ist, kann das Ansehen des Leides zu früh sein. Wie bei einer OP: auch hier muss das Kräftig Werden im Blick sein bevor operiert wird. Wenn man noch schwach ist, so nimmt man an, sei das Ansehen der Sorgen  zu schwierig.

„Ich achte auf mich“ statt „Ich bin für dein Glück verantwortlich“ – Loslassen, Betrauern und Selbstachtsamkeit als heilsamer Weg

Gefühle von Freude und Glück aufzubringen ist für manche alltägliche Praxis. Wie geht das? Folgt man buddhistischen Lehrern (Thich Nhat Hanh, Buddha) und christlichen Kontemplationspraktitken hat dies viel mit Loslassen zu tun. Der Buddha sagt, dass Glück hänge eng zusammen mit der Fähigkeit, loszulassen und nicht anzuhaften. Wenn man an Beziehungen und Ideen festhalte, bereite das Schmerzen. Etwas sehr Bekanntes für Menschen mit KIndheitsbelastungen: oft kreisen sie lebenslang um ihre Eltern, in der Hoffnung, dass diese doch endlich glücklich werden sollen.  Von vielem denken wir demzufolge, dass wir es nicht loslassen können, weil wir glauben, das wäre unabkömmlich für unser Glück. Oft ist gerade diese Idee loszulassen. Für Bel-Kids bedeutet dies oftmals die Aufgabe der Idee: wenn ich meine Eltern glücklich gemacht habe, werden sie mich lieben: dann werde ich selbst glücklich sein. Je mehr sie diese Vorstellung loslassen statt sie festzuhalten, um so besser scheint dann ihr eigenes Leben. Sie haben dann die Vorstellung losgelassen, das sie die Verantwortung für das Lebensglück ihrer Eltern tragen. Sie bemerken erst als Erwachsene, dass sie ein Recht auf ein gutes Leben haben; auch wenn es jemand anderem ( etwa dem erkrankten Elternteil) noch schlecht geht. Dann können eigene Bedürfnisse endlich Raum bekommen, auch kindliche Wünsche können durch den Erwachsenen, der sie im Jetzt sind, erfüllt werden. Oftmals setzt das glücklich Sein eine Zeit des Betrauerns voraus: was war nicht möglich früher, was ist nicht nachholbar?… erst dann können Betroffene  achtsam für sich selbst sorgen und sich auf einen glücklicheren Weg mit ihren verletzten kindlichen Anteilen begeben : um unsere Frage aufzugreifen. Es ist oftmals nicht zu spät für eine gute Kindheit: je schwerer die KIndheitsrefahrungen waren, umso weniger einfach ist das Nachholen.

Ich wünsche Ihnen eine erfüllte Woche mit glücklichen Momenten

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

 

Werden Sie auch von Wespen aus der Kindheit verfolgt?

Vor einiger Zeit beobachte ich, an einer roten Ampel wartend, einen Jungen, der gar sonderbare Bewegungen ausführt: er springt wild unkontrolliert von links nach rechts, schreit aus Leibeskräften…ein Zaun verhindert die Vollständige Sicht, meine Fantasie auf Reisen, findet flux Diagnosen: vielleicht eine Psychose, ein Anfall, schlimme Ausprägung von ADHS? …diese und ähnliche Gedanken strömen durch meinen Kopf. Vielleicht werde ich, wenn ich um die Ecke gefahren bin, aussteigen, um zu helfen, rattert es in mir…. Die Ampel springt auf grün und ich sehe plötzlich, dass dieser Junge von Wespen verfolgt wird: als diese von ihm ablassen, geht er ruhig und „normal“ seines Weges daher. Ich bin beruhigt und verblüfft zugleich: hätte ich diese Wespen nicht gesehen, so hätte ich den Jungen also für krank gehalten.

So ergeht es auch vielen Kindern mit schweren familiären Kindheitsbelastungen: Niemand sieht ihre „Wespen“; die Kinder erhalten Krankheitsstempel, ohne dass wirklich klar wäre, worin die eigentliche Ursache für ihr Verhalten liegt, also welche Wespe sie verfolgt, um im  Bild zu bleiben. Auch als Erwachsene zeigen Betroffene  Symptome, die auf diese Kindheitsspuren zurückzuführen sind. Oftmals können sie selbst nicht einmal diese Symptome mit ihrer Kindheitssituation verbinden ( die Wespen waren und sind zu bedrohlich), in der Folge oftmals auch nicht ihre Ärzte und Therapeuten. Die unerkannten Wespen ihrer Kindheitstage verfolgen Betroffene oftmals über Jahrzehnte bis ins hohe Erwachsenenalter. Hält dieser Zustand über  Jahre ohne angemessene Hilfgestellungen an, kann es zu Erkrankungen und/oder Belastungen der Erlebens- und Beziehungsqualität kommen. Übergroße Empfindsamkeit (manchmal mit dem Wort Hochsensibilität  belegt), starke innere Unruhe und Spannungszustände, unerklärlich erscheinende Psychosomatik, unerträgliche Leere-und Verlorenheitsgefühle u.v.m. sind dann die alltäglichen Begleiter. Erst wenn die Wespen der Kindheitsatge entdeckt,identifiziert oder beruhigt werden, besteht für Betroffene Hoffnung auf Ruhe…

Achtung: Worte gestalten Ihre Welt..und Ihre Beziehungen

Ist eine Beziehung zu Ende gegangen, so erleben das die Beteiligten oft als  schwerwiegendes Ereignis. Wenn diese Menschen über das Beziehungsende sprechen, treten meist ihre inneren Bewertungen zutage. Auffallend oft bewerten Menschen mit Kindheitsbelastungen ein Beziehungsende negativ oder/und als ihr persönliches Versagen: „Ich bin schon wieder gescheitert!“ oder  „Ich habe komplett versagt!“, heißt es dann. Wenn sie ihre Geschichte erzählen, ist auffallend, dass andere Menschen ihnen wiederholt Beschämendes antaten, was das Maß des Erträglichen weit überschritt oder auch dass andere Menschen sich mit Schuld beluden. Natürlich kann es wertvoll sein und ist unabdingbar, in einer Beziehung den eigenen Anteil zu beleuchten: Kinder schwieriger Eltern haben offenbar jedoch oftmals erlernt, unabhängig von der Sach-und Beziehungslage, sich selbst alle Schuld und alleinige Verantwortung zuzuschreiben. Sie nehmen dieses schwere Bewertungspaket mit in ihre nächsten Beziehungen und in ihr Bild von sich selbst…negative Zuschreibungen prägen ihre Identität. Manche können, nachdem sie diesen unguten Mechanismus durchdrungen haben, zu einer anderen Einschätzung kommen:

„Ich habe mich weiterentwickelt und dann hat unsere Beziehung nicht mehr gepasst!“, heißt es dann etwa.

Wie wir Ereignisse bewerten und dies in Worte fassen, wie wir es zur Sprache bringen, gestaltet maßgeblich unsere Welt und unsere Lebensqualität. Aussagen über unsere Beziehungen und Taten sind Aussagen über unser Denken und Bewerten…Achtsamkeit ist auch hier ein zentraler Schlüssel zum besseren Leben.

Wie Sprache Identität bildet, hat Ilse Orth, Integrative Therapeutin, in einem lesenswerten Aufsatz 2009 dargestellt. Bei weiterführendem Interesse empfehle ich Frau Orths Text zur weiblichen Identitätsbildung.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Sich mit sich selbst versoehnen: Körper und Geist vereinen

Kommt Ihnen das bekannt vor?…Sie wissen „alles“ über Problemfamilien und Störungsbilder, sie kennen unzählige Fakten über Kindheit, ihre Ursachen und familiäre Dynamik, Sie sind womöglich sogar in einem einschlägigen sozialen Berufsfeld gelandet…aber wenig können sie wirklich fühlen, leiden unter dem Gefühl, all Ihrem Wissen auf der persönlichen Ebene allenfalls Verdrängung entgegensetzen zu können, Ihr Körper ist Ihnen nicht geheuer, wirkt wie ein schlummernder Feind, der allenfalls unter Kontrolle gebracht werden muss?… Damit sind Sie nicht allein, denn so geht es vielen betroffenen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien.

Heute ist womöglich der Zeitpunkt gekommen,  nicht mehr endlos das in der Vergangenheit Geschehene zu drehen, wenden und bearbeiten. Dann ist es vielleicht an der Zeit, das „Kreisen um das Gestern“ übend loszulassen und durch neue Erfahrungen zu ersetzen. Damit auch dies nicht „bloße“ Theorie bleibt, ist Ihre Aktivität gefordert…es braucht den Mut, übend neue Erfahrungen zu machen, gleichsam auf Neustart zu gehen, zu re-setten in neudeutsch, im Inneren  umzustrukturieren. Anregungen dazu finden sich auch in der Praxis der Achtsamkeit, wie sie etwa Thich Nhat Hanh vorstellt und über Jahrtausende erprobt und geübt wurde. Vielleicht sagen Sie nun: kenne ich schon alles…ja, aber üben Sie auch tatsächlich? Leben Sie achtsam oder wissen Sie nur darum?

Wie eine liebende Mutter, die für einige Tage ihr Kind verlassen musste, zu ihrem Kind heimkehre  und es zärtlich in die Arme nimmt, so könne nun der Geist den Körper in die Arme nehmen, beschreibt Thich Nhat Hanh diesen Prozess auf liebevolle Weise. Insbesondere, wenn die Anspannung im Körper eingeladen wird, zu gehen und wir sie loslassen, (vielleicht zunächst nur einen Atemzug lang) kann dies nach meinen Erfahrungen  heilsam wirken auf Kindheitsbelastete. Regelmäßig angewendet kann sie zur späten Versöhnung zwischen Körper und Geist führen, auf einmal fühlen sich Betroffene „anders, lebendiger, wacher“. Das Neuartige wirkt weiter in der Weise, wie Betroffene nun achtsamer sprechen und ihre Welt anders wahrnehmen und gestalten. Es findet ein grundlegender Perspektivwechsel statt.

Untersuchungen zeigen, „dass der Körper, wie er im Gehirn repräsentiert ist, möglicherweise das unentbehrliche Bezugssystem für neuronale Prozesse bildet, die wir als Bewusstsein erleben; „dass unser eigener Organismus und nicht irgendeine absolute äußere Realität den Orientierungsrahmen abgibt für die Konstruktion, die wir von unserer Umgebung anfertigen, und für die Konstruktion der allgegenwärtigen Subjektivität, die wesentlicher Bestandteil unserer Erfahrungen ist; dass sich unsere erhabensten Gedanken und größten Taten, unsere höchsten Freuden und tiefsten Verzweiflungen den Körper als Maßstab nehmen.“ (Damasio 1997, S.17)

 Meist wird der Körper von Menschen mit Kindheitsbelastungen erst dann wahrgenommen, wenn er in seiner Funktion gestört ist. Vom „Leib, der ich bin“  wird er zum „Körper, den ich habe“. (Fuchs 2000b) Während der gesunde Körper im Hintergrund als selbstverständliche und selbstvergessene Existenz scheinbar nicht beachtet werden muss, rückt der kranke Körper als Feindbild nun in den Blick: als außerhalb der eigenen Person liegendes Problemfeld. Der Psychiater Fuchs beschreibt Krankheit als gestörte Harmonie, die mit einer Entfremdung, einer Partikularisierung innerhalb der Leiblichkeit einhergehe. (Fuchs 2000). Und auch der Hirnforscher Damasio schreibt: „Die Seele atmet durch den Körper und Leiden findet im Fleisch statt, egal ob es in der Haut oder in der Vorstellung beginnt.“ (Damasio 1997, S.19) Im Umkehrschluss meint somit Integration des Körpers, „ihn als Teil der eigenen Innenwelt anzuerkennen und ihn nicht nur als ein Ding, als einen Gegenstand, einen biologischen Organismus, also als Teil der Außenwelt (was der Körper natürlich auch ist), zu behandeln.“ (Seemann 1998, S.17) Menschen entwicklen unterschiedliche Schwerpunkte, werden Kopf- oder Gefühlsmenschen etc. Der Körper kann nicht losgelöst vom Fühlen und Denken Betroffener angesehen werden: mit Hilfe  des Geistes können wir den Körper gleichsam nach Hause holen, ihn wieder anbinden ( s.a. Kreative Selbsterfahrung: Der Anker in meinem Körper).

Eine gute Woche und Sonniges an diesem Feiertag wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

…und nie ist es genug-Sysiphosfamilien

Unsere Herkunft prägt unsere Zukunft. Unsere Herkunftsfamilie prägt, wer wir sind…und noch vielmehr, wer wir zu sein glauben. Als die- oder derjenige wir im familiären System unserer Kindheit gehandelt wurden, sehen wir uns oft noch im hohen Erwachsenenalter: Sündenbock, Sonnenschein, Versager, Hexe…die Rollen, die zugeschrieben werden, sind ebenso vielfältig wie oftmals überhaupt nicht auf das betreffende Kind zutreffend ( s.a. Barnowski-Geiser/Vater, Mutter, Sucht und Wegscheider). Und diese einmal erfolgten Rollenzuschreibungen und ihre Übernahmen halten sich doch hartnäckig: starre Rollenübernahmen und Zuweisungen wirken in desolaten Familiensystemen offenbar Halt gebend: für die Kinder sind sie oftmals das einzig Aufmerksamkeit versprechende Korsett.

Gerade besonders belastete Eltern haben oftmals Mühe,  ein gelingendes Leben zu führen:  tragisch naheliegend, diese schwierige Aufgabe nun an die Kinder weiterzugeben, zu delegieren..und bei weiterem Nichtgelingen des elterlichen Lebens  Versagen und Schuld teils unreflektiert  an die Kinder zu geben. Unbewusst meist, ohne Worte, als stummer Vorwurf. Den Eltern ein gutes Leben zu ermöglichen…für diese Aufgabe rackern viele dieser Kinder ihr Leben lang, bis zur Selbstaufgabe, unermüdlich, tragischerweise erfolglos meist: Belastete Eltern seien oftmals wie ein Fass ohne Boden, nimmersatt und nie zufrieden,  so beschreiben es betroffene Kinder. Sie geben hinein und hinein und das Angebotene scheint durch die Eltern wundersam hindurchzufallen, ohne je auf einen fruchtbaren Boden zu fallen, verschluckt im Nichts…die süchtige Mutter bleibt süchtig und unzufrieden, der depressive Vater bleibt in Depression und in seinem Weltschmerz, trotz aller großen Anstrengung: aussichtslos! Gerade, weil so vieles eigentlich eine elterliche Aufgabe wäre, die ungetan bleibt, wird das Geschehene in einen Tarnmantel aus Scham gehüllt. Das erwachsen gewordene Kind spürt, wenn die elterliche Beziehung in der bekannten Weise bestehen bleibt, kaum Veränderung: es ist und bleibt nie genug! Aus diesem wiederholt erlebten Nicht-Genügen ( und der Anklang an die Zeugnisnote ungenügend ist nicht zufällig) wird leicht persönliches Versagen, ein chronisches „Ich genüge nicht!“.  Diese existenzielle Erfahrung drohen Betroffene zu generalisieren, sie übertragen sie auf weitere Bereiche, auf ihre Arbeit etwa oder ihre Partnerschaften und nahen Beziehungen.  Mit weitreichend negativen Folgen: erfolglose Anstrengung erschöpft, Dauerfrustration kann in eigene Erkrankung führen (Forschungen belegen das hohe Risiko der betroffenen Kinder).

     Vielleicht finden Sie sich in diesen Beschreibungen wieder? Dann machen Sie den heutigen Tag doch zum ersten Tag Ihres neuen Lebens: Schauen Sie mit offenem und klaren Blick, würdigen Sie, was Sie an Einsatz geleistet haben…und lassen es nun dort, wo es nicht gewürdigt werden kann oder wird, genug sein.Vielleicht stimmt auch für Sie die Aussage: Ich habe sehr viel gegeben, aber leider waren meine Eltern nicht in der Lage, das zu würdigen oder anzunehmen...Sie können eines ab jetzt anders machen: in Ihrer inneren Bewertung und Zuschreibung. Mit dem verstorbenen Roger Willemsen ( Wer wir waren) mag ich Sie einladen, Ihre Gegenwart aus der Zukunftsperspektive zu betrachten…und aktiv zu ändern.

„Erspare ich mir die müßige Frage danach, wie wir wohl künftig sein werden, und nutze die Zukunft vielmehr als die Perspektive meiner Betrachtung der Gegenwart, dann werde ich nicht mehr fragen, wer wir sind, sondern wer wir gewesen sein werden. Nachzeitig werde ich schauen, aus der Perspektive dessen, der sich seiner Zukunft berauben will, weil sie ihn schauert, im Vorauslaufen zurückblickend, um sich so besser  erkennen zu können, und zwar in den Blicken derer, die man enttäuscht haben wird.“ ( Willemsen, S.24f)

   Willemsen hat treffende Worte gefunden, um gesellschaftliche Entwicklungen zu charakterisieren; manche Perspektive scheint wertvoll im Kontext der belasteten Familie,gerade auch zu Coronazeiten… „Nichtwissen im Wissen zu behaupten; nicht gewusst zu haben werden, während man doch wusste.“ ( S.10)

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihr Wissen für sich nutzen können.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Mein bester Freund,mein wahrhaftigster Zeuge: wie Ihr Körper vom Gestern erzählt

Er weiss, was dir gut tut und was nicht.

Keiner kennt dich so wie er.

Er folgt dir treu auf Schritt und Tritt.

Er vergisst nicht.

Er leistet unfassbar viel für dich.

So einen Freund hätten sie gern an Ihrer Seite? Sie haben Ihn schon: Ihren Körper!  Ihr Körper macht all das ein Leben lang: da er jedoch auch die Gefühle und Wahrheiten zu schwierigen Familiensitutionen erzählt, bezeugt und erinnert, steht er in belasteten Familien leicht in der feindlichen Ecke: der Körper wird kurzerhand zum Verräter erklärt, gerade da wo Fassaden aufgebaut werden. Kinder aus belasteten, tabuisierenden Familiensystemen verinnerlichen diese Sicht irgendwann: sie beäugen ihren eigenen Körper kritisch, misstrauisch, vertrauen ihm nicht… Die inzwischen verstorbene Tanztherapeutin Trude Schoop nannte den Körper in diesem Sinne eine „Klatschbase“.Und der Körper kann auch dann noch,vielleicht zum ersten Mal erzählen, wenn das Belastende lange vorbei ist. Wenn der Koerper sehr lange unerhoert bleibt, Körper und Seele nicht mehr weiterwissen, kann das in Krankheit münden: auch als Spätfolge im Erwachsenenalter.

Wie man doch noch gut Freund mit dem Körper werden kann, zeigt Hanne Seemann in ihrem lesenswerten Buch.

Und was hilft mir heute, fragen Sie sich zurecht,gerade jetzt in der Coronakrise,in der mein Koerper unter Stress steht,dauerangespannt ist?…wie würden Sie einen alten verletzten Freund behandeln? Vielleicht pflegen, zuhoeren,streicheln, verstehen, was ihm wiederfuhr, trösten?…Seien Sie heute gut zu Ihrem Freund, dem Körper…fragen Sie ihn nach seinen Wuenschen…das kann Ihre heutige CoronaKrisenKreativChallenge sein:denn gerade jetzt,wo andere ferner ruecken muessen,koennen wir uns selbst naeher kommen.Einen schoenen Tag wuenscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Warum bin ich ängstlicher als andere? Über das ungute Duo Corona-Krise und belastete Kindheit

Sind Sie augenblicklich ziemlich gereizt, genervt bei geringsten Anlässen, in einer Daueranspannung mit zum Zerbersten gespannten Muskeln, im Daueralarm? Wenn Sie in sich nachforschen, bemerken Sie große Ängste und Sie fragen sich, ob diese Ängste im Angesicht der Corona-Krise berechtigt oder doch übertrieben sind? Und ob Sie diese Ängste nicht einfach mal, wenigstens für ein paar Stunden, abstellen können, so wie scheinbar manch andere, die offenbar vergnügt in Parks sitzen, was natürlich auch der Krise nicht angemessen erscheint?

Angst ist in diesen Tagen weit verbreitet, ein Gefühl, das zunächst einmal unserem Schutz dient. Ausprägung und Stärke der Angst, der Umgang mit der CoronaKrise und ihren Folgen, ist individuell. Bei jedem Menschen fallen Krisen und die damit auftretenden Ängste auf einen biografischen Boden: jede/r hat Unterschiedliches erlebt und auf unterschiedliche Weise bewältigt. Was wir in unserem Leben erfahren haben und unser Umgang damit, bestimmt, wie wir auf neue Situationen zugehen. Unser Umgang mit der aktuellen Corona-Krise ist bestimmt durch vorhergehende Krisenerfahrungen. Menschen mit frühen und dauerhaften belastenden Erfahrungen in ihren Familien sind somit geprägt: sie entwickeln teils große Ängste, wenn Situationen unkontrollierbar erscheinen und sie auf deren Verlauf offensichtlich keinen Einfluss haben. Zugleich haben belastete Kinder auch besondere Stärken und Copings entwickelt, die sie im Jetzt unterstützen können- die Zugänge zu diesen Krisenhelfern sind ihnen nur teils abhanden gekommen, in Vergessenheit geraten oder unter ängstlicher Erstarrung verschütt gegangen. In den nächsten Tagen und Wochen möchte ich Ihnen dazu Gedanken und Hilfen anbieten, in der Hoffnung, sie auf diese Weise ein bisschen unterstützen zu können.

Was Krisen, Stress, Gefühle und das Gehirn miteinander zu tun haben

Die schlechte Nachricht, die Ihnen als Betroffene sicher bereits bekannt ist, vorab: Kinder, die dauerhaft Krisen  ihrer belasteten Familien ausgesetzt sind, können massive Folgen davontragen; diese Folgen sind teils messbar an ihrem Serum-Cortisolspiegel und in Hirnstrukturen,  können sie doch neuronale Strukturen des Hippocampus, der Amygdala sowie des Corpus Callosum zerstören. Verursacht werden zum Teil organisch begründbare Regulationsstörungen, später auch komplexe Störungen von Lernen, Emotionen und Verhalten (Trost 2003). Auch wenn dieser Zusammenhang von neuronaler Schädigung für betroffene Kinder in quantitativen Untersuchungen noch nicht hinreichend untersucht ist, muss vermutet werden, dass Gehirne von Kindern aus belasteten Familien durch das emotionale Klima ihrer Familien stark geprägt sind. Es steht zu befürchten, dass lang andauernde wiederholte Belastungen der familiären Umwelt neuronal entsprechend verankert werden und diese‚ emotionalen Straßen’ auch dann aufgesucht werden, wenn es nicht mehr von Nöten ist. Dies zeigte sich bei denjenigen erwachsenen Personen, die bis ins hohe Alter keine Auflösung des familiären Tabus erfahren hatten, bei denen sich etwa Suchtbelastung durch etliche Jahrzehnte zog und auch im Erwachsenenalter lebensbestimmend blieb. Es scheint in diesem Fall schwer zu sein, eingefahrene Hirnstraßen zu verlassen (etwa die der Angst und Ohnmacht) und neue Straßen (Freude,Hoffnung etc.) zu befahren. Damit kann ein wesentlicher Faktor zur Orientierung in der Welt durch das familiäre Erleben maßgeblich negativ beeinflusst werden. Sogar genetisch scheinen diese Erfahrungen Spuren zu hinterlassen (In jüngerer Zeit wurde an Mäusen nachgewiesen, dass die Gene bei Nachkommen traumatisierter Mütter in Mitleidenschaft gezogen waren; sie zeigten sich als weniger Stressresistent und verzweifelter in eigenen Krisensituationen). „Muss ich das auch noch wissen?“, denken Sie nun vielleicht,“ das ist doch nur traurig. Ich finde, ja, sie sollten das wissen, um sich selbst ein Stück besser zu verstehen und sich in Ihrem „So-Sein“ annehmen und nicht noch zusätzlich abwerten, als „Weichei, Mimose, Versager“. Erst, wenn wir verstehen, warum wir wurden, was wir sind, können wir besser neue Krisen bewältigen, einen Zugang zu unserer wahren Identität bekommen: im anderen Falle, wenn wir Altes unerkannt abspalten, drohen wir uns selbst fremd zu bleiben und in alten, ungünstigen Krisencopings ( zum Beispiel dem Erstarren) feststecken zu bleiben.

Hirne sind nutzungsabhängig: warum Kinder mit familiärer Belastung leicht ängstlich werden

Schauen wir weiter aus neurowissenschaftlicher Perspektive. Versuchte Erklärungen müssen im Angesicht der hochkomplizierten  Vorgänge in unseren Hirnen unverschämte Vereinfachungen bleiben…versuchen wir dennoch eine Annäherung: Außenwelt hinterlässt Spuren in der Innenwelt. Neurologisch spricht man hierbei von inneren Repräsentationen der Außenwelt. Auch die Repräsentationen unserer Gefühlswelt (neurowissenschaftlichen Untersuchungen u.a. von Braun, Spitzer) spiegeln  erlebte Erfahrungen. Unsere Gefühlswelt ist erlernt, vor allem in sozialer Erfahrung. Befinden, Stimmungen und Gefühle sind bei Kindern aus belasteten Familien stark in Mitleidenschaft gezogen. Kinder lernen etwa: „Wenn Papa trinkt, gibt es Ärger für mich!“ Wird diese Erfahrung wiederholt gemacht, wird diese Erfahrung auch neuronal verschaltet: sie bildet eine Hirnspur. Je öfter diese Erfahrung gemacht werden, umso tiefer gräbt sich diese Spur im Hirn ein, sprich: Kinder entwickeln Ängste ( eine Hirnautobahn „Angst“) und weitere mit diesem Erleben verbundene Gefühle werden nutzungsabhängig verschaltet. Aus dem Kind, das in einer Szene Angst hat, wird bei dauerhafter Wiederholung, leicht ein überängstliches Kind: insbesondere dann, wenn, wie oft in tabuisierenden Familien, das Gefühl des Kindes nicht benannt und besprochen werden darf, das Kind folglich keine angemessene Unterstützung in Form von Trost oder Halt erfährt. Das Befinden Betroffener wird durch dieses kindliche Krisenerleben geprägt, das Gehirn entsprechend gebaut – auch als Erwachsene, wenn das Elternhaus längst verlassen wurde, sind diese grundlegenden Verschaltungen angelegt. Es ist also nachvollziehbar, dass ein in der Kindheit entsprechend „verschalteter“ Erwachsener, der die Spur Angst zu einer regelrechten Autobahn im Kopf entwickelt hat (Formulierung in Anlehnung an Hüther), auch als Erwachsener schnell auf eben dieser Autobahn landet. Denkweisen, Selbstbild, Körpererfahrung usw. sind neuronal verschaltet: sie bilden ein Erlebens- Panorama im Jetzt, das im familiären System erlernt wurde.

Denken wir die vorangestellten Forschungen für Erwachsene aus belasteten Familien weiter, so wird deutlich:

  • es besteht ein Zusammenhang zwischen emotionalen Belastungen in Kindheitstagen und emotionaler Befindlichkeit im Erwachsenenalter
  • es besteht ein Zusammenhang von wiederholten stressenden Kindheitserfahrungen und chronischen/schweren Erkrankungen im Erwachsenenalter.

Eine große Belastung der Lebensqualität von Menschen mit belasteter Kindheit erschent  evident. Somit stellt die aktuelle Corona-Krise neben medizinisch-alltäglichen Überlegungen insbesondere Menschen mit Kindheitsbelastungen vor große psychische Herausforderungen – .

„Help…I need somebody“

Fasst man die vorab geschilderten Forschungsergebnisse zusammen, so sind die Belastungen und Folgen bei Kindheitsbelastungen hoch einzustufen. Und dennoch eine gute Nachricht aus der Forschung:  es gibt Stärkendes! Widerstandskräfte, die uns schützen, sogenannte Resilienzen. Resilienzen sind also das, was uns stark macht.  Resilienzen sorgen dafür, dass viele Menschen mit Kindheitsbelastungen eben auch nicht erkranken. Eine bedeutsame stabile Beziehung im Umfeld eines aufwachsenden Kindes ist eine solch hochwirksame Resilienz. Sind Erkrankungen vorhanden, zeigten sich etwa Meditation und soziale Anbindung als hochwirksam. Vernetzen und andere Menschen mit ins Boot Holen zeigt in allen Lebensphasen Wirkung. Nervensystem und Immunsystem können einander verständigen, dies können wir für uns nutzen. Decartes Dualismus hat lange Medizin bestimmt. Aber neuere Forschungen überprüfen, wie Gehirn und Immunsystem zusammenhängen und es wird deutlich: sie sind in ständigem Austausch. Ein gestresstes Gehirn beeinflusst das Immunsystem, somit gilt auch die Umkehrung: ein entspanntes Gehirn entlastet den Körper. Körper und Geist sind eine Einheit, was ganzheitliche, integrative, leiborientierte, kreative und komplementär-Medizin für Betroffene auf den Plan ruft. Basis bildet weiterhin die Schulmedizin. Gute Erfolge ließen sich auch durch kognitive Umstrukturierung erzielen, also problematische, dysfunktionale Gedanken, etwa durch einen anderen Gedanken zu ersetzen ( wie es in einigen Religionen und Philosophien auch seit Jahrtausenden gelehrt wird)…  Selbstheilung können Sie aktiv unterstützen. Sogar ein EEG kann signifikant verändert werden. Sie können durch Ihre Lebens-und Denkweise Einfluss nehmen.

Ein wichtiger Faktor: eine soziale Umgebung, ein Feld der Hoffnung und Zuwendung (teils Liebe genannt ), im Idealfall im eigenen Zuhause. Der Satz: „Ich kann gesund werden!“, oder: „Ich kann meine Kindheitswunden überwinden!“ gehört zur hochwirksamen Einstellung, die Veränderung möglich werden läßt. Hilfe für Betroffene muss individuell erfolgen, spezifisch zugeschnitten sein: sie benötigt mindestens einen wohlwollenden Anderen. Immer sollte sie Anregung zur Selbsttätigkeit beinhalten (hierzu auch das AWOKADO-Selbsthilfe-Programm in Vater, Mutter, Sucht 2015 und Meine schwierige Mutter 2017).
Glauben wir den Erkenntnissen der Psychoneuroimmunologie, so helfen Krisenkindern bei der schwierigen Bewältigung vor allem: Optimismus, stabile Sozialkontakte, ein guter Alltag und körperliche Nähe.

Der in der Überschrift verwendete Oldie der Beatles bringt auf den Punkt, was wir Kindheitsbelastungen, Stimmungs-und Befindlichkeitstörungen entgegensetzen können: Hilfe suchen und annehmen, die Verbindung und Zuwendung von anderen, nahestehenden Menschen… dies stellt im Angesicht der Corona-Krise eine weitere Herausforderung dar, sollen wir uns doch sozial distanzieren, zumindest real körperlich. Hier ist Ihre Kreativität gefragt: feste Termine für Videoanrufe, bleibender Austausch per Email etc . Vielleicht schreiben Sie anderen hier, indem Sie die Kommentarfunktion nutzen, wie Sie es gerade schaffen trotz Corona-Krise – ich freue mich, von Ihnen zu lesen.

Bleiben Sie gesund und behalten Sie bei aller nötigen Hygiene vor allem auch Ihre Seele im Blick,

bis ganz bald

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Nicht nur zur Weihnachtszeit-Elternbeziehungen auf dem Prüfstand

Neue Beziehungschancen durch Perspektivwechsel?

Herr N., 32 Jahre erzählt: „Ich weiß jetzt, dass ich nie die emotionalen Eltern haben werde, die ich mir gewünscht habe, aber ich bin dennoch dankbar für die Versorgung und das, was sie mir als kleines Kind, bevor ihre psychischen Probleme und Ehestreitigkeiten überhand nahmen,  gegeben haben. Ich werde versuchen, mit diesen sozialen, versorgenden Eltern in Kontakt zu bleiben – seit ich meine emotionalen Erwartungen an meine Eltern aufgegeben haben, empfinde ich nach einer Phase der Trauer nun endlich inneren Frieden.“

Weihnachtstage sind für viele immer noch Familientage: und damit oftmals Krisentage. Gerade in der Vorweihnachtszeit, in der Familienbesuche und soziales Zusammenrücken groß geschrieben werden, geraten Menschen aus belasteten Familien unter besonderen Stress: „Soll ich meine Eltern öfter besuchen, soll ich den Kontakt zu meinen Eltern abbrechen oder diese Beziehung doch aufrecht erhalten?“… „Liebe ich meine Eltern oder hasse ich sie nicht eigentlich, nach allem, was sie mir angetan haben?“ “ Aber bin ich Ihnen das als Ihr Kind nicht schuldig, Sie sind doch meine Eltern?“ So und ähnlich lauten Fragen, die sich erwachsene Kinder aus belasteten Familien oftmals quälend stellen und auf die sie nur schwer im „Entweder oder“ Antworten finden. Harmonisch Weihnachten feiern im Kreise der Lieben, so wird uns nicht nur in der Werbung suggeriert, ist scheinbar das Normalste der Welt…Warum gelingt das so schwer? Beratungsstellen und Therapeutische Ambulanzen haben vor dem Fest der Liebe regelmäßig Hochkonjunktur. Menschen, die etwas durch ihre Eltern erlitten haben, fühlen sich, wenn sie sich distanzieren, allein und ausgegrenzt oder, wenn sie sich mehr in die Herkunftsfamilie begeben, in einer erzwungenen Harmoniefalle. Es scheint kaum einen Ausweg zu geben aus diesem Dilemma. Oft liegt diesem „Ich sitze in der Falle“-Gefühl“ eine „Entweder-Oder“-Sicht zugrunde. Die alte offene Rechnung mit den Eltern schmerzt und doch gibt es diese Sehnsucht nach Zuhaus…Herr N. hat viele Jahre des Trauerns, Zürnens und Verzweifelns mit seinen Eltern hinter sich. Was ist nun anders?

Die schwierige Suche nach dem „Und“

Manchen Betroffenen hilft es, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Sie sehen die Elternbeziehung differenzierter an. Sie betrachten komplexer, etwa nicht mehr ausschließlich den Mangel  oder nicht ausschließlich das Gute: was konnten die Eltern nicht geben und was vielleicht doch, trotz der familiären Belastung?   Viele Eltern-Kind-Beziehungen stecken im Hamsterrad der alten offenen Rechnungen fest: die Eltern geben etwa Materielles und definieren, wie undankbar ihr Kind für ihre zahlreichen Gaben sei. Die Kinder können die elterlichen Gaben kaum würdigen, scheint doch, so empfinden sie schmerzlich, weder ihre emotionale Leistung noch ihre kindliche Belastung anerkannt, noch bekommen sie heute die ersehnte emotionale Zuwendung,  in Form von Resonanz, Wärme und Zuwendung.

Nicht „einfach“- Ambivalenz

Wenn die Eltern-Kind-Beziehung belastet ist, dann fühlen Kinder oft auch noch als Erwachsene ambivalent: sie lieben und sie hassen, sie wollen sich distanzieren und haben doch große Sehnsucht nach elterlicher Zuwendung. Diese Ambivalenz gilt es anzuerkennen und auszuhalten. Einige negieren die Schattenseite, andere die, nennen wir sie hier „Lichtseite“, der Eltern.

Viele erwachsene Kinder  aus belasteten Familien fühlen sich zerrissen zwischen Licht- und Schattenperspektive, von Gefühlen, die sie als widersprüchlich und als ein „Entweder-oder“ empfinden. Manche finden bei genauerem Hinsehen ein „Und“, das in ihrer inneren Bewertung vorher kaum eine Rolle spielte. Oft wirken diese Sichtweisen gegensätzlich: sie wurden jedoch in der Regel beide erlebt. In unterschiedlichen Beziehungsphasen rückt dann jeweils nur die Lichtseite oder nur die Schattenseite in den Blick. In der Und-Perspektive wird manchmal beides möglich:  dass Eltern  materiell  unterstützten und das Kind doch  emotional zu kurz kam. Dass  es eine gute Versorgung  mit Essen und Trinken gab und   Kinder doch emotional unterernährt wurden: Sie waren etwa viel zu früh in der Elternrolle statt, dass ihre kindlichen Bedürfnisse befriedigt wurden (Kinder waren „Eheberater“, „Therapeuten“, „Mediatoren“ ihrer Eltern – unbezahlt, ohne Dank) und die Eltern  haben  eine freie, unkonventionelle Lebensform ermöglicht, geholfen,Träume zu realisieren etc..Herr N. kann sich nun nach jahrelangem Ringen mit den Eltern arrangieren- er beschreibt sich als versöhnt. Dieses „Versöhnen“, und darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen, ist nicht „einfach so“, wie teils vollmundig propagiert, als positive Denkleistung „mal eben so“ möglich, sondern sie setzt, oft jahrelange Prozesse voraus, ein Anerkennen des Geschehenen, ein Durcharbeiten, ein Verstandenwerden, gehört-gesehen, getröstet werden.

Die radikale Annahme dessen, was ist, wie sie etwa im Zen propagiert wird (und von verschiedenen therapeutischen Richtungen, wie Gestalt-und Integrativer Therapie auch favorisiert wird, etwa Marsha Linehan), kann ein erster Schritt sein: Akzeptanz von scheinbar widersprüchlichen Gefühlen und Impulsen, die radikale Bestandsaufnahme, was die Beziehung zu den Eltern in ihrer Komplexität und vielleicht als widersprüchlich empfundenen Ganzheit eigentlich ausmacht: Licht und Schatten. Die Entdeckung des „Und“  anstatt des „Entweder oder“ kann  befreiend wirken.  Manche Beziehungen sind so stark belastet, dass der Kontaktabbruch als einziger Ausweg erscheint – das kann eine not-wendige Option sein, Zufriedenheit mit dieser Lösung bleibt oft jedoch aus (mehr dazu im Buch Barnowski-Geiser 2015: Vater, Mutter, Sucht).

Vielleicht ist das Weihnachtsfest für Sie eine Chance, zu beobachten, nach Licht und Schatten zu suchen und auch nach dem eigenen Maß, wieviel Herkunftsfamilie Ihnen gut tut.

Eine gute Vorweihnachtszeit wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In ihrer Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis ihres AWOKADO-7-Schritte-Programms an.

Neue Wege gehen: Körper und Geist versöhnen

Kommt Ihnen das bekannt vor?…Sie wissen „alles“ über Problemfamilien und Störungsbilder, sie kennen unzählige Fakten über Kindheit, ihre Ursachen und familiäre Dynamik, Sie sind womöglich sogar in einem einschlägigen sozialen Berufsfeld gelandet…aber wenig können sie wirklich fühlen, leiden unter dem Gefühl, all Ihrem Wissen auf der persönlichen Ebene allenfalls Verdrängung entgegensetzen zu können, Ihr Körper ist Ihnen nicht geheuer, wirkt wie ein schlummernder Feind, der allenfalls unter Kontrolle gebracht werden muss?… Damit sind Sie nicht allein, denn so geht es vielen betroffenen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien.

Heute ist womöglich der Zeitpunkt gekommen,  nicht mehr endlos das in der Vergangenheit Geschehene zu drehen, wenden und bearbeiten. Dann ist es vielleicht an der Zeit, das „Kreisen um das Gestern“ übend loszulassen und durch neue Erfahrungen zu ersetzen. Damit auch dies nicht „bloße“ Theorie bleibt, ist Ihre Aktivität gefordert…es braucht den Mut, übend neue Erfahrungen zu machen, gleichsam auf Neustart zu gehen, zu re-setten in neudeutsch, im Inneren  umzustrukturieren. Anregungen dazu finden sich auch in der Praxis der Achtsamkeit, wie sie etwa Thich Nhat Hanh vorstellt und über Jahrtausende erprobt und geübt wurde. Vielleicht sagen Sie nun: kenne ich schon alles…ja, aber üben Sie auch tatsächlich? Leben Sie achtsam oder wissen Sie nur darum?

Wie eine liebende Mutter, die für einige Tage ihr Kind verlassen musste, zu ihrem Kind heimkehre  und es zärtlich in die Arme nimmt, so könne nun der Geist den Körper in die Arme nehmen, beschreibt Thich Nhat Hanh diesen Prozess auf liebevolle Weise. Insbesondere, wenn die Anspannung im Körper eingeladen wird, zu gehen und wir sie loslassen, (vielleicht zunächst nur einen Atemzug lang) kann dies nach meinen Erfahrungen  heilsam wirken auf Kindheitsbelastete. Regelmäßig angewendet kann sie zur späten Versöhnung zwischen Körper und Geist führen, auf einmal fühlen sich Betroffene „anders, lebendiger, wacher“. Das Neuartige wirkt weiter in der Weise, wie Betroffene nun achtsamer sprechen und ihre Welt anders wahrnehmen und gestalten. Es findet ein grundlegender Perspektivwechsel statt.

Untersuchungen zeigen, „dass der Körper, wie er im Gehirn repräsentiert ist, möglicherweise das unentbehrliche Bezugssystem für neuronale Prozesse bildet, die wir als Bewusstsein erleben; „dass unser eigener Organismus und nicht irgendeine absolute äußere Realität den Orientierungsrahmen abgibt für die Konstruktion, die wir von unserer Umgebung anfertigen, und für die Konstruktion der allgegenwärtigen Subjektivität, die wesentlicher Bestandteil unserer Erfahrungen ist; dass sich unsere erhabensten Gedanken und größten Taten, unsere höchsten Freuden und tiefsten Verzweiflungen den Körper als Maßstab nehmen.“ (Damasio 1997, S.17)

 Meist wird der Körper von Menschen mit Kindheitsbelastungen erst dann wahrgenommen, wenn er in seiner Funktion gestört ist. Vom „Leib, der ich bin“  wird er zum „Körper, den ich habe“. (Fuchs 2000b) Während der gesunde Körper im Hintergrund als selbstverständliche und selbstvergessene Existenz scheinbar nicht beachtet werden muss, rückt der kranke Körper als Feindbild nun in den Blick: als außerhalb der eigenen Person liegendes Problemfeld. Der Psychiater Fuchs beschreibt Krankheit als gestörte Harmonie, die mit einer Entfremdung, einer Partikularisierung innerhalb der Leiblichkeit einhergehe. (Fuchs 2000). Und auch der Hirnforscher Damasio schreibt: „Die Seele atmet durch den Körper und Leiden findet im Fleisch statt, egal ob es in der Haut oder in der Vorstellung beginnt.“ (Damasio 1997, S.19) Im Umkehrschluss meint somit Integration des Körpers, „ihn als Teil der eigenen Innenwelt anzuerkennen und ihn nicht nur als ein Ding, als einen Gegenstand, einen biologischen Organismus, also als Teil der Außenwelt (was der Körper natürlich auch ist), zu behandeln.“ (Seemann 1998, S.17) Menschen entwicklen unterschiedliche Schwerpunkte, werden Kopf- oder Gefühlsmenschen etc. Der Körper kann nicht losgelöst vom Fühlen und Denken Betroffener angesehen werden: mit Hilfe  des Geistes können wir den Körper gleichsam nach Hause holen, ihn wieder anbinden ( s.a. Kreative Selbsterfahrung: Der Anker in meinem Körper).

Eine gute Woche und Sonniges an diesem Feiertag wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Wagen Sie den Bungeejump für Kindheitsbelastete…sagen Sie: „Ich genüge!“

Unsere Herkunft prägt unsere Zukunft. Unsere Herkunftsfamilie prägt, wer wir sind…und noch vielmehr, wer wir zu sein glauben. Als die- oder derjenige wir im familiären System unserer Kindheit gehandelt wurden, sehen wir uns oft noch im hohen Erwachsenenalter: Sündenbock, Sonnerschein, Versager, Hexe…die Rollen, die zugeschrieben werden, sind ebenso vielfältig wie oftmals überhaupt nicht auf das betreffende Kind zutreffend ( s.a. Barnowski-Geiser/Vater, Mutter, Sucht und Wegscheider). Und diese einmal erfolgten Rollenzuschreibungen und ihre Übernahmen halten sich doch hartnäckig: starre Rollenübernahmen und Zuweisungen wirken in desolaten Familiensystemen offenbar Halt gebend für die Kinder sind sie oftmals das einzig Aufmerksamkeit versprechende Korsett.

Gerade besonders belastete Eltern haben oftmals Mühe,  ein gelingendes Leben zu führen:  tragisch naheliegend, diese schwierige Aufgabe nun an die Kinder weiterzugeben, zu delegieren..und bei weiterem Nichtgelingen des elterlichen Lebens auch das Versagen und die Schuld daran an die Kinder zu geben. Unbewusst meist, ohne Worte, als stummer Vorwurf. Den Eltern ein gutes Leben zu ermöglichen…für diese Aufgabe rackern viele dieser Kinder ihr Leben lang, bis zur Selbstaufgabe, unermüdlich, tragischerweise erfolglos meist: Belastete Eltern seien oftmals wie ein Fass ohne Boden, nimmersatt und nie zufrieden,  so beschreiben es betroffene Kinder. Sie geben hinein und hinein und das Angebotene scheint durch die Eltern wundersam hindurchzufallen, ohne je auf einen fruchtbaren Boden zu fallen, verschluckt im Nichts…die süchtige Mutter bleibt süchtig und unzufrieden, der depressive Vater bleibt in Depression und in seinem Weltschmerz, trotz aller großen Anstrengung: aussichtslos! Gerade, weil so vieles eigentlich eine elterliche Aufgabe wäre, die ungetan bleibt, wird das Geschehene in einen Tarnmantel aus Scham gehüllt. Das erwachsen gewordene Kind spürt, wenn die elterliche Beziehung in der bekannten Weise bestehen bleibt, kaum Veränderung: es ist und bleibt nie genug! Aus diesem wiederholt erlebten Nicht-Genügen ( und der Anklang an die Zeugnisnote ungenügend ist nicht zufällig) wird leicht persönliches Versagen, ein chronisches „Ich genüge nicht!“.  Diese existenzielle Erfahrung drohen Betroffene zu generalisieren, sie übertragen sie auf weitere Bereiche, auf ihre Arbeit etwa oder ihre Partnerschaften und nahen Beziehungen.  Mit weitreichend negativen Folgen: erfolglose Anstrengung erschöpft, Dauerfrustration kann in eigene Erkrankung führen (Forschungen belegen das hohe Risiko der betroffenen Kinder).

     Vielleicht finden Sie sich in diesen Beschreibungen wieder? Dann machen Sie den heutigen Tag doch zum ersten Tag Ihres neuen Lebens: Schauen Sie mit offenem und klaren Blick, würdigen Sie, was Sie an Einsatz geleistet haben…und lassen es nun dort, wo es nucht gewürdigt werden kann oder wird, genug sein.Vielleicht stimmt auch für Sie die Aussage: Ich habe sehr viel gegeben, aber leider waren meine Eltern nicht in der Lage, das zu würdigen oder anzunehmen...Sie können eines ab jetzt anders machen: in Ihrer inneren Bewertung und Zuschreibung. Mit dem verstorbenen Roger Willemsen ( Wer wir waren) mag ich Sie einladen, Ihre Gegenwart aus der Zukunftsperspektive zu betrachten…und aktiv zu ändern.

„Erspare ich mir die müßige Frage danach, wie wir wohl künftig sein werden, und nutze die Zukunft vielmehr als die Perspektive meiner Betrachtung der Gegenwart, dann werde ich nicht mehr fragen, wer wir sind, sondern wer wir gewesen sein werden. Nachzeitig werde ich schauen, aus der Perspektive dessen, der sich seiner Zukunft berauben will, weil sie ihn schauert, im Vorauslaufen zurückblickend, um sich so besser  erkennen zu können, und zwar in den Blicken derer, die man enttäuscht haben wird.“ ( Willemsen, S.24f)

   Willemsen hat treffende Worte gefunden, um gesellschaftliche Entwicklungen zu charakterisieren; manche Perspektive scheint wertvoll im Kontext der belasteten Familie… „Nichtwissen im Wissen zu behaupten; nicht gewusst zu haben werden, während man doch wusste.“ ( S.10)

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihr Wissen für sich nutzen können.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser, Mehr erfahren, Sie möchten mehr lesen und Bücher bestellen

Achtung: Worte gestalten Ihre Welt..und Ihre Beziehungen

Ist eine Beziehung zu Ende gegangen, so erleben das die Beteiligten oft als  schwerwiegendes Ereignis. Wenn diese Menschen über das Beziehungsende sprechen, treten meist ihre inneren Bewertungen zutage. Auffallend oft bewerten Menschen mit Kindheitsbelastungen ein Beziehungsende negativ oder/und als ihr persönliches Versagen: „Ich bin schon wieder gescheitert!“ oder  „Ich habe komplett versagt!“, heißt es dann. Wenn sie ihre Geschichte erzählen, ist auffallend, dass andere Menschen ihnen wiederholt Beschämendes antaten, was das Maß des Erträglichen weit überschritt oder auch dass andere Menschen sich mit Schuld beluden. Natürlich kann es wertvoll sein und ist unabdingbar, in einer Beziehung den eigenen Anteil zu beleuchten: Kinder schwieriger Eltern haben offenbar jedoch oftmals erlernt, unabhängig von der Sach-und Beziehungslage, sich selbst alle Schuld und alleinige Verantwortung zuzuschreiben. Sie nehmen dieses schwere Bewertungspaket mit in ihre nächsten Beziehungen und in ihr Bild von sich selbst…negative Zuschreibungen prägen ihre Identität. Manche können, nachdem sie diesen unguten Mechanismus durchdrungen haben, zu einer anderen Einschätzung kommen:

„Ich habe mich weiterentwickelt und dann hat unsere Beziehung nicht mehr gepasst!“, heißt es dann etwa.

Wie wir Ereignisse bewerten und dies in Worte fassen, wie wir es zur Sprache bringen, gestaltet maßgeblich unsere Welt und unsere Lebensqualität. Aussagen über unsere Beziehungen und Taten sind Aussagen über unser Denken und Bewerten…Achtsamkeit ist auch hier ein zentraler Schlüssel zum besseren Leben.

Wie Sprache Identität bildet, hat Ilse Orth, Integrative Therapeutin, in einem lesenswerten Aufsatz 2009 dargestellt. Bei weiterführendem Interesse empfehle ich Frau Orths Text zur weiblichen Identitätsbildung.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Weitere Bücher der Autorin zur Thematik  hier

 

Schwierige Kindheit – als Erwachsener krank?Wie unser Körper vom Gestern erzählt

Er weiss alles, was dir gut tut und was nicht.

Keiner kennt dich so wie er.

Er folgt dir treu auf Schritt und Tritt.

Er vergisst nicht.

Er leistet unfassbar viel für dich.

So einen Freund hätten sie gern an Ihrer Seite? Sie haben Ihn schon: Ihren Körper.   Ihr Körper macht all das ein Leben lang: da er jedoch auch die Gefühle und Wahrheiten zu schwierigen Familiensitutionen erzählt, bezeugt und erinnert steht er in belasteten Familien leicht in der feindlichen Ecke: der Körper wird kurzerhand zum Verräter erklärt, wo Fassaden aufgebaut werden. Kinder aus belasteten, tabuisierenden Familiensystemen verinnerlichen diese Sicht irgendwann: sie beäugen ihren eigenen Körper kritisch, misstrauisch, glauben ihm nicht… Die inzwischen verstorbene Tanztherapeutin Trude Schoop beschrieb den Körper in diesem Sinne als eine „Klatschbase“: und der Körper kann auch dann noch zum ersten Mal erzählen, wenn das Belastende lange vorbei ist. Wenn Körper und Seele nicht mehr weiterwissen, kann das in Krankheit münden: auch als Spätfolge im Erwachsenenalter…Mehr dazu in einem lesenswerten Artikel der Sueddeutschen Zeitung

http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/vernachlaessigung-spurenharter-kindheit-1.2056976

Wie man doch noch gut Freund mit dem Körper werden kann, zeigt Hanne Seemann in ihrem lesenswerten Buch.

Und was hilft nun heute, fragen Sie sich zurecht…wie würden Sie einen alten verletzten Freund behandeln? Pflegen, verstehen, was ihm wiederfuhr, trösten…Seien Sie gut zu Ihrem Freund, dem Körper…eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Heilung braucht Hoffnung

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„Glaube kann Berge versetzen!“ Diese Volksweisheit ist  für Menschen, die eine tiefgreifende Kindheitsbelastung erfahren haben, von besonderer Bedeutung. Viele erwachsene Kinder aus belasteten Familien haben früh Verletzungen  ihres Glauben und Hoffens erfahren. Als Erwachsene möchten sie die Folgen dieser Kindheitsbelastung verständlicherweise endlich hinter sich lassen. Wie dies auf gute Weise gelingen kann, darüber herrscht oft Ratlosigkeit, selbst bei Ärzten und Therapeuten. Schauen wir an, was Menschen als heilend auf ihrem persönlichen Weg beschreiben, so fällt auf: Wege zur Heilung sind vielfältig und individuell. Es gibt nicht  „das“ Rezept. Ob in Forschungen oder in therapeutischer Arbeit, immer jedoch zeigte sich eine Fähigkeit als zentral auf dem Weg zur Heilung: die Fähigkeit, zu hoffen. Das klingt schlicht und einfach… und ist doch für Menschen mit schweren Kindheitsbelastungen eine der schwierigsten Herausforderungen. ….mehr lesen

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin und Autorin.

Ihre Bücher zum Thema: Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht ( 2009).

Arbeit und Unterstützung nach dem AWOKADO-Hilfe-Konzept (auch in individuell zugeschnittenen Kompaktblöcken) in ihrer Praxis KlangRaum in Erkelenz

Transmission

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Tragisch zu beobachten, wie sich Belastungen in bestimmten Familien verdichten und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Kinder aus Suchtfamilien haben ein sechsfach erhöhtes Risiko selbst an einer Suchterkrankung zu erkranken gegenüber Kindern von nichtsüchtigen Eltern. So müssen wir feststellen, dass oftmals Großvater, Vater und Sohn Alkoholiker sind etc. Ebenso gibt es ein hohes Risiko für andere psychische Eigenerkrankungen, so etwa für Töchter von Alkoholikern ein hohes Risiko für Essstörungen. Jeder Erwachsene aus einer belasteten Familie bewegt sich zwischen Chance und Risiko: die Kette der Weitergabe der Sucht (Transmission) unhinterfragt fortzusetzen oder die Weitergabe der familiären Dynamik zu durchbrechen. Dies gelingt u.a. dadurch,  dass familiäre Tabus, verleugnete Gefühle und die spezifische Dynamik endlich zur Sprache kommen können.

Kinderhelden

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Wenn Kinder in Suchtfamilien hineingeboren werden, so trifft  sie dies unvorbereitet: während  Sportler sich auf Höchstleistungen jahrelang vorbereiten, werden Kinder unvorbereitet mit Extremen einer Suchtfamilie konfrontiert, die sie einfach „irgendwie“ bewältigen müssen. Wenn süchtige Extrem-Belastung ihr Leben durchzieht, ist eine Bewältigungsstrategie, die unterbewusst abläuft, eine Rolle zu übernehmen.  Manche Kinder leisten dann dauerhaft schier Übermenschliches, sie gleichen „Superman“ – und bekommen für dieses Leistungen in ihren Familien leider kaum Anerkennung. Andere werden zu einer „Mutter Tereza“ oder einem „Robin Hood“.Diese Rollen sind nur leider kein Spiel, sondern werden zu einem notwendigen Korsett, das sich nur noch schwer ablegen lässt. Zugleich entwickeln  Betroffene in diesen Rollen spezifische Stärken, die sie im besonderen auszeichnen, für die sie selbst  jedoch meist wenig Wertschätzung besitzen ( Spezifischer Rollen-Selbsttest und Stärkenmodell in Barnowski-Geiser: Vater, Mutter, Sucht 2015)

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