Unterschätzt und übersehen: die Stärken der Suchtkinder und die Stärkenfresserspirale

Kinder aus hochbelasteten Familien, wie etwa aus Suchtfamilien, entwickeln auch besondere Stärken: sozial-emotional oft hochkompetent, mit Managerqualitäten höchster Güte ausgestattet, Durchhaltemeisterinnen, Einfühlungsexperten für Stimmungen und Atmosphären etc ( vgl. Barnowski-Geiser/Buch Vater, Mutter, Sucht). Das wurde die längste Zeit (sogar in Forschungsaktivitäten jüngerer Zeit) sträflich übersehen. Diese Stärken zeichnen die betroffenen Kinder in besonderer Weise aus; sie sind ihnen jedoch meist selbst wenig bewusst. Da sie für Ihre besonderen Leistungen und ihren Einsatz für andere in ihren Familien kaum Anerkennung erhielten, sogar eher zum Sündenbock gestempelt wurden, ist ihnen der Zugang zu ihren Stärken oft verwehrt: sie übersehen diese als Erwachsene so, wie sie es im Kindesalter durch die eigenen Eltern erfahren haben. Die betroffenen Kinder geraten in eine Stärkenfresserspirale. In der elterlichen Scham über das eigene Unvermögen, elterliche Fürsorge angemessen und dauerhaft anzubieten, sondern diese viel zu früh an das Kind delegiert zu haben, fällt die alltägliche Höchstleistung des Kindes unter den Tisch. Es beginnt eine Negativspirale in einer verquer anmutenden familiären Dynamik: es gibt demnach Keine (Sucht)-Erkrankung, kein elterliches Versagen, kein Leiden und folglich keine besondere Leistungen der Kinder. Über Jahrzehnte gelebt, wird diese Spirale Teil der Selbstzuschreibung der Kinder: das erwachsene Suchtkind leistet und leistet, gibt und gibt, und bewertet das in vertrauter Manier der Herkunftsfamilie: „Ich habe doch gar nichts gemacht!“ Kommen dann noch entsprechende PartnerInnen, ArbeitskollegInnen oder Chefs dazu, wiederholt sich die Stärkenfresserspirale allzu ungut. Die Stärkenfresserspirale tritt auch bei anderen elterlichen Erkrankungen auf, die mit Tabusisierung einhergehen ( z.B. elterliche psychische Erkrankung, elterliche Traumatisierung etc.)

Überlegen Sie: Was nährt Ihren Stärkenfresser und wie und wodurch könnte er sich zur Ruhe setzten?

Wo und durch wen wird Ihr Engagement gewürdigt?

Wann und wie können Sie es selbst würdigen?

Eine gute Zeit und interessante Erkenntnisse wünscht herzlich

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Nicht Uebermensch und auch nicht Gott- von der erzwungenen Grandiositaet der Kinder aus belasteten Familien

 

„Heute schon geschrumpft?“, möchte ich heute Sie, Angehörige aus einer belasteten Familie, ein wenig provokativ fragen und mit Ihnen die 2.Säule der Identität „Soziale Beziehungen“ (Säulen der Identität) genauer ansehen. Wenn Sie aus einer belasteten Familie stammen, dann kennen Sie es wahrscheinlich, viel zu früh zu Großes und zu Schweres zu tragen. Vielleicht haben Sie sogar, wenn auch mehr oder weniger unfreiwillig, die Rolle des Supermans ( auch in der Superwoman-Version) oder der Mutter Teresa übernommen…zu Großes, das eigentlich Aufgabe Ihrer Eltern gewesen wäre, lastet in diesem Falle auf Ihren Schultern (Rollenbeschreibungen aus Barnowski-Geiser 2015: Vater, Mutter, Sucht); Vielleicht schon ein Leben lang und in den Beziehungen, die Sie als Erwachsene eingegangen sind, sind Sie die tragende Säule? Dann kann es sein, dass es an der Zeit ist, auf Normalgröße zu schrumpfen: Nein-Sagen und Hilfe annehmen will dann geübt werden, die zugrundeliegende Motivation unter diesem Tun will erforscht sein -oft zeigt sich hier eine tiefsitzende Angst, nach „Schrumpfen“ nicht mehr geliebt zu werden.Manche Betroffene verlangen sich,wenn sie von ihren Beziehungen erzaehlen,foermlich Uebermenschliches,ja beinahe goettlich Anmutendes ab.

Soziale Beziehungen können uns tragen – und zu Fall bringen. Erwachsene aus belasteten Familien kennen leider oft die zweite Variante. Wer von Klein auf mit zerstörerischen und selbstfixierten Gegenübern aufwachsen muss, der wird durch elterliche Beziehungen mehr belastet als gestärkt. Tragischer Weise droht dieser frühlkindliche Mangel bis ins Erwachsenenalter bedeutsam zu sein: wird er nicht als solcher erkannt und bearbeitet, drohen Betroffene das alte Leiden in neuem Gewand an Partnern zu wiederholen. Erst in der tieferen Schau sehen sie dann beispielsweise, dass der Ehemann  die narzistischen Züge der eigenen Mutter exakt verkörpert. Endlich gesehen und verstanden werden von einem so selbstbewusten Partner wünschten  sich diese erwachsenen KInder und geben schlichtweg „Alles“… und bemerken spät… „doch wieder im alten Film angekommen“.Denn nicht nur die Krankheiten der Eltern können an die nächsten Generationen weitergegeben werden, sondern ebenso Bindungs-und Beziehungsmuster. Je mehr die familiären Probleme tabuisiert wurden, umso höher ist das Risiko, nicht ohne eigene Blessuren zu entkommen… und so Ungutes an die nächste Generation weiterzugeben.

Weitere Risikofaktoren für die Weitergabe sind in der Forschung bekannt ( Klein/Zobel), etwa ob das KInd mit nur einem belastetenden Elternteil aufwächst und das Elternteil andere stabil zur Verfügung steht. Oftmals sehen  sich Kinder jedoch ungesunden Allianzen gegenüber: Die suchtkranke Mutter ist mit einem von ihr abhängigen Vater verheiratet; das Kind lernt von Klein auf, sich auf beide Eltern einzustellen und  eigene Bedürfnisse außen vorzulassen. Es lernt zudem an diesen Elternmodellen, dass Menschen existenziell aneinader gekettet zu sein scheinen und es kein Entkommen aus der Abhängigkeit gibt. Lernt das Kind hier stattdessen einen unabhängigen Erwachsenen kennen, der sich in gesunder Weise um sich selbst und um das Kind kümmert, stehen die Chancen für die eigene Entwicklung und Gesunderhaltung schon deutlich günstiger.

Wagen Sie doch einen Versuch: Schrumpfen Sie wieder auf Normalgröße… hören Sie auf, eigentlich Übermenschliches zu leisten… gestehen Sie sich Ihre eigene Bedürftigkeit ein! – Vielleicht ist dieser Impuls der Woche ein Weckruf gerade an Sie?…und Sie beginnen in kleinen Schritten…

Eine gute und entspannte Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

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Belastungs-Fasten? So mobilisieren Sie Ihre Widerstandskräfte!

Aschermittwoch…für viele ein Start in eine vom Verzicht geprägte Zeit. Dieser Verzicht ist meist geprägt vom Wunsch nach mehr Innerlichkeit, oftmals religiös motiviert, und auch als Weg zu einem bewussteren und gesünderen Leben. Vielleicht mögen Sie diese Zeit in diesem Jahr nutzen, um Belastendes zu reduzieren und Ihre Widerstandskräfte zu stärken. Immer noch ist es für viele Menschen eher selbstverständlich, sich gegen Erkrankungen, etwa gegen Grippe, stark zu machen – die psychischen Kräfte und ihre Stärkung werden dabei leider sträflich vernachlässigt. Wenn Sie in einer belasteten Familie aufgewachsen sind, ist es wichtig, Ihre Belastungsgrenze immer wieder einmal in den Blick zu nehmen, denn:

Risikoformel für Angehörige

Je länger die Belastung andauert…
je früher sie einsetzt…
je weniger Unterstützung sie erfahren…

                      …umso höher ist das Risiko für Sie als Angehörige, selbst zu erkranken.

Der Belastung widerstehen und gesund bleiben? Das geht… Forschungen zufolge gibt es hilfreiche Resilienzen (Widerstandskräfte). Demnach können Sie etwas zu Ihrer Gesunderhaltung beitragen, indem Sie

  • Ihren Humor behalten und leben
  • die Hoffnung auf Besserung Ihrer Situation nicht verlieren
  • Unterstützung außerhalb Ihrer belasteten Familie suchen
  • Einsicht in die Erkrankung gewinnen, suchen Sie einerseits nach guten Informationen, versuchen Sie aber auch einmal, sich in den Erkrankten einzufühlen, um so  über ihn und sein Erleben zu erfahren
  • die Belastung als Herausforderung/„Challenge“ begreifen – bleiben Sie aktiv statt passiv: schauen Sie sich genau an, was Sie wirklich ändern können ( hier lohnt es sich, weitere Energie zu investieren) und was Sie als Gegeben hinnehme müssen
  • Ihrer Kreativität Raum und Zeit geben (Dafür habe ich keine Zeit, sagen Sie? Diese kreative Seite braucht nicht unbedingt viele Wochenstunden, manchmal reichen wenige Minuten Malen zu Musik, Singen, was aus dem Herzen kommt etc.)

Vielleicht wählen Sie einen schützenden Aspekt aus, um den Sie sich als Start in Ihre Belastungs-Fastenzeit kümmern mögen. Starten Sie in eine Zeit, in der Sie zugleich Belastendes, so gut als möglich, reduzieren…

Wer sich von der wissenschaftlichen Seite einen Überblick zum Weitergaberisiko informieren möchte, dem seien auch die ausführlichen Präsentationen (als Downloads dort erhältlich) auf den Seiten von Suchtforscher Professor Dr. Klein empfohlen.

Zunehmend werden Projekte eingerichtet, in denen belasteten Kindern frühzeitig Hilfe angeboten wird. Interessant sind hier auch Patenschaftsmodelle, in denen sich nicht zuletzt betroffene Erwachsene enagagieren, zum Beispiel für Kinder psychisch erkankter Eltern

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Unterschätzt und übersehen: die Stärken der Suchtkinder

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Kinder aus Suchtfamilien, und das wurde die längste Zeit (sogar in Forschungsaktivitäten jüngerer Zeit) sträflich übersehen, entwickeln auch besondere Stärken. Diese Stärken zeichnen die betroffenen Kinder in besonderer Weise aus; sie sind ihnen jedoch meist selbst wenig bewusst. Da sie für Ihre besonderen Leistungen in ihren Familien kaum Anerkennung erhielten, sogar eher zum Sündenbock gestempelt wurden, ist ihnen der Zugang zu ihren Stärken oft verwehrt: sie übersehen diese als Erwachsene so, wie sie es im Kindesalter durch die eigenen Eltern erfahren haben. Die betroffenen Kinder geraten in eine Tabu-Stärkenfresserspirale. In der elterlichen Scham über das eigene Unvermögen, elterliche Fürsorge angemessen und dauerhaft anzubieten, sondern diese viel zu früh an das Kind delegiert zu haben, fällt die alltägliche Höchstleistung des Kindes unter den Tisch. Es beginnt eine Negativspirale in einer verquer anmutenden familiären Dynamik: Keine (Sucht)-Erkrankung, kein elterliches Versagen, kein Leiden und folglich keine besondere Leistungen der Kinder. Über Jahrzehnte gelebt, wird diese Spirale Teil der Selbstzuschreibung der Kinder: das erwachsene Suchtkind leistet und leistet, und bewertet das in vertrauter Manier: „Ich habe doch gar nichts gemacht!“ Kommen dann noch entsprechende Partner, Arbeitskollegen oder Chefs dazu, wiederholt sich die Tabu-Stärkenfresserspirale allzu ungut.Die Tabu-Stärkenfresserspirale tritt auch bei anderen elterlichen Erkranungenauf, die mit Tabusisierung einhergehen ( z.B. elterliche psychische Erkrankung, elterliche Traumatisierung etc.)