Manche Menschen kommen verzweifelt in die Therapie: sie haben nun schon mehrere Therapien hinter sich, sie haben ihre Beziehung beendet und einen neuen Job angefangen: sie fühlen sich jedoch weiterhin schlecht und unglücklich. Ihre Lebensqualität empfinden mit „nicht so gut“ milde beurteilt. Oftmals hat die Beeinträchtigung der Lebensqualität ihre Wurzel in der Biografie der Betroffenen, hier in der Geschichte ihrer Gefühle. Versuchen wir es aus neurowissenschaftlicher Sicht vereinfacht zu erklären: unser Gehirn verschaltet sich nutzungsabhängig. Nehmen wir Herrn A: von Beginn seines Lebens an ist er mit viel Angst, Unsicherheit und Sorge aufgewachsen ( seine Eltern waren wenig beziehungsfähig und konnten, insbesondere als er noch Kleinkind war, wenig feinfühlig auf ihn eingehen ). Man könnte im Modell sagen, dass Herr A. die Hirnspur „Angst und Sorgen“viel genutzt hat ( natürlich unbewusst und nicht freiwillig!). Aus einem oft genutzten Hirnweg kann eine regelrechte Hirnautobahn im Kopf entstehen: breit, viel befahren und immer bereit, genutzt zu werden. Die positiven Emotionen bleiben vielleicht wenig, bis gar nicht genutzt: sie drohen im unguten Falle zu verkümmern. So auch bei Herrn A., er fühlt sich chronisch schwer und traurig, erlebt sich unbegründet dauerängstlich, sein Leben als „schwer“, ohne , dass es einen wirklichen aktuellen Grund gäbe. Über die Jahre kann aus Gefühlen unter bestimmten Bedingungen eine dauerhafte Grundstimmung und ein allgemeines Befinden werden: es fühlt sich chronisch nicht gut an.Betroffene glauben dann, dies nie mehr hinter sich lassen zu können, schieben ihre schlechte Dauerstimmung auf ihren „Charakter“ oder glauben, sich noch mehr um ihre Probleme kümmern zu müssen: indem sie sich noch mehr änstigen und sorgen. Herr A. muss also nicht mehr nur in Problemen „wühlen“, wie er es nennt, sondern die Quaität der Leichtigkeit und Inbeschwertheit Raum geben. Kindheitsbelastete drohen, wieder und wieder auf der alten Autobahn der Angst und Sorge zu landen, so auch Herr A. Spätestens dann ist mehr desselben kontraproduktiv: nun müssen neue Wege beschritten werden. Wenn Kindheitsbelastungen bearbeitet wurden, Lebensumstände gewandelt wurden und doch die Lebensqualität beeintrchtigt ist, dann lonht sich „Gefühlsarbeit“. Um aus dem alten Dilemma herauszukommen, ist es nötig:
- den Mechanismus der „unguten Autobahn“ zu erkennen
- eigene Gefühle und Stimmungen wahrzunehmen und zu identifizieren,
- Gefühle neu zu bewerten und einzuordnen
- einen Perspektivwechsel vorzunehmen
- neue Gefühle zu erproben und leben.
Die gute Nachricht für alle chronisch Schlecht-Fühler: Sie können etwas tun, Sie können aktiv Einfluss auf Ihre Stimmung nehmen…und damit meine ich kein zwanghaftes „Positivdenken“ mit Schönfärberei.
Zur Unterstützung empfehle ich zwei auf diese Belastung zugeschnittene Übungen.Um anders zu fühlen (oder auch überhaupt wieder), zeigen sich in meiner therapeutischen Arbeit mit Kindheitsbelasteten als besonders hilfreich:
1 Besser fühlen…Brücken bauen
2 Der Anker im Körper
Diese beiden Methoden möchte ich Ihnen hier zur Selbstanwendung vorstellen. Sprechen Sie diese Arbeit ggf. mit Ihrem Therapeuten ab, machen Sie dies nur, wenn Sie sich gerade stabil genug für neue Erfahrungen fühlen.
Kreative Selbsterfahrung Teil 1 „Brückenbau“
Diese Übung erfordert ein wenig Zeit und einen Ort, an dem Sie ungestört sein können...setzen oder legen Sie sich nun bequem hin. Achten Sie darauf, dass Sie nicht eingeengt werden und ihr Atem frei fließen kann…. Nehmen Sie nur wahr, wie Sie aus- und einatmen…nichts ändern müssen, alles sein lassen..
Wenden Sie sich nun einem Gefühl zu, dass Sie in der letzten Zeit unangenehm erleben ( das kann auch Gefühllosigkeit sein). Stellen Sie sich vor, dieses Gefühl wäre eine Landschaft… wie sieht es hier aus, wie riecht es, schmeckt es, welche Geräusche sind da, welche Farben sind vorherrschend? Schauen Sie nur von oben auf die Landschaft, gehen Sie nicht hinein…wechseln Sie nun die Gegend….
Wie sieht die für Sie gegenteilige Landschaft aus…wie riecht es schmeckt es, welche Farben sind hier, welche Klänge, welche Menschen? Probieren Sie aus, wie es sich anfühlt, in dieser Landschaft umherzugehen. Wie ändert sich ihr Gang, ihr Körpergefühl, ihr Gangtempo?
Lassen Sie im nächsten Schritt zwischen diesen beiden Landschaften Brücken entstehen: sie können auf dieser Brücke hin- und hergehen und die Landschaften so aufsuchen, wie Ihnen danach ist. Sie können nun immer, wenn Sie im unguten Gefühl angekommen sind auch auf die andere Seite wechseln. Probieren Sie das ein paar mal hier und jetzt aus.
Indem Sie diese Übung nun öfter anwenden, können Sie das Verknüpfen Ihrer Gefühlswelten unterstützen. Je regelmäßiger Sie dies tun, umso nachhaltiger greift der Veränderungsprozess ( auch hier gilt: Ihr Gehirn ist nutzungsabhängig!).
2 Kreative Selbsterfahrung: Der Anker in meinem Körper
Diese beiden Methoden möchte ich Ihnen hier zur Selbstanwendung vorstellen. Sprechen Sie diese Arbeit ggf. mit Ihrem Therapeuten ab, machen Sie dies nur, wenn Sie sich gerade stabil genug für neue Erfahrungen fühlen.
Diese Übung erfordert ein wenig Zeit und einen Ort, an dem Sie ungestört sein können...setzen oder legen Sie sich nun bequem hin. Achten Sie darauf, dass Sie nicht eingeengt werden und ihr Atem frei fließen kann…. Nehmen Sie nur wahr, wie Sie aus- und einatmen…nichts ändern müssen, alles sein lassen…Denken Sie nun , wi es sich anfühlt, wenn Sie sich ganz bei sich und mit sich eins fühlen. Vielleicht erinnern Sie auch eine entsprechende Situation. Wie hat sich Ihr Körper angefühlt dabei? An welchem Punkt in Ihrem Körper ist dieses Gefühl zu Hause? Stellen Sie sich nun, wenn diese Vorstellung angenehm ist, vor, wie Sie mit jedem Ausatemzug tiefer in Ihren Körper sinken und seiner inneren Weisheit fplgen. Welche Körperstelle meldet sich, bewerten Sie nicht, auch wenn Ihnen diese Stelle ungewöhnlich erscheint…. Gehen Sie mit Ihrer Achtsamkeit zu diese Stelle: wie fühlt es sich genau an, welche Farben sind hier zu sehen, welche Klänge zu hören? Nur wahrnehmen. Wenn die Stelle gut mit den Händen erreichbar ist, so legen Sie eine Hand über diese Stelle, andernfalls stellen Sie sich eine Hand über dieser Stelle vor. Nehmen Sie die Energie wahr und verbinden sich mit dieser Stelle.
Wiederholen Sie diese Übung, wenn Sie sie angenehm erleben, ab sofort täglich.
Bei aufsteigenden unangenhemen Gefühlen können auch diese, nach einiger Übung im Körper, verortet und gewandelt werden ( z. B. Wut, sitzt heute in meinem Kiefer). Dann mit der stabilisierenden Stelle verbinden ( Wohlfühlstelle, z.B. im Herzen), indem Sie sich vorstellen, die Energie aus der Wohlfühlstelle zur unangenhemen Körperstelle fließen zu lassen- auch eine Brücke, wie in Übung 1 , kann zwischen diesen Stellen imaginiert werden, wenn Sie dies als angenehm erleben. Probieren Sie aus und wandeln Sie so ab, wie es IHnen persönlich entspricht-.
Eine gute Zeit wünscht Ihre
Waltraut Barnowski-Geiser
Wut: ein Gefühl unter Generalverdacht
Kinder belasteter Eltern leiden unter vielem. Ein großes und oftmals wenig beachtetes Leiden ist ihr Leiden am Gefühl: Gefühle werden in belasteten Familien, gerade da sie Betroffenen oftmals übergroß erscheinen, in die feindliche Ecke gestellt. Gefühle seien tunlichst zu vermeiden, lautet dann die offen oder unausgesprochene, in jedem Fall allzeit angesagte Familienbotschaft. Wenn diejenigen Gefühle, die Eltern überhaupt zeigten, dann noch zu den vor allem negativ erlebten gehören, führt das bei ihren Kindern leicht dazu, Gefühle generell misstrauisch zu beäugen; in der Folge werden Gefühle oftmals abgespalten oder nicht gelebt. Zu den derart negativ besetzten Gefühl muss die Wut gezählt werdeb: sie gerät, so zeigt sich bei erwachsenen Kindern aus belasteten Familien, unter Generalverdacht.
Herr S. hatte einen cholerischen Vater, der in seiner rasenden Wut zu Gewalttätigkeiten neigte. Niemals, so hat Herr S. sich geschworen, will er werden wie sein Vater. In seinen Schilderungen wird deutlich, dass er sich jedoch nicht nur (und das ist ja auch gut und sinnvoll) die dem Vater zueigene Cholerik verbietet, sondern jedes ärgerliche Gefühl: jede wütende und aggressive Anmutung hat er sich untersagt. Das blieb nicht folgenlos. Herr S. fühlt sich seit langem wie in einem Korsett, leidet unter extremen Verspannungen: ein lebenserhaltendes Gefühl, Wut und Aggression, ist komplett blockiert, ist eingesperrt. Er fühle sich oft wie ein Tiger im Käfig, beschreibt Herr S..
Erwachsene Kinder belasteter Eltern stehen vor der schwierigen Aufgabe, ihre Gefühlswelt und deren Bewertung neu zu prüfen. Manchmal erfordert dies Rückmeldung von anderen Menschen: denn in ihrer Selbstzuschreibung werden diese erwachsenen Kinder sich meist wenig gerecht. Ärgerlich Werden ist in ihrer Selbstzuschreibung dem väterlichen Tobsuchtsanfall gleichgestellt. Oft sind sie permanent damit beschäftigt, bloß nicht wütend zu werden, keine Wut zu zeigen, gefolgt vom Ärger über das Fühlen. Wut droht so ungelebt zu bleiben, findet keinen Ausdruck, keinen neuen Weg: etwa sich aufregen dürfen, ohne andere zu verletzen, sich selbst in seinem Ärger zuzuhören statt maßzuregeln etc.
Vielleicht ist es auch für Sie an der Zeit, Ihren Umgang mit Wut zu beobachten…vielleicht ist ja auch für Ihre Gefühle Freispruch nach Jahren der Anklage angesagt?
Sonnige Momente im Regen wünscht
IHre
Waltraut Barnowski-Geiser