Rückblick auf wunderbare Veranstaltungen im Herbst 23

Wir freuen uns, dass drei Stücke dieser CD Einzug in die Inszenierung (Ltg. Stefan Bockelmann) des eindrucksvollen Theaterstückes „Schattenheimat“ hielten:

Micky und Theo Schläger: Wenn wir nun gehen

Duo EigenArts: sattgrünhimmelblau und Billa, lass uns tanzen (Letzteres gem. mit den Gospelvoices Holzweiler).

Das Performen unserer Stücke bei der anschließenden Premierenfeier hat uns viel Freude bereitet. Die CD ist über uns und den Heimatverein der Erkelenzer Lande erhältlich.

Ein stimmungsvoller Abend Im Rahmen der Reihe Inclusio meets Musik zusammen mit Quod Libet und Beiträgen von Duo EigenArts sowie Daniel Stolz, Volkan Semerci und Miriam Hennen.

Daniel Stolz

Neue Rezension „Vererbtes Schicksal“

Die Wunden und Traumata unserer Vorfahren spielen in unser Leben? Ja, das ist inzwischen durch Forschung hinlänglich bekannt. Wie wir uns von den Wunden unserer Vorfahren im Heute selbst befreien können, damit beschäftigt sich im besonderen Psychotherapeutin Sabine Lück in ihrem Fachbuch, mit vielen Anleitungen zur Selbsthilfe. Für die Stiftung Zu-Wendung für KInder habe ich das Buch rezensiert. Lesen Sie hier

Einen guten Sommer wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Duo EigenArts auf der Couch

Zum Gottesdienst auf dem Sofa lädt Pfarrer Robin Banerjee im April das Duo EigenArts ein. Wir freuen uns, uns den sicher interessanten Fragen rund um das Thema Kindheit zu stellen und zugleich Livemusik zu spielen.

Samstag, den 29.April 18 Uhr, in der Evangelischen Kirche Schwanenberg. Mehr s. Auszug aus dem Gemeindebrief.

Besser leben? Warum ein Atemzug, der Mount Everest und ein ungewöhnliches Früchtchen Ihre Helfer sein können.

Von Waltraut Barnowski-Geiser

Jetzt besser leben – das wollen die meisten Menschen! Vor allem natürlich wünschen das all jene, die in ihrer Kindheit Schweres erlebt haben. Oftmals haben aber gerade diese Menschen ihre Hoffnung auf ein besseres Leben aufgegeben. Soviel Enttäuschung, so viele leere Versprechungen haben sie bereits erlebt! Jetzt besser leben: „Wie könnte das gehen?“ fragen sie sich, und vor allem: „Wie sieht mein Weg zu einem besseren Leben aus?“ Denn: jede und jeder hat eine andere Vorstellung davon, was ein Leben zu einem besseren macht

…Vielleicht wollen Sie auf kreativem Weg  etwas über Ihre persönliche Vorstellung erfahren.Dann könnte die folgende Übung hilfreich sein. Wenn Sie gerade Zeit nehmen wollen, dann starten Sie jetzt in die Übung. Sie können diese auch jetzt überspringen und später nach dem Lesen machen!

Übung MEINE Besser-Leben-Landschaft

Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit: schließen Sie, wenn Sie mögen, die Augen…nehmen Sie Ihren Atem wahr…wenigstens drei Atemzüge wahrnehmen: wie Sie ein und wieder ausatmen…

Nun lassen  Sie vor Ihrem inneren Auge langsam eine Landschaft entstehen, in der Sie sich gut und glücklich fühlen. Wie duftet es hier, wie schmeckt es, welche Farben sehen Sie. Wie klingt es, welche Geräusche hören Sie? Lassen Sie sich ein wenig Zeit…vielleicht wollen Sie diese Landschaft später malen.

 Kommentar zur Übung: Bilder können helfen, etwas zur Sprache zu bringen, für das wir noch keine Worte haben.  Indem wir unsere Sinne aktivieren, aktivieren wir auch Potenziale, Sehnsüchte und Wünsche,die vielleicht längst vergessen schienen.

Flucht aus dem Jetzt
Viele Menschen mit Kindheitsbelastungen pendeln sich mehr schlecht als recht auf einem sie wenig befriedigenden Level ein: zwischen Vergessen und Verdrängen, zwischen Trauer und Zorn. Sie beschreiben, nichts mehr zu fühlen, oftmals allenfalls Leere. Das Fühlen des Unangenehmen wurde unbewusst aufgehoben, unglücklicher Weise aber auch das Fühlen von Schönem. Andere leben ständig im Gestern, wälzen schlimme Ereignisse von damals. Sie werden bis zum heutigen Tag von der Vorstellung gequält, an den Ereignissen der Kindheit Schuld zu tragen:

Ein trinkender Vater? Das erwachsene Suchtkind denkt, es hätte damals ein besseres Kind sein müssen, dann wäre der Vater nicht unglücklich gewesen und hätte folglich auch nicht trinken müssen.

Die Mutter, die in Depressionen aus dem Leben schied? Bestimmt hätte der Sohn vielmehr für sie Dasein müssen, ihr mehr Freude bereiten sollen, mehr und Besseres leisten sollen.

In diesen und anderen Gedankenketten sitzen Menschen fest.

Andere nehmen die Flucht nach vorn: sie leben in der Zukunft. Sie träumen, nicht nur ein bisschen und manchmal, sondern eigentlich immer und überall. Träumen hat sie als Kind gerettet, um dem Schlimmen zu entfliehen. Diesem Mechanismus können sie nun bis heute schwer entfliehen (manche haben bereits die Diagnose ADS/Aufmerksamkeitsdefizitstörung ohne Hyperaktivität erhalten): So träumen sie auch heute… von einem Traumprinzen, der so ganz anders ist als der enttäuschende Mann  jetzt an ihrer Seite, anders als der Vater früher. Sie träumen von einer Zeit, in der sie endlich glücklich sind, weil sie zum Beispiel materiell unabhängig sein werden. Morgen, irgendwann in ferner Zukunft. wird alles besser sein. Und so warten sie und warten und warten, während das Leben an ihnen ungelebt vorbeizieht.

Mit einem Atenzug ins Jetzt
Bei all diesen Arten der Lebensbewältigung verpassen die Menschen etwas sehr Wesentliches: nämlich das Jetzt. Auch Glück findet immer gerade jetzt statt. Wenn keine Achtsamkeit für das Jetzt vorhanden ist, dann gehen kostbare Momente einfach verloren, dann rauscht das Glück vorbei, da es nicht einmal wahrgenommen wird.

Das Zurückerobern des Lebensglückes bedeutet, sich in das Jetzt zurückzutrauen.
Ein wichtiger Helfer in das Jetzt ist unser Atem: wahrnehmen, ohne jede Absicht und ohne jede Bewertung, wie der Atem einfließt und wie er wieder den Körper verlässt: Das ist die Brücke in die Gegenwart. Das klingt so einfach: und ist doch gerade für Menschen aus schwierigen Elternhäusern so schwer. Da damals das Jetzt so unangenehm war, haben sie, um ihre Seele zu retten, begonnen aus dem Jetzt zu fliehen. Und damals viel Lebensqualität verloren. Diese gilt es heute wieder zurückzugewinnen: und diesen Schritt können nur Sie selbst für sich tun. Vielleicht sagen Sie jetzt: „Ich habe viel zu tun, wann das noch?“ oder „Das fühlt sich so unangenehm an, wenn alles ruhig ist und ich mich spüre!“

Meditation ohne Geheimnnis

Es gibt viele Wege zur Achtsamkeit und Meditation. Als eine weise Lehrerin giltie buddhistische Nonne Ayya Khema (leider ist sie inzwischen längst verstorben, aber ihre Ausführungen sind  auf youtube abrufbar) Ayya Khema vermittelt Meditation ohne Geheimnis, aus der ich hier nur sehr vereinfachend Wichtiges zusammengefasst und sehr gekürzt darstelle. Eine Einsicht lautet, dass alle Empfindungen vergehen, wenn man sie einfach nur beobachtet: so wie alles vergeht! Auch Gedanken lassen sich demnach beobachten, sie werden in dieser Praxis etikettiert – die vorbeiziehenden Gedanken erhalten gleichsam einen Karton, in den man sie steckt. So merkt der Meditierende, welche Kartons er meistens benutzt, sprich, womit er sich meist beschäftigt und lernst sich dabei selbst bestens  (er)-kennen. Erwachsene Kinder aus Suchtfamilien beschreiben, mit ihren Gedanken ständig um einen ihnen wichtigen Menschen zu kreisen. Ihr Wohl hängt dann, so erleben sie es, von diesem einen Menschen ab – Abhängigkeit entsteht. Im Sinne der Lehre des Buddhas lässt sich hier als Methode anwenden: Etikettieren und Ersetzen. Eine spannende Idee! Probieren sie es aus: Wenn Sie an einen bestimmten Menschen denken, förmlich um ihn kreisen, sagen Sie innerlich „Stop!“ Ersetzen Sie diese Gedanken an den anderen, indem Sie zu sich selbst zurückkehren: Achten Sie auf Ihren Atem, nehmen Sie wahr, was Sie gerade spüren. Und in einem weiteren Schritt erspüren Sie, was sie selbst jetzt gerade brauchen.
Es gibt viele unterschiedliche Verfahren und Wege, um Achtsamkeit zu erlernen. Neben alten Lehren wie dem Buddhismus (hier auch Thich Nhat Hanh), unterschiedlichen Formen im Yoga usw. gibt es diese Ansätze auch in modernen Therapieverfahren, wie etwa dem MBSR nach Kabat-Zinn, der Hypnotherapie nach Milton Ericson oder auch im Integrativen und Hypnosystemischen Therapieverfahren. Suchen Sie im Vertrauen auf sich selbst den für Sie passenden Weg. Es gibt viele Cds und Bücher zu diesem Feld, die Ihnen Hilfe anbieten können.

AWAOKADO…was für ein Früchtchen!
In meinen Befragungen von Erwachsenen und Kindern aus Suchtfamilien (Barnowski-Geiser 2009) beschrieben Menschen neben der Achtsamkeit sechs weitere Faktoren, die Ihnen auf dem Weg zu einem besseren Leben geholfen haben:
A chtsamkeit lernen
W ürdigung der Kindheitsbelastungen, aber auch der eigenen Stärken
O rientierung finden, einen eigenen Standpunkt
K reativität und Ausdruck leben
A nklang und Beziehung finden
D eckung und De-Parenting ( Sicherer Raum und Kind sein dürfen, etwa das Spielen entdecken)
O ffenheit und Öffnung
Sie haben es wahrscheinlich schon gesehen: die Anfangsbuchstaben ergeben in der Vertikalen das Wort AWOKADO und erinnern somit an eine kleine sehr heilsame Frucht. Ihre große Wirkung entfaltet diese Frucht, so wird es von Betroffenen beschrieben, indem man sie dosiert einsetzt. Das gilt auch für Sie und den Beginn Ihrer Veränderung hin zu einem besseren Leben. Dosiert sollten Sie, vertrauen wir den Erfahrungen, beginnen: der erste Baustein ist Achtsamkeit (vgl. Das AWOKADO-Hilfe-Konzept in Barnowski-Geiser/2015:Vater,Mutter,Sucht. Wie erwachsene Kinder suchtkranker Kinder trotzdem ihr Glück finden). Achtsam ist gleichsam die Mutter der Heilung!

Jetzt starten…schließlich haben Sie schon den Mount Everst bestiegen!
Alle große Veränderung, auch in Ihrem Leben, beginnt mit einem kleinen Schritt. Diesen können Sie gerade heute tun. Atmen Sie sich für Augenblicke ins Jetzt und steigern Sie diese Zeit innerhalb der nächsten Tage, wenn wir uns hier wieder treffen. Ich bin sicher: Wenn Sie den Weg auf diese Seite gefunden haben, dann haben Sie in ihrer Kindheit viel zu früh Großes geleistet. Sie haben wahrscheinlich schon ganz früh, um einen Vergleich zu wählen, den Mount Everest bestiegen. Nur: Das hat Ihnen niemand gesagt, man hat Ihnen erst recht nicht gedankt, weil vielleicht die Probleme ihrer Eltern, um die sie sich viel zu früh kümmern mussten, angeblich gar nicht vorhanden waren. Tabuisieren war dann der Weg ihrer Eltern; Ihre Eltern haben es nicht anders geschafft. Es ist wichtig, aus dieser familiären Negativkette auszusteigen, damit Sie Neues an ihre Kinder und Partner weitergegeben können. Mit nur einem Atemzug kann Neues in ihr Leben und das Leben Ihrer Familie treten.

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Interessante Blogs im Themenfeld:

http://www.projekt-gesund-leben.de/achtsamkeit-mbsr/

http://burnout.blog.de/

https://meditationfuerskeptiker.wordpress.com/

Video

Einführung in die Meditation, Teil 1/4 – Ayya Khema

Vielen Betroffenen hilft zu Beginn das mit der Wahrnehmung verbundene Loslassen, wie es

Thich Nhat Hanh hier vorführt

Kabat-Zinn/MBSR

Krankheitsscham am Arbeitsplatz- ein Interview

Jounalistin Karen Heidl stellte mir interessante Fragen: wie wirkt sich Krankheitsscham am Arbeitsplatz aus? Das gesamte Interview mit dem Titel "Krankheitsscham- der unsichtbare Schatten" können Sie hier nachlesen https://www.penso.ch/rubriken/gesundheit/krankheitsscham-der-unsichtbare-schatten/
Ich denke, das Thema ist etwas für Sie liebe treue Lesende, denn: Gerade Erwachsene aus belasteten Familien leiden nicht selten unter chronischen Krankheiten - und auch von Krankheitsscham sind sie nach meinen Erfahrungen in besonderem Maße betroffen.
Weitere interessante Artikel "Trauer im Team bewältigen" und zur psychologischen Ersthilfe in akuten Krisen können Sie auf diesen Seiten ebenfalls nachlesen.
Eine gute Zeit wünscht 
Ihre
Waltraut Barnowski-Geiser

Endlich gesehen und erkannt werden…wie das Tabu Ihrer Kindheitstage ins Jetzt spielt

„Ich möchte gesehen werden!“…“Ich möchte endlich ganz erkannt werden!“ Diese und ähnlich klingende Wünsche höre ich in den Therapie-und Coachingstunden von Erwachsenen aus Suchtfamilien nicht selten. Nicht, dass dieser Wunsch auch bei anderen Erwachsenen nicht auftritt, aber bei Angehörigen aus belasteten Familien, in denen tabuisiert wurde, scheint er überproportional zu sein.
Wenn betroffene Menschen und ich uns gemeinsam auf Spurensuche begeben, so stellen wir oftmals fest, dass Tabus am Werk sind. Bis heute! Von Klein auf haben diese Erwachsenen gelernt, dass es in Ihrer Familie etwas zu verbergen gab oder auch noch gibt, die Trinkerei des Vaters sollte besser nicht von anderen gesehen werden, die Ausfälle der Mutter müssen vertuscht werden etc. Die Betroffenen tragen diese Tabus wie Mäntel, sie bedecken, verstecken etwas vor anderen, was irgendwann ein Teil ihres Selbst geworden ist: Sie verstecken und verbergen Teile von sich. Das Verstecken, Verheimlichen, sich nicht „ganz“ zeigen ist ihnen zur zweiten Haut geworden. Ihre Familie glich oftmals einer Festung, sie werden selbst zu Burgbewohnern mit Haut und Haar (Barnowski-Geiser im Buch Vater,Mutter,Sucht) Dieses Verbergen geht in Resonanz zu anderen Menschen: die anderen reagieren mit Weggucken, „Nicht-Hinschauen“, was irgendwann für die Betroffenen selbst schmerzlich wird – das Leid des Übersehen-Werdens beginnt. Bevor diese Erwachsenen sich gesehen und erkannt fühlen können, müssen sie erst einmal selbst hinschauen, ihr Verbergen ergründen. Und nach und nach ändert sich auch der Blick der anderen…

Im Körper Heimat finden

Wochenimpuls „Im Körper Heimat finden“ vom 23.1.23

Der Körper ist unsere Heimat!

Fühlen Sie sich manchmal seltsam "lost", heimatlos, fremd? Gehören Sie zur Gruppe der erwachsenen Kinder aus belasteten Familien? Dann könnte es sich lohnen, hier weiterzulesen.

Wenn Menschen sich lange um andere kümmern mussten, manche viel zu jung und viel zu früh, dannn sind sie sich oft verloren gegangen. Sie fühlen sich heimatlos, ihr Körper ist ihnen fremd oder nur noch als Funktons-und Leistungszone vertraut. Wenn sie irgendwann vielleicht nur noch um eine Person kreisten, dann sind sie sich selbst, gerade, wenn dieser Prozess viele Jahre andauerte, oftmals seltsam fremd geworden. Das sich um andere Kümmern, andere mehr Spüren als sich selbst, das permanente Merken, was andere brauchen, endlose Denken über die anderen, ist ihnen dann zur zweiten Haut geworden. Eine Haut, unter der oftmals das Eigene verloren gegangen ist. 

Wenn etwa ein Elternteil suchtkrank ist, ständig Ausfälle durch Alkohol hat, permanente extreme Stimmungsschankungen durchlebt, psychisch krank ist, dann raubt das den Angehörigen, vor allem den im besonderen Maße betroffenen Kindern, ungeheure Energie. Darüber habe ich in meinem Blog und in meinen Fachbüchern ausführlich geschrieben. Denn eine tragische Seite an diesen Prozessen ist, dass sie nicht zu enden scheint. Manches erwachsene Kind eines erkrankten Elternteils leidet lebenslänglich, auch dann noch, wenn es schon das elterliche Haus verlassen hat: Die Bedürftigkeit und der innere Ruf, helfen zu müssen ist oftmals durch die räumliche Trennung nicht aufgehoben. Das Rollenkorsett des Helfenden ist zum Korsett geworden, „Mutter Teresa“ kann einfach nicht mehr anders (s.a. Rollenmodelle Barnowski-Geiser im Buch Vater, Mutter, Sucht).Zu lange haben diese Kinder gespürt, was die anderen brauchen. Sie hören, ohne dass diese Worte gesprochen sein müssen: Sei, was wir brauchen! 

Sogar weit über die eigene Belastungsgrenze wird geholfen und sich gesorgt. „Hauptsache, meinem Vater geht es endlich gut und er hört dann auf zu trinken!“, denken nicht wenige Betroffene unter der Knute der Selbstaufgabe. Und selbst, wenn die Belastung nachlässt, die Erkrankung des Angehörigen aufhört, die Depression eingedämmt ist, das Trinkverhalten unter Kontrolle scheint, gerade dann schleicht sich bei den derart betroffenen Angehörigen, oft im fortgeschrittenen Erwachsenenenalter ( also auch lange nach der eigentlichen Belastung) eine große Leere ein. Das sich nicht Kümmern müssen, löst nun eine neue Phase ab, in der die Betroffenen oftmals starke Identitätsprobleme bekommen. „Wer bin ich, wenn ich mich nicht kümmere?“ „Bin ich noch etwas wert, wenn ich nicht mehr gebraucht werde?“ „Was soll ich tun, wenn ich mich nicht anstrenge?“ Das eigene Leben scheint oftmals in diesem verschleißenden Prozess im Kreisen um den erkrankten Elternteil oder Angehörigen verloren gegangen. Mühsam müssen sich Angehörige nun aufmachen, ihr eigenes Leben zu entdecken. Sie fühlen sich seltsam heimatlos.

Eine wichtige Brücke im Genesungsprozess, in dieser Heimfindung zu sich selbst, stellt der Körper da. Gerade der Körper erzählt vom Erlittenen, vom Erschöpften, vom nicht mehr können wie man will usw., aber er birgt auch die Ressourcen und Kräfte, um wieder zu sich zu kommen und zu erstarken. Deshalb ist es für Betroffene erwachsene Kinder, die jahrzehntelang ihren eigenen Körper und seine Empfindungen ausblenden mussten, so schwer, wieder in den eigenen Körper zurückzufinden. Ein erster Schritt kann sein,  den Körper für wenige Minuten wert-und absichtsfrei wahrzunehmen. Das geht oftmals besonders gut, indem man zuglich dem Atem lauscht...Probieren Sie es in der nächsten Woche doch einmal genausolange aus, wie es sich für sie stimmig anfühlt. „Fremdeln“, den Körper nicht spüren wollen, ist dabei durchaus „normal“.

 Ein erwachsenes Kind einer trinkenden Mutter berichtete über diesen Prozess.
 Langsam in kleinen Schritten nur konnte ich meinen Körper spüren. Ich habe nicht aufgegeben in der Erkenntnis: Du musst nicht länger im Außen suchen. Hier ist deine Heimat, dein Ort, an dem Du sein und spüren darfst wie es für dich stimmt.


Vielleicht machen auch Sie den ersten Schritt? Vielleicht helfen Ihnen dabei auch weitere Selbstcoaching-Impulse, die ich hier kostenfrei zur Verfügung stelle.
 Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit,
Ihre
Waltraut Barnowski-Geiser

Sie möchten sich selbst endlich besser verstehen?

Auf den Spuren der eigenen Identität begegnen uns auch Menschen, an die wir uns nicht gern erinnern…

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Viele Erwachsene aus belasteten Familien entdecken irgendwann an sich selbst Verhaltensweisen oder Stimmungslagen, in denen sie sich nicht verstehen. Sie fühlen sich etwa grundlos traurig, wertlos, obwohl sie eigentlich viel leisten, sie beobachten an sich Suchtverhalten, dass sie doch so unbedingt vermeiden wollten, in dem Anspruch, bloß nicht so zu werden wie Vater oder Mutter. Tragisch zu beobachten, wie sich Belastungen in bestimmten Familien verdichten und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Kinder aus Suchtfamilien haben ein um sechsfach erhöhtes Risiko selbst an einer Suchterkrankung zu erkranken gegenüber Kindern nichtsüchtiger Eltern. So sehen wir, dass oftmals Großvater, Vater und Sohn Alkoholiker sind etc. Ebenso gibt es ein hohes Risiko für andere psychische Eigenerkrankungen, so etwa für Töchter von Alkoholikern ein hohes Risiko für Essstörungen. Jeder Erwachsene aus einer belasteten Familie bewegt sich zwischen Chance und Risiko: die Kette der Weitergabe der Sucht (Transmission) unhinterfragt fortzusetzen oder die Weitergabe der familiären Dynamik zu durchbrechen. Dies gelingt u.a. dadurch,  dass familiäre Tabus, verleugnete Gefühle und die spezifische Dynamik endlich zur Sprache kommen können. Meist können diese erwachsenen Kinder sich selbst in ihrem „So-Sein“ erst dann verstehen, wenn sie es gewagt haben, in den Ihnen wie ein Abgrund erscheinenden familiären Kontext ihrer Kindheitstage zu blicken. Oft erst dann, wenn die Spuren dieser Tage verstanden und entdeckt sind, wird Veränderung möglich.

Duo EigenArts bei den Rheydter Kunsttagen

Wir freuen uns, unser neues Programm auf Einladung von „Der Blaue Rheydter“ bei den Rheydter Kunsttagen zu präsentieren.

10.9.22 um 16 Uhr, Bahnhof Kulturbahnhof Rheydt-Geneiken

„Ich möchte dazugehören“- die Sehnsucht der Kindheitsbelasteten

Menschen aus belasteten Familien fühlen sich oftmals einsam und nicht zughörig. Zugehörigkeit zu finden wird dann eine bestimmende Lebensaufgabe. Oftmals haben diese Gefühle ihre Wurzeln in Kindheitstagen. Familien, die im Tabu gefangen sind, entwickeln eine eigene Dynamik. Die familiäre Wahrnehmung wird so ausgerichtet, dass das Tabu und die Täuschung in jedem Fall  aufrecht erhalten werden kann. Daran arbeiten alle Familienmitglieder mit, dieser Prozess läuft meist unbewusst ab. Besonders tragisch gestaltet er sich für all diejenigen, die sich in ihrer Familie um das Aussprechen der Wahrheit bemühen. Da sich das tabuisierende System bedroht fühlt, geraten diejenigen Familienmitglieder, die um Wahrhaftigkeit ringen, an den Rand des Systems: sie gelten als Sündenböcke, als Verräter, paradoxer Weise sogar als „nicht richtig“, „nicht glaubwürdig“. Wenn dieser Prozess über wichtige Jahre in der Kindheit anhält, wird die familiäre Fremdzuschreibung den betroffenen Familienmitgliedern zur eigenen Sicht, sozusagen zur zweiten Haut. MIt dieser Selbstzuschreibung gehen sie künftig in andere Systeme Gruppen, in Klassengemeinschaften, in eigene Familienbeziehungen usw.: ein zu schwerer kindlicher Rucksack, der kaum alleine zu tragen ist!

An diesem Punkt brauchen derart belastete Menschen andere Menschen: Menschen, die wohlwollend mit ihnen auf ihre Wahrnehmung schauen, die stärkend in ihrem Rücken sind, die aufmerksam zu-und  hinhören. Manchmal ist es dann auch an der Zeit, therapeutische Hilfe zu suchen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Sommerzeit mit lieben Menschen an Ihrer Seite und vielen schönen Momenten,

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

„Wie erkennt man Krankheitsscham?“

Gerade Erwachsene aus belasteten Familien, wie etwa aus Suchtfamilien, leiden oft lange über die eigentliche Zeit im Elternhaus hinaus. Die vielfältigen häuslichen Belastungen können dazu führen, dass diese Kinder eine verminderte Immunabwehr entwickeln und als Erwachsene besonders von chronischen und schweren Erkrankungen betroffen sind. Beziehungsbelastungen bilden zudem einen Nährboden für Krankheitsscham. Meist wissen die Betroffenen nicht um ihr Leiden "Sagen Sie mal, Frau Barnowski-Geiser, wie erkennt man Krankheitsscham?", fragte Katrin Brenner im Kurzinterview der Psychologie heute, das Sie schon jetzt kostenfrei hier nachlesen können. 

Duo EigenArts unterwegs mit neuem Programm „dennoch“ – Impressionen

Benefiz Wegberg mit Wassenjazz und Siebenschreiber
Kunstlabor 2022

Krankheitsscham kennenlernen – Rezensionen

Vielleicht fragen Sie sich, was Krankheitsscham überhaupt ist? Diese Frage ist nicht verwunderlich, da dieses Phänomen erst neuerlich in die Fachliteratur Einzug gehalten hat (Barnowski-Geiser 2022: Krankheitsscham/Die verborgene Emotion). Gemeint ist: sich wegen einer Krankheit schuldig und nichtig fühlen und das in einer belastenden Form. Gerade, wenn Sie aus einer belasteten Familie, wie etwa einer Suchtfamilie stammen, ist es gut möglich, dass Sie betroffen sind, ohne darum zu wissen. Gerade ungute und instabile elterliche Bindungserfahrungen begünstigen das Entstehen von Krankheitsscham. Krankheitsscham kennenlernen? Das können Sie in zwei Rezensionen zum neuen Buch von Waltraut Barnowski-Geiser. Die AutorInnen Jens Flassbeck und Jennifer Hein beleuchten Hintergründe und interessante Zusammenhänge. Lesen Sie Jens Flassbeck Rezension auf socialnet und Jennifer Hein auf den Seiten der Stiftung Zu-Wendung für Kinder

Trauma, Krankheit, Scham: ein ungutes Trio

Erwachsene aus belasteten Familien kennen es nur zu gut: die Vergangenheit wirkt bis ins Heute nach, ohne, dass Betroffene oft genau wissen, warum: was ist eigentlich passiert? Warum reagieren sie in manchen Situationen sonderbar, verstört, rückzüglich, ängstlich…oftmals haben sie Traumatisches erlebt. Trauma, das massive Spuren hinterlassen hat, sodass Betroffene es verdrängen mussten. Ähnliches wird eindrücklich nachgezeichnet im Film „Auf dem Grund“. Die familiären Beziehungen sind nachhaltig durch das Trauma geprägt, Krankheitsscham verhindert, um Hilfe zu ersuchen, alle in der Familie leiden: bis Protagonistin Anne ein lang zurückliegendes Familiengeheimnis aufdeckt. HIer habe ich den Film für die Stiftung „Zu-Wendung für Kinder“ unter diesen Aspekten ein wenig näher beleuchtet.

Bin ich ein Suchtkind? Könnte „Vater, Mutter, Sucht“ auch die Überschrift über Ihrer Kindheit sein?

Viele Erwachsene aus suchtbelasteten Familien wissen nicht, ob sie wirklich als betroffen gelten. Sie fragen sich oftmals quälend: „Bin ich ein Suchtkind?“ Denn Vater, Mutter, Kind: dieses alte Kinderspiel erfährt in Familien mit Suchtkranken eine tragische Abwandlung. Wenn Eltern suchtkrank sind, nehmen ihre Kinder einen anderen Platz ein, als es bei Kindern mit gesunden Eltern der Fall ist. Bei einem Menschen, der an einer Sucht leidet, kommt diese immer an erster Stelle. Die Sucht nimmt den Platz ein, der eigentlich den Kindern zusteht. Das Handeln des Süchtigen ist nicht auf seine Kinder, sondern auf sich und das Suchtmittel konzentriert, letzteres ist bei Suchtkranken der Dreh- und Angelpunkt. Wie und wann ist das Suchtmittel zu bekommen? Wie ist es zu vermeiden. Das sind die Fragen, die den Alltag bestimmen. Die Gedanken eines alkoholkranken Elternteils kreisen letztlich nur darum, wie er an Alkohol kommen kann, der Tablettensüchtige denkt ständig an seine Tabletten, der Drogensüchtige an seinen Stoff, der Workaholic an seine Arbeit usw. Dies bleibt nicht ohne Folgen für das System, für die Umgebung, in der Suchtkranke leben, hier vor allem für die Familien.

Alle in der Familie sind von der Sucht betroffen

Der Gebrauch des Suchtmittels greift in das Familienleben ein, bestimmt, wie die Mitglieder zusammen leben können oder eben auch nicht mehr.Featured image
So bekommen Kinder aus Suchtfamilien ungewollt einen Platz zugewiesen, der ihnen wenig gerecht wird. Die mit der elterlichen Sucht einhergehende Belastung wird nie mehr von ihnen weichen, denn wie eine Betroffene es ausdrückte: »Suchtkind bleibt man ein Leben lang!« Selbst wenn sie das Elternhaus schon lange verlassen haben oder der süchtige Elternteil verstorben ist: Sucht gleicht einem Zombie, der die Seelen der Kinder zu zerfressen droht – und das unbemerkt. Die Menschen aus dem Umfeld werden leicht zu Statisten, zu hilflosen Zuschauern, die unbeteiligt wegsehen, weil das Leid und die Ohnmacht zu unfassbar erscheinen, nicht begreifbar, nicht veränderbar. So sehen Erzieher/innen, Lehrer/innen und Nachbarn in der Regel untätig zu, während sich hinter den verschlossenen Türen der Suchtfamilie womöglich tagtäglich Dramatisches abspielt. Die Kinder dürfen nicht über ihr Leid sprechen, die Eltern schweigen aus Scham. Wenn sie doch mit ihrer Sucht an die Öffentlichkeit gehen, finden sie vielleicht einen Platz, an dem ihnen geholfen wird, ihre Kinder dagegen bleiben meistens selbst dann noch auf tragische Weise im Abseits.
Kommt die Sucht, wie so oft, nicht laut, sondern mehr schleichend, leise daher, wird es noch schwieriger, sie zu erkennen. Die Belastung für die Betroffenen nimmt immens zu, denn sie fragen sich, ob es diese Sucht überhaupt gibt oder gab, ob sie sich diese nur einbilden. »Ist das nicht normal, was meine Eltern da gemacht haben!«, lautet dann die Frage der Verunsicherten, oder: »Ist es nicht normal, dass Mama täglich Tabletten nimmt, die sie doch braucht!«, »Ist es nicht normal, ein paar Bier zu trinken?«, »Ist es nicht normal, auf sein Gewicht zu achten?« Oft noch als Erwachsene sind die Kinder suchtkranker Eltern tief verunsichert.

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Übung 4: Bin ich ein „Suchtkind“?

Vielleicht fragen Sie sich, ob sie selbst zum Kreis der betroffenen Erwachsenen gehören, die hier (auch im Buchtitel) angesprochen werden. Das wäre sehr typisch für die Art und Weise, wie erwachsene Kinder aus Suchtfamilien mit ihrer Kindheitsbelastung umgehen. »Suchtkinder«, wie ich erwachsene Kinder suchtkranker Eltern hier im Folgenden nennen möchte, nehmen oft grundsätzlich an, dass dieses Thema aus Kindertagen erledigt sei, und zum anderen, dass sie keine Probleme haben, oder wenn doch, dass diese Probleme (Symptome etwa körperlicher Art) nichts mit der früheren Situation in der Herkunftsfamilie zu tun haben. Dies kann ein tragischer Fehlschluss sein, mit weitreichenden Folgen für Ihre Lebensqualität…

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 Was Suchtkinder erzählen

Zitate aus Befragungen (2008/2009; 2015) im Folgenden unkommentiert: Vielleicht finden Sie sich oder jemanden, der Ihnen wichtig ist, in diesen Aussagen wieder?

Die nachfolgenden Zitate stammen von Erwachsenen, die über mehrere Jahre mit suchtkranken Eltern gelebt haben:

„Es (das Suchtverhalten/ Anm. d.Verf.) war in unserer Familie zu einem stummen Thema geworden!“/Frau L.

„Es ging fortwährend darum, dass wir nach Außen eine perfekte Fassade lieferten – wie es mir ging, spielte keine Rolle!“/Frau I.

„… denn offensichtlich ist dieser familiäre Wahnsinn das Leben!“/Frau H.

„Wenn meine Mutter schreckliche Dinge im Suff getan hatte, taten alle so, als wäre nichts passiert!“/Frau Z.

„… ich bettle schon ein Leben lang um Liebe.“/Frau I.

„Entsetzt bemerkte ich, dass es dieses „Ich“ nicht mehr gab!“ /Frau I.

„… ich verschwinde, während ich sein Verschwinden zu verhindern suche.“/Frau E.

„Wir sind du und du bist wir!“/Frau E. zur Einstellung ihrer Mutter

Ich habe lieber, wenn etwas Schreckliches passiert! – Wenn es mal gut ist, warte ich nur auf das Schreckliche- das WARTEN ist noch furchtbarer“/Frau I.

„Vielleicht hätte ich ihn mehr lieben müssen! Dann hätte mein Vater vielleicht nicht getrunken“ (Frau S.)

„Ich tanze auf einer Hochspannungsleitung im kühlen Korsett!“/Frau P.

„Und ich war ihrer Ansicht nach schuld, dass sie immer mehr trank…“/Herr I.

Drogen waren für meine Eltern „Lifestyle“- sprach ich von Belastung wurde ich ausgelacht und als spießig dargestellt.“/Herr H.

„Bei uns zu Hause gab es gar keine Grenzen.“/Frau O.

„Ich habe oft schon Angst gehabt, bevor meine Mutter nach Hause gekommen ist/Felix

                                          „…alle Männer in unserer Familie waren depressiv…und süchtig.“ (Frau G)

„Ich kann ihm wirklich nicht die Mutter ersetzen!“ (Frau R.)

„Wir waren voll mit Gefühlen, die aus der Suchterkrankung resultierten und doch durften wir nie über unsere Gefühle reden. Gefühle waren das absolute Tabu!“/Herr I.

Wenn einige dieser Aussagen auch von Ihnen stammen könnten und sie sich zugleich schon lange fragen, ob das Verhalten ihrer Eltern mit dem Etikett „süchtig“ zu bezeichnen ist/war, dann könnten das Hinweise auf eine (möglicherweise auch verdeckte) elterliche Suchterkrankung oder andere familiäre Belastungen in der Kindheit sein. Vielfach ist die elterliche Suchterkrankung, wie Suchtkinder oftmals fälschlich annehmen, nicht nur an der konsumierten Menge fest zu machen (und auf die Kontrolle und Beweisführung wird oft viel Energie bei Angehörigen verwendet): Bedeutsamer und wirksamer für den eigenen Weg der Suchtkinder ist das Aufspüren krankmachender Familiendynamiken sowie der spezifischen Familienatmosphäre. Denn diese Dynamik und Atmosphäre kann massive Auswirkungen auf das Erleben der Suchtkinder haben, sogar wenn sie viele Jahrzehnte zurückliegt. Wenn Sie sich oftmals, (scheinbar grundlos) leer, schuldig und „unnütz“, nicht „richtig“, nicht zugehörig oder wertlos fühlen (obwohl sie z.B. „objektiv“ viel leisten), dann kann die Wurzel dieser Gefühle in elterlicher Suchterkrankung begründet sein.Dann kann es für Sie wichtig sein, sich mit Familienatmosphären näher zu beschäftigen. Häufig stellen Suchtkinder in dieser Beschäftigung fest, dass diese negativen Stimmungen und Gefühle eigentlich gar nicht zu ihnen gehören, sondern zu ihren belasteten Eltern. Diese haben sie über Jahre während ihrer Erkrankung, meist unbewusst, an sie weitergegeben oder abgegeben (delegiert).

Zusatzanregung: Suchen Sie ein Musikstück, das erzählt, wie Sie sich eine gute Familienatmosphäre vorstellen…Lassen Sie sich Zeit: Hören Sie in den nächsten Tagen Stücke im Radio oder zu Hause bewusster aus dieser Perspektive.

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Zu Beginn meiner Tätigkeit habe ich, wie viele professionell Tätige in diesem Bereich, mit erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien gearbeitet, ohne wirklich das Ausmaß ihrer Belastung zu kennen. In meiner Praxis, in der Schule, in Ausbildungszusammenhängen gehörte dieses Thema zu meinem Aufgabenfeld, doch ich bemerkte zunächst nicht, wie weitreichend die Folgen der elterlichen Suchtbelastung wirklich waren – ich wusste ebenso wenig darum wie die Betroffenen selbst. Erwachsene Kinder aus Suchtfamilien ahnen oftmals nichts von ihrer Belastung und deren Ausmaß, sie sprechen nicht über ihre Herkunftsfamilie, scheint das alles doch viel zu lange her zu sein. Viele wissen nicht mehr, dass ihnen etwas angetan wurde – aufgrund diffuser körperlicher und seelischer Beschwerden merken sie nur, dass irgendetwas nicht mit ihnen stimmt. Da ihnen das Ausmaß selbst nicht bewusst ist, sie zudem gelernt haben, zu tabuisieren und zu verdrängen, sprechen sie nicht über das in der Kindheit Erlittene. Betroffene lebten und leben mit Eltern, die ihre Sucht verleugnen, und so verleugnen sie selbst, was ihnen angetan wurde.

Es soll nicht etwa »Grässliches«, Schlimmes und Traumatisches, das in Suchtfamilien passiert ist, gewaltsam an die Oberfläche gezerrt oder als Sensation zur Schau gestellt werden, vielmehr wird versucht, mit Hilfe eines gemeinsamen Blicks auf die kindliche Vergangenheit, eine neue Basis für ein zufriedeneres Leben mit sich und anderen zu schaffen.

Frau L. 44 Jahre: „Ich habe eigentlich neu laufen gelernt!“
„Ich fühlte mich vor der Therapie wie in einem Hamsterrad gefangen. Alles war schwarz und grau. Ich sah und spürte nichts mehr, ich wusste weder, wo ich hinwollte, noch warum sich alles so furchtbar anfühlte – ich gab mir daran die Schuld. Jetzt fühle ich mich gut, was mir auch sehr fremd ist, da es das in meinem Leben so wenig gab. Da brauche ich immer wieder Mut, dem Neuen zu vertrauen. Ich glaube, mir hat geholfen, dass ich in der Therapie Schritt für Schritt Begleitung hatte. Ich musste bei jedem noch so kleinen Schritt Hilfe haben, ob er gerade wieder wirklich für mich stimmig ist, ob es richtig ist für mich – oder ob ich nur reagiere auf das, was andere erwarten.

Das war mühsam, aber ich empfinde nun oftmals Frieden und Freude. Ich musste von Stunde zu Stunde Wegweiser haben, um jeweils zu wissen, wie es genau weitergeht. Ich habe eigentlich neu laufen gelernt. Es haben sich neue Ziele und Blickwinkel in dieser Zeit entwickelt. Ich habe meine Belastungen erkannt und abgeworfen.

Nach meinen Erfahrungen können erwachsene Kinder, auch wenn die Erfahrungen mit süchtigen Eltern schon Jahrzehnte zurückliegen, nur dann wirkliches Verständnis für sich selbst, ihr Verhalten, ihre Gefühle und ihre Nöte entwickeln, wenn sie einen Blick auf das, was ihnen angetan wurde, wagen. Oftmals sind sie erst dann in der Lage, ihre Stärken zu würdigen und Rollenmodelle des eigenen Lebens zu verstehen – im Buch Vater, Mutter, Sucht ermöglicht ein Selbsttest darüber näheren Aufschluss. Mittels meiner Forschungen und Praxiserfahrungen habe ich das AWOKADO-Programm zusammengestellt, das Suchtkinder auf dem Weg in ein glücklicheres Leben unterstützen kann; auch professionell Tätige können es bei der Arbeit mit Suchtkindern einsetzen. Wer verdrängt, steckt fest! Wer hinschaut und aktiv wird, kann wachsen – …

Text in Anlehnung an eine Leseprobe zu Vater, Mutter, Sucht beim Klett-Cotta-Verlag.

Unterschätzt und übersehen: die Stärken der Suchtkinder und die Stärkenfresserspirale

Kinder aus hochbelasteten Familien, wie etwa aus Suchtfamilien, entwickeln auch besondere Stärken: sozial-emotional oft hochkompetent, mit Managerqualitäten höchster Güte ausgestattet, Durchhaltemeisterinnen, Einfühlungsexperten für Stimmungen und Atmosphären etc ( vgl. Barnowski-Geiser/Buch Vater, Mutter, Sucht). Das wurde die längste Zeit (sogar in Forschungsaktivitäten jüngerer Zeit) sträflich übersehen. Diese Stärken zeichnen die betroffenen Kinder in besonderer Weise aus; sie sind ihnen jedoch meist selbst wenig bewusst. Da sie für Ihre besonderen Leistungen und ihren Einsatz für andere in ihren Familien kaum Anerkennung erhielten, sogar eher zum Sündenbock gestempelt wurden, ist ihnen der Zugang zu ihren Stärken oft verwehrt: sie übersehen diese als Erwachsene so, wie sie es im Kindesalter durch die eigenen Eltern erfahren haben. Die betroffenen Kinder geraten in eine Stärkenfresserspirale. In der elterlichen Scham über das eigene Unvermögen, elterliche Fürsorge angemessen und dauerhaft anzubieten, sondern diese viel zu früh an das Kind delegiert zu haben, fällt die alltägliche Höchstleistung des Kindes unter den Tisch. Es beginnt eine Negativspirale in einer verquer anmutenden familiären Dynamik: es gibt demnach Keine (Sucht)-Erkrankung, kein elterliches Versagen, kein Leiden und folglich keine besondere Leistungen der Kinder. Über Jahrzehnte gelebt, wird diese Spirale Teil der Selbstzuschreibung der Kinder: das erwachsene Suchtkind leistet und leistet, gibt und gibt, und bewertet das in vertrauter Manier der Herkunftsfamilie: „Ich habe doch gar nichts gemacht!“ Kommen dann noch entsprechende PartnerInnen, ArbeitskollegInnen oder Chefs dazu, wiederholt sich die Stärkenfresserspirale allzu ungut. Die Stärkenfresserspirale tritt auch bei anderen elterlichen Erkrankungen auf, die mit Tabusisierung einhergehen ( z.B. elterliche psychische Erkrankung, elterliche Traumatisierung etc.)

Überlegen Sie: Was nährt Ihren Stärkenfresser und wie und wodurch könnte er sich zur Ruhe setzten?

Wo und durch wen wird Ihr Engagement gewürdigt?

Wann und wie können Sie es selbst würdigen?

Eine gute Zeit und interessante Erkenntnisse wünscht herzlich

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Buch „Krankheitsscham- die verborgene Emotion“ ist bei Klett-Cotta erschienen

Den Teufelskreis der Scham durchbrechen mit dem ersten Buch zum Thema Krankheitsscham…mit praktischen Interventionsvorschlägen und dem VIVACE-Hilfe-Konzept, zahlreiche Fallbeispiele. 27€ Rezension

Bestellen beim Verlag hier

Anstehende Events Duo EigenArts

2.6.22 Lesung und Musik/Benefiz für die Ukrainehilfe. Forum Wegberg, 19 Uhr mit 7 Schreiber und WassenJazz

4.6.22 Friedensprogramm inklusiv,Haus Hohenbusch, ab 15 Uhr

3.6.22 Erkelenzer Musiknacht, zu Gast bei Rurrocker und Friends, Kreissparkasse

25.6.22 Zu Gast im Kunstlabor Erkelenz

Wenn gestern nicht einfach vorbei ist… Wie wir schwierige Kindheitserfahrungen überwinden

Wenn Menschen als Kinder in ihren Familien Ungutes erlebt haben, und das oftmals über Jahre hinweg, manchmal von Geburt an, dann trifft der Ausspruch „Vorbei ist vorbei!“ bei ihnen oftmals einen sehr empfindlichen Nerv. So wahr diese Aussage, (oftmals von Angehörigen oder Freunden sogar durchaus gut gemeint) auch an den aktuellen Fakten gemessen sein mag, so wenig hilft sie Betroffenen: denn ihr tägliches Erleben ist ein anderes. Sie fühlen sich oftmals innerlich, scheinbar grundlos, ängstlich, überfordert und hilflos, und das, obwohl sie im Außen oftmals Ungeheures leisten. Treten im Außen Krisen auf, wie etwa die Corona-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine, wirken diese Ereignisse verstärkend, wie Trigger in alte Krisenzeiten.

Was passiert genau bei diesen Menschen? Lassen Sie uns, um das genauer zu verstehen, neurowissenschaftliche Erkenntnisse zu Rate ziehen. Wir wissen heute (und natürlich sind Beschreibungen für diese hochkomplexen Vorgänge zwangsläufig sehr vereinfachend), dass unser Gehirn sich so aufbaut, wie es genutzt wird. Die Verschaltung der Synapsen ist also nutzungsabhängig,  bestimmt von anschwellenden und abschwellenden Erregungspotenzialen. Das gilt auch, so beschreibt es etwa Gerald Hüther in seinem Buch „Biologie der Angst“, für emotionale Verschaltungen. Wenn also ein Kind in eine Familie hineingeboren wird, in der die Eltern große eigene Probleme haben, dann wird es schon als Säugling viel davon mitbekommen, dazu in Resonanz gehen. Wir wissen heute aus entwicklungspsychologischen Forschungen, dass schon Säuglinge viel mehr wahrnehmen als wir je angenommen haben: auch Atmosphären, Stimmungen, Emotionen. Stellen wir uns eine Familie vor: vielleicht  lebt hier ein suchtkranker Vater, der, wenn er trinkt laut wird und Streit anfängt, täglich über sich die Kontrolle verliert und eine Mutter, die sich liebevoll um ihr Baby kümmert, aber durch die Probleme mit dem Ehemann gereizt und an ihren Grenzen der Belastbarkeit angekommen ist: all dies wird ihr Baby mitbekommen, Angst und Schrecken gleichsam mit der Muttermilch aufsaugen. Auf das Wahrgenommene kann das Baby unterschiedlich reagieren: eine Möglichkeit zu reagieren kann sein, Angst zu entwickeln. Aus dieser befeuerten Hirnspur der ersten Lebensmonate, der verschalteten Synapsenspur der Angst, wird leicht ein breiterer Hirnweg, wenn er künftig täglich genutzt wird. Wird, um im Bild zu bleiben, die Angstspur lange Zeit und wiederholt gefahren (etwa weil die Sucht und die damit vorhandenen familiären Probleme stärker werden), kann sie zu einem breiten Trampelpfad, einer regelrechten Hirnautobahn werden. Wird diese Autobahn über Jahre, gar Jahrzehnte so weiter genutzt, dann kann es passieren, dass unser Säugling, nennen wir ihn hier Suchtkind, auch als erwachsene Frau mit 40 oder gar 60 Jahren alltäglich auf dieser Angstautobahn fährt. Sie hat den Eindruck, gar nicht anders fahren zu können. Scheinbar hat sie grundlos Angst, gibt es doch aktuell gar keinen Anlass zu Ängsten und Sorgen. Frau Suchtkind fühlt sich nun ihren Gefühlen hilflos aufgeliefert. Doch das heutige Gefühl ist nicht sinnlos, auch wenn Frau Suchtkind es berechtigter Weise als unangenehm empfindet: dieses Gefühl macht unsere Frau Suchtkind darauf aufmerksam, dass das früh als Kind Erlebte heute Hinwendung und Zuwendung verlangt.

Nicht mehr Fühlen – auch ein (Paar)-Problem
So wie sich Frau Suchtkind ständig sorgt und ängstigt, gibt es andere Menschen mit unguten Kindheitserfahrungen, die andere Bewältigungsstrategien gefunden haben: sie fühlen nicht mehr. Gefühle, das haben sie bemerkt, sind ungeheuer schmerzhaft. Damit soll Schluss sein! Sie wollen sich nicht mehr erschüttern lassen. Dieser Vorgang läuft nicht bewusst ab, sondern ist oftmals ein Schutzmechanismus der Seele, den Betroffene selbst nicht einmal bemerken. Oftmals bemerken sie erst erst durch die Rückmeldungen von anderen, dass etwas problematisch und nicht ganz in Ordnung ist. Die Partnerin etwa drängt: „Mach mal Therapie, ich komme nicht an dich heran!“ Eine neuerliche Verzweiflung. Sich mit diesen schlimmen Erfahrungen auf einen fremden Menschen einlassen, gar einen Therapeuten, wo sich Betroffene selbst schon manchmal fragen, ob mit ihnen noch alles stimmt? Dann besser nichts machen! Und nun stecken sie fest. Derart Betroffene und ihre Partner stecken oft in Krisen fest, die von großer Sprach-und Hilflosigkeit gezeichnet sind. Neben Angst und Gefühllosigkeit, Scham und Schuld, leidet dann mit der Zeit vor allem eines: das eigene Selbstwertgefühl. Die Lebensqualität leidet, Betroffene bleiben unter ihren eigenen Möglichkeiten zurück- sie sind unzufrieden, fühlen sich diffus unzulänglich – ihr Umfeld, vor allem ihre Beziehung, leidet oft mit. Und wieder droht eine Familie unglücklich zu werden, so wie es die Betroffenen aus ihrer Herkunftsfamilie kennen- und gerade das wollten sie in ihrem Leben doch unbedingt vermeiden. Ein Teufelskreis.

Der erste Schritt aus dem Dilemma
Was kann aus diesem Dilemma heraushelfen? Der erste Schritt ist der schwierigste: er bedeutet, wahrzunehmen, was wirklich los ist. Dazu gehört viel Mut. Vielleicht brauchen Sie dabei Unterstützung. Einen Menschen, der die Belastungen, die sie getragen haben, würdigen kann, aber der auch mit ihnen einen Blick auf Ihre Stärken und das, was sie bis heute geschafft haben, werfen kann.  Die Würdigung der Belastungserfahrung und die Würdigung der eigenen Stärken, die sie aus und in diesen Krisen entwickelt haben, beschrieben Menschen in meinen Befragungen als einen der wichtigsten Hilfefaktoren, sich besser und entlasteter zu fühlen (Barnowski-Geiser (2015): Vater, Mutter, Sucht). Kreative Wege eröffnen Möglichkeiten, sich diesen Stärken anzunähern. Sie ermöglichen uns, neue Hirnspuren zu ebnen und Abfahrten von der alten Autobahn. Da folgt der zweite Schritt, der im Angesicht von schwierigen Kindheitserfahrungen zugegeben sehr schwer ist: Sie müssen an die Möglichkeit der eigenen Veränderung glauben!

Alles Beste in diesen schwierigen Zeiten wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Verschwiegene Kindheitsbelastung?…Du bist nicht allein!

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Auffällig unauffällig, perfekt, im Inneren toben Gefühle, die Sie haltlos überfordern? Sie fühlen sich manchmal einsam, allein unter Menschen? Dann gehören sie womöglich zur Gruppe der Kinder, deren Kindheitsbelastung verschwiegen wurde…

Viele Kindheitsbelastungen werden verschwiegen: über Jahre, Jahrzehnte, manchmal sogar bis auf dem Sterbebett und sogar darüber hinaus. Kinder von Suchtkranken etwa, von psychisch erkrankten ober missbrauchenden Eltern (um nur einige zu nennen) haben oft unfassbares Leid erlebt: da dieses Leid so groß war und tabuisiert wurde, wird es familiär als nicht vorhanden, als nicht existent gehandelt. Über das Erlebte Stillschweigen zu wahren, wird zur Eintrittskarte in die familiäre Zugehörigkeit – Sprechen bedeutet hier „Ausgeschlossen werden“ aus dem inneren familiären Zirkel – für Kinder ein existenzielles Risiko, das sie in ihrer kindlichen Hilflosigkeit nicht eingehen können. Für die Zugehörigkeit zahlen sie den Preis der Isolation, sie sind oft über Jahrzehnte in ihrer Einsamkeit gefangen (in Anlehnung an Barnowski-Geiser Vater, Mutter, Sucht 2021).

 

Die Folgen und das Leid der Kinder

In der Folge halten betroffene Kinder ihre gefühlsmäßige Isolation für selbstverschuldet, sie halten sich nicht für wertvoll genug, dass jemand sich mit ihnen beschäftigt. Irgendwann verlieren sie das Zutrauen zu ihrer Wahrnehmung und in der Folge das Zutrauen zu sich selbst. Diese Gefühle begleiten sie über die Kindheit hinaus. Menschen sind soziale Wesen, das heißt sie werden das, was sie sind, vor allem durch andere Menschen: im Guten wie im Schlechten. Je größer das familiäre Tabu war, umso mehr brauchen Betroffene Menschen, die ihre Wahrnehmung bezeugen, die zu und hinter ihnen stehen, Menschen, die sie aufbauen und stärken.  Wenn dies in der Kindheit nicht möglich war, so ist es im Erwachsenenalter nicht zu spät, nach diesen anderen Menschen zu suchen. Für manche Menschen ist die Therapie der erste Ort, an dem sie eine Würdigung ihrer Kindheitsbelastung, eine Würdigung ihrer eigenen Wahrnehmung erfahren. Es reicht dabei nicht, wie Betroffene beschreiben, nur über die Belastung zu reden, sie zu verstehen, sondern es braucht gefühlsmäßige Anteilnahme, Mitgefühl, Anteilnahme, Trost und Resonanz. Um wieder fühlen zu können, brauchen Betroffene fühlende TherapeutInnen.

Oftmals sind diese Kinder als Erwachsene überrascht, wenn sie bemerken, dass sie ihr Kindheitsleiden mit anderen Menschen teilen. Sie sind erstaunt, dass die familiären Strukturen sich ähneln, die Tabus, die Isolation. Wenn Erwachsene es dann schaffen, sich anderen mitzuteilen, Verbindungen herzustellen, Netzwerke zu bilden, sich Selbsthilfe in Gruppen zu suchen, dann passiert meist etwas Wunderbares: das Leiden findet Worte, es findet Resonanz, es findet Echo, Ausbruch aus dem uralten inneren Gefängnis wird möglich. Das Ende der Flucht vor dem eigenen Inneren rückt in greifbare Nähe.

Ich wünsche Ihnen wertschätzende Andere und die Kraft nach diesen Menschen zu suchen, wenn Sie sie noch nicht gefunden haben: Sie sind nicht allein mit Ihrer Belastung!

Wärmendes durch den sonnigen März

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Lesung mit AutorInnen aus Suchtfamilien

Zum Abschluss der Coa-Aktionswoche stellten erwachsene Kinder aus Suchtfamilien sich als AutorInnen vor. Die eindrucksvolle Lesung mit Eva Klaffke-Römer, Domonik Schottner und Christian Bedor ist auf Youtube nachhörbar.

Vom schweren Erbe der Ahnen und wie wir doch Bildhauer unseres Lebens werden (mit Übung „Skulpturenpark“)

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Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: so spricht der Volksmund, um die Weitergabe bestimmter Eigenschaften von Generation zu Generation zu pointieren. Dieser Weisheit scheinen gerade manche Menschen aus belasteten Familien unbewusst zu folgen: sie schreiben sich vor allem Negatives aus ihren Familien zu, machen es sich wiederholt zu eigen. Auch wenn Kinder belasteter Eltern höhere Risiken für eigene Erkrankungen haben gegenüber Kindern aus nicht belasteten Familien, so bedeutet das jedoch nicht (und das zeigen aktuelle Studien), dass sie selbst zwangsläufig erkranken müssten, etwa Kinder trinkender Eltern zwangsläufig selbst zu Alkoholikern würden. Es gibt offenbar Schutzfaktoren, die diese Weitergabe von Generation zu Generation (auch Transmission in der Fachsprache genannt) verhindern. Eine gute Nachricht: Die weitaus höhere Zahl der Kinder von belasteten Eltern erkrankt nicht selbst an der elterlichen Sucht.Schauen wir jedoch allein auf die Weitergabe der Sucht, so greift das m.E. zu kurz. Denn: viele Betroffene im Erwachsenenalter leiden dennoch an der Qualität ihres Lebens. Sie fühlen sich schlichtweg nicht gut in ihrer Haut – sogar auch dann, wenn sie ein scheinbar erfolgreiches Leben führen. Da sie über viele Jahre Schweres erlebt haben, fällt es ihnen schwer zu glauben, dass Veränderung möglich ist: Oftmals fehlt überhaupt eine Vorstellung davon, was ein gutes Leben ausmacht und wie es sich anfühlt, da mit Eltern leb(t)en, die ihnen wenig Modell für ein gelingendes Leben sein konnten. Und wenn etwas gut läuft, so haben Betroffene durch ihre vielen ungünstigen Erfahrungen gelernt, diese gute Phase lediglich als Zwischenstadium zur nächsten Katastrophe zu interpretieren. Hier hilft es, manchmal leider nur unter großer Anstrengung, einen Perspektivwechsel vorzunehmen, die Selbstwirksamkeit und die aus den Kindheitstagen ebenso erwachsenen Stärken wiederzuentdecken, den Glauben an die Möglichkeit eines guten Lebens zurückzugewinnen. Als Voraussetzung zu diesem notwendigen Perspektivwechsel zeigte sich, dass die Betroffenen in der Lage waren, ihre Sicht als Erleidende, (in der sie sich, durchaus nachvollziehbar, als „Opfer“ ihrer erkrankten Eltern erlebten), allmählich zu wandeln und dem Wunsch folgten, aktiv ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Schon der Philosoph Foucault sah im Menschen einen „Gestalter“ , im Sinne eines Lebenskünstlers. Die Integrative Therapeutin und Mitbegründerin der Posietherapie Ilse Orth spricht in diesem Zusammenhang vom „Bildhauer der eigenen Existenz“.

Vielleicht nehmen Sie sich Zeit für eine passende Übung, die diesen Gestaltungsprozess auf kreativem Wege folgt. Dafür sollten sie mindestens 30 Minuten Zeit einplanen.

Übung: Skulpturenpark

Gehen Sie, wie schon in den vorhergehenden Übungen angeregt, zunächst in Ihre Atemachtsamkeit…Stellen Sie sich nun vor, dass Sie mit jedem Atemzug ein Stück tiefer zu ihren inneren Bildern reisen…

Vor Ihnen liegt ein wunderbarer Park im Sonnenschein. Sie wandern hindurch, spüren mit jedem Schritt das Gras unter ihren Füßen, spüren die Sonne auf Ihrer Haut. Sie hören die vielfältigen Geräusche im Park, sehen den Farbreichtum.

Nun entdecken Sie, dass hier viele unterschiedliche Skulpturen stehen, die jeweils den Namen einer Person tragen. Offensichtlich hat ein Künstler dem Leben dieser Person Gestalt in einer Skulptur gegeben…Sie wandern an vielen Skulpturen vorbei, die ganz unterschiedlich aussehen. Sie bekommen eine Anmututng über das Leben des jeweiligen Person.

Nun stehen Sie vor einer Skulptur, die Ihren eigenen Namen trägt. Schauen Sie das Werk genau an. Wie sieht es aus? Aus wechem Material ist die Skulptur, aus welcher Farbe? Sehen Sie Ihre Skulptur aus unterschiedlicher Perspektive an.

Betrachten Sie diese Skulptur nun mit einem wertschätzenden Blick: Was gefällt Ihnen besonders? Was macht die Skulptur einzigartig gegenüber den anderen Kunstwerken?

Möchten Sie der Skulptur noch etwas hinzufügen?…Tun Sie das nun in Ihrer Fantasie…

Vielleicht malen Sie die Skulptur später und versehen sie  mit einem passenden, ergänzenden Titel.Werden Sie Bildhauer Ihres Lebens…vom Papier sind es nur wenige Schritte bis in Ihr Leben!

(Übung in Anlehnung an Barnowski-Geiser, 2009:Hören, was niemand sieht)

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Duo EigenARTs live

Konzert im Rahmen der Fotoausstellung rund um den Tagebau.

Erkelenz, 14.8.21 um 12 Uhr Marktplatz Erkelenz

Jetzt.besser.Leben-Kindheitsspuren überwinden/ Dr.Barnowski-Geisers Blog

In Jetzt.Besser.Leben-Kindheitsspuren überwinden schreibe ich seit 2015 rund um die Themen Sucht-und Kindheitsbelastung. Ich freue mich, auf diesem Wege viele Menschen zu diesem tabuisierten Feld zu erreichen. Dieser Blog richtet sich vor allem an erwachsene Kinder von:

  • Alkokol-und Suchtkranken
  • psychisch kranken Eltern,
  • bindungproblematischen Eltern
  • (emotional) missbrauchenden Eltern
  • traumatisierten Eltern
  • ihre Partner und Kindeskinder
  • fachspezifisch interessierte Therapeutinnen und Therapeuten

In unregelmäßigen Abständen veröffentliche ich hier Hilfreiches, das mir und Betroffenen in Therapie und Praxis, in der Literatur, im Web und TV oder auch in den sozialen Medien begegnet sowie zentrale Positionen aus meinen Forschungen rund um das AWOKADO-Hilfe-Konzept. Unter den angegebenen Kategorien finden Sie Stichworte, die Ihre Suche erleichtern kann. Die oft gelesenen Rubriken „Impuls der Woche“ und „Selbstcoaching kreativ“ finden Sie ebenfalls im Überblick unter der entsprechenden Kategorie.Wenn Sie ganz neu in der Thematik unterwegs sind, lohnt sich die Einführung in die Thematik erwachsener belasteter Kinder – hier finden Sie auch von mir nach Erscheinungsdatum geordnete empfohlene Literatur zum Themenfeld. Weitere Kontaktadressen und Projekte für Kinder aus belasteten Familien hier. Wenn Sie eine Ihnen wichtig erscheinende Adresse oder Publikation nicht finden, kontaktieren Sie mich gern – gern füge ich wertvolle Infos für Betroffene hinzu.

Inspirierende Lesestunden und Erfahrungen wünscht Ihre

Dr.Waltraut Barnowski-Geiser

„Ich brenne jetzt für mich selbst…warum Selbstfürsorge eine Herausforderung für Erwachsene aus schwierigen Elternkonstellationen bedeutet!

„Ich brenne jetzt für mich selbst!“ Diesen Impuls verdanke ich einer Klientin auf dem Weg aus ihrem Burnout. Überrascht findet sie auf der Suche nach  beruflicher Orientierung diesen Satz für sich. Zunächst mag die Aussage im Wochenimpuls vielleicht ein wenig befremdlich wirken. Für sich selbst brennen? Wo doch vielmehr Egoismus in unserer Zeit eher zu bemängeln ist?  Wenn Menschen in einer Familie mit erkrankten Eltern aufgewachsen sind, dann haben Sie meist von Anfang an gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse völlig zurückzustellen, um dem Elternteil in der Krise helfen zu können.  Sie befinden sich gleichsam auf dem Gegenpol von Egoismus: sie neigen eher dazu, wenn sie sich überhaupt in den Blick nehmen, dieses auf sich achten  als puren Egoismus zu interpretieren. Sie setzen meist über Jahrzehnte, weit über ihre eigenen Grenzen hinaus, alles daran, ihre Eltern zu unterstützen, diese etwa von der Sucht wegzubringen, sie aus der Depression zu holen etc. Sich leidenschaftlich für ihre eigenen Bedürfnisse einzusetzen, ist Kindern aus belasteten Familien meist völlig fremd. Oft führen erst Krankheiten wie ein Burnout dazu, nicht mehr ausschließlich für Andere und Anderes zu brennen, sondern endlich auch für sich selbst. Ein wichtiger Schritt auf einem Weg zu mehr Lebensqualität.

Übung: Setzen Sie sich bequem hin. Spüren Sie, wie in den ersten Übungen auf diesen Seiten angeregt, Ihren Atem und wenden Sie sich Ihrem Körper zu…Wenn sie ein wenig mit ihrem Atem und Körper in Verbindung gekommen sind, spüren sie doch einmal nach, ob sie die Flamme, die für sie selber brennt,  in Ihrem Körper spüren können. Lassen Sie sich Zeit… Wenn sie eine Körperstelle gefunden haben, verweilen Sie ein wenig dort. Spüren Sie hin: was erhält diese Flamme, was braucht sie, um ausreichend brennen zu können… Vielleicht gestalten Sie Ihre Flamme auf ein Papier. Malen Sie eine entsprechende Umgebung. Wenden Sie sich in dieser Woche dieser Körperstelle immer wieder einmal zu…

Wenn diese Flamme für Sie in Ihrem Körper nicht auffindbar ist, lassen Sie sich Zeit. Beginnen Sie, diese Flamme zu imaginieren oder malen, so, wie Sie für sie sein müsste.

Unfreiwillige Kinderhelden

Wenn Kinder in Suchtfamilien hineingeboren werden, so trifft  sie dies unvorbereitet: während  Sportler sich auf Höchstleistungen jahrelang vorbereiten, werden Kinder unvorbereitet mit Extremen einer Suchtfamilie konfrontiert, die sie einfach „irgendwie“ bewältigen müssen. Wenn süchtige Extrem-Belastung durch nahe Angehörige ihr Leben durchzieht, ist eine Bewältigungsstrategie, die meist unterbewusst abläuft, eine Rolle zu übernehmen.  Manche Kinder leisten dann dauerhaft schier Übermenschliches, sie gleichen „Superman“ – und bekommen für dieses Leistungen in ihren Familien leider kaum Anerkennung. Andere werden zu einer „Mutter Tereza“ oder einem „Robin Hood“. Andere werden zum einsamen „Mogli“, oder zur ständig kontrollierenden und Geheimnisse entdeckenden „Miss Marple“. Diese Rollen sind nur leider kein Spiel, sondern notwendiges Korsett, das sich nur noch schwer ablegen lässt.

Zugleich entwickeln  Betroffene in diesen Rollen spezifische Stärken, die sie im Besonderen auszeichnen – für die sie selbst  jedoch meist wenig Wertschätzung besitzen ( Spezifischer Rollen-Selbsttest und Stärkenmodell in Barnowski-Geiser: Vater, Mutter, Sucht 2019).

Wenn Sie Ihren Rollen, Stärken und Fallen auf die Spur kommen möchten, ist es wichtig , sich mit anderen zu verbinden. Gerade auch jetzt in der Coronazeit. Teils berichten Betroffene von guten Erfahrungen mit Chats, Videotreffen etc., Nacoa Berlin startet am 14. Februar wieder eine Aktionswoche, um auf die Situation von Suchtkindern aufmerksam zu machen. Vielleicht klicken Sie auch dort mal rein und können feststellen: ich bin nicht allein mit meinem Problem.

Eine gute Zeit und Gesundheit wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Leichtigkeit und Schwere haben sich zusammengefügt!“ oder wie Frau N.`s Leben besser gelingt

Menschen mit belasteten Kindheiten warten, nicht nur im Advent: sie warten auf Heilung, auf ein besseres Leben – oft ist diese Besserung für sie gekoppelt an Veränderung erkrankter Elternteile oder Partner. Sie denken, dass ihr Leben nur besser sein könne, wenn etwa die Mutter aufhört zu trinken, der Vater nicht mehr so depressiv ist u.ä. Damit einher geht meist der verständliche Wunsch, für all die schlechten Erfahrungen der Kindheitstage doch noch entschädigt zu werden, endlich Ruhe und Frieden zu finden; andere möchten endlich eine Beziehung erleben, in der sie so geliebt werden wie sind – anders als damals.

Wie haben Menschen es geschafft, die mächtigen Spuren des Gestern hinter sich zu lassen und heute besser zu leben? Dazu möchte ich Ihnen hier immer wieder mal Menschen vorstellen, die ich auf kreativen Wegen interviewt habe und die auf ihre Weise ihren Weg zu einem besseren Leben schildern. Soviel vorab: Meist hatte das als besser empfundene Leben weniger mit der Veränderung des Angehörigen zu tun…

Beginnen wir mit einer jungen Frau, die ich hier Frau N. nennen möchte. Frau N. hat einen sozialen Studiengang abgeschlossen und ist aus ihrem Elternhaus erst kürzlich ausgezogen. Das war ein großer Schritt für sie. Ihr Vater ist Alkoholiker mit Dauerkonsum, „heimlich und heftig“, wie sie sagt, „mit allen Ausbrüchen  und Auswüchsen, die man sich vorstellen kann“. Auch wenn er immer noch arbeite und ein bekannter Jurist in seiner Heimatsatdt sei: sein Alkohol-Doppelleben sei für die meisten Menschen wohl nicht vorstellbar, auch nicht seine heimische Cholerik. Um ihren Weg von der Zeit vor der Therapie bis heute zu schildern, wählt Frau N. Kunstdrucke, denen sie selbst Namen gibt.

Vor der Therapie „Stürzen“ (Kunstdruck von Frida Karlo)

„Ich war stumm und drohte zu erstarren. Ich hatte lauter ungute Männerbeziehungen und war nicht aus meinem Elternhaus abgelöst, fühlte mich für alles dort zuständig, während mir die Atmosphäre gar nicht gut tat. Ich hatte wenig Selbstbewusstsein, es fühlte sich an, als würde ich demnächst tief stürzen.“

Jetzt:„Dem Gipfel nahe“ (Kunstdruck v. C.D. Friedrich)

„Ich habe sehr viel geschafft, ich bin ausgezogen und viel selbstbewusster. Ich achte auf mich und spüre mich – ich schaue vom Gipfel in eine andere Welt, von der ich früher nur eine Ahnung hatte. Ich freue mich, dass ich das jetzt auch mit einem Partner, der mich achtet, teilen kann. Das ist neu. Ich fühle mich sehr leicht, Leichtigkeit und Schwere haben sich zusammengefügt. Ich habe eine eigene Familie und lebe in einer liebevollen Atmosphäre mit viel Zärtlichkeit, die mir so fremd war. Ich traue mich heute, mich auf mir liebe Menschen einzulassen. Ich habe einen Blick für meinn Leben – früher war ich nur mit meinen Eltern beschäftigt. Ich weiß jetzt, dass ich sie nicht ändern kann und auch nicht zuständig bin. Mir half, dass ich in der Therapie ernst genommen und so wieder achtsam für mich selbst wurde. Ich fühlte mich geschützt und unterstützt – in meiner eigenen Wahrnehmung- das hatte gefehlt.“ (zit. in Anlehnung an Barnowski-Geiser, W. :Hören, was niemand sieht).

Wie gelingt Frau N ihr neues Leben: sie musste etwas zurücklassen, in diesem Fall ihr Elternhaus und die damit verbundene ungute Dauernähe zum Suchtkranken und seinen Ausbrüchen. Sie musste Abstand zu ihrer eigenen Überverantwortlichkeit gewinnen und demütig einsehen, dass sie die Situation der Eltern nicht wirklich ändern kann. Sie musste einen Blick für die Leichtigkeit neben der Schwere finden, achtsam für Leichtes werden und wirklich leichter leben.

Gern empfehle ich an dieser Stelle das Online-Angebot einer Kollegin

Einen guten Start in eine Woche mit kleinen wunderbaren Momenten wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

 

Verschwiegene Kindheitsbelastung?…Du bist nicht allein!

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Auffällig unauffällig, perfekt, im Inneren toben Gefühle, die Sie haltlos überfordern? Sie fühlen sich manchmal einsam, allein unter Menschen? Dann gehören sie womöglich zur Gruppe der Kinder, deren Kindheitsbelastung verschwiegen wurde…

Viele Kindheitsbelastungen werden verschwiegen: über Jahre, Jahrzehnte, manchmal sogar bis auf dem Sterbebett und sogar darüber hinaus. Kinder von Suchtkranken etwa, von psychisch erkrankten ober missbrauchenden Eltern (um nur einige zu nennen) haben oft unfassbares Leid erlebt: da dieses Leid so groß war und tabuisiert wurde, wird es familiär als nicht vorhanden, als nicht existent gehandelt. Über das Erlebte Stillschweigen zu wahren, wird zur Eintrittskarte in die familiäre Zugehörigkeit – Sprechen bedeutet hier „Ausgeschlossen werden“ aus dem inneren familiären Zirkel – für Kinder ein existenzielles Risiko, das sie in ihrer kindlichen Hilflosigkeit nicht eingehen können. Für die Zugehörigkeit zahlen sie den Preis der Isolation, sie sind oft über Jahrzehnte in ihrer Einsamkeit gefangen (in Anlehnung an Barnowski-Geiser Vater, Mutter, Sucht 2015).

 

Die Folgen und das Leid der Kinder

In der Folge halten betroffene Kinder ihre gefühlsmäßige Isolation für selbstverschuldet, sie halten sich nicht für wertvoll genug, dass jemand sich mit ihnen beschäftigt. Irgendwann verlieren sie das Zutrauen zu ihrer Wahrnehmung und in der Folge das Zutrauen zu sich selbst. Diese Gefühle begleiten sie über die Kindheit hinaus. Menschen sind soziale Wesen, das heißt sie werden das, was sie sind, vor allem durch andere Menschen: im Guten wie im Schlechten. Je größer das familiäre Tabu war, umso mehr brauchen Betroffene Menschen, die ihre Wahrnehmung bezeugen, die zu und hinter ihnen stehen, Menschen, die sie aufbauen und stärken.  Wenn dies in der Kindheit nicht möglich war, so ist es im Erwachsenenalter nicht zu spät, nach diesen anderen Menschen zu suchen. Für manche Menschen ist die Therapie der erste Ort, an dem sie eine Würdigung ihrer Kindheitsbelastung, eine Würdigung ihrer eigenen Wahrnehmung erfahren. Es reicht dabei nicht, wie Betroffene beschreiben, nur über die Belastung zu reden, sie zu verstehen, sondern es braucht gefühlsmäßige Anteilnahme, Mitgefühl, Anteilnahme, Trost und Resonanz. Um wieder fühlen zu können, brauchen Betroffene fühlende TherapeutInnen.

Oftmals sind diese Kinder als Erwachsene überrascht, wenn sie bemerken, dass sie ihr Kindheitsleiden mit anderen Menschen teilen. Sie sind erstaunt, dass die familiären Strukturen sich ähneln, die Tabus, die Isolation. Wenn Erwachsene es dann schaffen, sich anderen mitzuteilen, Verbindungen herzustellen, Netzwerke zu bilden, sich Selbsthilfe in Gruppen zu suchen, dann passiert meist etwas Wunderbares: das Leiden findet Worte, es findet Resonanz, es findet Echo, Ausbruch aus dem uralten inneren Gefängnis wird möglich. Das Ende der Flucht vor dem eigenen Inneren rückt in greifbare Nähe.

Ich wünsche Ihnen wertschätzende Andere und die Kraft nach diesen Menschen zu suchen, wenn Sie sie noch nicht gefunden haben: Sie sind nicht allein mit Ihrer Belastung!

Wärmendes durch den Winter sendet

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Hoffnung: „Wann reißt der Himmel auf?“

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Wenn Menschen mit Angehörigen aufwachsen, die chronisch erkrankt sind, oftmals durch ihre gesamte Kindheit hindurch und manchmal noch weit darüber hinaus, dann fühlt sich das Leben an wie ein endloser Sumpf, aus dem es nie mehr ein Entkommen zu geben scheint. Die Coronakrise kommt für diese Menschen nun als besondere Erschwernis hinzu. Das Unberechenbare der krise erinnert an alte Wunden, katapultiert traurige Gefühle, Ohnmacht und Hilflosigkeit an die Oberfläche. Ob diese elterliche Erkrankung das Etikett „Sucht“, „manisch-depressiv“ oder „Kriegstrauma“ trägt: Diese mitbetroffenen Kinder fühlen sich oftmals hoffnungslos. Ihre erlebte Ohnmacht und die gefühlte Hilflosigkeit gegenüber der elterlichen Krankheit ( sowie auch ihren „am eigenen Leibe“ hautnah alltäglich erlebten Folgen) wirken endlos. Dieses dauerhafte Erleben beeinflusst, wie Betroffene ihre Welt sehen und wie sie künftig auf diese zugehen werden. Ihre persönliche Glücksdefinition ist davon geprägt, und lautet etwa:

  • Mein Leben wäre prima, wenn meine Eltern nicht mehr krank wären…oder:
  • Wenn meine Mutter nicht mehr trinkt, erst dann (und nur dann), kann ich glücklich sein.
  • Wenn mein Vater sich endlich seine Kriegs-Traumatisierungen in einer Therapie ansieht, dann wird es endlich auch für mich besser…

Die Erfahrung zeigt: solange diese Kinder auch als Erwachsene ihr Glück und Wohlergehen von der Gesundheit oder Krankheit ihrer Eltern abhängig machen, solange finden sie selbst kaum Frieden und Glück. Erst wenn das eigene Leben, ein Recht auf eigene Bedürfnisse und ein Recht auf eigenes Glück, ohne den erkrankten Elternteil, in den Vordergund rücken kann, „reißt der Himmel“ auch für sie, um im Bild zu bleiben, ein Stück auf.

Der Song der Gruppe Silbermond kann eine gute Hilfe sein, über die Frage des Lebensglücks nachzusinnen. Viele Betroffene beschreiben es so oder änhlich: Als ich die Krankheit meiner Eltern ein Stück loslassen konnte, diese nicht mehr kontrollierte und sie auch nicht mehr besiegen musste, erst dann gewann ich selbst mehr Lebensqualität.

Es gibt also eine Aussicht auf ein besseres Leben: unabhängig davon, ob Ihr Elternteil weiter trinkt, weiter psychisch erkrankt ist usw. Geben Sie Ihre Hoffnung nicht auf, ändern Sie dort etwas, wo sie es können: bei sich selbst!

Vielleicht beginnen Sie in dieser Woche damit, den Himmel zu beobachten…einfach so!

Hier ein Link zum Video der Gruppe Silbermond

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche,

Ihre Waltraut Barnowski-Geiser

Mutprobe für Kindheitsbelastete: sich selbst spüren


Nicht mehr Fühlen – auch ein (Paar)-Problem
Frau Suchtkind sorgt und ängstigt sich ständig-, ebenso gibt es andere Menschen mit unguten Kindheitserfahrungen, die andere Bewältigungsstrategien gefunden haben: sie fühlen nicht mehr. Gefühle, das haben sie bemerkt, sind ungeheuer schmerzhaft. Damit soll Schluss sein! Sie wollen sich nicht mehr erschüttern lassen. Dieser Vorgang läuft nicht bewusst ab, sondern ist oftmals ein Schutzmechanismus der Seele, den Betroffene selbst nicht einmal bemerken. Oftmals bemerken sie erst erst durch die Rückmeldungen von anderen, dass etwas problematisch und nicht ganz in Ordnung ist. Die Partnerin etwa drängt: „Mach mal Therapie, ich komme nicht an dich heran!“ Eine neuerliche Verzweiflung. Sich mit diesen schlimmen Erfahrungen auf einen fremden Menschen einlassen? Gar einen Therapeuten aufsuchen, wo sich Betroffene selbst schon manchmal fragen, ob mit ihnen noch alles stimmt. Dann besser nichts machen! Und nun stecken sie fest. Derart Betroffene und ihre Partner stecken in Krisen, die von großer Sprach-und Hilflosigkeit gezeichnet sind. Neben dem leiden an Gefühllosigkeit, diffuser Scham, Angst und Schuld, leidet dann mit der Zeit vor allem eines: das eigene Selbstwertgefühl. Die Lebensqualität leidet, Betroffene bleiben unter ihren eigenen Möglichkeiten zurück- sie sind unzufrieden, fühlen sich diffus unzulänglich – ihr Umfeld leidet oft mit.Und wieder droht eine Familie unglücklich zu werden, so wie es die Betroffenen aus ihrer Herkunftsfamilie kennen- und gerade das wollten sie in ihrem Leben doch unbedingt vermeiden. Ein Teufelskreis.


Der erste Schritt aus dem Dilemma
Was kann aus diesem Dilemma heraushelfen? Der erste Schritt ist der schwierigste: er bedeutet, wahrzunehmen, was wirklich los ist. Dazu gehört Mut. Vielleicht brauchen Sie dabei Unterstützung. Einen Menschen, der die Belastungen, die sie getragen haben, würdigen kann, aber der auch einen Blick auf Ihre Stärken und das, was sie bis heute geschafft haben, werfen kann. Die Würdigung der Belastungserfahrung und die Würdigung der eigenen Stärken, die sie aus und in diesen Krisen entwickelt haben, beschrieben Menschen in meinen Befragungen als zentrale Hilfefaktoren, durch die sie sich besser und entlasteter fühlen (Barnowski-Geiser (2015, Vater, Mutter, Sucht). Kreative Wege eröffnen Möglichkeiten, sich diesen Stärken anzunähern. Sie ermöglichen uns, neue Hirnspuren zu ebnen und Abfahrten von der alten Autobahn. Da folgt der zweite Schritt, der im Angesicht von schwierigen Kindheitserfahrungen zugegeben sehr schwer ist: Sie müssen an die Möglichkeit der eigenen Veränderung glauben!

Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben einen guten ersten Schritt in das Neue Jahr.

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Lockdown? Nicht vergessen: Suchtkinder sind Meister der Krisenbewältigung

Krisenmeisterschaft

Menschen mit schweren Kindheitstbelastungen sind in der Regel zwangsläufig KrisenbewältigungsmeisterInnen geworden: leider haben Sie diese Fähigkeit oft , so wie die Belastungen im Gestern, völlig vergessen. Mich interessiert seit vielen Jahrzehnten, was genau Menschen hilft, mit schweren familiären Krisen umzugehen… und wie es dennoch möglich wird, ein befriedigendes oder gar glückliches Leben zu führen. Dazu habe ich über ein Jahrzehnt Menschen befragt und anschließend analysiert, welche Bausteine der Krisenhilfe sie gefunden hatten, um ihr Leben gelingen zu lassen. Immer wieder zeigten sie sich als besonders stark, kreative Lösungen für scheinbar Unlösbares zu finden, sozial kompetent und humorvoll (Wolin&Wolin).

Fallen

Zwei Fallen in der Krisenbewältigung sind augenfällig:

Suchtkinder und Menschen mit Kindheitsbelastungen umgeben sich oft mit Menschen, die ihnen Energie absaugen.

Sie lassen sich, resonanzfähig wie sie sind, leicht mit „runterziehen“.

Erste Hilfe

Auswählen

Kontakte bewusst wählen und dosieren ( auch online). Wenn Sie sich regelmäßig nach Telefonaten und Videofonaten ausgelaugt und erschöpft fühlen, hilft es meist, diesen Kontakt zu begrenzen.

Musik: Resonanz und Zeit für mich

Menschen mit Kindheitsbelastungen sind oft besonders ansprechbar über Musik: Musik kann auch gerade jetzt in der Coronazeit die fehlende Resonanz in Kontakten ein Stück mildern: Musik versetzt in Schwingung, verbindet und ermöglicht eine andere Stimmungslage. Probieren Sie es aus…mit welcher Musik kommen sie „gut drauf“)?

Eine gute Woche wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Wissen, dass wir zählen – Gedanken zum Advent

 

Wissen, dass wir zählen.

Mit unserem Leben.

Mit unserem Lieben.

Gegen die Kälte.

Zit nach Ruth Cohn

 

Wenn Kindheit belastet und/oder nicht leicht war ( und der Kontakt mit den Eltern vielleicht bis heute eine große Lebensbelastung darstellt), geht manchen Betroffenen auch als Erwachsenem ein Gespür für sich selbst verloren: es fehlt dann oft ein geeigneter Maßstab für die eigene Bedeutung, für den Nutzen und die Wertigkeit des eigenen Tuns/Leistens. In der Fachsprache wird dieser Vorgang auch als Verlust von „Selbstwirksamkeit“ bezeichnet.

Kindheitsbelastung

Kinder, die sich an schwer erkrankten Eltern ein Leben lang regelrecht „abarbeiten“, ohne dass diese „Arbeit“ je gesehen,  gewürdigt oder gar belohnt und anerkannt würde, ohne, dass sie erfolgreich bewertet wird in der inneren Zuschreibung ( weil der erkrankte Elternteil etwa weiter trinkt), müssen sich das Gefühl für die eigene Bedeutung mühsam zurückerobern. Leicht findet eine Generalisierung statt: all das eigene Tun erscheint derart betroffenen Erwachsenen dann sinnlos und erfolglos. Sie glauben schlicht nicht mehr daran, selbst etwas bewirken zu können… waren sie doch  schon bei den Eltern erfolglos, der Vater trinkt immer noch, die Mutter ist weiter coabhängig und depressiv, so denken sie. Nach und nach geht ihnen Selbstbewusstsein verloren, nach und nach fühlen sie sich bedeutungslos, sie fühlen sich oft lebenslang nicht gesehen, nicht gewürdigt, teils auch in ihrer Partnerschaft und in ihren neu gegründeten Familien.

Kindheitsbelastung hat einen Preis…und auch Gewinnfaktor

Burnout ist nur eine der als typisch zu nennenden Erkrankungen im Erwachsenenalter. Die negative Selbstzuschreibung, die in der Ursprungsfamilie entstand, legt einen unguten Boden für weitere Beziehungen – und für eigene Erkankungen auf dem Boden erlittener Kränkung. Oft übersehen diese Erwachsenen, wieviel sie leisten, oftmals über ihre Grenzen hinaus- und wie stark sie geworden sind. Haben Sie schon darüber nachgedacht, über welche besonderen Stärken  sie verfügen?

Die  Begründerin der themenzentrierten Interaktion  (TZI) Ruth Cohn trifft  diesen Nerv;  ihre Worte empfinde ich für all die erwachsenen Kinder, auch als Kinder dieser unserer Zeit, besonders treffend: Wissen, dass Sie zählen… gegen die Kälte, mit Ihrem Leben und Lieben… das wünsche ich Ihnen von Herzen.

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Wie werden aus unglücklichen Kindern glückliche Hundertjährige?

Wie ich 107 wurde/Film BR

Wie werden aus unglücklichen Kindern glückliche Hundertjährige…Wenn wir diese Frage beantworten könnten, wären wir ein gutes Stück weiter. Anna Lang, (Portrait BR Wie ich 107 wurde) mag als ein leuchtendes Beispiel gelten. Wie und warum Ihr ihr Lebensprojekt nach äußerst schwierigen Kindheitsbedingungen so großartig gelungen ist, damit habe ich mich in meinen Beiträgen für die Stiftung „Zu-Wendung für Kinder“ beschäftigt…und möchte Ihnen auf diesem Wege, passend zur adventlichen Stimmung, Mut und Zuversicht schicken.

„Sie hat mich angenommen…das hat das Herz gefüllt“, sagt Anna über ihre Großmutter…

Es gibt sie manchmal, diese Momente, in denen man nach dem Anschauen eines Filmbeitrags beglückt und berührt aufsteht, hoffnungsvoller und zuversichtlicher in die Zukunft schaut als zuvor und die Protagonistin am liebsten in den Arm nehmen würde. Ein solcher Beitrag ist Regisseurin Susanne Brantl in einer Produktion der Reihe Lebenslinien des Bayrischen Rundfunks mit der Biografie „Wie ich 107 wurde“ über das Leben der Anna Lang gelungen. Ein Mutmacher per se, insbesondere für Eltern und mit der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen Befassten.

Stiftung fürkinder, Barnowski-Geiser: Unglückliche Kinder-glückliche Hundertjährige

Lesen Sie hier meinen Beitrag für die Stiftung Zu-Wendung für Kinder Unglückliche Kinder- glückliche Hundertjährige und die Filmkritik (Der unbewusste Treuevertrag hat einen hohen Preis). Diese beiden Beiträge sind aufgrund einer Filmempfehlung der Stiftung Zu-Wendung für Kinder entstanden. Auf der Seite der Stiftung finden Sie viele wertvolle Anregungen und Artikel zur Stärkung der Eltern-Kind-Bindung sowie Fachinfos rund um die frühe Kindheit auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse aus der Bindungsforschung.

Einen guten Start in diese so besondere Adventszeit sendet Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Klopfen Sie sich mal selbst auf die Schulter

Wie mag es Ihnen gerade ergehen in diesen besonderen Zeiten? Gehören Sie zu denjenigen, die gerade mehr arbeiten müssen? Im Beruf, in der Familie, vielleicht mit zeitlich mehr Präsenz und unter ungleich schwierigeren Bedingungen? Oder gehören sie zu denjenigen, die sogar unmittelbar von der Krankheit Covid 19 betroffen waren, mit Krankheitssymptomen, Quarantäne …oder als mitbetroffene Anghehörige? Leben Sie alleine und müssen nun in diesen Zeiten sehr viel Zeit alleine verbringen, verspüren vielleicht oft Einsamkeit? Wir alle durchleben gerade unterschiedliche Lebenswirklichkeiten in einer uns weltweit gemeinsamen Pandemiezeit.

In der Zusammenarbeit mit Erwachsenen aus belasteten Familien fallen mir in dieser Zeit auf: die erhöhte Leistungsbereitschaft und die zugleich wenig bis garnicht vorhandene Würdigung dieser Krisenmeisterung.

Leisten bis der Arzt kommt

Menschen, die in belasteten Familien aufgewachsen sind, übernehmen oft früh Verantwortung und werden selbst von den erkrankten Eltern, die um sich und ihre Erkrankung kreisen, oft wenig gesehen:, so können die Kinder wenig Selbstwert aufbauen. Diesen geringen Selbstwert kompensieren die betroffenen Kinder, indem sie besonders viel leisten. Da diese Leistungen meist ebenso wenig gewürdigt werden durch die Erwachsenen, internalisieren die Kinder die fehlende Wertschätzung: sie erleben ihr eigenes Tun als bedeutungslos und wenig wertvoll. Sie strengen sich aber weiter an, gehen über ihre Grenzen, leisten“ bis der Arzt kommt“- so finden wir oft gerade hier Burnoutpatienten.

Gerade geht es weiter mit Lockdown light. Kann es sein, dass auch gerade Sie viel geschafft haben in dieser jetzigen Krise: Innovatives, Anpassungsbereitschaft, Einsatz, Mitmenschlichkeit.?Weil gerade Sie durch Ihre Lebenserfahrung eine KrisenmeisterIn sind, aber eben auch wenig Wertschätzung für dieses Meistern besitzen?

Eine biografische Antwort auf die Krise finden

Mit der Stunde der Geburt beginnt die Übung gegen die Unsicherheit und Zweifel im Leben die eigene biografische Melodie zu setzen.Durch Erorberungen, Erschütterungen, Laufbahnen, Fehltritte und Krisen hindurch drehen wir Lebensjahr für Lebensjahr den Film unseres Lebens. Wir selbst sind die Drehbuchautoren, führen Regie, spielen verschiedene Rollen…“

Annelie Keil: Auf brüchigem Boden Land gewinnen

Mit diesem Impuls der Woche möchte ich Sie ermuntern, den Film Ihres Lebens neu anzuschauen: aus der wertschätzenden Perspektive. Eine Ermutigung, sich doch selbst endlich auf die Schulter zu klopfen; das haben Sie vermutlich verdient. Und da die Corona-Krise noch einige Zeit andauern wird, haben Sie dieses Schulterklopfen auch dringend nötig – die Aussicht auf den Impfstoff kann nun zu Hoffnungen berechtigen, dass die massive Krise endlich scheint- aber wir brauchen weiter langen Atem.

Kreatives Selbstcoaching (30 Minuten einplanen )





Schreiben Sie auf, was Sie persönlich in der Zeit seit des Ausbruchs des Virus ( in Deutschland ca seit Ende Februar 2020) anders, gut, mehr gemacht haben, pro Aspekt ein neues Blatt.

Gestalten Sie ein Symbol auf das Blatt.

Ordnen Sie die Blätter. Fügen Sie noch ei weiteres hinzu. Geben Sie Ihrer Gestaltung einen würdigenden Platz.Schauen Sie sie in dieser Woche mindestens einmal am Tag an…

Wenn sich dieses Tun fremd anfühlt, machen Sie gerade wahrscheinlich den besten ersten Schritt in ein neues Drehbuch…Regisseurin Ihres Lebens-KunstWerks.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Gesundbleiben in Coronazeiten: Entspannen statt Alarmismus

Wenn Menschen in belasteten Familien aufgewachsen sind, dann mussten sie oft eine erhöhte Wachsamkeit entwickeln. „Hat die Mama schon angefangen zu trinken und tut gleich Unberechenbares?“… „Wird Papa gleich wütend und gewalttätig werden?“ „Werde ich gleich viele ungute Dinge zu hören bekommen?“…Das waren Fragen, die Sie sich als betroffenes Kind meist täglich stellen und möglichst richtig beantworten mussten: um Gefahren vorauszusehen und sich selbst vorausschauend in Sicherheit zu bringen. Diese erhöhte Wachsamkeit rettete damals womöglich Ihr Überleben. Wenn Sie diese Unsicherheiten, gar Bedrohungen über Jahre erleben mussten, hat sich die erhöhte Dauerwachsamkeit womöglich verfestigt und sich in Ihnen als neuronale Endlos-Spur verschaltet. Sie ist vielleicht Teil Ihres Erlebens geworden, den Sie nicht einmal mehr bemerken. Mit der Folge: Sie sind auch heute noch schnell sehr wach und hoch angespannt, wie ein Luchs, in Dauerbeobachtung vor lauernden Gefahren. Wie meine Praxisarbeit zeigt wirkt sich das Corona-Virus nun ungünstig auf Erwachsene aus belasteten Familien aus: sie klagen vermehrt über eine große Erschöpfung und Gereiztheit, die sie zunächst nicht mit ihrer Geschichte in Zusammenhang bringen. Dieser „Alarmismus“, wie ich ihn hier nennen möchte, in der Fachliteratur auch in Zusammenhang mit posttraumatischen Belastungsstörungen als Vigilanz bezeichnet, kostet viel Kraft und Energie. Unerkannt kann Alarmismus burnoutähnliche Symptome auslösen.

Was hilft?

Betroffene benötigen dringend Auszeiten: das in Höchstleitung arbeitende System muss dringend runtergefahren werden, damit sich Immunabwehr und Regeneration entfalten können – Ihr System braucht Pausen des Loslassens, des Nicht-Aufpassen-Müssens, mindestens einmal täglich. Heute können Sie sich solche Auszeiten meist selbst kreieren. Über Achtsamkeitsübungen, Waldspaziergänge, Natur-und Tiererlebnisse oder anderes, das sie positiv erleben. Vielen hilft auch eine tägliche Imagination, wie die eines sicheren Ortes.Also: Coronaregeln einhalten ist das eine, Infos sammeln auch: Selbstfürsorge mit Entspannen und Auszeit scheint eine dringend notwendige Maßnahme zur Gesunderhaltung. Alles kann mit nur einem bewussten Atemzug beginnen.: trainieren Sie Ihre hoffnungsvolle Seite.

Eine gute Woche wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Angst, meine Kindheit,Corona und ich

Angst ist in diesen Krisentagen weit verbreitet. Sehen wir Angst zunächst als  ein Gefühl, das primär unserem Schutz dient. Ausprägung und Stärke der Angst, der Umgang mit der CoronaKrise und ihren Folgen, ist individuell. Bei jedem Menschen fallen Krisen und die damit auftretenden Ängste auf einen biografischen Boden: jede/r hat Unterschiedliches erlebt und auf unterschiedliche Weise bewältigt. Was wir in unserem Leben erfahren haben und unser Umgang damit, bestimmt, wie wir auf neue Situationen zugehen. Unser Umgang mit der aktuellen Corona-Krise ist bestimmt durch vorhergehende Krisenerfahrungen. Menschen mit frühen und dauerhaften belastenden Erfahrungen in ihren Familien sind somit geprägt: sie entwickeln teils große Ängste, wenn Situationen unkontrollierbar erscheinen und sie auf deren Verlauf offensichtlich keinen Einfluss haben. Zugleich haben belastete Kinder auch besondere Stärken und Copings entwickelt, die sie im Jetzt unterstützen können- die Zugänge zu diesen Krisenhelfern sind ihnen teils abhanden gekommen, in Vergessenheit geraten oder unter ängstlicher Erstarrung verschütt gegangen.

Was Krisen, Stress, Gefühle und das Gehirn miteinander zu tun haben

Die schlechte Nachricht, die Ihnen als Betroffene sicher bereits bekannt ist, vorab: Kinder, die dauerhaft Krisen  ihrer belasteten Familien ausgesetzt sind, können massive Folgen davontragen; diese Folgen sind teils messbar an ihrem Serum-Cortisolspiegel und in Hirnstrukturen,  können sie doch neuronale Strukturen des Hippocampus, der Amygdala sowie des Corpus Callosum zerstören. Verursacht werden zum Teil organisch begründbare Regulationsstörungen, später auch komplexe Störungen von Lernen, Emotionen und Verhalten (Trost 2003). Auch wenn dieser Zusammenhang von neuronaler Schädigung für betroffene Kinder in quantitativen Untersuchungen noch nicht hinreichend untersucht ist, muss vermutet werden, dass Gehirne von Kindern aus belasteten Familien durch das emotionale Klima ihrer Familien stark geprägt sind. Es steht zu befürchten, dass lang andauernde wiederholte Belastungen der familiären Umwelt neuronal entsprechend verankert werden und diese‚ emotionalen Straßen’ auch dann aufgesucht werden, wenn es nicht mehr von Nöten ist. Dies zeigte sich bei denjenigen erwachsenen Personen, die bis ins hohe Alter keine Auflösung des familiären Tabus erfahren hatten, bei denen sich etwa Suchtbelastung durch etliche Jahrzehnte zog und auch im Erwachsenenalter lebensbestimmend blieb. Es scheint in diesem Fall schwer zu sein, eingefahrene Hirnstraßen zu verlassen (etwa die der Angst und Ohnmacht) und neue Straßen (Freude,Hoffnung etc.) zu befahren. Damit kann ein wesentlicher Faktor zur Orientierung in der Welt durch das familiäre Erleben maßgeblich negativ beeinflusst werden.

Vererbt durch die Generationen?

Sogar genetisch scheinen diese Erfahrungen Spuren zu hinterlassen (In jüngerer Zeit wurde an Mäusen nachgewiesen, dass die Gene bei Nachkommen traumatisierter Mütter in Mitleidenschaft gezogen waren; sie zeigten sich als weniger Stressresistent und verzweifelter in eigenen Krisensituationen). „Muss ich das auch noch wissen?“, denken Sie nun vielleicht,“ das ist doch nur traurig. Ich finde, ja, sie sollten das wissen, um sich selbst ein Stück besser zu verstehen und sich in Ihrem „So-Sein“ annehmen und nicht noch zusätzlich abwerten, als „Weichei, Mimose, Versager“. Erst, wenn wir verstehen, warum wir wurden, wie wir sind, können wir besser neue Krisen bewältigen, einen Zugang zu unserer wahren Identität bekommen: im anderen Falle, wenn wir Altes unerkannt abspalten, drohen wir uns selbst fremd zu bleiben und in alten, ungünstigen Krisencopings ( zum Beispiel dem Erstarren) feststecken zu bleiben. Angst ist ein Signalgeber, im besten Fall Wachrüttler.

Hirne sind nutzungsabhängig: warum Kinder mit familiärer Belastung leicht ängstlich werden

Schauen wir weiter aus neurowissenschaftlicher Perspektive. Versuchte Erklärungen müssen im Angesicht der hochkomplizierten  Vorgänge in unseren Hirnen unverschämte Vereinfachungen bleiben…versuchen wir dennoch eine Annäherung: Außenwelt hinterlässt Spuren in der Innenwelt. Neurologisch spricht man hierbei von inneren Repräsentationen der Außenwelt. Auch die Repräsentationen unserer Gefühlswelt (neurowissenschaftlichen Untersuchungen u.a. von Braun, Spitzer) spiegeln  erlebte Erfahrungen. Unsere Gefühlswelt ist erlernt, vor allem in sozialer Erfahrung. Befinden, Stimmungen und Gefühle sind bei Kindern aus belasteten Familien stark in Mitleidenschaft gezogen. Kinder lernen etwa: „Wenn Papa trinkt, gibt es Ärger für mich!“ Wird diese Erfahrung wiederholt gemacht, wird diese Erfahrung auch neuronal verschaltet: sie bildet eine Hirnspur. Je öfter diese Erfahrung gemacht werden, umso tiefer gräbt sich diese Spur im Hirn ein, sprich: Kinder entwickeln Ängste ( eine Hirnautobahn „Angst“) und weitere mit diesem Erleben verbundene Gefühle werden nutzungsabhängig verschaltet. Aus dem Kind, das in einer Szene Angst hat, wird bei dauerhafter Wiederholung, leicht ein überängstliches Kind: insbesondere dann, wenn, wie oft in tabuisierenden Familien, das Gefühl des Kindes nicht benannt und besprochen werden darf, das Kind folglich keine angemessene Unterstützung in Form von Trost oder Halt erfährt.

Kindheit prägt unser Erleben als Erwachsene

Das Befinden Betroffener wird durch dieses kindliche Krisenerleben geprägt, das Gehirn entsprechend gebaut – auch als Erwachsene, wenn das Elternhaus längst verlassen wurde, sind diese grundlegenden Verschaltungen angelegt. Es ist also nachvollziehbar, dass ein in der Kindheit entsprechend „verschalteter“ Erwachsener, der die Spur Angst zu einer regelrechten Autobahn im Kopf entwickelt hat (Formulierung in Anlehnung an Hüther), auch als Erwachsener schnell auf eben dieser Autobahn landet. Denkweisen, Selbstbild, Körpererfahrung usw. sind neuronal verschaltet: sie bilden ein Erlebens- Panorama im Jetzt, das im familiären System erlernt wurde.

Denken wir die vorangestellten Forschungen für Erwachsene aus belasteten Familien weiter, so wird deutlich:

  • es besteht ein Zusammenhang zwischen emotionalen Belastungen in Kindheitstagen und emotionaler Befindlichkeit im Erwachsenenalter
  • es besteht ein Zusammenhang von wiederholten stressenden Kindheitserfahrungen und chronischen/schweren Erkrankungen im Erwachsenenalter.

Eine große Belastung der Lebensqualität von Menschen mit belasteter Kindheit erscheint  evident. Somit stellt die aktuelle Corona-Krise neben medizinisch-alltäglichen Überlegungen insbesondere Menschen mit Kindheitsbelastungen vor große psychische Herausforderungen – .

„Help…I need somebody“

Fasst man die vorab geschilderten Forschungsergebnisse zusammen, so sind die Belastungen und Folgen bei Kindheitsbelastungen hoch einzustufen. Und dennoch eine gute Nachricht aus der Forschung:  es gibt Stärkendes! Widerstandskräfte, die uns schützen, sogenannte Resilienzen. Resilienzen sind also das, was uns stark macht.  Resilienzen sorgen dafür, dass viele Menschen mit Kindheitsbelastungen eben auch nicht erkranken. Eine bedeutsame stabile Beziehung im Umfeld eines aufwachsenden Kindes ist eine solch hochwirksame Resilienz. Sind Erkrankungen vorhanden, zeigten sich etwa Meditation und soziale Anbindung als hochwirksam. Vernetzen und andere Menschen mit ins Boot Holen zeigt in allen Lebensphasen Wirkung. Nervensystem und Immunsystem können einander verständigen, dies können wir für uns nutzen. Decartes Dualismus hat lange Medizin bestimmt. Aber neuere Forschungen überprüfen, wie Gehirn und Immunsystem zusammenhängen und es wird deutlich: sie sind in ständigem Austausch. Ein gestresstes Gehirn beeinflusst das Immunsystem, somit gilt auch die Umkehrung: ein entspanntes Gehirn entlastet den Körper. Körper und Geist sind eine Einheit, was ganzheitliche, integrative, leiborientierte, kreative und komplementär-Medizin für Betroffene auf den Plan ruft. Basis bildet weiterhin die Schulmedizin. Gute Erfolge ließen sich auch durch kognitive Umstrukturierung erzielen, also problematische, dysfunktionale Gedanken, etwa durch einen anderen Gedanken zu ersetzen ( wie es in einigen Religionen und Philosophien auch seit Jahrtausenden gelehrt wird)…  Selbstheilung können Sie aktiv unterstützen. Sogar ein EEG kann signifikant verändert werden. Sie können durch Ihre Lebens-und Denkweise Einfluss nehmen.

Ein wichtiger Faktor: eine soziale Umgebung, ein Feld der Hoffnung (gerade dürfen wir auf einen Impfstoff hoffen) und Zuwendung (teils Liebe genannt), im Idealfall im eigenen Zuhause. Der Satz: „Ich kann gesund werden!“, oder: „Ich kann meine Kindheitswunden überwinden!“ gehört zur hochwirksamen Einstellung, die Veränderung und damit Wege aus der erstarrten Angst möglich werden läßt. Hilfe für Betroffene muss individuell erfolgen, spezifisch zugeschnitten sein: sie benötigt mindestens einen wohlwollenden Anderen. Immer sollte sie Anregung zur Selbsttätigkeit beinhalten (hierzu auch das AWOKADO-Selbsthilfe-Programm in Vater, Mutter, Sucht 2015 und Meine schwierige Mutter 2017).

Das hilft
Glauben wir den Erkenntnissen der Psychoneuroimmunologie, so helfen Krisenkindern bei der schwierigen Bewältigung vor allem: Optimismus, stabile Sozialkontakte, ein  Alltag mit guten Erfahrungen sowie körperliche Nähe.

Der in der Kapitelüberschrift verwendete Oldie der Beatles bringt auf den Punkt, was wir Kindheitsbelastungen, Stimmungs-und Befindlichkeitstörungen entgegensetzen können: Hilfe suchen und annehmen, die Verbindung und Zuwendung von anderen, nahestehenden Menschen…die entstehende Überlastung im Beruf würdigen und zunehmend mehr Menschen müssen sich eingestehen, dass längst nicht mehr alles schaffbar ist, bestimmt nicht alles wir früher, perfekt laufen kann- nur, so gut es eben geht.  Vielleicht schreiben Sie anderen hier, indem Sie die Kommentarfunktion nutzen, wie Sie es gerade schaffen trotz Corona-Krise, vielleicht trotz Ihrer Angst – ich freue mich, von Ihnen zu lesen.

Bleiben Sie gesund und behalten Sie bei aller nötigen Hygiene vor allem auch Ihre Seele im Blick,

bis ganz bald

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Beate Theißen stellt vor: unsere aktuelle Cd









„Im Juli, in diesem verrückten Coronajahr, während der Sommerferien, entschlossen Waltraut und ich uns relativ spontan bei einer Probe zur Vorbereitung der Veranstaltung „Kaleidoskop der Sinne“unsere neuen Stücke und auch das bereits schon länger im Repertoire befindliche, bereits gereiftere Material zum Thema „kleine Hände – Kindeswohl“, wie „Das könnt auch dein Kind sein“, (da es immer noch inhaltlich topaktuell die Situation der Flüchtlingskinder beschreibt) sowie „Albatros“ und „Kleine Hände“ endlich auf eine CD zu bringen. An Corona konnte man zu diesem Zeitpunkt nicht vorbeikommen. Wir probten schließlich entweder mit Visir oder auf Abstand. Der Titel der CD sollte dieser besonderen Zeit mit dem schlichten Wort „dennoch“ trotzen und gleichzeitig signalisieren, in allem Schweren liegt „dennoch“ auch Ermutigung. Wir fragten bei Jonas Jansen, der auch unsere CD „Dennoch Liebe“ aufgenommen hat, ob er denn ebenfalls Zeit hätte und dann ging alles ganz schnell. Am 28. Juli trafen wir uns zur ersten Besprechung bei Jonas im Tonstudio 1 a in Heinsberg und konnten bereits an diesem Tag ein Teil der Stücke einspielen. Waltraut hat wieder so wunderbare Texte und die Musik dazu geschrieben und quasi ganz frisch eigens für diese CD getextet. „Manchmal“ mit diesem Text: „manchmal drohe ich unter zu gehen‘ in den Stürmen da draußen, wenn der Mob die Segel auf Kurs setzt… Manchmal hilft dann Fliegen, Raumfahrtperspektiven, den blauen Planet sehn’ den Himmel, hilft manchmal“ wurde mein aktueller Lieblingssong und Ohrwurm, der mich durch die Stürme der Coronakrise trug und auch jetzt noch trägt. Durch HeJoes einfühlsames Akkordeonspiel bekam das Stück weitere Flügel und trotz der Schwere behielt dieser melancholisch beschwingte Walzer eine Leichtigkeit, die für mich traurig schön ist. Das nagelneue Stück „Tabatei“ hawaianisch „in Liebe zusammen“ wurde für mich in dieser einschränkenden Zeit eine Hymne der Befreiung und eine Hymne an die Mitmenschlichkeit, denn „wenn wir jetzt zusammen stehen‘ könnt es grade noch gut gehn‘, wenn die Menschheit zusammenhält, dass unsre Erde nicht verfällt“ ist nicht nur Mahnung sondern Ermunterung „zusammen in Liebe“ durch alle Krisen zu gehen. Auf den Fahrten zu den Aufnahmen im Studio und auch auf den Rückfahrten nach den Aufnahmen sangen Waltraut und ich beschwingt und fröhlich „Tabatei“….. Die auf dem Klavier solistisch eingespielten „Coronatage“ sind mir in dieser surrealen Zeit einfach in die Hände und ins Klavier geflossen. Das Schräge in dieser Zeit spiegelt sich durch die zeitweise Wahl der Ganztonleiter ( Nr. 5) Coronatage 15. Mai oder scharfe Breaks (Nr. 8) 27. Juli aus, die diese unbestimmte Zeit uns beschert. Ich höre unsere CD „dennoch“ immer noch täglich rauf und runter. Sie hält mich in den Stimmungswechseln und Wirren dieser Zeit beisammen und macht mich glücklich.“

Beate Theißen, November 2020




Ab sofort im Erkelenzer Buchhandel und regionalen Naturkostläden. Bei Amazon, Bandcamp, Jpc, Internetstreaming möglich Deezer, Spotify, Amazon etc. Direkt bestellen bei HeyblauRecords oder über die Praxis KlangRaum.

Stationen

Duo EigenArts und Robin Banerjee im „Gottesdienst auf dem Sofa“.

29.4.23 Ev.Kirche Schwanenberg, 18 Uhr. Diesen Abend können Sie jetzt auch im Podcast erleben. Hier reinhören.

Live-Momente

Pressestimmen

„Das Duo EigenARTs lieferte in St. Lambertus Immerath mit Unterstützung von Hejoe Schenkelberg eine beeindruckende Vorstellung…“

Rheinische Post Erkelenz zum letzten Konzert im Immerather Dom

Das Duo EigenARTs ließ sicher die Gedankengänge auf Trab kommen, ob nun solo in der einfühlsamen Klavierbegleitung von Beate Theißen oder im Duett mit Chansonette Waltraut Barnowski-Geiser“

Aachener Nachrichten zum Kaleidoskop der Sinne Geilenkirchen Haus Basten 2017

„Besonders viel Resonanz erhielt das Duo EigenArts, das zunächst mit einem melancholisch-schwermütigen Lied überzeugte und dann mit „Billa, lass uns tanzen“ für richtig Stimmung sorgte. Das Lied…ist auch bei den Protesten gegen die großen Bagger mittlerweile ein echter Hit.“

Aachener Nachrichten zu unserem Auftritt in der Gala Live Soiree/Hejoe Schenkelberg im Franz 2017

CDs/Hörproben

Aktuelle CD 2020

Brandaktuelle deutschsprachige Chansons aus eigener Feder: Zeitkritisches in bekannt tiefsinnig-anrührender Form. Das Duo lässt kein heißes Eisen aus: Ob Coronaeinsamkeit, Flüchtlings- oder Klimakrise – lyrisch-poetisch entführen die beiden Frauen zwischen Jazz, Pop und Klassik auf KlangWortReisen der besonderen Art. Ihre überzeugte Botschaft: „Dennoch“-zusammen in Liebe. Einfühlsam begleitet werden sie vom aus Heinsberg stammenden Klangpoeten Hejoe Schenkelberg am Akkordeon. Cover und Songbook: Grafikdesignerin Ricarda Bakus.Aufgenommen mit Jonas Jansen im 1a Tonstudio, Heinsberg.

Rheinische Post, Heinsberg 10/2020

Mal Reinhören?

Youtube…Unsere Neuste: „dennoch“ kostenlos

getyourmusic Alle Songs aus unserer Cd Dennoch…Liebe in Ausschnitten

„Botschaft der Hoffnung“ Zwei unserer Songs im virtuellen Museum des Heimatvereins der Erkelenzer Lande mit berührenden Bildern zum Heimatverlust

Wenn sie tanzt...Tanzend aus der Depression/ youtube

Billa, lass uns tanzen Aus der Projekt-CD „Dennoch…Heimat!“/youtube

Muttertag aus der Cd „Gefühlskinder/Youtube





Mehr erfahren? Unsere Cds – Duo EigenArts stellt persönlich vor

Beate Theißen stellt vor: unsere aktuelle Cd

Die Chansons der aktuellen Cd „dennoch“ des Duo EigenArts sind vor allem in der ersten Phase der Corona-Pandemie 2020 entstanden. Der Ausbruch des Corona-Virus selbst, aber auch anderes im großen und kleinen Weltgeschehen, hat uns bewegt. Davon erzählen wir in den vorliegenden 12 Titeln in Klängen und Worten:

Vom unstillbaren Hunger der Kindheitsbelasteten-Still-Wochenimpuls der etwas anderen Art

„Das kleine Kind, das etwas erlitten hat, wohnt weiter in uns Erwachsenen: Je mehr es erlitten hat. je mehr es vernachlässigt und überhört wurde, umso mehr braucht es unsere Aufmerksamkeit heute“ (Barnowski-Geiser/Geiser-Heinrichs 2017: Meine schwierige Mutter. Das Buch für erwachsene Töchter und Söhne. Klett-Cotta).

„Ich esse und esse und werde nicht satt!“, erzählt eine 33jährige junge Frau, inzwischen Mutter zweier Kleinkinder. „Und für dieses Schlingen und essen schäme ich mich dann so sehr…ich mag auch nicht darüber reden. Ich habe schon viele Diäten probiert, das nützt nichts. Ich versage immer wieder!“

Bei manchen Menschen hilft Zum Verständnis der „Störung“ der Blick auf ihre emotionale Lage, die emotionale Biografie, also die Geschichte ihrer Gefühle und Stimmungen. Manchmal haben derartige Essprobleme ihre Wurzeln in der Kindheit. Frau R. ist erwachsene Tochter eines Alkoholikers. Diese Frauen tragen, so zeigen Forschungen, ein erhöhtes Risiko, Ess-Störungen zu entwickeln. Frau R. versucht ihr Problem über eine vertraute Strategie zu lösen: durch erhöhte Kontrolle. Sie gerät in einen unguten Kreislauf zwischen Maßlosigkeit,Kontrolle, Scham. Obwohl sie relativ normalgewichtig ist, schämt sie sich inzwischen für ihren Körper und hat immer weniger Selbstbewusstsein. Ihr neuer Weg setzt auf einer tieferen Ebene an. Dieser neue Weg führt über Zu-und Hinwendung. Frau R. mag das täglich als Programm üben, indem sie jeweils mittags und vor größeren Mahlzeiten folgende Übung durchführt:

1.Atem beruhigen und wahrnehmen: wie fühle ich mich gerade? (Frau R. malt das in ein Kreatives Begleitbuch als Farbe)

2. Was brauche ich jetzt? ( Frau R. gestaltet auch dies farbig)

3.Was kann ich für mich tun, was tut mir gut? Frage beantworten und aktiv Tun

Diese und andere Übungen klingen einfach: für Kindheitsbelastete sind Sie oft gefühlt der Mount Everest. Diese Übungen können Sie, regelmäßig angewendet, effektiv unterstützen ( weitere Kreative Selbsterfahrungsübungen auf dieser Seite und in meinen Büchern.

Übrigens ist das ebenso ein Männerthema: Söhne trinkender Väter haben ein deutlich erhöhtes Risiko, selbst zu Alkoholikern zu werden.  Der Kern des Problems ist in diesen Fällen derselbe: statt Essen wird hier Trinken eingesetzt. Die vorab beschriebene Übung ist hier ebenso sinnvoll. Und: emotionaler Hunger ( hier aus Kindheitstagen) betrifft nicht nur Menschen aus Suchtfamilien.

Ich wünsche Ihnen Zeit, in sich hineinzuspüren, Ihren Bedürfnissen zu folgen und den Mut, Neues zu probieren: es lohnt sich!

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Vom Über-Leben zum Erleben/ Impuls fuer Ihre Woche

„Ich will nicht länger  bloß über-leben, sondern endlich er-leben!…Und manchmal gelingt mir das schon!“, sagt Herr S., ein 32jähriger Sozialarbeiter, erwachsener Sohn eines psychisch kranken Vaters. „Mein Leben war von Klein auf geprägt durch die Krisen meines Vaters, meine Mutter war damit völlig überfordert. Ich kam schnell in die Rolle des einzig Verlässlichen, galt als der „Große“, der alles managt. Auch nach dem Auszug aus dem Elternhaus habe ich geschaut, wo die nächsten Bedürftigen und Herausforderungen sind. Irgendwann habe ich erkannt: Ich bleibe neben all den Bedürftigen, neben allen hohen Zielen auf der Strecke…ich habe angefangen, mir Auszeiten zu nehmen, die zu Anfang vor allem mein Körper engefordert hat. Heute ist eine Stunde am Tag, in der ich mich nur um mich kümmere, unverzichtbar. MIt dieser Stunde für mich bin ich in eine andere Haltung gekommen. Ich bin achtsamer mit mir. Ich muss nicht mehr weiter und höher! Ich glaube, mein Leben fängt gerade erst richtig an.“

Sind auch Sie im Krisen-Überlebensmodus stecken geblieben? Wahrscheinlich sind Sie dann MeisterIn der Krisenbewältigung, meistern eine Herausforderung nach der anderen, (womöglich ohne dies wirklich als Leistung zu würdigen)… Muße und Freizeit gestalten, mit allen Sinnen erleben dagegen ist Ihnen ein Angang?…Dann braucht es neue Wege, vor allem oft eine andere Haltung und Bewertung,denn Dauerkrisenmanagement kann krank machen…

Wenn Sie sich von diesen Zeilen angesprochen fühlen und etwas aendern möchten in Ihrem Leben, notieren Sie vielleicht als ersten Schritt drei Dinge, die Sie in der nächsten Woche erleben wollen, abseits von Muss, abseits von Druck… einfach ganz für Sie selbst…achten Sie bei Ihren Muessiggaengen auf Ihren Atem,Ihren Koerper und werden langsam immer absichtsloser.

Eine gute Woche wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Auch verdammt stark: von den uebersehenen Stärken der Suchtkinder.

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Kinder aus Suchtfamilien, und das wurde die längste Zeit (sogar in Forschungsaktivitäten jüngerer Zeit) sträflich übersehen, entwickeln auch besondere Stärken. Diese Stärken zeichnen die betroffenen Kinder in besonderer Weise aus; sie sind ihnen jedoch meist selbst wenig bewusst. Da sie für Ihre besonderen Leistungen in ihren Familien kaum Anerkennung erhielten, sogar eher zum Sündenbock gestempelt wurden, ist ihnen der Zugang zu ihren Stärken oft verwehrt: sie übersehen diese als Erwachsene so, wie sie es im Kindesalter durch die eigenen Eltern erfahren haben. Die betroffenen Kinder (auch Kinder psychisch und anders schwer belasteter Eltern) geraten in eine Tabu-Stärkenfresserspirale. In der elterlichen Scham über das eigene Unvermögen, elterliche Fürsorge angemessen und dauerhaft anzubieten, sondern diese viel zu früh an das Kind delegiert zu haben, fällt die alltägliche Höchstleistung des Kindes unter den Tisch. Es beginnt eine Negativspirale in einer verquer anmutenden familiären Dynamik: es wird so getan,als gaebe  keine (Sucht)-Erkrankung, kein elterliches Versagen, kein Leiden der Kinder und folglich keine besondere Leistungen der Kinder. Über Jahrzehnte gelebt, wird diese Spirale Teil der Selbstzuschreibung der Kinder: das erwachsene Suchtkind leistet und leistet, und bewertet das in vertrauter Manier: „Ich habe doch gar nichts gemacht!“ Kommen dann noch entsprechende Partner, Arbeitskollegen oder Chefs dazu, wiederholt sich die Tabu-Stärkenfresserspirale allzu ungut.Die Tabu-Stärkenfresserspirale tritt auch bei anderen elterlichen Erkranungen

auf, die mit Tabusisierung einhergehen ( z.B. elterliche psychische Erkrankung, elterliche Traumatisierung etc.).

Vielleicht wagen Sie heute einen Blick auf Ihre Staerken,auch wenn das vielleicht ungewohnt erscheint.Welche besondere Staerke mussten Sie beinahe zwangslaeufig entwickeln…welche war Ihnen schon on die Wiege gelegt?

Eine gute Zeit in diesen sonnigen Spaetsommertagen wuenscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Berechtigte Hoffnung oder Irrglaube: Ist es wirklich nie zu spät für eine glueckliche Kindheit?

In dieser Woche möchte ich mit Ihnen einer wichtigen Fragestellung folgen: Kann man eine glückliche Kindheit als Erwachsener nachholen? Diese Versprechung soll zumindest den Versprechungen einiger Autoren und Seminarleitern zufolge, zu jeder Zeit einzulösen sein. Ben Furmann benannte sein Buch nach dieser Aussage…und wollte wohl vor allem Hoffnung machen. Jedoch: Wenn es möglich wäre, glückliche Kindheit nachzuholen, dann beinhaltete das doch unendliche Möglichkeiten…Vergangenes Leid wäre demnach in der Gegenwart zu verwandeln, Glück wäre machbar. Ist es wirklich nie zu spät für eine glückliche Kindheit? Machen Sie etwas falsch, wenn Sie sich aktuell nicht gut fühlen? Die Beantwortung unserer Ausgangsfrage scheint nicht leicht.

Perspektivwechsel

Ist jeder einfach seines Glückes Schmied?  Betroffene mit Kindheitsbelastungen ( im Folgenden kurz Bel-Kids genannt) gewinnen den Eindruck, einfach falsch zu denken, unfähig zu sein…oder zu sensibel…einfach „zu“: die Kette der Selbstbeschuldigungen kann unendlich fortgesetzt werden… und mündet dann oft in der Frage: Mache ich etwas falsch in meinem Leben? Oftmals stellt sich in therapeutischer Arbeit heraus, dass Eltern oder andere Menschen viel falsch gemacht haben, ihrer Sucht gefolgt sind etwa: und nicht der Belastete selbst. Um dies herauszufinden, benötigen Menschen oft Krisen: alles bricht zusammen, die alte Weise zu denken, das Wertsesystem, womöglich wichtrige Beziehungen…und nun wird die Krise zum Wendepunkt. Und damit oft zur Chance..

Auf das Maß kommt es an…

Ob „Einfach glücklich sein“ durch einen Entschluss möglich ist, ist zumindest auch maßgeblich vom Schweregrad der kindlichen Belastung abhängig. Je früher die Kindheitsbelastung einsetzte und dort womöglich frühe Traumata (tiefgreifende seelische Verletzungen) hinterließ, umso weniger können sich Menschen ausschließlich durch eine bloße Einstellungsänderung in glücklichere Menschen verwandeln. Dies zu behaupten (und das ist in bestimmten Szenen durchaus verbreitet), stellt eine große Ignoranz traumatisierten Menschen gegenüber dar. Wenn die Belastung keine tiefgreifenden seelischen Spuren hinterlassen hat, ist die Palettte des Einflußnahme größer: dann ist über den Einsatz des Willens und sogenannte kognitive Umstrukturierung (vereinfacht gesagt ein Wandeln der Denkmuster) oft ein zufriedenes und glücklicheres Leben möglich. Bei Menschen mit schweren Kindheitstraumatisierungen ist eine längerfristige Therapie meist unumgänglich: und auch diese ist längst kein Garant für ein glückliches Leben. Auch Therapieprozesse sind dann von Höhen und Tiefen gezeichnet- aber die Gesamtbilanz fällt für Betroffene in der Regel glücklicher aus.

Was bedeutet Glück?

Nehmen Sie ein paar Atemzüge Zeit… was bedeutet für Sie Glück?…Wann haben Sie sich glücklich gefühlt zuletzt?…und als Kind?…Ist Glück für Sie erstrebenswert?

Was Glück bedeutet, ist für jeden etwas anderes. In der Glücksforschung hat man herausgefunden, dass materielles Glück sich schnell verflüchtigt: wer also etwa einen großen Geldbetrag gewinnt, der kann kurzfristig mehr Glück erleben- nach kurzer Zeit pendelt sich der Gewinner jedoch auf Normalniveau ein.

Schauen wir aus philiosophischer Perspektive, so wird Glück sowohl als etwas Individuelles und als etwas Flüchtiges beschrieben. Um nach dem Glück zu suchen, muss man demnach zunächst benennen können, was glücklich macht. Als Glücksuchende brauche ich also eine Vorstellung davon, was denn Glück für mich genau ist. Um diese Vorstellung überhaupt entwickeln zu können, muss jemand glückliche Zustände erlebt haben und sie auch erinnern –  das setzt voraus, Glücksmomente auch als eben solche wahrgenommen zu haben.  Manchmal wissen Menschen mit Kindheistbelastungen schlicht nicht, wie sich Glück anfühlt – sie haben es wenig erlebt.Damit fehlt ihnen eine wichtige Voraussetzung,  glücklich zu werden: sie müssen also im Jetzt achtsam sein, was Sie angenehm, schön, bereichernd empfinden. Oft ist die kurzfristige Beglückung wenig hilfreich: ist etwas zugleich in Übereinstimmung mit dem eigenen Lebenssinn, mit dem eigenen Wesen, wird es dann besonders „glücklich“ erlebt.

Im Buddhismus geht man davon aus, dass man erst Freude und Glück  empfinden sollte, bevor man sich dem Leiden zuwendet. Wenn jemand krank ist, muss erst gestärkt werden, bevor er Schweres  erfährt (etwa das Ausmaß seiner Erkrankung). Die alltägliche Praxis der Meditation soll den Menschen darin  unterstützen. Buddha leitete an, wie man zu Freude  und Glück kommt durch die Praxis der Meditation.  Es muss erst Stärke gefunden werden, imdem man sich um Freude und Glück kümmert. Wenn man zu schwach ist, kann das Ansehen des Leides zu früh sein. Wie bei einer OP: auch hier muss das Kräftig Werden im Blick sein bevor operiert wird. Wenn man noch schwach ist, so nimmt man an, sei das Ansehen der Sorgen  zu schwierig.

„Ich achte auf mich“ statt „Ich bin für dein Glück verantwortlich“ – Loslassen, Betrauern und Selbstachtsamkeit als heilsamer Weg

Gefühle von Freude und Glück aufzubringen ist für manche alltägliche Praxis. Wie geht das? Folgt man buddhistischen Lehrern (Thich Nhat Hanh, Buddha) und christlichen Kontemplationspraktitken hat dies viel mit Loslassen zu tun. Der Buddha sagt, dass Glück hänge eng zusammen mit der Fähigkeit, loszulassen und nicht anzuhaften. Wenn man an Beziehungen und Ideen festhalte, bereite das Schmerzen. Etwas sehr Bekanntes für Menschen mit KIndheitsbelastungen: oft kreisen sie lebenslang um ihre Eltern, in der Hoffnung, dass diese doch endlich glücklich werden sollen.  Von vielem denken wir demzufolge, dass wir es nicht loslassen können, weil wir glauben, das wäre unabkömmlich für unser Glück. Oft ist gerade diese Idee loszulassen. Für Bel-Kids bedeutet dies oftmals die Aufgabe der Idee: wenn ich meine Eltern glücklich gemacht habe, werden sie mich lieben: dann werde ich selbst glücklich sein. Je mehr sie diese Vorstellung loslassen statt sie festzuhalten, um so besser scheint dann ihr eigenes Leben. Sie haben dann die Vorstellung losgelassen, das sie die Verantwortung für das Lebensglück ihrer Eltern tragen. Sie bemerken erst als Erwachsene, dass sie ein Recht auf ein gutes Leben haben; auch wenn es jemand anderem ( etwa dem erkrankten Elternteil) noch schlecht geht. Dann können eigene Bedürfnisse endlich Raum bekommen, auch kindliche Wünsche können durch den Erwachsenen, der sie im Jetzt sind, erfüllt werden. Oftmals setzt das glücklich Sein eine Zeit des Betrauerns voraus: was war nicht möglich früher, was ist nicht nachholbar?… erst dann können Betroffene  achtsam für sich selbst sorgen und sich auf einen glücklicheren Weg mit ihren verletzten kindlichen Anteilen begeben : um unsere Frage aufzugreifen. Es ist oftmals nicht zu spät für eine gute Kindheit: je schwerer die KIndheitsrefahrungen waren, umso weniger einfach ist das Nachholen.

Ich wünsche Ihnen eine erfüllte Woche mit glücklichen Momenten

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

 

Belastete Kindheit-als Erwachsene aengstlich?Wie Sie neuronale Bahnungen im Jetzt doch aendern koennen

„Warum leide ich bis zum heutigen Tag an Gefuehlen,die mich ueberfluten?“

Oder auch

„Warum fuehle ich nichts?“

  1. „Warum bin ich,mir und anderen unerklaerlich, chronisch krank,psychisch belastet?“

Diese Fragen begegnen mir in der Zusammenarbeit mit erwachsenen Kindern besonders belasteter Familien immer wieder.Deshalb hier und heute dazu grundlegende Erklaerungsversuche.

Krisenkinder

Die schlechte Nachricht, die Ihnen als Betroffene sicher bereits bekannt ist, vorab: Kinder, die dauerhaft Krisen  ihrer belasteten Familien ausgesetzt sind, können massive Folgen davontragen; diese Folgen sind teils messbar an ihrem Serum-Cortisolspiegel und in Hirnstrukturen,  können sie doch neuronale Strukturen des Hippocampus, der Amygdala sowie des Corpus Callosum zerstören. Verursacht werden zum Teil organisch begründbare Regulationsstörungen, später auch komplexe Störungen von Lernen, Emotionen und Verhalten (Trost 2003). Auch wenn dieser Zusammenhang von neuronaler Schädigung für betroffene Kinder in quantitativen Untersuchungen noch nicht hinreichend untersucht ist, muss vermutet werden, dass Gehirne von Kindern aus belasteten Familien durch das emotionale Klima ihrer Familien stark geprägt sind. Es steht zu befürchten, dass lang andauernde wiederholte Belastungen der familiären Umwelt neuronal entsprechend verankert werden und diese‚ emotionalen Straßen’ auch dann aufgesucht werden, wenn es nicht mehr von Nöten ist. Dies zeigte sich bei denjenigen erwachsenen Personen, die bis ins hohe Alter keine Auflösung des familiären Tabus erfahren hatten, bei denen sich etwa Suchtbelastung durch etliche Jahrzehnte zog und auch im Erwachsenenalter lebensbestimmend blieb. Es scheint in diesem Fall schwer zu sein, eingefahrene Hirnstraßen zu verlassen (etwa die der Angst und Ohnmacht) und neue Straßen (Freude,Hoffnung etc.) zu befahren. Damit kann ein wesentlicher Faktor zur Orientierung in der Welt durch das familiäre Erleben maßgeblich negativ beeinflusst werden. Sogar genetisch scheinen diese Erfahrungen Spuren zu hinterlassen (In jüngerer Zeit wurde an Mäusen nachgewiesen, dass die Gene bei Nachkommen traumatisierter Mütter in Mitleidenschaft gezogen waren; sie zeigten sich als weniger Stressresistent und verzweifelter in eigenen Krisensituationen). Muss ich das wissen, denken Sie nun vielleicht, das ist doch nur traurig. Ich finde, ja, sie sollten sich mit diesen Dingen auseinandersetzen, um sich selbst ein Stück besser zu verstehen. Erst, wenn wir verstehen, warum wir wurden, was wir sind, können wir einen ZUgang zu unserer wahren Identität bekommen: im anderen Falle, wenn wir Altes nur unerkannt abspalten, drohen wir uns selbst fremd zu bleiben.

Hirne sind nutzungsabhängig: warum Kinder mit familiärer Belastung leicht ängstlich werden

Schauen wir weiter aus neurowissenschaftlicher Perspektive. Versuchte Erklärungen müssen im Angesicht der hochkomplizierten  Vorgänge in unseren Hirnen unverschämte Vereinfachungen bleiben…versuchen wir dennoch eine Annäherung: Außenwelt hinterlässt Spuren in der Innenwelt. Neurologisch spricht man hierbei von inneren Repräsentationen der Außenwelt. Auch die Repräsentationen unserer Gefühlswelt (neurowissenschaftlichen Untersuchungen u.a. von Braun, Spitzer) spiegeln  erlebte Erfahrungen. Unsere Gefühlswelt ist erlernt, vor allem in sozialer Erfahrung. Befinden, Stimmungen und Gefühle sind bei Kindern aus belasteten Familien stark in Mitleidenschaft gezogen. Kinder lernen etwa: „Wenn Papa trinkt, gibt es Ärger für mich!“ Wird diese Erfahrung wiederholt gemacht, wird diese Erfahrung auch neuronal verschaltet: sie bildet eine Hirnspur. Je öfter diese Erfahrung gemacht werden, umso tiefer gräbt sich diese Spur im Hirn ein, sprich: Kinder entwickeln Ängste ( eine Hirnautobahn „Angst“) und weitere mit diesem Erleben verbundene Gefühle werden nutzungsabhängig verschaltet. Aus dem Kind, das in einer Szene Angst hat, wird bei dauerhafter Wiederholung, leicht ein überängstliches Kind: insbesondere dann, wenn, wie oft in tabuisierenden Familien, das Gefühl des Kindes nicht benannt und besprochen werden darf, das Kind folglich keine angemessene Unterstützung in Form von Trost oder Halt erfährt. Das Befinden Betroffener wird durch dieses kindliche Krisenerleben geprägt, das Gehirn entsprechend gebaut – auch als Erwachsene, wenn das Elternhaus längst verlassen wurde, sind diese grundlegenden Verschaltungen angelegt. Es ist also nachvollziehbar, dass ein in der Kindheit entsprechend „verschalteter“ Erwachsener, der die Spur Angst zu einer regelrechten Autobahn im Kopf entwickelt hat (Formulierung in Anlehnung an Hüther), auch als Erwachsener schnell auf eben dieser Autobahn landet. Denkweisen, Selbstbild, Körpererfahrung usw. sind neuronal verschaltet: sie bilden ein Erlebens- Panorama im Jetzt, das im familiären System erlernt wurde.

Unterwegs auf der Hirnautobahn Gefühl

Gefühle sind neuronale Repräsentationen „Wir werden oft von den Gefühlen unbemerkt gesteuert.“ , sagt der Hirnforscher Spitzer schon vor einem Jahrzehnt. Emotionen bieten Kindern Orientierungshilfe beim Zurechtfinden in einer komplizierter werdenden Welt. (Spitzer 2003) Werden anstehende Probleme angemessen gelöst, stellt sich ein gutes Gefühl ein, das sich im Gehirn verankert. (Hüther 1999) Je früher diese Verschaltung erfolgt und je häufiger sie bei Belastungen und Herausforderungen aktiviert wird, umso stärker ist der Bahnungsprozess im Gehirn. Welche Verschaltung zu einem Gefühl gebahnt wird, hängt von subjektiven Empfindungen ab. „Mit jeder erfolgreich bewältigten Belastung, jeder bestandenen Herausforderung wird unter dem Einfluß der bei der kontrollierbaren Streßreaktion stattfindenden Aktivierung des noradrenergen Systems das jeweils empfundene Gefühl in Form von bestimmten dieser Empfindung zugrunde liegenden neuronalen Verschaltungen im Gehirn verankert.“ (Hüther 1999, S.69) Aber auch Belastendes und wiederholt nicht Bewältigtes wird im Gehirn als Trampelpfad abgespeichert. „Emotionale Verunsicherung führt zur Aktivierung limbischer und anderer stress-sensitiver neuro-endokriner Regelkreise und zwingt das Kind, nach geeigneten Strategien zur Wiederherstellung seines emotionalen Gleichgewichtes zu suchen. Einseitige, unbalancierte Bahnungsprozesse führen zwangsläufig zu defizitären Entwicklungen in anderen Bereichen (Wahrnehmung, Motorik, Lernverhalten, Motivierbarkeit, Sozialverhalten). (Trost 2003, S.60) Auch wiederholte Traumatisierungen wirkten nachhaltig destabilisierend auf die neuro-endokrinen und vegetativen Regelkreise.

Gefühle zwischen Ich und Du

Gefühle entstehen im sozialen Raum: Kinder und Erwachsene aus belasteten Familien fühlen nicht an sich, ängstigen sich nicht an sich, sind nicht an sich leer, schuldig, sondern ihre Gefühle sind Repräsentanten und zugleich Träger ihrer sozialen Beziehungen, sprich ihren belasteten Eltern oder Geschwister.

Gefühle werden in einer leibtherapeutischen Sicht sowohl in ihrer Leiblichkeit in Bezug aus Körper, Seele und Geist angesehen, als auch in ihrer Räumlichkeit aufgefasst, in letzterer insbesondere in ihrer Rückbeziehung auf das Subjekt. Psychiater und Leibphilosoph Thomas Fuchs: „Wie beim Tasten (‚Fühlen’) Empfinden und Selbstempfinden ineinsfallen, so ist das Gefühl als Gegenstandsbeziehung zugleich ein Selbstverhältnis, also Fühlen und sich-Fühlen in einem (sich fürchten, sich schämen, sich freuen). Die Furcht oder Angst vor (…) bedeutet auch Furcht oder Angst um mich selbst oder mein Leben. Die Scham vor den anderen ist zugleich die Scham über mich. Im Gefühl ist das Selbst sich nicht gegenständlich, als sein eigenes Objekt, sondern zuständlich, erleidend gegeben, als Subjekt affektiven Betroffenseins.“ (Fuchs 2000) Es lässt sich folgern, wie die sogenannte Zwischenleiblichkeit wirken kann: Betroffene aus belasteten Familien können innerlich derart verwoben sein mit erkrankten Angehörigen, auch und gerade in der Entwicklung ihrer eigenen Gefühlswelt, dass kaum noch eine Unterscheidung zwischen Ich und Du erlebt wird, weder leiblich noch räumlich. Die Gefühle der Eltern wabbern als Atmosphären in den Raum, für die Kinder kaum noch unterscheidbar, wo ihre eigenen Gefühle anfangen, wo sie teil einer Atmosphäre sind. „So werden Gefühle auch zu Indikatoren für die Qualität der Beziehung, in der die anderen Menschen und die Sachverhalte unserer Welt zu uns selbst stehen.“ (Fuchs) Es entsteht ein typischer Schwingungsraum zwischen Eltern und Kindern. Die gelungene oder misslungene Affektabstimmung und der Aufbau von Gefühlen ist maßgeblich für den Aufbau von weiteren Beziehungen. „Gefühle werden im Ausdruck, als Ausstrahlungen, Gesten und Handlungen ‚entäußert’, um so ihrerseits Gefühle in anderen zu induzieren. Ohne dass wir und dessen immer bewusst wären, wirken umgekehrt die Gefühle und Haltungen der anderen ständig auf unsere eigenen ein. So bilden Gefühle einen Raum mannigfaltiger Schwingungen, die sich ausbreiten und ein Eigenleben entwickeln, obwohl sie doch zugleich das persönlichste in uns sind.“ (Fuchs 2000) Also vereinfacht: was wir an Beziehungserfahrung gemacht haben, das wohnt in uns und das geben wir auch in irgendweiner Weise an andere weiter.

Tabu, Geheimnis, Gefühl

Wenn das, was Kinder aus belasteten Systemen bewegt, nicht besprochen werden darf,  nicht nach Außen dringen darf, verstärkt das Stress und Belastung. Zudem verfestigt sich eine Spaltung zwischen  innerem Erleben und dem nach Außen Gezeigten. Viele Kinder können folglich irgendwann nicht mehr unterscheiden, was sie im Angesicht der familiären Tabuisierung fühlen sollen und was sie tatsächlich erleben und fühlen. Gefühle werden zu Leerstellen des Erlebens oder mutieren zu diffusen Grundstimmungen. Dies kann zu einem chronifizierten schlechten Befinden führen, das sich die Betroffenen selbst nicht erklären können. Die erzwungene Verleugnung ihrer realen Lebenssituation (etwa die Drogensucht der Mutter) geht in der Regel so weit, dass sie sich sogar vorwerfen, sich grundlos schlecht zu fühlen. Dieses auf den ersten Blick paradox erscheinende Phänomen ist jedoch bei genauerer Sicht auf die belastete Biografie nachvollziehbar.

Stress und Krankheit

Viele kennen es aus eigener Erfahrung: Man wird zur anstehenden Prüfung nicht krank, aber kurz danach. Interessante Erkenntnisse hierzu liefert die Psychoneuroimmunologie: In der Stresssituation selbst ist ein Hochfahren des Systems erforderlich, eine Aktivierung des Immunsystems erfolgt. Ein Schutzsystem wird aufgebaut, da Entzündung  nun gefährlich wäre. Es erfolgt eine Corstisolausschüttung im Körper. Cortisol supprimiert die zelluläre Immunaktivität, die uns vor viralen Infekten schützt. Und so findet man der Harvard University Zusammenhänge: bei Überforderung und Stress fordert das Zwischenhirn an, in den Nebennieren Adrenalin zu produzieren. Es erfolgt also eine Verteidigung auf körperlicher Ebene, Erregung wird gedämpft. Chronischer Stress dämpft in der Folge Immunabwehr und zelluläre Abwehr. Folge waren eine Reihe von Anfälligkeiten: die Versuchspersonen zeigten sich  Grippe-und Herpesanfälliger, anfälliger für Neurodermitis-und Autoimmunerkrankungen sowie Allergien. Dies konnte auch an Kindern stressbelasteter Mütter nachgewiesen werden.Man fand beispielsweise Zusammenhänge zwischen traumatischen Erfahrungen im Kindesalter und Rheumaerkrankungen im Alter. Biochemische Vorgänge sind komplex. Der Zusammenhang zwischen Stress in der Kindheit und späterer Krankheit lässt sich heute erklären: Das überforderte System ist irgendwann erschöpft. Es kommt zu vermehrten Entzündungen, was zu schweren Erkrankungen wie Rheuma, Krebs usw. führen kann (hierzu auch Christian Schubert, Innsbruck, Integrativer Therapeut und Psychoneuroimmunologie/Psychotherapie- Integrierte Medizin).

Denken wir die vorangestellten Forschungen für Erwachsene aus belasteten Familien weiter, so wird deutlich:

  • es besteht ein Zusammenhang zwischen emotionalen Belastungen in Kindheitstagen und emotionaler Befindlichkeit im Erwachsenenalter
  • es besteht ein Zusammenhang von wiederholten stressenden Kindheitserfahrungen und chronischen/schweren Erkrankungen im Erwachsenenalter.

Eine große Belastung der Lebensqualität von Menschen mit belasteter Kindheit erschent  evident.

„Help…I need somebody“

In der Überschrift, hier mit einem Oldie der Beatles, wird kurz auf den Punkt gebracht, was wir Kindheitsbelastungen, Stimmungs-und Befindlichkeitstörungen entgegensetzen können: Hilfe suchen und annehmen, die Verbindung und Zuwendung von anderen, nahestehenden Menschen… also können wir etwas tun!

Fasst man die vorab geschilderten Forschungsergebnisse zusammen, so sind die Belastungen und Folgen bei Kindheitsbelastungen hoch einzustufen. Und dennoch eine gute Nachricht aus der Forschung:  es gibt Stärkendes! Widerstandskräfte, die uns schützen, sogenannte Resilienzen. Resilienzen sind also das, was uns stark macht.  Resilienzen sorgen dafür, dass viele Menschen mit Kindheitsbelastungen eben auch nicht erkranken. Eine bedeutsame stabile Beziehung im Umfeld eines aufwachsenden Kindes ist eine solch hochwirksame Resilienz. Sind Erkrankungen vorhanden, zeigten sich etwa Meditation und soziale Anbindung als hochwirksam. Vernetzen und andere Menschen mit ins Boot Holen zeigt in allen Lebensphasen Wirkung. Nervensystem und Immunsystem können einander verständigen, dies können wir für uns nutzen. Decartes Dualismus hat lange Medizin bestimmt. Aber neuere Forschungen überprüfen, wie Gehirn und Immunsystem zusammenhängen und es wird deutlich: sie sind in ständigem Austausch. Ein gestresstes Gehirn beeinflusst das Immunsystem, somit gilt auch die Umkehrung: ein entspanntes Gehirn entlastet den Körper. Körper und Geist sind eine Einheit, was ganzheitliche, integrative, leiborientierte, kreative und komplementär-Medizin für Betroffene auf den Plan ruft. Basis bildet weiterhin die Schulmedizin. Gute Erfolge ließen sich auch durch kognitive Umstrukturierung erzielen, also problematische, dysfunktionale Gedanken, etwa durch einen anderen Gedanken zu ersetzen ( wie es in einigen Religionen und Philosophien auch seit Jahrtausenden gelehrt wird)…  Selbstheilung können Sie aktiv unterstützen. Sogar ein EEG kann signifikant verändert werden. Sie können durch Ihre Lebens-und Denkweise Einfluss nehmen.

Ein wichtiger Faktor: eine soziale Umgebung, ein Feld der Hoffnung und Zuwendung (teils Liebe genannt ), im Idealfall im eigenen Zuhause. Der Satz: „Ich kann gesund werden!“, oder: „Ich kann meine Kindheitswunden überwinden!“ gehört zur hochwirksamen Einstellung, die Veränderung möglich werden läßt. Hilfe für Betroffene muss individuell erfolgen, spezifisch zugeschnitten sein: sie benötigt mindestens einen wohlwollenden Anderen. Immer sollte sie Anregung zur Selbsttätigkeit beinhalten (hierzu auch das AWOKADO-Selbsthilfe-Programm in Vater, Mutter, Sucht 2015 und Meine schwierige Mutter 2017).
Glauben wir der Psychoneuroimmunologie, so helfen Krisenkindern bei der schwierigen Bewältigung vor allem: Optimismus, stabile Sozialkontakte, ein guter Alltag und körperliche Nähe.

Filmbeitrag Selbstheilungskräfte und Psychoneuroimmunologie

http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=41334

Fuchs, T. (2000). Leib-Raum-Person. Entwurf einer Phänomenologischen Anthropologie. Stuttgart: Klett Cotta.

Fuchs, T. (2008): Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Eine phänomenologisch-ökologische Konzeption. Stuttgart: Kohlhammer.

Hüther, G. (1999): Biologie der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Lammel, U. A. (2007). Phänomenologie einer Jugendkultur in den 90er Jahren und Anfragen an Soziale Arbeit in Praxis und Ausbildung. In H. Petzold, P. Schay, P. & W. Ebert (Hg.), Integrative Suchttherapie. Theorie, Methoden, Praxis, Forschung (2. Aufl.) (S. 17-63). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Michaelis, K. & Petzold, H. (2010). Zur Situation von Kindern suchtbelasteter Familien aus Sicht der integrativen Therapie. Integrativ-systemische Überlegungen zur Entwicklung von Risiko und Resilienz bei Kindern mit suchtkranken Eltern. Integrative Therapie, 36 (2/3), 252-280.

Orth, I. ( 2012): Unbewusstes in der therapeutischen Arbeit mit künstlerischen Methoden,kreativen Medien – Überlegungen aus der Sicht „Integrativer Therapie“ in Polyloge, Internetzeitschrift der EAG-FPI.

Spitzer, M. (2002). Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidelberg: Spektrum.

Trost, A. (2003). Interaktion und Regulation bei suchtkranken Müttern und ihren Säuglingen. In Landschaftsverband Rheinland, Dezernate Gesundheit und Jugend/ Landesjugendamt (Hg.), Suchtfalle Familie?!. Forschung und Praxis zu Lebensrealitäten zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Dokumentation der gemeinsamen Fachtagung der KFH NW, Forschungsschwerpunkt Sucht, und des Landschaftsverbandes Rheinland, Dezernate Gesundheit und Jugend/Landesjugendamt. Köln.

Beste Herbstgrüße sendet Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Ich stoppe meine Selbstabwertung!…ein wichtiger Vorsatz fuer Erwachsene mit Kindheitsbelastungen

Sich selbst abzuwerten, ist Menschen mit Kindheitsbelastungen seltsam vertraut. Dies lässt sich entwicklungspsychologisch nachvollziehen: wer von klein an mit schwierigen Belastungen, etwa mit psychisch oder suchterkrankten Eltern aufwächst, bezieht das Verhalten der Erkrankten oftmals auf sich. Verhalten die ihn Umgebenden sich über lange Zeit „krankhaft“, so glaubt das Kind, das sich in der Phase des Egozentrismus befindet, für dieses Verhalten verantwortlich zu sein. Erfährt es in dieser Phase keine angemessene Auflösung (hält etwa das süchtige und für das Kind wenig befriedigende Verhalten der Eltern über lange Zeit an) , so kann dies  zum lebensbegleitenden Thema werden. Irgendwann ist die eigene Abwertung und sich für alles Negative verantwortlich Fühlen so vertraut, dass es Betroffenen gleichsam zur zweiten Haut wird. Oft zieht Selbstabwertung ungesunde Selbstausbeutung nach sich. Ein Um-und Neulernen wird nötig. Vielleicht auch Ihr Vorsatz nach dem Sommer?

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Der Belastungssupergau:wenn beide Eltern Belastungen tragen

Es gibt immer noch eine schlimmere Variante der Belastungen,die Kinder tragen.Nicht selten in der therapeutischen Praxis begegnen uns Kinder aus Familien,in denen mehrere Erkrankungen vorliegen:eine tablettenabhaengige Mutter und ein alkoholkranker Vater,ein depressiver Vater und eine drogenabhaengige Mutter etc.Wer kuemmert sich dann um die Kinder,sind doch vor allem dann oftmals in diesen Familien tragischerweise Haeufungen von Erkrankungen durch alle Generationen zu finden.Wenig augenfaellig ist in diesem Zusammenhang Beziehungsabhaengigkeit des scheinbar „gesunden“Elternteils und damit wenig im Fokus der Helfenden. Wenn Sucht/ psychische Erkrankung und Beziehungsabhängigkeit sich vermählen, bedeutet das für Kinder, die aus solchen Ehen Der Belastungsgau:hervorgehen, besondere Belastung,massiven Stress.

Mehr Belastung bedeutet hoeheres Risiko fuer Eigenerkrankungen der betroffenen Kinder

Wenn ein Elternteil eine schwere Belastung in die Familie bringt, etwa eine Sucht, eine psychische Erkrankung o.ä., so steht dieses Elternteil, wenn es um die Einschätzung der eigenen kindlichen Belastung geht,  meist im Fokus.  Wenig im Blick ist dann oftmals, dass auch der andere Elternteil entscheidend dafür sein kann, wie Sie sich als Kind fühlten und entwickelten. War wenigstens ein Elternteil gesund und stabil, wird dies eine besonders wichtige Säule in Ihrem Leben gewesen sein oder auch aktuell noch sein. Ist der 2. Elternteil  ebenfalls erkrankt oder belastet, so potenziert sich die Belastung für die Kinder, wie Studien und Forschungen eindrücklich zeigen; das Risiko für eigene Erkrankung und Folgen für mitbetroffene Kinder steigt, die Lebensqualität beschreiben Betroffene als außerordentlich belastet.

Belastungsfaktor Abhaengigkeit

Eine besondere Bedeutung kommt dem Maß der Abhängigkeit zu, in dem sich die Eltern miteinander befinden. Wenig erkannt und untersucht ist bislang, wie weitreichend die Auswirkungen einer belasteten Kindheit sind, wenn zur sucht/und-oder psychischen Erkrankung des einen Elternteils eine Beziehungsabhängigkeit des anderen Elternteils kommt, die in den Bereich der Bindungsstörung einzuordnen ist (Und manchmal als zusätzliche Erkrankung des Sucht-psychisch Erkrankten, auch Co-Morbidität genannt, auf beiden Seiten dazu kommt). Während ein stabiler Elternteil die Belastungen und Zumutungen, die durch die Sucht des einen Elternteils entstehen, nur bis zu einer bestimmten Obergrenze der Zumutbarkeit ertragen wird, kann tiefverwurzelte Beziehungs-Abhängigkeit ( oft des zweiten Elternteils) eine gefährliche Dynamik entfachen. Sie ist gleichsam das unsichtbare Öl im brennenden Feuer. Kindern wird unwissentlich, oft ohne Worte, vermittelt: Wenn wir Eltern uns trennen, werden wir alle katastrophal untergehen. Die Kinder lernen in diesen unguten Doppelbelastungskonstellationen, dass es kein Entkommen gäbe: Das Beieinanderbleiben wird zum obersten Wert, wichtiger als die Würde und die Gesundheit der Familienmitglieder, vor allem der Kinder. Diese Dynamik wurde zunehmend in Suchtfamilien beschrieben ( v.a. Rennert, Flassbeck, Wilson-Schaef, Barnowski-Geiser), es reicht jedoch über diese hinaus: sie betrifft alle Familien, in denen Eltern mit hochproblematischen Bindungsmustern schwierige Beziehungen eingehen (Barnowski-Geiser/Geiser-Heinrichs 2017)

Auch Abhaengigkeit wird weitergegeben…the never ending story teansgenerationale Belastung

Die Kinder drohen diese existenziellen Bindungs-Abhängigkeitsmuster mit in ihr Erwachsenenleben zu nehmen, erlebten sie doch kein Modell, das Autonomie und Eigenständigkeit vorlebt, erfuhren sie doch in ihren großen Nöten kaum angemessene Zuwendung oder Trost. Dies erschwert gesundes Erwachsenenleben ungemein, dies erschwert, reife Erwachsenenbeziehungen und Bindungen einzugehen, dies erschwert, notwendige Trennungen nicht als alles zerstörenden Abgrund zu erleben, vor dem Betroffene dann fortwährend auf der Flucht sind: indem sie sich nicht mehr binden, nur oberflächlich binden, starke Ängste ( Eifersucht etc.) entwickeln oder die Ängste in Süchten kompensieren.

Wenn Sie an sich selbst feststellen, das Sie immer weiter an Menschen festhalten, die Ihnen eher schaden als gut tun, kann der Blick auf Ihre eigenen Eltern wichtig werden. Erkannte Beziehungsabhängigkeit in der Elterngeneration muss nicht weitergegeben werden an die naechste Generation, wenn es möglich wird, sie zu benennen und beschreiben. Der ehrliche, umfassende Blick auf uns selbst, verstehen können, wer und wie wir wirklich sind, führt meist in die Generation vor uns: nicht, um Schuld zu verteilen und anzuklagen, sondern um im Verstehen der generationalen Dynamik Neues im Jetzt und für die Zukunft möglich werden zu lassen.

Eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Sie verzweifeln an Ihren Eltern?…dann schluepfen Sie doch mal in deren Mokassins

Sie verzweifeln an Ihren inzwischen schon hochaltrigen Eltern,fuehlen sich nicht gesehen,abgelehnt,ungewollt? All diese Gefuehle muessen, wenngleich oftmals ins Reich des Unbewussten und Tabuisierten verdammt, zu den existentiell bedeutsamen  gezählt werden: sich von einem Einzelnen oder einer Gruppe nicht gewollt zu fühlen, wird meist schlimm erlebt; besonders schwer wiegt dieses Gefühl jedoch, wenn es im Zusammensein mit den eigenen Eltern auftritt, also im intimen Raum der sozialen Erfahrungen, im Raum der frühkindlichen Begegnung.

Was passiert eigentlich, wenn aus ungewollten Kindern Eltern werden? Dieser Frage möchte ich in diesem Blogbeitrag nachgehen, in der Hoffnung, Ihnen einen Weg aus ihren elterlichen Verstrickungen anbieten. Denn: Bleibt diese Beziehungswunde, die teils wie ein Trauma angesehen werden muss, unentdeckt, so droht sie durch die Generationen als transgenerationale Belastung weitergegeben zu werden. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern zeigt sich durch diese Wunde dann nachhaltig und oftmals schwer belastet. Gerade zu den Feiertagen wie etwa dem Weihnachtsfest, wenn alle Welt zumindest medial von familiärer Harmonie durchtränkt zu sein scheint, drohen diese Wunden im besonderen Maße aufzubrechen

Herr K., erfolgreicher Manager in mittlerem Lebensalter fühlt seit längeren eine große unbestimmte Wut, die er, wie er beschreibt, wie hinter einem Nebel erlebe und erfolgreich unterdrücke, aber er leide auch unter permanenten Magenproblemen – diese Selbstbeobachtungen bringt er miteinander in Verbindung. Ihm wird deutlich, dass dieses Gefühl und die Symptome inbesondere bei Kontakten zu seiner hochaltrigen Mutter aufträten – und das finde er von sich selbst „einen ungerechten Zug, da er die Mutter doch eigentlich lieben und ehren müsse“. In einer einfühlenden Identifikation, in der er sich sozusagen kurzzeitig in die Fußstapfen seiner Mutter begibt, bemerkt er, dass die Mutter eine recht sonderbare Logik habe. Sie verdrehe alles. Werde ihr von Herrn K. geholfen, sage die Mutter, sie wäre doch gerade wieder für ihn dagewesen.

In der einfühlenden Identifikation ( nach Barnowski-Geiser/Geiser Heinrichs: Meine schwierige Mutter) bemerkt er, die Mutter fühle sich in ihrer Herkunftsfamilie von Beginn ihres Lebens an ungewollt ( sie war wohl kein Wunschkind, erinnert Herr K. und störte die enge elterliche Beziehung der Großeltern durch ihr Entstehen). Diese Wunde, die die Mutter tief in sich trage, dürfe niemand bemerken. Die Mutter selbst tue so, als habe sie diese Wunde nicht, und bewältige diese, indem sie sich als „dauernd gewollt“ und „äußerst beliebt“ beschreibe. Die Mutter sitze beispielsweise wartend vor dem Telefon, ob jemand anrufe. Wenn sie dann abhebe, gäbe sie sich vielbeschäftigt und würde ihm vermitteln, dass er Glück habe, dass er sie überhaupt „erwische“. Das Verhalten der Mutter mache ihn zunehmend „kirre und wütend“. Wenn er ihr Zeit schenke, äußere sie, dass er es nun aber „wieder gut gehabt“ habe.  Herr K. fühlt sich in der Falle: spielt er die verkehrte Welt der Mutter weiter mit, bekomme er „Turbo-Aggressionen“ oder „ein Magengeschwür“, äußert er; wenn er sie konfrontiere, weine sie und er fühle sich ihr gegenüber gemein und schuldig.

Wenn frühe Beziehungswunden Regie führen, kann es lohnenswert sein, der inneren Logik des Elternteils nachzugehen. Oft tritt dann Überraschendes zutage. Herr K. fühlt sich durch seine Einsichten über die innere Logik seiner Mutter erleichtert, weil er entdeckt, “ dass meine Mutter das ja nicht macht, um mich fertig zu machen“. Ihr eigenes Empfinden, „ich störe“, gibt sie nun durch ihre Bewältigungsversuche der Verschleierung an ihren Sohn weiter. Bleiben die aus der elterlichen Wunde erwachsenen logischen Verstrickungen und die damit verbundenen Bewältigungsversuche ( Copings) unerkannt, zeigt sich die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, gerade auch im Erwachsenenalter, schwer belastet. Kinder, die ein Leben lang auf die Bedürftigkeit der Eltern eingegangen sind (s. Meine schwierige Mutter), fühlen sich zurecht im Erwachsenenalter  zu kurz gekommen und um den Dank für ihre Fürsorge an die Eltern betrogen. Da die betroffenen Eltern meist ihre Wunde verbergen, verbergen sie auch ihre Bedürftigkeit und interpretieren in der Folge ihre eigenen Vertuschungshandlungen als Hilfe geben statt nehmen um ( Herr K. hat es angeblich gut durch die Mutter, Herr K. wurde Zeit geschenkt) – verkehrte Welt…Oftmals zeigen scheinbar selbstlose Handlungen, denen eine große Bedürftigkeit oder auch ein Machtanspruch zugrunde liegt, gerade Frauen aus der Kriegs-und Nachkriegsgeneration, denen auch ein entsprechendes Frauenbild vermittelt wurde.

Sehen Kinder sich genötigt, über lange Zeit mitzuspielen, drohen körperliche Erkrankungen und/oder Beziehungsabbrüche.

Wenn auch Sie diese elterlichen Probleme aus Kindheitstagen kennen, kann es ratsam sein, einmal in die „Schuhe“ der Eltern zu treten, innere Logik zu ergründen – manchmal wird Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern dann, insbesondere, wenn die entdeckten Wunden besprechbar werden, anders und besser möglich. Herr K. fühlt sich klarer, „der Nebel hat sich gelichtet“:

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche…vielleicht mit neuen Einsichten,

herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Hilfe für die „Vergessensten der Vergessenen“ – Was Kindheitsbelastungen heilen kann

Erwachsene aus Suchtfamilien müssen leider zu den „Vergessensten der Vergessenen“ gezählt werden. Zwei Denkfehler begünstigen dieses Vergessen:

1. Der Fehlschluss, dass die Kindheitsbelastung doch lange, lange vorbei sei und damit im „Jetzt“, da Betroffene nicht mehr in der Herkunftsfamilie leben, ohne Folgen wäre (und nicht einmal das trifft bei vielen Erwachsenen zu, die oft ein Leben lang mit den Sucht- und psychisch Erkrankten konfrontiert sind).

2. Der Fehlschluss, dass, wenn die Betroffenen nicht von Kindheitsbelastung sprechen, auch keine Belastung vorhanden sei. Da die Kinder über Jahrzehnte in ihren Familien lernen, erkrankte Eltern zu schützen, nicht über ihr eigenes Leid zu sprechen ( es oft nicht einmal wahrnehmen dürfen), fehlen ihnen Worte. In Familien, die die elterliche Erkrankung tabuisieren, werden die Kinder frühzeitig zu „Burgbewohnern mit Haut und Haar“ (Barnowski-Geiser 2015). Oft erzählt allein ihr Körper oder ihre sie überfordernde Gefühlswelt, dass sie bis heute schwer belastet sind: zu wirksam ist das kindliche Tabu, auch wenn Erwachsene das Elternhaus längst verlassen haben.

Zu diesen Denkfehlern gesellt sich ein großes Manko: Therapeuten, Ärzte und Pädagogen sind zu wenig bis gar nicht auf diese Klientel spezialisiert ausgebildet worden. Und: reine Information über diese Familien reicht als Hilfestellung allein nicht aus. Das AWOKADO-Konzept soll hier eine Lücke der erlebensorientierten  Arbeit mit Erwachsenen aus belasteten Familien schließen.(Quelle: Klett-Cotta http://klett-cotta.de/buch/Fachratgeber/Vater_Mutter_Sucht/55896#buch_leseprobe)

Das AWOKADO-Konzept

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Mehr als zehn Jahre lang arbeitete ich schon  mit Kindern und Erwachsenen aus Suchtfamilien, um dann 2008 im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprojektes Befragungen und Interviews durchzuführen. Meine Fragestellung: Was hilft „Suchtkindern“, ihr Leben zum Positiven zu verändern? Die Ergebnisse der Studie und Befragungen mündeten im AWOKADO-Konzept und der Promotionsstudie „Hören, was niemand sieht“. Die befragten Kinder und Erwachsenen beschrieben vor allem 7 Aspekte als heilend. Vielleicht können auch Sie sich diesen Aspekten zuwenden und diesen in Ihrem Leben mehr Raum geben. Die Anfangsbuchstaben ergaben das Wort AWOKADO, die ermittelten Hilfefaktoren stehen dabei für:

A Achtsamkeit
Vom Kreisen um die Suchterkrankten zur Selbstachtsamkeit im „Jetzt“
W Würdigung der Belastung und Würdigung der Stärken
Hinwendung zu den eigenen Wunden, aber auch zu den hier gewachsenen Kräften und besonderen Stärken
O Orientierung
Finden einer eigenen Weltsicht, abseits des Familientabus
K Kreativität
Schöpferische Potenziale als Quell von Lebensfreude im „Für mich sein“
A Aus-Druck
    Eine Bewegung vom Innen ins Außen; Abbau von Spannungen und Druck
D Deckung und De-Parenting
Das Erleben von Sicherheit und sicheren Zonen (Schutzräume)
O  Offenheit und Öffnung
Positive Resonanz-und Beziehungserfahrungen, in Netzwerken, spezialisierten Therapien und Hilfegruppen

Die Namensverwandtschaft mit der Frucht Avocado schien sinnfällig: gilt die Avocado doch als äußerst heilsame und wirksame Frucht, die dosiert und maßvoll einzusetzen ist.Featured image

Auf der Basis des AWOKADO-Konzeptes, das sie seit vielen Jahren in therapeutischer Praxis anwendet, entwickelte ich das AWOKADO-7-Schritte-Programm zur aktiven Selbsthilfe, das AWOKADO-Stärkungsritual sowie das schulische Präventionsprojekt BEL-Kids, das als modularisierte Fortbildung an Pädagogen, Therapeuten und Studierende multipliziert wurde.

Das AWOKADO-7-Schritte-Programm konnte auch erfolgreich angewendet werden bei erwachsenen Kindern chronisch und existenziell erkrankter Eltern (z. B. bei elterlicher Krebserkrankung) sowie bei Erwachsenen von psychisch erkrankten Eltern.

Herzliche Sommergruesse sendet

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Schwierige Eltern kann man nicht ändern… die eigene Perspektive schon

Frau I. ist es leid, sagt sie: alles habe sie versucht, aber ihre Mutter trinke weiter mehr als ihr gut tue. Sie sei mit nichts zufrieden, ihre Besuche seien der Mutter nie genug, während sie ihr zugleich vermittle, dass sie die Tochter ihr eigentlich schon immer zuviel sei. Zudem mache sie die Tochter auch noch verantwortlich dafür, dass ihr Leben durch ihre ungewollte Schwangerschaft aus den Fugen geraten sei. Frau I. gelangt zu der Einsicht:  Meine Mutter wird sich niemals ändern, nur ich selbst kann etwas ändern…

Wenn das Zusammensein mit den Eltern ein Leben lang schwierig erlebt wird, wie im Fall Frau von I. beschrieben, können die Ursachen vielschichtig sein, die Auswirkungen auf die Lebensqualität der erwachsenen Kinder gewaltig. Es kann sich etwa um eine ungünstige Passung zwischen Eltern und Kind handeln, aber auch um schwerwiegende Belastungen, die die Eltern selbst tragen und die auch für ihre Angehörigen, insbesondere für die Kinder, zur Lebenerschwernis werden. Ob diese Belastung nun Sucht, psychische Probleme, chronische Erkrankung, Traumatisierung, mangelnde Empathie-und Feinfühligkeit oder Bindungsstörung heißt, ob diese als Störung diagnostiziert wurde oder auch niemals: die betroffenen Kinder tragen eine schwere Belastung, die ihnen oftmals zur Lebensaufgabe wird – manche können, wenn sie alt genug sind (manchmal erst, wenn die Distanz zu den Eltern größer ist), immerhin ihre Perspektive, ihre Haltung und ihre Einstellung zu den elterlichen Schwierigkeiten verändern. Betroffene beschreiben erfolgreiche Perspektivwechsel als ( in Anlehnung an das Fachbuch „Meine schwierige Mutter“ , Klett-Cotta 2017):

Einen Schritt zurücktreten…

Aus einem Abstand heraus die Situation betrachten…

In einer konzentrierten Zurückgezogenheit den Konflikt neu ansehen…

Akzeptieren, dass es so schwierig ist wie es ist statt schönzureden oder zu tun, als ob alles prima wäre….

Fuer kreativ Inspirierte: Die Beziehung als Tanz auf der Bühne imaginieren…

Sich in die Schuhe der Eltern stellen: die eigene Lebensgeschichte aus der Sicht der Mutter oder des Vaters erzählen…

Loslassen: nicht mehr um die Beziehung ringen, sondern den Blick weiten, etwa sich mit Freude anderen Dingen zuwenden…

die Bedeutsamkeit der schwierigen elterlichen Beziehung im Jetzt neu  bewerten,vielleicht relativieren…

Sich selbst und die eigenen Bedürfnisse, vielleicht erstmals, in den Mittelpunkt der eigenen Aufmerksamkeit stellen…

Nicht mehr darauf hoffen, dass sich die Eltern ändern, sondern sich selbst altiv zu verändern…

Die Kontrolle über das elterliche Verhalten ( zum Beispiel Trinken) loslassen…

Sich nicht länger selbst die Schuld geben…

Scham überwinden: mit anderen sprechen statt sich hinter Burgmauern zu verbarrikaridieren.

Perspektivwechsel brauchen Zeit, Mut und Veränderung, immer einen ersten Schritt, sei er auch noch so klein. Welcher Schritt soll der Ihre sein?

Eine erfüllende Zeit mit sonnigen Momenten wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Wort und Tabu in Eltern-Kind-Beziehungen

Viele erwachsene Kinder aus belasteten Familien haben nie mit jemandem über ihre schwierige Lage Daheim gesprochen. Sie hätten eigentlich wenig darüber nachgedacht als Kind, heißt es oft, es sei eben einfach so gewesen , wie es nun mal war… und manch Betroffener bemerkt beim genaueren Hinschauen, wenn die Familie längst verlassen wurde, dass es ein Sprechverbot gab, über das Belastende zu sprechen, ja, teils sogar überhaupt darüber nachzudenken. Nehmen wir ein Beispiel: Die Familie hat die Sucht des erkrankten Elternteils tabuisiert, darüber wird nicht gesprochen, es wird bagatellisiert und verharmlost. Oft ist es für die betroffenen Kinder ein großes Ereignis, wenn sie ihre damit einhergehende Belastung erstmalig mit Worten belegen, sie vor sich selbst und in der Folge vor anderen benennen. Manche fühlen sich dann schlecht, fühlen sich als Verräter oder Denunzianten der Eltern. Philosoph Peter Bieri beschreibt dies im Zusammenhang der verlorengehenden Würde  treffend: „Wenn das Wort ausgesprochen ist, gibt es keinen Spielraum mehr für Verleugnung oder Beschönigung – keine Möglichkeit mehr zu tun, als sei das Unglück nicht der Fall.“ (Bieri, Eine Art zu leben, S.232). Das ausgesprochene Wort verändere die Beziehungen, sogar, wenn es nur gedacht sei.

Es scheint entscheidend, mit welchen Worten sie ihr  Elternteil belegen. Nehmen Sie sich ein paar Atemzüge Zeit: Denken Sie doch kurz einmal darüber nach, welche drei Worte Sie Ihrem „schwierigen“ Elternteil zuschreiben…was wurde für Sie persönlich zur Belastung?

Vielleicht sind Sie nun bei Diagnosen und Krankheitszuschreibungen gelandet, vielleicht steht dort: Sucht, Alkoholismus, Depression o.ä. Dann sind vielleicht gängige Diagnosen zu ihren eigenen Worten der Beschreibung geworden und sie könnten noch einmal überprüfen, ob Ihnen diese Kategorien, die aus medizinischen Klassifikationen abgeleitet wurden, heute noch ausreichen.

Unsere Worte können  Welt gestalten: sie können  etwas endlich klar scheinen lassen, sie können ebenso abstempeln und so jede Hoffnung aufgeben, sie können ebenso beschönigen wie verfremden. Auch die noch nicht gefundenen Worte gestalten unsere Beziehungen.

Eine wichtige Rolle kommt dabei den Tabus zu: Tabus können Beziehungen zersetzen, da sie ihnen die Echtheit entziehen. Authentizität geht verloren, sogar dann,wenn einer nur weiß, dass der andere sein Tabu kennt: da hat die Mutter ihren massiven Selbstverletzungsversuch in die Tabuecke gedrängt, er darf nicht mehr erwähnt werden, aber Mutter und Tochter wissen beide darum. Bleiben solche Tabus unbesprochen, werden keine Worte gefunden, sind die Eltern-Kind-Beziehungen schwer belastet – insbesondere die Kinder tragen dann ein schweres stummes Paket, an dem sie oft lebenslang leiden und oft selbst nicht mehr wissen, warum: auch aus ihrem Bewusstsein musste das Schreckliche dann verdrängt werden..

Weit verbreitet ist es auch, wenn endlich ein Wort gefunden wurde, dieses als alleiniges Beschreibungsmerkmal für das belastete Elternteil zu verwenden…Meine Mutter ist Alkoholikerin!…ein großer wichtiger Schritt, wenn das Kind erstmals dies aussprechen kann und es gilt mit der Zeit zugleich, mehr Worte zur Beschreibung zu finden. Manchmal hilft es Erwachsenen neben dem großen Schatten auch das Licht, die positive Seite, noch einmal in den Blick zu nehmen und so das elterliche Bild authentischer zu komplettieren.Die Mutter war Alkoholikerin,aber eben auch viel mehr.Sehen Sie mehr Schatten und wenig Licht,nur entweder oder,kaum und?

  Die gewählten Worte zur Beschreibung der eigenen Eltern genauer anzuschauen, förmlich mit der Lupe zu sezieren, kann ein lohnenswerter Akt sein: tut sich doch unsere Seele als Spiegel vor uns auf. Manchmal wehren sich Kinder gegen  Zuschreibungen an die Eltern, sie befürchten Etikettierungen…: „Alkoholiker- das klingt wie eine Gattungsbezeichnung und damit wie etwas, was einer unwiderruflich ist. Das nimmt ihm die offene Zukunft. Einer, der nur zuviel trinkt, kann aufhören. Ein Alkoholiker hat keine Chance mehr, es nicht zu sein.“ (Bieri ebenda)

In ihren Worten über ihre Eltern spiegeln sich Wünsche, Verzweiflungen und Hoffnungen der belasteten Kinder: diese Worte wollen gesprochen, gelebt oder auch geschrieben sein. Zur Sprache zurückzufinden über das Belastende, in der passenden, stimmigen Weise, kann ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur Heilung sein, insbesondere, wenn es Betroffenen in der Kindheit die Sprache verschlagen hat(te). Denn: in einem belasteten System wird die Wahrheit oftmals zum Feind: man stempelt sie zur Lüge. Mitlügen wird zum Preis für Zugehörigkeit, nicht Sehen, Nicht Hören, nicht Sprechen die Eintrittskarte in den „Club“. Allein ist einem solchen System meist schwer beizukommen: es braucht Helfer, Beistand, aufrechten Widerstand und Allianzen, die meist erst auf einem längeren Lebensweg gefunden werden. Worte können solche Begleiter sein und werden, Worte Finden für Unausgesprochenes kann so ein Akt des Begreifens und Verstehens werden, der leibliche Spuren nachhaltig verändern kann.

So mag es manch einem Betroffene so ergehen, wie es Roger Willemsen in „Wer wir waren“  als Zeitphänomen des 3.Jahrtausends klug beschrieben hat: „Nicht wissen im Wissen zu behaupten; nicht gewusst zu haben werden, während man doch wusste“.

Herzliche Gruesse

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

„Stress im Doppelpack“ – Sucht meets Beziehungsabhängigkeit

Wenn sucht/psychische Erkrankung und Beziehungsabhängigkeit sich vermählen, bedeutet das für die aus solchen Ehen hervorgehenden Kinder meist,wie es ein jugendlicher Klient ausdrueckte „Stress im Doppelpack“.

Wenn ein Elternteil eine schwere Belastung in die Familie bringt, etwa eine Sucht, eine psychische Erkrankung o.ä., so steht dieses Elternteil, wenn es um die Einschätzung der kindlichen Belastung geht, in der Regel im Fokus.  Wenig im Blick ist dann oftmals, dass auch der andere Elternteil, dessen Belastung  vielleicht weniger augenfällig ist, entscheidend dafür sein kann, wie Sie sich als Kind fühlten und entwickelten. War wenigstens ein Elternteil gesund und stabil, wird dies eine besonders wichtige Säule in Ihrem Leben gewesen sein oder auch aktuell noch sein. Ist der 2. Elternteil  ebenfalls erkrankt oder belastet, so potenziert sich die Belastung für die Kinder, wie Studien und Forschungen eindrücklich zeigen; das Risiko für eigene Erkrankung und Folgen für mitbetroffene Kinder steigt, die Lebensqualität beschreiben Betroffene als außerordentlich belastet.

Eine besondere Bedeutung kommt dem Maß der Abhängigkeit zu, in dem sich die Eltern miteinander befinden. Wenig erkannt und untersucht ist bislang, wie weitreichend die Auswirkungen einer belasteten Kindheit sind, wenn zur sucht/und-oder psychischen Erkrankung des einen Elternteils eine Beziehungsabhängigkeit des anderen Elternteils kommt.Eine Abhaengigkeit, die in den Bereich der Bindungsstörung einzuordnen ist (Und manchmal als zusätzliche Erkrankung des Sucht-psychisch Erkrankten, auch Co-Morbidität genannt, sogar auf beiden Seiten dazu kommt). Während ein stabiler Elternteil die Belastungen und Zumutungen, die durch die Sucht des einen Elternteils entstehen, nur bis zu einer bestimmten Obergrenze der Zumutbarkeit ertragen wird, kann tiefverwurzelte Beziehungs-Abhängigkeit ( oft des zweiten Elternteils) eine gefährliche Dynamik entfachen. Sie ist gleichsam das unsichtbare Öl im brennenden Feuer. Kindern wird unwissentlich, oft ohne Worte, vermittelt: Wenn wir Eltern uns trennen, werden wir alle katastrophal untergehen. Die Kinder lernen in diesen unguten Doppelbelastungskonstellationen, dass es kein Entkommen gäbe: Das Beieinanderbleiben wird zum obersten Wert, wichtiger als die Würde und die Gesundheit der Familienmitglieder, vor allem die der Kinder. Diese Dynamik wurde zunehmend in Suchtfamilien beschrieben ( v.a. Rennert, Flassbeck, Wilson-Schaef, Barnowski-Geiser), es reicht jedoch über diese hinaus: sie betrifft alle Familien, in denen Eltern mit hochproblematischen Bindungsmustern schwierige Beziehungen eingehen (Barnowski-Geiser/Geiser-Heinrichs 2017)

Die Kinder drohen diese existenziellen Bindungs-Abhängigkeitsmuster mit in ihr Erwachsenenleben zu nehmen, erlebten sie doch kein Modell, das Autonomie und Eigenständigkeit vorlebt, erfuhren sie doch in ihren großen Nöten kaum angemessene Zuwendung oder Trost. Dies erschwert gesundes Erwachsenenleben ungemein, dies erschwert, reife Erwachsenenbeziehungen und Bindungen einzugehen, dies erschwert, notwendige Trennungen nicht als alles zerstörenden Abgrund zu erleben, vor dem Betroffene dann fortwährend auf der Flucht sind: indem sie sich nicht mehr binden, nur oberflächlich binden, starke Ängste ( Eifersucht etc.) entwickeln oder die Ängste in Süchten kompensieren.

Wenn Sie an sich selbst feststellen, das Sie immer weiter an Menschen festhalten, die Ihnen eher schaden als gut tun, kann der Blick auf die Dynamik zwischen Ihren Eltern wichtig werden. Erkannte Beziehungsabhängigkeit kann gewandelt werden, wenn es möglich wird, sie zu benennen und beschreiben… und vor allem: sie muss dann nicht von Generation zu Generation als unvermeidbares Vermächtnis weitergegeben werden. Der ehrliche, umfassende Blick auf uns selbst, verstehen können, wer und wie wir wirklich sind, führt meist in die Generation vor uns: nicht, um Schuld zu verteilen und anzuklagen, sondern um im Verstehen der generationalen Dynamik Neues im Jetzt und für die Zukunft möglich werden zu lassen.

Eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Buch zum Thema von Autorin Dr. Waltraut Barnowski-Geiser hier

Fehlende Kindheitserinnerungen?…wie die Seele Sie vor Schlimmerem bewahrt!

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Sie können kaum noch etwas aus Ihrer Kindheit erinnern, Bilder und Erinnerungen erscheinen Ihnen wie unter Nebelschleiern? Dann ist es möglich, dass Ihre Seele Sie durch Vergessen schützt: Vor Erinnerungen, die Sie vielleicht noch überfordern.

Viele Menschen, die in Ihrer Kindheit Belastendes erlebt haben, verfügen über wenig  bis gar keine Erinnerungen an diese Zeit. Die derart Betroffenen sind über dieses Phänomen oft verwundert. Sie glauben, einfach ein schlechtes Erinnerungsvermögen zu besitzen. Oftmals zeigt sich jedoch etwas anderes als Ursache: wenn die  Kindheit von großen oder  wiederholten seelischen Verwundungen geprägt war, dann war die kindliche Seele mit der Verarbeitung dieser als traumatisch einzustufenden Erlebnisse überfordert. Das „Vergessen“ ist dann ein kluger Schutzmechanismus der Seele. Ein Schutz und Bewaeltigungsmechanismus, der ihren Organismus auf diese Weise vor Schlimmerem bewahrt.

Im Erwachsenenalter zeigen sich manchmal plötzlich schemenhafte Bilder des kindlich,vielleicht traumatisch Erlebten, geradezu „wie aus dem Nebel“. Gerade, wenn Erwachsene die belastende Situation verlassen haben, eigentlich erstarkt sind, treten diese Phänomene auf. Warum gerade jetzt, wenn es mir eigentlich gut geht? wundern sich die derart Heimgesuchten. Ein Aspekt kann sein, dass Ihre Seele Sie gerade jetzt für reif hält, etwas Verdrängtes oder Abgespaltenes zu integrieren.Vertrauen Sie darauf, dass Ihre Seele Sie unterstützt auf Ihrem individuellen Weg! Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen und etwas Neues sucht seinen Weg.

„Wer leben gestalten will, muss zunächst für klare Sicht sorgen“, sagt der Redakteur Frank Berzbach in seinem Buch Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen. Dies mag durchaus auch für erwachsene Kinder aus belasteten Familien gelten: allerdings stellt „klare Sicht“ für Sie eine hohe Herausforderung dar. Oftmals kämpfen  sie unter und hinter ihrem Nebel mit alten Schuldgefühlen. Mit Gefühlen, die wenig klar vor ihre Augen treten, da sie unter Tabus und unter der Last des Zuviel verschwommen sind. Berzbach: „Wer sich schuldig fühlt, auch wenn er nichts Böses getan hat, wird sich nicht mehr bewegen.“ Wenn Starre quälend wird, ist meist professionelle Hilfe angezeigt. Wann der Nebel sich jeweils lichten durfte, zeigte sich in der Arbeit mit Betroffenen vor allem als Frage des geeigneten Zeitpunkts.

Ich wünsche Ihnen eine farbenfrohe Woche, hinter und unter dem Grau des Regens,

Ihre

 

Waltraut Barnowski-Geiser

Nichts fuehlt sich richtig an:Wie Erfahrungen mit (sucht-)belasteten Eltern Ihre Bewertungen beeinflussen

„Bei uns zu Hause ist immer Karneval!“, lacht der Kleine (von seinen Lehrern in die Beratung geschickt wegen fehlender Impulskontrolle und unangemessenem Verhalten gegenüber seinen Mitschülern) und beschreibt damit treffend, wie seine Sucht-Familie lebt: mit ständig wechselnden Regeln, die, wenn Papa trinkt, komplett außer Kraft gesetzt sind, alles ist erlaubt… um diese Regeln allerdings dann, wenn der Vater mit dem Trinken aufgehört hat, unter Strafandrohungen wieder einzufordern. Wertungen und ethische Prinzipien werden hier immer wieder in Frage gestellt. In seiner Familie, so erzählt Herr S., Sohn eines Alkoholikers, seien alle Werte vom Alkohol bestimmt gewesen: Menschen wurden als „gut“ eingestuft, wenn sie viel Alkohol anboten und tranken, Nichttrinker galten als zu vermeidende schlechte Menschen- sie provozierten den Vater und wurden folglich gemieden. Solche Erzählungen von Betroffenen muten teils absurd an: und genau diese Absurdität stellt die Lebenswelt der Kinder und erwachsenen Kinder aus belasteten Familien dar.

Die dritte Säule der Identität, die die Normen und Werte betrifft, ist somit, wenn derartige Belastungen sich durch die gesamte Kindheit oder mehrere Jahre ziehen,  stark beeinträchtigt. Betroffene wissen in der Folge nicht mehr, was richtig und falsch, was gut oder schlecht ist: ihre eigenen Bewertungen schwappen ähnlich unsicher hin und her, wie sie es vormals bei ihren Eltern erlebt haben. Vielleicht ist falsch ja richtig, fragen sie sich, und irren kernverunsichert durch ihr Leben, jede noch so kleine kleine anstehende Entscheidung erleben sie dann als große Herausforderung.

 Nina, 17 Jahre, erzählt wie sich ihre Kernverunsicherung in den Alltag webt, hier bei ihrem Zahnarztbesuch: wegen einer  Kieferfehlstellung wurde ihr eine Zahnklammer angepasst. Sie sollte fühlen, ob diese Klammer sich nach dem Einsetzen richtig anfühle. Sie habe weinen mögen, erzählt sie, denn darauf hätte sie keine Antwort gehabt…Wie sollte Nina das auch beantworten können: ihr Kiefer hatte noch nie in der richtigen Position gestanden….Falsch ist für Nina zu richtig geworden. So verhalte es sich auch mit ihrer Gefühlswelt, beschreibt sie aufgeregt….

Wie Nina ergeht es vielen Kindern aus belasteten Familien: wenn tatgtäglich zu Hause Dinge passieren, die eigentlich unmöglich, übergriffig und unwürdig sind, diese aber keinerlei Beachtung oder Sanktion erfahren, kein Entsetzen und kein Aufschreien, keinen Trost und keinen Zuspruch, dann wird  das Übergriffige und eigentlich Unmögliche zur Normalität. Erst im Kontakt mit anderen, etwa nichtsüchtigen Familiensystemen, bemerken die Betroffenen, dass es andere Wertungen und ethische Prinzipien gibt: eine Kernverunsicherung mit großer Lebensunsicherheit ist dann oftmals die Folge. Es gibt einen Weg aus diesem Dilemma, wie sich in der Arbeit mit erwachsenen Betroffenen zeigte: sich mit  Wertvorstellungen und Sinnfragen aktiv zu beschäftigen,  eigene Werte zu definieren, zu ändern oder auch zu stärken, die eigene innere Stimme zu aktivieren, stellt dann eine Kernaufgabe für Betroffene dar. Wenn diese angegangen wird, zeigt sich das Leben oft aus neuer, eigener Perspektive, es wird sinnig-er und stimmig-er.

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Muss ich mich selbst moegen?

Wie wir als Kinder von unseren ersten Bezugspersonen,meist den Eltern,geliebt,gesehen,nicht geliebt oder auch uebersehen wurden,praegt die Weise,wie wir mit uns selbst umgehen:wie wir uns moegen oder nicht moegen, lieben, nicht lieben,sehen oder missachten.Vielen Kindern aus schwierigen Elternbeziehungen faellt ein guter Umgang mit sich selbst ein Leben lang schwer.Muss ich mich moegen,fragen sich manche Betroffene…welche Antwort geben Sie? Wie auch immer Ihre Antwort ausfaellt, mangelnde Selbstliebe geht meist einher mit schlechter Lebensqualitaet,mit Gesundheitsproblemen und oft mit Beziehungsabhaengigkeiten und Desastern.

Ich suche fortlaufend nach Hilfen,die den Prozess der Selbstakzeptanz,gar Selbstliebe,unterstuetzen.Dabei wurde ich von verschiedenen Seiten her aufmerksam auf eine neue Version des MBSR-Stress-Reduzierungs-Programm,hier speziell zur Selbstliebe, kurz MSC genannt. Ich halte dieses Feld für Kinder von Sucht-und anderweitig belasteten Eltern für wertvoll und lohnenswert- deshalb hier und heute ein paar Worte dazu.

In den alten östlichen Philosophien wird Selbstliebe schon lange praktiziert, hier auch als liebende Güte für sich selbst beschrieben. Wenn die Lebensjahre mit den Eltern von einer schweren psychischen Erkrankung oder anderen Beschwernis geprägt waren ( womöglich noch sind), dann ist oftmals diese Krankheit an den Platz gerückt, den eigentlich die Kinder im Leben dieser Eltern einnehmen sollten: die Eltern kreisen dann etwa über Jahrzehnte um ihre Sucht, um ihre Abhängigkeit, Bindungsstörung etc. Oftmals fühlen sich ihre Kinder bis ins Erwachsenenalter hinein wenig geliebt und die verzweifelten Versuche, diese Liebe doch noch von den Eltern oder später von diversen Partnern zu bekommen, schlagen häufig fehl. Deshalb halte ich den Weg des Erlernens der Selbstliebe für all diese Kinder erwachsenen Kinder für lohnenswert: aber sie müssen diese ihnen meist fremde Kunst der Selbstliebe mühsam erlernen und tatsächlich auch üben, damit diese neue Hinwendung zu sich selbst wirklich neuronal verankert werden kann. In ihrem Elternhaus lernten sie meist nur, um die anderen zu kreisen, um Eltern und Geschwister: meist mussten sie sich selbst ganz aus dem Blick verlieren.

Ist das auch heute noch erlernbar? Ich glaube aufgrund meiner Erfahrungen mit Betroffenen, ja! Ob dies nun in Form eines Programms geschieht ( auch etwa in einer Gruppe) oder im Rahmen von meditativen Übungen zur liebenden Güte, als Aussöhnung mit dem inneren Kind oder auch als eine Aufgabe in einem therapeutischen Setting angegangen wird, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, sich auf diesen, sicher oft mühevollen Weg zu begeben, genau in der Weise, wie sie für Sie stimmt… ich wünsche Ihnen den Mut und die Kraft dazu, und Ausdauer für die Übung, wenn der Anfang gelungen ist. Vielleicht können die Links und Worte dabei ein wenig helfen,

eine gute Zeit wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Ihre Gefühle haben eine Geschichte…und sind wandelbar

Manche Menschen kommen verzweifelt in die Therapie: sie haben nun schon mehrere Therapien hinter sich, sie haben ihre Beziehung beendet und einen neuen Job angefangen: sie fühlen sich jedoch weiterhin schlecht und unglücklich. Ihre Lebensqualität empfinden mit „nicht so gut“ milde beurteilt. Oftmals hat die Beeinträchtigung der Lebensqualität ihre Wurzel in der Biografie der Betroffenen, hier in der Geschichte ihrer Gefühle. Versuchen wir es aus neurowissenschaftlicher Sicht vereinfacht zu erklären: unser Gehirn verschaltet sich nutzungsabhängig. Nehmen wir Herrn A: von Beginn seines Lebens an ist er mit viel Angst, Unsicherheit und Sorge aufgewachsen ( seine Eltern waren wenig beziehungsfähig und konnten, insbesondere als  er noch Kleinkind war, wenig feinfühlig auf ihn eingehen ). Man könnte im Modell sagen, dass Herr A.  die Hirnspur „Angst und Sorgen“viel genutzt hat ( natürlich unbewusst und nicht freiwillig!). Aus einem oft genutzten Hirnweg kann eine regelrechte Hirnautobahn im Kopf entstehen: breit, viel befahren und immer bereit, genutzt zu werden. Die positiven Emotionen bleiben vielleicht wenig, bis gar nicht genutzt: sie drohen im unguten Falle zu verkümmern. So auch bei Herrn A., er fühlt sich chronisch schwer und traurig, erlebt sich unbegründet dauerängstlich, sein Leben als „schwer“, ohne , dass es einen wirklichen aktuellen Grund gäbe. Über die Jahre kann aus  Gefühlen unter bestimmten Bedingungen eine dauerhafte Grundstimmung und ein allgemeines Befinden werden: es fühlt sich chronisch nicht gut an.Betroffene glauben dann, dies nie mehr hinter sich lassen zu können, schieben ihre schlechte Dauerstimmung auf ihren „Charakter“ oder glauben, sich noch mehr um ihre Probleme kümmern zu müssen: indem sie sich noch mehr änstigen und sorgen. Herr A. muss also nicht mehr nur in Problemen „wühlen“, wie er es nennt, sondern die Quaität der Leichtigkeit und Inbeschwertheit Raum geben. Kindheitsbelastete drohen, wieder und wieder auf der alten Autobahn der Angst und Sorge zu landen, so auch Herr A. Spätestens dann ist mehr desselben kontraproduktiv: nun müssen neue Wege beschritten werden. Wenn Kindheitsbelastungen bearbeitet wurden, Lebensumstände gewandelt wurden und doch die Lebensqualität beeintrchtigt ist, dann lonht sich „Gefühlsarbeit“. Um aus dem alten Dilemma herauszukommen, ist es nötig:

  • den Mechanismus der „unguten Autobahn“ zu erkennen
  • eigene Gefühle und Stimmungen wahrzunehmen und zu identifizieren,
  • Gefühle neu zu bewerten und einzuordnen
  •  einen Perspektivwechsel vorzunehmen
  • neue Gefühle zu erproben und leben.

Die gute Nachricht für alle chronisch Schlecht-Fühler: Sie können etwas tun, Sie können aktiv Einfluss auf Ihre Stimmung nehmen…und damit meine ich kein zwanghaftes „Positivdenken“ mit Schönfärberei.

Zur Unterstützung empfehle ich zwei auf diese Belastung zugeschnittene Übungen.Um anders zu fühlen (oder auch überhaupt wieder), zeigen sich in meiner therapeutischen Arbeit mit Kindheitsbelasteten als besonders hilfreich:

1  Besser fühlen…Brücken bauen

2 Der Anker im Körper

Diese beiden Methoden möchte ich Ihnen hier zur Selbstanwendung vorstellen. Sprechen Sie diese Arbeit ggf. mit Ihrem Therapeuten ab, machen Sie dies nur, wenn Sie sich gerade stabil genug für neue Erfahrungen fühlen.

Kreative Selbsterfahrung Teil 1 „Brückenbau“

Diese Übung erfordert ein wenig Zeit und einen Ort, an dem Sie ungestört sein können...setzen oder legen Sie sich nun bequem hin. Achten Sie darauf, dass Sie nicht eingeengt werden und ihr Atem frei fließen kann…. Nehmen Sie nur wahr, wie Sie aus- und einatmen…nichts ändern müssen, alles sein lassen..

Wenden Sie sich nun einem Gefühl zu, dass Sie in der letzten Zeit unangenehm erleben ( das kann auch Gefühllosigkeit sein).  Stellen Sie sich vor, dieses Gefühl wäre eine Landschaft… wie sieht es hier aus, wie riecht es, schmeckt es, welche Geräusche sind da, welche Farben sind vorherrschend? Schauen Sie nur von oben auf die Landschaft, gehen Sie nicht hinein…wechseln Sie nun die Gegend….

Wie sieht die für Sie gegenteilige Landschaft aus…wie riecht es schmeckt es, welche Farben sind hier, welche Klänge, welche Menschen? Probieren Sie aus, wie es sich anfühlt, in dieser Landschaft umherzugehen. Wie ändert sich ihr Gang, ihr Körpergefühl, ihr Gangtempo?

Lassen Sie im nächsten Schritt zwischen diesen beiden Landschaften Brücken entstehen: sie können auf dieser Brücke hin- und hergehen und die Landschaften so aufsuchen, wie  Ihnen danach ist. Sie können nun immer, wenn Sie im unguten Gefühl angekommen sind auch auf die andere Seite wechseln. Probieren Sie das ein paar mal hier und jetzt aus.

Indem Sie diese Übung nun öfter anwenden, können Sie das Verknüpfen Ihrer Gefühlswelten unterstützen. Je regelmäßiger Sie dies tun, umso nachhaltiger greift der Veränderungsprozess ( auch hier gilt: Ihr Gehirn ist nutzungsabhängig!).

2 Kreative Selbsterfahrung: Der Anker in meinem Körper

Diese beiden Methoden möchte ich Ihnen hier zur Selbstanwendung vorstellen. Sprechen Sie diese Arbeit ggf. mit Ihrem Therapeuten ab, machen Sie dies nur, wenn Sie sich gerade stabil genug für neue Erfahrungen fühlen.

 Diese Übung erfordert ein wenig Zeit und einen Ort, an dem Sie ungestört sein können...setzen oder legen Sie sich nun bequem hin. Achten Sie darauf, dass Sie nicht eingeengt werden und ihr Atem frei fließen kann…. Nehmen Sie nur wahr, wie Sie aus- und einatmen…nichts ändern müssen, alles sein lassen…Denken Sie nun , wi es sich anfühlt, wenn Sie sich ganz bei sich und mit sich eins fühlen. Vielleicht erinnern Sie auch eine entsprechende Situation. Wie hat sich Ihr Körper angefühlt dabei? An welchem Punkt in Ihrem Körper ist dieses Gefühl zu Hause? Stellen Sie sich nun, wenn diese Vorstellung angenehm ist, vor, wie Sie mit jedem Ausatemzug tiefer in Ihren Körper sinken und seiner inneren Weisheit fplgen. Welche Körperstelle meldet sich, bewerten Sie nicht, auch wenn Ihnen diese Stelle ungewöhnlich erscheint…. Gehen Sie mit Ihrer Achtsamkeit zu diese Stelle: wie fühlt es sich genau an, welche Farben sind hier zu sehen, welche Klänge zu hören? Nur wahrnehmen. Wenn die Stelle gut mit den Händen erreichbar ist, so legen Sie eine Hand über diese Stelle, andernfalls stellen Sie sich eine Hand über dieser Stelle vor. Nehmen Sie die Energie wahr und verbinden sich mit dieser Stelle.

Wiederholen Sie diese Übung, wenn Sie sie angenehm erleben, ab sofort täglich.

Bei aufsteigenden unangenhemen Gefühlen können auch diese, nach einiger Übung im Körper, verortet und gewandelt werden ( z. B. Wut, sitzt heute in meinem Kiefer). Dann mit der stabilisierenden Stelle verbinden ( Wohlfühlstelle, z.B. im Herzen), indem Sie sich vorstellen, die Energie aus der Wohlfühlstelle zur unangenhemen Körperstelle fließen zu lassen- auch eine Brücke, wie in Übung 1 , kann zwischen diesen Stellen imaginiert werden, wenn Sie dies als angenehm erleben. Probieren Sie aus und wandeln Sie so ab, wie es IHnen persönlich entspricht-.

 Eine gute Zeit wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Schweigen – das stumme Leiden in belasteten Familien

Schweigen kann viele Gesichter haben. Während das Miteinanderschweigen in einer guten Atmosphäre des Miteinanders ein Ausdruck tiefer Verbundenheit sein kann, oder eine schweigende Gemeinschaft in einem Retreat Erholung und Getragensein ermöglicht, kennen viele Kinder belasteter Eltern besonders die Schattenseite des Schweigens: Schweigen in eisiger und gespannter Atmosphäre. Ein oftmals unbemerktes und unerkanntes Schreckensgesicht ihrer Kindheitstage, kommt es doch leise daher, ist kaum sichtbar und wird leicht überhört. Diese Kinder erinnern sich mit einem Schaudern an dieses in ihren Ohren dröhnende „eisige Schweigen“, oftmals eines Elternteils, an emotionale Kälte, die die gesamte Atmosphäre bestimmt, ihr zu Hause bewohnt und sich irgendwann in ihnen selbst niederlässt, zur unangenehmen inneren Heimat wird. Wenn die Mutter die Schweigende ist, so wird dies oft besonders schmerzlich erlebt, wenn diese von Beginn des Lebens an die meiste Zeit mit den KIndern verbringt und ihr Schweigen womöglich erpresserisch, machtvoll oder anderweitig nachteilig einsetzt

Wer zuerst spricht, hat verloren – Macht und Kontrolle durch Schweigen

Wenn Eltern beispielsweise selbst als Kinder wiederholt Ohnmachtserfahrungen machen mussten, dann sind sie gefährdet, Schweigen in ihrer elterlichen Rolle als Machtmittel einzusetzen. Schweigen wird dann zum Mittel durch das Kontrolle über andere ausgeübt wird. Die Familienmitglieder werden etwa solange ignoriert, „bekommen“ keine Worte, bis sie wieder so funktionieren, wie es dieser Elternteil erwartet. Der so agierende Elternteil siegt  so über seine eigene als Kind erlebte Ohnmacht, indem er nun Macht über die Kontaktgestaltung seiner Familienmitglieder ausübt. Er oder sie bestimmt, wann gesprochen wird und wann nicht. Schweigen wird manipulativ eingesetzt, kindliche Abhängigkeit sträflich missachtet und ausgenutzt

Wenn Krankheit stumm macht…und Kinder ins Leere laufen
Manchmal ist Schweigen Teil einer Erkrankung: maipulatives Schweigen kann etwa bei narzistisch und borderlinestrukturierten Menschen als Teil der Störung auftreten. In der elterlichen Depression begegnen Kinder einer anderen Form des Schweigens: die mit der Erkrankung oft einhergehende Teilnahmslosigkeit prägt dann auch die Interaktionen zwischen Eltern und Kind. Dies  führt dazu, dass Reaktionen auf kindliche Fragen ausbleiben, kaum Einfühlung und Mitgefühl ausgedrückt wird, Kinder gefuehlt wiederholt ins Leere laufen. Dem depressiv Erkrankten ist dies meist nicht bewusst. Wird es ihm doch bewusst, verursacht es ihm weitere Schuldgefühle, die in der Erkrankungszeit schwer aushaltbar sind. Kinder von erkrankten Eltern brauchen dringend Hilfen von anderen Menschen: denn wenn Kinder diese Leere-Erfahrungen über längere Zeit und in den ersten Lebensjahren machen müssen, kann das nachhaltige Auswirkungen für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung haben, die weit in das Erwachsenenalter hineinreichen, hier insbesondere als Selbstwert-und Bindungsprobleme oder auch als quälende Einsamkeitsgefühle

Kollektives Schweigen: wenn das Tabu das Zepter schwingt

Besonders dramatisch ist das kollektive familiäre Schweigen, wenn einem Familienmitglied ein großes Leid zugefügt wird und darüber geschwiegen wird, wenn Missbrauch oder Gewaltanwendung durch Eltern stillschweigend geduldet wird, wenn das Wahren des Tabus stärker zählt als die Würde des betroffenen Kindes. Die Missbrauchs- oder Gewalterfahrung ist das eine, die fehlende Unterstützung durch die anderen Familienmitglieder, so beschreiben es Betroffene, ist eine weitere Quelle des Leidens, die teils traumatisch erlebt wird. Ebenso leiden oftmals Geschwisterkinder, die in ihrer Hilflosigkeit Gewalt mitansehen müssen und dem familiären Tabu stillschweigend verpflichtet werden. Der Nachhall in das erwachsene Leben ist gewaltig. Kinder in  tabuisierenden Familien brauchen achtsame Menschen außerhalb des direkten Familiensystems, die in Loyalität die Wahrnehmung der KInder stärken, eine Zuflucht außerhalb anbieten, und zunächst das Schweigen der Kinder respektieren. Manche finden diese Personen erst als Erwachsene, manche müssen aus ihren Familien genommen werden. Andere leiden insbesondere unter elterlicher Gewalt, wenn Eltern pflegebdürftig und zugleich machtvoll werden. Auch triggern neuerliche Bedrohungsszenarien die erlebte Hilflosigkeit aus Kindheitstagen.

Wenn Leid stumm macht – Leben mit traumatisierten Eltern

Auch Kinder traumatisierter Eltern beschreiben Erfahrungen mit elterlichem Schweigen: so müssen sie etwa erleben, dass die Eltern über erlebten Schrecken verstummt sind und/oder Teile von sich abspalten (in der Fachsprache auch dissoziieren genannt). Sie sprechen partiell nicht oder verstummen, wenn bestimmte Themen oder Gefühle zur Sprache kommen (tragisch eindrücklich etwa bei Kriegsgeschädigten zu beobachten). Ein Beispiel einer solch nachhaltigen Auswirkung und die damit verbundenen Folgen für das Kind beschreibt der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil eindrucksvoll in seinem autobiografischen Buch Die Erfindung des Lebens.

Wenn Vater da war, war jedoch alles viel einfacher, ich war dann erleichtert, weil ich dann nicht mehr allein auf Mutter aufpassen musste. Immerzu befürchteten Vater und ich nämlich, es könnte ihr etwas zustoßen…Ich wusste aber, dass so etwas früher einmal passiert war, und ich wusste auch, dass es etwas ganz besonders Schlimmes gewesen sein musste…gegenwärtig war die Vergangenheit in Mutters Stummsein.“ ( S. 13/14)

„…als wäre ich in meinen ersten Lebensjahren wahrhaftig nur mit zwei Menschen in Berührung gekommen und hätte in einer Art verschwiegenem Geheimbund mit nur den notwendigsten Außenkontakten gelebt.“ (S.43)

„So war die Welt der Kleinfamilie Catt damals, in den frühen fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, auf eine beinahe unheimliche Weise geschlossen, und jeder von uns wachte mit all seinen Sinnen darüber, dass sich daran nichts änderte (S.16)

Wie Worte erlösen können

In der Kindheit erlebtes Schweigen bleibt nicht folgenlos. Wer über Jahre und manchmal gar Jahrzehnte ins Leere gelaufen ist, ist oftmals stark selbstverunsichert. „Ich bin unattraktiv… Ich bin langweilig… Ich bin es einfach nicht wert, dass andere auf mich reagieren…lauten dann  Selbstzuschreibungen im Erwachsenenalter. Das Schweigen aus der Kindheit kann weiteres Leiden in den Partnerschaften der derart Aufgewachsenen verursachen. Oftmals ziehen sich derart Betroffene wie in einem unguten Schlüssel-Schloss-Prínzip an, sie finden exakt diejenigen, mit denen sie dieses schweigende Kindheitsdrama wiederholen. Manche nehmen unbewusst das schweigende Elternteil zum Modell, etwas, was sie partout vermeiden wollten: sie werden selbst zu schweigenden Partnern, schweigenden Vätern oder schweigenden Mütter.

Sie fühlen sich betroffen? Wenn Sie um Ihre eigenen Worte schwer ringen müssen, können kreative Wege für sie ein Mittel der Wahl sein. Dazu finden sie auf diesen Seiten einige Anregungen. Wenn Sie um die Worte eines anderen Menschen bis heute kämpfen müssen, sich gar durch Wohlverhalten Worte „erst verdienen“ müssen, dann scheinen Sie und Ihre Seele an diesem Ort nicht gut aufgehoben. Wenn Ich-Botschaften wie „Ich leide, wenn du nicht mit mir sprichst!“, ohne jeden Nachhall ins Leere verklingen, ist Unterstützung von anderen Menschen sicher hilfreich und von Nöten: Sie sind heute kein Kind mehr, Sie sind nicht abhängig wie früher (auch wenn sich das manchmal so anfühlt). Durchbrechen Sie die Kette: sprechen sie Worte, suchen sie „Erlösung“ – bei anderen, die Ihnen gern Ohren und Worte schenken.

(Text in Anlehnung an Geiser-Heinrichs/Barnowski-Geiser (2017): Meine schwierige Mutter)

Produkt-InformationBuchdeckel „978-3-608-86121-1

Werden Sie auch von Wespen aus der Kindheit verfolgt?

Vor einiger Zeit beobachte ich, an einer roten Ampel wartend, einen Jungen, der gar sonderbare Bewegungen ausführt: er springt wild unkontrolliert von links nach rechts, schreit aus Leibeskräften…ein Zaun verhindert die Vollständige Sicht, meine Fantasie auf Reisen, findet flux Diagnosen: vielleicht eine Psychose, ein Anfall, schlimme Ausprägung von ADHS? …diese und ähnliche Gedanken strömen durch meinen Kopf. Vielleicht werde ich, wenn ich um die Ecke gefahren bin, aussteigen, um zu helfen, rattert es in mir…. Die Ampel springt auf grün und ich sehe plötzlich, dass dieser Junge von Wespen verfolgt wird: als diese von ihm ablassen, geht er ruhig und „normal“ seines Weges daher. Ich bin beruhigt und verblüfft zugleich: hätte ich diese Wespen nicht gesehen, so hätte ich den Jungen also für krank gehalten.

So ergeht es auch vielen Kindern mit schweren familiären Kindheitsbelastungen: Niemand sieht ihre „Wespen“; die Kinder erhalten Krankheitsstempel, ohne dass wirklich klar wäre, worin die eigentliche Ursache für ihr Verhalten liegt, also welche Wespe sie verfolgt, um im  Bild zu bleiben. Auch als Erwachsene zeigen Betroffene  Symptome, die auf diese Kindheitsspuren zurückzuführen sind. Oftmals können sie selbst nicht einmal diese Symptome mit ihrer Kindheitssituation verbinden ( die Wespen waren und sind zu bedrohlich), in der Folge oftmals auch nicht ihre Ärzte und Therapeuten. Die unerkannten Wespen ihrer Kindheitstage verfolgen Betroffene oftmals über Jahrzehnte bis ins hohe Erwachsenenalter. Hält dieser Zustand über  Jahre ohne angemessene Hilfgestellungen an, kann es zu Erkrankungen und/oder Belastungen der Erlebens- und Beziehungsqualität kommen. Übergroße Empfindsamkeit (manchmal mit dem Wort Hochsensibilität  belegt), starke innere Unruhe und Spannungszustände, unerklärlich erscheinende Psychosomatik, unerträgliche Leere-und Verlorenheitsgefühle u.v.m. sind dann die alltäglichen Begleiter. Erst wenn die Wespen der Kindheitsatge entdeckt,identifiziert oder beruhigt werden, besteht für Betroffene Hoffnung auf Ruhe…

Besser leben? Wie ein Atemzug, der Mount Everest und ein ungewöhnliches Früchtchen Sie dabei unterstuetzen kann

Von Waltraut Barnowski-Geiser

Jetzt besser leben – das wollen die meisten Menschen! Vor allem natürlich wünschen das all jene, die in ihrer Kindheit Schweres erlebt haben. Oftmals haben aber gerade diese Menschen ihre Hoffnung auf ein besseres Leben aufgegeben. Soviel Enttäuschung, so viele leere Versprechungen haben sie bereits erlebt! Jetzt besser leben: „Wie könnte das gehen?“ fragen sie sich, und vor allem: „Wie sieht mein Weg zu einem besseren Leben aus?“ Denn: jede und jeder hat eine andere Vorstellung davon, was ein Leben zu einem besseren macht

…Vielleicht wollen Sie auf kreativem Weg  etwas über Ihre persönliche Vorstellung erfahren.Dann könnte die folgende Übung hilfreich sein. Wenn Sie gerade Zeit nehmen wollen, dann starten Sie jetzt in die Übung. Sie können diese auch jetzt überspringen und später nach dem Lesen machen!

Übung MEINE Besser-Leben-Landschaft

Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit: schließen Sie, wenn Sie mögen, die Augen…nehmen Sie Ihren Atem wahr…wenigstens drei Atemzüge wahrnehmen: wie Sie ein und wieder ausatmen…

Nun lassen  Sie vor Ihrem inneren Auge langsam eine Landschaft entstehen, in der Sie sich gut und glücklich fühlen. Wie duftet es hier, wie schmeckt es, welche Farben sehen Sie. Wie klingt es, welche Geräusche hören Sie? Lassen Sie sich ein wenig Zeit…vielleicht wollen Sie diese Landschaft später malen.

 Kommentar zur Übung: Bilder können helfen, etwas zur Sprache zu bringen, für das wir noch keine Worte haben.  Indem wir unsere Sinne aktivieren, aktivieren wir auch Potenziale, Sehnsüchte und Wünsche,die vielleicht längst vergessen schienen.

Flucht aus dem Jetzt
Viele Menschen mit Kindheitsbelastungen pendeln sich mehr schlecht als recht auf einem sie wenig befriedigenden Level ein: zwischen Vergessen und Verdrängen, zwischen Trauer und Zorn. Sie beschreiben, nichts mehr zu fühlen, oftmals allenfalls Leere. Das Fühlen des Unangenehmen wurde unbewusst aufgehoben, unglücklicher Weise aber auch das Fühlen von Schönem. Andere leben ständig im Gestern, wälzen schlimme Ereignisse von damals. Sie werden bis zum heutigen Tag von der Vorstellung gequält, an den Ereignissen der Kindheit Schuld zu tragen:

Ein trinkender Vater? Das erwachsene Suchtkind denkt, es hätte damals ein besseres Kind sein müssen, dann wäre der Vater nicht unglücklich gewesen und hätte folglich auch nicht trinken müssen.

Die Mutter, die in Depressionen aus dem Leben schied? Bestimmt hätte der Sohn vielmehr für sie Dasein müssen, ihr mehr Freude bereiten sollen, mehr und Besseres leisten sollen.

In diesen und anderen Gedankenketten sitzen Menschen fest.

Andere nehmen die Flucht nach vorn: sie leben in der Zukunft. Sie träumen, nicht nur ein bisschen und manchmal, sondern eigentlich immer und überall. Träumen hat sie als Kind gerettet, um dem Schlimmen zu entfliehen. Diesem Mechanismus können sie nun bis heute schwer entfliehen (manche haben bereits die Diagnose ADS/Aufmerksamkeitsdefizitstörung ohne Hyperaktivität erhalten): So träumen sie auch heute… von einem Traumprinzen, der so ganz anders ist als der enttäuschende Mann  jetzt an ihrer Seite, anders als der Vater früher. Sie träumen von einer Zeit, in der sie endlich glücklich sind, weil sie zum Beispiel materiell unabhängig sein werden. Morgen, irgendwann in ferner Zukunft. wird alles besser sein. Und so warten sie und warten und warten, während das Leben an ihnen ungelebt vorbeizieht.

Mit einem Atenzug ins Jetzt
Bei all diesen Arten der Lebensbewältigung verpassen die Menschen etwas sehr Wesentliches: nämlich das Jetzt. Auch Glück findet immer gerade jetzt statt. Wenn keine Achtsamkeit für das Jetzt vorhanden ist, dann gehen kostbare Momente einfach verloren, dann rauscht das Glück vorbei, da es nicht einmal wahrgenommen wird.

Das Zurückerobern des Lebensglückes bedeutet, sich in das Jetzt zurückzutrauen.
Ein wichtiger Helfer in das Jetzt ist unser Atem: wahrnehmen, ohne jede Absicht und ohne jede Bewertung, wie der Atem einfließt und wie er wieder den Körper verlässt: Das ist die Brücke in die Gegenwart. Das klingt so einfach: und ist doch gerade für Menschen aus schwierigen Elternhäusern so schwer. Da damals das Jetzt so unangenehm war, haben sie, um ihre Seele zu retten, begonnen aus dem Jetzt zu fliehen. Und damals viel Lebensqualität verloren. Diese gilt es heute wieder zurückzugewinnen: und diesen Schritt können nur Sie selbst für sich tun. Vielleicht sagen Sie jetzt: „Ich habe viel zu tun, wann das noch?“ oder „Das fühlt sich so unangenehm an, wenn alles ruhig ist und ich mich spüre!“

Meditation ohne Geheimnnis

Es gibt viele Wege zur Achtsamkeit und Meditation. Als eine weise Lehrerin giltie buddhistische Nonne Ayya Khema (leider ist sie inzwischen längst verstorben, aber ihre Ausführungen sind  auf youtube abrufbar) Ayya Khema vermittelt Meditation ohne Geheimnis, aus der ich hier nur sehr vereinfachend Wichtiges zusammengefasst und sehr gekürzt darstelle. Eine Einsicht lautet, dass alle Empfindungen vergehen, wenn man sie einfach nur beobachtet: so wie alles vergeht! Auch Gedanken lassen sich demnach beobachten, sie werden in dieser Praxis etikettiert – die vorbeiziehenden Gedanken erhalten gleichsam einen Karton, in den man sie steckt. So merkt der Meditierende, welche Kartons er meistens benutzt, sprich, womit er sich meist beschäftigt und lernst sich dabei selbst bestens  (er)-kennen. Erwachsene Kinder aus Suchtfamilien beschreiben, mit ihren Gedanken ständig um einen ihnen wichtigen Menschen zu kreisen. Ihr Wohl hängt dann, so erleben sie es, von diesem einen Menschen ab – Abhängigkeit entsteht. Im Sinne der Lehre des Buddhas lässt sich hier als Methode anwenden: Etikettieren und Ersetzen. Eine spannende Idee! Probieren sie es aus: Wenn Sie an einen bestimmten Menschen denken, förmlich um ihn kreisen, sagen Sie innerlich „Stop!“ Ersetzen Sie diese Gedanken an den anderen, indem Sie zu sich selbst zurückkehren: Achten Sie auf Ihren Atem, nehmen Sie wahr, was Sie gerade spüren. Und in einem weiteren Schritt erspüren Sie, was sie selbst jetzt gerade brauchen.
Es gibt viele unterschiedliche Verfahren und Wege, um Achtsamkeit zu erlernen. Neben alten Lehren wie dem Buddhismus (hier auch Thich Nhat Hanh), unterschiedlichen Formen im Yoga usw. gibt es diese Ansätze auch in modernen Therapieverfahren, wie etwa dem MBSR nach Kabat-Zinn, der Hypnotherapie nach Milton Ericson oder auch im Integrativen und Hypnosystemischen Therapieverfahren. Suchen Sie im Vertrauen auf sich selbst den für Sie passenden Weg. Es gibt viele Cds und Bücher. zu diesem Feld, die Ihnen Hilfe anbieten können.

AWAOKADO…was für ein Früchtchen!
In meinen Befragungen von Erwachsenen und Kindern aus Suchtfamilien (Barnowski-Geiser 2009) beschrieben Menschen neben der Achtsamkeit sechs weitere Faktoren, die Ihnen auf dem Weg zu einem besseren Leben geholfen haben:
A chtsamkeit
W ürdigung der Kindheitsbelastungen, aber auch der eigenen Stärken
O rientierung finden, einen eigenen Standpunkt
K reativität und Ausdruck
A nklang und Beziehung
D eckung und De-Parenting ( Sicherer Raum und Kind sein dürfen)
O ffenheit und Öffnung
Sie haben es wahrscheinlich schon gesehen: die Anfangsbuchstaben ergeben in der Vertikalen das Wort AWOKADO und erinnern somit an eine kleine sehr heilsame Frucht. Ihre große Wirkung entfaltet diese Frucht, so wird es von Betroffenen beschrieben, indem man sie dosiert einsetzt. Das gilt auch für Sie und den Beginn Ihrer Veränderung hin zu einem besseren Leben. Dosiert sollten Sie, vertrauen wir den Erfahrungen, beginnen: der erste Baustein ist Achtsamkeit (vgl. Das AWOKADO-Hilfe-Konzept in Barnowski-Geiser/2015:Vater,Mutter,Sucht. Wie erwachsene Kinder suchtkranker Kinder trotzdem ihr Glück finden). Achtsam ist gleichsam die Mutter der Heilung!

Jetzt starten…schließlich haben Sie schon den Mount Everst bestiegen!
Alle große Veränderung, auch in Ihrem Leben, beginnt mit einem kleinen Schritt. Diesen können Sie gerade heute tun. Atmen Sie sich für Augenblicke ins Jetzt und steigern Sie diese Zeit innerhalb der nächsten Tage, wenn wir uns hier wieder treffen. Ich bin sicher: Wenn Sie den Weg auf diese Seite gefunden haben, dann haben Sie in ihrer Kindheit viel zu früh Großes geleistet. Sie haben wahrscheinlich schon ganz früh, um einen Vergleich zu wählen, den Mount Everest bestiegen. Nur: Das hat Ihnen niemand gesagt, man hat Ihnen erst recht nicht gedankt, weil vielleicht die Probleme ihrer Eltern, um die sie sich viel zu früh kümmern mussten, angeblich gar nicht vorhanden waren. Tabuisieren war dann der Weg ihrer Eltern; Ihre Eltern haben es nicht anders geschafft. Es ist wichtig, aus dieser familiären Negativkette auszusteigen, damit Sie Neues an ihre Kinder und Partner weitergegeben können. Mit nur einem Atemzug kann Neues in ihr Leben und das Leben Ihrer Familie treten.

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Wer bin ich? Übung zu den Säulen der Identität

Immer wieder nachgefragt:Hilfen und kreative Uebungen zur Identitaet.Eine erste Anregung, Ihrem „Wer bin ich?“, Ihrer Suche nach Identität ein Stück näher zu kommen, können die nachfolgenden Fragen zu den Säulen der Identität bieten. Diese wurden in der präventiven Arbeit mit Schülern im Rahmen der BEL-Kids-Projekte entwickelt (Barnowski-Geiser 2014 in Anlehnung an das bekannte Säulenmodell zur Identität von Hilarion Petzold). In diesem Ansatz, der der Integrativen Therapie entstammt, geht man davon aus, dasss unsere Identität von 5 zentralen Säulen bestimmt wird. In der nachfolgenden Übung können Sie sich mit Ihren Säulen beschäftigen: feststellen, in welchen Bereicgen Sie sich sicher fühlen oder wo Sie Ihr Augenmerk stärker hinrichten und arbeiten möchten…Es gibt kein Richtig oder falsch in den Antworten;jede Antwort kann Ihnen zur tieferen Selbsteinsicht verhelfen.

Übung

Säule 1 Leiblichkeit
Wie steht es um Ihre Gesundheit; wie ist Ihr körperliches und seelisches Befinden? Wie sind Sie mit Ihrer Erscheinung zufrieden? Verkörpern, Sie das, was Ihnen in Ihrem Leben wichtig ist? Wie schätzen Sie Ihre geistige Haltung ein? Woher bekommen Sie geistige „Nahrung“, Anregungen? Gab es Unfälle oder Erkrankungen, die sich auswirken? Hat die Erkrankung Ihres Elternteils Einfluss auf Ihre Befindlichkeit genommen? Wenn ja,In welcher Weise? Welche Stärken haben Sie aus der Erkrankung des Elternteils erlernt?
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Säule 2 Soziale Beziehungen
Wie steht es um ihre sozialen Netzwerke: Familie und Familienbeziehungen, Freundeskreis, Arbeitskollegen? Wer ist wichtig? Wer fällt aus? Welche Beziehung fordert den meisten Teil Ihrer Energie, welche Beziehung stiftet  Energie? Welche Beziehungen aus der Vergangenheit wirken sich bis heute aus? Wie wirkt die Erkrankung Ihres Elternteils sich auf Ihre anderen Beziehungen aus?
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Säule 3 Arbeit und Leistung
Wie ist Ihre Zufriedenheit in Ihrem Haupttätigkeitsfeld, etwa am Arbeitsplatz ( oder auch als Mutter etc.)? Tun Sie Ihre Arbeit gern? Ist Ihre Arbeit sicher? Empfinden Sie Ihre Arbeit als Bestimmung, Berufung? Ist Ihre Arbeit Erfüllung oder nur notwendig zum Lebensunterhalt? Wie sicher ist Ihre Arbeit? Welche Erwartungen haben andere an Sie? Wo sind Ihre Stärken, Ihre Defizite? Aus welchen anderen Bereichen schöpfen sie Kraft? In welchem anderen Bereich sind Sie zufrieden mit Ihrer Leistung? Wo sind Sie besonders erfolgreich, wo nicht?Welchen Einfluss hatte die Erkrankung Ihres Elternteils auf Ihre Berufstätigkeit?
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Säule 4 Materielle Sicherheit
Zu den materiellen Sicherheiten zählen Geld, Wohnung, Kleidung u. a. Wenn materielle Sicherheiten wegfallen, wird dadurch auch die Identität in Frage gestellt.

Wie steht es um Ihre materielle Situation? Worauf können Sie sich verlassen? Haben Sie manchmal Existenzängste? Wie sah Ihre finanzielle Situation zu Kindheitstagen aus? Welche Rolle hat hierbei die Erkrankung Ihres Elternteils gespielt?
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Säule 5 Werte
Menschen beziehen aus ihren Werten Sinn und Kraft. Ihre Zugehörigkeit zu Wertegemeinschaften (Kirchen- und Glaubensgemeinschaften, politische Organisationen, Arbeitsgemeinschaften usw.). Die Ziele des Menschen werden zu großen Anteilen durch seine Werte bestimmt. Werte werden verkörpert, führen zu einer Haltung, die sich im Verhalten zeigt.

Welche Werte sind Ihnen wichtig?
Für welche Werte treten Sie aktiv ein?
Gibt es Werte, die Sie schwächen oder verunsichern?

Welche Rolle spielen Sucht- oder andere elterliche Erkrankungen in Ihrem Wertesystem?
Sind Ihre Werte von einer Gemeinschaft akzeptiert und getragen, wie stimmen diese mit Ihrer Familie überein?

Welche Werte Ihrer Herkunftsfamilie möchten Sie hinter sich lassen?
Wie passt die Sorge um den Erkrankten zu Ihren Wertevorstellungen?

Welche Überzeugung oder Lebensphilosophie stärkt mich?
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Zur weitergehenden Arbeit:
Welche Ihrer Säule erleben Sie als geschwächt, welche birgt besondere Stärken?

Sie können auch eine Einordnung Ihrer Säulen in Zahlen vornehmen: ordnen Sie jede Säule zischen 0 ( gar keine) und 100% (vollständig) Stabilität ein.

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Finden Sie, wenn möglich, eine grafische Darstellungsmöglichkeit Ihrer Säulen…unterscheiden Sie nach Größe, Form, Position, Farbe. Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf…

Geben Sie anschließend Ihren Wünschen grafisch Raum….

Tauschen Sie sich mit Ihrem Partner oder einem Menschen Ihres Vertrauens aus…“Wer bin ich?“- die Antwort auf diese Frage unterliegt der Veränderung: Sie können im Jetzt Einfluss nehmen! Auch die vorhergehenden Übungen auf diesen Seiten können Ihnen weitere Anregungen zu dieser Frage bieten…

Nicht Uebermensch und auch nicht Gott- von der erzwungenen Grandiositaet der Kinder aus belasteten Familien

 

„Heute schon geschrumpft?“, möchte ich heute Sie, Angehörige aus einer belasteten Familie, ein wenig provokativ fragen und mit Ihnen die 2.Säule der Identität „Soziale Beziehungen“ (Säulen der Identität) genauer ansehen. Wenn Sie aus einer belasteten Familie stammen, dann kennen Sie es wahrscheinlich, viel zu früh zu Großes und zu Schweres zu tragen. Vielleicht haben Sie sogar, wenn auch mehr oder weniger unfreiwillig, die Rolle des Supermans ( auch in der Superwoman-Version) oder der Mutter Teresa übernommen…zu Großes, das eigentlich Aufgabe Ihrer Eltern gewesen wäre, lastet in diesem Falle auf Ihren Schultern (Rollenbeschreibungen aus Barnowski-Geiser 2015: Vater, Mutter, Sucht); Vielleicht schon ein Leben lang und in den Beziehungen, die Sie als Erwachsene eingegangen sind, sind Sie die tragende Säule? Dann kann es sein, dass es an der Zeit ist, auf Normalgröße zu schrumpfen: Nein-Sagen und Hilfe annehmen will dann geübt werden, die zugrundeliegende Motivation unter diesem Tun will erforscht sein -oft zeigt sich hier eine tiefsitzende Angst, nach „Schrumpfen“ nicht mehr geliebt zu werden.Manche Betroffene verlangen sich,wenn sie von ihren Beziehungen erzaehlen,foermlich Uebermenschliches,ja beinahe goettlich Anmutendes ab.

Soziale Beziehungen können uns tragen – und zu Fall bringen. Erwachsene aus belasteten Familien kennen leider oft die zweite Variante. Wer von Klein auf mit zerstörerischen und selbstfixierten Gegenübern aufwachsen muss, der wird durch elterliche Beziehungen mehr belastet als gestärkt. Tragischer Weise droht dieser frühlkindliche Mangel bis ins Erwachsenenalter bedeutsam zu sein: wird er nicht als solcher erkannt und bearbeitet, drohen Betroffene das alte Leiden in neuem Gewand an Partnern zu wiederholen. Erst in der tieferen Schau sehen sie dann beispielsweise, dass der Ehemann  die narzistischen Züge der eigenen Mutter exakt verkörpert. Endlich gesehen und verstanden werden von einem so selbstbewusten Partner wünschten  sich diese erwachsenen KInder und geben schlichtweg „Alles“… und bemerken spät… „doch wieder im alten Film angekommen“.Denn nicht nur die Krankheiten der Eltern können an die nächsten Generationen weitergegeben werden, sondern ebenso Bindungs-und Beziehungsmuster. Je mehr die familiären Probleme tabuisiert wurden, umso höher ist das Risiko, nicht ohne eigene Blessuren zu entkommen… und so Ungutes an die nächste Generation weiterzugeben.

Weitere Risikofaktoren für die Weitergabe sind in der Forschung bekannt ( Klein/Zobel), etwa ob das KInd mit nur einem belastetenden Elternteil aufwächst und das Elternteil andere stabil zur Verfügung steht. Oftmals sehen  sich Kinder jedoch ungesunden Allianzen gegenüber: Die suchtkranke Mutter ist mit einem von ihr abhängigen Vater verheiratet; das Kind lernt von Klein auf, sich auf beide Eltern einzustellen und  eigene Bedürfnisse außen vorzulassen. Es lernt zudem an diesen Elternmodellen, dass Menschen existenziell aneinader gekettet zu sein scheinen und es kein Entkommen aus der Abhängigkeit gibt. Lernt das Kind hier stattdessen einen unabhängigen Erwachsenen kennen, der sich in gesunder Weise um sich selbst und um das Kind kümmert, stehen die Chancen für die eigene Entwicklung und Gesunderhaltung schon deutlich günstiger.

Wagen Sie doch einen Versuch: Schrumpfen Sie wieder auf Normalgröße… hören Sie auf, eigentlich Übermenschliches zu leisten… gestehen Sie sich Ihre eigene Bedürftigkeit ein! – Vielleicht ist dieser Impuls der Woche ein Weckruf gerade an Sie?…und Sie beginnen in kleinen Schritten…

Eine gute und entspannte Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

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Wer hat eigentlich das Problem? Verantwortung abgeben und Probleme bei den Eltern lassen

Herrn R.s Vater ist depressiv…solange Herr R. denken kann. Behandlungen vermeidet der Vater, Ärzte und Therapeuten, so denkt der Vater,  machten sein Leiden nur noch schlimmer. Für Herrn R. bedeutet das, „von Kindesbeinen an mit dem Leiden meines Vaters ziemlich alleine dazustehen“ – seine Mutter tat zeitlebens so, als habe der Vater nichts, erzählt er. Sein Vater interessiere sich wenig für ihn, sei vor allem  mit sich selbst beschäftigt und schwermütig. Er wirft seinem Sohn Herrn R. vor, wie gut es ihm doch gehe… während er „vor die Hunde gehe“. Herr R. kann kaum noch abschalten, befürchtet, ähnlich depressiv zu werden wie sein Vater, hat nun Eheprobleme wegen derer er Hilfe sucht. Von seiner Frau fühlt Herr R. sich nicht wirklich geliebt (er hat Angst, dass sie ihn verlasse), seine Kinder beklagen seine Verschlossenheit.

In Gesprächen wird deutlich, das Herr R. bis heute annimmt, das Verhalten seines Vaters ginge auf ihn zurück. Er sei nicht der Sohn, den der Vater sich gewünscht habe. Er sei kein guter Gesprächspartner und hätte sich noch viel stärker engagieren sollen, dem Vater zu helfen. Er hätte wahrscheinlich nie aus dem Elternhaus ausziehen dürfen, vermutet Herr R.

Herr R. bezieht die Krankheit seines  Vaters auf sich. Er glaubt, die Depression des Vaters hätte grundlegend etwas mit ihm zu tun, sei letztlich durch ihn verursacht. Der Vater sei so, weil er, Herr R. nicht interessant, nicht kooperativ , nicht klug genug sei usw. Dies ist nicht ein „schrulliger Zug“ des Herrn R., wie vielleicht manch einer annehmen könnte, sondern eine schwere Belastung aus KIndheitstagen: da er seit Kindestagen mit der Erkrankung des Vaters belastet wird und mit dieser Belastung alleine gelassen wird, aktivieren sich seine kindlichen Erklärungen wiederholt (Geiser-Heinrichs 2017)

Eltern haben ihre Probleme in 99% aller Fälle unabhängig von ihren Kindern – dies ist wichtig zu erkennen. Der Vater ist depressiv, die Mutter trinkt. Punkt! Die Eltern haben alle damit verbundenen Probleme –  Kinder sind mitbetroffen und fühlen sich verständlicherweise diesen Krankheiten gegenüber ohnmächtig. Sie haben die Erkrankung aber nicht verursacht – ihre übernommene Verantwortung liegt meist im Verborgenen und ist den erwachsenen Kindern oftmals zunächst ebensowenig  bewusst wie die übernommene Schuld.

Wie kommt es, dass viele Kinder sich für die Krankheit der Eltern verantwortlich fühlen? Versuchen wir zu verstehen, wie es zu diesem Mechanismus kommen kann, indem wir Entwicklungspsychologie und Neurowissenschaften zu Rate ziehen: Kinder machen unterschiedliche Entwicklungsstadien durch. Im Kindesalter durchlaufen sie eine Phase, die Psychologen auch als Phase des Egozentrismus bezeichnen (Piaget). Kinder glauben in diesem Alter, alles erschaffen zu können und für alles, was um sie herum passiert, verantwortlich zu sein. Bei Streitigkeiten der Eltern etwa fragen sich Kinder, welchen Grund es dafür  wohl gibt. Da das Kind noch nicht in der Lage ist, Beziehungskonflikte und Probleme der Eltern tiefergehend zu durchschauen, gibt es sich selbst daran die Schuld. Unangemessenes Handeln der Eltern, das mit bestimmten Krankheiten wie Sucht oder Beziehungsproblemen zusammenhängt,  beziehen die Kinder auf sich (Geiser-Heinrichs/Barnowski-Geiser 2017). Halten diese Probleme über viele Jahre an, so wird diese dauernd genutzte Hirnspur „Ich bin verantwortlich für unsere familiären Probleme“, bis hin zum „Ich bin schuld am So-Sein, an der Krankheit meiner Eltern“ zu einer breiten vielbefahrenen Hirn-Autobahn, wie es die Neurowissenschaftler vereinfachend erklären (Hüther). Da die entstandenen Probleme von Kindern nicht befriedigend bewältigt werden können, resultiert daraus in der Folge meist ein herabgesetzter Selbstwert: ein grundlegendes Gefühl der Unzulänglichkeit sowie das Gefühl, überhaupt nicht liebenswert zu sein. Im ungünstigen Falle entsteht ein Lebensproblem, das mit in die nächste Beziehung genommen wird und sogar die neu gegründete Familie, wie im Falle von Herrn R., nachhaltig negativ beeinflussen kann. „Ich bezieh  nicht mehr alles auf mich“, kann ein wichtiger Schritt sein zu mehr Lebens-und Beziehungsqualität sein. Damit aus dieser Aussage eine gelebte Haltung wird, muss sie täglich, wie beim Sport, eingeübt werden: damit einen neue Hirnspur langsam aufgebaut wird, um im Bild zu bleiben, zu einer neuen Hirnautobahn werden kann. Oft hilft es, einen mantraartigen Satz zu formulieren und diesen zu wiederholen.

Eine schwere elterliche Erkrankung ist schwer auszuhalten. Viele Kinder fühlen sich ohnmächtig ausgeliefert, bis ins hohe Erwachsenenalter. Erst das Eingestehen der Ohnmacht, gerade wenn die unmittelbare Belastung vorbei ist (die erwachsenen Kinder Kontakt zu den Eltern und Dosierung des Kontaktes selbst bestimmen können), erlaubt es jedoch, aus dem Anstrengungs-Hamsterrad auszusteigen. Da Ohnmacht so schwer zu ertragen ist, erscheint der „Verursacherglaube“ der erwachsen gewordenen Kinder in manchen scheinbar als leichtere Wahl (diese Wahl wird jedoch unbewusst getroffen), gibt es doch hier einen aktiven Anteil, eine scheinbare Gestaltungsmöglichkeit. Ein Trugschluss: das Abarbeiten an der Krankheit, der Wunsch, die Krankheit zu besiegen und elterliche Liebe, „gesehen werden wie man wirklich ist“, endlich zu bekommen, werden leicht zum Sysiphos-Projekt. Ein Reset, ein zurück auf Null, tut hier oft gut: die elterlichen Probleme nicht mehr auf sich beziehen. Dabei unterstützt, den Kopf zu Hilfe zu nehmen und innerlich deutlich Stop zu sagen, wenn das Kreisen um Schuld einsetzt.

Eine gutes Wochende wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Achtung: Worte gestalten Ihre Welt..und Ihre Beziehungen

Ist eine Beziehung zu Ende gegangen, so erleben das die Beteiligten oft als  schwerwiegendes Ereignis. Wenn diese Menschen über das Beziehungsende sprechen, treten meist ihre inneren Bewertungen zutage. Auffallend oft bewerten Menschen mit Kindheitsbelastungen ein Beziehungsende negativ oder/und als ihr persönliches Versagen: „Ich bin schon wieder gescheitert!“ oder  „Ich habe komplett versagt!“, heißt es dann. Wenn sie ihre Geschichte erzählen, ist auffallend, dass andere Menschen ihnen wiederholt Beschämendes antaten, was das Maß des Erträglichen weit überschritt oder auch dass andere Menschen sich mit Schuld beluden. Natürlich kann es wertvoll sein und ist unabdingbar, in einer Beziehung den eigenen Anteil zu beleuchten: Kinder schwieriger Eltern haben offenbar jedoch oftmals erlernt, unabhängig von der Sach-und Beziehungslage, sich selbst alle Schuld und alleinige Verantwortung zuzuschreiben. Sie nehmen dieses schwere Bewertungspaket mit in ihre nächsten Beziehungen und in ihr Bild von sich selbst…negative Zuschreibungen prägen ihre Identität. Manche können, nachdem sie diesen unguten Mechanismus durchdrungen haben, zu einer anderen Einschätzung kommen:

„Ich habe mich weiterentwickelt und dann hat unsere Beziehung nicht mehr gepasst!“, heißt es dann etwa.

Wie wir Ereignisse bewerten und dies in Worte fassen, wie wir es zur Sprache bringen, gestaltet maßgeblich unsere Welt und unsere Lebensqualität. Aussagen über unsere Beziehungen und Taten sind Aussagen über unser Denken und Bewerten…Achtsamkeit ist auch hier ein zentraler Schlüssel zum besseren Leben.

Wie Sprache Identität bildet, hat Ilse Orth, Integrative Therapeutin, in einem lesenswerten Aufsatz 2009 dargestellt. Bei weiterführendem Interesse empfehle ich Frau Orths Text zur weiblichen Identitätsbildung.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Heilung braucht Hoffnung

Wenn Kinder wiederholt von Eltern enttäuscht wurden, (wenn etwa das Versprechen, sich von der Sucht zu lösen oder gewalttätiges Verhalten zu unterlassen, wieder und wieder nicht eingehalten wurde oder elterliches Verhalten nicht „diskutiert“ oder angesprochen werden darf), dann fällt es   besonders schwer, noch an jemanden oder an etwas zu glauben.In der Folge wird es sogar zu einem Problem, auf die Möglichkeit der Veränderung überhaupt zu hoffen, auch als Erwachsene. Es fällt dann schwer, überhaupt noch hoffnungsvoll zu sein, überhaupt noch etwas zu ersehnen und wünschen.Manche dieser erwachsenen Kinder haben sich über die Jahre in der hoffnungslosen Traurigkeit eingerichtet: sie ist ihnen zur inneren Heimat geworden. Dieses Vertraute zu verlassen, ist schwer.

Manche Menschen, die in ihrer Kindheit besonderen Belastungen ausgesetzt waren, erkranken zudem körperlich oder/und seelisch. Hier wird es besonders schwierig, die Hoffnung auf die Heilung und Veränderung zu beleben, sie nicht gänzlich zu verlieren. Viele Beispiele zeigen uns, wie mächtig Hoffnung in das Leben spielt, wenn es um existenzielle Erkrankung geht: „Totgesagte“ lebten entgegen aller gegenteiligen Voraussagen lange weiter, „Kerngesunde“ starben, nachdem ihnen irrtümlich mitgeteilt wurde, dass sie nur noch sehr kurze Zeit zu leben hätten.  Ungewöhnliche Heilungswege zeigt Anne Devillard in ihrem Buch „Heilung aus der Mitte“ in Experteninterviews unterschiedlicher Couleur (Kuby, Dahlke, Dürr, Willigis Jäger  usw.) – Die Bedeutsamkeit von Einstellung, Hoffnung und Glaube zeigt sich eindrücklich – wenngleich dort, wo die persönliche Erfahrung kurzerhand zum Rezept für jedermann erhoben wird, m.E. Vorsicht angezeigt scheint.

Wie sich die Kindheitsbelastung auch im Jetzt auswirkt:  der Wunsch nach Heilung ist  groß. „Sehnsucht“  nach Heilung und einem besseren Leben, zeigt sich als wertvoller Motor: sie treibt an und ist ein guter Verbündeter. Diese Sehnsucht braucht  Unterstützung durch den Faktor „Hoffnung“.  Es mag für Sie befremdlich klingen, aber  in der Zusammenarbeit mit Betroffenen zeigte sich: Erwachsene mit schweren Kindheitsbelastungen müssen „Hoffen“ üben –  also, packen wir es mit der zeitgemäßen Formulierung an: Train your hope!

Übung Train your hope

Wenn Hoffnung, Glaube und Vertrauen auf der Strecke geblieben sind, dann ist der Weg ebendahin nicht leicht: diese Fähigkeit muss wie im Sport erst trainiert und aufgebaut werden. Beginnen Sie jetzt: Seien Sie geduldig mit sich, was viele Jahre nicht möglich war, ist nicht in einer Übungseinheit in wenigen Minuten zu ändern…

Probieren Sie aus…passt es gerade?

Dann nehmen  sich jetzt einige Minuten Zeit. Gehen Sie, so wie es auf dieser Seite an anderen Stellen beschrieben wurde, in der bewährten Weise mit der Achtsamkeit zu Ihrem Atem, gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit zu sich selbst. Nun sinnieren Sie ein wenig: was hoffen Sie ganz und gar nur für sich selber (Hinweis: in vielen Fällen etwa wünschen sich Menschen in Beziehungen, die in großer Abhängigkeit voneinander geführt werden, dass sich der Partner verändern möge, also dass er aufhört mit einem schädigenden Suchtverhalten etc.- meist erfolglos)-. 

Formulieren Sie nun diese Hoffnung, die sich auf ihr Leben bezieht, sehr genau. Schreiben Sie Ihren Satz auf und formulieren Sie ihn solange um, bis er exakt für sie stimmt. Bei anderen Betroffenen lautet ein Satz etwa :“

Ich weiß, dass ich ruhig und zufrieden leben kann!“ oder

„Unabhängig davon, wie sich die Menschen um mich herum entwickeln, weiß ich, dass ich mein Leben positiv gestalten kann.“ oder

„Ich werde ab sofort gut für mich sorgen!“

Wenn Sie Ihren Satz gefunden haben und er Ihnen, so wie er nun formuliert ist, stimmig erscheint, so ist er Satz wichtig für Ihr weiteres Leben. Ihn heute zu formulieren, war ein wichtiger erster Schritt. Damit dieser Satz Sie auf dem Weg in Ihr neues Leben wirklich stützt, also wirklich Teil ihres neuen Denkens und Hoffens wird, müssen Sie ihn fortan wertschätzen, indem sie ihn regelmäßig wiederholen. Finden Sie ein Ritual, zu einem festen Zeitpunkt am Tag, an dem Sie diesem Satz durch mehrmaliges Wiederholen einen Platz geben. Ihre Gehirnbahnen, so zeigen uns Forschungen, können neugebaut werden und damit auch ihr Hoffnungspotenzial- diese neuronalen Bahnen brauchen Wiederholung und Ihre Begeisterung bei der Sache…

Vielleicht haben Sie Bilder im Kopf, wie dieses  Leben mit Heilung sich anfühlen wird: Finden Sie ein Symbol, einen Klang ,ein Musikstueck oder eine Landschaftsszene, etwas, was dieses Gefühl wiedergibt.  Kombinieren  Sie dieses mit Ihrem Satz. Wichtig ist: Tun Sie es mit dem Bewusstsein, dass Sie Ihr Leben gerade jetzt in die Hand nehmen. Wenn Sie all dies halbherzig und ohne Glauben auf Hoffnung machen, diese Zeilen lesen, nur um Sie, wie gewohnt, abzuspeichern unter: „Klar, man kann viel reden, bei mir klappt das alles eh nicht!“ dann wird sich diese Aussage wahrscheinlich auch in dieser negativen Weise erfüllen.

Seien Sie in der nächsten Woche achtsam, wo Ihnen Wünsche nicht materieller Art begegnen, Visionen, Sehnsüchte…notieren Sie diese.

Wenn Sie alleine nicht zu Glaube und Hoffnung finden, suchen Sie nach einen wertschätzenden Anderen, dem Sie sich anvertrauen: auch das kann wahre Wunder bewirken! Wenn es diesen Menschen in Ihrem Leben gerade nicht gibt, schauen Sie in guten Selbsthilfeforen nach Online-Gesprächspartnern. Auch das kann ein erster Schritt sein, Ihrer Hoffnung nachzugehen.

Wie finden Menschen mit Kindheitsbelastungen ihre Heilung?…Damit beschäftigen sich viele Beiträge auf dieser Seite. Als ein entscheidender Einflussfaktor für ihr gelingendes Leben zeigte sich, wie wir nun angesehen habe, die Fähigkeit, zu hoffen. Diese Fähigkeit ist eng verknüpft mit dem, was Erikson das Urvertrauen nennt. Dieses entsteht nach Eriksons Auffassung im ersten Kontakt mit den Eltern. Petzold spricht in diesem Zusammenhang von Grundvertrauen, das auf dem Grund menschlicher Existenz fuße, einem Fundament, das unsere Existenz trage (Petzold , S.231). Diesem Verständnis nach verfügen Menschen über ein Grundvertrauen, das „einfach da“  ist. Es wird durch die frühen Beziehungen  bekräftigt. Für manche ist auf diesem Urgrund eine enge Gottesverbindung, eine Kosmos-Verbindung oder Spiritualität angesiedelt. Wie sich dieser Grund auch jeweils gestaltet, zu diesem Grund und dem Grundvertrauen müssen und können Menschen mit Kindheitsbelastungen zurückfinden. Diesen Weg zum Grund zu ermöglichen, stellt  eine zentrale Aufgabe von Therapie für Erwachsene mit Kindheitsbelastungen. Eine therapeutische Beziehung kann hier eine wichtige Rolle auf dem Weg zu Grundvertrauen und Hoffnung übernehmen. Eine andere wichtige Bedeutung kann darin bestehen, Einstellungswandel zu begleiten. Wann wir entlastet, gesund, heil sind, ist eine Frage der Perspektive:

Jacob Klaesi

„Gesundheit ist das Vermögen, auch Krankheit und Gebrechen gleichmütig, wenn nicht gar heiter und dankbar, jedenfalls aber würdig und fruchtbringend zu ertragen.“

zitiert nach Petersen, in: Die Rolle des Therapeuten und die therapeutische Beziehung, S.22/23)

Hat dieses Zitat des Schweizer Psychiaters Klaesi auch in Ihnen Widerspruch hervorgerufen?  Ein hoher Anspruch liegt in dieser Aussage: aber auch eine interessante Perspektive. Die Ansprüche an das eigene Heilsein zu reduzieren, die angestrebte Heilung nicht mit vollständiger Gesundung gleichzusetzen sondern den guten Umgang mit Krankheit als „gesund“ zu definieren, kann entlastend wirken. Betroffene, die in der Lage waren, auch kleine Verbesserungen zu würdigen (Krankheits-, Belastungs- und Schmerztagebücher waren dabei hilfreich), fühlten sich gesünder, bezeichneten sich insgesamt als „heiler“. Es zeigte sich, dass Heilung für Betroffene mit Kindheitsbelastungen das Gelingen eines Balanceaktes bedeutete: der Balance zwischen Akzeptanz und Gestaltung. Die Akzeptanz, dass kindliche Belastung nicht folgenlos geblieben ist einerseits, und das Zutrauen zur eigenen Gestaltungsfähigkeit andererseits: ein Bewusstsein für die eigene Wirkmächtigkeit, das Ausmaß und die Einstellung zu den Belastungen aktiv zu wandeln ebenso wie das Wissen, um die Grenzen des menschlichen Einfluss.

Ich wünsche Ihnen eine gute Balance und Mut zur Hoffnung. Vielleicht versetzen Sie mit Ihrem Glauben noch nicht „Berge“, aber einen kleinen wichtigen Stein in die richtige Richtung!

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Zitate aus

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin und Autorin.

Ihre Bücher zum Thema: Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht ( 2009).

Arbeit und Unterstützung nach dem AWOKADO-Hilfe-Konzept (auch in individuell zugeschnittenen Kompaktblöcken) in ihrer Praxis KlangRaum in Erkelenz

Oft Schlecht drauf? Ihrer Stimmung und Lebensqualität auf der Spur

Menschen, die in einer belasteten Familie aufgewachsen sind, leiden manchmal lange Zeit noch nachdem sie ihr Elternhaus verlassen haben, unter Gefühls- und Stimmungsschwankungen. Der Umgang mit quälenden Gefühlen, „Nicht-Fit und Gut drauf“ sein, erfährt gesamtgesellschaftlich nicht gerade würdigenden Umgang. Glauben wir manchen Ideologien, so sind unsere Gefühlslagen, wie so vieles andere,  „machbar“. Wer nicht gut drauf ist, scheint dieser Denke zufolge selbst schuld zu sein. Müssen Erwachsene aus belasteten Familien, wie in manchen Ansätzen vollmundig gefordert, einfach „positiver“ denken? Müssen Sie Ihre „Überempfindlichkeit“ ein bisschen runterregulieren? Nehmen wir Wissenschaft zur Hilfe…Neurowissenschaftliche Erkenntnisse belegen: unsere Hirne sind nutzungsabhängig, auch unsere Emotionalität, also unsere emotionalen Verschaltungen.  Emotionale Verschaltungen (und damit wie wir uns fühlen) hängen somit ab von gemachten Erfahrungen, ihren Bewertungen usw.. Was bedeutet das für Kinder und Erwachsene, deren Kindheit belastet war? Hier tun sich noch viele Lücken in der Forschung auf, einiges lässt sich aus den bestehenden Erkenntnissen in aller Vorsicht ableiten und vermuten. Und dieser Blick, zugegebenermaßen nicht ganz einfach, erscheint der Mühe wert, kann er doch das Befinden belasteter Erwachsener, ihre Stimmungen und Gefühlslagen ein wenig erhellen. Und soviel sei vorab verraten: Wenn die Kindheit belastet war, so hat das Folgen für Ihre Emotionalität, ihre Gesundheit und Lebensqualität als Erwachsener…und es gibt erforschte Hilfemaßnahmen…

Hirne sind nutzungsabhängig: warum Kinder mit familiärer Belastung leicht ängstlich werden

Schauen wir zunächst aus neurowissenschaftlicher Perspektive (Versuchte Erklärungen müssen im Angesicht der hochkomplizierten  Vorgänge in unseren Hirnen unverschämte Vereinfachungen bleiben…versuchen wir dennoch eine Annäherung): Außenwelt hinterlässt Spuren in der Innenwelt. Neurologisch spricht man hierbei von inneren Repräsentationen der Außenwelt. Auch die Repräsentationen unserer Gefühlswelt (neurowissenschaftlichen Untersuchungen u.a. von Braun, Spitzer) spiegeln  erlebte Erfahrungen. Unsere Gefühlswelt ist erlernt, vor allem in sozialer Erfahrung. Befinden, Stimmungen und Gefühle sind bei Kindern aus belasteten Familien stark in Mitleidenschaft gezogen. Kinder lernen etwa: „Wenn Papa trinkt, gibt es Ärger für mich!“ Wird diese Erfahrung wiederholt gemacht, wird diese Erfahrung auch neuronal verschaltet: sie bildet eine Hirnspur. Je öfter diese Erfahrung gemacht werden, umso tiefer gräbt sich diese Spur im Hirn ein, sprich: Kinder entwickeln Ängste ( eine Hirnautobahn „Angst“) und weitere mit diesem Erleben verbundene Gefühle werden nutzungsabhängig verschaltet. Aus dem Kind, das in einer Szene Angst hat, wird bei dauerhafter Wiederholung, leicht ein überängstliches Kind: insbesondere dann, wenn, wie oft in tabuisierenden Familien, das Gefühl des Kindes nicht benannt und besprochen werden darf, das Kind folglich keine angemessene Unterstützung in Form von Trost oder Halt erfährt. Das Befinden Betroffener wird durch dieses kindliche Krisenerleben geprägt, das Gehirn entsprechend gebaut – auch als Erwachsene, wenn das Elternhaus längst verlassen wurde, sind diese grundlegenden Verschaltungen angelegt. Es ist also nachvollziehbar, dass ein in der Kindheit entsprechend „verschalteter“ Erwachsener, der die Spur Angst zu einer regelrechten Autobahn im Kopf entwickelt hat (Formulierung in Anlehnung an Hüther), auch als Erwachsener schnell auf eben dieser Autobahn landet. Denkweisen, Selbstbild, Körpererfahrung usw. sind neuronal verschaltet: sie bilden ein Erlebens- Panorama im Jetzt, das im familiären System erlernt wurde.

Unterwegs auf der Hirnautobahn Gefühl

Gefühle sind neuronale Repräsentationen „Wir werden oft von den Gefühlen unbemerkt gesteuert.“ , sagt der Hirnforscher Spitzer schon vor einem Jahrzehnt. Emotionen bieten Kindern Orientierungshilfe beim Zurechtfinden in einer komplizierter werdenden Welt. (Spitzer 2003) Werden anstehende Probleme angemessen gelöst, stellt sich ein gutes Gefühl ein, das sich im Gehirn verankert. (Hüther 1999) Je früher diese Verschaltung erfolgt und je häufiger sie bei Belastungen und Herausforderungen aktiviert wird, umso stärker ist der Bahnungsprozess im Gehirn. Welche Verschaltung zu einem Gefühl gebahnt wird, hängt von subjektiven Empfindungen ab. „Mit jeder erfolgreich bewältigten Belastung, jeder bestandenen Herausforderung wird unter dem Einfluß der bei der kontrollierbaren Streßreaktion stattfindenden Aktivierung des noradrenergen Systems das jeweils empfundene Gefühl in Form von bestimmten dieser Empfindung zugrunde liegenden neuronalen Verschaltungen im Gehirn verankert.“ (Hüther 1999, S.69) Aber auch Belastendes und wiederholt nicht Bewältigtes wird im Gehirn als Trampelpfad abgespeichert. „Emotionale Verunsicherung führt zur Aktivierung limbischer und anderer stress-sensitiver neuro-endokriner Regelkreise und zwingt das Kind, nach geeigneten Strategien zur Wiederherstellung seines emotionalen Gleichgewichtes zu suchen. Einseitige, unbalancierte Bahnungsprozesse führen zwangsläufig zu defizitären Entwicklungen in anderen Bereichen (Wahrnehmung, Motorik, Lernverhalten, Motivierbarkeit, Sozialverhalten). (Trost 2003, S.60) Auch wiederholte Traumatisierungen wirkten nachhaltig destabilisierend auf die neuro-endokrinen und vegetativen Regelkreise.

Gefühle zwischen Ich und Du

Gefühle entstehen im sozialen Raum: Kinder und Erwachsene aus belasteten Familien fühlen nicht an sich, ängstigen sich nicht an sich, sind nicht an sich leer, schuldig, sondern ihre Gefühle sind Repräsentanten und zugleich Träger ihrer sozialen Beziehungen, sprich ihren belasteten Eltern oder Geschwister.

Gefühle werden in einer leibtherapeutischen Sicht sowohl in ihrer Leiblichkeit in Bezug aus Körper, Seele und Geist angesehen, als auch in ihrer Räumlichkeit aufgefasst, in letzterer insbesondere in ihrer Rückbeziehung auf das Subjekt. Psychiater und Leibphilosoph Thomas Fuchs: „Wie beim Tasten (‚Fühlen’) Empfinden und Selbstempfinden ineinsfallen, so ist das Gefühl als Gegenstandsbeziehung zugleich ein Selbstverhältnis, also Fühlen und sich-Fühlen in einem (sich fürchten, sich schämen, sich freuen). Die Furcht oder Angst vor (…) bedeutet auch Furcht oder Angst um mich selbst oder mein Leben. Die Scham vor den anderen ist zugleich die Scham über mich. Im Gefühl ist das Selbst sich nicht gegenständlich, als sein eigenes Objekt, sondern zuständlich, erleidend gegeben, als Subjekt affektiven Betroffenseins.“ (Fuchs 2000) Es lässt sich folgern, wie die sogenannte Zwischenleiblichkeit wirken kann: Betroffene aus belasteten Familien können innerlich derart verwoben sein mit erkrankten Angehörigen, auch und gerade in der Entwicklung ihrer eigenen Gefühlswelt, dass kaum noch eine Unterscheidung zwischen Ich und Du erlebt wird, weder leiblich noch räumlich. Die Gefühle der Eltern wabbern als Atmosphären in den Raum, für die Kinder kaum noch unterscheidbar, wo ihre eigenen Gefühle anfangen, wo sie teil einer Atmosphäre sind. „So werden Gefühle auch zu Indikatoren für die Qualität der Beziehung, in der die anderen Menschen und die Sachverhalte unserer Welt zu uns selbst stehen.“ (Fuchs) Es entsteht ein typischer Schwingungsraum zwischen Eltern und Kindern. Die gelungene oder misslungene Affektabstimmung und der Aufbau von Gefühlen ist maßgeblich für den Aufbau von weiteren Beziehungen. „Gefühle werden im Ausdruck, als Ausstrahlungen, Gesten und Handlungen ‚entäußert’, um so ihrerseits Gefühle in anderen zu induzieren. Ohne dass wir und dessen immer bewusst wären, wirken umgekehrt die Gefühle und Haltungen der anderen ständig auf unsere eigenen ein. So bilden Gefühle einen Raum mannigfaltiger Schwingungen, die sich ausbreiten und ein Eigenleben entwickeln, obwohl sie doch zugleich das persönlichste in uns sind.“ (Fuchs 2000) Also vereinfacht: was wir an Beziehungserfahrung gemacht haben, das wohnt in uns und das geben wir auch in irgendweiner Weise an andere weiter.

Tabu, Geheimnis, Gefühl

Wenn das, was Kinder aus belasteten Systemen bewegt, nicht besprochen werden darf,  nicht nach Außen dringen darf, verstärkt das Stress und Belastung. Zudem verfestigt sich eine Spaltung zwischen  innerem Erleben und dem nach Außen Gezeigten. Viele Kinder können folglich irgendwann nicht mehr unterscheiden, was sie im Angesicht der familiären Tabuisierung fühlen sollen und was sie tatsächlich erleben und fühlen. Gefühle werden zu Leerstellen des Erlebens oder mutieren zu diffusen Grundstimmungen. Dies kann zu einem chronifizierten schlechten Befinden führen, das sich die Betroffenen selbst nicht erklären können. Die erzwungene Verleugnung ihrer realen Lebenssituation (etwa die Drogensucht der Mutter) geht in der Regel so weit, dass sie sich sogar vorwerfen, sich grundlos schlecht zu fühlen. Dieses auf den ersten Blick paradox erscheinende Phänomen ist jedoch bei genauerer Sicht auf die belastete Biografie nachvollziehbar.

Kinder der Krise

Die vorab beschriebenen dauerhaften Krisen von Kindern aus belasteten Familien, messbar am Serum-Cortisolspiegel, können neuronale Strukturen des Hippocampus, der Amygdala und des Corpus Callosum zerstören. Verursacht werden dadurch organisch begründbare Regulationsstörungen, später auch komplexe Störungen von Lernen, Emotionen und Verhalten (Trost 2003). Auch wenn dieser Zusammenhang von neuronaler Schädigung für betroffene Kinder in quantitativen Untersuchungen noch nicht hinreichend untersucht ist, muss vermutet werden, dass Gehirne von Kindern aus belasteten Familien durch das emotionale Klima ihrer Familien stark geprägt sind. Es steht zu befürchten, dass lang andauernde wiederholte Belastungen der familiären Umwelt neuronal entsprechend verankert werden und diese ‚emotionalen Straßen’ auch dann aufgesucht werden, wenn es nicht mehr von Nöten ist. Dies zeigte sich bei denjenigen erwachsenen Personen, die bis ins hohe Alter keine Auflösung des familiären Tabus erfahren hatten, bei denen sich etwa Suchtbelastung durch etliche Jahrzehnte zog und auch im Erwachsenenalter lebensbestimmend blieb. Es scheint in diesem Fall schwer zu sein, eingefahrene Hirnstraßen zu verlassen (etwa die der Angst und Ohnmacht) und neue Straßen (Freude,Hoffnung etc.) zu befahren. Damit kann ein wesentlicher Faktor zur Orientierung in der Welt durch das familiäre Erleben maßgeblich negativ beeinflusst werden. Sogar genetisch scheinen diese Erfahrungen Spuren zu hinterlassen (In jüngerer Zeit wurde an Mäusen nachgewiesen, dass die Gene bei Nachkommen traumatisierter Mütter in Mitleidenschaft gezogen waren; sie zeigten sich als weniger Stressresistent und verzweifelter in eigenen Krisensituationen).

Stress und Krankheit

Viele kennen es aus eigener Erfahrung: Man wird zur anstehenden Prüfung nicht krank, aber kurz danach. Interessante Erkenntnisse hierzu liefert die Psychoneuroimmunologie: In der Stresssituation selbst ist ein Hochfahren des Systems erforderlich, eine Aktivierung des Immunsystems erfolgt. Ein Schutzsystem wird aufgebaut, da Entzündung  nun gefährlich wäre. Es erfolgt eine Corstisolausschüttung im Körper. Cortisol supprimiert die zelluläre Immunaktivität, die uns vor viralen Infekten schützt. Und so findet man der Harvard University Zusammenhänge: bei Überforderung und Stress fordert das Zwischenhirn an, in den Nebennieren Adrenalin zu produzieren. Es erfolgt also eine Verteidigung auf körperlicher Ebene, Erregung wird gedämpft. Chronischer Stress dämpft in der Folge Immunabwehr und zelluläre Abwehr. Folge waren eine Reihe von Anfälligkeiten: die Versuchspersonen zeigten sich  Grippe-und Herpesanfälliger, anfälliger für Neurodermitis-und Autoimmunerkrankungen sowie Allergien. Dies konnte auch an Kindern stressbelasteter Mütter nachgewiesen werden.Man fand beispielsweise Zusammenhänge zwischen traumatischen Erfahrungen im Kindesalter und Rheumaerkrankungen im Alter. Biochemische Vorgänge sind komplex. Der Zusammenhang zwischen Stress in der Kindheit und späterer Krankheit lässt sich heute erklären: Das überforderte System ist irgendwann erschöpft. Es kommt zu vermehrten Entzündungen, was zu schweren Erkrankungen wie Rheuma, Krebs usw. führen kann (hierzu auch Christian Schubert, Innsbruck, Integrativer Therapeut und Psychoneuroimmunologie/Psychotherapie- Integrierte Medizin).

Denken wir die vorangestellten Forschungen für Erwachsene aus belasteten Familien weiter, so wird deutlich:

  • es besteht ein Zusammenhang zwischen emotionalen Belastungen in Kindheitstagen und emotionaler Befindlichkeit im Erwachsenenalter
  • es besteht ein Zusammenhang von wiederholten stressenden Kindheitserfahrungen und chronischen/schweren Erkrankungen im Erwachsenenalter.

Eine große Belastung der Lebensqualität von Menschen mit belasteter Kindheit erschent  evident.

„Help…I need somebody“

In der Überschrift, hier mit einem Oldie der Beatles, wird kurz auf den Punkt gebracht, was wir Kindheitsbelastungen, Stimmungs-und Befindlichkeitstörungen entgegensetzen können: Hilfe suchen und annehmen, die Verbindung und Zuwendung von anderen, nahestehenden Menschen… also können wir etwas tun!

Fasst man die vorab geschilderten Forschungsergebnisse zusammen, so sind die Belastungen und Folgen bei Kindheitsbelastungen hoch einzustufen. Und dennoch eine gute Nachricht aus der Forschung:  es gibt Stärkendes! Widerstandskräfte, die uns schützen, sogenannte Resilienzen. Resilienzen sind also das, was uns stark macht.  Resilienzen sorgen dafür, dass viele Menschen mit Kindheitsbelastungen eben auch nicht erkranken. Eine bedeutsame stabile Beziehung im Umfeld eines aufwachsenden Kindes ist eine solch hochwirksame Resilienz. Sind Erkrankungen vorhanden, zeigten sich etwa Meditation und soziale Anbindung als hochwirksam. Vernetzen und andere Menschen mit ins Boot Holen zeigt in allen Lebensphasen Wirkung. Nervensystem und Immunsystem können einander verständigen, dies können wir für uns nutzen. Decartes Dualismus hat lange Medizin bestimmt. Aber neuere Forschungen überprüfen, wie Gehirn und Immunsystem zusammenhängen und es wird deutlich: sie sind in ständigem Austausch. Ein gestresstes Gehirn beeinflusst das Immunsystem, somit gilt auch die Umkehrung: ein entspanntes Gehirn entlastet den Körper. Körper und Geist sind eine Einheit, was ganzheitliche, integrative, leiborientierte, kreative und komplementär-Medizin für Betroffene auf den Plan ruft. Basis bildet weiterhin die Schulmedizin. Gute Erfolge ließen sich auch durch kognitive Umstrukturierung erzielen, also problematische, dysfunktionale Gedanken, etwa durch einen anderen Gedanken zu ersetzen ( wie es in einigen Religionen und Philosophien auch seit Jahrtausenden gelehrt wird)…  Selbstheilung können Sie aktiv unterstützen. Sogar ein EEg kann signifikant verändert werden. Sie können durch Ihre Lebens-und Denkweise Einfluss nehmen.

Ein wichtiger Faktor: ein Feld der Hoffnung und Zuwendung (Liebe auch zu nennen), im Idealfall zu Hause. Der Satz: „Ich kann gesund werden!“, oder: „Ich kann meine Kindheitswunden überwinden!“ gehört zur hochwirksamen Einstellung, die Veränderung möglich werden läßt. Hilfe für Betroffene muss individuell erfolgen, spezifisch zugeschnitten sein: sie benötigt mindestens einen wohlwollenden Anderen. Immer sollte sie Anregung zur Selbsttätigkeit beinhalten (hierzu auch das AWOKADO-Selbsthilfe-Programm in Vater, Mutter, Sucht 2015)
Glauben wir der Psychoneuroimmunologie, so hilft: Optimismus, stabile Sozialkontakte, guter Alltag und körperliche Nähe.

Filmbeitrag Selbstheilungskräfte und Psychoneuroimmunologie:http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=41334

Fuchs, T. (2000). Leib-Raum-Person. Entwurf einer Phänomenologischen Anthropologie. Stuttgart: Klett Cotta.

Fuchs, T. (2008): Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Eine phänomenologisch-ökologische Konzeption. Stuttgart: Kohlhammer.

Hüther, G. (1999): Biologie der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Lammel, U. A. (2007). Phänomenologie einer Jugendkultur in den 90er Jahren und Anfragen an Soziale Arbeit in Praxis und Ausbildung. In H. Petzold, P. Schay, P. & W. Ebert (Hg.), Integrative Suchttherapie. Theorie, Methoden, Praxis, Forschung (2. Aufl.) (S. 17-63). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Michaelis, K. & Petzold, H. (2010). Zur Situation von Kindern suchtbelasteter Familien aus Sicht der integrativen Therapie. Integrativ-systemische Überlegungen zur Entwicklung von Risiko und Resilienz bei Kindern mit suchtkranken Eltern. Integrative Therapie, 36 (2/3), 252-280.

Orth, I. ( 2012): Unbewusstes in der therapeutischen Arbeit mit künstlerischen Methoden,kreativen Medien – Überlegungen aus der Sicht „Integrativer Therapie“ in Polyloge, Internetzeitschrift der EAG-FPI.

Spitzer, M. (2002). Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidelberg: Spektrum.

Trost, A. (2003). Interaktion und Regulation bei suchtkranken Müttern und ihren Säuglingen. In Landschaftsverband Rheinland, Dezernate Gesundheit und Jugend/ Landesjugendamt (Hg.), Suchtfalle Familie?!. Forschung und Praxis zu Lebensrealitäten zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Dokumentation der gemeinsamen Fachtagung der KFH NW, Forschungsschwerpunkt Sucht, und des Landschaftsverbandes Rheinland, Dezernate Gesundheit und Jugend/Landesjugendamt. Köln.

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Der hohe Preis fuer ein Gefuehl: Zugehoerigkeit

Wenn Menschen von Beginn ihres Lebens an bereits erleben müssen, dass sie Bindung und Zugehörigkeit nicht selbstverständlich von den Eltern erhalten, dann kann eine tiefe Zugehörigkeits-und Beziehungswunde entstehen…eine Wunde, die oftmals nur schwer verheilt. Betroffene kämpfen ein Leben lang um dieses existentielle Gut, in ihrer Familie dazuzugehören, ebenso später zu Gruppen, sozialen Systemen oder zu einem Einzelnen. Da oftmals ähnliche Strukturen wie die familiär bekannten gesucht werden, stoßen manche wieder und wieder auf Menschen und Institutionen, die für wenig Zuwendung viel verlangen: Leisten ohne Anerkennung, Unterwerfung, Aufgeben eigener Bedürfnisse, Geheimnisse tragen und verschweigen etc….Verschweigen von Unliebsamem und Falschaussagen Abnicken sind an der Tagesordnung und gleichsam Eintrittskarten, um in den Kreis der Dazuhörigen zu gelangen. Erneut drohen derart Betroffene, zu Erfüllungsgehilfen zu werden: von Menschen, die sie für sich (miss)brauchen.

Manche Seele wurde schon auf dem Altar des Götzen des Zugehörigkeit geopfert. Viel von unserer Lebendigkeit kann auf diesem Altar zurückbleiben: sich zugehörig und verbunden fühlen, sich aufgehoben und geborgen fühlen ist ein menschliches Grundbedürfnis, ja mehr noch ist es die Grundlage unserer Identität, für die gerade erwachsene Kinder von schwierigen  Eltern oft einen hohen Preis bezahlen müssen. Denn: Erst durch die anderen erfahren wir, dass wir sind.  „Anklang zu fühlen macht die eigene Daseinsberechtigung für uns fühlbar und konkret erlebbar.“ ( Gindl 2002, S.15). Da, wo Kinder gesehen, gehört, verstanden und gefühlt werden, dort wo sie eine positive Resonanz erfahren, dort wissen Sie um sich, dort kann sich ihre Identität gedeihlich entwickeln-. In der Kindheit brauchen wir diese selbstverständliche und nicht an Bedingungen gebundene Zugehörigkeit insbesondere.

Was hilft? In Studien beschreiben Betroffene Hilfefaktoren ( s.a. AWOKADO-Konzept/Barnowski-Geiser). Ihnen hatte geholfen: die Wunde anzuerkennen, sie zu pflegen und betrauern, neuen Anklang zu finden, das war möglich in neuen „Anderen“, in Therapeuten oder neuen Vertrauten… und auch in Musik, durch die sie ihr seelisches Erleben gespiegelt fühlten. Dann konnte die Musik erzählen, wofür es keine Worte gab.

 „Vor der Therapie war ich hinter einer hohen Mauer gefangen, alles war grau. Ich bin im Kreisen um mein Gewicht gefangen, ich hungere, ich werde immer dünner – das Leben macht kaum Sinn.“ Sie holt das Monochord. „Als ich in der ersten Stunde dieses Monochord angespielt habe, war das ganz unbegreiflich. Ich spürte Schwingung, ich spürte Leben – es erschütterte mich wie es mich faszinierte. Ein einziger Ton, so wenig und so viel – die Hoffnung auf eine grüne Wiese, die Hoffnung auf Leben!“ (Barnowski-Geiser 2009)

In diesem Beispiel aus der musiktherapeutischen Praxis eröffnet ein einziger Ton eine zukünftige Dimension: die Hoffnung auf einen Wandel des eigenen Erlebens. „Mit der tönenden Verarbeitung beginnt der zukünftige Umgang mit etwas Ungelöstem.“ (Hegi 1986, S.153) Das ist Lebensqualität. Gesehen und gehört Werden, eine neue Bindungserfahrung machen Im AWOKADO-Konzept steht das zweite A für den hier beschriebenen Hilfe-Faktor Anklang.

  „Es war sehr ungewöhnlich für mich, dass ich etwas sage und jemand darauf eingeht. Früher habe ich meistens etwas gesagt und niemand schien hinzuhören, niemand schien etwas von mir hören zu wollen – schon gar nicht die Wahrheit. So habe ich irgendwann geschwiegen und war ein stummes Kind. Dieses Echo hier ( in der Therapie, Anm. d. Verf.) hat mir Mut gemacht, etwas zu äußern.“ (Barnowski-Geiser 2009)

Auch in musiktherapeutischer Improvisation können neue Resonanzerfahrungen möglich werden: Sie spielen etwa einen Ton, der wiedergibt, wie Sie sich fühlen und jemand anderes antwortet mit seinem Ton; es entsteht Zusammenklang. Während Sie sich selber hören, erfahren Sie sich und den anderen und im Spiel entsteht bereits ein neuer gemeinsamer Klang, eine Urerfahrung der Identitätsentwicklung kann nachgeholt werden, neue Beziehungserfahrungen auf spielerischem Wege möglich werden. Alte Wunden erhalten eine Chance auf Heilung.

Gute Pfingsttage

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Familienatmosphäre und Lebensqualität

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Coronakrise erzeugt Atmosphaeren.Kinder aus belasteten Familien sind besonders anfaellig und sensibel fuer Atmosphaeren um sie herum.Augenblicklich beschreiben viele Bedrohungsatmosphaere unter sonnigem Nichts-Ist… Musik kann Helfen.

Fühlen Sie sich manchmal, gleichsam aus dem Nichts, scheinbar grundlos, schlechter Stimmung? Fühlen Sie sich aus heiterem Himmel überfallen von Leere oder Traurigkeit? Dann teilen sie dieses Schicksal mit vielen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien: alte Atmosphären prägen aktuelles Erleben. Verdrängte Altlasten beeinträchtigen ihr Lebensgefühl, bestimmen oft unbemerkt Lebensqualität (Orth, Ilse 2012).
Wenn Menschen in einer belasteten Familie aufwachsen, dann erzählen Diagnosen (etwa „Suchtkrank“ oder „Borderline“) wenig über das, was dies alltäglich für die mitbetroffenen Angehörigen, insbesondere für Kinder, bedeutet. Familienbeziehungen sind zwischenleibliche Beziehungen (Ilse Orth). Der Alltag der Familien ist geprägt durch Atmosphären, die sich aus den Gefühlen und Stimmungen der beteiligten Familienmitglieder ergeben. „Zum Zerreißen gespannt“, „Unberechenbar und ungeheuerlich bedrohlich“, „Wie ein Monster lauerte die Gewalt aus den Ecken“…, so oder ähnlich beschreiben es Betroffene. Für Kinder aus belasteten Familien ist der Vorgang, tagtäglich Krisen anzusehen, diese hautnah zu erleben, per se eine Belastung. Wenn diese Krisen zugleich tabusisiert werden, als nicht vorhanden, mit „Es ist doch nichts!“ familiär belegt werden, drohen diese Krisen zu einer Quelle großen Leidens zu werden. Als dramatisch an diesem Leiden zeigte sich insbesondere, dass die erlebten Szenen und Atmosphären Betroffenen wenig greifbar erschienen. Wenn diese nicht greifbaren Atmosphären die Kindheit bestimmen, sie „nur so in der Luft liegen“, so werden diese von den betroffenen Kindern verinnerlicht: sie wirken weiter in ihrem Denken, in ihrem Fühlen, wohnen in ihren Körpern, in einem, wie wir es in der leiborientierten Therapie nennen, Leibgedächtnis – es wird sie in ihrem Erwachsen Werden und Sein begleiten.Es entscheidet mit darüber, wie sie auf die Welt zugehen. So werden leicht aus den im Tabu gefangenen Einsamen und Stummen aus Kindheitstagen Erwachsene Burgbewohner mit Haut und Haar (Barnowski-Geiser 2015). Bleiben die alten familiären Szenen unaufgearbeitet, so weben sie ein unsichtbares Netz von Stimmungen im Heute: unbegreifliche Traurigkeit, überbordernde Ängste etc. Sie drohen eine Quelle fortgesetzten Leidens, weitergegeben von Generation zu Generation, zu werden.

Der erste Schritt heraus aus diesem Dilemma ist Achtsamkeit für die eigene Stimmung und Befindlichkeit. Dazu finden Sie auf diesen Seiten einige Übungen. Im zweiten Schritt besteht die Möglichkeit, genauer zu schauen: differenzieren Sie: welche Stimmung gehört gerade jetzt zu ihnen und welche Stimmung gehört in Ihre Vergangenheit. Gehört etwa die Ängstlichkeit eher ihren Eltern als Ihnen selbst? Überprüfen Sie…

Ihre eigenen Stimmungen und Gefühle kommen Ihnen ganz fremd vor.? Sie wissen wenig darüber, sie sind Ihnen kaum zugänglich? Es lohnt ein Ausflug in die Musiktherapie: sie enthält,vielleicht auf den ersten Blick, ungewöhnlich erscheinende Zugänge…

Was hören Sie gerne? Welche Stimmungslage ist in dieser Musik angesprochen?

Musik kann einerseits ein guter Spiegel sein, was Ihre Seele gerade stimmungsmäßig beschäftigt, andererseits können Sie mit Musik aktiv etwas in schwierigen Stimmungslagen tun.

Kreativ-Coaching Sei dein eigener DJ

Suchen Sie in dieser Woche jeden Tag ein Musikstück, das genau Ihrer Stimmungslage entspricht. Tanzen Sie zu dieser Musik- auch wenn Ihnen das vielleicht unpassend erscheint. Nach diesem Tanz suchen Sie eine Musik, die Ihnen jetzt gut tut…vielleicht ist diese Musik völlig gegensätzlich…tanzen Sie auch diese Musik. Spüren Sie nach….wie geht es Ihnen jetzt? Notieren Sie in einem Heft, welche Musik Ihnen besonders bei schlechter Stimmung hilft.

Wenn die Belastung durch ihre Stimmungen für sie quälend wird, kann es ratsam sein, Hilfe und Unterstützung professioneller Art in Anspruch zu nehmen.

Quellen
Barnowski-Geiser (2015): Vater, Mutter, Sucht. Wie erwachsene Kinder suchtkranker Eltern trotzdem ihr Glück finden.
Orth, Ilse (2012): Unbewusstes in der therapeutischen Arbeit mit künstlerischen Methoden, kreativen Medien – Überlegungen aus der Sicht „Integrativer Therapie“ (in Polyloge/Internetzeitschrift)

Mehr aus wissenschaftlicher Perspektive zu Familienatmosphäre, Stimmungen und Lebensqualität… hier weiterlesen

Vater, Mutter, Sucht – Wie erwachsene Kinder suchtkranker Eltern trotzdem ihr Glück finden.

Vater, Mutter, Kind: dieses alte Kinderspiel erfährt in Familien mit Suchtkranken eine tragische Abwandlung. Wenn Eltern suchtkrank sind, nehmen ihre Kinder einen anderen Platz ein, als es bei Kindern mit gesunden Eltern der Fall ist. Bei einem Menschen, der an einer Sucht leidet, kommt diese immer an erster Stelle. Die Sucht nimmt den Platz ein, der eigentlich den Kindern zusteht. Das Handeln des Süchtigen ist nicht auf seine Kinder, sondern auf sich und das Suchtmittel konzentriert, letzteres ist bei Suchtkranken der Dreh- und Angelpunkt. Wie und wann ist das Suchtmittel zu bekommen? Wie ist es zu vermeiden. Das sind die Fragen, die den Alltag bestimmen. Die Gedanken eines alkoholkranken Elternteils kreisen letztlich nur darum, wie er an Alkohol kommen kann, der Tablettensüchtige denkt ständig an seine Tabletten, der Drogensüchtige an seinen Stoff, der Workaholic an seine Arbeit usw. Dies bleibt nicht ohne Folgen für das System, für die Umgebung, in der Suchtkranke leben, hier vor allem für die Familien. Der Gebrauch des Suchtmittels greift in das Familienleben ein, bestimmt, wie die Mitglieder zusammen leben können oder eben auch nicht mehr.Featured image
So bekommen Kinder aus Suchtfamilien ungewollt einen Platz zugewiesen, der ihnen wenig gerecht wird. Die mit der elterlichen Sucht einhergehende Belastung wird nie mehr von ihnen weichen, denn wie eine Betroffene es ausdrückte: »Suchtkind bleibt man ein Leben lang!« Selbst wenn sie das Elternhaus schon lange verlassen haben oder der süchtige Elternteil verstorben ist: Sucht gleicht einem Zombie, der die Seelen der Kinder zu zerfressen droht – und das unbemerkt. Die Menschen aus dem Umfeld werden leicht zu Statisten, zu hilflosen Zuschauern, die unbeteiligt wegsehen, weil das Leid und die Ohnmacht zu unfassbar erscheinen, nicht begreifbar, nicht veränderbar. So sehen Erzieher/innen, Lehrer/innen und Nachbarn in der Regel untätig zu, während sich hinter den verschlossenen Türen der Suchtfamilie womöglich tagtäglich Dramatisches abspielt. Die Kinder dürfen nicht über ihr Leid sprechen, die Eltern schweigen aus Scham. Wenn sie doch mit ihrer Sucht an die Öffentlichkeit gehen, finden sie vielleicht einen Platz, an dem ihnen geholfen wird, ihre Kinder dagegen bleiben meistens selbst dann noch auf tragische Weise im Abseits.
Kommt die Sucht, wie so oft, nicht laut, sondern mehr schleichend, leise daher, wird es noch schwieriger, sie zu erkennen. Die Belastung für die Betroffenen nimmt immens zu, denn sie fragen sich, ob es diese Sucht überhaupt gibt oder gab, ob sie sich diese nur einbilden. »Ist das nicht normal, was meine Eltern da gemacht haben!«, lautet dann die Frage der Verunsicherten, oder: »Ist es nicht normal, dass Mama täglich Tabletten nimmt, die sie doch braucht!«, »Ist es nicht normal, ein paar Bier zu trinken?«, »Ist es nicht normal, auf sein Gewicht zu achten?« Oft noch als Erwachsene sind die Kinder suchtkranker Eltern tief verunsichert.

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Übung 4: Bin ich ein „Suchtkind“?

Vielleicht fragen Sie sich, ob sie selbst zum Kreis der betroffenen Erwachsenen gehören, die hier (auch im Buchtitel) angesprochen werden. Das wäre sehr typisch für die Art und Weise, wie erwachsene Kinder aus Suchtfamilien mit ihrer Kindheitsbelastung umgehen. »Suchtkinder«, wie ich erwachsene Kinder suchtkranker Eltern hier im Folgenden nennen möchte, nehmen oft grundsätzlich an, dass dieses Thema aus Kindertagen erledigt sei, und zum anderen, dass sie keine Probleme haben, oder wenn doch, dass diese Probleme (Symptome etwa körperlicher Art) nichts mit der früheren Situation in der Herkunftsfamilie zu tun haben. Dies kann ein tragischer Fehlschluss sein, mit weitreichenden Folgen für Ihre Lebensqualität…

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Zitate aus Befragungen (2008/2009; 2015) im Folgenden unkommentiert: Vielleicht finden Sie sich oder jemanden, der Ihnen wichtig ist, in diesen Aussagen wieder?

Die nachfolgenden Zitate stammen von Erwachsenen, die über mehrere Jahre mit suchtkranken Eltern gelebt haben:

„Es (das Suchtverhalten/ Anm. d.Verf.) war in unserer Familie zu einem stummen Thema geworden!“/Frau L.

„Es ging fortwährend darum, dass wir nach Außen eine perfekte Fassade lieferten – wie es mir ging, spielte keine Rolle!“/Frau I.

„… denn offensichtlich ist dieser familiäre Wahnsinn das Leben!“/Frau H.

„Wenn meine Mutter schreckliche Dinge im Suff getan hatte, taten alle so, als wäre nichts passiert!“/Frau Z.

„… ich bettle schon ein Leben lang um Liebe.“/Frau I.

„Entsetzt bemerkte ich, dass es dieses „Ich“ nicht mehr gab!“ /Frau I.

„… ich verschwinde, während ich sein Verschwinden zu verhindern suche.“/Frau E.

„Wir sind du und du bist wir!“/Frau E. zur Einstellung ihrer Mutter

Ich habe lieber, wenn etwas Schreckliches passiert! – Wenn es mal gut ist, warte ich nur auf das Schreckliche- das WARTEN ist noch furchtbarer“/Frau I.

„Vielleicht hätte ich ihn mehr lieben müssen! Dann hätte mein Vater vielleicht nicht getrunken“ (Frau S.)

„Ich tanze auf einer Hochspannungsleitung im kühlen Korsett!“/Frau P.

„Und ich war ihrer Ansicht nach schuld, dass sie immer mehr trank…“/Herr I.

Drogen waren für meine Eltern „Lifestyle“- sprach ich von Belastung wurde ich ausgelacht und als spießig dargestellt.“/Herr H.

„Bei uns zu Hause gab es gar keine Grenzen.“/Frau O.

„Ich habe oft schon Angst gehabt, bevor meine Mutter nach Hause gekommen ist/Felix

                                          „…alle Männer in unserer Familie waren depressiv…und süchtig.“ (Frau G)

„Ich kann ihm wirklich nicht die Mutter ersetzen!“ (Frau R.)

„Wir waren voll mit Gefühlen, die aus der Suchterkrankung resultierten und doch durften wir nie über unsere Gefühle reden. Gefühle waren das absolute Tabu!“/Herr I.

Wenn einige dieser Aussagen auch von Ihnen stammen könnten und sie sich zugleich schon lange fragen, ob das Verhalten ihrer Eltern mit dem Etikett „süchtig“ zu bezeichnen ist/war, dann könnten das Hinweise auf eine (möglicherweise auch verdeckte) elterliche Suchterkrankung oder andere familiäre Belastungen in der Kindheit sein. Vielfach ist die elterliche Suchterkrankung, wie Suchtkinder oftmals fälschlich annehmen, nicht nur an der konsumierten Menge fest zu machen (und auf die Kontrolle und Beweisführung wird oft viel Energie bei Angehörigen verwendet): Bedeutsamer und wirksamer für den eigenen Weg der Suchtkinder ist das Aufspüren krankmachender Familiendynamiken sowie der spezifischen Familienatmosphäre. Denn diese Dynamik und Atmosphäre kann massive Auswirkungen auf das Erleben der Suchtkinder haben, sogar wenn sie viele Jahrzehnte zurückliegt. Wenn Sie sich oftmals, (scheinbar grundlos) leer, schuldig und „unnütz“, nicht „richtig“, nicht zugehörig oder wertlos fühlen ( obwohl sie z.B. „objektiv“ viel leisten), dann kann die Wurzel dieser Gefühle in elterlicher Suchterkrankung begründet sein.Dann kann es für Sie wichtig sein, sich mit Familienatmosphären näher zu beschäftigen. Häufig stellen Suchtkinder in dieser Beschäftigung fest, dass diese negativen Stimmungen und Gefühle eigentlich gar nicht zu ihnen gehören, sondern zu ihren belasteten Eltern. Diese haben sie über Jahre während ihrer Erkrankung, meist unbewusst, an sie weitergegeben oder abgegeben (delegiert).

Zusatzanregung: Suchen Sie ein Musikstück, das erzählt, wie Sie sich eine gute Familienatmosphäre vorstellen…Lassen Sie sich Zeit: Hören Sie in den nächsten Tagen Stücke im Radio oder zu Hause bewusster aus dieser Perspektive.

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Zu Beginn meiner Tätigkeit habe ich, wie viele professionell Tätige in diesem Bereich, mit erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien gearbeitet, ohne wirklich das Ausmaß ihrer Belastung zu kennen. In meiner Praxis, in der Schule, in Ausbildungszusammenhängen gehörte dieses Thema zu meinem Aufgabenfeld, doch ich bemerkte zunächst nicht, wie weitreichend die Folgen der elterlichen Suchtbelastung wirklich waren – ich wusste ebenso wenig darum wie die Betroffenen selbst. Erwachsene Kinder aus Suchtfamilien ahnen oftmals nichts von ihrer Belastung und deren Ausmaß, sie sprechen nicht über ihre Herkunftsfamilie, scheint das alles doch viel zu lange her zu sein. Viele wissen nicht mehr, dass ihnen etwas angetan wurde – aufgrund diffuser körperlicher und seelischer Beschwerden merken sie nur, dass irgendetwas nicht mit ihnen stimmt. Da ihnen das Ausmaß selbst nicht bewusst ist, sie zudem gelernt haben, zu tabuisieren und zu verdrängen, sprechen sie nicht über das in der Kindheit Erlittene. Betroffene lebten und leben mit Eltern, die ihre Sucht verleugnen, und so verleugnen sie selbst, was ihnen angetan wurde.

Es soll nicht etwa »Grässliches«, Schlimmes und Traumatisches, das in Suchtfamilien passiert ist, gewaltsam an die Oberfläche gezerrt oder als Sensation zur Schau gestellt werden, vielmehr wird versucht, mit Hilfe eines gemeinsamen Blicks auf die kindliche Vergangenheit, eine neue Basis für ein zufriedeneres Leben mit sich und anderen zu schaffen.

Frau L. 44 Jahre: „Ich habe eigentlich neu laufen gelernt!“
„Ich fühlte mich vor der Therapie wie in einem Hamsterrad gefangen. Alles war schwarz und grau. Ich sah und spürte nichts mehr, ich wusste weder, wo ich hinwollte, noch warum sich alles so furchtbar anfühlte – ich gab mir daran die Schuld. Jetzt fühle ich mich gut, was mir auch sehr fremd ist, da es das in meinem Leben so wenig gab. Da brauche ich immer wieder Mut, dem Neuen zu vertrauen. Ich glaube, mir hat geholfen, dass ich in der Therapie Schritt für Schritt Begleitung hatte. Ich musste bei jedem noch so kleinen Schritt Hilfe haben, ob er gerade wieder wirklich für mich stimmig ist, ob es richtig ist für mich – oder ob ich nur reagiere auf das, was andere erwarten.

Das war mühsam, aber ich empfinde nun oftmals Frieden und Freude. Ich musste von Stunde zu Stunde Wegweiser haben, um jeweils zu wissen, wie es genau weitergeht. Ich habe eigentlich neu laufen gelernt. Es haben sich neue Ziele und Blickwinkel in dieser Zeit entwickelt. Ich habe meine Belastungen erkannt und abgeworfen.

Nach meinen Erfahrungen können erwachsene Kinder, auch wenn die Erfahrungen mit süchtigen Eltern schon Jahrzehnte zurückliegen, nur dann wirkliches Verständnis für sich selbst, ihr Verhalten, ihre Gefühle und ihre Nöte entwickeln, wenn sie einen Blick auf das, was ihnen angetan wurde, wagen. Oftmals sind sie erst dann in der Lage, ihre Stärken zu würdigen und Rollenmodelle des eigenen Lebens zu verstehen – im Buch Vater, Mutter, Sucht ermöglicht ein Selbsttest darüber näheren Aufschluss. Mittels meiner Forschungen und Praxiserfahrungen habe ich das AWOKADO-Programm zusammengestellt, das Suchtkinder auf dem Weg in ein glücklicheres Leben unterstützen kann; auch professionell Tätige können es bei der Arbeit mit Suchtkindern einsetzen. Wer verdrängt, steckt fest! Wer hinschaut und aktiv wird, kann wachsen – …

Text in Anlehnung an eine Leseprobe zu Vater, Mutter, Sucht beim Klett-Cotta-Verlag.

Eine etwas andere Fremdsprache erlernen: Von der Weisheit der Körpersprache

„Mein Körper spinnt, der macht einfach nicht mit mehr mit. Der macht, was er will!“ Herr I., 29 Jahre)

„Ich hasse meinen Körper, alles würde wunderbar funktionieren, aber er macht mir alles kaputt! – Ich will ihn nicht spüren.“ (Frau N., 34 Jahre)

zitiert nach Barnowski-Geiser ( 2009) Hören, was niemand sieht. Semnos

Menschen mit Kindheitsbelastungen erleben ihren Körper oftmals als fremd, als von ihnen getrennt, eigenständig, abgelöst von ihrem sonstigen Sein: der Körper erscheint teilweise förmlich widerständig zu ihrem geplanten Handeln. Da möchte jemand immer noch mehr der an ihn gestellten Aufgaben schaffen und der Körper versagt die Funktion: Sehausfälle, Konzentrationsstörungen, bis hin zu Zusammenbrüchen häufen sich. Wenn für diese und andere Symptome keine organische Ursache auszumachen ist, lohnt es sich, „Körpersprache“ zu lernen. Oft im Nachhinein, wenn wir begreifen können, sehen wir, dass der Körper offenbar über eine höhere Weisheit, ein tieferes Bewusstsein oder Intelligenz verfügt, die uns noch nicht zugänglich war. Meist wird der Körper von Betroffenen erst dann wahrgenommen, wenn er in seiner Funktion gestört ist: Somit wird, wenn wir es leibtherapeutisch betrachten, der „Leib, der ich bin“ zum „Körper, den ich habe“. (Fuchs 2000) Während der gesunde Körper im Hintergrund als selbstverständliche und selbstvergessene Existenz nicht beachtet wird, rückt der kranke Körper als von uns losgelöstes Feindbild in den Blick: als außerhalb der eigenen Person liegendes Problemfeld. Der leibtherapeutisch orientierte Psychiater Professor Thomas Fuchs fasst Krankheit als gestörte Harmonie auf, die mit einer Entfremdung, einer „Partikularisierung“ innerhalb der Leiblichkeit einhergehe (Fuchs 2000).

Wenn etwas im Leben nicht rund läuft, wenn etwas sehr belastend ist oder in der Vergangenheit war, dann ist es manchmal der Körper, der dies als erstes ausdrückt.Gedankt wird dieses Überbringen dem Körper meist nicht, eher wird „der Überbringer der Nachricht geköpft.“ Zumindest rückt oftmals der Körper, einem Verräter gleich, in die Ecke unserer Feinde: Er bedroht uns, schreit Dinge, die wir nicht hören wollen. „Die Seele atmet durch den Körper und Leiden findet im Fleisch statt, egal ob es in der Haut oder in der Vorstellung beginnt.“ (Damasio 1997, S.19) Im Umkehrschluss heisst Verbindung zum Körper somit Integration, „ihn als Teil der eigenen Innenwelt anzuerkennen und ihn nicht nur als ein Ding, als einen Gegenstand, einen biologischen Organismus, also als Teil der Außenwelt (was der Körper natürlich auch ist), zu behandeln.“ (Seemann 1998, S.17)

Es ist für Menschen mit Kindheitsbelastungen besonders bedeutsam und lohnenswert, den Körper nicht losgelöst vom Fühlen und Denken zu sehen. Nehmen wir hinzu, dass viele Menschen unter unausgesprochenen Tabus in ihren Familien leiden, erscheint es als eine wunderbare Leistung, dass der Körper gerade das Unaussprechliche auf seine Weise  zur Sprache bringen –. Wir müssen oft sehr mühsam seine Sprache erlernen – Körpersprache ist für viele Kindheitsbelastete eine Fremdsprache, deren Erlernen dringend angezeigt ist.

Neurowissenschaftler zeigen einen engen Zusammenhang zwischen Körper und Bewusstsein. Sie finden Belege, „dass der Körper, wie er im Gehirn repräsentiert ist, möglicherweise das unentbehrliche Bezugssystem für neuronale Prozesse bildet, die wir als Bewusstsein erleben: „dass unser eigener Organismus und nicht irgendeine absolute äußere Realität den Orientierungsrahmen abgibt für die Konstruktion, die wir von unserer Umgebung anfertigen, und für die Konstruktion der allgegenwärtigen Subjektivität, die wesentlicher Bestandteil unserer Erfahrungen ist; dass sich unsere erhabensten Gedanken und größten Taten, unsere höchsten Freuden und tiefsten Verzweiflungen den Körper als Maßstab nehmen.“ (Damasio 1997, S.17)

Es kann sich lohnen, Ihrem Körper und seiner inneren Weisheit Raum zu geben. Machen Sie ab sofort mindestens einmal in der Woche (besser jeden Tag) einen Körpertreff: Nehmen Sie ein paar Atemzüge und lassen Sie dann Zeit, dass sich der Körper bei Ihnen melden kann…laden Sie Ihren Körper als Gesprächspartner zu sich ein …oder mit einem Körperteil, dass etwas erzählen kann…Fragen Sie Ihren Körper, was ihm zuviel und zu wenig ist…was er braucht, um gut zu arbeiten…

Klingt fremd? Nur Mut, probieren Sie es aus!Meist erhalten wir spannende, manchmal unbequeme Antworten vom Körperfreund…

Eine sonnige Woche wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Bücher

zum Themenfeld

„Ich erwarte nichts, dann werd ich auch nicht enttäuscht!“ – Warum sich freuen für Kindheitsbelastete eine Mutprobe bedeutet

„Ich erwarte nichts!“, sagt Herr I.mit dem Brustton der Überzeugung, „dann werde ich auch nicht enttäuscht.“ Zugleich beschreibt er Gefühle von Verdruß, eine aufkommende Lebensunlust, nichts mache ihm wirklich Freude.

Menschen aus belasteten Familien, wie auch Herrn I., scheint manchmal die Freude abhanden gekommen zu sein: Wie bei Herrn I. ist dieser Freudverlust Teil einer lebenslangen Geschichte, Teil einer Biografie des schleichenden Freudverlustes. Erkrankte Eltern ( etwa diejenigen, die an einer Sucht leiden) versprechen oft Dinge und halten sie nicht ein. Zum x-ten Male verspricht die Mutter, nicht mehr zu trinken, zum Familienausflug „clean“ zu sein, das Kind zu begleiten…und wieder und wieder wird es nichts, wieder und wieder läuft die Freude ins Leere und wird enttäuscht. Machen Kinder, wie auch Herr I., diese Erfahrung wiederholt und über Jahre, ist einer ihrer Bewältigungswege, das Hoffen und Freuen einzustellen. Die wiederholt erlebte Frustration und Resignation wird gleichsam vorweggenommen, um sie nicht wieder zu erleben. Dieser Selbstschutzmechanismus geht oft einher mit einem Verlust von Lebensqualität. Erst wenn dieser Mechanismus erkannt wird, kann sich langsam die Freude einen Weg in das Leben Betroffener bahnen. Dies erfordert Mut, Mut, einer neuerlichen Enttäuschung ins Auge zu sehen, aber auch den Mut, sich auf eine andere Erfahrung einzulassen.

Gerade in den schwierigen Pandemiezeiten muessen wir selbst Freudvolles regelrecht suchen.Kreativitaet ist gefragt.Und: worauf freuen Sie sich?

Mut zu Freudigem wünscht

IHre

Waltraut Barnowski-Geiser

Eine schwierige Kunst: wie der Beziehungs-Tanz zwischen Mutter und Kind scheitern oder gelingen kann

„Erst als ich die Beziehung zu meiner Mutter bearbeitet habe, hat sich meine Beziehung zu meiner Tochter entscheidend verbessert!“ (Frau I. , 40-Jährige Pädagogin und Mutter einer 12jährigen Tochter)

Häufig ist in der Fachliteratur von schwierigen Kindern die Rede. Aber was ist mit schwierigen Eltern?  Dieses Thema wird eher stiefkindlich behandelt… und wenn es um erwachsene Kinder mit schwierigen Kindheiten geht, erst Recht: wenig und nur vereinzelt kliententelspezifische Hilfe (wie etwa dankenswerterweise in den Beiträgen der KollegInnen Jens Flassbeck, Dami Charf); auch in der therapeutischen Szene muss man das Thema als Ordchideendisziplin bezeichnen. Die Not der betroffenen Menschen erscheint groß, die Ratlosigkeit der therapeutisch Tätigen ebenso: deshalb haben wir, meine Tochter Maren Geiser-Heinrichs ( Psychologin in einer Beratungsstelle) und ich, beschlossen, unsere Erfahrungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Begonnen haben wir diese gemeinsamen Schritte mit einem Selbsthilfebuch für erwachsene Betroffene und begrenzen aufgrund der großen Komplexität der Themen: Wir haben uns als erstes der Mütterthematik  bei erwachsenen Kindern gewidmet, die Väterthematik soll folgen. So viel vorab: wir halten beide Eltern (0der auch andere nahe Bezugspersonen) für bedeutsam in der Lebensentwicklung.

Gern möchten wir mehr Menschen für die Bedeutung kindlicher Erfahrungen sensibilisieren und für Veränderungswege öffnen. Erkennen ist der 1. Schritt auf dem Weg zur Veränderung. Die Qualität der Interaktion (wir beschreiben es in unserem Buch als lebenslangen Tanz) zwischen nahen Betreuungspersonen, meist zwischen der leiblichen Mutter und dem Kind, ist gerade in den ersten Lebensjahren des Kindes entscheidend und wird (nicht nur zu Beginn) entscheidend geprägt durch die Kompetenz der Mutter; sie sollte als die weisere  (Begriff nach Grossmann&Grossmann) agieren ( und kann es nicht zwangsläufig wie gewünscht oder angenommen).  Vor allem Feinfühligkeit und Bindungssicherheit sind als mütterliche Kompetenzen gefragt. Erlebt das Kind hier wenig Einfühlsames und wenig Sicheres, so kann dies weitreichenden Einfluss nehmen: u.a. auf seine Art und Weise in die Welt zu gehen, auf seinen Lebenserfolg, aber auch vor allem auf sein Selbsterleben. Ich empfehle zum tifergehenden Verständnis  an dieser Stelle gern einen Vortrag von Karin Grossmann, in dem sie ihre eindrucksvollen Langzeit- Forschungsarbeiten zur Bindung zwischen Eltern ( auch unter väterlich-feinfühligen Aspekten) und Kind prägnant und gut verständlich erklärt (gut investierte 40 Minuten, finde ich). Wer mehr erfahren mag, dem sei das allerdings hochpreisige Buch des Forscherpaares ans Herz gelegt.

Ein Kind einer, nennen wir sie wie im Buch  „schwierige“ Mutter, kann  an den Folgen eines nicht gelungenen Bindungstanzes zeitlebens mit Leib und Seele leiden -und doch sind die Folgen  nicht zwangsläufig, und auch nicht irreversibel oder irreparabel. Wie genau dieser Tanz zwischen Mutter und Kind vonstatten geht, wie der kindlich erlernte Tanz unser Erwachsenenleben bestimmt und vor allem, wie Betroffene sich im Erwachsenenalter selbst helfen können, möchten wir in unserem neuen Buch beschreiben: Meine schwierge Mutter. Das Buch für erwachsene Töchter und Söhne. Ein kreatives Selbsthilfeprogramm mit Selbsttest kann Sie in Ihrem persönlichen Veränderungs-Prozess unterstützen.

Unser Anliegen: Die Weitergabe durch die Generationen abmildern

In der therapeutischen Praxis zeigt sich: viele Probleme, die Mütter an ihren Kindern beschreiben, kennen diese selbst auch aus Kindheitsttagen… ohne dass ihnen dieser Teil ihrer Biografie wirklich bewusst wäre. Erst auf Nachfragen, etwa „Wie ging es Ihnen im Alter Ihrer Tochter?„, werden plötzlich Paralellen, Wiederholungen durch die Generationen überdeutlich. Die Mutter will nicht gewalttätig sein wie ihre Mutter…und findet doch in Augenblicken der Überforderung mit der eigenen Tochter keinen anderen Weg- Verzweiflung, Selbstvorwürfe, Schuld: ein ungutes Gebräu. Heute wollen diese Frauen und Männer es bei ihren Kindern anders machen: aber weit und breit kein geeignetes Modell in Sicht, ebenso kein verinnerlichtes Arbeitsmodell, das fähig schien, das Alte zu ersetzen. Wer keine feinfühligen Eltern erleben durfte, hat es schwerer, diese Fähigkeit in sich selbst auszubilden. Es wird zur Herausforderung, den eigenen Kindern das nötige Feingefühl, die erforderliche Bindungssicherheit zu geben. Dann lieber gar nicht erst Mutter oder Vater werden? Kinderlosigkeit wird oftmals die Not- Lösung, die zugleich selten gut erträglich scheint.Beim Thema schwierige Mütter bewegen wir uns in vielerlei Hinsicht auf einem engen Grat, Frauen vor allem  zwischen den Polen eine schwierige Mutter Haben und schwierige Mutter- Sein.

Muttermythos und Tabu

Ihre eigene Mutter schwierig zu empfinden, können sich manche Menschen gut eingestehen und locker darüber plaudern (in manchen Kreisen gilt das sogar als cool und chick), für andere ist das ein so verbotenes Thema, das es kaum denkbar, geschweige denn aussprechbar wäre. Wenn das Schwierigsein ein geringeres Ausmaß zeigt, ist es leichter, wahrzunehmen und mitzuteilen, wenn das Ausmaß große ist, Traumatisierung, Beschämung und wiederholte tiefe Kränkungen beinhaltet, wird der Umgang schwieriger. Erschwert wird dieser Umgang, so zeigt sich in unseren Arbeiten, durch ethisch-moralische Maßstäbe. Man darf doch nicht die eigene Mutter in Frage stellen, denken Betroffene, das wollte man als Mutter doch auch nicht! Getreu dem ethischen Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren!“, können sich dann Betroffene, die in ihrer Kindheit viel Ungutes erlebten, oft nur noch ins Verdrängen retten- in der Folge ins Verstummen- und beschreiten so unbemerkt einen unguten Pfad der Weitergabe von Schwierigkeiten an die nächste Generation… Tabuisieren und Verschweigen waren der Preis, den die Kinder für ihre Zugehörigkeit zur Familie zu zahlen hatten. Die Gefahr ist dann groß, dass aus dem betroffenen Kind einer schwierigen Mutter neuerlich selbst eine schwierige Mutter wird: wer nicht um seine Biografie weiß, wer schwere Bindungsdefizite und Leerstellen im Erleben in sich trägt, droht unbewusst Ungutes an die nächste Generation weitergzugeben. Zugleich kann das Erkennen und Auseinandersetzen ebenso wie gute neue Erfahrungen einen Weg in ein jetzt.besser.leben.  ebnen, auch im gute Mutter- oder Vater-Sein.

Im nächsten Beitrag mehr rund um diese Thematik. Für heute Danke fürs Lesen, fürs Weiterempfehlen, Diskutieren… wir freuen uns, wenn unsere Arbeit Ihnen weiterhilft.

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Verwandlung:wie Sie Ihrer Identitaet auf die Spur kommen

„Gib mir ein kleines Stückchen Sicherheit, in einer Welt in der nichts sicher scheint!“ , spielte und sang die Gruppe Silbermond vor einiger Zeit und schien mit diesen Zeilen, die Teil eines erfolgreichen HIts wurden, einen Lebensverv getroffen zu haben. Was gibt Sicherheit in diesen von großen, existenziellen Problemen, wie Covid19, Klimakatastrophen etc, geprägten Zeiten? Die Antworten wie Hilflosigkeiten sind so vielschichtig wie unterschiedlich und ebenso individuell. Gerade Menschen mit Kindheitsbelastungen tragen oft schwer an Krisenzeiten, die ihnen im Erwachsenenalter erneut begegnen – dies ist, ziehen wir aktuelle Forschungerkenntnisse zu Rate, nur allzu gut nachvollziehbar.  Getrieben von einem fortwährenden Zwang, jemand anders werden zu müssen, erscheinen sie sich und anderen oftmals…hat nicht das fehlende oder unzureichende Geliebtwerden durch die Eltern gezeigt, dass sie anders, richtiger, ja einfach perfekter sein müssten? Da verbinden sich gesellschaftliche Schreie nach Changemanagement, nach unermüdlichem „höher/ schneller/ weiter“ perfekt mit inneren Antreibern.

In diesem gedanklichen Zusammenhang begegnete mir kürzlich ein Vortrag von Anselm Grün, den ich Ihnen empfehlen mag: er riet in seinem Vortrag zu einem Prozess, den er mit dem Begriff der Verwandlung beschreibt. Verwandlung sei gemeint als Begriff für den Prozeß, immer mehr man selbst zu werden…und tritt hier an die Stelle von seelenlosem, vom Selbst weit entfernten, rastlosen Verändern, das nur äußeren Forderungen nachjage. Anselms Grüns Worte, fußend auf einem christlichem Menschenbild ( das man, um sich anregen zu lassen zur eigenen Verwandlung nicht teilen muss), regen umfassend an: sie können Kontrapunkt-Botschaft in einer Zeit des multiplen Dauer-Change sein, gerade auch, wie ich finde, für Kindheitsbelatete. Ein Aufruf, endlich aus den eigenen Quellen und inneren Bildern zu schöpfen.

Vielleicht mögen Sie Grüns Vortrag anhören…dann empfehle ich ihnen, das Wort Firma gedanklich da und dort durch „Familie“ zu ersetzen: so können sich interessante systemische Brückenschläge eröffnen.

Ich wünsche Ihnen gute Anregungen und eine gute Zeit,

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Bücher zur Thematik von Autorin Dr. Waltraut Barnowski-Geiser

Eine unheilvolle Allianz: Sucht trifft Beziehungsabhängigkeit

Wenn Sucht/ psychische Erkrankung und Beziehungsabhängigkeit sich vermählen, bedeutet das für Kinder, die aus dieser Ehe hervorgehen, meist Stress im Doppelpack.

Wenn ein Elternteil eine schwere Belastung in die Familie bringt, etwa eine Sucht, eine psychische Erkrankung o.ä., so steht dieses Elternteil, wenn es um die Einschätzung der eigenen kindlichen Belastung geht,  im Fokus.  Wenig im Blick ist dann oftmals, dass auch der andere Elternteil, dessen Belastung  vielleicht weniger augenfällig ist, entscheidend dafür sein kann, wie Sie sich als Kind fühlten und entwickelten. War wenigstens ein Elternteil gesund und stabil, wird dieser eine besonders wichtige Säule in Ihrem Leben gewesen oder auch aktuell noch sein. Ist der 2. Elternteil  ebenfalls erkrankt oder belastet, so potenziert sich die Belastung für die Kinder, wie Studien und Forschungen eindrücklich zeigen; das Risiko für eigene Erkrankung und Folgen für mitbetroffene Kinder steigt, die Lebensqualität beschreiben Betroffene als außerordentlich belastet.

Eine besondere Bedeutung kommt dem Maß der Abhängigkeit zu, in dem sich die Eltern miteinander befinden. Wenig erkannt und untersucht ist bislang, wie weitreichend die Auswirkungen einer belasteten Kindheit sind, wenn zur sucht/und-oder psychischen Erkrankung des einen Elternteils eine Beziehungsabhängigkeit des anderen Elternteils kommt, die in den Bereich der Bindungsstörung einzuordnen ist (Und manchmal als zusätzliche Erkrankung des Sucht-psychisch Erkrankten, auch Co-Morbidität genannt, auf beiden Seiten dazu kommt). Während ein stabiler Elternteil die Belastungen und Zumutungen, die durch die Sucht des einen Elternteils entstehen, nur bis zu einer bestimmten Obergrenze der Zumutbarkeit ertragen wird, kann tiefverwurzelte Beziehungs-Abhängigkeit ( oft des zweiten Elternteils) eine gefährliche Dynamik entfachen. Sie ist gleichsam das unsichtbare Öl im brennenden Feuer. Kindern wird unwissentlich, oft ohne Worte, vermittelt: Wenn wir Eltern uns trennen, werden wir alle katastrophal untergehen. Die Kinder lernen in diesen unguten Doppelbelastungskonstellationen, dass es kein Entkommen gäbe: Das Beieinanderbleiben wird zum obersten Wert, wichtiger als die Würde und die Gesundheit der Familienmitglieder, vor allem der Kinder. Diese Dynamik wurde zunehmend in Suchtfamilien beschrieben ( v.a. Rennert, Flassbeck, Wilson-Schaef, Barnowski-Geiser), es reicht jedoch über diese hinaus: sie betrifft alle Familien, in denen Eltern mit hochproblematischen Bindungsmustern schwierige Beziehungen eingehen (Barnowski-Geiser/Geiser-Heinrichs 2017)

Die Kinder drohen diese existenziellen Bindungs-Abhängigkeitsmuster mit in ihr Erwachsenenleben zu nehmen, erlebten sie doch kein Modell, das Autonomie und Eigenständigkeit vorlebt, erfuhren sie doch in ihren großen Nöten kaum angemessene Zuwendung oder Trost. Dies erschwert gesundes Erwachsenenleben ungemein, dies erschwert, reife Erwachsenenbeziehungen und Bindungen einzugehen, dies erschwert, notwendige Trennungen nicht als alles zerstörenden Abgrund zu erleben, vor dem Betroffene dann fortwährend auf der Flucht sind: indem sie sich nicht mehr binden, nur oberflächlich binden, starke Ängste ( Eifersucht etc.) entwickeln oder die Ängste in Süchten kompensieren.

Wenn Sie an sich selbst feststellen, das Sie immer weiter an Menschen festhalten, die Ihnen eher schaden als gut tun, kann der Blick auf die Dynamik zwischen Ihren Eltern wichtig werden. Erkannte Beziehungsabhängigkeit kann gewandelt werden, wenn es möglich wird, sie zu benennen und beschreiben… und vor allem: sie muss dann nicht von Generation zu Generation als unvermeidbares Vermächtnis weitergegeben werden. Der ehrliche, umfassende Blick auf uns selbst, verstehen können, wer und wie wir wirklich sind, führt meist in die Generation vor uns: nicht, um Schuld zu verteilen und anzuklagen, sondern um im Verstehen der generationalen Dynamik Neues im Jetzt und für die Zukunft möglich werden zu lassen.

Eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Du bist, also bin ich: was Martin Buber, eine frühkindlich erlebte Trennung und Goldgräber verbindet

Martin Buber – ein Clubmitglied in unserem Kreis der Kindheitsbelasteten? Diese Frage duerfen wir wohl mit „Ja!“ beantworten.

Buber galt als bedeutender Humanphilosoph: in das Zentrum seiner Überlegungen stellte er die zwischenmenschliche Begegnung.  Begegnung sah er als grundlegend für menschliche Identität, das Leben selbst vor allem als Ansammlung von Begegnungen. Wenig bekannt ist, dass Buber auch zum Kreis der Kindheitsbelasteten zu zählen ist: Im Alter von 4 Jahren trennen sich Bubers Eltern, die Mutter geht, Buber leidet entsetzlich. Wiederholt beschreibt er, diesen Verlust nicht verwunden zu haben. Seine Aussage (in Fortführung des Philosophen Descartes) Du bist…also bin ich läßt sich auch im Umkehrschluss weiterdenken, dann kommt sie der Vernichtung nahe: wenn du nicht bist, kann ich nicht sein… Überall suche er nach diesem Du, nach der Mutter, so beschreibt er es. Man könnte erwarten, dass er an diesem Leiden zerbricht: er aber leidet und nutzt seine Kindheitswunde, um anderen Menschen zu helfen. Die tiefgreifende Kindheitsverletzung des Verlustes wird heute als Motor gesehen für seine teils als genial eingestuften Arbeiten zur Zwischenmenschlichkeit. Sich selbst in seinem Mutterverlust zu verstehen wurde seine Triebfeder und unermüdlicher Motor.. und dabei gelingt es ihm, ein großes Lebenswerk zu schaffen. Indem er seine Wunde zu verstehen sucht, findet er letzlich sein „Gold“: Beziehungswissen, dass er in einem großen Werk auf vielfältige Wege an andere Menschen weitergibt.

Nur eine gute Begegnung reiche, um vergangene Begegnungen zu kompensieren, schreibt Buber später ( und findet selbst ein „heilsames Du“ in der Beziehung zu seiner Partnerin).Betroffene beschreiben rueckblickend oft Ldie „eine Lehrerin,die um mich wusste“,den einen „Trainer,der einfach da war“,“die Nachbarin,zu der man in die warme Stube durfte und sogar ein Brot bekam“ etc als ein solches Du. Die Wunden verwandeln, sie zu Ihrem klein-grossen Wunder, zu Ihrem ganz persönlichen Gold werden zu lassen: ist das in Ihrem Leben gelungen und wenn ja,wie genau haben Sie das bewerkstelligt? Wer war Ihr praegendes Du? Dieser Blick ist vielleicht unvertraut, aber lohnenswert: Wagen Sie einen wohlwollenden, wertschätzenden Blick auf  Ihre Biografie…werden Sie ihr eigener Goldgräber. Schreiben Sie doch eine kleine Erzählung dazu…ich werde  gern lesen,auch persoenlich ueber das Kontaktformular dieser Seite..

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Würdigen, was niemand sah: sich selbst wertschätzen lernen in einer belasteten Familie

In einer belasteten Familie geht oft viel verloren: Wahrheit, Glaube und Vertrauen beispielsweise bleiben dann auf der Strecke. Kinder aus diesen Familien gehen sich in der Folge, wenn die Belastung über lange Zeit anhält, oft selbst verloren; leben sie doch alltäglich in einem Tabu, das ihnen vermittelt, das eigentlich alles normal sei.  Ihre Nöte, aber auch ihre alltäglichen übergroßen Leistungen werden regelmäßig  übersehen. Ihre Überanstrengung und Überkompensation (Barnowski-Geiser/Geiser.Heinrichs 2017), die sie aufgrund der Erkrankungen oder Beeinträchtigungen der Eltern leisten müssen, verschwinden im familiären Nebel. Oft werden ihnen selbst diese Leistungen nie bewusst, manchmal erst im Rahmen von Therapie im Erwachsenenalter. Und dann sind Betroffene verunsichert, denn im Verlaufe ihrer familiären Zugehörigkeit zum tabuisierenden System ist ihnen auch selbst Wetschätzung und Würdigung für das von ihnen für das Familien- System Geleistete abhanden gekommen: Das Geleistete gibt es in der familiären Wahrnehmung so wenig wie es die Krankheit/Belastung der Eltern gab oder gibt. Geleistetes versinkt unter Scham, die die Kinder anstelle ihrer Eltern meist unbewusst übernehmen. Negative Selbstzuschreibungen sind dann an der Tagesordnung: „Ich bin doch so furchtbar angepasst!“ (wenn  die Überanpassungsleistung ständig nötig war),  oder „Ich hab doch so ein dämliches Helfersyndrom“ ( wenn sich Kümmern in krisenhaften Kindheiten als einzig lebbare Möglichkeit erschien) u. ä. lauten dann die unguten Selbst-Zuschreibungen.

Jetzt im Erwachsenenalter können Sie,insbesondere wenn die elterliche Belastung nun hinter ihnen liegt, neu und anders leben: indem Sie einen anderen Umgang mit sich selbst pflegen. Sie können Ihre Eltern vermutlich nicht ändern, so sehr Sie das auch wünschen, so sehr Sie sich dafür anstrengen, Als Angehörige einer belasteten Familie haben Sie vermutlich Großes geleistet (Oder tun es immer noch), entsprechende Bewältigungsmechanismen entwickelt, aus denen  spezifische, ihnen sehr eigene, Stärken entstanden sind – nur allzu lange wurden diese übersehen, von anderen und womöglich auch von Ihnen selbst. Im Heute, gerade jetzt, können diese durch Sie selbst Beachtung erfahren, neu in Resonanz und die Welt gehen, indem sie, auch wenn es ungewohnt erscheint, die Botschaft dieses Wochenimpulses umsetzen: Würdige, was niemand sah!

(Formulierung in Anlehnung an Buchtitel Barnowski-Geiser 2009: Hören, was niemand sieht) .

Sonniges auf Ihre Wege sendet

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser, Lehrende in Schulen, Hochschulen und therapeutischen Ausbildungsgängen. Leiterin der BEL-Kids-Projekte, Autorin. Publikationen zum Foschungsschwerpunkt familiäre Belastung u.a. Hören, was niemand sieht;  Vater, Mutter, Sucht und Meine schwierige Mutter, gemeinsam mit Maren Geiser-Heinrichs

„Du musst vergeben!“- Fragwürdiges rund um elterliche Schuld und Vergebung

In einigen Szenen ist es en vogue: als Lösung zu jedwedem Problem, vor allem auch zu Kindheitsproblemen, wird das Verzeihen angepriesen. So lautet es vollmundig „Du musst verzeihen!“ oder „Vergib und Deine Heilung erfolgt!“, „Verneigen Sie sich vor den Tätern!“ etc.  Gerade Menschen mit schwierigen Kindheitserfahrungen scheinen dabei gefährdet, in den Dunstkreis von Szenen zu geraten, in denen scheinbar einfache Heilsversprechen propagiert werden. In der Praxis zeigt sich jedoch: Heilung und Hilfe bei negativen Kindheitserfahrungen ist in der Regel nicht durch einen einzigen Akt machbar, noch weniger  „einfach“ und schnell“, noch weniger ohne jede Aufarbeitung und Differenzierung – im Gegenteil birgt dies die Gefahr, neuerlich zu verletzen, zu traumatisieren, zu übergehen und gerade diejenigen zu schmälern, denen ohgnehin ( oft über Jahrzehnte) etwas angetan wurde… Wie beispielsweise soll etwas verziehen werden, das es laut der familiären Erzählung gar nicht gegeben haben soll, was also unter den Mantel des Tabus getarnt wurde oder wird. Ein großes Thema…

Einen  differenzierten Weg der eigenen Bewältigung zeigt Svenja Plasspöhler in ihrem Buch Verzeihen. Vom Umgang mit Schuld Auf wunderbare Weise gelingt ihr ein eindrücklicher Brückenschlag zwischen selbst Erlebtem in der Kindheit (die Mutter verlässt die Familie wegen eines neuen Partners, als die Autorin 14 Jahre alt ist) und kollektiv erfahrener Schuld. Auf ihrer Spurensuche geleitet uns die Autorin durch vielschichtige Schuldlandschaften: zwischen Erkundungen im Nachhall eines Amoklaufs etwa und anderen monströsen Abgründen reflektiert sie die Schuldfrage immer wieder neu anhand ihres eigenen Leides, das sie mit ihrer Mutter durchlebte. So konnte ein Kaleidoskop des Verzeihens entstehen, das sich zwischen verstehen, lieben, vergessen (müssen) bewegt, mehrperspektivisch aufbereitet zwischen Philosophie, Ethik und biografischer Familiengeschichte.

Ein Buch, das ich Kindheitsbelasteten, die sich mit Schuldfragen und Vergeben ( müssen) plagen, sehr ans Herz lege.

Bei Menschen mit Kindheitsbelastungen mache ich die Erfahrung,dass das,was im Gestern passiert ist,mitgefuehlt,anerkannt und bezeugt werden musste…all das war noetig,um verzeihende Gedanken auf den Weg zu bringen.Verzeihen ohne Reue,ohne Eingestehen auf elterlicher Seite,bedeutete fuer Menschen mit Kindheitsbelastungen eine n
euerliche Wunde:sich selbst,die eigene Wahrnehmung zu uebergehen,sich stehen zu lassen-einmal mehr.

Eine gute Woche, mit Sonnenmomenten im Regen, Wärmendem in der Kälte wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Heimweh, Sehnsucht und Co: Coronazeiten als Brutstätten der Sehnsucht

Corona stellt uns, wie wir hier schon einige Male beleuchtet haben, vor besondere Herausforderungen. Die Folgen der sozialen Distanzierung werden gerade erst präziser in den Blick genommen. In meiner Arbeit fällt mir auf, dass die Themen „Leere“ und „Verlorenheit“ verstärkt eine Rolle spielen im Leben der Menschen mit Kindheitsbelastungen. Manch einem kommt die staatlich erzwungene Diustanzierung zu schwierigen Eltern nicht ungelegen: und dennoch lässt sie in manch Kindheitsbelastetem ein ungutes Gefühl zurück: etwas fehlt, seit Kindheitstagen. Betroffene empfinden Leere, „Nichts“, bei genuaerem Nachforschen werden alte Wunden, Verlorenheit, mangelnde Geborgenheit, spürbar. Dieses Gefühl gleicht dem kindlichen Heimweh der Menschen, die die elterliche Nähe ein Leben lang suchten und nie fanden.

Die offene Rechnung: Kindheitsbelastungs-Heimweh

Fühlen auch Sie sich manchmal scheinbar grundlos traurig und niedergeschlagen, haben an kaum etwas Interesse, fühlen sich appetitlos im Wechsel mit Heißhungerattacken?…Sie haben das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören, verspüren wenig Motivation zur Arbeit und auch nicht, tatkräftig etwas Neues zu beginnen? Dann kann es sein, dass sie unter chronischem Belastungs-Heimweh leiden…

Wenn kindliche Bedürfnisse nach elterlicher Liebe und Zuwendung nicht befriedigt wurden, dann scheint oft lebenslang etwas offen zu bleiben. Etwas Unbestimmtes scheint verloren. Etwas, das am ehesten mit dem Begriff Heimweh zu beschreiben ist. In der Folge richten erwachsene Kinder ihr Bemühen darauf, dieses Heimweh wegzubekommen, es von den Eltern doch noch gestillt zu bekommen oder auch, es einfach nicht mehr zu fühlen.

Viele Kinder aus belasteten Familien leiden im hohen Erwachsenenalter  an chronischem Heimweh, ohne darum zu wissen: belastete Familien sind wahre Brutstätten der Sehnsucht (zit. Vater, Mutter, Sucht, s.u.). Der Begriff Heimweh wird allgemein als Beschreibung gewählt, wenn in früher Kindheit eine Gemeinschaft verloren gegangen ist. Bei belasteten Kinder bekommt Heimweh eine andere Dimension.  Heimweh, das ich als Belastungsheimweh bezeichnen möchte, ist vielmehr bei all denjenigen vorhanden, die eine familiäre Gemeinschaft nie befriedigend erlebt haben und bei denjenigen, die sich selbst in der Suche nach elterlicher Liebe verloren gegangen sind. Belastungsheimweh ist immer auch ein Suche nach uns selbst, nach der eigenen Identität – oft einhergehend mit großer Verzweiflung.

Die junge Frau ist außer sich. Ihr Freund betrüge sie permanent, schlage sie, wenn sie ihn darauf anspreche und sie nehme diese Behandlung wieder und wieder in Kauf. Sie verstehe sich selbst nicht, Biografisches kommt ihr in den Sinn. Sie ist Tochter eines Alkoholikers und einer depressiven, tablettenabhängigen Mutter. In der Arbeit zu diesem Thema äußert sie, süchtig nach Ihrem Freund zu sein. „In meiner Familie hat das angefangen: ich bin der Liebe, die ich nicht bekam, hinterhergelaufen. Wie ein Stier hinter dem roten Tuch, so laufe  ich seitdem der Liebe hinterher!“

(mehr …)

Dennoch Lieben- Ode an ein Gefuehl

Ich hab‘ ein zärtliches Gefühl
für jede Frau, für jeden Mann
für jeden Menschen, wenn er nur
vollkommen wehrlos lieben kann

Hermann van Veen

Neulich spielte mir eine Freundin diesen Song vor. Der Song berührte mich, auch wenn er nun zu den „Oldies“ gehört…An wen Hermann van Veen bei diesen Zeilen wohl gedacht haben mag? Eine wunderbare  Beschreibung…vollkommen wehrlos lieben. Eine Beschreibung, die ich heute mit Ihnen, liebe LeserIn des Blogs, teilen mag. Mit dieser Formulierung macht Songpoet Van Veen uns eigentlich Unbeschreibliches begreifbar: die Selbstaufgabe etwa, die mit einer großen Liebe einhergehen kann, ein sich verletzbar und angreifbar Machen, ein Öffnen bis hin zur Wehrlosigkeit, in einer Unschuld, die dieser Art zu lieben ureigen scheint…

Diese Art zu lieben begegnet mir oft zwischen Kindern und ihren Eltern, auch und gerade dort, wo man sie nicht vermutet: Gerade dort, wo schwere Erkrankungen oder Belastungen beheimatet sind, die die mitbetroffenen KInder schwer betreffen. Sehr häufig wird diese besondere Fähigkeit, zu lieben, übersehen: in den Familien wie in Therapien, oder gesehen und abgewertet. Gefangen in der Ambivalenz zwischen Liebe und Hass droht das Gefühl der Liebe überhaupt verteufelt zu werden: die Liebe wird schuldig gesprochen, gilt als Mit-Verursacher des persönlichen Dramas in der familiären Enge. Habe ich meinen kranken Vater mit in die Sucht geliebt?, fragt sich dann manch ein Kindheitsbelasteter quälend und auf verquere Weise wird, unterstützt durch ähnlich verquere therapeutische Intervention, aus einem liebenden Angehörigen ein Verursacher, etwa der elterlichen Sucht… anstatt ihn zu sehen als denjenigen, dem in seiner Liebe Schlimmes widerfuhr oder noch widerfährt…

Lieben und zugleich  auf die eigene Grenze achten stellt für erwachsene Kinder belasteter Eltern eine große Herausforderung dar: und vor allem die Herausforderung,  das von van Veen besungene zärtliche Gefühl für die eigene Liebesfähigkeit zu bewahren…oder es heute erstmals aufkeimen zu lassen. Es erfordert immer wieder den Mut der betroffenen Kinder: spätestens,  wenn das Wagnis der Liebe mit anderen Menschen neu eingegegangen werden will. Menschen gehen oftmals Beziehungen ein, aber nicht unbedingt Bindungen oder Lieben…Und wie lieben Sie?

Anbei ein Link zu einer frühen Aufnahme des Songs,

herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Bücher zur Thematik von BlogAutorin Dr. Waltraut Barnowski-Geiser hier

Leere-ueber einen heimlichen Beziehungskiller und wie Sie ihm auf die Spur kommen

Verzweifelte Paare, die in die Therapie kommen, haben manchmal Schwierigkeiten zu beschreiben, was ihr eigentliches Problem ist: der Kern der Probleme ist dann oftmals wenig mit Worten auszumachen. Irgendwie ungreifbar erscheinen ihre Beziehungsprobleme: Man streite sich wenig, es gäbe aber auch wenig Höhen, wenig Tiefen… aber irgendwie sei die Luft raus, heißt es dann. Stumm und verzweifelt, meist resigniert, wirken die derart Betroffenen. Arbeitet man als Therapeutin mit der eigenen Resonanz zum Geschehen, so wird ein ungeliebtes Gefühl spürbar, von dem die Paarthematik dominiert wird: Leere. Leere kann ein Beziehungskiller sein, der unerkannt, im Verborgenen sein Unwesen treibt.

Gar nicht schlimm?

Leere – wenn dieses Gefühl vorherrschend ist, klingt das für Menschen, die mit diesem Gefühl wenig anfangen können (da sie noch kaum Berührung damit hatten oder auch wenig darum wissen und es somit auch nicht wahrnehmen), wenig schlimm. „Leer“, das ist für sie nah an „Es ist doch nichts“, oder auch nah an einem Zustand, den es doch laut Meditations-und Kontemplationsformen gerade zu erreichen gilt. Der erstrebte Geisteszustand der Versenkung ist hier jedoch nicht am Werk, sondern etwas quälend Anderes, das offenbar schwer zu beschreiben ist -. Leere als „Nichts-Ist“. Wenn „nichts ist“, wie kann man dann darunter leiden? Leere kann, wie wir noch sehen werden, tatsächlich sehr unterschiedliche Qualitäten haben. Leere ist alles andere als „nichts“: wie wird quälend erlebt, versetzt in Starre, stumm machend, verbunden mit tiefen Einsamkeitsgefühlen, gepaart mit Antriebs- und Hoffnungslosigkeit, nah an dem, was man landläufig mit „depressiv“ verbindet. So und ähnlich beschrieben Betroffene nach allmählicher Annäherung ihr Tal der Leere. Oft überdeckt Leere andere starke Gefühle, betäubt, anästhetisiert, wie es in der Fachsprache heißt.

Das Drama der Leere im Dopelpack: Beziehungsleere

Die hier beschriebene Form der Leere möchte ich als biografisch verwurzelte Beziehungsleere bezeichen. Betroffene kennen Beziehungsleere dann seit Kindheitstagen: sie sind als Kinder bei ihren Eltern  ständig ins Leere gelaufen, wurden in der Leere stehen gelassen (zum Beispiel nach Trennungen der Eltern oder mit schweren Erkrankungen, hier oftmals nur für Stunden des Tages, aber auch hier mit nachhaltigen Verlust- und Ohnmachtserfahrungen gekoppelt), oder/und erfuhren kaum Resonanz auf ihnen wichtige Gefühle und Ereignisse. Diese Grunderfahrung der Leere, insbesondere in ersten wichtigen Beziehungen, kann dazu führen, dass diese Kinder als Erwachsene weiter suchen, um endlich einen Menschen zu finden, bei dem es eine Auflösung gibt für die in der Kindheit so schmerzlich erfahrene Leereerfahrung. Besonders schwierig wird es, wenn beide Partner als Kinder Leereerfahrungen gemacht haben – und zugleich keine angemessenen Auflösungen gefunden haben. Im ungünstigen Falle verstummen und erstarren dann beide Partner, beide „Kinder der Leere“. Trotz bester Absichten, trotz eigentlich vorhandener Liebe, steckt dann die Liebe im Leere – Drama fest. Oft endet dies mit Trennung und wiederholt sich tragischer Weise, wird der Prozess nicht erkannt, mit neuen Partnern, nur in anderer Besetzung.

Gefangen in der Leere- wenn ungute Beziehungen kein Ende finden

Menschen mit existenziellen Beziehungsleereerfahrungen treffen aud wundersam anmutende Weise immer wieder  auf andere Menschen, die ähnliche Kindheitserfahrungen gemacht haben und bei näherem Betrachten in Bindungsmustern starke Ähnlichkeit mit ihren Eltern zeigen. Die neuronalen Prägungen ziehen in Resonanz magnetisch Vertrautes an: nur unter jeweils anderen Gewändern. Wenn die Partner-Wahl auf jemanden gefallen ist, an dem ungute Erfahrungen wiederholt werden (etwa mit Suchtkranken oder bindungsunfähhigen Partnern), dann ist der Beziehungsalltag meist massiv belastet,  dann mutet es für Außenstehende wundersam an, dass Betroffene ihre Partner, trotz fortwährend beschriebener negativer Erfahrungen, nicht verlassen oder wie sie es selber erleben, nicht verlassen können. Für die Betroffenen selbst ergibt ihr Verhalten auf einer tieferen Ebene durchaus Sinn: sie hoffen, dass die Geschichte diesmal doch endlich einmal gut ausgehen möge. Es ist in ihnen etwas offen geblieben, in der Gestalttherapie spricht man von der offenen Gestalt, die geschlossen werden muss. Bei Trennungshemmung trotz unzumutbarem Beziehungsgeschehen sind oft kindliche Leereerfahrungen wirkmächtig: da auch die mit Trennungen einhergehende befürchtete Leere  unaushaltbar erscheint, wirkt Trennen letztlich schlimmer als Bleiben, ebenso wie die Hoffnung, dass es doch noch gut ausgeht und die offene Gestalt sich schließen kann, ebenso. Oftmals kehren diese Betroffenen auch nach ersten Trennungsschritten wieder um, da die sich ihnen auftuende Leere als unüberwindbarer Abgrund erscheint: Allein-Sein löst  beängstigende Leeregefühle aus, fällt auf traumatisch besetzten Boden. Betroffene haben noch keinen Weg gefunden, wie ihr Leben, abseits einer Beziehungsfixierung, erfüllt sein könnte: eine Wüste der Leere muss durchschritten werden, mit vielen Tälern von Einsamkeits- und Sinnlosigkeitsgefühlen, die neben anderen massiven Gefühlen unter der Leere verborgen sind. Kann dieses Leere – Erleben verwandelt werden, ist manchmal auch eine Partnerschaft wieder möglich – und erfüllt. Damit dies möglich wird, müssen beide Partner aktiv werden.

Kreativ-Coaching: Wege aus der Leere

Selten ist es Betroffenen bewusst, unter „Leere“ zu leiden…Betroffene beschreiben mehrheitlich Diffuses und nicht Greifbares, Leere tritt erst allmählich zutage. Wenn Sie sich mit Ihren Leeregefühlen stärker auseinandersetzen möchten, können das kreative Tun im Kreativ-Coaching der Woche ein erster Anstoß für Ihren Prozess sein. Wenn Ihr Partner dazu bereit ist, kann es bereichernd sein, zusammen zu gestalten und anschließend darüber zu sprechen. Auf kreativem Weg können Sie auf ungewöhnliche Weise etwas über sich erfahren, indem Sie vertraute Wege verlassen und neue Gehen…die Veränderung passiert unmerklich, spielerisch, je mehr Sie sich einfach von Ihrer Aufgabe mitreißen lassen.

Für die heutige Übung brauchen Sie mindestens 30 Minuten Zeit, ein großes Blatt und ein paar alte Zeitschriften, die Sie nicht mehr benötigen, mit Bildern, die sie ausschneiden können sowie ein paar Stifte.

Beginnen Sie nun mit dem Gestalten einer Collage: Knicken Sie zunächst ein größeres Blatt in drei gleich große Teile, sodass drei senkrechte Spalten entstehen. Gestalten Sie auf die linke Seite ein Bild, das die Überschrift „Leere“ trägt…

….auf die äußerst rechte Seite nun ein Bild, das für Sie das Gegenteil darstellt.

Betrachten Sie beides und gestalten nun in die Mitte Verbindungen zwischen beiden Seiten. Finden Sie auch für diese beiden Seiten eine Überschrift.

Wenn Sie gern weiterarbeiten möchten, gehen Sie nun noch einen Schritt weiter: stellen Sie sich vor, dass Ihre Collage Schauplatz eines Märchens ist. Lassen Sie diese Geschichte auf der linken Seite beginnen. Starten Sie mit dem Satz „Das hatte sie nicht erwartet“… Was ist davor passiert? Schreiben Sie einfach los und lassen Sie die Geschichte sich weiterentwickeln bis sie gedanklich auf der rechten Seite Ihrer Collage angekommen sind.

Welche hilfreichen Aspekte können  Sie aus Ihrer Collage gewinnen,  und  welche aus Ihrer Geschichte?

Sprechen Sie mit Ihrem Partner, wenn möglich…

Wenn Ihnen die kreative Arbeit Freude macht, liefert das Buch von Nick Bantock weitere Anregungen. Wenn Sie sich näher mit abhängigen Beziehungen beschäftigen möchten, ist sicher  Ich will mein Leben zurück von Jens Flassbeck interessant.

Du bist ein Künstler - Nick BantockBuchdeckel „978-3-608-86045-0

Gute Ostertage und Raum für Neues wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Wenn Eltern sich nicht aendern:wie ein Perspektivwechsel helfen kann

Frau I. ist es leid, sagt sie: alles habe sie versucht, aber ihre Mutter trinke weiter mehr als ihr gut tue, sei mit nichts zufrieden, ihre Besuche seien der Mutter nie genug… während die Mutter zugleich vermittle, dass sie, die Tochter, ihr schon immer zuviel sei, eine Belastung für die früh Mutter gewordene… und zudem mache die Mutter sie verantwortlich dafür, dass ihr Leben durch die Geburt des Kindes aus den Fugen geraten sei. Zum ersten Mal dämmert Frau I.: Frau I. kann die Mutter nicht verändern, die Mutter wird voraussichtlich bleiben wie sie seit vielen Jahrzehnten ist, nur sie selbst kann sich ändern…

Nicht nur Kinder können schwierig sein, sondern auch Eltern…Wenn das Zusammenleben und treffen mit Eltern ein Leben lang schwierig ist, kann das viele Ursachen haben. Diese Schwierigkeit kann im subjektiven Erleben des Kindes begründet liegen, in einer ungünstigen Passung ( s.a. Geiser-Heinrichs 2017), aber auch in schwerwiegenden Belastungen und Störungen, die die Eltern selbst tragen. Letztere sind oftmals wenig im Blick und können für  Angehörige, insbesondere für die Kinder, zur großen Lebenserschwernis werden. Ob diese Belastung nun Sucht, psychisches Problem, chronische Erkrankung, Traumatisierung oder Bindungsstörung heißt, ob sie mit einer Diagnose belegt wurde oder auch nie offiziell benannt wird: die betroffenen Kinder können bei aller Schwere und erlebter Hilflosigkeit, wenn sie alt genug sind, immerhin ihre Perspektive, ihre Haltung und ihre Einstellung zu den elterlichen Schwierigkeiten verändern. Einige hilfreiche Perspektivwechsel, die Betroffene wiederholt als erfolgreich beschrieben, seien hier, (auch wenn sie nicht als allgemeingültiges, alleiniges und einfaches Rezept verstanden sein wollen) als Anregung auf Ihren persönlichen Weg zum besseren Leben gegeben:

Einen Schritt zurücktreten…aus einem Abstand heraus die Situation mit dem schwierigen Elternteil betrachten…in einer konzentrierten Zurückgezogenheit den Konflikt neu ansehen…sich die Beziehung mit dem schwierigen Elternteil als Tanz auf einer Bühne imaginieren…sich in die Schuhe der Eltern stellen: die eigene Lebensgeschichte aus der Sicht von Mutter oder Vater erzählen…Loslassen: nicht mehr um Beziehung ringen, sondern sich anderen Dingen und Menschen zuwenden, bei denen man Freude verspürt…die Bedeutsamkeit der schwierigen Beziehung relativieren…sich selbst, vielleicht erstmals, in den Mittelpunkt der eigenen Aufmerksamkeit stellen…nicht mehr darauf hoffen, dass sich die Eltern ändern, sondern sich selbst verändern…die Kontrolle über das elterliche Verhalten ( zum Beispiel Trinken) loslassen…sich nicht selbst die Schuld geben…mit anderen sprechen statt sich hinter Burgmauern zu verbarrikaridieren…die Scham bei demjenigen lassen, zu dem sie gehört…, wenn Sie es bislang mit Härte versucht haben, probieren Sie die Weichheit als Weg ( und umgekehrt)…den Blick richten auf das, was mit dem schwierigen oder erkrankten Elternteil noch geht und dies zusammen machen statt  wieder und wieder den Mangel und die Enttäuschung zu  fokussieren und wiederholen…

Perspektivwechsel durch Imaginationen auch in Alman/Lambrou: Selbsthypnose. Ein Handbuch zur Selbsttherapie.

Eine gute Woche und den Mut, neue Perspektiven zu wagen wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Weitere Bücher von Dr. Barnowski-Geiser hier, mehr Infos auf der Webseite der Autorin

„Und alle schwingen mit“-wie Ihre familiären Beziehungen präg(t)en, wie Sie heute sind

„Gewöhnlich haben wir die Familie als den Ort betrachtet, an dem wir Liebe, Verständnis und Unterstützung finden können, selbst wenn alles andere versagte. Sie ist der Platz, an dem wir uns erfrischen können und an dem wir auftanken, um mit der Welt draußen besser fertig zu werden. Aber für Millionen belasteter Familien ist das ein Mythos.“ (Satir 1993, S.27)

Kinder belasteter Eltern sehen es als ihre Aufgabe an, ihre unglücklichen Eltern glücklich zu machen: Diese Tatsache hat vielschichtige Folgen, die Betroffene bis ins Erwachsenenalter prägen können: das, was die anderen brauchen, ist so wichtig, dass betroffene Kinder sogar für sie existenzielle Bedürfnisse bei sich selbst übergehen, um den belasteten Elternteil glücklich und zufrieden zu machen… und dieses Beziehungsmuster im nicht seltenen Fall mit in ihre weiteren nahen Beziehungen im Erwachsenenalter nehmen. Sie scheinen sich selbst verloren gegangen zu sein.

Wie Krisen Sie praegten

Wie kommt es dazu? Die Antworten sind vielschichtig, ein Blick auf die Situation der Familie lohnt sich. Belastete Familien befinden sich oftmals in Dauerkrisen, in denen sie zusammenrücken müssen; oft entsteht eine besondere Abhängigkeit, ein besonderes Angewiesensein aufeinander, manchmal ohne emotionale Nähe und Liebe, die die Kinder benötigen. Diese enge Anbindung, die Minuchin Ende der 70er Jahre als familiäre „Verstrickung“ beschrieb, wurde als sehr problematisch für die Entwicklung des Individuums angesehen.IN diesem Feld hat die systemische Forschung viel Pionierarbeit geleistet.

„Aber in der verstrickten Familie geht das Individuum gewissermaßen im System verloren. Seine individuelle Autonomie ist so schwach definiert, dass ihm ein Funktionieren auf individuelle und eigene Weise so gut wie unmöglich gemacht ist.“ (Minuchin/Rosman/Baker 1978, S.43f).

Wenn Reden nicht mehr hilft-die Stoerung in der familiaeren Kommunikation

Es entwickelt sich eine belastete Famlienstruktur mit einer eigenen Dynamik, sie nimmt Einfluss auf die gesamte innerfamiliäre Kommunikationsstruktur. Die verstorbene Familientherapeutin Virginia Satir beschreibt vier Formen der gestörten Kommunikation: Beschwichtigung, Anklage, Rationalisieren und Ablenken. Diese Formen begegneten mir besonders in der Arbeit mit Familien, die sich in der Phase der tabuisierten schleichenden oder/und chronischen Belastung befinden (Phasen nach Barnowski-Geiser 2009).

Beschwichtigung zeigt sich insbesondere in der Form, Empfindsamkeit zu entwerten. Sie gipfelt in Äußerungen wie „Ach, die x ist einfach so ein überempfindliches Kind!“

Rationalisieren zeigt sich oft, indem Eltern in therapeutischen Gesprächen dem Erleben des Kindes wenig angemessen erscheinende Vorträge halten. Äußern die Kinder Gefühle und weinen, zeigen sich diese Eltern in der Interaktion zu ihren Kindern seltsam erstarrt und unerreichbar, wenig tröstlich: sie rufen das KInd zurück zur Vernunft.

Anklagen Besonders bitter für Kinder werden Strukturen, die sie zum „Angeklagten“ machen; oftmals um von familiären Problemen abzulenken. Dies passiert etwa dann, wenn Eltern einen Konsens finden, etwa die Suchtbelastung und familiären Probleme weiterzuleben, ohne sie öffentlich werden zu lassen. Kinder übernehmen hier teilweise sehr selbstverständlich die Rolle des „Sündenbockes“, in die sie gedrängt werden. „Wenn Anna nicht so viele Probleme in der Schule häte, müsste ich nicht trinken“, lautet die elterliche Logik, teils vom Partner mitgetragen.

Ablenken: Während Dramatisches und Schlimmes passiert, das eigentlich die gesamte Aufmerksamkeit aller erfordert, wird der Fokus auf eigentlich Nebensächliches gerichtet, etwa“Die Kinder haben ihre Pflichten nicht erfüllt, den Essenstisch nicht abgeräumt“ etc.

Und alle schwingen mit-das Resonanzvirus

Und zugleich gehen die Auswirkungen in den belasteten Familien weit über die Kommunikationsstruktur hinaus: die beschriebene Dynamik des Familiengeheimnisses bringt Resonanzmuster hervor, in denen das Eigene teilweise zugunsten der Systemschwingung aufgegeben werden muss. Betroffene spüren von Klein auf, dass sie vor allem im System einen guten Platz finden, wenn sie sind, was das System braucht. Sie leben in erzwungenen Resonanzräumen, in denen sie irgendwann vergessen haben, dass sie eigene Bedürfnisse haben und erfüllen müssen, vergessen, wer sie eigentlich sind… weil sie es schlichtweg vergessen mussten.

Die Frage: Was brauche ich? muss in diesen Fällen als neue Orientierung von Tag zu Tag gestellt werden, die Erfüllung der Bedürfnise kleinschrittig geübt werden. Probieren Sie es vielleicht in der nächsten Woche aus, nehmen Sie diese wichtige Frage als Begleiter mit in Ihre Woche, auch wenn Ihre Eltern oder Partner erkrankt und bedürftig sind…und das ist, wenn Sie zu den Betroffenen erwachsenen Kindern gehören, wirklich eine schwierige Übung!

Eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Selbstfürsorge- die Challenge für Krisenkinder

Krisen passieren. Sie treffen Menschen unterschiedlich: wie Krisen verarbeitet werden, hängt vom individuellen Erleben ab. Jeder Mensch trägt biografische Spuren in sich; auf diesen begangenen Boden fällt das Krisenereignis und wird dementsprechend bewertet.

Wie gehen Sie mit Krisen um?
Die Coronakrise passiert vielen Menschen auf der ganzen Welt sie trifft dort auf sehr unterschiedliche Vorbedingungen ( vor allem auch Bedingungen des Gesundheits-und Sozialsystems) und auf individuelle Geschichte. Erwachsene aus belasteten Familien haben in der Regel viele Krisen in der Familie erlebt. Wie gut sie diese überstanden haben, hängt von ihren Widerstandskräften ( auch Resilienz) genannt und ihren besonderen Verletzlichkeiten (als Vulnerabilität in der Fachsprache Bezeichnet) ab. Sind in den Krisenzeiten tiefe Verletzungen entstanden ( Traumata sogar), dann springen die Symptome aus den alten Zeiten leicht bei neuen Krisen wieder an: d.h., das Herzrasen, das Erstarren, das Nicht-mehr-zur-Ruhe-KOmmen etc, scheint grundlos aufzutreten: gerade zu Beginn der Coronakrise fühlten sich viele Betroffene in einem eigentümlichen Taumel, einem Schwebezustand zwischen Wirklichkeit und Traum. „Das kann doch nicht wahr sein“ und „Wielange dauert das denn noch? waren oft zu hörende Fragen.

Krisentypologien und Phasen
Parallelen zwischen der aktuellen Coronakrise und Kindheitsbelastungen sind augenfällig. Jetzt scheint diese Covid-Krisensituation Normalität zu werden, so geht es auch vielen Menschen in suchtbelasteten Familien: die elterliche Sucht/Krankheit ist immer da, aber sie muss in den HIntergrund gedrängt werden, um ein Funktionieren zu ermöglichen. Dieses Funktionieren am Krisenrand kostet Kraft, deutlich mehr Kraft als Zeiten ohne Krisenbelastung, chronifiziert über Jahre und Jahrzehnte wird es verzehrend: und jeder und jede fühlt sich unterschiedlich stark belastet. Mit der Suchtproblematik verbindet die Coronakrise viel: auch hier weiß man nicht, wann es wieder aufhört, ob es in der eigenen Region ,im eigenen Körper begonnen wird und selbst die Phasen der nachlassenden Ansteckung können das „Vor der nächsten Krise“ bedeuten.
IN meinen Untersuchungen zur Krisenbelastung fand ich folgende Typologien der Alkoholbelastung, die sich teils auch auf die Coronakrise übertragen lassen:

Schleichende Krisenbelastung:
Man weiß nichts Genaues, „vielleicht ist es gar kein schlimmes Virus“

Dauerhafte Krisenbelastung /Menschen beginnen, mit der Belastung zu leben
Tabuisierte Krisenbelastung /“Es ist doch gar nichts“
Partielle Enttabuisierung ( insbes. bei Suchterkrankungen, die Familienmitglieder beginnen über die Suchtbelastung zu sprechen)
Enttabuisierung und öffentlich Werden
(Die Familie sucht Verbündete im Außen)

Mehrfachbelastung/Mehrfachabhängigkeit (Mehrere Belastungen sind gleichzeitig zu tragen)

Lösungsbelastung (die Belastung und erlittene Wunden wirken nach, oft Jahre)

Es kann wichtig für Sie sein, festzustellen, in welcher Krisensituation Sie sich gerade befinden: vielleicht in der dauerhaften Coronabelastung und der Lösungsbelastung der zurückliegenden Kindheitsbeschwernisse? Dann ist das ein dickes Paket, aber wichtig ist nun auch die Frage: was hat Sie eigentlich immer durchgetragen, worauf konnten Sie sich bei sich selbst doch schlußendlich immer verlassen? Oder die Kindheitsbelastung dauert bis ins Heute und andere Krisen kamen immer wieder erschwerend hinzu? Wahrscheinlich sind Sie, auch wenn es sich nicht so anfühlt, Meister und Meisterinnen der Krisenbewältigung – wichtig jedoch, dass Sie sich selbst wieder in den Blick bekommen und auch kleinste Spielräume nutzen, etwas für sich selbst zu tun. Selbstfürsorge scheint mir dafür ein pasendes Wort.

Passen Sie auf sich auf,
Ihre
Waltraut Barnowski-Geiser

Sich mit sich selbst versoehnen: Körper und Geist vereinen

Kommt Ihnen das bekannt vor?…Sie wissen „alles“ über Problemfamilien und Störungsbilder, sie kennen unzählige Fakten über Kindheit, ihre Ursachen und familiäre Dynamik, Sie sind womöglich sogar in einem einschlägigen sozialen Berufsfeld gelandet…aber wenig können sie wirklich fühlen, leiden unter dem Gefühl, all Ihrem Wissen auf der persönlichen Ebene allenfalls Verdrängung entgegensetzen zu können, Ihr Körper ist Ihnen nicht geheuer, wirkt wie ein schlummernder Feind, der allenfalls unter Kontrolle gebracht werden muss?… Damit sind Sie nicht allein, denn so geht es vielen betroffenen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien.

Heute ist womöglich der Zeitpunkt gekommen,  nicht mehr endlos das in der Vergangenheit Geschehene zu drehen, wenden und bearbeiten. Dann ist es vielleicht an der Zeit, das „Kreisen um das Gestern“ übend loszulassen und durch neue Erfahrungen zu ersetzen. Damit auch dies nicht „bloße“ Theorie bleibt, ist Ihre Aktivität gefordert…es braucht den Mut, übend neue Erfahrungen zu machen, gleichsam auf Neustart zu gehen, zu re-setten in neudeutsch, im Inneren  umzustrukturieren. Anregungen dazu finden sich auch in der Praxis der Achtsamkeit, wie sie etwa Thich Nhat Hanh vorstellt und über Jahrtausende erprobt und geübt wurde. Vielleicht sagen Sie nun: kenne ich schon alles…ja, aber üben Sie auch tatsächlich? Leben Sie achtsam oder wissen Sie nur darum?

Wie eine liebende Mutter, die für einige Tage ihr Kind verlassen musste, zu ihrem Kind heimkehre  und es zärtlich in die Arme nimmt, so könne nun der Geist den Körper in die Arme nehmen, beschreibt Thich Nhat Hanh diesen Prozess auf liebevolle Weise. Insbesondere, wenn die Anspannung im Körper eingeladen wird, zu gehen und wir sie loslassen, (vielleicht zunächst nur einen Atemzug lang) kann dies nach meinen Erfahrungen  heilsam wirken auf Kindheitsbelastete. Regelmäßig angewendet kann sie zur späten Versöhnung zwischen Körper und Geist führen, auf einmal fühlen sich Betroffene „anders, lebendiger, wacher“. Das Neuartige wirkt weiter in der Weise, wie Betroffene nun achtsamer sprechen und ihre Welt anders wahrnehmen und gestalten. Es findet ein grundlegender Perspektivwechsel statt.

Untersuchungen zeigen, „dass der Körper, wie er im Gehirn repräsentiert ist, möglicherweise das unentbehrliche Bezugssystem für neuronale Prozesse bildet, die wir als Bewusstsein erleben; „dass unser eigener Organismus und nicht irgendeine absolute äußere Realität den Orientierungsrahmen abgibt für die Konstruktion, die wir von unserer Umgebung anfertigen, und für die Konstruktion der allgegenwärtigen Subjektivität, die wesentlicher Bestandteil unserer Erfahrungen ist; dass sich unsere erhabensten Gedanken und größten Taten, unsere höchsten Freuden und tiefsten Verzweiflungen den Körper als Maßstab nehmen.“ (Damasio 1997, S.17)

 Meist wird der Körper von Menschen mit Kindheitsbelastungen erst dann wahrgenommen, wenn er in seiner Funktion gestört ist. Vom „Leib, der ich bin“  wird er zum „Körper, den ich habe“. (Fuchs 2000b) Während der gesunde Körper im Hintergrund als selbstverständliche und selbstvergessene Existenz scheinbar nicht beachtet werden muss, rückt der kranke Körper als Feindbild nun in den Blick: als außerhalb der eigenen Person liegendes Problemfeld. Der Psychiater Fuchs beschreibt Krankheit als gestörte Harmonie, die mit einer Entfremdung, einer Partikularisierung innerhalb der Leiblichkeit einhergehe. (Fuchs 2000). Und auch der Hirnforscher Damasio schreibt: „Die Seele atmet durch den Körper und Leiden findet im Fleisch statt, egal ob es in der Haut oder in der Vorstellung beginnt.“ (Damasio 1997, S.19) Im Umkehrschluss meint somit Integration des Körpers, „ihn als Teil der eigenen Innenwelt anzuerkennen und ihn nicht nur als ein Ding, als einen Gegenstand, einen biologischen Organismus, also als Teil der Außenwelt (was der Körper natürlich auch ist), zu behandeln.“ (Seemann 1998, S.17) Menschen entwicklen unterschiedliche Schwerpunkte, werden Kopf- oder Gefühlsmenschen etc. Der Körper kann nicht losgelöst vom Fühlen und Denken Betroffener angesehen werden: mit Hilfe  des Geistes können wir den Körper gleichsam nach Hause holen, ihn wieder anbinden ( s.a. Kreative Selbsterfahrung: Der Anker in meinem Körper).

Eine gute Woche und Sonniges an diesem Feiertag wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Familientragik:gemeinsam einsam

Corona veraendert unsere sozialen Beziehungen. Die Krise pointiert,verschaerft,spitzt zu. Die Zahl der erwachsenen Kinder, die sich in der Herkunftsfamilie einsam und fremd fuehlt,sich von ihren Eltern nicht verstanden fühlt, scheint groß zu sein. Eine große Rolle spielen in diesem Prozess  Hören und Begegnen. Dabei scheint vielmehr „Nebeneinanderher“als  „Miteinander“ verbreitet gewesen zu sein….und sich teils tragisch im Jetzt zu wiederholen.

Zuhoeren-eine Beziehungsvoraussetzung

Nicht nur Ehen und Partnerschaften scheitern  an mangelndem Zu-Hören, auch Freundschaften, Kollegialität und nicht zuletzt Beziehungen zwischen Kindern und Eltern zerbrechen, interpretiert als scheinbar nicht vorhandenes Interesse. Hören und Begegnen meint hier nicht, Wortinhalte aufzuschnappen und diese für die eigene Erzählung oder für das Weitererzählen zu nutzen, (um etwa Erziehungsbotschaften an das Kind scheinbar gekonnt einzuflechten oder das Kind zu verbessern), sondern Zu-Hören meint,  Worte und das Erleben des Anderen ganz in sich aufzunehmen. Je weniger Eltern Beziehung zu ihrem eigenen Innenraum hatten und haben, zu ihren Gefühlen und Stimmungen etwa, umso weniger sind sie oft in der Lage, wirkliche Begegnung zu ihren Kindern zu ermöglichen. Süchte und manche psychische Erkrankung verstellen Eltern teils den Weg zu ihrem eigenen Innenraum ( oder sie werden süchtig, weil der Weg schon früh verstellt war). Das Kind interpretiert dieses mangelnde auf es Eingehen, elterliches nicht wirklich Zuhören und in Resonanz gehen Können, in der Regel als seinen eigenen Fehler: Das Kind glaubt, nicht interessant oder nicht gut genug zu sein, damit Eltern ihm zuhörten. Es idealisiert in diesen Fällen die Eltern als „richtig und kompetent“ und sich selbst als „defizitär“. Oftmals stellt es sich bei genauerer Untersuchung der Beziehungsverlaufes aber genau anders herum dar: dann haben Eltern Probleme mit Hören und Begegnen, da ihnen der Kontakt zur eigenen Innenwelt verloren gegangen ist.

Nicht gehoert- weniger Selbstwert

Nun könnte man meinen, dass diese Kausalität nicht so wesentlich ist: die Praxis zeigt jedoch, dass die angenommene Begründung wesentlich ist für die Weise, wie das Kind sich in der Welt bewertet, für seinen Selbstwert: dauerhaft nicht richtig gesehen und verstanden Fühlen geht meist mit niedrigem Selbstwert einher. Und sie drohen als Erwachsene selbst zu Eltern zu mutieren, die ihren Kindern ungewollt Ähnliches antun:siechaben Probleme,wirklich,aufrichtig und offen,zuzuhoeren. Viele Eltern der Neuzeit scheinen das Zu-Hören nicht gelernt, verlernt oder seine Bedeutung vergessen zu haben.

Einsam unter Menschen:gemeinsam einsam

Je höher der Leistungsdruck, je mehr wir vor allem „weiterkommen“ müssen und uns kaum spüren dürfen, umso größer ist die Gefahr, dass wir anderen nicht mehr wirklich zuhören und selbst von ebensolchen anderen nicht mehr gehört werden. Wir stülpen anderen vielleicht unsere Ideologie über, benutzen sie, um unser Wissen „loszuwerden“, zu glänzen vielleicht: aber der Beziehungsraum im Dazwischen droht zu verarmen. In der Folge fühlen wir uns dann selbst unter Menschen, die wir eigentlich lieben und schätzen, allein und verlassen: einsam unter Menschen… ein Gefühl, das vielen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien nur allzu bekannt ist.

Ich werde nicht geliebt…die unendliche Beziehungsgeschichte

Diese kindliche Erfahrung droht in den erwachsenen Beziehungen wiederholt zu werden: „Er hört mir nicht zu!“  Wie oft diese Aussage, durchaus auch geschlechtsunterschiedlich, geäußert wird…oftmals ist diese Aussage mit der Steigerung: „Sie interessiert sich nicht für mich!“ gekoppelt, eine katastrophale Überzeugung, die oft vorausgeht, wenn Beziehungen endgültig zu scheitern drohen.

Überlegen Sie doch einmal, wann Sie sich zuletzt von einem Menschen völlig verstanden gefühlt haben? Wie ist dieses Gefühl entstanden, was hat der andere genau getan, was hat es bei Ihnen ausgelöst?

Der Weg zum Du fuehrt ueber das Ich

Der Weg aus der Einsamkeit und Isolationsgefühlen muss uns immer auch zu uns selbst führen. Dazu bietet die Coronakrisen,neben den schweren Belastungen auch Chancen. Der Weg nach Innen, zu uns selbst und in die Ruhe, ist eine wesentliche Voraussetzung, um Hören und begegnen zu können: uns selbst und anderen.  Nur wenn wir uns von unseren eigenen Gedanken und Gefühlen distanzieren können, wenn wir unser eigenes „Ding“ loslassen können, erst dann können wir wirklich hören und begegnen. Für viele Erwachsene aus belasteten Familien ist das Nicht-Gehört-Werden das Vertraute: oftmals suchen sie sich Partner und Freunde, bei denen ihnen dieses NichtgehörtWerden neuerlich „passiert“. Ein erster Schritt hinaus aus diesem Käfig des Nichtgehört Werdens ist der Weg, sich selbst zuzuhören. Was erzählt Ihr Körper, Ihr inneres Kind, welche Gefühle haben Sie gerade jetzt? Manche Menschen warten verzweifelt auf die nächsten Ferien, den nächsten Urlaub, das Ende der Corona Shutdowns, damit sie endlich etwas erleben könnten:  doch dazu muss nicht hektisch in die Ferne gereist werden, spannende Abenteuer liegen nahe: Ihr Inneres haelt diese Abenteuer für Sie bereit. Und von Ihrem Inneren ist es nur ein Schritt zum Partner im Jetzt.

Einen guten Start (oder auch Fortsetzung) in die Schul- und Arbeitszeit wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Von der belasteten Kindheit zum besseren Leben-„…neu laufen lernen

Wie besprochen soll es in dieser Woche weiter um Menschen gehen, die von sich sagen, dass es ihnen nach einer schwierigen Kindheit heute besser geht; in Befragungen schildern sie ihren persönlichen Weg. Heute möchte ich  Ihnen Frau L. vorstellen, eine Enddreißigerin, die ihren Beruf als Sozialarbeiterin aufgrund von Erschöpfungszuständen aufgeben musste. Ihre Mutter ist inzwischen trockene Alkoholikerin. Frau L. trifft diese etwa alle zwei Monate.

Vorher „Im Hamsterrad“

„…wie in einem Hamsterrad gefangen. Alles war schwarz und grau. Ich sah und spürte nichts mehr, ich wusste weder, wo ich hinwollte, noch warum sich alles so furchtbar anfühlte – ich gab mir selbst daran die Schuld.“

Jetzt: „Frieden“

„Jetzt fühle ich mich gut, was mir auch sehr fremd ist, da es das in meinem Leben so wenig gab. Da brauche ich immer wieder Mut, dem Neuen zu vertrauen…Ich musste ja bei jedem noch so kleinen Schritt Hilfe haben, ob er gerade wieder wirklich für mich stimmig ist, ob es richtig ist für mich – oder ob ich nur reagiere auf das, was andere erwarten. Das war mühsam, aber ich empfinde nun oftmals Frieden und Freude. Ich musste von Stunde zu Stunde Wegweiser haben, um jeweils zu wissen, wie es genau weitergeht. Ich habe eigentlich neu laufen gelernt. Es haben sich neue Ziele und Blickwinkel in dieser Zeit entwickelt. Ich habe meine Belastungen erkannt und abgeworfen.“

 Für ihre Zukunft wünscht sie sich: „Das Leben genießen“

Wie hat es Frau L. geschafft?

Wie viele Erwachsene aus belasteten Familien ist bei Frau L. im Laufe ihrer KIndheit ihre Bewertungsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigt worden. In Familien, in denen Werte nicht klar sind, wo „richtig“ und „falsch“ in der Sucht etwa durcheinandergehen, wo „wichtig“ nicht mehr von „unwichtig“ zu unterscheiden ist, beginnen die Kinder oftmals zu schwimmen ( übrigens auch eine nachhaltige Lernbeeinträchtigung bei Kindern, die meist übersehen wird). Die grundlegende Orientierung geht verloren. Aus  „Ich weiß nicht, was wichtig ist“ wird leicht: „Ich weiß nicht , was mir wichtig ist!“ und schließlich „Ich bin nicht wichtig!“Auch als Erwachsene tun sie sich dann mit  Bewertungen schwer: sie können kaum ein Maß für ihre Belastungen finden, wissen nicht mehr, was zu viel ist;jede noch so kleine Entscheidung bringt sie in existenzielle Nöte: „Bloß nichts falsch machen“ und bitte alles so perfekt, dass es keinen Fehler zu bemängeln gibt. Über diesen Prozess ist Frau L. erschöpft. Belastungen mussten reduziert, Entscheidungen unterstützt und begleitet werden ( man könnte diesen Prozess auch als kindliche Nachnährung bezeichnen, im Sinne des AWOKADO-Hilfe-Konzeptes wurde „Orientierung“ angeboten). So fand sie aus ihrer Starre und Erschöpfung in ein selbstbestimmtes Leben zurück.

Geben  Sie die Hoffnung nicht auf…wenn Sie mit einem belasteten Elternteil oder Partner leben oder gelebt haben: nutzenSie das Jetzt, um Ihren Weg neu und gut zu erträumen/imaginieren und ihn vielleicht auch bald tatsaechlich zu gehen.

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Und was machen Sie in der Krise…Zwischen Grübel-Denken, Dauer-Fühlen und Körperfanatismus

Krisen koennen Identitaet erschuettern.Wenn nichts mehr so ist,wie es war,so wie jetzt in Coronazeiten,kann das uns selbst,unsere Beziehungen und Lebensentwuerfe in Frage stellen.Wenn wir uns fragen, wer wir sind, wenn wir uns mit unserer Identität beschäftigen, dann können wir das auf vielfältige Weise tun: alle Wege entspringen letztlich einer Vorstellung, einem Modell: nie sind diese Modelle die Wirklichkeit selbst, sondern sie sind lediglich HIlfsmittel und Abbilder. Eine Herangehensweise, ein in der Praxis  erprobtes Denkmodell, ist das Modell der „Säulen der Identität“ nach Hilarion Petzold, mit dem Sie sich schon einige Male beschaeftigen konnten,etwa in meinem Blogbeitrag zum Jahreswechsel.

Wenn wir in einer belasteten Familie aufgewachsen sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, sich besonders intensiv mit der Frage nach dem „Wer bin ich?“ ( manche nennen es auch das „Selbst“) zu beschäftigen:  wer in seiner Familie lernen musste, sich selbst möglichst nicht wahrzunehmen und zu spüren, wer zu früh viel zu große Aufgaben, nämlich die der Erwachsenen, übernehmen musste, wer Dinge schulterte, denen er nicht gewachsen sein kann, der verliert leicht den Zugang zu sich selbst. Er weiß dann vor allem viel über die Bedürfnisse seiner Mitmenschen, seiner Eltern und Geschwister, aber wenig über sich selbst: sich selbst zu finden, das eigene Wollen, Wünschen, das rechte Maß usw. zu finden, wird dann oftmals eine Lebensaufgabe, die bis in das hohe Erwachsenenalter hineinreicht. Bei manchen dauert der vernebelte Blick auf die familiären Schwierigkeiten sogar ein Leben lang an: der Zugang zum Ich, zum Eigenen, scheint chronisch verwehrt.

Als stark beeinträchtigt empfunden wird dann die leibliche Säule der Identität. Insbesondere das Zusammenspiel zwischen Körper, Seele und Geist (in der leiborientierten Therapie auch mit dem altertümlich klingenden Begriff  Leib bezeichnet) funktioniert nicht gut, d.h. Betroffene erleben sich teils abgeschnitten, Ihnen fällt es schwer, alle  leiblichen Teile wahrzunehmen, geschweige denn sie in für sie günstiger Weise zusammenspielen zu lassen. Gehäuft tritt eine Unterbrechung zur Gefühlsleitung auf: wenn diese Betroffenen nach ihren Gefühlen forschen, so empfinden sie zunächst einfach „nichts“. Das Nichtfühlen ist hier an die Stelle der allzu negativen Gefühle gerutscht. Ebenso ist oftmals die Kontaktleitung in den Körper unterbrochen, dieser wird erst dann wahrgenommen, wenn er sich krank verweigert und Alarm schlägt. Oftmals sind die Denker dann, so beschreiben sie sich selbst, „immer im Kopf“. Halten wir fest: die leibliche Säule funktioniert nur dann gut, wenn alle Teile miteinander kooperieren können. Ins Extrem überzeichnet können wir drei Typen unterscheiden:

Denker grübeln und grübeln, stürzen sich verständlicher Weise meist auf Hilfen, die Ihnen noch mehr Kontrolle über das Denken ermöglichen,

 „Fühler“ fühlen sich oft von ihrem Gefühlsreichtum überflutet und sitzen hartnäckig in ihren Gefühlen fest (und weigern sich manchmal diese mit in ihr Denken einzubeziehen)

Körperorientierte sind oft einseitig nur noch mit dem Körper und seiner Präsentation befasst, sie richten ihr Leben extrem auf die Kontrolle über ihren Körper aus: wie die elterliche Sucht etwa wird nun der eigene Körper zum wechselhaften Schlachtfeld der Extreme von Kontrolle, eiserner Disziplin und schuldhaft erlebtem Versagen. Hier ist der Körper „Markenzeichen“, wenig Wohlfühlstätte.

Wenn Ihnen die Beantwortung der Fragen zu Ihrer leiblichen Säule teils schwer fielen, so kann dies wertvolle Hinweise über ihr individuelles Zusammenspiel von Körper, Seele und Geist liefern. Schauen Sie vielleicht die Beantwortung zur 1. Säule noch einmal mit diesem Blickwinkel an und erhalten so Aufschluss, ob sie sich zu den Denkern, Fühlern oder Körperorientierten zählen. Beginnen Sie behutsam, die jeweils anderen Bereiche achtsam mehr in Ihr Leben einzubeziehen: die Belastung Ihrer Kindheitstage kann Spuren hinterlassen haben, aber diese sind nicht unveränderbar: Jetzt besser leben!

Ziel in der leiborientierten Arbeit ist Integration.

„Manchmal dachte ich, ich werde mit diesen Trinkern um mich herum verrückt…Mir half, glaube ich Sinnlichkeit, mit allen Sinnen in die Natur gehen, zu riechen, zu schauen: dann wusste ich, dass es mich noch gibt.“ (Frau E., 37)

„Ich stehe morgens auf und frage mich, was ich heute spüre, wie es mir jetzt geht. Das erfordert täglich meinen Mut. Früher hätte ich vor meinem Inneren davonlaufen mögen. Heute muss ich mich nicht mehr übergeben, es klingt verrückt, dass ich mich erst jetzt kennenlerne. Im Alter von 42 Jahren beginnt mein Leben mit mir!“ ( Frau L., 42 Jahre)

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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…und nie ist es genug-Sysiphosfamilien

Unsere Herkunft prägt unsere Zukunft. Unsere Herkunftsfamilie prägt, wer wir sind…und noch vielmehr, wer wir zu sein glauben. Als die- oder derjenige wir im familiären System unserer Kindheit gehandelt wurden, sehen wir uns oft noch im hohen Erwachsenenalter: Sündenbock, Sonnenschein, Versager, Hexe…die Rollen, die zugeschrieben werden, sind ebenso vielfältig wie oftmals überhaupt nicht auf das betreffende Kind zutreffend ( s.a. Barnowski-Geiser/Vater, Mutter, Sucht und Wegscheider). Und diese einmal erfolgten Rollenzuschreibungen und ihre Übernahmen halten sich doch hartnäckig: starre Rollenübernahmen und Zuweisungen wirken in desolaten Familiensystemen offenbar Halt gebend: für die Kinder sind sie oftmals das einzig Aufmerksamkeit versprechende Korsett.

Gerade besonders belastete Eltern haben oftmals Mühe,  ein gelingendes Leben zu führen:  tragisch naheliegend, diese schwierige Aufgabe nun an die Kinder weiterzugeben, zu delegieren..und bei weiterem Nichtgelingen des elterlichen Lebens  Versagen und Schuld teils unreflektiert  an die Kinder zu geben. Unbewusst meist, ohne Worte, als stummer Vorwurf. Den Eltern ein gutes Leben zu ermöglichen…für diese Aufgabe rackern viele dieser Kinder ihr Leben lang, bis zur Selbstaufgabe, unermüdlich, tragischerweise erfolglos meist: Belastete Eltern seien oftmals wie ein Fass ohne Boden, nimmersatt und nie zufrieden,  so beschreiben es betroffene Kinder. Sie geben hinein und hinein und das Angebotene scheint durch die Eltern wundersam hindurchzufallen, ohne je auf einen fruchtbaren Boden zu fallen, verschluckt im Nichts…die süchtige Mutter bleibt süchtig und unzufrieden, der depressive Vater bleibt in Depression und in seinem Weltschmerz, trotz aller großen Anstrengung: aussichtslos! Gerade, weil so vieles eigentlich eine elterliche Aufgabe wäre, die ungetan bleibt, wird das Geschehene in einen Tarnmantel aus Scham gehüllt. Das erwachsen gewordene Kind spürt, wenn die elterliche Beziehung in der bekannten Weise bestehen bleibt, kaum Veränderung: es ist und bleibt nie genug! Aus diesem wiederholt erlebten Nicht-Genügen ( und der Anklang an die Zeugnisnote ungenügend ist nicht zufällig) wird leicht persönliches Versagen, ein chronisches „Ich genüge nicht!“.  Diese existenzielle Erfahrung drohen Betroffene zu generalisieren, sie übertragen sie auf weitere Bereiche, auf ihre Arbeit etwa oder ihre Partnerschaften und nahen Beziehungen.  Mit weitreichend negativen Folgen: erfolglose Anstrengung erschöpft, Dauerfrustration kann in eigene Erkrankung führen (Forschungen belegen das hohe Risiko der betroffenen Kinder).

     Vielleicht finden Sie sich in diesen Beschreibungen wieder? Dann machen Sie den heutigen Tag doch zum ersten Tag Ihres neuen Lebens: Schauen Sie mit offenem und klaren Blick, würdigen Sie, was Sie an Einsatz geleistet haben…und lassen es nun dort, wo es nicht gewürdigt werden kann oder wird, genug sein.Vielleicht stimmt auch für Sie die Aussage: Ich habe sehr viel gegeben, aber leider waren meine Eltern nicht in der Lage, das zu würdigen oder anzunehmen...Sie können eines ab jetzt anders machen: in Ihrer inneren Bewertung und Zuschreibung. Mit dem verstorbenen Roger Willemsen ( Wer wir waren) mag ich Sie einladen, Ihre Gegenwart aus der Zukunftsperspektive zu betrachten…und aktiv zu ändern.

„Erspare ich mir die müßige Frage danach, wie wir wohl künftig sein werden, und nutze die Zukunft vielmehr als die Perspektive meiner Betrachtung der Gegenwart, dann werde ich nicht mehr fragen, wer wir sind, sondern wer wir gewesen sein werden. Nachzeitig werde ich schauen, aus der Perspektive dessen, der sich seiner Zukunft berauben will, weil sie ihn schauert, im Vorauslaufen zurückblickend, um sich so besser  erkennen zu können, und zwar in den Blicken derer, die man enttäuscht haben wird.“ ( Willemsen, S.24f)

   Willemsen hat treffende Worte gefunden, um gesellschaftliche Entwicklungen zu charakterisieren; manche Perspektive scheint wertvoll im Kontext der belasteten Familie,gerade auch zu Coronazeiten… „Nichtwissen im Wissen zu behaupten; nicht gewusst zu haben werden, während man doch wusste.“ ( S.10)

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihr Wissen für sich nutzen können.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Mein bester Freund,mein wahrhaftigster Zeuge: wie Ihr Körper vom Gestern erzählt

Er weiss, was dir gut tut und was nicht.

Keiner kennt dich so wie er.

Er folgt dir treu auf Schritt und Tritt.

Er vergisst nicht.

Er leistet unfassbar viel für dich.

So einen Freund hätten sie gern an Ihrer Seite? Sie haben Ihn schon: Ihren Körper!  Ihr Körper macht all das ein Leben lang: da er jedoch auch die Gefühle und Wahrheiten zu schwierigen Familiensitutionen erzählt, bezeugt und erinnert, steht er in belasteten Familien leicht in der feindlichen Ecke: der Körper wird kurzerhand zum Verräter erklärt, gerade da wo Fassaden aufgebaut werden. Kinder aus belasteten, tabuisierenden Familiensystemen verinnerlichen diese Sicht irgendwann: sie beäugen ihren eigenen Körper kritisch, misstrauisch, vertrauen ihm nicht… Die inzwischen verstorbene Tanztherapeutin Trude Schoop nannte den Körper in diesem Sinne eine „Klatschbase“.Und der Körper kann auch dann noch,vielleicht zum ersten Mal erzählen, wenn das Belastende lange vorbei ist. Wenn der Koerper sehr lange unerhoert bleibt, Körper und Seele nicht mehr weiterwissen, kann das in Krankheit münden: auch als Spätfolge im Erwachsenenalter.

Wie man doch noch gut Freund mit dem Körper werden kann, zeigt Hanne Seemann in ihrem lesenswerten Buch.

Und was hilft mir heute, fragen Sie sich zurecht,gerade jetzt in der Coronakrise,in der mein Koerper unter Stress steht,dauerangespannt ist?…wie würden Sie einen alten verletzten Freund behandeln? Vielleicht pflegen, zuhoeren,streicheln, verstehen, was ihm wiederfuhr, trösten?…Seien Sie heute gut zu Ihrem Freund, dem Körper…fragen Sie ihn nach seinen Wuenschen…das kann Ihre heutige CoronaKrisenKreativChallenge sein:denn gerade jetzt,wo andere ferner ruecken muessen,koennen wir uns selbst naeher kommen.Einen schoenen Tag wuenscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

„Leichtigkeit und Schwere haben sich zusammengefügt!“ oder wie Frau N.`s Leben besser gelingt

Menschen mit Kindheitsbelastungen warten auf Heilung, auf ein besseres Leben – oft ist diese Besserung für sie gekoppelt an Veränderung erkrankter Elternteile oder Partner. Sie denken, dass ihr Leben nur besser sein kann, wenn etwa die Mutter aufhört zu trinken, der Vater nicht mehr so depressiv ist u.ä. Damit einher geht meist der Wunsch, dass der kindlich erlebte Mangel, schlechte Erfahrungen doch noch entschädigt werden, endlich Ruhe und Frieden einkehre; andere möchten endlich eine Beziehung erleben, in der sie so geliebt werden wie sind – anders als damals.

Wie haben Menschen es geschafft, die mächtigen Spuren des Gestern dennoch hinter sich zu lassen und heute besser zu leben? Dazu möchte ich Ihnen  einige Menschen vorstellen, die ich auf kreativen Wegen interviewt habe und die auf ihre Weise ihren Weg zu einem besseren Leben schildern. Soviel vorab: Meist hatte das als besser empfundene Leben weniger mit der Veränderung des Angehörigen zu tun…

Beginnen wir mit einer jungen Frau, die ich hier Frau N. nennen möchte. Frau N. hat einen sozialen Studiengang abgeschlossen und ist aus ihrem Elternhaus erst kürzlich ausgezogen. Das war ein großer Schritt für sie. Ihr Vater ist Alkoholiker mit Dauerkonsum, „heimlich und heftig“, wie sie sagt, „mit allen Ausbrüchen  und Auswüchsen, die man sich vorstellen kann“. Auch wenn er immer noch arbeite und ein bekannter Jurist in seiner Heimatsatdt sei: sein Alkohol-Doppelleben sei für die meisten Menschen wohl nicht vorstellbar, auch nicht seine heimische Cholerik. Um ihren Weg von der Zeit vor der Therapie bis heute zu schildern, wählt Frau N. Kunstdrucke, denen sie selbst Namen gibt.

Vor der Therapie „Stürzen“ (Kunstdruck von Frida Karlo)

„Ich war stumm und drohte zu erstarren. Ich hatte lauter ungute Männerbeziehungen und war nicht aus meinem Elternhaus abgelöst, fühlte mich für alles dort zuständig, während mir die Atmosphäre gar nicht gut tat. Ich hatte wenig Selbstbewusstsein, es fühlte sich an, als würde ich demnächst tief stürzen.“

Jetzt:„Dem Gipfel nahe“ (Kunstdruck v. C.D. Friedrich)

„Ich habe sehr viel geschafft, ich bin ausgezogen und viel selbstbewusster. Ich achte auf mich und spüre mich – ich schaue vom Gipfel in eine andere Welt, von der ich früher nur eine Ahnung hatte. Ich freue mich, dass ich das jetzt auch mit einem Partner, der mich achtet, teilen kann. Das ist neu. Ich fühle mich sehr leicht, Leichtigkeit und Schwere haben sich zusammengefügt. Ich habe eine eigene Familie und lebe in einer liebevollen Atmosphäre mit viel Zärtlichkeit, die mir so fremd war. Ich traue mich heute, mich auf mir liebe Menschen einzulassen. Ich habe einen Blick für meinn Leben – früher war ich nur mit meinen Eltern beschäftigt. Ich weiß jetzt, dass ich sie nicht ändern kann und auch nicht zuständig bin. Mir half, dass ich in der Therapie ernst genommen und so wieder achtsam für mich selbst wurde. Ich fühlte mich geschützt und unterstützt – in meiner eigenen Wahrnehmung- das hatte gefehlt.“ (zit. in Anlehnung an Barnowski-Geiser, W. :Hören, was niemand sieht).

Wie gelingt Frau N ihr neues Leben: sie musste etwas zurücklassen, in diesem Fall ihr Elternhaus und die damit verbundene ungute Dauernähe zum Suchtkranken und seinen Ausbrüchen. Sie musste Abstand zu ihrer eigenen Verantwortlichkeit gewinnen und demütig einsehen, dass sie die Situation der Eltern nicht wirklich ändern kann. Sie musste einen Blick für die Leichtigkeit neben der Schwere finden, achtsam für Leichtes werden und wirklich leichter leben.

Nun werde auch ich ein paar Tage Blogschreibpause einlegen: eine gute Osterzeit,wenn auch mit ungewoehnlichen Einschraenkungen durch die Coronakrise, mit kleinen Dennochschoenen Momenten wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

 

Passen Sie gut auf sich auf-Vom Schutz in familiären Dauerstürmen und anderen Katastrophen

Wenn Herr N, 34 jähriger Mathematiker, die Atmosphäre in seiner Herkunftsfamilie beschreibt, dann könnte man denken, man habe es mit einer Katatstrophenmeldung zu tun. „Meine Mutter ist ein Tornado!“, erzählt Herr N, „Wenn sie loslegt, fühlen wir uns alle vernichtet, kein Stein steht mehr auf dem anderen. Und das Schlimme ist: nach dem Tornado ist vor dem Tornado.“

Elterliche Tornados können tiefe Spuren hinterlassen ( Buch zum Thema).In Kindern, die die Kindheitsjahre hindurch mit einem besonders schwierigen Elternteil überstehen mussten (und manchmal dieser Belastung weit ins Erwachsenenalter hinein ausgesetzt sind), können diese Erfahrungen  nachhaltig wirksam bleiben, insbesondere, wenn sie über Jahrzehnte, oftmals ohne jede Zuwendung von Außen durchlebt werden mussten. Oft haben diese Eltern selbst als Kinder Dinge erlebt, die sie nicht verkraftet haben: ihr Blick auf ihre elterlichen Aufgaben, die sich z.B. mit Trösten und Halten, mit einfühlendem auf das Kind Eingehen beschreiben lassen, ist dann meist verstellt. Im Gegenteil fordern diese Eltern diese Qualitäten sogar von ihren Kindern selbst ein.

Was tun? Schutz ist von Nöten. Kinder verfügen teils über günstige Widerstandskräfte. sogenannte Resilienzen. Was tun, wenn die Belastung bis ins Erwachsenenalter anhält? Schauen wir pragmatisch. Was rät man Menschen, die in klimatisch schwierigen Gegenden reisen wollen: möglichst die Gegend meiden. Menschen, die dort beheimatet sind, rät man fortzugehen, wenn möglich oder entsprechenden Schutz aufzubauen ( die Seele findet Wege, indem sie etwa nicht mehr wahrnimmt)- aus therapeutischer Arbeit kennen Sie vielleicht die Arbeit mit imaginären Schutzräumen ( dazu auch Bücher von Reddemann und Huber empfehlenswert). Als Kind können die meisten nicht fort, als Erwachsene jedoch gibt es, auch wenn sich das oftmals anders anfühlt, eine Wahl: Distanzieren kann dann eine not-wendige Option sein. In Ambivalenz zwischen Liebe und Lösen gefangen, stellt dies eine schwierige Herausforderung für Betroffene dar.

Wenn das Leben der Liebe zum erkrankten Elternteil regelmäßig in Zerstörung und Selbstaufgabe mündet, kann es an der Zeit sein, das Kontaktmaß auf ein erträgliches Maß zurückzustufen und so Belastung zu reduzieren ( s.a. Beziehungs-Entlastungs-Diagramm). Herr N beschreibt, dass es ihm helfe,  das Geschehen zu Hause heute endlich zu begreifen… Worte zu finden… die Schwierigkeit bei der Mutter und weniger nur bei sich selbst zu suchen..und zu wissen, dass er nicht so viel Kraft habe, jeden mütterlichen Tornado mitzuerleben- Selbstschutz durch weniger Besuche laute sein Rezept. Er sei jetzt achtsam auf Tornados gefasst…

Liebe Grüße und Bestes für eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Den Himmel sehen…auch in der Krise

Die Krise rund um das Corona-Virus dauert an. Nun sind wir schon ein ganzes Stück des Weges hier im Blog gemeinsam gegangen.

Nehmen Sie sich doch einen Augenblick Zeit und gehen Sie der augenblicklichen Krise im Außen nach… überlegen, wann Sie die Corona-Krise eigentlich zum ersten Mal bewusst wahrgenommen haben?

Wann fing das Thema Corona an, in Ihrem Leben Bedeutung zu bekommen?

Was hat sie eingeschränkt, vielleicht sogar massiv, und was haben Sie vielleicht auch neu dazugewonnen?

Was hat Sie durch die Krisentage getragen?

Menschen mit schweren Kindheitstbelastungen sind in der Regel zwangsläufig KrisenbewältigungsmeisterInnen geworden. Mich interessiert seit vielen Jahrzehnten, was genau Menschen hilft, mit schweren familiären Krisen umzugehen… und wie es dennoch möglich wird, ein befriedigendes oder gar glückliches Leben zu führen. Dazu habe ich über ein Jahrzehnt Menschen befragt und anschließend analysiert, welche Bausteine sie gefunden hatten, um ihr Leben gelingen zu lassen. Einige dieser Interviews, die ich mit kreativen Methoden geführt habe, in den nächsten Tagen hier in Kurzfassung. Die Befragten waren eingeladen, die Zeit vor der Therapie, das Jetzt und ihre Zukunft in Bildern, Klängen oder Bewegungen darzustellen. Heute Frau H, zum Zeitpunkt der Befragung 37 Jahre alt und Tochter eines chronischen Alkoholikers

Vor der Therapie: „Hexenkessel

„Ich bin in einem inneren Hexenkessel gefangen, nichts aus mir darf hinaus. Ich habe Ängste und weiß nicht mehr weiter. Ich habe die Orientierung für mein Leben verloren.“

Jetzt:  „Himmel sehen

„Ich sehe die Dinge klar und habe wieder einen Blick für die Weite. Ich sehe den Himmel über mir und verspüre Lebensfreude.“

Zukunft „In Balance“

„Ich möchte noch ausgeglichener werden und  nicht mehr abhängig von meinen Stimmungen, vielleicht noch unabhängiger von meinen Beziehungen.“

Hilfreich:

„Ich habe in der Therapie zum ersten Mal Wertschätzung und Würdigung erfahren und mich dadurch getraut, wahrzunehmen, was in mir brodelt. Die Würdigung in der Therapie hat mich geöffnet und mir eine neue Orientierung gegeben.“

(zit. Barnowski-Geiser, 2009. Hören, was niemand sieht)

Sehen Sie nun auch wieder den Himmel? Ein schönes Bild, finde ich…und das wünsche ich IHnen,

herzlich

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

…machen wir das Beste draus!

Waehrend ich an einem neuen Blogbeitrag sitze, schickt mir eine liebe Freundin die weitergeleitete Nachricht der Gruppe „Silbermond“. Ein toller Song mit einer wunderbaren Aktion im Gepäck- ich finde, Besseres kann ich heute nicht schreiben…deshalb heute diese Zeilen zu Ihnen, liebe LeserInnen, da draußen überall in der Welt. Ja, machen wir das Beste draus!
Herzliche Grüße
Ihre
Waltraut Barnowski-Geiser
https://youtu.be/q62vWAmBPrg

Am Mittwoch haben wir bei Mark aus der Forsterstraße sehr spontan ein neues Lied gespielt, dass wir letzte Woche geschrieben haben.
Uns haben viele persönliche Zeilen erreicht, in denen gefragt wurde, wo man das Lied hören kann. Die Wahrheit ist, nirgendwo.
Das wollten wir so natürlich nicht auf uns sitzen lassen und da diese Zeiten von allen Erfindungsreichtum und Kompromisse fordern, sind gestern und vorgestern irgendwo zwischen Kleiderschrank, Küche und Couch diese Aufnahmen entstanden.
Wir waren in keinem Studio und wir 4 haben uns dafür nicht gesehen. Auch das Video haben wir selbst gemacht, wie man sieht😊

„Machen wir das Beste draus“ – Homerecordings im wahrsten Sinne des Wortes.

Dieses Lied soll uns nicht bereichern und wir wollen keinen Profit aus der aktuellen Lage schlagen!
Musik ist aber gerade in solchen Zeiten vielleicht ein Anker und ja auch irgendwie ein Garten für uns. Rauskommen, reflektieren, traurig sein, Hoffnung tanken. Wir wollen das mit euch teilen – ebenfalls im wahrsten Sinne des Wortes.

Wir hoffen so sehr, dass wir im Sommer mit euch feiern können.

Achso:

Sollte dieses Lied Kohle einspielen, wird die gespendet. Das versteht sich von selbst.
Die Erlöse gehen an die Tafel Deutschland. https://www.tafel.de

So jetzt sind wir auch schon still.

Bleibt gesund und allen, denen es nicht gut geht: viel Kraft.

Stefanie, Thomas, Johannes und Nowi

Also teilen, teilen, teilen,…. jeder Klick kommt der Tafel Deutschland zugute!

„Es tönen die Lieder…“- Warum sie summend die Corona-Krisenzeiten besser überstehen

Wie die Zeit vergeht! Agnetha von der Popgruppe Abba wird heute 70 Jahre alt, und die immer ein wenig durchs Leben tobende Barbara Rütting ist im Alter von 92 Jahren am Wochenende leider verstorben. Auch die Corona-Krise bestimmt unser Leben schon einige Wochen: ein unendlicher Zeitkorridor schien vor mir zu liegen und fast erscheint mir auch diese Zeit nun schnell vergangen. Gerade in den letzten Tagen erreichen mich sehr positiv gestimmte Mails von LeserInnen und Lesern, die sich inzwischen offenbar, trotz großen Kindheitsbelastungen, gut in der Corona-Krise, teils mit völliger Quarantäne, zurechtgefunden haben. Von Zeitgeschenken, wunderbaren Naturerfahrungen, entdecktem inneren Reichtum und erlebter Verbundenheit trotz Kontaktsperre ist in Ihren Mails die Rede – ich danke Ihnen sehr für diese Rückmeldungen, die mich berühren und ungeheuer freuen!

Pfeiffen, summen, Musizieren, schlafen- so unterschiedliche Copings

So unterschiedlich wie unsere jeweiligen Lebensweisen, so unterschiedlich sind offenbar auch unsere Bewältigungsstrategien. Der Musiker Daniel Barenboim etwa spielt viel Klavier, schläft 12 Stunden und konstatierte, wie in der SZ nachzulesen, dass sich auch nach einem eingenommenen Frühstück wunderbar weiter schlafen ließe…Musik und Krise scheinen ein unschlagbares Duo: sie finden nicht selten zueinander, wie uns nicht zuletzt einige Biografien bekannter Komponisten zeigen. Aber auch im Kleinen scheint Musik hilfreich sein zu können. Ich erinnere mich gut an meine langjährige Taetigkeit als Musiktherapeutin einer Gesamtschule: wie wichtig den Kindern dort Musik war. Und etwas Seltsames war auffällig: dass viele von Ihnen oft leise, immer und überall, vor sich hin summten. Manche berichteten, dass ihr Summen andere nerve, aber dass es ihnen gut tue, Sicherheit gebe: ein Gefühl von Halt und mit sich selbst verbunden sein. Wie so oft, hatten die Kinder, die meist aus krisengeprüften Familien und Situationen stammten,  damit einen gesunden Bewältigungsweg für sich gefunden.

Singen, Summen,Voodoozauber?

Sich selbst helfen durch summen und singen? Das ist ist kein Voodoozauber. Lassen Sie uns ein wenig ausholen: gerade wenn wichtige kindliche Beziehungen negativ, belastend, ablehnend erlebt wurden, geht das mit körperlichem Stress einher.Betroffene können, hält dieser Stress lange, oft über Jahre, ein ganzes Leben gar, an, kaum noch entspannen. Nervensystem und Hormonhaushalt aktivieren Notfallprogramme für Stress, ohne wieder, da dieser dauerhaft anhält, in einen Ruhemodus zu gelangen. So befinden sich Menschen aus belasteten Familien in dauerhaften Ausnahmesituationen, auf die der Körper mit der Ausschüttung von Kortisol reagiert. So wichtg dieses Hormon bei Stresssituationen ist, so schädlich ist es, wenn es dauerhaft im Organismus agiert. Die Bildung weißer Blutzellen wird gehemmt, im letzten wird das Immunsystem geschädigt. Während diese Anfälligkeit in jungen Jahren teils noch kompensiert werden kann, gelingt diese Anpasssung mit zunehmendem Alter schlechter. Zahlreiche Erkrankungen können auftreten. Diese Erkrankungen können wir letztlich nicht ausschließen: aber wir können Ressourcen aktivieren. Musik kann eine zusätzliche Selbstheilungsressourcesein. Der Forscher und Arzt Benson hat eindrucksvolle Forschungsergebnisse geliefert ( The Relaxation Response, 1975/Weiterführendes zum „Heilsamen Singen“ auch bei Wolfgang Bossinger http://traumzeit-verlag.de/verlagsprogramm–shop/gesamtverzeichnis/die-heilende-kraft-des-singens.php) Angst wird nachweislich gesenkt, die Körperfunktionen normalisiert: die Stimmung wird gehoben.

Also, vielleicht ist es ja ein Abbasong, den Sie heute summen mögen, ein Kirchenlied, eine kleine Melodie: versuchen Sie es! Summen kann gut tun!

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Sucht, Krankheit, Wahnsinn-…und wo bleibe ich?

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Immerhin eine gute Nachricht inzwischen bezüglich der Corona-Krise. Hier in NRW ist die Zahl 10 erreicht: also die Tage innerhalb derer sich die Infektionszahlen verdoppelt. Das waren schon 5, 2 und nun schließlich 10. Viele Erkrankte gelten nun bereits als geheilt- welch ein Glück!

Vielleicht hat das Corona-Thema Sie sehr beschäftigt, vielleicht sind Sie aber auch mehr bei sich selbst angekommen. Und heißt „bei mir“, für Sie immer noch bei anderen- Erkrankten, Süchtigen? Im höheren Erwachsenenalter, oftmals nach vielen Jahren des Zusammenlebens mit erkrankten Eltern, in stillen Momenten, in Momenten des Alleinseins, wird manchmal eine innere Stimme laut. Dann kommt plötzlich  Fragen auf: Wo bleibe ich? Wer bin ich? Und vor allem: Wer bin ich, wenn ich nicht um den Kranken kreise? Diese Frage, oftmals gerade dann gestellt, wenn sich schon eine Loslösung anbahnt, kann eine tiefergehende Identitäts-Krise auslösen. Jens Flassbeck hat diesen Prozess mit dem Buchtitel „Ich will mein Leben zurück“ eindrücklich auf den Punkt gebracht. Denn: Wenn Menschen mit Angehörigen aufwachsen, die beispielsweise sucht- oder/und psychisch erkrankt sind, dann ist ihr Leben oftmals vom Kreisen um diesen Menschen bestimmt. Die Tage und das Leben scheinen damit ausgefüllt: Kinder aus belasteten Familien müssen ständig aufpassen, dass nichts Schlimmes passiert, ob die nächste Krise bevorsteht usw. Viele Kinder scheinen sich,  gerade wenn diese Belastung bis in das Erwachsenenalter anhält, in diesem Aufpassen und Kreisen um erkrankte Eltern zu verlieren, sie gehen sich, wie sie beschreiben, irgendwann selbst verloren. Sich nicht mehr um einen Erkrankten zu drehen (und oft geht die kindliche Sorge um erkrankte Eltern im Erwachsenenalter auf einen erkrankten Partner über), stellt eine große Herausforderung dar. Gefühle brechen auf: Trauer über ungelebtes Leben, Zorn über „verschwendete“ Energie…Ohnmacht über Sinnlosigkeit und Leere.Aus dieser entstandenen  Leere muss ein „eigenes“ Leben neu gebaut werden. Das zeigte sich bei vielen Betroffenen als schwieriger, jedoch lohnenswerter Prozess. Aber wie funktioniert das, fragen Betroffene, wie weiß ich überhaupt, was ich eigentlich will, wo doch solange nur zählte, was die anderen wollen? In diesem Prozess braucht es oft Hilfestellungen. Bücher können hierbei Hilfe sein ( s. unten) wie auch Phasen der Ruhe und Stille, der Rückbesinnung auf sich selbst. Oft macht gerade dieses „Zu sich Kommen“ Betroffenen zunächst Angst: zu ungewohnt, sich mit sich selbst zu beschäftigen, zu fremd und unvertraut. Und dann die Krisenverstärkung durch das Außen: die Corona-Krise bringt Dinge auf den Punkt, Negativ Erlebtes findet eine extreme Zuspitzung. Vielleicht mögen Sie, wenn gerade etwas mehr Zeit und Raum ist, der Frage Ihrer Identität nachgehen

Literaturempfehlung Selbsthilfe:Produkt-InformationProdukt-Information

Produkt-Information… theoretisch-therapeutische Aspekte zur Identität

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Gute Worte in schwierigen Zeiten – ein Perspektivwechsel

„Der Not ist jede Lust entsprossen, und unter Schmerzen nur gedeiht
 Das Liebste, was mein Herz genossen.
Der holde Reiz der Menschlichkeit. (Hölderlin)

 

Kennen Sie das auch, dass Sie in diesen Tagen verzweifelt auf der Suche nach Inhalten sind, die nichts mit Corona zu tun haben? Fernseher anstellen und verzweifelt zappen, die Tageszeitung durchforsten…die Infolage ist bestimmt von Dauer-Kriseninfos. Wenn Sie auch zu den Suchenden nach Gutem gehören, ist diese Suche wahrscheinlich ein probater Rettungsversuch von Leib und Seele: ein versuchter Perspektivwechsel. Somit eine gesunde Regung! Denn: Eine grundlegende Fähigkeit, um eine Krise gut zu überstehen, scheint die Fähigkeit zu sein, eine andere Sichtweise einzunehmen, einen Perspektivwechsel vollziehen zu können. Diesen Perspektivwechsel möchte ich Ihnen heute als kleinen verbalen Kurztrip durch resümierende Gedanken, die ich bei SchriftstellerInnen und FachkollegInnen fand, anbieten.

Allein-Sein als Chance

Einsamkeit ist ein Corona-Thema. In der augenblicklichen Krise wird zur sozialen Distanzierung aufgefordert, bis hin zur einsamen Quarantäne genötigt. Das Thema Isolation hat immer schon eine Rolle in menschlichen Leben gespielt. So soll der Dichter Hölderlin dreißig Jahre allein in seinem Turm zugebracht haben, um sich so ganz seinen Betrachtungen hinzugeben und pointiert „Es ist nichts so klein und wenig, dass man sich nicht begeistern könnte“. Eine Vielzahl an Texten sind entstanden, Quellen der Inspiration aus dem „mit sich Sein“. Pascal Blaise sieht vor einigen Jahrhunderten die Zimmerflucht gar als Wurzel allen Übels. „Alles Elend der Menschheit entspringt einem einzigen Umstand, nämlich dem, nicht ruhig in einem Zimmer bleiben zu können.“ Der französische Schriftsteller Xavier de Maistre (er verweilte nach einem Duell einen Monat in Hausarrest) verwandelte Isolation in einen Reisebericht, der im ungewöhnlichen Buch Reise um mein Zimmer mündete. Vielleicht haben auch Sie in Ihren Kindheitstagen Ihr Zimmer, wenn Sie denn ein eigenes hatten, bereist, mit Fantasie gefüllt, es nicht als Begrenzung, sondern vielmehr rettend erlebt…

Warum Erinnern heilen kann...

Vielleicht mögen Sie sich an diese Zeit nicht mehr gern erinnern, aber wie auch andere Spezialisten aus dem Feld der Kindheitsbelasteten, schreibt Ursula Lambrou in ihrem viel gelesenen Klassiker „Familienkrankheit Alkoholismus.Im Sog der Abhängigkeit“  dem Prozess des Erinnerns Sinnhaftigkeit zu :

„Erwachsene Kinder, die sich Klarheit über sich selbst verschaffen, haben gute Chancen, die Wunden der Kinderzeit, deren Folgen sie noch heute spüren, heilen zu lassen.“

Finnja Stauff, Wiener Fachbuchautorin, fokussiert aus der Perspektive der ontologischen Kinesiologin: „Erst das Verständnis, warum wir in unserem Leben so gelitten haben, ermöglicht uns die wahre Liebe zu uns selbst:“ ( Stauff, F.: Durch Bewusstsein zur Selbstliebe). Und immer ist da die Angst, wenn wir unsere Perspektive ändern und uns  mehr um uns selbst kümmern, die anderen zu sehr aus dem Blick zu verlieren. Sucht-Psychotherapeut und Autor Jens Flassbeck pointiert: „Allen recht getan ist eine Kunst, die niemand kann. Es ist zum Scheitern verurteilt. Nutzen Sie Ihre Freiheit und handeln Sie so, wie Sie es für richtig halten.“ ( Flassbeck, J.: Ich will mein Leben zurück).  Sich selbst vertrauen ist eine schwieirge Kunst, insbesondere für  Kindheitsbelastete. „Selbstvertrauen ist nicht gleichbedeutend mit Selbstsicherheit. Wer sich selbst vertraut, findet den Mut, sich dem Ungewissen zu stellen, statt vor ihm zu fliehen. Der findet im Zweifel, in Tuchfühlung mit ihm, die Kraft sich aufzuschwingen.“ (Pepin, C.: Sich selbst vertrauen. Kleine Philosophie der Zuversicht)

Suchttherapeut und Autor Heinz-Peter Röhr schaut auf die Weitergabe der Probleme durch die Generationen und resümiert: „Kinder lieben, wie sie sind, können nur Eltern, die selbst reif geworden sind und zu Selbstliebe gefunden haben. Einzig so ist es möglich, dass sie nicht ihre eigenen Probleme zu denen ihrer Kinder werden lassen.“ (Röhr, H.P.: Ich traue meiner Wahrnehmung. Sexueller und emotionaler Missbrauch)

Begreifen- nicht werten- ändern

Mir fehlen die Worte!… Es hat mir die Sprache verschlagen! Diese und ähnliche Sätze sind in Zusammenhang mit der Corona-Krise zu hören. Stumm Werden, nicht mehr sprechen geht manchmal mit Krisen einher. Worte können uns weiterbringen, da wo wir feststecken.Worte sind unser Werkzeug, die Welt zu begreifen. Wir müssen erst begreifen, bevor wir etwas in Worte fassen können.  Zweifel seien, so wurde mir von einer lieben Klientin unbekannt zitiert, nicht Unwissen, sondern „das Gütesiegel der Erkenntnis“. Vielleicht haben die Worte der Denker und Schreibenden Sie heute bei Ihrem persönlichen Perspektivwechsel unterstützt. So mag ich für heute mit Worten von Neurobiologe und Erfolgsautor Gerald Hüther enden: „An Ihrem Gehirn liegt es jedenfalls nicht, wenn Sie auch in Zukunft glauben, so weitermachen zu müssen wie bisher.“ (Hüther, G.: Was wir sind und was wir sein könnten. Ein neurobiologischer Mutmacher)

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Darf es ein bisschen mehr „Ich“ sein?- wie wir in belasteten Familien miteinander umgehen

familie Abgrund (2)

 

Wie gestaltet man den Kontakt zu den alten Eltern in der Corona-Krise, wenn die Beziehung schwierig war? Diese Frage treibt im Moment manch einen Kindheitsbelasteten um. Es wird kaum die Antwort auf diese Frage geben und in jedem Fall erfordert diese Ihre ganz persönliche Antwort, fußend auf Ihrem Standpunkt, Ihrer augenblicklichen familiären Situation und Ihren persönlichen Werten.

Wer benennt, fliegt!

Um den eigenen Standpunkt im familiären Miteinander augenblicklich zu finden, braucht es oft zunächst die Erlaubnis, einen eigenen Blick auf die Herkunftsfamilie zuzulassen. Das klingt banal, einfach, ist aber in belasteten Familien eine schwere Herausforderung: eigene Ansichten, etwa über die Sucht der Mutter, waren in der Kindheit meist nicht gewünscht, oft gar nicht erlaubt. Betroffene Kinder lernen, sich einen eigenen Standpunkt, eine eigene Sichtweise zu verbieten, da sie sich mit der unausgesprochenen Konsequenz des Ausschlusses aus der Gemeinschaft konfrontiert sahen. Willst du dazu gehören, musst du denken wie wir!, lautete die oft nicht einmal in Worte gefasste Ansage, die unausgesprochen den Beteiligten klar war. Wenn Sie also bis heute in einer chronifizierten Tabuisierung der Geschehnisse mit Ihren alten Eltern leben, wird es für Sie schwer sein, eine Position zu finden, in der sie nicht nur berücksichtigen, was Ihren Eltern gut tut, sondern vor allem auch Ihnen selbst. Diese eigene Haltung muss dann mühsam erkämpft werden.

Hinschauen bedeutet(e) für viele betroffene Kinder „Abgrund“. Wenn wir aber unsere Fragen beantworten wollen, wie wir heute unseren Umgang mit den Eltern günstig gestalten, dann wird dies kaum ohne diesen Blick auf unser altes Familien-System und wie es funktioniert,gelingen

Zum Beispiel: Suchtfamilie

 Nehmen wir zum Beispiel eine Suchtfamilie: Kinder süchtiger Eltern beschreiben diesen Abgrund genauer. Atmosphäre und Familiendynamik lassen diese Familien offenbar zu Orten mit besonderen Merkmalen werden. Jede Familie ist anders und individuell, und doch zeigt der Ort Suchtfamilie typische Ortskennzeichen, die vielen Familien gemeinsam sind (nach Barnowski-Geiser 2015: Vater, Mutter, Sucht 2015):

  • Nicht-Ort: es wird so stark tabuisiert, das es angeblich keine Probleme gibt

  • Extrem-Ort: alle bewegen sich an kaum zu bewältigenden Grenzen und Extremen. Typisch sind Gefühlsachterbahnen, von denen alle so tun als gäbe es sie nicht

  • Arena: die Familienmitglieder kämpfen um die Sucht und deren Aufgabe, sie kämpfen um ihre eigenen Identität und um den Erhalt der Familie

  • Brutstätte der Sehnsucht: der chronische Mangel im „Nest“ wird Motor für eine beinahe rauschhaft anmutende Suche nach Liebe und Zuwendung, nach gesehen, gehört und erkannt werden

  • Festung oder Burg: nichts darf von Innen nach Außen dringen und manchmal darf niemand hinein, niemand hinter die Burgmauern schauen.

Indianischer Weisheit zufolge werden Menschen immer auch ein Stück von der Landschaft und Welt, die sie umgibt. Folgen wir dieser indianischen Weisheit, so werden auch Menschen aus belasteten Familien etwas von dem familiären Ort annehmen, der sie umgab:

  • Burgbewohner werden demnach ein wenig (oder mehr) versteinern, unzugänglich und verschlossen sein. Oft werden sie als Erwachsene neuerlich Geheimnisträger
  • Arenabewohner wachsen heran zu unermüdlichen, vielleicht sehr tapferen Kämpfern,
  • am Nicht-Ort-Lebende neigen im Angesicht von Schwierigem zum Verleugnen, werden „auffällig unauffällig“ in einer „Hier ist doch gar nichts!-Mentalität“
  • Bewohner der Brutstätte der Sehnsucht werden ewig Suchende nach Liebe – eine Suche, die sie oftmals auch in eigene Süchte katapultiert.
  • Extrem-Ort Erwachsene wirken oft wie Grenzgänger: Wanderer zwischen extremen Beziehungen, extremen Stimmungen, Emotionen und Lebensformen

Neurowissenschaftliche Untersuchungen unterstützen diese alte indianische Weisheit: unsere kindlichen emotionalen Erfahrungen werden neuronal abgespeichert, sie können zu prägenden Bahnungen im Gehirn führen. Wenn wir also ein Verständnis für uns und unser So-Sein entwickeln wollen,wenn wir begreifen wollen, warum wir genau so, in unserer Art und Weise in der Welt sind, kommen wir, so anstrengend es scheint, kaum am Abgrund Herkunftsfamilie vorbei. Wenn wir um diesen Abgrund wissen, kann es  weitergehen: wir können den Abgrund besteigen, erkunden, umgehen, ihn nutzen, überspringen, umtanzen, vielleicht sogar überfliegen. Und auch sehen, mit welchen uns hier ebenso zu eigen gewordenen Stärken wir ihn überstanden haben. Die alte Dynamik wird weiter prägen und wir und die Eltern haben einen Wandel vollzogen: zumindest wir haben die Chance, heute anders zu agieren, unser Rollenkorsett ein wenig zu lösen.

So, nun habe ich aber lange ausgeholt: ja, und genauso schwierig und langwierig gestaltet sich das Antwortenfinden auf den Umgang miteinander  in belasteten Familien heute. Der Klarblick auf die Situation eröffnet die Chance, die eigene Belastung früher und heute anzuerkennen und im zweiten Schritt, die eigene Belastungsgrenze zu finden. Selbstschutz, und dazu gehört auch psychische Belastung, ist nach meinen Erfahrungen das erste Krisengebot. Für die meisten Betroffenen bedeutet Herkunftsfamilie lange Selbstaufgabe. Das kann krank machen, erschöpfen. Die Suchenden nach Liebe werden erhoffen, dass Mama und Papa heute doch nich endlich sehen werden, wie sie sich einsetzen…auch diese Hoffnung erfordert eine angemessene Überprüfung.

Wieviel Sie in die Beziehung zu den Eltern heute einbringen wollen, etwa als Einkaufshilfe, Telefonkontakt etc. muss zwischen Mitmenschlichkeit und Selbstschutz  gefunden werden und liegt bei Ihnen – es ist Ihre ganz persönlich schwierige Entscheidung: In Ambivalenz, bei vielen Betroffenen in den Extremen zwischen Hass und Liebe. Dieses „Und“ will ernst genommen sein. Kränkungen erscheinen auf diesem Boden nahezu unvermeidlich ( dazu habe ich auch einen Beitrag zur „Macht der Kränkung“  auf der Seite der Stiftung fuerkinder geschrieben). Ich bin gespannt, wie Sie die Frage für sich beantworten…

Und:Wenn der klare Blick auf den Abgrund sie  ängstigt, Sie zu verschlingen droht, ist mehr Sicherheitsabstand gefordert: noch! Der ideale Zeitpunkt wird sich Ihnen eröffnen, wenn Ihre Seele zum Klarblick bereit ist! Vertrauen Sie auf die Weisheit Ihrer Seele.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (201519)  ,Hören, was niemand sieht (2009) und zusammen mit ihrer Tochter Maren Geiser-Heinrichs (2017/19) „Meine schwierige Mutter“ sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms.

Infektiös: Wie das Corona-Virus Familienklima befällt!…und wir uns im Fernhalten auf die Pelle rücken

 Unser aktuell Gestalt gewordener Urzeittiger heißt  Coronavirus. Da er hoch infektiös zu sein scheint und sich rasant schnell von Mensch zu Mensch springt, müssen wir uns zugleich von Menschen fernhalten und in der Familie zusammenrücken. Das kann in vielen Familien zu einem Hochkonfliktherd werden.

Das Thema Corona und Familiendynamik rückte nicht zuletzt durch Ihre Fragen ins Zentrum. Trifft Krise auf eine eh krisenbelastete Familie, haben wir es mit einem riesigen Komplex, einem Knäuel aus Gefühlen, Verwicklungen, Schuld, Abhängigkeit zu tun, einer toxische Pulverfassmischung: Vorsicht, bitte nicht zündeln, scheint angesagt. Dazu heute mehr… in den nächsten Tagen werden wir uns das familiäre Knäuel ein bisschen genauer ansehen… auch Katharinas wichtige, im Kommentar gestellte, Frage Wie umgehen mit alten Eltern, wenn die Beziehung belastet war…

 Viele Menschen berichten augenblicklich über Konflikte mit ihnen nahestehenden Menschen. Konflikte, die sie so vorher nicht kannten. Sie „kennen sich selbst gerade nicht mehr“ . Was ist bloß mit uns los? In der Provinz Wuhan sind die Scheidungszahlen in die Höhe geschnellt – in Deutschland schrillen die Alarmglocken für den Kinderschutz, den Schutz der Schwachen überhaupt. Wir alle sind durch die Krisensituation in einen Panikmodus gekommen – unsere Urängste sind aktiviert, wir drohen von diesem Panikmodus geleitet zu werden. Das Coronavirus ist unser Säbelzahntiger der Urzeit und je nach Charakter, Temperament und Erfahrung reagieren wir mit Erstarren, Flüchten oder Kämpfen. Die unterschiedlichen Krisenbewältigungsmodi treffen in der häuslichen Verdichtung ungefiltert aufeinander:

Da schreit und tobt etwa der Vater, kämpfend will er Herr über die Situation werden, da schweigt die Mutter stumm und erstarrt in der Ecke, still und ruhig sein, so hat sie gelernt in ihrem Leben, hilft am besten, was ihren Partner wütend macht: wie kann man einfach nur so dasitzen, während der 14jährige Filius in virtuelle Welten abtaucht- eben aus dem Jetzt flüchtet… und nicht versteht, warum die Eltern so einen „Alarm machen“.

Wir müssen es akzeptieren: wir haben unterschiedliche Krisenbewältigungsmechanismen im Gepäck und wir setzen sie nicht ein, um den oder die anderen zu ärgern, sondern um selbst halbwegs gut durch die Notsituation zu kommen. Wenn uns das klar, sogar miteinander besprechbar wird, kann ein Stück Entspannung eintreten: Ja, es ist normal in Krisenzeiten Konflikte zu haben. Und auch das Stummsein,  das eisige Schweigen, kann ein solcher Konkliktabgrund werden, den viele aus Kindheitstagen allzu gut kennen. In den neuen, aktuellen Szenen zeigen sich die alten. Und so scheint auch in vielen Familien eine Erste Hilfe von Nöten, so schwer es auch fällt, „wo doch gerade einmal Zeit da ist“: größere Konflikte später angehen! Jetzt schauen, wie gut gemeinsam durch die Tage zu kommen ist. Bei Regeln auch mal 5 gerade sein lassen – wenn draußen mehr Normalität herrscht, kann das alte Regelgerüst schnell wiederbelebt werden. Und das soziale Netzwerk, wenn es denn besteht, kann gerade unglaublich wichtig sein… Und warum für erwachsene Kinder aus belasteten Familien ein gesunder Egoismus oft lebensnotwendig ist, dazu morgen hier mehr.

Einen guten Start in die Woche, scheint bei Ihnen auch die Sonne? Dann lassen Sie uns rausgehen, solange wir können…

Vielleicht üben Sie draußen das AWOKADO-Stärkungs-Ritual, indem Sie jeden dieser Sätze in eine Geste übersetzen und diese 3x bewusst tun…mehr dazu demnächst, vielleicht auch als gesprochene Anleitung.

          Das AWOKADO-Stärkungsritual

  1. Ich achte auf mich
  2. Ich schütze mich!
  3. Ich würdige meine Belastung und meine Stärken
  4. Ich spüre den Boden, der mich trägt!
  5. Ich öffne mich!
  6. Ich drücke aus, was mich bewegt!
  7. Ich verbinde mich mit Menschen, die mir gut tun!

Nach Barnowski-Geiser, W. ( 2015/19). Vater, Mutter, Sucht. Wie erwachsene Kinder suchtkranker Eltern trotzdem ihr Glück finden. Klett-Cotta-Verlag

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Musiktherapeutin mit dem Schwerpunkt Kinder und Erwachsene aus Sucht-belasteten Familien, Autorin und Lehrende/Praxis KlangRaum in Erkelenz im Rhld.

„Sie brauchen Struktur!“- von Ratschlägen, Tipps, Sinn und Unsinn in Corona-Zeiten

„Sie brauchen Struktur!“ schreibt es gerade von überall. „7 Tipps gegen die Corona-Angst!“ twittert, instagramed und facebooked es. So viele Tipps und Ratschläge zum Umgang mit der Corona-Krise erreichen uns gerade. Ich finde es wunderbar, dass viele Menschen sich Gedanken um andere machen, helfen wollen und Hilfe auch konkret und selbstlos anbieten. Tipps und Ratschläge können nach meinen Erfahrungen durchaus als kurzfristige Krisenhelfer wirken. Langfristig werden wir jedoch  unseren persönlichen Umgang, unsere individuelle Bewältigung der Krise finden müssen- und dies gelingt, so zeigen eindrucksvolle Arbeiten, etwa vom Begründer der Logotherapie Victor Frankl, nur über  etwas sehr zentrales in unser aller Leben: Sinn! 20170713_204157!

Krise als Wendepunkt

Wenn wir neben allen bemühten Verhaltenstipps und Strukturplänen, unter der scheinbaren „Machbarkeit“ nicht unsere persönliche Sinnfindung betreiben, droht dies alles zur bloßen Makkulatur zu degenerieren- Chance vertan!  Sinn finden, sich auf den eigenen Grund zu bewegen, das braucht vor allem Zeit, Muße und Vertrauen auf den Wandel. Der Weg hin zu uns selbst muss ebenso individuell gefunden werden: für manche in der Meditation, im Gehen, in der Gedankenstoppleere, im Entdecken der Natur, neuen Begeisterungen, oft schlichtweg im „einfach Sein“. Und das ist alles andere als „einfach“. Krisen bezeichnen dem Wortsinn nach Wendepunkte- also greift die Frage: Wann wird es endlich wieder so wie früher? m.E. zu kurz. Wie wird es anders besser? , frage ich mich.Krisenbewältigung erfordert ein Einlassen auf das Hier und Jetzt, die Akzeptanz, dass es genaus so gerade ist, und nicht anders. In dieser Fähigkeit mussten sich Kindheitsbelastete oft früh erproben – manche wurden wahre Meister des „Dennoch“ – Meister darin, in schwierigsten Familiensituationen Dennoch Sinn zu ergründen, zu finden, zu stiften –  sie vergessen nur allzuoft ihre Meisterschaft, fühlen sich stattdessen, verständlich oft durch das wiederholt im Außen Erlebte, klein und hilflos…

Wir wissen nicht, wielange diese Krise dauern wird: Ist es wirklich erst einige Wochen her, als ich mein Leben noch nach vorne plante, mit einigen Unwägbarkeiten, aber auch viel verlässlich Erscheinendem im Gepäck?  Werden wir irgendwann auch, wie unsere Eltern früher unsere Erzaehlungen beginnen mit, „Damals vor Corona“, wie wir es als „Damals vor/nach dem Krieg“ aus  Schilderungen der Älteren vertraut kennen?

Ich wünsche Ihnen, dass Sie im Vertrauen auf den Wandel– so schwer das gerade auch erscheint- in dieser Jetzt-Corona-Zeit  Neues, Sinnstiftendes entdecken – Ihre Meisterschaft ausbauen!

Einen guten Sonntag, bleiben Sie gesund, das wünscht von Herzen

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser 

„Fakenews waren in meiner Familie an der Tagesordnung“ – über Vertrauen und Misstrauen in schwierigen Zeiten

Herr K., Sozialarbeiter, 35 Jahre alt, ruft an. Er sei verunsichert. Er wisse nicht mehr, wo ihm der „Kopf stehe“. „Corona und die beruflichen Unsicherheiten machen mir Angst. Ich verliere zunhemend die Orientierung, ich weiß nicht, wem und was ich glauben soll. Was ist Fake, was muss ich ernst nehmen?“

Herr K. ist Erwachsener aus einer Alkoholikerfamilie. Viele Menschen mit diesen und anderen Kindheitsbelastungen fühlen sich augenblicklich besonders verunsichert. „In unserer Familie wusste man nie, wo man dran war, eigentlich war alles Fake – Fakenews über das Trinken meines Vaters waren bei uns an der Tagesordnung. Ja, Fake ist bis heute die Normalität bei meinen Eltern!“

Oftmals wird Menschen wie Herrn K. entgegengehalten: „Du musst einfach mehr Vertrauen haben!“ Menschen mit Kindheitsbelastungen würden ja gerne…sie kennen aus ihrer Kindheit jedoch oft so verzerrte Wahrheiten, dass sie längst nicht mehr wissen, wem und was sie glauben schenken können. Pauschales Vertrauen erscheint da wenig hilfreich, wie uns Fakenews und andere ungute mediale Entwicklungen zeigen. Auch Politiker demonstrierten in der garnicht fernen Vergangenheit teils, nicht nur in Amerika,  einen sehr speziellen Umgang mit Wahrheit und Wirklichkeit: die Wahrheit, das Eigentliche und Offizielle wird kurzerhand umdefiniert, uminterpretiert oder so gezeigt ( retuschiert), wie es der eigenen Vorstellung entspricht. Dieser Mechanismus ist Kindern aus belasteten Familien oft zutiefst vertraut: Ihre Eltern haben familiäre Geschichte genauso interpretiert, umgeschrieben oder umgedeutet wie es für sie selbst am ehesten „passte“ oder wie es, so glaubten diese Eltern, für alle am ehesten zu verkraften war: Eben  so, dass  das Familiengefüge zusammenblieb. Fakenews, alternative Fakten und andere Verzerrungen sind für Kindheitsbelastete heimatlich vertrauter Boden, ein Boden der familienspezifischen Narration (Erzählung): die Erzählung einzelner Familienmitglieder kann sehr unterschiedlich ausfallen, wie Sie es vielleicht auch aus Ihrem Leben kennen (s. Meine schwierige Mutter 2017). Diese Uminterpretation wird in manchen Familien so intensiv betrieben, dass die Betroffenen kaum noch zwischen Realität und Verzerrung unterscheiden können, weder die Erzählenden noch die Hörenden. Blind abverlangtes Vertrauen führt oft in chronische Verwirrung. „Jedes Leben ist voller Illusionen, wohl weil uns die Wahrheit zu unerträglich erscheint. Und doch ist uns die Wahrheit so unentbehrlich, dass wir ihren Verlust mit schweren Erkrankungen bezahlen.“ (Alice Miller 1997, S.11)

Warum der klare Blick sie ganz schön verwirren kann

Jahrzehntelanges Ansehen von täglicher Werteverschiebung oder Umdeutung bleibt nicht ohne Folgen: Betroffene Kinder und Erwachsene wissen oftmals nicht mehr, was richtig und falsch, was wichtig oder unwichtig ist. Für Betroffene liegt das, was sie erleben oder erlebt haben, oftmals im Nebel, im Diffusen, ist unklar und nicht greifbar. Manchmal fehlen jegliche Erinnerungen an die Kindheit, zurückgeblieben ist nur ein dumpfes Gespür, dass irgendetwas nicht stimmt, ohne dafür einen Grund benennen zu können. Das Unaushaltbare in den „Nebel des Vergessens“ zu hüllen, erscheint als not-wendiges Coping, den in der elterlichen Sucht begründeten Krisen zu begegnen. Zugleich löst dieses „Nebulöse“ Unsicherheit aus, vor allem, wenn es zum chronifizierten Erleben wird. Der Verlust des gerichtet Seins, unterdrückte Gefühle, einhergehend mit der Beeinträchtigung der Bewertungsfähigkeit, wirken verstärkend in Richtung eines sich unklar und diffus Fühlens Betroffener. Letztlich wird nicht nur das Erleben der Krise weggeblendet, sondern das gesamte Erleben in den Nebel getaucht: Betroffene beginnen vor ihren eigenen Wahrnehmungen, vor ihren ureigenen Gefühlen davonzulaufen. Oftmals äußern Menschen im therapeutischen Prozess gerade dann, wenn sie die familiäre Realität im Erwachsenenalter erstmals klar sehen: Jetzt bin ich total verwirrt! Das erscheint paradox: aber Der Verdrängungsschutz hat eingesetzt, der Klarblick unterliegt dem Tabu. Es hilft vielen Betroffenen, Verwirrung als eigenen Schutzmechanismus zu akzeptieren und würdigen.

Wie Raffaela das Glauben lernen will – ein Beispiel aus einer kreativtherapeutischen Einheit

 „Und jetzt will ich endlich glauben!“

Raffaela, 13 Jahre alte und Tochter einer drogenabhängigen Mutter, hat einen Stimmungsstein mit in die Therapie gebracht. Sie findet an diesem gerade unter Jugendlichen in Mode gekommenen Accessoire interessant, herauszufinden, welche Stimmungen sie denn habe. „Ich möchte gerne positive Stimmungen haben, die anderen lieber nicht!“, meint sie. Sie sprüht auf meine Anregung hin ihre aktuellen Stimmungen mit Gouachefarbe auf Papier und kommentiert jeweils: „Rot: Das ist meine Liebe zu verschiedenen Personen, auch zu Mama, ich freue mich, dass sie jetzt eine Wohnung nimmt, Grün ist meine Hoffnung, Lila meine Unsicherheit. Am meisten beunruhigt sie die Stelle, an der alles ineinander geht, ganz viele Gefühle und Stimmungen, die sie mit absoluter Verwirrung verbindet. „Ich weiß oft meinen Weg nicht mehr!“, sagt sie leise.  „Ich weiß nicht, woran ich glauben soll. Ich will glauben, dass Mama es jetzt schafft, trocken zu werden und dann klappt das manchmal doch wieder nicht. Und wenn andere daran zweifeln, dass Mama trocken wird, wenn andere was anderes sagen, dann bin ich total verwirrt. Ich will jetzt aber glauben, dass das klappt diesmal.“ Wir suchen in ihrem Bild nach einer Stelle für das Gegenteil der Verwirrung. Dies ist eine Stelle mit geraden Linien. „Hier weiß ich, wo es lang geht. mein Leben hat eine Richtung. Jetzt ist mal die Mama in meinem Leben dran!“ ( Sie hofft, mit ihrer Mutter wieder zusammenleben zu können, Anm. d. Verf.) Das Bild der Klarheit und des geraden Weges gefällt ihr. Sie setzt es in Klang um, trommelt. Sie hört ein spannenderes Leben, das kommen wird. Ich höre in ihrem Spiel eine hohe Dauererregung, die ich in meiner Resonanz anstrengend finde. „Das ist es auch!“, sagt sie. „Ich will gar nicht mehr runter kommen. Pausen mag ich nicht.“ Ich ermuntere sie, in ihr Spiel Pausen einzubauen, was sie tut. „Pausen schlaffen mich ab, dann komme ich nicht zurück in den Glauben. Wenn ich Zeit habe und es ruhig ist, dann habe ich Zweifel. Und jetzt will ich endlich glauben!“ Raffaela,13 Jahre aus Barnowski-Geiser 2009: Hören, was niemand sieht)

Der Weg in das Vertrauen gelingt nach meinen Erfahrungen weder über blindes Vertrauen noch über ungeprüftes Zustimmen zu teils verdrehter Welt, sondern er führt über das Ernstnehmen, der radikalen Akzeptanz des eigenen Misstrauens, durch vorsichtiges Überprüfen: Misstrauen ist ein notwendiger Prozess. Dieser Prozess braucht Zeit und Selbst-Vertrauen, Hinwendung zum Ich. Das musste Raffaela mühsam lernen – ihre Mutter hatte immer wieder schlimme Rückfälle- irgendwann konnte Raffaela das Kreisen um die Sucht der Mutter aufgeben, ihre Hoffnungen relativieren- und ihre Mutter und ihre eigene Situation realistischer einschätzen. Nur da, wo Misstrauen und Zweifeln, Hinterfragen und in Frage stellen erlaubt ist, da, wo Zeit und Muße für Abwägen ist, kann nach meinen Erfahrungen wirkliches Vertrauen, das im eigenen Grund fußt, entstehen. In der Politik und in der Familie, insbesondere in so schweren Krisenzeiten wie der augenblichen.

Und..über den Weg nach Innen zur inneren Weisheit. Vielleicht auch heute mit einer kleinen Einheit, unserer Corona-Krisen-KreativChallenge, für Sie

Corona-Krisen-KreativChallenge Klingender Kraftort

Suchen Sie einen Ort, an dem Sie ungestört sind. Gehen Sie mit Ihrer Achtsamkeit zu Ihrem Atem…lassen Sie sich Zeit, in sich anzukommen…wenn Sie mögen, stellen Sie sich nun vor, dass Sie mit jedem Ihrer Ausatemzüge ein Stück näher zu Ihrem Inneren reisen, zu Ihrem inneren Kraftort…wie sieht es hier aus, welche Farben und Formen gibt es hier, welche Klänge?…Gestalten Sie diesen, suchen sie anschließend ein für Sie passendes Musikstück… spielen Sie es mehrmals, hören Sie es „mit dem ganzen Körper“

Neue Resonanzerfahrungen können bei alten Wunden verdammt Gutes bewirken – und da ist Musik ein echter Schatz…aber dazu vielleicht in den nächsten Tagen mehr. Wozu würden Sie gern etwas mehr erfahren, was können Sie noch gebrauchen, gerade in dieser Zeit? Lassen Sie es mich wissen, gern auch wieder über die Kommentarfunktion oder das Kontaktformular.

Lassen Sie es sich so gut wie eben möglich gehen -,

herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Corona: Fakten

Pech…heute schreibe ich zwei Stunden einen neuen Blogbeitrag und in der letzten Sekunde der Fertigstellung ein falscher Klick, alles futsch. Da hatte ich wohl das Speichern vergessen!

Um Vertrauen und Wahrheit in diesen schwierigen Zeiten sollte es heute gehen- verschiebe ich also dieses Thema auf den nächsten Beitrag…Nur so viel: Nicht nur Erwachsene aus belasteten Familien haben oft große Schwierigkeiten, die aktuelle Nachrichtenlage einzuschätzen, wissen nicht mehr, wo ihnen vor lauter Infos der Kopf steht – wem und was kann man glauben? Deshalb zumindest für heute ein Link: der Wissenschaftsjournalist der RP Dr. Wolfram Goertz hat 20 Ärzte und Experten über Corona-Wahrheiten und Unwahrheiten befragt und uns als Ergebnis seiner aufwendigen Recherche 100 Faktenüberprüfungen an die Hand gegeben: vielleicht ein kleiner Wegweiser für Sie heute.

https://rp-online.de/leben/gesundheit/coronavirus-was-aerzte-heute-wissen-100-lehren-zu-corona_aid-49698367?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=stimmedeswestens

Übrigens finden Sie viele kreative Anregungen, die Sie in Ihrer vielleicht freien (oder „unfreien“ in Quarantäne) Zeit ausprobieren können, gebündelt unter Selbsterfahrung kreativ. Ebenso INspirierendes kurz notiert, Kurzimpulse in Wort und Bild für die jeweilige Woche, oder auch von Tag zu Tag, in schwierigen Zeiten wie jetzt

Ich grüße Sie herzlich

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Corona-Auszeit: Die Begegnung mit unserer inneren Heimat

Vor der Corona-Krise haben sich viele Menschen teils sehnsüchtig gewünscht: endlich einmal Ruhe haben, niemanden hören und sehen müssen. Und nun ist plötzlich von einem Tag auf den anderen alles anders. Die Kontaktvermeidung ist staatlich angeordnet, viele Menschen sind vom Arbeiten auswärts freigestellt, alte Menschen sitzen allein in ihren Häusern. Manche von unseren LeserInnen sitzen, wie mir geschrieben wurden, in Ländern fernab der Heimat in Quarantäne, wissen noch nicht, wann sie diese verlassen dürfen und auch nicht, wann und wie sie zurück in die Heimat gelangen können. Schlimm, besonders für Kindheitsbelastete! Von hier ersteinmal mein herzliches Mitgefühl. Die augenblickliche Situation lässt, wie ich schon in den letzten Tagen beschrieben habe, alte Erfahrungen hochkommen: allein, mit existentiell erscheinenden Unsicherheiten konfrontiert, stehen wir plötzlich vor uns selbst: für Menschen mit Kindheitsbelastungen oftmals eine mehr als große Herausforderung. Warum fühlt es sich im inneren Zuhause quälend, leer, verloren an…andere scheinen unter der neuen Situation doch förmlich aufzublühen? Ein erster Schritt ist nach meinen Erfahrungen, uns selbst besser zu verstehen, nicht vor dem Inneren davon zu laufen, sondern erst einmal anzuschauen, was uns dort begegnet. Wird es greifbar, wandelt es sich.

Wie wir unser Elternhaus der Kindheitstage erlebt haben, hat Einfluss darauf, wie wir unser Inneres empfinden. Haben wir diese erste Heimat  als blühende Landschaft erfahren, dann haben wir diese so als guten „Wohnraum“ in uns abgespeichert. Wohlig fühlen wir uns meist von Grund aus, heimelig, gewärmt und geborgen vielleicht. Ebenso kann es, um im Bild zu bleiben, die eiskalte einsame Fjordlandschaft sein, die uns permanent ein Frösteln in die Seele treibt, ein verloren Fühlen, wie heimatlos, auf der Flucht: Stimmungsfarben, Narben und Spuren des Gestern bestimmen Ihre innere Heimat, Ihre innere Erlebenslandschaft, maßgeblich mit. Wie sieht Ihre innere Heimat  aus?…Versuchen Sie es doch einmal mit einer Landschaftsbeschreibung in einigen Sätzen…ist Ihnen diese Vorstellung zu unangenehm, starten Sie erst mit der Wohlfühl-Landschaftsimagination am Ende dieses Beitrags.

Welcher Ton in unserer inneren Heimat vorherrscht, die Weise, wie wir mit uns sprechen, das „Klima“, das hier herrscht, die Weise, wie wir in uns zu Hause sind, wie wir in uns wohnen, hängt nachhaltig mit unseren ersten Beziehungen, meist zu unseren Eltern, zusammen. Wie wir uns im Zusammensein mit unseren ersten wichtigen Bezugspersonen erlebt haben, prägt die Weise, wie wir heute in uns leben und erleben. Das hat Einfluss auf unser Selbstbild, unsere Identität und wie wir mit uns selbst umgehen.

Unsere Kindheitserfahrungen  prägen also unsere innere Heimat,aber: nicht unveränderbar in dem Sinne, dass diese nicht mehr zu gestalten und verändern wäre! Das Fundament, eine architektonische Grundanlage, Stimmung und Färbung, werden uns im Zusammenleben mit uns wichtigen Bezugspersonen als Grundsteinlegung mit auf den Weg gegeben. Denn: Menschliche Gehirne sind nutzungsabhängig („Plastitzität“), auch und gerade bei Kindern: Wie Sie sich als Kind alltäglich gefühlt haben, bildete neuronale Netzwerke, das Hirn speicherte Erlebtes als Gefühlslandschaften: es gestaltete sich Ihre innere Welt. Die Summe der vergangenen Erfahrungen und der aktuellen im Jetzt bilden Ihre innere Welt, die Welt, von der aus Sie losgehen in die äußere Welt hinein. Diese innere Welt ist vorgestaltet und doch nie vollendet: Sie lässt sich immer weiter neu gestalten, auch und gerade „Jetzt“!. Ein Schritt der Veränderung ist die Innenschau aus der Sicht des inneren Beobachters: achtsam den eigenen Stimmungen zu folgen kann eine spannende Reise sein…gerade jetzt in diesen schwierigen Tagen eine lohnenswerte Reiseform. Ich wünsche Ihnen den Mut, sich selbst zu begegnen. Sie sind nicht mehr das kleine, hilflose Kind von damals, auch wenn es sich in diesem Moment, heute zur Coronazeit, vielleicht exakt so anfühlt. Also: ein 1. Schritt kann sein, die Gewissheit zuzulassen, dass heute etwas anders ist als zu Kindheitszeiten und Sie erwachsen etwas tun können- vor allem entscheiden Sie, wie Sie die aktuelle Situation bewerten und einordnen. Sie haben vermutlich schon so Vieles in Ihrem Leben geschafft, auch das werden Sie bewältigen. Ihr heutiges Mantra könnte also lauten: „Ich weiß, dass ich mir selbst helfen kann!“ und „Ich werde heute zuversichtlicher denken!“ Auf diesem Weg können Sie Ihre inneren Bilder, Imaginationen, Ihre innere Weisheit ( ja, ich bin sicher, über diese verfügen Sie) unterstützen:

Corona-Auszeit-KreativChallenge: Stellen Sie sich eine Landschaft vor, in der Sie sich gut fühlen, malen und gestalten  Sie diese…wenn Sie noch an den Strand, in den Garten etc dürfen, sammeln Sie doch für Sie passende Materialien, gleich bei einem Spaziergang…

Wie ist es Ihnen mit der Arbeit mit Musik gestern ergangen? Noch nicht angegangen? Das „Nichts-Tun“ ist evt Teil der alten Überzeugung, dass sich eh nichts ändern wird, ihr innerer Sabboteur am Werke? Dann kann das für Sie im Augenblick noch nicht der richtige Zeitpunkt sein oder: Probieren Sie es doch heute einfach mal für einen Tag anders!

Ich wünsche Ihnen einen Tag, mit kleinen Glücksmomenten – Sie müssen zulassen, diese dennoch wahrzunehmen.

Alles Liebe, besonders auch in die weiten Fernen und in die „strengen“ Quarantänen, wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Coronakrisen-Challenge: nicht nur überleben, auch Er-Leben

Guten Morgen! Ich hoffe, Sie hatten eine gute oder zumindest erträgliche Nachtruhe. Vielleicht sind Sie auch mit Sorgen und Gedanken rund um die aktuelle Corona-Krise erwacht- damit sind Sie nicht allein, es wird von vielen Menschen berichtet, dass sie sich für Momente immer wieder von Angstwellen geflutet fühlen – wie KIndheitsbelastungen und das Erleben der Corona-Krise zusammenhängen, dazu habe ich ja gestern im Blogbeitrag  einiges erläutert. Deshalb auch heute wieder ein Impuls von hier mit einer kreativen Übung für Sie, vielleicht auch für Sie und Ihre Lieben/Kinder am Ende des Beitrags.

Kontaktverbot, in einigen Bundesländern auch Ausgangssperre genannt. Während ich heute Morgen meine Zeilen an Sie richte, frage ich mich natürlich, an wen ich schreibe: da Sie diese Seiten besuchen, vielleicht sogar regelmäßig, gehe ich davon aus, dass Sie zur Gruppe der Menschen gehören, die Belastendes oder sogar schwer Belastendes in der Kindheit erlebt hat. Bei vielen liegt  die Belastung schon einige Zeit zurück, sie fühlen sich aber im Heute trotz erfolgreicher Lebensbewältigung (an gängigen äußeren Kriterien gemessen) schwer und „nicht richtig“. Und nun auch noch Corona! Womöglich stecken Sie auch aktuell noch  in der schwierigen Verbindung mit kranken/schwierigen Eltern fest, gerade in der nun schweren Krise im Aussen müssen Sie vielleicht umso schmerzlicher feststellen, dass Reden, MIteinander Krise handeln ( wie gehen wir mit Besuchen/Kontakt) um, einmal mehr nicht besprechbar sind. Alte Verletzungen schwappen hoch, sie resignieren allmählich. Sie ahnen, das süchtige Elternteil wird nun noch mehr trinken, die coabhängige Beziehung der alten Eltern wird sich zuspitzen: und sie können wenig tun. Wie gut Sie dies nun alles handeln können, wird auch davon abhängen, in welcher aktuellen Bezeihungsform Sie sich befinden. Vielleicht leben Sie schon lange allein und Kontaktreduzierungen stellen für Sie keine große Veränderung dar. Vielleicht haben Sie eine eigene Familie aufgebaut, in der Sie Halt und Austausch finden ( vielleicht aktuell virtuell nur, aber immerhin), vielleicht leben Sie mit süchtigen oder schwer belastenden Menschen zusammen: eine besondere Herausforderung, in der Sie sehr genau auf Ihren eigenen Schutz und Rückzug innerhalb der vielleicht engen vier Wände achten müssen. Natur-fluchten und Kontaktstellen, zumindest per Telefon, müssen Sie in der Hinterhand bereithalten – .In welcher Lebenssituation Menschen aus belasteten Familien auch stecken, eines durfte ich immer wieder feststellen: Sie sind wahre Meister und Meisterinnen der Krisenbewältigung, finden schnell kreative Lösungen, sie sind beste Alltagsmanager und diejenigen, die in den schwierigsten Situationen die Komik finden (  nach Barnowski-Geiser: Vater, Mutter, Sucht 2015). All die Menschen, mit denen ich in meiner Praxis arbeiten durfte,  konnten blitzzschnell vom tiefsten Leid in die Freude des Augenblicks springen, heiter sein im Dennoch, Spielfreude entwickeln und tief erleben. Sie alle hatten neben ihrem Leiden auch gelernt, nicht nur „dumpf“ zu überleben, sondern in Freude zu er-leben.

Je länger Belastungen andauern, umso stärker geht oft das Bewusstsein für diese Stärke, für die Er-lebenskunst verloren- nach meinen Erfahrungen ist sie aber immer vorhanden. Manchmal muss diese Fähigkeit mantraartig gedanklich-wörtlich wiederholend belebt werden ( etwa: ich bin eine Meisterin der Krisenbewältigung o.ä.) und braucht vor allem erstmal Raum und Zeit. So wuensche ich Ihnen in diesen Tagen die Zeit und Muße, sich diesen ihren persönlichen Staerkenerleben-statt-uberleben und Freuden im Dennoch zu widmen. Oft sind diese Zugänge nicht allein durch das Denken zu öffnen, sondern durch Schreiben, Musik oder im Bewegen und Tanzen.Vielleicht probieren Sie es aktiv aus in der Corona-Dennoch-KreativChallenge ( geht übrigens auch prima gemeinsam mit Kindern)

Corona-Dennoch-KreativChallenge: Suchen Sie heute 3 Musikstücke, mit denen Sie sich wohlfühlen ( machen mehrere mit, darf jede/r ein Stück aussuchen). Hören Sie diese jeweils 2 Mal an, nutzen sie den zweiten Durchgang, sich von der Musik bewegen zu lassen ( das geht auch im Sitzen), summen sie mit und malen Sie anschließend eine Farbe oder ein Symbol auf ein Blatt, das Sie aus der Musik mitnehmen möchten. Geben Sie dieser Gestaltung einen Titel und einen würdigen Platz.

Viel Freude im Dennoch,

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Warum bin ich ängstlicher als andere? Über das ungute Duo Corona-Krise und belastete Kindheit

Sind Sie augenblicklich ziemlich gereizt, genervt bei geringsten Anlässen, in einer Daueranspannung mit zum Zerbersten gespannten Muskeln, im Daueralarm? Wenn Sie in sich nachforschen, bemerken Sie große Ängste und Sie fragen sich, ob diese Ängste im Angesicht der Corona-Krise berechtigt oder doch übertrieben sind? Und ob Sie diese Ängste nicht einfach mal, wenigstens für ein paar Stunden, abstellen können, so wie scheinbar manch andere, die offenbar vergnügt in Parks sitzen, was natürlich auch der Krise nicht angemessen erscheint?

Angst ist in diesen Tagen weit verbreitet, ein Gefühl, das zunächst einmal unserem Schutz dient. Ausprägung und Stärke der Angst, der Umgang mit der CoronaKrise und ihren Folgen, ist individuell. Bei jedem Menschen fallen Krisen und die damit auftretenden Ängste auf einen biografischen Boden: jede/r hat Unterschiedliches erlebt und auf unterschiedliche Weise bewältigt. Was wir in unserem Leben erfahren haben und unser Umgang damit, bestimmt, wie wir auf neue Situationen zugehen. Unser Umgang mit der aktuellen Corona-Krise ist bestimmt durch vorhergehende Krisenerfahrungen. Menschen mit frühen und dauerhaften belastenden Erfahrungen in ihren Familien sind somit geprägt: sie entwickeln teils große Ängste, wenn Situationen unkontrollierbar erscheinen und sie auf deren Verlauf offensichtlich keinen Einfluss haben. Zugleich haben belastete Kinder auch besondere Stärken und Copings entwickelt, die sie im Jetzt unterstützen können- die Zugänge zu diesen Krisenhelfern sind ihnen nur teils abhanden gekommen, in Vergessenheit geraten oder unter ängstlicher Erstarrung verschütt gegangen. In den nächsten Tagen und Wochen möchte ich Ihnen dazu Gedanken und Hilfen anbieten, in der Hoffnung, sie auf diese Weise ein bisschen unterstützen zu können.

Was Krisen, Stress, Gefühle und das Gehirn miteinander zu tun haben

Die schlechte Nachricht, die Ihnen als Betroffene sicher bereits bekannt ist, vorab: Kinder, die dauerhaft Krisen  ihrer belasteten Familien ausgesetzt sind, können massive Folgen davontragen; diese Folgen sind teils messbar an ihrem Serum-Cortisolspiegel und in Hirnstrukturen,  können sie doch neuronale Strukturen des Hippocampus, der Amygdala sowie des Corpus Callosum zerstören. Verursacht werden zum Teil organisch begründbare Regulationsstörungen, später auch komplexe Störungen von Lernen, Emotionen und Verhalten (Trost 2003). Auch wenn dieser Zusammenhang von neuronaler Schädigung für betroffene Kinder in quantitativen Untersuchungen noch nicht hinreichend untersucht ist, muss vermutet werden, dass Gehirne von Kindern aus belasteten Familien durch das emotionale Klima ihrer Familien stark geprägt sind. Es steht zu befürchten, dass lang andauernde wiederholte Belastungen der familiären Umwelt neuronal entsprechend verankert werden und diese‚ emotionalen Straßen’ auch dann aufgesucht werden, wenn es nicht mehr von Nöten ist. Dies zeigte sich bei denjenigen erwachsenen Personen, die bis ins hohe Alter keine Auflösung des familiären Tabus erfahren hatten, bei denen sich etwa Suchtbelastung durch etliche Jahrzehnte zog und auch im Erwachsenenalter lebensbestimmend blieb. Es scheint in diesem Fall schwer zu sein, eingefahrene Hirnstraßen zu verlassen (etwa die der Angst und Ohnmacht) und neue Straßen (Freude,Hoffnung etc.) zu befahren. Damit kann ein wesentlicher Faktor zur Orientierung in der Welt durch das familiäre Erleben maßgeblich negativ beeinflusst werden. Sogar genetisch scheinen diese Erfahrungen Spuren zu hinterlassen (In jüngerer Zeit wurde an Mäusen nachgewiesen, dass die Gene bei Nachkommen traumatisierter Mütter in Mitleidenschaft gezogen waren; sie zeigten sich als weniger Stressresistent und verzweifelter in eigenen Krisensituationen). „Muss ich das auch noch wissen?“, denken Sie nun vielleicht,“ das ist doch nur traurig. Ich finde, ja, sie sollten das wissen, um sich selbst ein Stück besser zu verstehen und sich in Ihrem „So-Sein“ annehmen und nicht noch zusätzlich abwerten, als „Weichei, Mimose, Versager“. Erst, wenn wir verstehen, warum wir wurden, was wir sind, können wir besser neue Krisen bewältigen, einen Zugang zu unserer wahren Identität bekommen: im anderen Falle, wenn wir Altes unerkannt abspalten, drohen wir uns selbst fremd zu bleiben und in alten, ungünstigen Krisencopings ( zum Beispiel dem Erstarren) feststecken zu bleiben.

Hirne sind nutzungsabhängig: warum Kinder mit familiärer Belastung leicht ängstlich werden

Schauen wir weiter aus neurowissenschaftlicher Perspektive. Versuchte Erklärungen müssen im Angesicht der hochkomplizierten  Vorgänge in unseren Hirnen unverschämte Vereinfachungen bleiben…versuchen wir dennoch eine Annäherung: Außenwelt hinterlässt Spuren in der Innenwelt. Neurologisch spricht man hierbei von inneren Repräsentationen der Außenwelt. Auch die Repräsentationen unserer Gefühlswelt (neurowissenschaftlichen Untersuchungen u.a. von Braun, Spitzer) spiegeln  erlebte Erfahrungen. Unsere Gefühlswelt ist erlernt, vor allem in sozialer Erfahrung. Befinden, Stimmungen und Gefühle sind bei Kindern aus belasteten Familien stark in Mitleidenschaft gezogen. Kinder lernen etwa: „Wenn Papa trinkt, gibt es Ärger für mich!“ Wird diese Erfahrung wiederholt gemacht, wird diese Erfahrung auch neuronal verschaltet: sie bildet eine Hirnspur. Je öfter diese Erfahrung gemacht werden, umso tiefer gräbt sich diese Spur im Hirn ein, sprich: Kinder entwickeln Ängste ( eine Hirnautobahn „Angst“) und weitere mit diesem Erleben verbundene Gefühle werden nutzungsabhängig verschaltet. Aus dem Kind, das in einer Szene Angst hat, wird bei dauerhafter Wiederholung, leicht ein überängstliches Kind: insbesondere dann, wenn, wie oft in tabuisierenden Familien, das Gefühl des Kindes nicht benannt und besprochen werden darf, das Kind folglich keine angemessene Unterstützung in Form von Trost oder Halt erfährt. Das Befinden Betroffener wird durch dieses kindliche Krisenerleben geprägt, das Gehirn entsprechend gebaut – auch als Erwachsene, wenn das Elternhaus längst verlassen wurde, sind diese grundlegenden Verschaltungen angelegt. Es ist also nachvollziehbar, dass ein in der Kindheit entsprechend „verschalteter“ Erwachsener, der die Spur Angst zu einer regelrechten Autobahn im Kopf entwickelt hat (Formulierung in Anlehnung an Hüther), auch als Erwachsener schnell auf eben dieser Autobahn landet. Denkweisen, Selbstbild, Körpererfahrung usw. sind neuronal verschaltet: sie bilden ein Erlebens- Panorama im Jetzt, das im familiären System erlernt wurde.

Denken wir die vorangestellten Forschungen für Erwachsene aus belasteten Familien weiter, so wird deutlich:

  • es besteht ein Zusammenhang zwischen emotionalen Belastungen in Kindheitstagen und emotionaler Befindlichkeit im Erwachsenenalter
  • es besteht ein Zusammenhang von wiederholten stressenden Kindheitserfahrungen und chronischen/schweren Erkrankungen im Erwachsenenalter.

Eine große Belastung der Lebensqualität von Menschen mit belasteter Kindheit erschent  evident. Somit stellt die aktuelle Corona-Krise neben medizinisch-alltäglichen Überlegungen insbesondere Menschen mit Kindheitsbelastungen vor große psychische Herausforderungen – .

„Help…I need somebody“

Fasst man die vorab geschilderten Forschungsergebnisse zusammen, so sind die Belastungen und Folgen bei Kindheitsbelastungen hoch einzustufen. Und dennoch eine gute Nachricht aus der Forschung:  es gibt Stärkendes! Widerstandskräfte, die uns schützen, sogenannte Resilienzen. Resilienzen sind also das, was uns stark macht.  Resilienzen sorgen dafür, dass viele Menschen mit Kindheitsbelastungen eben auch nicht erkranken. Eine bedeutsame stabile Beziehung im Umfeld eines aufwachsenden Kindes ist eine solch hochwirksame Resilienz. Sind Erkrankungen vorhanden, zeigten sich etwa Meditation und soziale Anbindung als hochwirksam. Vernetzen und andere Menschen mit ins Boot Holen zeigt in allen Lebensphasen Wirkung. Nervensystem und Immunsystem können einander verständigen, dies können wir für uns nutzen. Decartes Dualismus hat lange Medizin bestimmt. Aber neuere Forschungen überprüfen, wie Gehirn und Immunsystem zusammenhängen und es wird deutlich: sie sind in ständigem Austausch. Ein gestresstes Gehirn beeinflusst das Immunsystem, somit gilt auch die Umkehrung: ein entspanntes Gehirn entlastet den Körper. Körper und Geist sind eine Einheit, was ganzheitliche, integrative, leiborientierte, kreative und komplementär-Medizin für Betroffene auf den Plan ruft. Basis bildet weiterhin die Schulmedizin. Gute Erfolge ließen sich auch durch kognitive Umstrukturierung erzielen, also problematische, dysfunktionale Gedanken, etwa durch einen anderen Gedanken zu ersetzen ( wie es in einigen Religionen und Philosophien auch seit Jahrtausenden gelehrt wird)…  Selbstheilung können Sie aktiv unterstützen. Sogar ein EEG kann signifikant verändert werden. Sie können durch Ihre Lebens-und Denkweise Einfluss nehmen.

Ein wichtiger Faktor: eine soziale Umgebung, ein Feld der Hoffnung und Zuwendung (teils Liebe genannt ), im Idealfall im eigenen Zuhause. Der Satz: „Ich kann gesund werden!“, oder: „Ich kann meine Kindheitswunden überwinden!“ gehört zur hochwirksamen Einstellung, die Veränderung möglich werden läßt. Hilfe für Betroffene muss individuell erfolgen, spezifisch zugeschnitten sein: sie benötigt mindestens einen wohlwollenden Anderen. Immer sollte sie Anregung zur Selbsttätigkeit beinhalten (hierzu auch das AWOKADO-Selbsthilfe-Programm in Vater, Mutter, Sucht 2015 und Meine schwierige Mutter 2017).
Glauben wir den Erkenntnissen der Psychoneuroimmunologie, so helfen Krisenkindern bei der schwierigen Bewältigung vor allem: Optimismus, stabile Sozialkontakte, ein guter Alltag und körperliche Nähe.

Der in der Überschrift verwendete Oldie der Beatles bringt auf den Punkt, was wir Kindheitsbelastungen, Stimmungs-und Befindlichkeitstörungen entgegensetzen können: Hilfe suchen und annehmen, die Verbindung und Zuwendung von anderen, nahestehenden Menschen… dies stellt im Angesicht der Corona-Krise eine weitere Herausforderung dar, sollen wir uns doch sozial distanzieren, zumindest real körperlich. Hier ist Ihre Kreativität gefragt: feste Termine für Videoanrufe, bleibender Austausch per Email etc . Vielleicht schreiben Sie anderen hier, indem Sie die Kommentarfunktion nutzen, wie Sie es gerade schaffen trotz Corona-Krise – ich freue mich, von Ihnen zu lesen.

Bleiben Sie gesund und behalten Sie bei aller nötigen Hygiene vor allem auch Ihre Seele im Blick,

bis ganz bald

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Suchtkind-Bungeejump- Der Besuch Daheim

Blog Besuch bei den Eltern

 

Wochenlang schon ist ihr übel. Sie schläft schlecht, wälzt sich im Bett herum, ihr Herz rast. Frau N., 42 Jahre alt, kompetent, gestandene Marketingfrau, versteht sich selbst nicht: das alles, weil in zwei Wochen ein Besuch bei den Eltern ansteht? Das darf doch nicht wahr sein, findet sie.

Und doch ist das, was Frau N. beschreibt, traurige Realität für viele erwachsene Kinder aus sucht-und ähnlich belasteten Familien. Die Begegnung mit den Eltern im Heute, oftmals sogar in der Wohnstätte der Kindheit, wirkt wie ein Trigger: alte Wunden werden wach, Leib und Seele erzählen über den Körper Gespeichertes aus alten Zeiten. Leib und Seele vergessen nicht, erinnern noch heute an das, was im Gestern schon nicht gut tat. Damals nicht, heute  nicht. Frau N.s Ängste und Körperreaktionen sind also mehr als nachvollziehbar. Frau N. versteht nicht, wieso, wenn sie bei den Eltern eintrifft, alles, was sie an Selbstschutz und neuen Bewältigungsmustern in ihren Therapien, Ratgebern und Gesprächen erlernt hat, wie vom Winde verweht scheint. So als gäbe es sie, ihren Willen und ihre Wünsche nicht mehr, sobald sie über die elterliche Schwelle schreitet. Es gibt nicht einmal Streit, erzählt Frau N. , aber ich bin nach diesen Stunden völlig fertig, manchmal tagelang nicht arbeitsfähig.

Sich das Dilemma eingestehen – der 1. Schritt

Frau N. hat wie viele erwachsene Kinder suchtkranker Eltern in Kindheitstagen Schweres erlebt: Bestrafungen, wenn sie gar nichts gemacht hatte, Beschämungen während der Trinkexzesse der Mutter, alleingelassen und ungehört bei eigenen Problemen etc.- all dies hat es im Denken der Eltern, die die Sucht und ihr eigenes Handeln chronisch verleugnen, nicht gegeben. Das alte Tabu , die alte Unberechenbarkeit wirkt weiter, legt sich in die Atmosphäre und über die inzwischen erwachsenen Kinder- nebelgleich sinkt es in sie hinein, ohne, dass sie dafür Worte oder Lösungen hätten. Unbegreiflich, unbeschreiblich, der Selbstverlust setzt ein, wie ein Zwang scheinen sie nun die alten Familienregeln wie Marionetten mitspielen zu müssen – und wieder fühlen sich die derart betroffenen Suchtkinder schuldig, stellen sich selbst in Frage: irgendetwas stimmt mit ihnen selbst nicht, man „muss doch seine Eltern mögen“…

Wer schwer Belastendes in seinem Elternhaus erlebt, und das auch noch ein Leben lang, für den gleicht ein Besuch Daheim einem Bungeejump. Betroffene müssen sich verabschieden von Klischees der „Normalkinder“, für die der Besuch daheim vielleicht „Schön“ oder „Nett“ ist. Der erste Schritt, dem Elternhaus-Dilemma zu begegnen, ist seine Existenz einzugestehen, anzunehmen und zu würdigen. „Ja, so ist es Zuhaus, und leider nicht anders.“, kann Frau N. nun sagen und sich die Belastung durch Besuche erstmalig eingestehen. Die erlittenen Wunden brachten im Vorlauf, in der Bewegung auf das Elternhaus zu, schon alte Symptome an die Oberfläche. Frau N. hilft es, die Länge des Besuchs deutlich zu begrenzen und sich währenddessen immer wieder ihres Atems und ihrer selbst zu vergewissern – so kann sie, so beschreibt sie, den Selbstverlust ein wenig eindämmen. Eine offene Konfrontation der Eltern mit ihrem Erleben wagt Frau N. nicht. Noch nicht, sagt sie nun! Ihre Ängste vor der Cholerik des Vaters und dem unkontrollierten Nochmehrtrinken der Mutter, gefolgt von Beschimpfungen und Aggression, machen ihr regelrecht Panik…

Das hilft: Auch wenn es sich so anfühlt- es ist nicht wie früher!

Was hilft? Betroffene müssen bewusst werden, dass sie Schweres stemmen, aber nicht mehr so klein und hilflos sind wie in der Kindheit- auch wenn es sich in der Begegnung mit den Eltern paradoxerweise exakt so anfühlt. Oftmals sind die Eltern nicht mehr „mächtig“, sondern schon alt und schwach-werden aber übermächtig wie früher, zu Kindheitszeiten erlebt- die Betroffenen fühlen sich auch als Erwachsene den eigenen Eltern gegenüber ohnmächtig. Um diese Ohnmacht zu überwinden, ist meist Unterstützung durch andere erforderlich – und das Üben der Überzeugung, dass das eigene Leben heute als Erwachsene selbst gestaltet und bestimmt werden kann- und muss…

Bleiben Sie dran! Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Autorin mehrerer Fachratgeber zur Thematik, Lehrtherapeutin und Musiktherapeutin in eigener Praxis in Erkelenz. Forschungsschwerpunkt: Familiäre Suchtbelastung.

Wer bin ich?…eine kreative Reise zum Ich

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Ich hoffe, trotz der großen Umwandlungen und erschreckenden Ereignisse in der Welt,hielt das hinter uns liegende Jahr auch Gutes für Sie bereit. Der Jahreswechsel kann eine gute Gelegenheit sein, Rückschau auf die persönliche Entwicklung zu halten. Eine individuelle Möglichkeit, sich selbst anzuschauen, bietet das Modell der 5 Säulen der Identität. Es wurde vom Begründer der Integrativen Therapien Professor Hilarion Petzold entwickelt. Anhand dieses Modells habe ich Fragen entwickelt, die für Kinder und Erwachsene aus belasteten Familien ( s.a. BEL-Kids-Projekte) von Bedeutung sind. Vielleicht mögen Sie sich die Zeit gönnen, diese zu beantworten und so der Kernfrage: Wer bin ich? im Wechsel zwischen 2019/2020, ein Stück näher zu kommen. In den nächsten Blogbeiträgen werde ich mögliche Beantwortungen kommentieren. Das Jahreswechsel-Coaching „Papierpilgern zum Ich“ bietet sich an als Innenreise und Papierpilgern zum Ich für „Alleinreisende“, aber auch als gemeinsame innere Reise für Freunde und Paare, als alternative Silvesteraktivität abseits der lauten Spektakel, auch  gemeinsam rund um den Jahreswechsel zu bearbeiten und zu besprechen. Sie brauchen nicht mehr als Blätter ( gern auch ein Heft, das sie im nächsten Jahr für persönliche Überlegungen weiter benutzen) , Stifte, einige Stunden Zeit und Lust, sich selbst ein wenig näher zu kommen.

Bevor Sie mit den Fragen beginnen, möchte ich mich bedanken: für Ihre Leseaufmerksamkeit, für Ihr Mit-denken, Nach-denken, anders Denken, für Ihr Mitfühlen, ja, für das gemeinsame Weitergehen in einem tabuisierten Bereich unserer Gesellschaft: dem Bereich der  belasteten Familien und Kindheiten.

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Künstlerische Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms. Am 11.3.2017 erschien bei Klett-Cotta ihr neues Buch, das sie gemeinsam mit ihrer Tochter Maren Geiser-Heinrichs verfasst hat: Meine schwierige Mutter. Das Buch für erwachsene Töchter und Söhne.

Papierpilgern zum Ich  – Jetzt.Besser.Leben-Coaching zum Jahreswechsel.

Säule 1 Meine Leiblichkeit

Wie steht es um Ihre Gesundheit; wie war Ihr körperliches und seelisches Befinden im allgemeinen 2019?

Gab es Unfälle oder Erkrankungen, die sich auswirken?

Hat die Erkrankung/ Belastung Ihres Elternteils Einfluss auf Ihre Befindlichkeit genommen? Wenn ja, in welcher Weise?

Wie sind Sie mit Ihrer Erscheinung zufrieden? Verkörpern Sie das, was Ihnen in Ihrem Leben wichtig ist?

Wie schätzen Sie Ihre geistige Haltung ein? Woher bekommen Sie geistige „Nahrung“, Anregungen?

Was können Sie 2020 aktiv für Ihre geistige Haltung tun? Legen Sie Schritte fest, die Sie hier terminieren.

Welche Stärken haben Sie aus der Erkrankung des Elternteils erlernt?

Wie werden Sie Ihre Stärken 2020 weiter fördern?

Was möchten Sie 2020 für Ihren Körper tun, wie werden Sie sich Ihrem geistigen und seelischen Zustand passend „verkörpern“?

Kreative Übung: Malen Sie Ihre Gefühle 2019 als Landschaft.
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Säule 2 Meine Sozialen Beziehungen

Wie steht es um ihre sozialen Netzwerke: welche Beziehungen pflegen Sie in der Familie, im Freundeskreis,  bei Arbeitskollegen, in der Nachbarschaft?

Wer ist Ihnen besonders wichtig? Wer fällt aus?

Welche Beziehung fordert den meisten Teil Ihrer Energie, welche Beziehung stiftet  Energie?

Welche Beziehungen aus der Vergangenheit wirken sich bis heute aus? Wie wirkt die Erkrankung Ihres Elternteils sich auf Ihre aktuellen anderen Beziehungen aus?

Mit wem möchten Sie 2020 mehr Zeit verbringen?

Wie wäre ein idealer Freund oder Freundin für Sie?

Wollen Sie diese ideale Freund/in für jemanden sein? Wie gehen Sie das aktiv 2020 an…

Kreativ-Übung: Schreiben Sie einen Brief an eine imaginäre ideale Freund/in.
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Säule 3 Arbeit und Leistung

Wie ist Ihre Zufriedenheit in Ihrem Haupttätigkeitsfeld, etwa am Arbeitsplatz ( oder auch als Mutter etc.)?

Tun Sie Ihre Arbeit gern?

Empfinden Sie Ihre Arbeit als Bestimmung, Berufung?

Ist Ihre Arbeit Erfüllung oder nur notwendig zum Lebensunterhalt?

Wie passen Ihr Menschenbild und das Bild Ihres Arbeitsgebers überein?

Wie sicher ist Ihre Arbeit?

Welche Erwartungen haben andere an Sie?

Wo liegen Ihre Stärken, Ihre Defizite?

Aus welchen anderen Bereichen schöpfen sie Kraft? In welchem anderen Bereich sind Sie zufrieden mit Ihrer Leistung?

Wo sind Sie besonders erfolgreich, wo nicht?

Welchen Einfluss hatte die Erkrankung Ihres Elternteils auf Ihre Berufstätigkeit?

Was möchten Sie 2020 weiterführen, was hinter sich lassen?

Wie kommen Sie Ihrer Bstimmung 2020 ein Stück näher?

Was würden Sie in Ihr Leben zaubern, wenn Sie magische Kräfte besäßen?
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Säule 4 Materielle Sicherheit
Zu den materiellen Sicherheiten zählen Geld, Wohnung, Kleidung u. a. (Wenn materielle Sicherheiten wegfallen, gerät oft dadurch auch die Identität ins Wanken)

Wie stand es 2019 um Ihre materielle Situation?

Worauf können Sie sich verlassen?

Haben Sie 2019 verdient, was Ihre Arbeit wert war?

Haben Sie manchmal Existenzängste?

Wie sah Ihre finanzielle Situation zu Kindheitstagen aus?

Welche Rolle hat hierbei die Erkrankung Ihres Elternteils gespielt?

Welche Angst aus Kindheitstagen führt heute noch Regie?

Wie können Sie Ihre finanzielle Situation in 2020 optimieren?_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Säule 5 Meine Werte
Aus Ihren Werten können Sie Sinn und Kraft schöpfen, aber auch an unpassenden Wertvorstellungen erkranken. Ihre Zugehörigkeit zu Wertegemeinschaften (Kirchen- und Glaubensgemeinschaften, politischen Organisationen, Arbeitsgemeinschaften usw.) kann Sie stärken und unterstützen, unpassende Zugehörigkeiten, anstehende erforderliche Loslösungen können alles ins Wanken bringen. Ihre Ziele werden zu großen Anteilen durch Ihre Werte bestimmt. Werte werden verkörpert, führen zu einer Haltung, die sich konkret in Verhalten zeigt.

Welche Werte sind Ihnen wichtig? Nennen Sie drei zentrale Werte…

Für welche Werte treten Sie aktiv ein?

Gibt es Werte, die Sie schwächen oder verunsichern?

Welche Rolle spielen Sucht- oder andere elterliche Erkrankungen in Ihrem Wertesystem?

Sind Ihre Werte von einer Gemeinschaft akzeptiert und getragen, wie stimmen diese mit Ihrer Familie überein?

Welche Werte Ihrer Herkunftsfamilie möchten Sie hinter sich lassen?

Welche Werte stimmen mit Ihrer Wertegemeinschaft nicht mehr überein, welche möchten Sie 2019 weiterverfolgen?

Wie passt Ihre Sorge um den Erkrankten (Partner, Eltern) zu Ihren Wertevorstellungen?

Welche Überzeugung oder Lebensphilosophie stärkt Sie?

Welche Rolle spielen Sie selbst in Ihrem Wertesystem?

Wie können Sie sich und Ihren Werten 2017 einen angemessenen Platz in Ihrem Leben geben?
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Kreativ-Coaching:

Welche Ihrer Säule erleben Sie 2019 als geschwächt, welche zeigte besondere Stärken?

Sie können auch eine Einordnung Ihrer Säulen in Zahlen vornehmen: ordnen Sie jede Säule zwischen 0 ( gar keine) und 100% (vollständig) Stabilität ein.

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Finden Sie, wenn möglich, eine grafische Darstellungsmöglichkeit Ihrer Säulen in 2019…unterscheiden Sie nach Größe, Form, Position, Farbe. Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf…Malen Sie gewünschte Veränderungen in 2020 ein, geben Sie  Ihren Wünschen grafisch Raum….schraffieren Sie, gestalten Sie bunt, in Symbolen etc.

Tauschen Sie sich mit Ihrem Partner oder einem Menschen Ihres Vertrauens aus…“Wer bin ich?“- die Antwort auf diese Frage unterliegt der Veränderung: Sie können im Jetzt Einfluss nehmen! Auch die vorhergehenden Übungen auf diesen Seiten können Ihnen weitere Anregungen zu dieser Frage bieten…

Querlage-wie Wertschätzung heilt. Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte über einen kleinen Jungen aus einer belasteten Familie

Liebe LeserInnen,

nun sind Sie mit vielen tausend anderen Menschen offenbar regelmäßig lesend auf dieser Webseite unterwegs. Das freut mich natürlich und es stellt sich eine Verbundenheit mit Ihnen ein: der Online – Familie der Kinder und Erwachsenen aus belasteten Familien.

Weihnachten steht vor der Tür. Ich mag Ihnen nochmal eine etwas andere Weihnachtsgeschichte zukommen lassen, die ich vor etwa 15 Jahren verfasst habe (und später dann auch gelesen habe auf der CD „Gefühlskinder“ mit dem Duo EigenARTs und Beate Theißen am Klavier): eine Geschichte, die ich damals unter dem Eindruck einer wahren Begebenheit verfasste. Ein kleiner Klient, Sohn einer trinkenden Mutter, erzählte sie mir. Diese Geschichte hat etwas Schweres und Tragisches und eine doch so, wie ich finde, gute Auflösung. Mir hat der Kleine gezeigt, wie überlebens-wichtig Wertschätzung für kleine und große Menschen ist. Deshalb möchte ich diese kleine Geschichte nochmal auf den Weg bringen, sie euch und Ihnen, als mein persönliches Weihnachtsgeschenk  zur Verfügung stellen-.

Ein gutes Weihnachtsfest für Sie und alle, die Ihnen lieb und wichtig sind wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Quer – Lage

Eine Kurzgeschichte von Waltraut Barnowski-Geiser

Endlich lag er richtig. Wie immer war es ihm schwer gefallen, eine Position einzunehmen, die ihm entsprach und doch korrekt war. Meistens lag er daneben oder war schiefgewickelt, wie Mama sagte. Jetzt ruhte er gerade, der Länge nach, quer. Zunächst hatte er in der Mitte gelegen, lang ausgestreckt, gegen die sengende Sonne blinzelnd. Er war überrascht, wie gut er dazwischen passte, aber dazwischen passen konnte er. Er passte auch zwischen Mama und Ingo, seinem 10 Jahre älteren Bruder und seit Ingo ausgezogen war, passte er auch zwischen Mama und Ken, ihrem neuen 15 Jahre jüngeren Freund, eigentlich 14 Jahre, 264 Tage und 9 Stunden! Aber so genau solle das wirklich niemand wissen, hatte Mama gestöhnt und wieder mit diesem flehenden Blick zum Himmel, “Oh dieser Junge!“ geseufzt. Das machte sie schon, seit er denken konnte, als er also noch ganz klein gewesen war.Dann wäre er am liebsten wie die Mäuse in ein Loch gekrochen. Obwohl er sich, wie er selber fand, oft ganz klein machte, war er Ken zu groß. Zu groß und zu viel! Hier draußen war sogar noch Platz um ihn herum , Bewegungsspielraum, den er nicht brauchte, nicht mehr. Die Arme eng an den Körper gepresst, fast wie die Soldaten im Counterstrikespiel, hatte er sich eingefügt. Benötigte den Adlerflügelspielraum für die Arme kaum. Im Rücken zwickte es ein wenig, eigentlich ein bisschen viel. Eigentlich bevorzugte er die Bauchlage, war in Erinnerung seiner vorgeburtlichen Eskapaden fast ein wenig stolz. Davon erzählte Mama oft, dass er schon da mit seiner Lage Schwierigkeiten gemacht hatte, er ein Kaiserschnitt wurde. Das klang so toll adelig, wenn Mama das sagte. Sie hatte sich Stunden mit ihm abgequält, weil er sich anders als andere Babies hingelegt hatte, eben quer, schon da ein Dickkopf, was er heute nicht mehr fand, fühlte er doch oft den Umfang seines Kopfes ab, Mamas Aussage, wie so oft, wörtlich nehmend. Er fand seinen Kopf eher klein, wie er ja überhaupt zu den Kleinen in seiner Klasse gehörte. Und dann hatten sie ihn erwartungsvoll aus Mamas Bauch herausgeschnitten, das Personal bestimmt enttäuscht über so einen kleinen blutigen schreienden unadeligen „Querschläger“. Das war der Beginn seines Lebens gewesen und er hatte gelesen, dass Menschen am Ende immer zurückblickten im Zeitraffertempo. „Zeitraffertempo“ war auch wieder so ein Wort, das Kinder eigentlich nicht benutzen, das tat man nicht. Immer musste er auffallen:  weil er  Worte so neu und lustig und fremd und spannend fand. Seine Deutschlehrerin gab sich begeistert, entzückt rief sie eins ums andere Mal: „Still, Kinder. Na, wie formuliert das unser kleines Sprachgenie?“ Das war ihm so peinlich, dass er sich bei ihr nicht mehr zu Wort meldete. „Sprachgenie, Sprachgenie!“, hatten die anderen gerufen, „spielt nicht mit dem, der ist doch so ein Genie, mit uns will der doch gar nichts zu tun haben.“ Er war halt so verdammt anders, hochbegabt sagten die Ärzte. „ Zu wenig Normalo, dein kleiner Typ!“ maulte Ken.

Mama fand es schlimm, dass er immer auffallen musste. Erschreckt bemerkte er nun, dass sein jetziges Vorhaben so zum Scheitern verurteilt war. Er lag tatsächlich schon wieder falsch. Natürlich, so konnte das nicht gehen, quer musste er hier liegen, quer und mit dem Kopf nach unten. Als er noch kleiner war, hatte er immer geglaubt, wenn man die Augen zu mache, würde man nicht mehr gesehen. Darauf hoffte er auch nun. Im übrigen konnte er nicht gesehen werden, er war recht sicher, hatte er sich doch bestimmt zwei Kilometer von der Bahnhofseinfahrt weggeschlichen.

Robotergleich greift sein Arm in die Eisen, zieht den Restkörper nach, die Füße reichen knapp bis zur gegenüberliegenden Seite. Er stützt seinen heute tatsächlich groß schweren Kopf auf den Armen ab , senkt ihn und drückt seine schweißnasse Stirn auf die Handoberflächen. Er findet es schön, dass die Hände sauber duften, nicht den Duft tragen all dessen, was er angefasst hatte. All das, was er nicht hätte anfassen dürfen, das Verbotene. Egal, was er anfasste, am Ende war die Mama traurig und weinte und musste wieder trinken oder diese blöden Tabletten nehmen, von denen sie dann so weg war. Dann weinte sie nicht mehr, aber dann war sie ganz weit weg, wie in Afrika. Und dabei wollte er doch eigentlich ein Glücksbringer für Mama und alle Menschen sein. Er schaffte gar nichts. Manchmal hatte er schon überlegt, sich die Hände anzuhacken, aber er war so ein verdammt ängstlicher Scheißer. Ein beschissener Hosenscheißer. Ja, nicht einmal das hatte er gekonnt, er war nicht sauber zu kriegen gewesen. Und darüber hatte Mama auch geweint, Krokodilstränen. So ein großer Junge, neun Jahre alt, wie er. In seiner Verzweiflung hatte er dann manchmal alles an die Wände geschmiert, braune Farbe, Eigenproduktion, kostenlos und reichhaltig vorhanden. Es hatte nicht geklappt , es wieder wegzukriegen, und das Malen an den Wänden hatte Spaß gemacht. Das hatte die Mama aus Afrika zurückgeholt und dann half nur noch der Stock. Er hoffte sehr, dass der Stock ein Zauberstab wäre, dass er helfen würde, und verdient hatte er es ja, aber bis jetzt hatte der Stock nicht viel ausgerichtet. Manchmal passierte das einfach, es schoss aus ihm heraus, genau so sturzbachartig wie die Gedanken, kreuz und quer und hoch und runter, wie die Figuren auf seinem Game – Boy. Falls Mama ihn nachher finden würde, konnte sie sich freuen: er hatte nicht einmal Spuren unter den Nägeln, seit neustem entfernte er die braun – kotigen Reste dort mit seiner knallgelben Zahnbürste. Nicht auszudenken allerdings, wenn Mama bemerkte, dass er sich seit Tagen die Zähne nicht mehr putzte, igitt, sich vorzustellen, dass das Zeug da in seinen Mund käme. Eklig!

Das war auch echt doof gewesen, dass er Kens beste coole Lederjacke zum Verkleiden aus dessen Schrank in sein Zimmer geholt hatte. Natürlich wie immer nicht weggeräumt und dass dann auch noch das Schlimme passiert war. Manchmal hatte er einfach pech. Eigentlich immer! Fasziniert hatte er zugesehen, wie sich sein cremiges Dunkel in das wildgrüne Wildleder gegraben hatte, interessante Formen zutage traten. Ein Zwergnase über Kens Jackentasche entstand, so weich und warm, kuschelig fast und er hatte gelacht, Fratzen geschnitten, Zwergnase hatte immer andere Formen angenommen. Im Spiel konnte er sich vergessen. Eigentlich hatte er immer jemanden zum Spielen, also nicht wirklich, jetzt flunkerte er, aber er tat so. Zum Beispiel die Figuren auf seinem T-Shirt, die waren immer dabei. Er fand es sogar peinlich, wenn sie ihm beim Pinkeln zusahen, dann hielt er das T – Shirt so hoch, dass nichts Intimes sichtbar wurde.
Er war ein echter Pingel, sagte auch Mama. Und ein kleiner Spinner, meinte Ken. Oh je, wenn Ken seine Jacke finden würde! In der Mülltonne würde er nicht suchen und mit der alten Tischdecke darüber waren nur Umrisse zu sehen gewesen. Aber auf Mülltonne würde der nicht kommen. Und heute war es heiß, warum sollte er gerade heute seine Jacke suchen. Oder? Ken tat manchmal unberechenbare komische Dinge und irgendwie wusste der immer alles. Panik stieg in ihm auf. Wenn Ken jetzt käme, sein Herz pochte wild. Aber noch konnte er das nicht bemerkt haben und so schnell konnte er nicht hier sein. Diese scheiß Gedanken sollten endlich aufhören, Scheiß, Scheiß Angst, scheiß Kopf, sein Kopf sollte absein und die schlimmen Hände auch. Einfach ratsch. Er krallte sich noch tiefer in die Eisen, spürte ein Wummern unter sich, das ihn ganzkörperlich erfasste. Endlich.

„Der Wupperexpress von Hagen nach Aachen über Rheydt, Erkelenz, Lindern trifft wenige Minuten später ein.“

Entfernt hörte er die nüchterne Lautsprecherstimme. Immer kamen alle zu spät, schon wieder, jetzt sogar der Zug, auf den er so dringlich wartete. Papa war das eine mal auch zu spät gekommen, und dann hatte es Mama gereicht, einmal zuviel meinte sie. Und sie hatte gesagt, dass sie mit so einem Unzuverlässigen nichts mehr zu tun haben wolle. Da hatte der Papa geschrieen und getobt, aber genützt hatte es ihm nichts, die Mama hatte ihn und Ingo genommen, war zu ihrer Mutter gegangen, weggezogen und seitdem hatte er keinen Papa mehr. Also, jedenfalls nicht einen, den er sah. Mama sagte, dass Papa kleine Hosenscheißer wie ihn eh hasste. Deshalb hätte der Papa ihn früher verprügelt. Klar, wie sollte der Papa ihn auch mögen. Er könne froh sein, dass er ihm nicht mehr begegnete, denn wenn der ihn zwischen die Finger kriegte, meinte die Mama…

Wie er jetzt wohl aussah? Ein zarter Kinderkörper , Kopf und Hände abschnittbereit auf den scharfkantigen Schienen präsentiert. Unsinnig sah das aus, sinnlos wahrscheinlich. Ohne Sinn, wie so vieles. Darüber dachte er oft nach, über den Sinn des Lebens. Mama mochte das nicht. “Das sind doch keine Gedanken für ein Kind!“, schimpfte sie. Die Schwester im Krankenhaus hatte ihm lange zugehört und nachdenklich gefragt: „ Wie willst du einen Sinn finden, wenn du deine Sinne nicht nutzt und schätzt.“ Das klang spannend, die Sinne nutzen, sich selbst schätzen. Und komisch! An ihm war vieles komisch, er konnte sich die verrücktesten Geschichten ausmalen, mit Menschen, die Kreide mit Ketchup aßen und für die die Sonne ein Schatz war, nicht Geld, sondern einfach Sonnenwärme. Mama wollte diese Geschichten nicht hören. „Fängst du wieder an, müssen wir dich wieder wegbringen?“ sagte sie dann und dann war er ganz schnell still. Er wollte nicht wieder in dieses Krankenhaus. Obwohl die da ganz schön nett zu ihm gewesen waren. Und die Schwester hatte sogar seine Hände geküsst und gemeint: „Du hast wunderbare Hände, Junge, du bist so ein wunderbares Kind.“ Das hatte so doll gekribbelt in seinem Bauch, fast so wie bei dem Kuss von Isa, er war ganz wild durch die Krankenstation gehüpft. Unmerklich lockerte er seinen Griff, die Beine suchten nach Boden. Kaum hörbar formten seine Lippen immer wieder dieselben Worte: „Ich bin ein wunderbares Kind.“

Wider den Weihnachtswahn: Notfallgedanken für Festtage mit schwierigen Angehörigen

Gerade, wenn der Frieden in der Welt bedroht scheint, wird die Sehnsucht nach einem friedvollen Ort unendlich groß: ihre Familie, so wünschen die meisten Menschen, sollte ein solcher Ort sein. Ein Ort, an dem sie geliebt werden, so wie sie sind, ein Ort, an dem sie sich wohlfühlen können, wo Resonanzen aufrichtig schwingen, ein Ort, an dem Frieden wohnt. Waren und sind jedoch die Beziehungen zu den Eltern schwierig und stark 20160117_132431belastet, sogar mit Leiden angefüllt, dann wird der Besuch dieses Ortes oft als Gegenteil  erlebt: als Kriegsschauplatz etwa oder als ungeselliger rauer Ort,  an dem, so beschreiben es Betroffene, man keine Luft bekomme, die Atmosphäre  wie zum Zerreißen gespannt sei etc. Gerade Festtage, wie das bevorstehende Weihnachtsfest, die gemeinhin für Gemeinsamkeit in Harmonie stehen, können dann zu einer großen Belastung werden. Insbesondere, wenn bereits schwere Wunden entstanden sind, werden die anstehenden Begegnungen nicht als Freude, sondern als schwere Lasten empfunden. Betroffene fühlen sich gefangen in einem Hamsterrad der offenen Rechnungen Mehr lesen

Was Betroffene  bei Feiertagsbegegnungen mit ihrer belasteten Herkunftsfamilie in Therapien als hilfreich beschreiben, habe ich für Sie in 5 Punkten zusammengefasst: (diese Hilfen sind allerdings nur dann erfolgreich, wenn die Situation nicht völlig verfahren ist)

1 Klar sehen und Akzeptieren

Schon zum 1. Schritt gehört viel Mut: Akzeptieren Sie und sehen Sie klar, dass Ihre Herkunfts-Familie genau so ist wie sie ist. Ihre Einflussmöglichkeiten sind begrenzt. Reden Sie sich die Situation nicht besser oder schöner als Sie ist (und dramatisieren auch nicht unnötig, indem Sie in die Hilflosigkeit Ihrer Kindheit zurückfallen), um dann wieder und wieder Ungutes zu erleben, etwa wieder von einem Elternteil „angefallen“ zu werden: eigentlich wissen Sie, worauf Sie sich einlassen und können heute vorbauen. Einen besseren Experten für Ihre Familie gibt es nicht: nutzen Sie Ihre Expertise, werten Sie Ihre Erfahrungen aktiv aus! Durchblick kann Sie schützen.

2 Dosieren

Fragen Sie sich vorher: Wieviel Zeit kann ich in meiner Herkunftsfamilie zubringen, ohne  im Anschluss „völlig auf dem Zahnfleisch zu gehen“?…Dann ist es gut möglich, dass Sie bei ehrlicher Antwort nur zwei Stunden statt zwei Tage verkraften. Sorgen Sie für eine angemessene Dosierung oder mindestens für Auszeiten, in denen Sie „raus“ sind, etwa allein spazieren gehen,o.ä.

Auch vielleicht schon lange anstehende Großkampf-Auseinandersetzungen sind selten ein passendes Feiertagsprogramm…

3 Verbinden

Verbündete suchen, mit denen sie sich austauschen können, vorher und nachher oder auch am Telefon während des Besuches. Schauen Sie, mit wem Sie angenehmen Kontakt erleben, vielleicht mit den Kindern Ihrer Geschwister…Sie können heute bestimmen, wem Sie sich verstärkt zuwenden möchten. Wählen Sie nach Möglichkeit Menschen aus, die im Rahmen des Möglichen gut tun. Sind Sie allein mit einem schwierigen Elternteil, so kann es sinnvoll sein, Telefonverbündete vorher zu informieren und Kontakt im Dazwischen sicherzustellen…

4 Distanzieren

Aktivieren Sie Ihren inneren Beobachter, so wie Sie es in Meditationen und Kontemplationen auf diesen Seiten schon geübt haben.Eine wichtige Brücke dabei ist die Konzentration auf den eigenen Atem. Wenn Sie merken, dass  Sie sich unwohl fühlen, gehen Sie mit Ihrer Achtsamkeit zu sich selbst und verankern sich in Ihrem Atem. Kreative Menschen nutzen solche Situationen teils, um sie später als Geschichten zu schildern…manche Satire konnte so entstehen…auch Humor und ein humorvoller Blick kann eine  Distanzierungshilfe sein.

5 Umgestalten

Aktiv neu gestalten: Neue Feierformen ( etwa mit Freunden und Familie gemeinsam feiern oder an einem anderen Ort, an ungewöhnlicher Location), die ihnen mehr entsprechen.. Dies zeigte sich als ebenso hilfreich wie das Verändern von alten unguten Verhaltensweisen. Wenn Sie sich in ihrer alten Rolle und einem Familien-Muster gefangen fühlen ( „Du hast doch immer gute Laune!“ und dabei immerzu „schlucken, um harmonisch sein“..) kann es ein erster Schritt sein, ein bisschen anders zu agieren, auch mal zu zeigen, wenn Ihnen etwas nicht passt. Hier kann auch helfen, ein inneres Team zu aktivieren. Kleine Dinge können verändernd wirken: legen Sie Musik auf, die sie gern mögen, unterhalten Sie sich mit einem Familienmitglied, mit dem es sonst kaum möglich scheint

Natürlich kann in bestimmten Fällen ( insbesondere wenn die Eltern kooperations-und bindungsfähig sind) Ihre Einstellung, mit der Sie an den Besuch herangehen, einen wichtigen Beitrag leisten, etwa indem Sie Erwartungen von vorneherein reduzieren und Enttäuschungen vermeiden. Herr N., 32 Jahre, erzählt:

Ich weiß jetzt, dass ich nie die emotionalen Eltern haben werde, die ich mir gewünscht habe, aber ich bin dennoch dankbar für die Versorgung und das, was sie mir als kleines Kind, bevor ihre psychischen Probleme und Ehestreitigkeiten überhand nahmen,  gegeben haben. Ich werde versuchen, mit diesen sozialen, versorgenden Eltern in Kontakt zu bleiben – seit ich meine emotionalen Erwartungen an meine Eltern aufgegeben haben, empfinde ich nach einer Phase der Trauer nun endlich inneren Frieden.“

Ein Hinweis zum Schluss für traumatisierte Erwachsene: Wurden Sie durch Ihre Familie  traumatisiert, so muss ein Besuch äußerst gut überlegt, vorbereitet und dosiert sein: körperliche Symptome und psychische Gereiztheit sind dann oftmals Belastungssymptome, die sich unter Kontakt mit den Menschen, die ihnen Schlimmes angetan haben, verständlicher Weise verstärken. Dann gilt es, Ihre Symptome zu verstehen und übersetzen, sich ihrer anzunehmen anstatt sich zu bezichtigen, „unnormal“ zu sein.

Ich wünsche Ihnen gute, sinnerfüllte und friedliche Weihnachtstage.

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

I

Nicht nur zur Weihnachtszeit-Elternbeziehungen auf dem Prüfstand

Neue Beziehungschancen durch Perspektivwechsel?

Herr N., 32 Jahre erzählt: „Ich weiß jetzt, dass ich nie die emotionalen Eltern haben werde, die ich mir gewünscht habe, aber ich bin dennoch dankbar für die Versorgung und das, was sie mir als kleines Kind, bevor ihre psychischen Probleme und Ehestreitigkeiten überhand nahmen,  gegeben haben. Ich werde versuchen, mit diesen sozialen, versorgenden Eltern in Kontakt zu bleiben – seit ich meine emotionalen Erwartungen an meine Eltern aufgegeben haben, empfinde ich nach einer Phase der Trauer nun endlich inneren Frieden.“

Weihnachtstage sind für viele immer noch Familientage: und damit oftmals Krisentage. Gerade in der Vorweihnachtszeit, in der Familienbesuche und soziales Zusammenrücken groß geschrieben werden, geraten Menschen aus belasteten Familien unter besonderen Stress: „Soll ich meine Eltern öfter besuchen, soll ich den Kontakt zu meinen Eltern abbrechen oder diese Beziehung doch aufrecht erhalten?“… „Liebe ich meine Eltern oder hasse ich sie nicht eigentlich, nach allem, was sie mir angetan haben?“ “ Aber bin ich Ihnen das als Ihr Kind nicht schuldig, Sie sind doch meine Eltern?“ So und ähnlich lauten Fragen, die sich erwachsene Kinder aus belasteten Familien oftmals quälend stellen und auf die sie nur schwer im „Entweder oder“ Antworten finden. Harmonisch Weihnachten feiern im Kreise der Lieben, so wird uns nicht nur in der Werbung suggeriert, ist scheinbar das Normalste der Welt…Warum gelingt das so schwer? Beratungsstellen und Therapeutische Ambulanzen haben vor dem Fest der Liebe regelmäßig Hochkonjunktur. Menschen, die etwas durch ihre Eltern erlitten haben, fühlen sich, wenn sie sich distanzieren, allein und ausgegrenzt oder, wenn sie sich mehr in die Herkunftsfamilie begeben, in einer erzwungenen Harmoniefalle. Es scheint kaum einen Ausweg zu geben aus diesem Dilemma. Oft liegt diesem „Ich sitze in der Falle“-Gefühl“ eine „Entweder-Oder“-Sicht zugrunde. Die alte offene Rechnung mit den Eltern schmerzt und doch gibt es diese Sehnsucht nach Zuhaus…Herr N. hat viele Jahre des Trauerns, Zürnens und Verzweifelns mit seinen Eltern hinter sich. Was ist nun anders?

Die schwierige Suche nach dem „Und“

Manchen Betroffenen hilft es, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Sie sehen die Elternbeziehung differenzierter an. Sie betrachten komplexer, etwa nicht mehr ausschließlich den Mangel  oder nicht ausschließlich das Gute: was konnten die Eltern nicht geben und was vielleicht doch, trotz der familiären Belastung?   Viele Eltern-Kind-Beziehungen stecken im Hamsterrad der alten offenen Rechnungen fest: die Eltern geben etwa Materielles und definieren, wie undankbar ihr Kind für ihre zahlreichen Gaben sei. Die Kinder können die elterlichen Gaben kaum würdigen, scheint doch, so empfinden sie schmerzlich, weder ihre emotionale Leistung noch ihre kindliche Belastung anerkannt, noch bekommen sie heute die ersehnte emotionale Zuwendung,  in Form von Resonanz, Wärme und Zuwendung.

Nicht „einfach“- Ambivalenz

Wenn die Eltern-Kind-Beziehung belastet ist, dann fühlen Kinder oft auch noch als Erwachsene ambivalent: sie lieben und sie hassen, sie wollen sich distanzieren und haben doch große Sehnsucht nach elterlicher Zuwendung. Diese Ambivalenz gilt es anzuerkennen und auszuhalten. Einige negieren die Schattenseite, andere die, nennen wir sie hier „Lichtseite“, der Eltern.

Viele erwachsene Kinder  aus belasteten Familien fühlen sich zerrissen zwischen Licht- und Schattenperspektive, von Gefühlen, die sie als widersprüchlich und als ein „Entweder-oder“ empfinden. Manche finden bei genauerem Hinsehen ein „Und“, das in ihrer inneren Bewertung vorher kaum eine Rolle spielte. Oft wirken diese Sichtweisen gegensätzlich: sie wurden jedoch in der Regel beide erlebt. In unterschiedlichen Beziehungsphasen rückt dann jeweils nur die Lichtseite oder nur die Schattenseite in den Blick. In der Und-Perspektive wird manchmal beides möglich:  dass Eltern  materiell  unterstützten und das Kind doch  emotional zu kurz kam. Dass  es eine gute Versorgung  mit Essen und Trinken gab und   Kinder doch emotional unterernährt wurden: Sie waren etwa viel zu früh in der Elternrolle statt, dass ihre kindlichen Bedürfnisse befriedigt wurden (Kinder waren „Eheberater“, „Therapeuten“, „Mediatoren“ ihrer Eltern – unbezahlt, ohne Dank) und die Eltern  haben  eine freie, unkonventionelle Lebensform ermöglicht, geholfen,Träume zu realisieren etc..Herr N. kann sich nun nach jahrelangem Ringen mit den Eltern arrangieren- er beschreibt sich als versöhnt. Dieses „Versöhnen“, und darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen, ist nicht „einfach so“, wie teils vollmundig propagiert, als positive Denkleistung „mal eben so“ möglich, sondern sie setzt, oft jahrelange Prozesse voraus, ein Anerkennen des Geschehenen, ein Durcharbeiten, ein Verstandenwerden, gehört-gesehen, getröstet werden.

Die radikale Annahme dessen, was ist, wie sie etwa im Zen propagiert wird (und von verschiedenen therapeutischen Richtungen, wie Gestalt-und Integrativer Therapie auch favorisiert wird, etwa Marsha Linehan), kann ein erster Schritt sein: Akzeptanz von scheinbar widersprüchlichen Gefühlen und Impulsen, die radikale Bestandsaufnahme, was die Beziehung zu den Eltern in ihrer Komplexität und vielleicht als widersprüchlich empfundenen Ganzheit eigentlich ausmacht: Licht und Schatten. Die Entdeckung des „Und“  anstatt des „Entweder oder“ kann  befreiend wirken.  Manche Beziehungen sind so stark belastet, dass der Kontaktabbruch als einziger Ausweg erscheint – das kann eine not-wendige Option sein, Zufriedenheit mit dieser Lösung bleibt oft jedoch aus (mehr dazu im Buch Barnowski-Geiser 2015: Vater, Mutter, Sucht).

Vielleicht ist das Weihnachtsfest für Sie eine Chance, zu beobachten, nach Licht und Schatten zu suchen und auch nach dem eigenen Maß, wieviel Herkunftsfamilie Ihnen gut tut.

Eine gute Vorweihnachtszeit wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In ihrer Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis ihres AWOKADO-7-Schritte-Programms an.

Wissen, dass wir zählen – Gedanken zum Advent

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Wissen, dass wir zählen.

Mit unserem Leben.

Mit unserem Lieben.

Gegen die Kälte.

Zit nach Ruth Cohn

Wenn Kindheit belastet und/oder nicht leicht war ( und der Kontakt mit den Eltern vielleicht bis heute eine große Lebensbelastung darstellt), geht manchen Betroffenen auch als Erwachsenem ein Gespür für sich selbst verloren: es fehlt dann oft ein geeigneter Maßstab für die eigene Bedeutung, für den Nutzen und die Wertigkeit des eigenen Tuns/Leistens. In der Fachsprache wird dieser Vorgang auch als Verlust von „Selbstwirksamkeit“ bezeichnet.

Kindheitsbelastung

Kinder, die sich an schwer erkrankten Eltern ein Leben lang regelrecht „abarbeiten“, ohne dass diese „Arbeit“ je gesehen,  gewürdigt oder gar belohnt und anerkannt würde, ohne, dass sie erfolgreich bewertet wird in der inneren Zuschreibung ( weil der erkrankte Elternteil etwa weiter trinkt), müssen sich das Gefühl für die eigene Bedeutung mühsam zurückerobern. Leicht findet eine Generalisierung statt: all das eigene Tun erscheint derart betroffenen Erwachsenen dann sinnlos und erfolglos. Sie glauben schlicht nicht mehr daran, selbst etwas bewirken zu können… waren sie doch  schon bei den Eltern erfolglos, der Vater trinkt immer noch, die Mutter ist weiter coabhängig und depressiv, so denken sie. Nach und nach geht ihnen Selbstbewusstsein verloren, nach und nach fühlen sie sich bedeutungslos, sie fühlen sich oft lebenslang nicht gesehen, nicht gewürdigt, teils auch in ihrer Partnerschaft und in ihren neu gegründeten Familien.

Kindheitsbelastung hat einen Preis…und auch Gewinnfaktor

Burnout ist nur eine der als typisch zu nennenden Erkrankungen im Erwachsenenalter. Die negative Selbstzuschreibung, die in der Ursprungsfamilie entstand, legt einen unguten Boden für weitere Beziehungen – und für eigene Erkankungen auf dem Boden erlittener Kränkung. Oft übersehen diese Erwachsenen, wieviel sie leisten, oftmals über ihre Grenzen hinaus- und wie stark sie geworden sind. Haben Sie schon darüber nachgedacht, über welche besonderen Stärken  sie verfügen?

Die  Begründerin der themenzentrierten Interaktion  (TZI) Ruth Cohn trifft  diesen Nerv;  ihre Worte empfinde ich für all die erwachsenen Kinder, auch als Kinder dieser unserer Zeit, besonders treffend: Wissen, dass Sie zählen… gegen die Kälte, mit Ihrem Leben und Lieben… das wünsche ich Ihnen von Herzen.

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Selbstwert-Mutmacher: wie wir Selbstwert durch das Besinnen auf unsere eigenen Werte steigern können

Liebe Blogleserin und Leser,

ich melde mich nun mal wieder und hoffe, dass es Ihnen so gut als möglich geht…: Neues habe ich gelesen und ist mir begegnet. Dazu nun wieder regelmäßiger hier Blogbeiträge.

Dauerbrenner: Selbstwertprobleme! Immer wieder begegnen mir Menschen aus belasteten Familien, die nach allgemeinen Kriterien erfolgreich scheinen, die sich aber unter der nach Außen gezeigten Stärke unbedeutend, klein und schwach fühlen. Selbstwertprobleme bleiben für Erwachsene mit Kindheitsbelastungen meist ein großes Thema: ja,eine Lebensaufgabe.

Heute erzähle ich Ihnen:

  • wie diese Selbstwertproblematik in belasteten Familien entsteht
  • wie Sie wieder zu mehr Selbstwert finden
  • eine Anleitung, sich auf kreative Weise mit Ihren Werten auseinanderzusetzen

Denn: Sie können etwas tun, Ihr Lebensgefühl und Ihr Selbstwert sind veränderbar!

Wie Kindern in belasteten Familien der Selbstwert abhanden kommt

Wenn Eltern über viele Jahre schwer belastet sind (etwa durch Krankheiten, Süchte, Persönlichkeitsstörungen u.a.), dann bekommt oftmals in ihrem Leben anderes zentrale Bedeutung. Dieses „andere“ erfährt dann die Aufmerksamkeit, die eigentlich ihren Kindern zusteht. Die den Kindern zustehende Wertschätzung geht verloren. Da dreht sich das Leben der Mutter etwa nur noch darum, wie sie ihren Alkohol bekommt und wie sie in Ruhe trinken kann, Fassade bewahrt – das Kind wird Teil des süchtigen Systems der Mutter, auch ihres Bewertungssystems: es droht bewertet zu werden über den alles bestimmenden Suchtfaktor, sein Wert im Bewertungssystem der Mutter droht sich dann an der Frage zu orientieren: Ist mein Kind  dienlich, mein Trinkverhalten zu sichern? Der  Wert, der dem Kind dann zugeschrieben wird, bemisst sich im kranken System nach völlig verschobenen Maßstäben, die sich über Jahre intern ungut aufgebaut haben. Das Kind wird in diesen Fällen (und das reicht oftmals bis ins hohe Erwachsenenalter) wenig bis gar nicht um seiner selbst Willen gesehen, sondern dann vor allem in seiner Funktonalität für das Aufrechterhalten des Systems bewertet, hier das Kranke. Das Kind lernt, insbesondere wenn dieser ungute Mechanismus über viele Jahre andauert und wenig andere Bezugspersonen zur Verfügung stehen, seinen Selbstwert aus diesem System zu beziehen… und verhält sich entsprechend der Systemnorm: es „schluckt“ das Unangenehme, es macht keinen Ärger, lügt vielleicht für die süchtige Mutter, besorgt Alkohol für sie, obwohl es genau an den Folgen, die durch den Alkoholgebrauch entstehen, besonders leidet. Es ist jedoch meist chancenlos, denn positive Aufmerksamkeit erhält es, wenn es der Mutter dient. Die fehlende Wertschätzung durch die so wichtige erste Bezugsperson droht Teil seines Selbstkonzeptes zu werden: „Ich bin nur etwas wert, wenn ich jemanden anderen stütze!“, lautet dann die unbewusste Selbstzuschreibung. Betroffene erlangen in belasteten Familien so meist einen sehr niedrigen Selbstwert. Verstärkt wird diese Problematik durch weitere systemtypische Faktoren: betroffenen KIndern fehlen adäquate Modelle , hat doch schon das erkrankte Elternteil selbst einen geringen Selbstwert (Beobachtungslernen). Süchtige Elternteile neigen teils zu fortgesetzter Entwertung ihrer Umwelt, spalten zwischen ihrem Kind und dem „feindlichen“ Außen.  Scham über die Unfähigkeit, gute Eltern zu sein, wird vertuscht, Im Gegenteil führt diese vertuschte Scham dazu, dass das Kind keine Anerkennung für seine (familiären) Leistungen erhält. Die erlernte und stillschweigend eingeforderte Selbstaufgabe bis hin zum emotionalen missbraucht Werden, erfährt eine Entwertung im internen Bewertungssystem ( „Ich müsste doch mal für mich eintreten!“ , denken sie „Immer schlucke ich alles und kriege den Mund nicht auf“ etc.). Als Erwachsene drohen diese KInder im besonderen Maße abhängig zu sein von der Wertschätzung anderer, von Partnern, Chefs und hierarchisch höher gestellten, Eltern ähnlichen Figuren: meist bleibt ihnen nach einer Kindheit, die von emotionalem Missbrauch gezeichnet war ( oder auch bis zum heutigen Tage immer noch ist), eine klaffende Leerstelle im Inneren erhalten, die sich nicht zu füllen scheint – Leere- und Sinnlosigkeit machen sich breit, fortschreitende Selbstentwertung greift Raum. Aus Entwertung und entwertendem Umgang wird geschwächter Selbstwert.

Wie Sie wieder zu mehr Selbstwert finden

Erst, wenn Betroffene beginnen, diesen Prozess der familiären Bewertungsentwicklung zu durchschauen und in Zusammenhang zu Ihrem Selbstwert zu setzen… können sie sich endlich auf ihre eigenen Normen und  Werte zurückbesinnen… ihre eigenen Werte neu überprüfen… oder auch sie erstmalig entdecken… familiäre Bewertungen entdecken und von den eigenen Werten unterscheiden … und schließlich ihren Selbstwert nicht mehr nur an der Anerkennung durch andere, sondern in der Übereinstimmung mit ihren eigenen Werten finden…Erst dann tritt meist ein manifester Selbstwert, der stabil auf dem eigenen Inneren begründet ist, zutage. Die nachfolgende Kreative Selbsterfahrung kann Sie auf diesem Weg unterstützen.

Kreative Selbsterfahrung  Meine Werte

Wie hoch schätzen Sie Ihren Selbstwert augenblicklich ein? (1-10, 10 als höchster, 0 als niedrigster Wert)

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Wie hoch war der Selbstwert in Ihrer Kindheit?

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Nennen Sie spontan fünf Werte, für die sie sich persönlich einsetzen möchten…

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Stellen sie sich vor, diese Werte wären Reiseproviant, das sie nur begrenzt mitnehmen könnten. Tauschen sie einen Wert nach dem anderen solange aus, bis der Ihnen wichtigste übrig bleibt.

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Welche Werte galten in Ihrer Herkunfts-Familie? Wo gibt es Schnittmengen mit Ihren eigenen Werten, wogegen grenzen Sie sich klar ab?



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Gibt es Werte in Ihrer Familie, die sie förmlich „schräg“ oder „verrückt“ finden?

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Fertigen Sie eine kleine Zeichnung an, um diese Schrägheiten in einem Comic darzustellen. Gestalten Sie anschließend Ihre eigenen Werte hinein.

Inwieweit passen Ihre Werte zu denen an Ihrem Arbeitsplatz, wie ist das dort das vorherrschende Menschenbild?


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Nennen Sie 3 konkrete Schritte, die Sie aktiv tun können, um mehr in Übereinstimmung mit Ihren Werten zu leben…

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Fertigen Sie ab sofort eine Selbstwert- Kurve an, in die Sie täglich Ihren Selbstwert eintragen ( 10 ist hoher Selbstwert, 0 ist niedrig). Notieren Sie Ereignisse, die den Kurvenverlauf stark beeinflussen.

Durch die Beschäftigung mit Ihren Werten machen Sie eine wichtige Bestandsaufnahme. Wenn sie mehr Ihren Werten gemäß leben, hat dies in der Regel auch ein besseres Selbstwertgefühl zufolge. Für Erwachsene aus belasteten Familien ist dies eine schwierige Aufgabe…scheuen Sie sich nicht, eine Person Ihres Vertrauens hinzuzuziehen, wenn Sie an Punkten in der Bearbeitung  Schwierigkeiten entdecken.

Ich hoffe, Sie können bald, ganz herbstlich, Ihre Früchte und Ernte einfahren,

herzlich

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Bücher zur Thematik von Autorin Dr. Waltraut Barnowski-Geiser hier

Mehr unter www.barnowski-geiser.de

TV-Interview

Liebe treue Leserin und Leser,

heute wende ich mich mit einer Anfrage an Sie/Euch: fuer eine Fernsehreportage (öffentlich-rechtliches TV) wird eine weibliche Betroffene aus einer Suchtfamilie gesucht, die bereit waere ueber Ihre Erfahrungen zu berichten. Also, wenn auch Sie es wichtig finden, dass wir eine breitere Öffentlichkeit fuer unsere Thematik  sensibilisieren und sich vorstellen können, ein INterview zu geben, kontaktieren Sie mich gern- möglichst zeitnah.

Demnächst wieder mehr Neues, Buchvorstellungen und mehr von hier.

Sonniges durch den Regen sendet

Ihre/Eure

Waltraut Barnowski-Geiser

Neujahrsgrüße

Ich freue mich, dass diese Seiten, auch wenn die Beiträge in großen Abständen erfolgen, so eine große Leserschaft erreichen. Danke auch für die persönlichen Fragen und Rückmeldungen, die über das Kontaktformular eintrafen: Mögen die wunderbaren Worte der Dichterin Hilde Domin Ihnen Mut machen, gerade wenn es nicht leicht ist für Sie gerade,und Sie und die Ihnen lieben Menschen ins und im Neuen Jahr begleiten – das wünscht von Herzen

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Haben Sie schon Worte…oder hat es Ihnen die Sprache verschlagen? – Tabu und Wort in Eltern-Kind-Beziehungen

Viele erwachsene Kinder aus belasteten Familien haben nie mit jemandem über ihre schwierige Lage Daheim gesprochen. Sie hätten eigentlich wenig darüber nachgedacht als Kind, heißt es oft, es sei eben einfach so gewesen , wie es nun mal war… und manch Betroffener bemerkt beim genaueren Hinschauen, wenn die Familie längst verlassen wurde, dass es ein Sprechverbot gab, über das Belastende zu sprechen, ja, teils sogar überhaupt darüber nachzudenken. Nehmen wir ein Beispiel: Die Familie hat die Sucht des erkrankten Elternteils tabuisiert, darüber wird nicht gesprochen, es wird bagatellisiert und verharmlost. Oft ist es für die betroffenen Kinder ein großes Ereignis, wenn sie ihre damit einhergehende Belastung erstmalig mit Worten belegen, sie vor sich selbst und in der Folge vor anderen benennen. Manche fühlen sich dann schlecht, fühlen sich als Verräter oder Denunzianten der Eltern. Philosoph Peter Bieri beschreibt dies im Zusammenhang der verlorengehenden Würde  treffend: „Wenn das Wort ausgesprochen ist, gibt es keinen Spielraum mehr für Verleugnung oder Beschönigung – keine Möglichkeit mehr zu tun, als sei das Unglück nicht der Fall.“ (Bieri, Eine Art zu leben, S.232). Das ausgesprochene Wort verändere die Beziehungen, sogar, wenn es nur gedacht sei.

Es scheint entscheidend, mit welchen Worten sie ihr belastetes Elternteil belegen. Nehmen Sie sich ein paar Atemzüge Zeit: Denken Sie doch kurz einmal darüber nach, welche drei Worte Sie Ihrem belasteten Elternteil zuschreiben…was wurde für Sie persönlich zur Belastung?

Vielleicht sind Sie nun bei Diagnosen und Krankheitszuschreibungen gelandet, vielleicht steht dort: Sucht, Alkoholismus, Depression o.ä. Dann sind vielleicht gängige Diagnosen zu ihren eigenen Worten der Beschreibung geworden und sie könnten noch einmal überprüfen, ob ihnen diese Kategorien, die aus medizinischen Klassifikationen abgeleitet wurden, heute noch reichen.

Unsere Worte können  Welt gestalten: sie können  etwas endlich klar scheinen lassen, sie können ebenso abstempeln und so jede Hoffnung aufgeben, sie können ebenso beschönigen wie verfremden. Auch die noch nicht gefundenen Worte gestalten unsere Beziehungen.

Eine wichtige Rolle kommt dabei den Tabus zu: Tabus können Beziehungen zersetzen, da sie ihnen die Echtheit entziehen. Authentizität geht verloren, sogar dann,wenn einer nur weiß, dass der andere sein Tabu kennt: da hat die Mutter ihren massiven Selbstverletzungsversuch in die Tabuecke gedrängt, er darf nicht mehr erwähnt werden, aber Mutter und Tochter wissen beide darum. Bleiben solche Tabus unbesprochen, werden keine Worte gefunden, sind die Eltern-Kind-Beziehungen schwer belastet – insbesondere die Kinder tragen dann ein schweres stummes Paket, an dem sie oft lebenslang leiden und oft selbst nicht mehr wissen, warum: auch aus ihrem Bewusstsein musste das Schreckliche dann verdrängt werden..

Weit verbreitet ist es auch, wenn endlich ein Wort gefunden wurde, dieses als alleiniges Beschreibungsmerkmal für das belastete Elternteil zu verwenden…Meine Mutter ist Alkoholikerin!…ein großer wichtiger Schritt, wenn das Kind erstmals dies aussprechen kann und es gilt mit der Zeit zugleich, mehr Worte zur Beschreibung zu finden. Manchmal hilft es Erwachsenen neben dem großen Schatten auch das Licht, die positive Seite, noch einmal in den Blick zu nehmen und so das elterliche Bild authentischer zu komplettieren.

  Die gewählten Worte zur Beschreibung der eigenen Eltern genauer anzuschauen, förmlich mit der Lupe zu sezieren, kann ein lohnenswerter Akt sein: tut sich doch unsere Seele als Spiegel vor uns auf. Manchmal wehren sich Kinder gegen  Zuschreibungen an die Eltern, sie befürchten ungute Etikettierungen…und auch dies kann sinnvoll sein: „Alkoholiker- das klingt wie eine Gattungsbezeichnung und damit wie etwas, was einer unwiderruflich ist. Das nimmt ihm die offene Zukunft. Einer, der nur zuviel trinkt, kann aufhören. Ein Alkoholiker hat keine Chance mehr, es nicht zu sein.“ (Bieri ebenda)

In ihren Worten über ihre Eltern spiegeln sich Wünsche, Verzweiflungen und Hoffnungen der belasteten Kinder: diese Worte wollen gesprochen, gelebt oder auch geschrieben sein. Zur Sprache zurückzufinden über das Belastende, in der passenden, stimmigen Weise, kann ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur Heilung sein, insbesondere, wenn es Betroffenen in der Kindheit die Sprache verschlagen hat(te). Denn: in einem belasteten System wird die Wahrheit oftmals zum Feind: man stempelt sie zur Lüge. Mitlügen wird zum Preis für Zugehörigkeit, nicht Sehen, Nicht Hören, nicht Sprechen die Eintrittskarte in den „Club“. Allein ist einem solchen System meist schwer beizukommen: es braucht Helfer, Beistand, aufrechten Widerstand und Allianzen, die meist erst auf einem längeren Lebensweg gefunden werden. Worte können solche Begleiter sein und werden, Worte Finden für Unausgesprochenes kann so ein Akt des Begreifens und Verstehens werden, der leibliche Spuren nachhaltig verändern kann.

So mag es manch einem Betroffene so ergehen, wie es Roger Willemsen in „Wer wir waren“  als Zeitphänomen des 3.Jahrtausends klug beschrieben hat: „Nicht wissen im Wissen zu behaupten; nicht gewusst zu haben werden, während man doch wusste“.

Schweigen – das stumme Leiden in belasteten Familien

Schweigen kann viele Gesichter haben. Während das Miteinanderschweigen in einer guten Atmosphäre des Miteinanders ein Ausdruck tiefer Verbundenheit sein kann, oder eine schweigende Gemeinschaft in einem Retreat Erholung und Getragensein ermöglicht, kennen viele Kinder belasteter Eltern besonders die Schattenseite des Schweigens: Schweigen in eisiger und gespannter Atmosphäre. Ein oftmals unbemerktes und unerkanntes Schreckensgesicht ihrer Kindheitstage, kommt es doch leise daher, ist kaum sichtbar und wird leicht überhört. Diese Kinder erinnern sich mit einem Schaudern an dieses in ihren Ohren dröhnende „eisige Schweigen“, oftmals eines Elternteils, an emotionale Kälte, die die gesamte Atmosphäre bestimmt, ihr zu Hause bewohnt und sich irgendwann in ihnen selbst niederlässt, zur unangenehmen inneren Heimat wird. Wenn die Mutter die Schweigende ist, so wird dies oft besonders schmerzlich erlebt, wenn diese von Beginn des Lebens an die meiste Zeit mit den KIndern verbringt und ihr Schweigen womöglich erpresserisch, machtvoll oder anderweitig nachteilig einsetzt

Wer zuerst spricht, hat verloren – Macht und Kontrolle durch Schweigen

Wenn Eltern beispielsweise selbst als Kinder wiederholt Ohnmachtserfahrungen machen mussten, dann sind sie gefährdet, Schweigen in ihrer elterlichen Rolle als Machtmittel einzusetzen. Schweigen wird dann zum Mittel durch das Kontrolle über andere ausgeübt wird. Die Familienmitglieder werden etwa solange ignoriert, „bekommen“ keine Worte, bis sie wieder so funktionieren, wie es dieser Elternteil erwartet. Der so agierende Elternteil siegt  so über seine eigene als Kind erlebte Ohnmacht, indem er nun Macht über die Kontaktgestaltung seiner Familienmitglieder ausübt. Er oder sie bestimmt, wann gesprochen wird und wann nicht. Schweigen wird manipulativ eingesetzt, kindliche Abhängigkeit sträflich missachtet und ausgenutzt

Wenn Krankheit stumm macht…und Kinder ins Leere laufen
Manchmal ist Schweigen Teil einer Erkrankung: maipulatives Schweigen tritt etwa bei narzistisch und borderlinestrukturierten Menschen als Teil der Störung auf. In der elterlichen Depression begegnen Kinder einer anderen Form des Schweigens: die mit der Erkrankung oft einhergehende Teilnahmslosigkeit prägt dann auch die Interaktionen zwischen Eltern und Kind. Dies  führt dazu, dass Reaktionen auf kindliche Fragen ausbleiben, kaum Einfühlung und Mitgefühl ausgedrückt wird, Kinder wiederholt ins Leere laufen. Dem depressiv Erkrankten ist dies meist nicht bewusst. Wird es ihm doch bewusst, verursacht es ihm weitere Schuldgefühle, die in der Erkrankungszeit schwer aushaltbar sind. Kinder von erkrankten Eltern brauchen dringend Hilfen von anderen Menschen: denn wenn Kinder diese Leere-Erfahrungen über längere Zeit und in den ersten Lebensjahren machen müssen, kann das nachhaltige Auswirkungen für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung haben, die weit in das Erwachsenenalter hineinreichen, hier insbesondere als Selbstwert-und Bindungsprobleme oder auch als quälende Einsamkeitsgefühle

Kollektives Schweigen: wenn das Tabu das Zepter schwingt

Besonders dramatisch ist das kollektive familiäre Schweigen, wenn einem Familienmitglied ein großes Leid zugefügt wird und darüber geschwiegen wird, wenn Missbrauch oder Gewaltanwendung durch Eltern stillschweigend geduldet wird, wenn das Wahren des Tabus stärker zählt als die Würde des betroffenen Kindes. Die Missbrauchs- oder Gewalterfahrung ist das eine, die fehlende Unterstützung durch die anderen Familienmitglieder, so beschreiben es Betroffene, ist eine weitere Quelle des Leidens, die teils traumatisch erlebt wird. Ebenso leiden oftmals Geschwisterkinder, die in ihrer Hilflosigkeit Gewalt mitansehen müssen und dem familiären Tabu stillschweigend verpflichtet werden. Der Nachhall in das erwachsene Leben ist gewaltig. Kinder in  tabuisierenden Familien brauchen achtsame Menschen außerhalb des direkten Familiensystems, die in Loyalität die Wahrnehmung der KInder stärken, eine Zuflucht außerhalb anbieten, und zunächst das Schweigen der Kinder respektieren. Manche finden diese Personen erst als Erwachsene, manche müssen aus ihren Familien genommen werden. Andere leiden insbesondere unter elterlicher Gewalt, wenn Eltern pflegebdürftig und zugleich machtvoll werden. Auch triggern neuerliche Bedrohungsszenarien die erlebte Hilflosigkeit aus Kindheitstagen.

Wenn Leid stumm macht – Leben mit traumatisierten Eltern

Auch Kinder traumatisierter Eltern beschreiben Erfahrungen mit elterlichem Schweigen: so müssen sie etwa erleben, dass die Eltern über erlebten Schrecken verstummt sind und/oder Teile von sich abspalten (in der Fachsprache auch dissoziieren genannt). Sie sprechen partiell nicht oder verstummen, wenn bestimmte Themen oder Gefühle zur Sprache kommen (tragisch eindrücklich etwa bei Kriegsgeschädigten zu beobachten). Ein Beispiel einer solch nachhaltigen Auswirkung und die damit verbundenen Folgen für das Kind beschreibt der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil eindrucksvoll in seinem autobiografischen Buch Die Erfindung des Lebens.

Wenn Vater da war, war jedoch alles viel einfacher, ich war dann erleichtert, weil ich dann nicht mehr allein auf Mutter aufpassen musste. Immerzu befürchteten Vater und ich nämlich, es könnte ihr etwas zustoßen…Ich wusste aber, dass so etwas früher einmal passiert war, und ich wusste auch, dass es etwas ganz besonders Schlimmes gewesen sein musste…gegenwärtig war die Vergangenheit in Mutters Stummsein.“ ( S. 13/14)

„…als wäre ich in meinen ersten Lebensjahren wahrhaftig nur mit zwei Menschen in Berührung gekommen und hätte in einer Art verschwiegenem Geheimbund mit nur den notwendigsten Außenkontakten gelebt.“ (S.43)

„So war die Welt der Kleinfamilie Catt damals, in den frühen fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, auf eine beinahe unheimliche Weise geschlossen, und jeder von uns wachte mit all seinen Sinnen darüber, dass sich daran nichts änderte (S.16)

Wie Worte erlösen können

In der Kindheit erlebtes Schweigen bleibt nicht folgenlos. Wer über Jahre und manchmal gar Jahrzehnte ins Leere gelaufen ist, ist oftmals stark selbstverunsichert. „Ich bin unattraktiv… Ich bin langweilig… Ich bin es einfach nicht wert, dass andere auf mich reagieren…lauten dann  Selbstzuschreibungen im Erwachsenenalter. Das Schweigen aus der Kindheit kann weiteres Leiden in den Partnerschaften der derart Aufgewachsenen verursachen. Oftmals ziehen sich derart Betroffene wie in einem unguten Schlüssel-Schloss-Prínzip an, sie finden exakt diejenigen, mit denen sie dieses schweigende Kindheitsdrama wiederholen. Manche nehmen unbewusst das schweigende Elternteil zum Modell, etwas, was sie partout vermeiden wollten: sie werden selbst zu schweigenden Partnern, schweigenden Vätern oder schweigenden Mütter.

Sie fühlen sich betroffen? Wenn Sie um Ihre eigenen Worte schwer ringen müssen, können kreative Wege für sie ein Mittel der Wahl sein. Dazu finden sie auf deisen Seiten einige Anregungen. Wenn Sie um die Worte eines anderen Menschen bis heute kämpfen müssen, sich gar durch Wohlverhalten Worte „erst verdienen“ müssen, dann sind sie und ihre Seele an diesem Ort nicht gut aufgehoben. Wenn Ich-Botschaften wie „Ich leide, wenn du nicht mit mir sprichst!“, ohne jeden Nachhall ins Leere verklingen, ist Unterstützung von anderen Menschen sicher hilfreich und von Nöten: Sie sind heute kein Kind mehr, Sie sind nicht abhängig wie früher (auch wenn sich das manchmal so anfühlt). Durchbrechen Sie die Kette: sprechen sie Worte, suchen sie „Erlösung“ – bei anderen, die Ihnen gern Ohren und Worte schenken.

(Text in Anlehnung an Geiser-Heinrichs/Barnowski-Geiser (2017): Meine schwierige Mutter)

Produkt-InformationBuchdeckel „978-3-608-86121-1

Der neue Blick ins Gestern…und was zaubert Ihnen ein Lächeln ins Gesicht?

Biographiearbeit in Kombination mit kreativem Schreiben kann eine wichtige Form der Arbeit für erwachsene Kinder aus bealsteten Familien sein. Im Lebenspanorama etwa können wir einen bildlichen Blick auf unseren Lebensweg werfen. Auch eine Rückschau in 5 Jahresschritten ( auch aus buddhistischen Übungswegen bekannt) kann angewendet werden, das eigene Leben vom jetzigen Punkt aus rückwärts zu erzählen, um anhand des Geschriebenen immerwiederkehrende Muster und Themen zu identifizieren. Diese zu Erkennen kann ein Beitrag sein, aus unguten Mustern und Themen auszusteigen, eine Chance, sich von Ungutem bewusst zu verabschieden und Neues zuzulassen. Wenn die eigene Biographie belastet ist, machen Blicke zurück oftmals Angst. Auch ist oft über Jahrzehnte das Schwere und Belastende übergroß geworden und teils nur noch im Blick. Dann kann es hilfreich sein, die Perspektive zu verändern den Blick auch auf das Freudige zu richten. Dieser Perspektivwechsel kann in schwierigen Lagen und Stimmungen helfen…

Mein Lächeln suchen…Übung zum biographischen Schreiben

Probieren Sie es aus…suchen Sie sich einen ruhigen Ort, an dem sie 30 Minuten Zeit und Muße finden…nehmen Sie Papier und Stift mit…Gehen Sie nun mit Ihrer Achtsamkeit zu Ihrem Atem und nehmen das Ein und Aus sowie die Pause wahr…und nun schreiben Sie die Geschichte Ihrer Freude, indem Sie der Frage folgen: was zauberte mir in dieser Zeit ein Lächeln ins Gesicht ( lassen Sie sich jeweils etwas Zeit, indem Sie sich in diesem jeweiligen Alter vorstellen)…vor 7 Jahren…vor 14 Jahren…vor 21 Jahren usf bis sie in der Grundschulzeit angekommen sind….springen Sie nun zurück ins Jetzt…Was zaubert Ihnen heute ein Lächeln ins Gesicht?

Schauen Sie nun Ihre „Sammlung“, Ihre Fundstücke an: verwahren Sie Ihre Freudensammlung gut sichtbar in den nächsten Wochen. Wenn Sie noch nicht recht fündig wurden, dann geben Sie nicht auf: achten Sie in den nächsten Wochen ganz genau, wann Ihnen etwas ein Lächeln ( oder zumindest den Anflug davon ) ins Gesicht zaubert…die Dinge, die die dabei finden, sind Ihre persönlichen Schätze…entwerten Sie sie nicht! Wenn Sie im Früher etwas finden, dass Ihnen heute ungewöhnlich oder kindlich erscheint, etwa Spaß am Tanz in einer Wasserpfütze zu haben, dann gehört genau diese Qualität zu Ihnen….

Frühlingsgrüße sendet Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

„Die eigene Würde retten!“ – von der Suche zwischen Wahrheit, Tabu und Lüge

Würde (so wie auch Würdigung und Wertschätzung), scheint, schauen wir auf manch eine belastete Familie, die über Jahre und Jahrzehnte eben ihren schweren Belastungen ausgesetzt war, oft leise und still, gleichsam klamm-heimlich verloren gegangen zu sein. Würde gleicht hier in diesen Familien einem Fremdwort, mit dem man nicht mehr viel anfangen kann, dass man sich, so scheint es, kaum leisten kann; beinahe scheint es Kindern nach vielen Jahren so, als würde sie den Menschen hier in ihrer Familie nicht einmal zustehen: die Ent-Würdigung ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Was süchtige Menschen beispielsweise teils ihren Familien antun, überschreitet oft jede Grenze, oft auch jedes Vorstellungsmaß… und dabei denke ich nicht nur an körperliche Gewalt, sondern auch an verbale Dauerattacken, Kämpfe rund um das Aufrechterhalten des Tabus, das Ringen um Normalität, die beständige Suche in Sucht etwa, die die Angehörigen zu Statisten eines schleichenden Selbstmords degradiert… und das oftmals jahrzehntelange vergebliche Ringen auf Seiten mitbetroffener Kinder und Partner, doch noch gesehen und geliebt zu werden. Um diese Liebe zu bekommen, glauben diese erwachsenen Kinder, dass sie sich verbiegen müssten: Preis ist ihre eigene Würde, die sie zu verlieren drohen oder zumindest Teilaspekte derselben…die Selbstachtung nimmt schleichend Schaden.

Herrn M.s Mutter, so findet Herr M heraus, übersteht den Narzissmus und die Sucht des Vaters über Jahrzehnte, indem sie ihn einfach anders sieht als er ist. Nicht süchtig eben, sondern einfach großartig. Alles, was zu dieser, ihrer Wahrheit nicht passt, schneidet sie aus ihrer Wahrnehmung; sogar so weit, dass sie Menschen, die ihre Wahrheit als Lüge zu entlarven drohen, aus ihrem Leben verbannt. Anstatt ihre Sicht auf ihren Ehemann als Lüge zu sehen und in Frage stellen zu müssen, stellt sie diese Menschen, die Überbringer der „Wahrheit“ oder Realität, als Lügner hin. Herr M. erwartet, das seine Mutter dies endlich eingestehe, denn ihr Verhalten sei unter aller Würde: die Aufdeckung der familiären Wahrheit brauche er, so findet er heraus, um sich seinen letzten Funken von Würde zu bewahren. Er wolle nicht weiter, wie Jahrzehnte zuvor, mitspielen und heile Welt vorgaukeln. Gespräche mit seiner Mutter laufen erfolglos: immer deutlicher wird Herrn M., dass seine Mutter so stark in ihrer eigenen Identität verunsichert ist, so bindungsschwach und abhängig, dass eine realistischere Sicht auf den Vater ihr gesamtes Lebenskonzept erschüttern würde. Wenn der Sohn ihr diese weiter abverlange, werde sie eher den Kontakt zu ihm abbrechen, vermutet er…diesen Kontaktabbruch erwägt Herr M., wie er sagt selbst schon länger, um seine Würde nicht weiter zu beschädigen, er will endlich „die eigene Würde retten!“.

Viele chronisch belastete Familien stecken in einer Abhängigkeitsfalle, in der Wahrheit und Würde geopfert werden. Ein Ausweg scheint nicht in Sicht, solange die einzelnen Familienmitglieder nicht in der Lage sind, Hilfe zu suchen und mit Klarblick eigen-ständig schauen zu können. Es braucht Kraft, die Verblendung wirklich anzuschauen. Den Würdeverlust wahrzunehmen, ihn anzuschauen ist für Kinder aus belasteten Familien oft der 1. Schritt auf dem Weg zur Veränderung des eigenen Lebens. Dies erfordert Stärke, die oftmals nach jahrzehntelangem Kampf nicht mehr vorhanden zu sein scheint. Oftmals sind Lebenslügen und Verblendung Teil der Identität geworden, die Verstrickung bestimmt mehr und mehr über die einzelnen Familienmitglieder, ihre Sicht auf sich selbst, auf die Familie und die Welt.

„Die Würde scheint uns weniger bedroht, wenn die Lüge wegen der Größe der inneren Gefahr verzeihlich ist, wie bei einer verleugneten tödlichen Krankheit oder beim Eingeständnis einer Unfähigkeit, die für das Selbstbild vernichtend wäre. Dann denken wir: das kann man von niemandem verlangen. Lebenslügen… sollten nur dann als würdelos beurteilt werden, wenn dem Betreffenden die Stärke zugeschrieben wird, ihrer Auflösung standzuhalten.“ Bieri, Eine Art zu leben, S.226

Eigen-ständig Denken wird in belasteten Familien oft als Bedrohung wahrgenommen, die mit Ausschluss belegt wird: oft ohne Worte liegt die Ausgrenzung doch drohend in der Luft, ist Teil einer unguten Atmosphäre, Teil des familiären Klimas geworden.Wir kommen in der Arbeit mit familiendynamischen Aspekten immer an ethische Fragestellungen, mit denen viele erwachsene Kinder, oftmals Tag und Nacht, und doch wenig bewusst, befasst sind.

Vielleicht halten Sie kurz inne und schreiben etwas zu den nachfolgenden Fragen:

  • Welche Werte sind in Ihrer Familie bestimmend?
  • Und für welche Werte möchten Sie eintreten?
  • Was bedeutet für Sie Würde und was braucht Ihre Würde?
  • Für wen stellen diese Ihre eigenen Vorstellungen eine Bedrohung dar?

Der Philosoph Peter Bieri hat ein  Buch über die Vielfalt der Würde verfasst, das ich all denjenigen unter Ihnen empfehlen mag, die über schnelle Lösungen hinaus interessiert sind,  gern tiefer schauen…auch wenn sich das Buch nicht speziell auf belastete Familien bezieht und somit einen Transfer auf die eigene Situation erfordert, halte ich es für diese unsere Zielgruppe lohnenswert.

Eine Art zu leben

 

Eine gute Zeit

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Mehr von dieser Autorin, u.a. bei Klett-Cotta

Selbstliebe…eine Herausforderung für Kinder belasteter Eltern

In den letzten Wochen wurde ich von verschiedenen Seiten her aufmerksam auf eine neue Version des MBSR-Stress-Reduzierungs-Programm, nun speziell zur Selbstliebe, kurz MSC genannt. Ich halte dieses Feld für Kinder von Sucht-und anderweitig belasteten Eltern für wertvoll und lohnenswert- deshalb hier und heute ein paar Worte dazu.

In den alten östlichen Philosophien wird Selbstliebe schon lange praktiziert, hier auch als liebende Güte für sich selbst beschrieben. Wenn die Lebensjahre mit den Eltern von einer schweren psychischen Erkrankung oder anderen Beschwernis geprägt waren ( womöglich noch sind), dann ist oftmals diese Krankheit an den Platz gerückt, den eigentlich die Kinder im Leben dieser Eltern einnehmen sollten: die Eltern kreisen dann etwa über Jahrzehnte um ihre Sucht, um ihre Abhängigkeit, Bindungsstörung etc. Oftmals fühlen sich ihre Kinder bis ins Erwachsenenalter hinein wenig geliebt und die verzweifelten Versuche, diese Liebe doch noch von den Eltern oder später von diversen Partnern zu bekommen, schlagen häufig fehl. Deshalb halte ich den Weg der Selbstliebe für all diese Kinder erwachsenen Kinder für lohnenswert: aber sie müssen diese ihnen meist fremde Kunst der Selbstliebe mühsam erlernen und tatsächlich auch üben, damit diese neue Hinwendung zu sich selbst wirklich neu verankert werden kann. In ihrem Elternhaus lernten sie meist nur, um die anderen zu kreisen, um Eltern und Geschwister: meist mussten sie sich selbst ganz aus dem Blick nehmen.

Ist das auch heute noch erlernbar? Ich glaube aufgrund meiner Erfahrungen mit Betroffenen, ja! Ob dies nun in Form eines Programms geschieht ( auch etwa in einer Gruppe) oder im Rahmen von meditativen Übungen zur liebenden Güte, als Aussöhnung mit dem inneren Kind oder auch als eine Aufgabe in einem therapeutischen Setting angegangen wird, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, sich auf diesen, sicher oft mühevollen Weg zu begeben, genau in der Weise, wie sie für Sie stimmt… ich wünsche Ihnen den Mut und die Kraft dazu, und Ausdauer für die Übung, wenn der Anfang gelungen ist. Vielleicht können die Links und Worte dabei ein wenig helfen,

eine gute Zeit wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Stoppen Sie Ihre Selbstabwertung…ein guter Vorsatz für 2018

Sich selbst abzuwerten, ist Menschen mit Kindheitsbelastungen seltsam vertraut. Dies lässt sich entwicklungspsychologisch nachvollziehen: wer von klein an mit schwierigen Belastungen, etwa mit psychisch oder suchterkrankten Eltern aufwächst, bezieht das Verhalten der Erkrankten oftmals auf sich. Verhalten die ihn Umgebenden sich über lange Zeit „krankhaft“, so glaubt das Kind, das sich in der Phase des Egozentrismus befindet, für dieses Verhalten verantwortlich zu sein. Erfährt es in dieser Phase keine angemessene Auflösung (hält etwa das süchtige und für das Kind wenig befriedigende Verhalten der Eltern über lange Zeit an) , so kann dies  zum lebensbegleitenden Thema werden. Irgendwann ist die eigene Abwertung und sich für alles Negative verantwortlich Fühlen so vertraut, dass es Betroffenen gleichsam zur zweiten Haut wird. Oft zieht Selbstabwertung ungesunde Selbstausbeutung nach sich. Ein Um-und Neulernen wird nötig. Vielleicht Ihr bester Vorstaz für 2018?

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Ein gutes Neues Jahr…

wünsche ich Ihnen von Herzen. Den Ausspruch, der die diesjährige Neujahrskarte ziert, stammt von Songpoet Hermann van Veen: ich hörte ihn in einem alten Konzertmitschnitt und fand ihn für die Gruppe der Kindheitsbelasteten passend, hoffend, dass er Ihnen gefällt…vielleicht sogar Initialzündung zu Ihrem klingenden, schaffensfrohen und ausdrucksstarken Jahr sein kann.

Herzlich

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Zur Person

Oh Gott, schon wieder Weihnachten!…wenn es „alle Jahre wieder“ Familienprobleme auf den Plan ruft

Gerade in Zeiten, wenn der Frieden in der Welt bedroht scheint, wird die Sehnsucht nach einem friedvollen Ort unendlich groß: ihre Familie, so wünschen die meisten Menschen, sollte ein solcher Ort sein. Ein Ort, an dem sie geliebt werden, so wie sie sind, ein Ort, an dem sie sich wohlfühlen können, ein Ort, an dem Resonanzen aufrichtig schwingen, ein Ort, an dem schlicht Frieden wohnt. Waren und sind jedoch die Beziehungen zu den Eltern schwierig und belastet, sogar mit Leiden angefüllt, dann wird der Besuch dieses Ortes oft als Gegenteil  erlebt: als Kriegsschauplatz etwa oder als ungeselliger rauer Ort,  an dem, so beschreiben es Betroffene, man keine Luft bekomme, die Atmosphäre  wie zum Zerreißen gespannt sei etc. Gerade Festtage, wie das bevorstehende Weihnachtsfest, die gemeinhin für Gemeinsamkeit in Harmonie stehen, können dann zu einer großen Belastung werden. Insbesondere, wenn schwere Wunden entstanden sind, werden die anstehenden Begegnungen nicht als Freude, sondern als schwere Lasten empfunden. Betroffene fühlen sich gefangen in einem Hamsterrad der offenen Rechnungen Mehr lesen

Was Betroffene  bei Feiertagsbegegnungen mit ihrer belasteten Herkunftsfamilie in Therapien als hilfreich beschreiben, habe ich für Sie in 5 Punkten zusammengefasst: (diese Hilfen sind allerdings nur dann erfolgreich, wenn die Situation nicht völlig verfahren ist)

1 Klar sehen und Akzeptieren

Akzeptieren und klar sehen, dass Ihre Herkunfts-Familie genau so ist wie sie ist. Ihre Einflussmöglichkeiten sind begrenzt. Reden Sie sich die Situation nicht besser oder schöner als Sie ist (und dramatisieren auch nicht unnötig, indem Sie in die Hilflosigkeit Ihrer Kindheit zurückfallen), um dann wieder und wieder Ungutes zu erleben, etwa wieder von einem Elternteil „angefallen“ zu werden: eigentlich wissen Sie, worauf Sie sich einlassen und können heute vorbauen. Einen besseren Experten für Ihre Familie gibt es nicht: nutzen Sie Ihre Expertise, werten Sie Ihre Erfahrungen aktiv aus, um sich ab sofort besser zu schützen.

2 Dosieren

Fragen Sie sich vorher: Wieviel Zeit kann ich in meiner Herkunftsfamilie zubringen, ohne  im Anschluss „völlig auf dem Zahnfleisch zu gehen“?…Dann ist es gut möglich, dass Sie bei ehrlicher Antwort nur zwei Stunden statt zwei Tage verkraften. Sorgen Sie für eine angemessene Dosierung oder mindestens für Auszeiten, ion denen Sie „raus“ sind, etwa allein spazieren gehen,o.ä.

Auch sind anstehende Großkampf- Auseinandersetzungen selten ein gutes Feiertagsprogramm…

3 Verbinden

Verbündete suchen, mit denen sie sich austauschen können, vorher und nachher oder auch am Telefon während des Besuches. Schauen Sie, mit wem Sie angenehmen Kontakt erleben, vielleicht mit den Kindern Ihrer Geschwister…Sie können heute bestimmen, wem Sie sich verstärkt zuwenden möchten. Wählen Sie nach Möglichkeit Menschen aus, die im Rahmen des Möglichen gut tun. Sind Sie allein mit einem schwierigen Elternteil, so kann es sinnvoll sein, Telefonverbündete vorher zu informieren und KOntakt im Dazwischen sicherzustellen…

4 Distanzieren

Aktivieren Sie Ihren inneren Beobachter, so wie Sie es in Meditationen und Kontemplationen auf diesen Seiten schon geübt haben.Eine wichtige Brücke dabei ist die Konzentration auf den eigenen Atem. Wenn Sie merken, dass  Sie sich unwohl fühlen, gehen Sie mit Ihrer Achtsamkeit zu sich selbst und verankern sich in Ihrem Atem. Kreative Menschen nutzen solche Situationen, um sie später als Geschichten zu schildern…manche Satire konnte so entstehen…auch Humor und ein humorvoller Blick können eine  Distanzierungshilfe sein

5 Umgestalten

Aktiv neu gestalten: Neue Feierformen ( etwa mit Freunden und Familie gemeinsam feiern oder an einem anderen Ort, an ungewöhnlicher Location), die ihnen mehr entsprechen.. Dies zeigte sich als ebenso hilfreich wie das Verändern von alten unguten Verhaltensweisen. Wenn Sie sich in ihrer alten Rolle und einem Familien-Muster gefangen fühlen ( „Du hast doch immer gute Laune!“ und dabei immerzu „schlucken, um harmonisch sein“..) kann es ein erster Schritt sein, ein bisschen anders zu agieren, auch mal zu zeigen, wenn Ihnen etwas nicht passt. Hier kann auch helfen, ein inneres Team zu aktivieren.

Natürlich kann in bestimmten Fällen ( insbesondere wenn die Eltern kooperations-und bindungsfähig sind) auch Ihre Einstellung, mit der Sie an den Besuch herangehen, einen wichtigen Beitrag leisten, etwa indem Sie Erwartungen von vorneherein reduzieren und Enttäuschungen vermeiden. Herr N., 32 Jahre, erzählt:

Ich weiß jetzt, dass ich nie die emotionalen Eltern haben werde, die ich mir gewünscht habe, aber ich bin dennoch dankbar für die Versorgung und das, was sie mir als kleines Kind, bevor ihre psychischen Probleme und Ehestreitigkeiten überhand nahmen,  gegeben haben. Ich werde versuchen, mit diesen sozialen, versorgenden Eltern in Kontakt zu bleiben – seit ich meine emotionalen Erwartungen an meine Eltern aufgegeben haben, empfinde ich nach einer Phase der Trauer nun endlich inneren Frieden.“

Ein Hinweis zum Schluss für traumatisierte Erwachsene: Wurden Sie durch Ihre Familie  traumatisiert, so muss ein Besuch äußerst gut überlegt, vorbereitet und dosiert sein: körperliche Symptome und psychische Gereiztheit sind dann oftmals Belastungssymptome, die sich unter Kontakt mit den Menschen, die ihnen Schlimmes angetan haben, verständlicher Weise verstärken. Dann gilt es, Ihre Symptome zu verstehen und übersetzen, sich ihrer anzunehmen anstatt sich zu bezichtigen, „unnormal“ zu sein.

Ich wünsche Ihnen eine gute, sinnerfüllte und friedliche Adventszeit.

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

„Ungewollt“- wie eine elterliche Beziehungswunde aus Kindheitstagen die Beziehung zu (erwachsenen) Kindern belasten kann

„Ungewollt“ sein oder auch sich „ungewollt“ fühlen muss, wenngleich oftmals ins Reich des Unbewussten und Tabuisierten verdammt, zu den existentiell bedeutsamen Gefühlen gezählt werden: sich von einem Einzelnen oder einer Gruppe nicht gewollt zu fühlen, wird meist schlimm erlebt; besonders schwer wiegt dieses Gefühl jedoch, wenn es im Zusammensein mit den eigenen Eltern auftritt, also im intimen Raum der sozialen Erfahrungen, im Raum der frühkindlichen Begegnung. Was passiert eigentlich, wenn aus ungewollten Kindern Eltern werden? Dieser Frage möchte ich in diesem Blogbeitrag nachgehen, in der Hoffnung, Ihnen einen Weg aus ihren elterlichen Verstrickungen anbieten. Denn: Bleibt diese Beziehungswunde, die teils wie ein Trauma angesehen werden muss, unentdeckt, so droht sie durch die Generationen als transgenerationale Belastung weitergegeben zu werden. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern zeigt sich durch diese Wunde dann nachhaltig und oftmals schwer belastet. Gerade zu den Feiertagen wie etwa dem Weihnachtsfest, wenn alle Welt zumindest medial von familiärer Harmonie durchtränkt zu sein scheint, drohen diese Wunden im besonderen Maße aufzubrechen

Herr K., erfolgreicher Manager in mittlerem Lebensalter fühlt seit längeren eine große unbestimmte Wut, die er, wie er beschreibt, wie hinter einem Nebel erlebe und erfolgreich unterdrücke, aber er leide auch unter permanenten Magenproblemen – diese Selbstbeobachtungen bringt er miteinander in Verbindung. Ihm wird deutlich, dass dieses Gefühl und die Symptome inbesondere bei Kontakten zu seiner hochaltrigen Mutter aufträten – und das finde er von sich selbst „einen ungerechten Zug, da er die Mutter doch eigentlich lieben und ehren müsse“. In einer einfühlenden Identifikation, in der er sich sozusagen kurzzeitig in die Fußstapfen seiner Mutter begibt, bemerkt er, dass die Mutter eine recht sonderbare Logik habe. Sie verdrehe alles. Werde ihr von Herrn K. geholfen, sage die Mutter, sie wäre doch gerade wieder für ihn dagewesen.

In der einfühlenden Identifikation ( nach Barnowski-Geiser/Geiser Heinrichs: Meine schwierige Mutter) bemerkt er, die Mutter fühle sich in ihrer Herkunftsfamilie von Beginn ihres Lebens an ungewollt ( sie war wohl kein Wunschkind, erinnert Herr K. und störte die enge elterliche Beziehung der Großeltern durch ihr Entstehen). Diese Wunde, die die Mutter tief in sich trage, dürfe niemand bemerken. Die Mutter selbst tue so, als habe sie diese Wunde nicht, und bewältige diese, indem sie sich als „dauernd gewollt“ und „äußerst beliebt“ beschreibe. Die Mutter sitze beispielsweise wartend vor dem Telefon, ob jemand anrufe. Wenn sie dann abhebe, gäbe sie sich vielbeschäftigt und würde ihm vermitteln, dass er Glück habe, dass er sie überhaupt „erwische“. Das Verhalten der Mutter mache ihn zunehmend „kirre und wütend“. Wenn er ihr Zeit schenke, äußere sie, dass er es nun aber „wieder gut gehabt“ habe.  Herr K. fühlt sich in der Falle: spielt er die verkehrte Welt der Mutter weiter mit, bekomme er „Turbo-Aggressionen“ oder „ein Magengeschwür“, äußert er; wenn er sie konfrontiere, weine sie und er fühle sich ihr gegenüber gemein und schuldig.

Wenn frühe Beziehungswunden Regie führen, kann es lohnenswert sein, der inneren Logik des Elternteils nachzugehen. Oft tritt dann Überraschendes zutage. Herr K. fühlt sich durch seine Einsichten über die innere Logik seiner Mutter erleichtert, weil er entdeckt, “ dass meine Mutter das ja nicht macht, um mich fertig zu machen“. Ihr eigenes Empfinden, „ich störe“, gibt sie nun durch ihre Bewältigungsversuche der Verschleierung an ihren Sohn weiter. Bleiben die aus der elterlichen Wunde erwachsenen logischen Verstrickungen und die damit verbundenen Bewältigungsversuche ( Copings) unerkannt, zeigt sich die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, gerade auch im Erwachsenenalter, schwer belastet. Kinder, die ein Leben lang auf die Bedürftigkeit der Eltern eingegangen sind (s. Meine schwierige Mutter), fühlen sich zurecht im Erwachsenenalter  zu kurz gekommen und um den Dank für ihre Fürsorge an die Eltern betrogen. Da die betroffenen Eltern meist ihre Wunde verbergen, verbergen sie auch ihre Bedürftigkeit und interpretieren in der Folge ihre eigenen Vertuschungshandlungen als Hilfe geben statt nehmen um ( Herr K. hat es angeblich gut durch die Mutter, Herr K. wurde Zeit geschenkt) – verkehrte Welt…Oftmals zeigen scheinbar selbstlose Handlungen, denen eine große Bedürftigkeit oder auch ein Machtanspruch zugrunde liegt, gerade Frauen aus der Kriegs-und Nachkriegsgeneration, denen auch ein entsprechendes Frauenbild vermittelt wurde.

Sehen Kinder sich genötigt, über lange Zeit mitzuspielen, drohen körperliche Erkrankungen und/oder Beziehungsabbrüche.

Wenn auch Sie diese elterlichen Probleme aus Kindheitstagen kennen, kann es ratsam sein, einmal in die „Schuhe“ der Eltern zu treten, innere Logik zu ergründen – manchmal wird Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern dann, insbesondere, wenn die entdeckten Wunden besprechbar werden, anders und besser möglich. Herr K. fühlt sich klarer, „der Nebel hat sich gelichtet“:

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche…vielleicht mit neuen Einsichten,

herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Wer bin ich ?Kreative Selbsterfahrung zu den Säulen der Identität

„Wer bin ich?“ Stellen Sie sich diese Frage zu ihrer Identität öfter? das wäre nicht ungewöhnlich, scheint sie doch insbesondere für viele Menschen aus belasteten Familien eine zentrale Frage darzustellen. Da immer wieder nachgefragt wird, hier noch einmal die Möglichkeit zur Selbsterfahrung mit den Säulen der Identität nach Petzold.

Eine erste Anregung, Ihrem „Wer bin ich?“, Ihrer Suche nach Identität ein Stück näher zu kommen, können die nachfolgenden Fragen zu den Säulen der Identität bieten. Diese wurden in der präventiven Arbeit mit Schülern im Rahmen der BEL-Kids-Projekte entwickelt (Barnowski-Geiser 2014 in Anlehnung an das bekannte Säulenmodell zur Identität von Hilarion Petzold). In diesem Ansatz, der der Integrativen Therapie entstammt, geht man davon aus, dasss unsere Identität von 5 zentralen Säulen getragen wird…oder eben auch nicht. In der nachfolgenden Übung können Sie sich mit Ihren Säulen ein wenig beschäftigen, feststellen, wo sie sich sicher fühlen oder wo Sie Ihr Augenmerk stärker hinrichten müssen und arbeiten möchten…

Übung

Säule 1 Leiblichkeit
Wie steht es um Ihre Gesundheit; wie ist Ihr körperliches und seelisches Befinden? Wie sind Sie mit Ihrer Erscheinung zufrieden? Verkörpern, Sie das, was Ihnen in Ihrem Leben wichtig ist? Wie schätzen Sie Ihre geistige Haltung ein? Woher bekommen Sie geistige „Nahrung“, Anregungen? Gab es Unfälle oder Erkrankungen, die sich auswirken? Hat die Erkrankung Ihres Elternteils Einfluss auf Ihre Befindlichkeit genommen? Wenn ja,In welcher Weise? Welche Stärken haben Sie aus der Erkrankung des Elternteils erlernt?
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Säule 2 Soziale Beziehungen
Wie steht es um ihre sozialen Netzwerke: Familie und Familienbeziehungen, Freundeskreis, Arbeitskollegen? Wer ist wichtig? Wer fällt aus? Welche Beziehung fordert den meisten Teil Ihrer Energie, welche Beziehung stiftet  Energie? Welche Beziehungen aus der Vergangenheit wirken sich bis heute aus? Wie wirkt die Erkrankung Ihres Elternteils sich auf Ihre anderen Beziehungen aus?
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Säule 3 Arbeit und Leistung
Wie ist Ihre Zufriedenheit in Ihrem Haupttätigkeitsfeld, etwa am Arbeitsplatz ( oder auch als Mutter etc.)? Tun Sie Ihre Arbeit gern? Ist Ihre Arbeit sicher? Empfinden Sie Ihre Arbeit als Bestimmung, Berufung? Ist Ihre Arbeit Erfüllung oder nur notwendig zum Lebensunterhalt? Wie sicher ist Ihre Arbeit? Welche Erwartungen haben andere an Sie? Wo sind Ihre Stärken, Ihre Defizite? Aus welchen anderen Bereichen schöpfen sie Kraft? In welchem anderen Bereich sind Sie zufrieden mit Ihrer Leistung? Wo sind Sie besonders erfolgreich, wo nicht?Welchen Einfluss hatte die Erkrankung Ihres Elternteils auf Ihre Berufstätigkeit?
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Säule 4 Materielle Sicherheit
Zu den materiellen Sicherheiten zählen Geld, Wohnung, Kleidung u. a. Wenn materielle Sicherheiten wegfallen, wird dadurch auch die Identität in Frage gestellt.

Wie steht es um Ihre materielle Situation? Worauf können Sie sich verlassen? Haben Sie manchmal Existenzängste? Wie sah Ihre finanzielle Situation zu Kindheitstagen aus? Welche Rolle hat hierbei die Erkrankung Ihres Elternteils gespielt?
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Säule 5 Werte
Menschen beziehen aus ihren Werten Sinn und Kraft. Ihre Zugehörigkeit zu Wertegemeinschaften (Kirchen- und Glaubensgemeinschaften, politische Organisationen, Arbeitsgemeinschaften usw.). Die Ziele des Menschen werden zu großen Anteilen durch seine Werte bestimmt. Werte werden verkörpert, führen zu einer Haltung, die sich im Verhalten zeigt.

Welche Werte sind Ihnen wichtig?
Für welche Werte treten Sie aktiv ein?
Gibt es Werte, die Sie schwächen oder verunsichern?

Welche Rolle spielen Sucht- oder andere elterliche Erkrankungen in Ihrem Wertesystem?
Sind Ihre Werte von einer Gemeinschaft akzeptiert und getragen, wie stimmen diese mit Ihrer Familie überein?

Welche Werte Ihrer Herkunftsfamilie möchten Sie hinter sich lassen?
Wie passt die Sorge um den Erkrankten zu Ihren Wertevorstellungen?

Welche Überzeugung oder Lebensphilosophie stärkt mich?
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Zur weitergehenden Arbeit:
Welche Ihrer Säule erleben Sie als geschwächt, welche birgt besondere Stärken?

Sie können auch eine Einordnung Ihrer Säulen in Zahlen vornehmen: ordnen Sie jede Säule zischen 0 ( gar keine) und 100% (vollständig) Stabilität ein.

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Finden Sie, wenn möglich, eine grafische Darstellungsmöglichkeit Ihrer Säulen…unterscheiden Sie nach Größe, Form, Position, Farbe. Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf…

Geben Sie anschließend Ihren Wünschen grafisch Raum….

Tauschen Sie sich mit Ihrem Partner oder einem Menschen Ihres Vertrauens aus…“Wer bin ich?“- die Antwort auf diese Frage unterliegt der Veränderung: Sie können im Jetzt Einfluss nehmen! Auch die vorhergehenden Übungen auf diesen Seiten können Ihnen weitere Anregungen zu dieser Frage bieten.

Beste Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Heimweh, Sehnsucht und Co: belastete Familien als Brutstätten der Sehnsucht

Sind Sie manchmal scheinbar grundlos traurig und niedergeschlagen, haben an kaum etwas Interesse, fühlen sich appetitlos im Wechsel mit Heißhungerattacken?…Sie haben das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören, verspüren wenig Motivation zur Arbeit und auch nicht, tatkräftig etwas Neues zu beginnen? Dann kann es sein, dass sie unter chronischem Belastungs-Heimweh leiden…

Wenn kindliche Bedürfnisse nach elterlicher Liebe und Zuwendung nicht befriedigt wurden, dann scheint oft lebenslang etwas offen zu bleiben. Etwas Unbestimmtes scheint verloren. Etwas, das am ehesten mit dem Begriff Heimweh zu beschreiben ist. In der Folge richten erwachsene Kinder ihr Bemühen darauf, dieses Heimweh wegzubekommen, es von den Eltern doch noch gestillt zu bekommen oder auch, es einfach nicht mehr zu fühlen.

Viele Kinder aus belasteten Familien leiden im hohen Erwachsenenalter  an chronischem Heimweh, ohne darum zu wissen: belastete Familien sind wahre Brutstätten der Sehnsucht (zit. Vater, Mutter, Sucht, s.u.). Der Begriff Heimweh wird allgemein als Beschreibung gewählt, wenn in früher Kindheit eine Gemeinschaft verloren gegangen ist. Bei belasteten Kinder bekommt Heimweh eine andere Dimension.  Heimweh, das ich als Belastungsheimweh bezeichnen möchte, ist vielmehr bei all denjenigen vorhanden, die eine familiäre Gemeinschaft nie befriedigend erlebt haben und bei denjenigen, die sich selbst in der Suche nach elterlicher Liebe verloren gegangen sind. Belastungsheimweh ist immer auch ein Suche nach uns selbst, nach der eigenen Identität – oft einhergehend mit großer Verzweiflung.

Die junge Frau ist außer sich. Ihr Freund betrüge sie permanent, schlage sie, wenn sie ihn darauf anspreche und sie nehme diese Behandlung wieder und wieder in Kauf. Sie verstehe sich selbst nicht, Biografisches kommt ihr in den Sinn. Sie ist Tochter eines Alkoholikers und einer depressiven, tablettenabhängigen Mutter. In der Arbeit zu diesem Thema äußert sie, süchtig nach Ihrem Freund zu sein. „In meiner Familie hat das angefangen: ich bin der Liebe, die ich nicht bekam, hinterhergelaufen. Wie ein Stier hinter dem roten Tuch, so laufe  ich seitdem der Liebe hinterher!“

Belastungs-Heimweh kann zur unbestimmten Sehnsucht werden, für deren Erfüllung Betroffene oftmals „alles“ in Kauf nehmen; es ist Ausdruck  einer chronischen Mangelerfahung in der Kindheit. Es  mündet oftmals in chronischen Gefühlen von sich selbst fremd sein, bis hin zu der kindlichen Annahme, gar nicht wirklich zu dieser Familie zu gehören. Später im Erwachsenenalter gefolgt von Gefühlen, in Gruppen und Systemen Außen zu stehen.

Belastungs-Heimweh kann sich dann wandeln, wenn es vor allem als  Sehnsucht begriffen wird, selbst in etwas  Größerem einzutauchen… Oftmals führt die sehnsüchtige Suche rastlos nach Irgendwo und Nirgendwo, in Heilungsgruppen und zu Gurus. Ebenso gibt es Phasen, in denen das unerkannte Heimweh durch Beziehungen zu Partnern, Freunden, Therapeuten usw. gestillt werden soll. Meist ein erfolgloses Unterfangen. Oftmals wird erst in Krisen deutlich, dass Belastungs-Heimweh mehr verlangt als das, was Eltern, Partner usw. anbieten können. Erst nach  Trauerarbeit wird meist Neues möglich: manchmal mündet dieser Prozess in der Sehnsucht nach EinsWerden. Einswerden mit etwas, das größer ist als wir selbst und uns doch zugleich ausmacht (dazu auch Willigis Jäger/Lesetipp s.u.). Und so rückt für manche belastete Kinder dann das Eltern-und Beziehungsthema in den Hintergrund, innere Heimat wird   Musik, Tanz, Gott, Buddha, Allah, der Urgrund (W.Jäger), die Natur etc. -. Um das Leiden am Heimweh hinter sich zu lassen, muss es zunächst erkannt und betrauert werden, damit die ziellose Suche eine neue Richtung bekommen kann.

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche: den Mut, dem Heimweh ins Auge zu sehen und die Kraft, weiterzusuchen, wenn Sie Ihre innere Heimat noch nicht entdeckt haben.

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In ihrer Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis ihres AWOKADO-7-Schritte-Programm.

Aktiv ein neues Leben bauen- Perspektivwechsel 2

Beim Lesen der Morgenzeitung fühle ich mich durch ein Interview, das Hennig Rasche  mit Gipfelstürmer Reinhold Messmer führte, angeregt. Seine Tatkräftigkeit, das Machen und seine es nicht nur bei Visionen belassen-Haltung, wird in seinen Worten lebendig. Deshalb mag ich Auszüge den Perspektivwechseln des letzten Blogbeitrages hinzufügen: gerade für Kinder aus belasteten Familien kann es nach Phasen des Betrauerns, der Hilflosigkeit und des Ringens  um angemessene elterliche Zuwendung, wichtig werden, nicht mehr nur dem Gestrigen nachzugehen, im Blick zurück verhaftet zu bleiben, sondern das Leben aktiv nach vorn zu gestalten, sich selbst neu zu erschaffen.

„Ich sage nicht, ich habe ein gelingendes Leben hinter mir, ab jetzt schaue ich in die Sonne…Ich lebe davon, dass ich im Hier und Jetzt Ideen umsetze. Und während des Umsetzens passiert gelingendes Leben. Nicht der Blick zurück auf das gelungene Leben, sondern während ich das gelingende Leben schaffe, erleide, erstreite, bin ich am glücklichsten.“ (RP Kultur 30.10.17)

 

Gerade, wenn die Belastung durch schwierige oder kranke Eltern, nicht nur eine kurzzeitige Phase der Kindheit, sondern eine lebenslängliche wird, erscheint die „anders nach vorne-Leben“ -Perspektive mir als überlebenswichtig, als zentral in der Identitäsbildung, in der Beantwortung der Frage „Wer bin ich“ und „wer kann ich sein?“ sowie in der Einschätzung des eigenen Selbstwerts. Auch auf die Frage, wie Menschen überhaupt gut älter werden können, erscheint Messmers Perspektive zentral. In diesem Zusammenhang darf ich Ihnen vielleicht auch das Buch „Älter werden“ von Sylvia Bovenschen im Thalia-Verlag empfehlen.

Die Sonne scheint über dem Rheinland, ein neuer Tag wartet auf Sie und mich,

herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Autorin Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Künstlerische Therapeutin ( Musiktherapie) und Lehrende. Ihre Bücher zur Thematik, mehr auf der Webseite

 

Schwierige Eltern kann man nicht ändern… die eigene Perspektive schon

Frau I. ist es leid, sagt sie: alles habe sie versucht, aber ihre Mutter trinke weiter mehr als ihr gut tue. Sie sei mit nichts zufrieden, ihre Besuche seien der Mutter nie genug, während sie ihr zugleich vermittle, dass sie die Tochter ihr eigentlich schon immer zuviel sei. Zudem mache sie die Tochter auch noch verantwortlich dafür, dass das Leben der Mutter durch ihre ungewollte Schwangerschaft aus den Fugen geraten sei. Frau I. gelangt zu der Einsicht:  Meine Mutter wird sich niemals ändern, nur ich selbst kann etwas ändern…

Wenn das Zusammensein mit den Eltern ein Leben lang schwierig erlebt wird, wie im Fall Frau von I. beschrieben, können die Ursachen vielschichtig sein, die Auswirkungen auf die Lebensqualität der erwachsenen Kinder gewaltig. Es kann sich etwa um eine ungünstige Passung zwischen Eltern und Kind handeln, aber auch um schwerwiegende Belastungen, die die Eltern selbst tragen und die auch für ihre Angehörigen, insbesondere für die Kinder, zur Lebenerschwernis werden. Ob diese Belastung nun Sucht, psychische Probleme, chronische Erkrankung, Traumatisierung, mangelnde Empathie-und Feinfühligkeit oder Bindungsstörung heißt, ob diese als Störung diagnostiziert wurde oder auch niemals: die betroffenen Kinder tragen eine schwere Belastung, die ihnen oftmals zur Lebensaufgabe wird – manche können, wenn sie alt genug sind (manchmal erst, wenn die Distanz zu den Eltern größer ist), immerhin ihre Perspektive, ihre Haltung und ihre Einstellung zu den elterlichen Schwierigkeiten verändern. Betroffene beschreiben erfolgreiche Perspektivwechsel als ( in Anlehnung an das Fachbuch „Meine schwierige Mutter“ , Klett-Cotta 2017):

Einen Schritt zurücktreten…

Aus einem Abstand heraus die Situation betrachten…

In einer konzentrierten Zurückgezogenheit den Konflikt neu ansehen…

Akzeptieren, dass es so schwierig ist wie es ist statt schönzureden oder zu tun, als ob alles prima wäre….

Die Beziehung als Tanz auf der Bühne imaginieren…

Sich in die Schuhe der Eltern stellen: die eigene Lebensgeschichte aus der Sicht der Mutter oder des Vaters erzählen…

Loslassen: nicht mehr um die Beziehung ringen, sondern sich mit Freude anderen Dingen zuwenden…

dDie Bedeutsamkeit der schwierigen elterlichen Beziehung relativieren…

Sich selbst und die eigenen Bedürfnisse, vielleicht erstmals, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellen…

Nicht mehr darauf hoffen, dass sich die Eltern ändern, sondern sich selbst altiv zu verändern…

Die Kontrolle über das elterliche Verhalten ( zum Beispiel Trinken) loslassen…

Sich nicht länger selbst die Schuld geben…

Scham überwinden: mit anderen sprechen statt sich hinter Burgmauern zu verbarrikaridieren.

Perspektivwechsel brauchen Zeit, Mut und Veränderung, immer einen ersten Schritt, sei er auch noch so klein. Welcher Schritt soll der Ihre sein?

Eine erfüllende Herbstzeit mit sonnigen Momenten wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Meine schwierige Mutter.Das Buch für erwachsene Töchter und Söhne

Auch als Kind einer schwierigen Mutter ist es möglich, im Erwachsenenalter ein gutes Leben zu führen und den Ballast des Elternhauses abzuwerfen. Die Autorinnen zeigen konkrete Wege dorthin mit kreativen Übungen, Selbsttest und Möglichkeiten der Selbstreflexion. Mehr Info Klett-Cotta-Verlag

„Ein intelligenter, differenzierter und elaborierter Ratgeber…der den Leser durch Vielschichtigkeit und Fülle fordert.“

Jens Flassbeck auf socialnet

Erschienen im Klett-Cotta Verlag, 2.Auflage 2019, 175 Seiten, 17€

Ich freue mich, dass dieses Buch in Zusammenarbeit mit meiner Tochter Maren Geiser-Heinrichs entstehen konnte

Mutmacher Selbstwert: warum wir ihn durch das Besinnen auf unsere eigenen Werte steigern können

Wenn Eltern über viele Jahre schwer belastet sind (etwa durch Krankheiten, Süchte, Persönlichkeitsstörungen u.a.), dann bekommt oftmals in ihrem Leben anderes zentrale Bedeutung oder erfährt die Wertschätzung, die eigentlich ihren Kindern zusteht. Da dreht sich das Leben der Mutter etwa nur noch darum, wie sie ihren Alkohol bekommt und wie sie in Ruhe trinken und zugleich Fassade aufrechterhalten kann – das Kind wird Teil des süchtigen Systems der Mutter; es wird bewertet über den alles bestimmenden Suchtfaktor, sein Wert im Bewertungssystem der Mutter droht sich dann etwa an der Frage zu orientieren: Ist das Kind  dienlich, mein Trinkverhalten zu sichern? Der  Wert, der dem Kind dann zugeschrieben wird, bemisst sich hier im kranken System nach völlig verschobenen Maßstäben, die sich über Jahre intern ungut aufgebaut haben. Das Kind wird in diesen Fällen (und das reicht oftmals bis ins hohe Erwachsenenalter) wenig bis gar nicht um seiner selbst Willen gesehen, sondern dann vor allem in seiner Funktonalität für das Aufrechterhalten des Systems bewertet, hier das Kranke. Das Kind lernt, wenn dieser ungute Mechanismus über viele Jahre andauert und wenig andere Bezugspersonen zur Verfügung stehen, seinen Selbstwert aus diesem System zu beziehen… und verhält sich entsprechend der Systemnorm: es „schluckt“ das Unangenehme, es macht keinen Ärger, lügt vielleicht für die süchtige Mutter, besorgt Alkohol für sie, obwohl es genau an den Folgen, die durch den Alkoholgebrauch entstehen, besonders leidet. Die fehlende Wertschätzung im Außen droht zunehmend Teil seines inneren Selbstkonzeptes zu werden. Betroffene erlangen in belasteten Familien meist einen sehr niedrigen Selbstwert: als Modell fungiert in der Regel ein erkranktes Elternteil mit geringem Selbstwert (Beobachtungslernen), süchtige Elternteile neigen etwa zu fortgesetzter Entwertung ihrer Umwelt, ihre Scham über die UNfähigkeit als Elternteil wird vertuscht, sodass das KInd kaum bis gar keine Anerkennung für seine Leistungen erhält und die erlernte und stillschweigend eingeforderte Selbstaufgabe von ihnen selbst zugleich wieder eine Entwertung im internen Bewertungssystem erfährt ( „Ich müsste doch mal für mich eintreten!“ , denken sie „Immer schlucke ich alles und kriege den Mund nicht auf“ etc.). Als Erwachsene drohen sie im besonderen Maße abhängig zu sein von der Wertschätzung anderer, von Partnern, Chefs und hierarchisch höher gestellten, Eltern ähnlichen Figuren: meist bleibt ihnen nach einer Kindheit, die von emotionalem Missbrauch gezeichnet war ( oder auch bis zum heutigen Tage immer noch ist), eine klaffende Leerstelle im Inneren erhalten, die sich nicht zu füllen scheint – Leere- und Sinnlosigkeit machen sich breit, fortschreitende Selbstentwertung greift Raum. Aus entwertung und entwertendem Umgang wird geschwächter Selbstwert,

Erst dann, wenn Betroffene beginnen, diesen Prozess der familiären Bewertungsentwicklung zu durchschauen und in Zusammenhang zu Ihrem Selbstwert zu setzen… können sie sich endlich auf ihre eigenen Normen und  Werte zurückbesinnen… ihre eigenen Werte neu überprüfen… oder auch sie erstmalig entdecken… familiäre Bewertungen entdecken und von den eigenen Werten unterscheiden … und schließlich ihren Selbstwert nicht mehr nur an der Anerkennung durch andere, sondern in der Übereinstimmung mit ihren eigenen Werten finden…Erst dann tritt meist ein manifester Selbstwert, der stabil auf dem eigenen Inneren begründet ist, zutage. Die nachfolgende Kreative Selbsterfahrung kann Sie auf diesem Weg unterstützen.

Kreative Selbsterfahrung  Meine Werte

Wie hoch schätzen Sie Ihren Selbstwert augenblicklich ein? (1-10, 10 als höchster, 0 als niedrigster Wert)

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Wie hoch war der Selbstwert in Ihrer Kindheit?

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Nennen Sie spontan fünf Werte, für die sie sich persönlich einsetzen würden…

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Stellen sie sich vor, diese Werte wären Reiseproviant, das sie nur begrenzt mitnehmen könnten. Tauschen sie einen Wert nach dem anderen solange aus, bis der Ihnen wichtigste übrig bleibt.

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Welche Werte galten in Ihrer Herkunfts-Familie? Wo gibt es Schnittmengen mit IHren eigenen Werten, wo grenzen Sie sich ganz klar ab?



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Gibt es Werte in Ihrer Familie, die sie förmlich „schräg“ oder „verrückt“ finden?

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Fertigen Sie eine kleine Zeichnung an, um diese Schrägheiten in einem Comic darzustellen. Gestalten Sie anschließend Ihre eigenen Werte hinein.

Inwieweit passen Ihre Werte zu Ihrem Arbeitsplatz und die Werte dort, das vorherrschende Menschenbild, zu Ihnen?


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Nennen Sie 3 konkrete Schritte, die Sie aktiv tun können, um mehr in Übereinstimmung mit Ihren Werten zu leben…

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Fertigen Sie ab sofort eine Selbstwert- Kurve an, in die Sie täglich Ihren Selbstwert eintragen ( 10 ist hoher Selbstwert, 0 ist niedrig). Notieren Sie Ereignisse, die den Kurvenverlauf stark beeinflussen.

Durch die Beschäftigung mit Ihren Werten machen Sie eine wichtige Bestandsaufnahme. Wenn sie mehr Ihren Werten gemäß leben, hat dies in der Regel auch ein besseres Selbstwertgefühl zufolge. Für Erwachsene aus belasteten Familien ist dies eine schwierige Aufgabe…scheuen Sie sich nicht, eine Person Ihres Vertrauens hinzuzuziehen, wenn Sie an Punkten in der Bearbeitung große Schwierigkeiten entdecken.

Ich hoffe, Sie können bald Früchte und Ernte einfahren,

herzlich

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Bücher zur Thematik von Autorin Dr. Waltraut Barnowski-Geiser hier

 

Zurück zu den Quellen

„Gib mir ein kleines Stückchen Sicherheit, in einer Welt in der nichts sicher scheint!“ , schrieb und sang die Gruppe Silbermond vor einiger Zeit und schien mit diesen Zeilen, die Teil eines erfolgreichen HIts wurden, einen Lebensverv, nicht nur der Jugend, getroffen zu haben. Was gibt Sicherheit in diesen von großen, existenziellen Problemen, wie Terror und Klimakatastrophen, geprägten Zeiten? Die Antworten wie Hilflosigkeiten sind so vielschichtig wie unterschiedlich und ebenso individuell. Gerade Menschen mit Kindheitsbelastungen tragen oft schwer an Krisenzeiten, die ihnen im Erwachsenenalter erneut begegnen – dies ist, ziehen wir aktuelle Forschungerkenntnisse zu Rate, nur allzu gut nachvollziehbar.  Getrieben von einem fortwährenden Zwang, jemand anders werden zu müssen, erscheinen sie sich und anderen oftmals…hat nicht das fehlende oder unzureichende Geliebtwerden durch die Eltern gezeigt, dass sie anders, richtiger, ja einfach perfekter sein müssten? Da verbinden sich gesellschaftliche Schreie nach Changemanagement, nach unermüdlichem „höher/ schneller/ weiter“ vermutlich perfekt mit ihren inneren Antreibern.

In diesem gedanklichen Zusammenhang begegnete mir kürzlich ein Vortrag von Anselm Grün, den ich Ihnen empfehlen mag: er riet in seinem Vortrag zu einem Prozess, den er mit dem Begriff der Verwandlung beschreibt. Verwandlung sei gemeint als Begriff für den Prozeß, immer mehr man selbst zu werden…und tritt hier an die Stelle von seelenlosem, vom Selbst weit entfernten, rastlosen Verändern, das nur äußeren Forderungen nachjage. Anselms Grüns Worte, fußend auf einem christlichem Menschenbild ( das man, um sich anregen zu lassen zur eigenen Verwandlung nicht teilen muss), regen umfassend an: sie können Kontrapunkt-Botschaft in einer Zeit des multiplen Dauer-Change sein, gerade auch, wie ich finde, für Kindheitsbelatete. Ein Aufruf, endlich aus den eigenen Quellen und inneren Bildern zu schöpfen.

Vielleicht mögen Sie Grüns Vortrag anhören…dann empfehle ich ihnen, das Wort Firma gedanklich da und dort durch „Familie“ zu ersetzen: so können sich interessante systemische Brückenschläge eröffnen.

Ich wünsche Ihnen gute Anregungen und eine reiche Herbstzeit,

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Mutmacher für Krisenkinder: Wie elterlicher Dauerstress in der Kindheit unser Hirn als Erwachsene beeinflusst und was wir dennoch tun können

Text in Anlehnung an: Meine schwierige Mutter/2017.

Krisenkinder

Die schlechte Nahricht, die Ihnen als Betroffene sicher bereits bekannt ist, vorab: Kinder, die dauerhaft Krisen  ihrer belasteten Familien ausgesetzt sind, können massive Folgen davontragen; diese Folgen sind teils messbar an ihrem Serum-Cortisolspiegel und in Hirnstrukturen,  können sie doch neuronale Strukturen des Hippocampus, der Amygdala sowie des Corpus Callosum zerstören. Verursacht werden zum Teil organisch begründbare Regulationsstörungen, später auch komplexe Störungen von Lernen, Emotionen und Verhalten (Trost 2003). Auch wenn dieser Zusammenhang von neuronaler Schädigung für betroffene Kinder in quantitativen Untersuchungen noch nicht hinreichend untersucht ist, muss vermutet werden, dass Gehirne von Kindern aus belasteten Familien durch das emotionale Klima ihrer Familien stark geprägt sind. Es steht zu befürchten, dass lang andauernde wiederholte Belastungen der familiären Umwelt neuronal entsprechend verankert werden und diese‚ emotionalen Straßen’ auch dann aufgesucht werden, wenn es nicht mehr von Nöten ist. Dies zeigte sich bei denjenigen erwachsenen Personen, die bis ins hohe Alter keine Auflösung des familiären Tabus erfahren hatten, bei denen sich etwa Suchtbelastung durch etliche Jahrzehnte zog und auch im Erwachsenenalter lebensbestimmend blieb. Es scheint in diesem Fall schwer zu sein, eingefahrene Hirnstraßen zu verlassen (etwa die der Angst und Ohnmacht) und neue Straßen (Freude,Hoffnung etc.) zu befahren. Damit kann ein wesentlicher Faktor zur Orientierung in der Welt durch das familiäre Erleben maßgeblich negativ beeinflusst werden. Sogar genetisch scheinen diese Erfahrungen Spuren zu hinterlassen (In jüngerer Zeit wurde an Mäusen nachgewiesen, dass die Gene bei Nachkommen traumatisierter Mütter in Mitleidenschaft gezogen waren; sie zeigten sich als weniger Stressresistent und verzweifelter in eigenen Krisensituationen). Muss ich das wissen, denken Sie nun vielleicht, das ist doch nur traurig. Ich finde, ja, sie sollten sich mit diesen Dingen auseinandersetzen, um sich selbst ein Stück besser zu verstehen. Erst, wenn wir verstehen, warum wir wurden, was wir sind, können wir einen ZUgang zu unserer wahren Identität bekommen: im anderen Falle, wenn wir Altes nur unerkannt abspalten, drohen wir uns selbst fremd zu bleiben.

Hirne sind nutzungsabhängig: warum Kinder mit familiärer Belastung leicht ängstlich werden

Schauen wir weiter aus neurowissenschaftlicher Perspektive. Versuchte Erklärungen müssen im Angesicht der hochkomplizierten  Vorgänge in unseren Hirnen unverschämte Vereinfachungen bleiben…versuchen wir dennoch eine Annäherung: Außenwelt hinterlässt Spuren in der Innenwelt. Neurologisch spricht man hierbei von inneren Repräsentationen der Außenwelt. Auch die Repräsentationen unserer Gefühlswelt (neurowissenschaftlichen Untersuchungen u.a. von Braun, Spitzer) spiegeln  erlebte Erfahrungen. Unsere Gefühlswelt ist erlernt, vor allem in sozialer Erfahrung. Befinden, Stimmungen und Gefühle sind bei Kindern aus belasteten Familien stark in Mitleidenschaft gezogen. Kinder lernen etwa: „Wenn Papa trinkt, gibt es Ärger für mich!“ Wird diese Erfahrung wiederholt gemacht, wird diese Erfahrung auch neuronal verschaltet: sie bildet eine Hirnspur. Je öfter diese Erfahrung gemacht werden, umso tiefer gräbt sich diese Spur im Hirn ein, sprich: Kinder entwickeln Ängste ( eine Hirnautobahn „Angst“) und weitere mit diesem Erleben verbundene Gefühle werden nutzungsabhängig verschaltet. Aus dem Kind, das in einer Szene Angst hat, wird bei dauerhafter Wiederholung, leicht ein überängstliches Kind: insbesondere dann, wenn, wie oft in tabuisierenden Familien, das Gefühl des Kindes nicht benannt und besprochen werden darf, das Kind folglich keine angemessene Unterstützung in Form von Trost oder Halt erfährt. Das Befinden Betroffener wird durch dieses kindliche Krisenerleben geprägt, das Gehirn entsprechend gebaut – auch als Erwachsene, wenn das Elternhaus längst verlassen wurde, sind diese grundlegenden Verschaltungen angelegt. Es ist also nachvollziehbar, dass ein in der Kindheit entsprechend „verschalteter“ Erwachsener, der die Spur Angst zu einer regelrechten Autobahn im Kopf entwickelt hat (Formulierung in Anlehnung an Hüther), auch als Erwachsener schnell auf eben dieser Autobahn landet. Denkweisen, Selbstbild, Körpererfahrung usw. sind neuronal verschaltet: sie bilden ein Erlebens- Panorama im Jetzt, das im familiären System erlernt wurde.

Unterwegs auf der Hirnautobahn Gefühl

Gefühle sind neuronale Repräsentationen „Wir werden oft von den Gefühlen unbemerkt gesteuert.“ , sagt der Hirnforscher Spitzer schon vor einem Jahrzehnt. Emotionen bieten Kindern Orientierungshilfe beim Zurechtfinden in einer komplizierter werdenden Welt. (Spitzer 2003) Werden anstehende Probleme angemessen gelöst, stellt sich ein gutes Gefühl ein, das sich im Gehirn verankert. (Hüther 1999) Je früher diese Verschaltung erfolgt und je häufiger sie bei Belastungen und Herausforderungen aktiviert wird, umso stärker ist der Bahnungsprozess im Gehirn. Welche Verschaltung zu einem Gefühl gebahnt wird, hängt von subjektiven Empfindungen ab. „Mit jeder erfolgreich bewältigten Belastung, jeder bestandenen Herausforderung wird unter dem Einfluß der bei der kontrollierbaren Streßreaktion stattfindenden Aktivierung des noradrenergen Systems das jeweils empfundene Gefühl in Form von bestimmten dieser Empfindung zugrunde liegenden neuronalen Verschaltungen im Gehirn verankert.“ (Hüther 1999, S.69) Aber auch Belastendes und wiederholt nicht Bewältigtes wird im Gehirn als Trampelpfad abgespeichert. „Emotionale Verunsicherung führt zur Aktivierung limbischer und anderer stress-sensitiver neuro-endokriner Regelkreise und zwingt das Kind, nach geeigneten Strategien zur Wiederherstellung seines emotionalen Gleichgewichtes zu suchen. Einseitige, unbalancierte Bahnungsprozesse führen zwangsläufig zu defizitären Entwicklungen in anderen Bereichen (Wahrnehmung, Motorik, Lernverhalten, Motivierbarkeit, Sozialverhalten). (Trost 2003, S.60) Auch wiederholte Traumatisierungen wirkten nachhaltig destabilisierend auf die neuro-endokrinen und vegetativen Regelkreise.

Gefühle zwischen Ich und Du

Gefühle entstehen im sozialen Raum: Kinder und Erwachsene aus belasteten Familien fühlen nicht an sich, ängstigen sich nicht an sich, sind nicht an sich leer, schuldig, sondern ihre Gefühle sind Repräsentanten und zugleich Träger ihrer sozialen Beziehungen, sprich ihren belasteten Eltern oder Geschwister.

Gefühle werden in einer leibtherapeutischen Sicht sowohl in ihrer Leiblichkeit in Bezug aus Körper, Seele und Geist angesehen, als auch in ihrer Räumlichkeit aufgefasst, in letzterer insbesondere in ihrer Rückbeziehung auf das Subjekt. Psychiater und Leibphilosoph Thomas Fuchs: „Wie beim Tasten (‚Fühlen’) Empfinden und Selbstempfinden ineinsfallen, so ist das Gefühl als Gegenstandsbeziehung zugleich ein Selbstverhältnis, also Fühlen und sich-Fühlen in einem (sich fürchten, sich schämen, sich freuen). Die Furcht oder Angst vor (…) bedeutet auch Furcht oder Angst um mich selbst oder mein Leben. Die Scham vor den anderen ist zugleich die Scham über mich. Im Gefühl ist das Selbst sich nicht gegenständlich, als sein eigenes Objekt, sondern zuständlich, erleidend gegeben, als Subjekt affektiven Betroffenseins.“ (Fuchs 2000) Es lässt sich folgern, wie die sogenannte Zwischenleiblichkeit wirken kann: Betroffene aus belasteten Familien können innerlich derart verwoben sein mit erkrankten Angehörigen, auch und gerade in der Entwicklung ihrer eigenen Gefühlswelt, dass kaum noch eine Unterscheidung zwischen Ich und Du erlebt wird, weder leiblich noch räumlich. Die Gefühle der Eltern wabbern als Atmosphären in den Raum, für die Kinder kaum noch unterscheidbar, wo ihre eigenen Gefühle anfangen, wo sie teil einer Atmosphäre sind. „So werden Gefühle auch zu Indikatoren für die Qualität der Beziehung, in der die anderen Menschen und die Sachverhalte unserer Welt zu uns selbst stehen.“ (Fuchs) Es entsteht ein typischer Schwingungsraum zwischen Eltern und Kindern. Die gelungene oder misslungene Affektabstimmung und der Aufbau von Gefühlen ist maßgeblich für den Aufbau von weiteren Beziehungen. „Gefühle werden im Ausdruck, als Ausstrahlungen, Gesten und Handlungen ‚entäußert’, um so ihrerseits Gefühle in anderen zu induzieren. Ohne dass wir und dessen immer bewusst wären, wirken umgekehrt die Gefühle und Haltungen der anderen ständig auf unsere eigenen ein. So bilden Gefühle einen Raum mannigfaltiger Schwingungen, die sich ausbreiten und ein Eigenleben entwickeln, obwohl sie doch zugleich das persönlichste in uns sind.“ (Fuchs 2000) Also vereinfacht: was wir an Beziehungserfahrung gemacht haben, das wohnt in uns und das geben wir auch in irgendweiner Weise an andere weiter.

Tabu, Geheimnis, Gefühl

Wenn das, was Kinder aus belasteten Systemen bewegt, nicht besprochen werden darf,  nicht nach Außen dringen darf, verstärkt das Stress und Belastung. Zudem verfestigt sich eine Spaltung zwischen  innerem Erleben und dem nach Außen Gezeigten. Viele Kinder können folglich irgendwann nicht mehr unterscheiden, was sie im Angesicht der familiären Tabuisierung fühlen sollen und was sie tatsächlich erleben und fühlen. Gefühle werden zu Leerstellen des Erlebens oder mutieren zu diffusen Grundstimmungen. Dies kann zu einem chronifizierten schlechten Befinden führen, das sich die Betroffenen selbst nicht erklären können. Die erzwungene Verleugnung ihrer realen Lebenssituation (etwa die Drogensucht der Mutter) geht in der Regel so weit, dass sie sich sogar vorwerfen, sich grundlos schlecht zu fühlen. Dieses auf den ersten Blick paradox erscheinende Phänomen ist jedoch bei genauerer Sicht auf die belastete Biografie nachvollziehbar.

Stress und Krankheit

Viele kennen es aus eigener Erfahrung: Man wird zur anstehenden Prüfung nicht krank, aber kurz danach. Interessante Erkenntnisse hierzu liefert die Psychoneuroimmunologie: In der Stresssituation selbst ist ein Hochfahren des Systems erforderlich, eine Aktivierung des Immunsystems erfolgt. Ein Schutzsystem wird aufgebaut, da Entzündung  nun gefährlich wäre. Es erfolgt eine Corstisolausschüttung im Körper. Cortisol supprimiert die zelluläre Immunaktivität, die uns vor viralen Infekten schützt. Und so findet man der Harvard University Zusammenhänge: bei Überforderung und Stress fordert das Zwischenhirn an, in den Nebennieren Adrenalin zu produzieren. Es erfolgt also eine Verteidigung auf körperlicher Ebene, Erregung wird gedämpft. Chronischer Stress dämpft in der Folge Immunabwehr und zelluläre Abwehr. Folge waren eine Reihe von Anfälligkeiten: die Versuchspersonen zeigten sich  Grippe-und Herpesanfälliger, anfälliger für Neurodermitis-und Autoimmunerkrankungen sowie Allergien. Dies konnte auch an Kindern stressbelasteter Mütter nachgewiesen werden.Man fand beispielsweise Zusammenhänge zwischen traumatischen Erfahrungen im Kindesalter und Rheumaerkrankungen im Alter. Biochemische Vorgänge sind komplex. Der Zusammenhang zwischen Stress in der Kindheit und späterer Krankheit lässt sich heute erklären: Das überforderte System ist irgendwann erschöpft. Es kommt zu vermehrten Entzündungen, was zu schweren Erkrankungen wie Rheuma, Krebs usw. führen kann (hierzu auch Christian Schubert, Innsbruck, Integrativer Therapeut und Psychoneuroimmunologie/Psychotherapie- Integrierte Medizin).

Denken wir die vorangestellten Forschungen für Erwachsene aus belasteten Familien weiter, so wird deutlich:

  • es besteht ein Zusammenhang zwischen emotionalen Belastungen in Kindheitstagen und emotionaler Befindlichkeit im Erwachsenenalter
  • es besteht ein Zusammenhang von wiederholten stressenden Kindheitserfahrungen und chronischen/schweren Erkrankungen im Erwachsenenalter.

Eine große Belastung der Lebensqualität von Menschen mit belasteter Kindheit erschent  evident.

„Help…I need somebody“

In der Überschrift, hier mit einem Oldie der Beatles, wird kurz auf den Punkt gebracht, was wir Kindheitsbelastungen, Stimmungs-und Befindlichkeitstörungen entgegensetzen können: Hilfe suchen und annehmen, die Verbindung und Zuwendung von anderen, nahestehenden Menschen… also können wir etwas tun!

Fasst man die vorab geschilderten Forschungsergebnisse zusammen, so sind die Belastungen und Folgen bei Kindheitsbelastungen hoch einzustufen. Und dennoch eine gute Nachricht aus der Forschung:  es gibt Stärkendes! Widerstandskräfte, die uns schützen, sogenannte Resilienzen. Resilienzen sind also das, was uns stark macht.  Resilienzen sorgen dafür, dass viele Menschen mit Kindheitsbelastungen eben auch nicht erkranken. Eine bedeutsame stabile Beziehung im Umfeld eines aufwachsenden Kindes ist eine solch hochwirksame Resilienz. Sind Erkrankungen vorhanden, zeigten sich etwa Meditation und soziale Anbindung als hochwirksam. Vernetzen und andere Menschen mit ins Boot Holen zeigt in allen Lebensphasen Wirkung. Nervensystem und Immunsystem können einander verständigen, dies können wir für uns nutzen. Decartes Dualismus hat lange Medizin bestimmt. Aber neuere Forschungen überprüfen, wie Gehirn und Immunsystem zusammenhängen und es wird deutlich: sie sind in ständigem Austausch. Ein gestresstes Gehirn beeinflusst das Immunsystem, somit gilt auch die Umkehrung: ein entspanntes Gehirn entlastet den Körper. Körper und Geist sind eine Einheit, was ganzheitliche, integrative, leiborientierte, kreative und komplementär-Medizin für Betroffene auf den Plan ruft. Basis bildet weiterhin die Schulmedizin. Gute Erfolge ließen sich auch durch kognitive Umstrukturierung erzielen, also problematische, dysfunktionale Gedanken, etwa durch einen anderen Gedanken zu ersetzen ( wie es in einigen Religionen und Philosophien auch seit Jahrtausenden gelehrt wird)…  Selbstheilung können Sie aktiv unterstützen. Sogar ein EEG kann signifikant verändert werden. Sie können durch Ihre Lebens-und Denkweise Einfluss nehmen.

Ein wichtiger Faktor: eine soziale Umgebung, ein Feld der Hoffnung und Zuwendung (teils Liebe genannt ), im Idealfall im eigenen Zuhause. Der Satz: „Ich kann gesund werden!“, oder: „Ich kann meine Kindheitswunden überwinden!“ gehört zur hochwirksamen Einstellung, die Veränderung möglich werden läßt. Hilfe für Betroffene muss individuell erfolgen, spezifisch zugeschnitten sein: sie benötigt mindestens einen wohlwollenden Anderen. Immer sollte sie Anregung zur Selbsttätigkeit beinhalten (hierzu auch das AWOKADO-Selbsthilfe-Programm in Vater, Mutter, Sucht 2015 und Meine schwierige Mutter 2017).
Glauben wir der Psychoneuroimmunologie, so helfen Krisenkindern bei der schwierigen Bewältigung vor allem: Optimismus, stabile Sozialkontakte, ein guter Alltag und körperliche Nähe.

Filmbeitrag Selbstheilungskräfte und Psychoneuroimmunologie

http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=41334

Fuchs, T. (2000). Leib-Raum-Person. Entwurf einer Phänomenologischen Anthropologie. Stuttgart: Klett Cotta.

Fuchs, T. (2008): Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Eine phänomenologisch-ökologische Konzeption. Stuttgart: Kohlhammer.

Hüther, G. (1999): Biologie der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Lammel, U. A. (2007). Phänomenologie einer Jugendkultur in den 90er Jahren und Anfragen an Soziale Arbeit in Praxis und Ausbildung. In H. Petzold, P. Schay, P. & W. Ebert (Hg.), Integrative Suchttherapie. Theorie, Methoden, Praxis, Forschung (2. Aufl.) (S. 17-63). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Michaelis, K. & Petzold, H. (2010). Zur Situation von Kindern suchtbelasteter Familien aus Sicht der integrativen Therapie. Integrativ-systemische Überlegungen zur Entwicklung von Risiko und Resilienz bei Kindern mit suchtkranken Eltern. Integrative Therapie, 36 (2/3), 252-280.

Orth, I. ( 2012): Unbewusstes in der therapeutischen Arbeit mit künstlerischen Methoden,kreativen Medien – Überlegungen aus der Sicht „Integrativer Therapie“ in Polyloge, Internetzeitschrift der EAG-FPI.

Spitzer, M. (2002). Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidelberg: Spektrum.

Trost, A. (2003). Interaktion und Regulation bei suchtkranken Müttern und ihren Säuglingen. In Landschaftsverband Rheinland, Dezernate Gesundheit und Jugend/ Landesjugendamt (Hg.), Suchtfalle Familie?!. Forschung und Praxis zu Lebensrealitäten zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Dokumentation der gemeinsamen Fachtagung der KFH NW, Forschungsschwerpunkt Sucht, und des Landschaftsverbandes Rheinland, Dezernate Gesundheit und Jugend/Landesjugendamt. Köln.

 

Beste Herbstgrüße sendet Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Einsam unter den Liebsten – Wenn Eltern mit sich selbst nicht in Kontakt sind…sind sie es schwerlich mit ihren Kindern

Die Zahl der erwachsenen Kinder, die sich von ihren Eltern nicht verstanden fühlt, scheint groß zu sein. Eine große Rolle spielen in diesem Prozess  Hören und Begegnen.

Nicht nur Ehen und Partnerschaften scheitern  an mangelndem Zu-Hören, auch Freundschaften, Kollegialität und nicht zuletzt Beziehungen zwischen Kindern und Eltern zerbrechen oftmals an scheinbar nicht vorhandenem Interesse. Hören und Begegnen meint hier nicht, Wortinhalte aufzuschnappen und diese für die eigene Erzählung oder für das Weitererzählen zu nutzen, (um etwa Erziehungsbotschaften an das Kind scheinbar gekonnt einzuflechten oder das Kind zu verbessern), sondern Zu-Hören meint,  Worte und das Erleben des Anderen ganz in sich aufzunehmen. Je weniger Eltern Beziehung zu ihrem eigenen Innenraum haben, zu ihren Gefühlen und Stimmungen etwa, umso weniger sind sie in der Lage, wirkliche Begegnung zu ihren Kindern zu ermöglichen. Süchte und manche psychische Erkrankung verstellen Eltern teils den Weg zu ihrem eigenen Innenraum ( oder sie werden süchtig, weil der Weg schon früh verstellt war). Das Kind interpretiert dieses mangelnde auf es eingehen, elterliches nicht wirklich Zuhören und in Resonanz gehen Können, in der Regel als seinen eigenen Fehler: es glaubt, nicht interessant oder nicht gut genug zu sein, damit Eltern ihm zuhörten. Es idealisiert in diesen Fällen die Eltern als „richtig und kompetent“ und sich selbst als „defizitär“. Oftmals stellt es sich bei genauerer UNtersuchung der Beziehungsverlaufes aber genau anders herum dar: dann haben Eltern Probleme mit Hören und begegnen, da ihnen der Kontakt zur eigenen Innenwelt verloren gegangen ist. Nun könnte mam meinen, dass diese Kausalität nicht so wesentlich ist: die Praxis zeigt jedoch, dass die angenommene Begründung wesentlich ist für die Weise, wie das Kind sich in der Welt bewertet, für seinen Selbstwert: dauerhaft nicht richtig gesehen und verstanden Fühlen geht meist mit neidrigem Selbstwert einher. Und sie scheinen als Erwachsene selbst zu Eltern zu mutieren, die ihren Kindern ungewollt Ähnliches antun, das ihnen selbst widerfuhr. Viele Eltern der Neuzeit scheinen das Zu-Hören nicht gelernt, verlernt oder seine Bedeutung vergessen zu haben.

Je höher der Leistungsdruck, je mehr wir vor allem weiterkommen müssen und uns kaum spüren dürfen, umso größer ist die Gefahr, dass wir anderen nicht mehr wirklich zuhören und selbst von ebensolchen anderen nicht mehr gehört werden. Wir stülpen anderen vielleicht unsere Ideologie über, benutzen sie, um unser Wissen „loszuwerden“, zu glänzen vielleicht: aber der Beziehungsraum im Dazwischen droht zu verarmen. In der Folge fühlen wir uns dann selbst unter Menschen, die wir eigentlich lieben und schätzen wollen, allein und verlassen: einsam unter Menschen… ein Gefühl, das vielen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien nur allzu bekannt ist.

Diese kindliche Erfahrung droht in den erwachsenen Beziehungen wiederholt zu werden: „Er hört mir nicht zu!“  Wie oft diese Aussage, durchaus auch geschlechtsunterschiedlich, geäußert wird…oftmals ist diese Aussage mit der Steigerung: „Er interessiert sich nicht für mich!“ gekoppelt, eine katastrophale Überzeugung, die oft vorausgeht, wenn Beziehungen endgültig zu scheitern drohen.

Überlegen Sie doch einmal, wann Sie sich zuletzt von einem Menschen völlig verstanden gefühlt haben? Wie ist dieses Gefühl entstanden, was hat der andere genau getan, was hat es bei Ihnen ausgelöst?

Der Weg aus der Einsamkeit und Isolationsgefühlen muss uns immer auch zu uns selbst führen. Der Weg nach Innen, zu uns selbst und in die Ruhe, ist eine wesentliche Voraussetzung, um Hören und begegnen zu können: uns selbst und andere.  Nur wenn wir uns von unseren eigenen Gedanken und Gefühlen distanzieren können, wenn wir unser eigenes „Ding“ loslassen können, erst dann können wir wirklich hören und begegnen. Für viele Erwachsene aus belasteten Familien ist das Nicht-Gehört-Werden das Vertraute: oftmals suchen sie sich Partner und Freunde, bei denen ihnen dieses NichtgehörtWerden neuerlich passiert. Ein erster Schritt hinaus aus diesem Käfig des Nichtgehört Werdens ist der Weg, sich selbst zuzuhören. Was erzählt Ihr Körper, Ihr inneres Kind, welche Gefühle haben Sie gerade jetzt? Manche Menschen warten verzweifelt auf die nächsten Ferien, den nächsten Urlaub, damit sie endlich etwas erleben können:  doch dazu muss nicht hektisch in die Ferne gereist werden, spannende Abenteuer liegen nahe, hält Ihr Inneres für Sie bereit.

Ansonsten noch etwas zur Orga der Seiten: ich versuche, wie Sie vielleicht schon gesehen haben, diese für Sie noch übersichtlicher zu gestalten, damit Sie zu den unterschiedlichen Aspekten des AWOKADO-Konzeptes, zur Kreativen Selbsterfahrung etc. noch schneller fündig werden.

Einen guten Start in die Schul- und Arbeitszeit wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Sommerfrisch…auf neuen Wegen

Foto: Barnowski-Geiser

Vor der anstehenden „Sommerfrische“ mag ich Ihnen, bevor ich mich für die nächsten Wochen von Ihnen verabschiede, ein wenig Reise-Proviant von hier mitgeben: neu und kostenlos abzurufende Audiodateien zum Buch „Meine schwierige Mutter“ bei Klett-Cotta für Ihre tägliche Praxis sowie einen kleinen Cocktail aus Motivation möchte ich Ihnen anbieten; vor allem auch die Motivation, die Sommerzeit für Ihre Weiterentwicklung im Sinne von Jetzt-besser-leben zu nutzen. Damit ist nicht gemeint, nun täglich in einer erschreckenden Vergangenheit zu wühlen ( viele Kindheitsbelastete fürchten, dass dieses Aufwühlen die ausschließliche „Therapie“ sei oder der einzige Weg zur Heilung ), sondern vielmehr, sich mit Muße auf neue Wege zu begeben. Dies kann möglich werden, wenn wir achtsam für unsere körperlichen, geistigen und seelischen Vorgänge werden, wenn wir alte Negativmuster, die vorher unbewusst abliefen, wahrnehmen und Sie nun mit Neuem, das uns guttut, verbinden. Indem wir diese Vorgänge in unserem Inneren beobachten und nutzen, schaffen wir Raum für unsere Weiterentwicklung.

Neuro spezial für Kindheitsbelastete

Zwei zentrale Botschaften aus aktuellen Forschungen, insbesondere auch der Neurowissenschaften, scheinen für Kindheitsbelastete besonders wichtig:

  1. Das Gehirn ist nutzungsabhängig, es verschaltet sich so, wie es genutzt wurde  ( das betrifft auch die emotionale Nutzung). Im Erleben verschalten sich sich Aktionspotenziale, die Regelkreise bilden aus nebutzt Verschaltungen. Ihre Biografie, Ihre ganz persönlichen Erfahrungen, auch die mit anderen Menschen, sprich die in Ihrer Herkunfts-Familie, haben somit Spuren in Körper, Seele und Geist hinterlassen ( Sie sind nicht „einfach so“ hektisch, panisch etc) und
  2. Das Gehirn verfügt über immense Plastitzität, ist plastisch: es kann immer wieder neu verschaltet und umgebaut werden. Wir können aktiv unsere Vorstellung entwickeln, wie unser Leben sein soll, wie wir uns selbst wünschen und die Neurowissenschaften zeigen uns, dass wir neue neuronale Verknüpfungen lernen, neuronale Muster aufbauen können, die uns gleichsam in ein neues Leben hieven: Üben und Machen müssen das allerdings wir selbst. Weder eine Pille noch ein Guru kann das nach meinen Erfahrungen für uns bewerkstelligen. Ebenso geht das nicht, wie manchmal behauptet, in einer Woche oder gar an einem Tag oder womöglich in einer Erfahrung, aber ein Monat mit Praxis kann einen maßgeblichen Veränderungsschritt initieren. Für erwachsene Kinder aus belasteten Familien, von schwierigen Eltern ( auch Müttern), habe ich nach 10jähriger Forschung an Betroffenen, nach Studien einschlägiger wissenschaftlicher Erkenntnisse (insbesondere auch neurowissenschaftlicher, integrativtherapeutischer, leibtherapeutischer, bindungstheoretischer und verhaltensmodifizierender Erkenntnisse), das AWOKADO-Hilfe-Konzept entwickelt: damit können Kindheitsbelastete gezielt üben, sprich: vielleicht auch Sie. Fassen wir zusammen, indem wir 7 wichtige Erkenntnisse aus dem AWOKADO-Hilfeprogramm, hier sehr verkürzt und pragmatisch, zusammenfassen:

1.Früher hat man nicht auf Sie geachtet, wenig ihre Bedürfnisse gesehen?…dann starten Sie im Jetzt mit Ihrer Praxis der Achtsamkeit . Statt überwiegend oder gar ausschließlich um erkrankte Angehörige zu kreisen, richten Sie den Blick nun endlich auch auf sich selbst.

2. Würdigen Sie Ihre Stärken, Ihre persönlichen Ressourcen. Wahrscheinlich hat gerade Ihre Geschichte Sie stark gemacht, Sie zu dem besonderen Menschen geprägt, der Sie heute sind. Sehr wahrscheinlich haben Sie Fähigkeiten und Kostbarkeiten in sich, die Sie wenig oder gar nicht würdigen, so selbst heute übersehen, wie Sie früher übersehen wurden.

3. Neu-Orientierung: richten Sie Ihren Blick nicht auf gestern, sinnen Sie nicht andauernd über das Morgen: versuchen Sie (und das müssen Sie als Kindheitsbelastete wirklich üben) im Jetzt anzukommen.

4. Lassen Sie das Kindliche in sich leben, malen, spielen, singen toben sie…werden Sie kreativ. Nutzen Sie auch die Kreativen Selbsterfahrungen auf diesen Seiten.

5 Suchen Sie aktiv nach Resonanzerfahrungen, suchen Sie Musik für Ihre Stimmungen, lassen Sie Farben, Worte, Bewegungen Ihre Seelenlandschaft beschreiben. Suchen Sie Menschen auf, die Ihnen gut tun.

6 Folgen Sie der Frage: wer bin ich, etwa wenn ich mein Leistungsverhalten verändere…

7 Beobachten Sie Ihre Bewertungen und werden Sie offen für neue…ersetzen Sie den Satz: da kann man nichts machen, wer so eine Kindheit hatte wie ich etc…werden Sie aktiv statt resignativ.

                         So kann heute der erste Tag Ihres neuen Lebens beginnen.

Ich freue mich, dass der Klett-Verlag nun die ersten Audiodateien zur Kreativen Selbsterfahrung für Menschen mit Kindheitsbelastungen öffentlich zur freien Verfügung stellt: so können Sie, von meiner Stimme begleitet, aktiv hörend üben, imaginieren, Achtsamkeit und AWOKADO-Selbsthilfe praktizieren. Im zweiten Teil der Audioversion zur Kreativen Selbsterfahrung aus „Meine schwierige Mutter“ stelle ich Ihnen das stärkende AWOKADO-Ritual vor, das täglich als individuelle Bewegungschoreografie gestaltet und praktiziert werden kann.

Die Sommerferien stehen vor der Tür. Auch aktuell benutzt man häufiger das Wort „Sommerfrische“ – ein schönes Wort, wie ich finde, kann doch Erholung, Auftanken und das positive Gefühl nach dem Urlaub, so wie es gewünscht wird, gleich in unseren Hirnen Platz nehmen. Mit einem Foto vom gestrigen Sommerabend aus meinem Heimatort Katzem mache ich mich auf den Weg in meine Sommerfrische.

Ich wünsche Ihnen einen guten Sommer,

herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Wo Kränkung regiert, ist Krankheit nicht weit: Wie Kränkung das Leben belasteter Familien bestimmt und wie rettende Wege hinausführen

Zum heutigen Blogbeitrag animierte mich ein hörenswerter Vortrag von Prof. Reinhard Haller, Psychiater und Psychotherapeut aus Österreich. Er spricht zum Thema „Die Macht der Kränkung“. Haller beschäftigt sich mit Kränkungen im allgemeinen und mir scheint die Brücke in die belastete Familie sinnvoll. Ich halte dieses Thema für belastete Familien und ihre (erwachsenen) Kinder für besonders bedeutungsvoll, denn: Wenn wir uns belasteten Familien nähern, so ist ihnen ein Merkmal in der Regel gemein: alle Familienmitglieder haben schlimme Kränkungen erlitten. Die Art der Kränkung mag sich unterscheiden, auch die Symptome und Folgen ebenso wie der Umgang: gemeinsam in der familiären Dynamik ist meist die Tabuisierung, hier werden  Kränkungen totgeschwiegen, werden nicht aufgearbeitet, sondern auf andere Weise, den Betroffenen meist selbst nicht bewusst, ausagiert… und in unguter Weise drohen Auswirkungen so von den Eltern an die Kinder und nachfolgende Generationen weitergegeben zu werden. Aus Kindern, die Kränkungen erfahren, werden leicht Eltern, die meist unabsichtlich, ihre Kinder neuerlich kränken. Fehlende Liebe während des Aufwachsens sowie fehlende positive Resonanzen (Petzold, Rosa etc.) erzeugen Kränkungen und Gekränktsein: aus Gekränkten drohen Kränker zu werden. Teils wird in der gesamten Gesellschaft eine Zunahme narzistischer Tendenzen beschrieben, denen oftmals massive Kränkungen zugrunde liegen

Die familiäre Anhäufung dieser Phänomene tut, besonders bleibt sie unbearbeitet, niemandem gut: Ein krankmachender Teufelskreis entsteht. Über das Ausmaß der Kränkung sind Teile der Familie, wie es der Wortsinn schon andeutet, erkrankt: nicht nur die Wissenschaft der Psychoneuroimmunologie (Schubert u.a.) zeigt uns  in jüngster Zeit eindrucksvolle Zusammenhänge zwischen  Beleidigungen, Demütigungen, Mobbing, frühen Traumatisierungen und Krankheiten, für die sich keine körperlichen Ursachen finden lassen.

Fassen wir Kränkung als Teil eines Tanzes zwischen schwierigen Eltern und Kindern (Geiser-Heinrichs/Barnowski-Geiser 2017), als Teil einer spezifischen Interaktion (Haller) auf, dann scheint es wichtig, die Beziehung und das Gesamtsystem  im Auge zu haben, also systemisch zu schauen, um Änderung und Hilfe möglich werden zu lassen. Zentral für Betroffene auf Ihrem Weg zur Heilung der Kränkung scheint:

  • Zulassen, dass es Kränkungen gab und gibt (im AWOKADO-KOnzept als Würdigung der Belastung beschrieben)
  • betrauern dürfen
  • einen eigenen Standpunkt, eine neue Haltung, zu den Kränkungen finden (in verstrickten Familien meist nicht ohne Außenstehende zu schaffen)
  • die entstandenen Wunden pflegen ( auch Trost annehmen, insbesondere außerhalb des familiären Systems), statt sich weiter in Selbstverletzung, Selbst-Quälen und Selbst-Beschimpfen zu ergeben.

Prof. Hallers Vortrag in der Reihe fürs Leben lernen der Arbeiterkammer AT finden sie augenblicklich in der Teleakademie des Alpha-TVs oder auf youtube

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche

IHre

Waltraut Barnowski-Geiser

Es wird Ihnen alles zu viel?… Perspektivwechsel: Wovon gibt es zu wenig?

Wenn die Kindheit belastet war, ist der Nachhall meist bis weit in das Erwachsenenalter spürbar, manchmal sogar das ganze Leben lang. Weniger dann in konkreten Erinnerungen, die quälten, sondern vielmehr in einer grundlegenden Befindlichkeit, in diffusen Stimmungsanwandlungen oder auch in einem sich abgeschnitten Fühlen, das sich in Leere-Attacken, in unverbunden und lustlos Sein, in Müdigkeits- und Sinnlosigkeitsgefühlen zeigen kann – und vor allem in einem Dauerüberlastungsgefühl.  Wenn alles als Zuviel erlebt wird, kann eine Hilfe sein, an diesem Zuviel anzusetzen; meistens wird jedoch von Betroffenen beschrieben, dass an der Menge und Qualität der Belastung wenig zu ändern sei (gerade Kinder schwieriger Eltern sind ja geübte und bewährte Lastenträger, da sie dies allzu früh erlernen mussten). Als hilfreich erweist sich dann oftmals ein Perspektivwechsel, wie er in der Integrativen Therapie und gestalttherapeutischer Arbeit häufig angewendet wird. Dann ist dem Problem aus einem anderen Blickwinkel nachzugehen: Was im Leben ist zu wenig oder wovon gibt es zu wenig? Nun treten andere, oft überraschende Aspekte in den Vordergrund…es ist möglich, dem Kern der Problematik so näher zu kommen. „Liebe und Wertschätzung fehlt!“, sagt Frau K. etwa leise, nach einiger Zeit des stummen Sinnens

Machen Sie doch selbst den Test und stellen Sie sich diese Frage: Was ist in meinem Leben zu wenig oder was kommt zu kurz? Versuchen Sie eine Antwort möglichst erst dann, nachdem Sie einige Minuten achtsames Atmen/Körperachtsamkeit oder achtsames Gehen praktiziert haben. Dann fällt die Antwort meist anders aus, dann darf sie aus der Tiefe aufsteigen statt nur dem gewohnten Gedankengang zu folgen: Weil wir so verschaltet sind, dass wir im Alltag  funktionieren müssen, melden sich als erstes nur gewohnte Musterverschaltungen. Antworten aus unserer Tiefe (manche nennen es auch Unterbewusstes oder innere Stimme etc.) brauchen Raum und Zeit… und einen Zugang, den wir über den Atem ( als eine Möglichkeit) legen können.

Und auch kreative Arbeit ( weitere kreative Coachungs und Selbsterfahrungsübungen auf dieser Seite) mit Vorstellungen und Imaginationen kann neue Antworten liefern…Probieren Sie auf den ersten Blick vielleicht verrückt oder ungewöhnlich Erscheinendes: lassen Sie doch einmal den Baum vor Ihrem Fenster erzählen, was in Ihrem Leben zu wenig ist…oder geben Sie Ihrem Haustier eine Stimme, es kennt sie wahrscheinlich sehr gut….

Der erste Schritt zur Veränderung, und das klingt beinahe paradox, ist Wahrnehmen und Annehmen, was ist: Hinschauen, sich trauen, nicht mehr im Gestern und noch nicht im Morgen leben…dem Mangel Raum geben, und danach auch der Fülle, damit sie Gehör finden und sich wandeln.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Der hohe Preis fuer ein Gefuehl: Zugehoerigkeit

Manche Seele wurde schon auf dem Altar des Götzen  „Zugehörigkeit“ geopfert. Viel von unserer Lebendigkeit kann auf diesem Altar zurückbleiben: sich zugehörig und verbunden fühlen, sich aufgehoben und geborgen fühlen ist ein menschliches Grundbedürfnis, ja mehr noch ist es die Grundlage unserer Identität, für die gerade erwachsene Kinder von schwierigen  Eltern oft einen hohen Preis bezahlen müssen. Denn: Erst durch die anderen erfahren wir, dass wir sind.  „Anklang zu fühlen macht die eigene Daseinsberechtigung für uns fühlbar und konkret erlebbar.“ ( Gindl 2002, S.15). Da, wo Kinder gesehen, gehört, verstanden und gefühlt werden, dort wo sie eine positive Resonanz erfahren, dort wissen Sie um sich, dort kann sich ihre Identität gedeihlich entwickeln-. In der Kindheit brauchen wir diese selbstverständliche und nicht an Bedingungen gebundene Zugehörigkeit insbesondere.

Wenn Menschen von Beginn ihres Lebens an jedoch erleben müssen, dass sie Bindungssicherheit und Zugehörigkeit nicht selbstverständlich von den Eltern erhalten, dann kann eine tiefe Beziehungswunde entstehen…eine Wunde, die oftmals nur schwer verheilt. Betroffene kämpfen ein Leben lang um dieses existentielle Gut, in ihrer Familie dazuzugehören, ebenso später zu Gruppen, sozialen Systemen oder zu einem Einzelnen. Da oftmals ähnliche Strukturen wie die familiär bekannten gesucht werden, stoßen manche wieder und wieder auf Menschen und Institutionen, die für wenig Zuwendung viel verlangen: Leisten ohne Anerkennung, Unterwerfung, Aufgeben eigener Bedürfnisse, Geheimnisse tragen und verschweigen etc….Verschweigen von Unliebsamem und Falschaussagen, schweigendes Abnicken sind hier an der Tagesordnung und gleichsam Eintrittskarten, um in den Kreis der Dazuhörigen zu gelangen. Erneut drohen derart Betroffene, zu Erfüllungsgehilfen zu werden: von Menschen, die sie für sich (miss)brauchen.

Was hilft? In Studien beschreiben Betroffene Hilfefaktoren ( s.a. AWOKADO-Konzept/Barnowski-Geiser). Ihnen hatte geholfen: die Wunde anzuerkennen, sie zu pflegen und betrauern, neuen Anklang zu finden, das war möglich in neuen „Anderen“, in Therapeuten oder neuen Vertrauten… und auch in Musik, durch die sie ihr seelisches Erleben gespiegelt fühlten. Dann konnte die Musik erzählen, wofür es keine Worte gab.

 „Vor der Therapie war ich hinter einer hohen Mauer gefangen, alles war grau. Ich bin im Kreisen um mein Gewicht gefangen, ich hungere, ich werde immer dünner – das Leben macht kaum Sinn.“ Sie holt das Monochord. „Als ich in der ersten Stunde dieses Monochord angespielt habe, war das ganz unbegreiflich. Ich spürte Schwingung, ich spürte Leben – es erschütterte mich wie es mich faszinierte. Ein einziger Ton, so wenig und so viel – die Hoffnung auf eine grüne Wiese, die Hoffnung auf Leben!“ (Barnowski-Geiser 2009)

In diesem Beispiel aus der musiktherapeutischen Praxis eröffnet ein einziger Ton eine zukünftige Dimension: die Hoffnung auf einen Wandel des eigenen Erlebens. „Mit der tönenden Verarbeitung beginnt der zukünftige Umgang mit etwas Ungelöstem.“ (Hegi 1986, S.153) Das ist Lebensqualität. Gesehen und gehört Werden, eine neue Bindungserfahrung machen Im AWOKADO-Konzept steht das zweite A für den hier beschriebenen Hilfe-Faktor Anklang.

  „Es war sehr ungewöhnlich für mich, dass ich etwas sage und jemand darauf eingeht. Früher habe ich meistens etwas gesagt und niemand schien hinzuhören, niemand schien etwas von mir hören zu wollen – schon gar nicht die Wahrheit. So habe ich irgendwann geschwiegen und war ein stummes Kind. Dieses Echo hier ( in der Therapie, Anm. d. Verf.) hat mir Mut gemacht, etwas zu äußern.“ (Barnowski-Geiser 2009)

Auch in musiktherapeutischer Improvisation können neue Resonanzerfahrungen möglich werden: Sie spielen etwa einen Ton, der wiedergibt, wie Sie sich fühlen und jemand anderes antwortet mit seinem Ton; es entsteht Zusammenklang. Während Sie sich selber hören, erfahren Sie sich und den anderen und im Spiel entsteht bereits ein neuer gemeinsamer Klang, eine Urerfahrung der Identitätsentwicklung kann nachgeholt werden, neue Beziehungserfahrungen auf spielerischem Wege möglich werden. Alte Wunden erhalten eine Chance auf Heilung.

Eine gute Zeit wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

„Nicht müde werden“ – Hoffnung zwischen Ohnmacht und Wunder

Nicht müde werden

sondern dem Wunder

leise

wie einem Vogel

die Hand hinhalten.

Hilde Domin

 

Diese Zeilen der verstorbenen Dichterin Hilde Domin fand ich dieser Tage bei Recherchen für unser neues Musikprogramm wieder. Diese Zeilen sind mir kostbar; und sie erscheinen mir wertvoll für Menschen, die Krisen erleben, gerade für Menschen mit Kindheitsbelastungen. Wer mit erkrankten Eltern aufwuchs, der kennt Müdigkeit, Erschöpfung und ein Gefühl, die Belastung nicht länger tragen zu können, zur Genüge. Und immer wieder erzählen betroffene Menschen von ihrer nicht versiegenden Hoffnung, ihren persönlichen Wundern, Ereignissen und Einstellungsveränderungen, die zumindest einem Wunder gleichen.

In manchen endlos erscheinenden Dauerkrisen mit erkrankten Angehörigen braucht es diesen Glauben und den Mut, dem Wunder die Hand hinzuhalten. Beides möchte ich in dieser Woche als Begleiter auf Ihre Wege schicken,

herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Bücher  der Blogautorin zum Themenkreis der Angehörigenbelastung hier

Neue Wege gehen: Körper und Geist versöhnen

Kommt Ihnen das bekannt vor?…Sie wissen „alles“ über Problemfamilien und Störungsbilder, sie kennen unzählige Fakten über Kindheit, ihre Ursachen und familiäre Dynamik, Sie sind womöglich sogar in einem einschlägigen sozialen Berufsfeld gelandet…aber wenig können sie wirklich fühlen, leiden unter dem Gefühl, all Ihrem Wissen auf der persönlichen Ebene allenfalls Verdrängung entgegensetzen zu können, Ihr Körper ist Ihnen nicht geheuer, wirkt wie ein schlummernder Feind, der allenfalls unter Kontrolle gebracht werden muss?… Damit sind Sie nicht allein, denn so geht es vielen betroffenen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien.

Heute ist womöglich der Zeitpunkt gekommen,  nicht mehr endlos das in der Vergangenheit Geschehene zu drehen, wenden und bearbeiten. Dann ist es vielleicht an der Zeit, das „Kreisen um das Gestern“ übend loszulassen und durch neue Erfahrungen zu ersetzen. Damit auch dies nicht „bloße“ Theorie bleibt, ist Ihre Aktivität gefordert…es braucht den Mut, übend neue Erfahrungen zu machen, gleichsam auf Neustart zu gehen, zu re-setten in neudeutsch, im Inneren  umzustrukturieren. Anregungen dazu finden sich auch in der Praxis der Achtsamkeit, wie sie etwa Thich Nhat Hanh vorstellt und über Jahrtausende erprobt und geübt wurde. Vielleicht sagen Sie nun: kenne ich schon alles…ja, aber üben Sie auch tatsächlich? Leben Sie achtsam oder wissen Sie nur darum?

Wie eine liebende Mutter, die für einige Tage ihr Kind verlassen musste, zu ihrem Kind heimkehre  und es zärtlich in die Arme nimmt, so könne nun der Geist den Körper in die Arme nehmen, beschreibt Thich Nhat Hanh diesen Prozess auf liebevolle Weise. Insbesondere, wenn die Anspannung im Körper eingeladen wird, zu gehen und wir sie loslassen, (vielleicht zunächst nur einen Atemzug lang) kann dies nach meinen Erfahrungen  heilsam wirken auf Kindheitsbelastete. Regelmäßig angewendet kann sie zur späten Versöhnung zwischen Körper und Geist führen, auf einmal fühlen sich Betroffene „anders, lebendiger, wacher“. Das Neuartige wirkt weiter in der Weise, wie Betroffene nun achtsamer sprechen und ihre Welt anders wahrnehmen und gestalten. Es findet ein grundlegender Perspektivwechsel statt.

Untersuchungen zeigen, „dass der Körper, wie er im Gehirn repräsentiert ist, möglicherweise das unentbehrliche Bezugssystem für neuronale Prozesse bildet, die wir als Bewusstsein erleben; „dass unser eigener Organismus und nicht irgendeine absolute äußere Realität den Orientierungsrahmen abgibt für die Konstruktion, die wir von unserer Umgebung anfertigen, und für die Konstruktion der allgegenwärtigen Subjektivität, die wesentlicher Bestandteil unserer Erfahrungen ist; dass sich unsere erhabensten Gedanken und größten Taten, unsere höchsten Freuden und tiefsten Verzweiflungen den Körper als Maßstab nehmen.“ (Damasio 1997, S.17)

 Meist wird der Körper von Menschen mit Kindheitsbelastungen erst dann wahrgenommen, wenn er in seiner Funktion gestört ist. Vom „Leib, der ich bin“  wird er zum „Körper, den ich habe“. (Fuchs 2000b) Während der gesunde Körper im Hintergrund als selbstverständliche und selbstvergessene Existenz scheinbar nicht beachtet werden muss, rückt der kranke Körper als Feindbild nun in den Blick: als außerhalb der eigenen Person liegendes Problemfeld. Der Psychiater Fuchs beschreibt Krankheit als gestörte Harmonie, die mit einer Entfremdung, einer Partikularisierung innerhalb der Leiblichkeit einhergehe. (Fuchs 2000). Und auch der Hirnforscher Damasio schreibt: „Die Seele atmet durch den Körper und Leiden findet im Fleisch statt, egal ob es in der Haut oder in der Vorstellung beginnt.“ (Damasio 1997, S.19) Im Umkehrschluss meint somit Integration des Körpers, „ihn als Teil der eigenen Innenwelt anzuerkennen und ihn nicht nur als ein Ding, als einen Gegenstand, einen biologischen Organismus, also als Teil der Außenwelt (was der Körper natürlich auch ist), zu behandeln.“ (Seemann 1998, S.17) Menschen entwicklen unterschiedliche Schwerpunkte, werden Kopf- oder Gefühlsmenschen etc. Der Körper kann nicht losgelöst vom Fühlen und Denken Betroffener angesehen werden: mit Hilfe  des Geistes können wir den Körper gleichsam nach Hause holen, ihn wieder anbinden ( s.a. Kreative Selbsterfahrung: Der Anker in meinem Körper).

Eine gute Woche und Sonniges an diesem Feiertag wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Und wie lieben Sie?

Ich hab‘ ein zärtliches Gefühl
für jede Frau, für jeden Mann
für jeden Menschen, wenn er nur
vollkommen wehrlos lieben kann

Hermann van Veen

Neulich spielte mir eine Freundin diesen Song vor. Der Song berührte mich, auch wenn er nun zu den „Oldies“ gehört…An wen Hermann van Veen bei diesen Zeilen wohl gedacht haben mag? Eine wunderbare  Beschreibung…vollkommen wehrlos lieben. Eine Beschreibung, die ich heute mit Ihnen, liebe LeserIn des Blogs, teilen mag. Mit dieser Formulierung macht Songpoet Van Veen uns eigentlich Unbeschreibliches begreifbar: die Selbstaufgabe etwa, die mit einer großen Liebe einhergehen kann, ein sich verletzbar und angreifbar Machen, ein Öffnen bis hin zur Wehrlosigkeit, in einer Unschuld, die dieser Art zu lieben ureigen scheint…

Diese Art zu lieben begegnet mir oft zwischen Kindern und ihren Eltern, auch und gerade dort, wo man sie nicht vermutet: Gerade dort, wo schwere Erkrankungen oder Belastungen beheimatet sind, die die mitbetroffenen KInder schwer betreffen. Sehr häufig wird diese besondere Fähigkeit, zu lieben, übersehen: in den Familien wie in Therapien, oder gesehen und abgewertet. Gefangen in der Ambivalenz zwischen Liebe und Hass droht das Gefühl der Liebe überhaupt verteufelt zu werden: die Liebe wird schuldig gesprochen, gilt als Mit-Verursacher des persönlichen Dramas in der familiären Enge. Habe ich meinen kranken Vater mit in die Sucht geliebt?, fragt sich dann manch ein Kindheitsbelasteter quälend und auf verquere Weise wird, unterstützt durch ähnlich verquere therapeutische Intervention, aus einem liebenden Angehörigen ein Verursacher, etwa der elterlichen Sucht… anstatt ihn zu sehen als denjenigen, dem in seiner Liebe Schlimmes widerfuhr oder noch widerfährt…

Lieben und zugleich  auf die eigene Grenze achten stellt für erwachsene Kinder belasteter Eltern eine große Herausforderung dar: und vor allem die Herausforderung,  das von van Veen besungene zärtliche Gefühl für die eigene Liebesfähigkeit zu bewahren…oder es heute erstmals aufkeimen zu lassen. Es erfordert immer wieder den Mut der betroffenen Kinder: spätestens,  wenn das Wagnis der Liebe mit anderen Menschen neu eingegegangen werden will. Menschen gehen oftmals Beziehungen ein, aber nicht unbedingt Bindungen oder Lieben…Und wie lieben Sie?

Anbei ein Link zu einer frühen Aufnahme des Songs,

herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Wagen Sie den Bungeejump für Kindheitsbelastete…sagen Sie: „Ich genüge!“

Unsere Herkunft prägt unsere Zukunft. Unsere Herkunftsfamilie prägt, wer wir sind…und noch vielmehr, wer wir zu sein glauben. Als die- oder derjenige wir im familiären System unserer Kindheit gehandelt wurden, sehen wir uns oft noch im hohen Erwachsenenalter: Sündenbock, Sonnerschein, Versager, Hexe…die Rollen, die zugeschrieben werden, sind ebenso vielfältig wie oftmals überhaupt nicht auf das betreffende Kind zutreffend ( s.a. Barnowski-Geiser/Vater, Mutter, Sucht und Wegscheider). Und diese einmal erfolgten Rollenzuschreibungen und ihre Übernahmen halten sich doch hartnäckig: starre Rollenübernahmen und Zuweisungen wirken in desolaten Familiensystemen offenbar Halt gebend für die Kinder sind sie oftmals das einzig Aufmerksamkeit versprechende Korsett.

Gerade besonders belastete Eltern haben oftmals Mühe,  ein gelingendes Leben zu führen:  tragisch naheliegend, diese schwierige Aufgabe nun an die Kinder weiterzugeben, zu delegieren..und bei weiterem Nichtgelingen des elterlichen Lebens auch das Versagen und die Schuld daran an die Kinder zu geben. Unbewusst meist, ohne Worte, als stummer Vorwurf. Den Eltern ein gutes Leben zu ermöglichen…für diese Aufgabe rackern viele dieser Kinder ihr Leben lang, bis zur Selbstaufgabe, unermüdlich, tragischerweise erfolglos meist: Belastete Eltern seien oftmals wie ein Fass ohne Boden, nimmersatt und nie zufrieden,  so beschreiben es betroffene Kinder. Sie geben hinein und hinein und das Angebotene scheint durch die Eltern wundersam hindurchzufallen, ohne je auf einen fruchtbaren Boden zu fallen, verschluckt im Nichts…die süchtige Mutter bleibt süchtig und unzufrieden, der depressive Vater bleibt in Depression und in seinem Weltschmerz, trotz aller großen Anstrengung: aussichtslos! Gerade, weil so vieles eigentlich eine elterliche Aufgabe wäre, die ungetan bleibt, wird das Geschehene in einen Tarnmantel aus Scham gehüllt. Das erwachsen gewordene Kind spürt, wenn die elterliche Beziehung in der bekannten Weise bestehen bleibt, kaum Veränderung: es ist und bleibt nie genug! Aus diesem wiederholt erlebten Nicht-Genügen ( und der Anklang an die Zeugnisnote ungenügend ist nicht zufällig) wird leicht persönliches Versagen, ein chronisches „Ich genüge nicht!“.  Diese existenzielle Erfahrung drohen Betroffene zu generalisieren, sie übertragen sie auf weitere Bereiche, auf ihre Arbeit etwa oder ihre Partnerschaften und nahen Beziehungen.  Mit weitreichend negativen Folgen: erfolglose Anstrengung erschöpft, Dauerfrustration kann in eigene Erkrankung führen (Forschungen belegen das hohe Risiko der betroffenen Kinder).

     Vielleicht finden Sie sich in diesen Beschreibungen wieder? Dann machen Sie den heutigen Tag doch zum ersten Tag Ihres neuen Lebens: Schauen Sie mit offenem und klaren Blick, würdigen Sie, was Sie an Einsatz geleistet haben…und lassen es nun dort, wo es nucht gewürdigt werden kann oder wird, genug sein.Vielleicht stimmt auch für Sie die Aussage: Ich habe sehr viel gegeben, aber leider waren meine Eltern nicht in der Lage, das zu würdigen oder anzunehmen...Sie können eines ab jetzt anders machen: in Ihrer inneren Bewertung und Zuschreibung. Mit dem verstorbenen Roger Willemsen ( Wer wir waren) mag ich Sie einladen, Ihre Gegenwart aus der Zukunftsperspektive zu betrachten…und aktiv zu ändern.

„Erspare ich mir die müßige Frage danach, wie wir wohl künftig sein werden, und nutze die Zukunft vielmehr als die Perspektive meiner Betrachtung der Gegenwart, dann werde ich nicht mehr fragen, wer wir sind, sondern wer wir gewesen sein werden. Nachzeitig werde ich schauen, aus der Perspektive dessen, der sich seiner Zukunft berauben will, weil sie ihn schauert, im Vorauslaufen zurückblickend, um sich so besser  erkennen zu können, und zwar in den Blicken derer, die man enttäuscht haben wird.“ ( Willemsen, S.24f)

   Willemsen hat treffende Worte gefunden, um gesellschaftliche Entwicklungen zu charakterisieren; manche Perspektive scheint wertvoll im Kontext der belasteten Familie… „Nichtwissen im Wissen zu behaupten; nicht gewusst zu haben werden, während man doch wusste.“ ( S.10)

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihr Wissen für sich nutzen können.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser, Mehr erfahren, Sie möchten mehr lesen und Bücher bestellen

Achtung: Worte gestalten Ihre Welt..und Ihre Beziehungen

Ist eine Beziehung zu Ende gegangen, so erleben das die Beteiligten oft als  schwerwiegendes Ereignis. Wenn diese Menschen über das Beziehungsende sprechen, treten meist ihre inneren Bewertungen zutage. Auffallend oft bewerten Menschen mit Kindheitsbelastungen ein Beziehungsende negativ oder/und als ihr persönliches Versagen: „Ich bin schon wieder gescheitert!“ oder  „Ich habe komplett versagt!“, heißt es dann. Wenn sie ihre Geschichte erzählen, ist auffallend, dass andere Menschen ihnen wiederholt Beschämendes antaten, was das Maß des Erträglichen weit überschritt oder auch dass andere Menschen sich mit Schuld beluden. Natürlich kann es wertvoll sein und ist unabdingbar, in einer Beziehung den eigenen Anteil zu beleuchten: Kinder schwieriger Eltern haben offenbar jedoch oftmals erlernt, unabhängig von der Sach-und Beziehungslage, sich selbst alle Schuld und alleinige Verantwortung zuzuschreiben. Sie nehmen dieses schwere Bewertungspaket mit in ihre nächsten Beziehungen und in ihr Bild von sich selbst…negative Zuschreibungen prägen ihre Identität. Manche können, nachdem sie diesen unguten Mechanismus durchdrungen haben, zu einer anderen Einschätzung kommen:

„Ich habe mich weiterentwickelt und dann hat unsere Beziehung nicht mehr gepasst!“, heißt es dann etwa.

Wie wir Ereignisse bewerten und dies in Worte fassen, wie wir es zur Sprache bringen, gestaltet maßgeblich unsere Welt und unsere Lebensqualität. Aussagen über unsere Beziehungen und Taten sind Aussagen über unser Denken und Bewerten…Achtsamkeit ist auch hier ein zentraler Schlüssel zum besseren Leben.

Wie Sprache Identität bildet, hat Ilse Orth, Integrative Therapeutin, in einem lesenswerten Aufsatz 2009 dargestellt. Bei weiterführendem Interesse empfehle ich Frau Orths Text zur weiblichen Identitätsbildung.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Weitere Bücher der Autorin zur Thematik  hier

 

Schwierige Kindheit – als Erwachsener krank?Wie unser Körper vom Gestern erzählt

Er weiss alles, was dir gut tut und was nicht.

Keiner kennt dich so wie er.

Er folgt dir treu auf Schritt und Tritt.

Er vergisst nicht.

Er leistet unfassbar viel für dich.

So einen Freund hätten sie gern an Ihrer Seite? Sie haben Ihn schon: Ihren Körper.   Ihr Körper macht all das ein Leben lang: da er jedoch auch die Gefühle und Wahrheiten zu schwierigen Familiensitutionen erzählt, bezeugt und erinnert steht er in belasteten Familien leicht in der feindlichen Ecke: der Körper wird kurzerhand zum Verräter erklärt, wo Fassaden aufgebaut werden. Kinder aus belasteten, tabuisierenden Familiensystemen verinnerlichen diese Sicht irgendwann: sie beäugen ihren eigenen Körper kritisch, misstrauisch, glauben ihm nicht… Die inzwischen verstorbene Tanztherapeutin Trude Schoop beschrieb den Körper in diesem Sinne als eine „Klatschbase“: und der Körper kann auch dann noch zum ersten Mal erzählen, wenn das Belastende lange vorbei ist. Wenn Körper und Seele nicht mehr weiterwissen, kann das in Krankheit münden: auch als Spätfolge im Erwachsenenalter…Mehr dazu in einem lesenswerten Artikel der Sueddeutschen Zeitung

http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/vernachlaessigung-spurenharter-kindheit-1.2056976

Wie man doch noch gut Freund mit dem Körper werden kann, zeigt Hanne Seemann in ihrem lesenswerten Buch.

Und was hilft nun heute, fragen Sie sich zurecht…wie würden Sie einen alten verletzten Freund behandeln? Pflegen, verstehen, was ihm wiederfuhr, trösten…Seien Sie gut zu Ihrem Freund, dem Körper…eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Wut: ein Gefühl unter Generalverdacht

Kinder belasteter Eltern leiden unter vielem. Ein großes und oftmals wenig beachtetes Leiden ist ihr Leiden am Gefühl: Gefühle werden in belasteten Familien, gerade da sie Betroffenen oftmals übergroß erscheinen, in die feindliche Ecke gestellt. Gefühle seien  tunlichst zu vermeiden, lautet dann die offen oder unausgesprochene, in jedem Fall allzeit angesagte Familienbotschaft. Wenn diejenigen Gefühle, die Eltern überhaupt zeigten, dann noch zu den vor allem negativ erlebten gehören, führt das bei ihren Kindern leicht dazu,  Gefühle generell misstrauisch zu beäugen; in der Folge werden Gefühle  oftmals abgespalten oder nicht gelebt. Zu den derart negativ besetzten Gefühl muss die Wut gezählt werdeb: sie gerät, so zeigt sich bei erwachsenen Kindern aus belasteten Familien, unter Generalverdacht.

Herr S. hatte einen cholerischen Vater, der in seiner rasenden Wut zu Gewalttätigkeiten neigte. Niemals, so hat Herr S. sich geschworen, will er werden wie sein Vater. In seinen Schilderungen wird deutlich, dass er sich jedoch nicht nur (und das ist ja auch gut und sinnvoll) die dem Vater zueigene Cholerik verbietet, sondern jedes ärgerliche Gefühl: jede wütende und aggressive Anmutung hat er sich untersagt. Das blieb nicht folgenlos. Herr S. fühlt sich seit langem wie in einem Korsett, leidet unter extremen Verspannungen: ein lebenserhaltendes Gefühl, Wut und Aggression, ist komplett blockiert, ist eingesperrt. Er fühle sich oft wie ein Tiger im Käfig, beschreibt Herr S..

Erwachsene Kinder belasteter Eltern stehen vor der schwierigen Aufgabe, ihre Gefühlswelt und deren Bewertung neu zu prüfen. Manchmal erfordert dies Rückmeldung von anderen Menschen: denn in ihrer Selbstzuschreibung werden diese erwachsenen Kinder sich meist wenig gerecht. Ärgerlich Werden ist in ihrer Selbstzuschreibung dem väterlichen Tobsuchtsanfall gleichgestellt. Oft sind sie permanent damit beschäftigt, bloß nicht wütend zu werden, keine Wut zu zeigen, gefolgt vom Ärger über das Fühlen. Wut droht so ungelebt zu bleiben, findet keinen Ausdruck, keinen neuen Weg: etwa sich aufregen dürfen, ohne andere zu verletzen, sich selbst in seinem Ärger zuzuhören statt maßzuregeln etc.

Vielleicht ist es auch für Sie an der Zeit, Ihren Umgang mit  Wut zu beobachten…vielleicht ist ja auch für Ihre Gefühle Freispruch  nach Jahren der Anklage angesagt?

Sonnige Momente im Regen wünscht

IHre

Waltraut Barnowski-Geiser

Schwierige Eltern…warum es helfen kann, die Perspektive zu wechseln

Frau I. ist es leid, sagt sie: alles habe sie versucht, aber ihre Mutter trinke weiter mehr als ihr gut tue, sei mit nichts zufrieden, ihre Besuche seien der Mutter nie genug… während die Mutter zugleich vermittle, dass sie, die Tochter, ihr schon immer zuviel sei, eine Belastung für die früh Mutter gewordene… und zudem mache die Mutter sie verantwortlich dafür, dass ihr Leben durch die Geburt des Kindes aus den Fugen geraten sei. Zum ersten Mal dämmert Frau I.: Frau I. kann die Mutter nicht verändern, die Mutter wird voraussichtlich bleiben wie sie seit vielen Jahrzehnten ist, nur sie selbst kann sich ändern…

Nicht nur Kinder können schwierig sein, sondern auch Eltern…Wenn das Zusammenleben und treffen mit Eltern ein Leben lang schwierig ist, kann das viele Ursachen haben. Diese Schwierigkeit kann im subjektiven Erleben des Kindes begründet liegen, in einer ungünstigen Passung ( s.a. Geiser-Heinrichs 2017), aber auch in schwerwiegenden Belastungen und Störungen, die die Eltern selbst tragen. Letztere sind oftmals wenig im Blick und können für  Angehörige, insbesondere für die Kinder, zur großen Lebenserschwernis werden. Ob diese Belastung nun Sucht, psychisches Problem, chronische Erkrankung, Traumatisierung oder Bindungsstörung heißt, ob sie mit einer Diagnose belegt wurde oder auch nie offiziell benannt wird: die betroffenen Kinder können bei aller Schwere und erlebter Hilflosigkeit, wenn sie alt genug sind, immerhin ihre Perspektive, ihre Haltung und ihre Einstellung zu den elterlichen Schwierigkeiten verändern. Einige hilfreiche Perspektivwechsel, die Betroffene wiederholt als erfolgreich beschrieben, seien hier, (auch wenn sie nicht als allgemeingültiges, alleiniges und einfaches Rezept verstanden sein wollen) als Anregung auf Ihren persönlichen Weg zum besseren Leben gegeben:

Einen Schritt zurücktreten…aus einem Abstand heraus die Situation mit dem schwierigen Elternteil betrachten…in einer konzentrierten Zurückgezogenheit den Konflikt neu ansehen…sich die Beziehung mit dem schwierigen Elternteil als Tanz auf einer Bühne imaginieren…sich in die Schuhe der Eltern stellen: die eigene Lebensgeschichte aus der Sicht von Mutter oder Vater erzählen…Loslassen: nicht mehr um Beziehung ringen, sondern sich anderen Dingen und Menschen zuwenden, bei denen man Freude verspürt…die Bedeutsamkeit der schwierigen Beziehung relativieren…sich selbst, vielleicht erstmals, in den Mittelpunkt der eigenen Aufmerksamkeit stellen…nicht mehr darauf hoffen, dass sich die Eltern ändern, sondern sich selbst verändern…die Kontrolle über das elterliche Verhalten ( zum Beispiel Trinken) loslassen…sich nicht selbst die Schuld geben…mit anderen sprechen statt sich hinter Burgmauern zu verbarrikaridieren…die Scham bei demjenigen lassen, zu dem sie gehört…, wenn Sie es bislang mit Härte versucht haben, probieren Sie die Weichheit als Weg ( und umgekehrt)…den Blick richten auf das, was mit dem schwierigen oder erkrankten Elternteil noch geht und dies zusammen machen statt  wieder und wieder den Mangel und die Enttäuschung zu  fokussieren und wiederholen…

Perspektivwechsel durch Imaginationen auch in Alman/Lambrou: Selbsthypnose. Ein Handbuch zur Selbsttherapie.

Eine gute Woche und den Mut, neue Perspektiven zu wagen wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

„Du musst vergeben!“- Fragwürdiges rund um elterliche Schuld und Vergebung

In einigen Szenen ist es en vogue: als Lösung zu jedwedem Problem, vor allem auch zu Kindheitsproblemen, wird das Verzeihen angepriesen. So lautet es vollmundig „Du musst verzeihen!“ oder „Vergib und Deine Heilung erfolgt!“, „Verneigen Sie sich vor den Tätern!“ etc.  Gerade Menschen mit schwierigen Kindheitserfahrungen scheinen dabei gefährdet, in den Dunstkreis von Szenen zu geraten, in denen scheinbar einfache Heilsversprechen propagiert werden. In der Praxis zeigt sich jedoch: Heilung und Hilfe bei negativen Kindheitserfahrungen ist in der Regel nicht durch einen einzigen Akt machbar, noch weniger  „einfach“ und schnell“, noch weniger ohne jede Aufarbeitung und Differenzierung – im Gegenteil birgt dies die Gefahr, neuerlich zu verletzen, zu traumatisieren, zu übergehen und gerade diejenigen zu schmälern, denen ohgnehin ( oft über Jahrzehnte) etwas angetan wurde… Wie beispielsweise soll etwas verziehen werden, das es laut der familiären Erzählung gar nicht gegeben haben soll, was also unter den Mantel des Tabus getarnt wurde oder wird. Ein großes Thema…

Einen  differenzierten Weg der eigenen Bewältigung zeigt Svenja Plasspöhler in ihrem Buch Verzeihen. Vom Umgang mit Schuld Auf wunderbare Weise gelingt ihr ein eindrücklicher Brückenschlag zwischen selbst Erlebtem in der Kindheit (die Mutter verlässt die Familie wegen eines neuen Partners, als die Autorin 14 Jahre alt ist) und kollektiv erfahrener Schuld. Auf ihrer Spurensuche geleitet uns die Autorin durch vielschichtige Schuldlandschaften: zwischen Erkundungen im Nachhall eines Amoklaufs etwa und anderen monströsen Abgründen reflektiert sie die Schuldfrage immer wieder neu anhand ihres eigenen Leides, das sie mit ihrer Mutter durchlebte. So konnte ein Kaleidoskop des Verzeihens entstehen, das sich zwischen verstehen, lieben, vergessen (müssen) bewegt, mehrperspektivisch aufbereitet zwischen Philosophie, Ethik und biografischer Familiengeschichte. Ein Buch, das ich Kindheitsbelasteten, die sich mit Schuldfragen und Vergeben ( müssen) plagen, sehr ans Herz lege.

Eine gute Woche, mit Sonnenmomenten im Regen, Wärmendem in der Kälte wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Sie essen und werden nicht satt?Hunger stillen…einmal anders

„Das kleine Kind, das etwas erlitten hat, wohnt weiter in uns Erwachsenen: Je mehr es erlitten hat. je mehr es vernachlässigt und überhört wurde, umso mehr braucht es unsere Aufmerksamkeit heute“ (Barnowski-Geiser/Geiser-Heinrichs 2017: Meine schwierige Mutter. Das Buch für erwachsene Töchter und Söhne. Klett-Cotta).

„Ich esse und esse und werde nicht satt!“, erzählt eine 33jährige junge Frau, inzwischen Mutter zweier Kleinkinder. „Und für dieses Schlingen und essen schäme ich mich dann so sehr…ich mag auch nicht darüber reden. Ich habe schon viele Diäten probiert, das nützt nichts. Ich versage immer wieder!“

Bei manchen Menschen hilft der Blick auf ihre emotionale Lage und oftmals auf die emotionale Biografie, also die Geschichte der Gefühle und Stimmungen. Manchmal haben derartige Essprobleme ihre Wurzeln in der Kindheit. Frau R. ist erwachsene Tochter eines Alkoholikers. Diese Frauen tragen, so zeigen Forschungen, ein erhöhtes Risiko, Ess-Störungen zu entwickeln. Frau R. versucht ihr Problem über eine vertraute Strategie zu lösen: durch erhöhte Kontrolle. Sie gerät in einen unguten Kreislauf zwischen Maßlosigkeit,Kontrolle, Scham. Obwohl sie relativ normalgewichtig ist, schämt sie sich inzwischen für ihren Körper und hat immer weniger Selbstbewusstsein. Ihr neuer Weg setzt auf einer tieferen Ebene an. Dieser neue Weg führt über Zu-und Hinwendung. Frau R. mag das täglich als Programm üben, indem sie jeweils mittags und vor größeren Mahlzeiten folgende Übung durchführt:

1.Atem beruhigen und wahrnehmen: wie fühle ich mich gerade? (Frau R. malt das in ein Kreatives Begleitbuch als Farbe)

2. Was brauche ich jetzt? ( Frau R. gestaltet auch dies farbig)

3.Was kann ich für mich tun, was tut mir gut? Frage beantworten und aktiv Tun

Diese und andere Übungen klingen einfach: für Kindheitsbelastete sind Sie oft gefühlt der Mount Everest. Diese Übungen können Sie, regelmäßig angewendet, effektiv unterstützen ( weitere Kreative Selbsterfahrungsübungen auf dieser Seite und in meinen Büchern.

Übrigens ist das ebenso ein Männerthema: Söhne trinkender Väter haben ein deutlich erhöhtes Risiko, selbst zu Alkoholikern zu werden.  Der Kern des Problems ist in diesen Fällen derselbe: statt Essen wird hier Trinken eingesetzt. Die vorab beschriebene Übung ist hier ebenso sinnvoll. Und: emotionaler Hunger ( hier aus Kindheitstagen) betrifft nicht nur Menschen aus Suchtfamilien.

Ich wünsche Ihnen an den Ostertagen Zeit, in sich hineinzuspüren, Ihren Bedürfnissen zu folgen und den Mut, Neues zu probieren: es lohnt sich!

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Stress im Doppelpack – Sucht meets Beziehungsabhängigkeit

Wenn Sucht/ psychische Erkrankung und Beziehungsabhängigkeit sich vermählen, bedeutet das für Kinder, die aus dieser Ehe hervorgehen, meist Stress im Doppelpack.

Wenn ein Elternteil eine schwere Belastung in die Familie bringt, etwa eine Sucht, eine psychische Erkrankung o.ä., so steht dieses Elternteil, wenn es um die Einschätzung der eigenen kindlichen Belastung geht,  im Fokus.  Wenig im Blick ist dann oftmals, dass auch der andere Elternteil, dessen Belastung  vielleicht weniger augenfällig ist, entscheidend dafür sein kann, wie Sie sich als Kind fühlten und entwickelten. War wenigstens ein Elternteil gesund und stabil, wird dies eine besonders wichtige Säule in Ihrem Leben gewesen sein oder auch aktuell noch sein. Ist der 2. Elternteil  ebenfalls erkrankt oder belastet, so potenziert sich die Belastung für die Kinder, wie Studien und Forschungen eindrücklich zeigen; das Risiko für eigene Erkrankung und Folgen für mitbetroffene Kinder steigt, die Lebensqualität beschreiben Betroffene als außerordentlich belastet.

Eine besondere Bedeutung kommt dem Maß der Abhängigkeit zu, in dem sich die Eltern miteinander befinden. Wenig erkannt und untersucht ist bislang, wie weitreichend die Auswirkungen einer belasteten Kindheit sind, wenn zur sucht/und-oder psychischen Erkrankung des einen Elternteils eine Beziehungsabhängigkeit des anderen Elternteils kommt, die in den Bereich der Bindungsstörung einzuordnen ist (Und manchmal als zusätzliche Erkrankung des Sucht-psychisch Erkrankten, auch Co-Morbidität genannt, auf beiden Seiten dazu kommt). Während ein stabiler Elternteil die Belastungen und Zumutungen, die durch die Sucht des einen Elternteils entstehen, nur bis zu einer bestimmten Obergrenze der Zumutbarkeit ertragen wird, kann tiefverwurzelte Beziehungs-Abhängigkeit ( oft des zweiten Elternteils) eine gefährliche Dynamik entfachen. Sie ist gleichsam das unsichtbare Öl im brennenden Feuer. Kindern wird unwissentlich, oft ohne Worte, vermittelt: Wenn wir Eltern uns trennen, werden wir alle katastrophal untergehen. Die Kinder lernen in diesen unguten Doppelbelastungskonstellationen, dass es kein Entkommen gäbe: Das Beieinanderbleiben wird zum obersten Wert, wichtiger als die Würde und die Gesundheit der Familienmitglieder, vor allem der Kinder. Diese Dynamik wurde zunehmend in Suchtfamilien beschrieben ( v.a. Rennert, Flassbeck, Wilson-Schaef, Barnowski-Geiser), es reicht jedoch über diese hinaus: sie betrifft alle Familien, in denen Eltern mit hochproblematischen Bindungsmustern schwierige Beziehungen eingehen (Barnowski-Geiser/Geiser-Heinrichs 2017)

Die Kinder drohen diese existenziellen Bindungs-Abhängigkeitsmuster mit in ihr Erwachsenenleben zu nehmen, erlebten sie doch kein Modell, das Autonomie und Eigenständigkeit vorlebt, erfuhren sie doch in ihren großen Nöten kaum angemessene Zuwendung oder Trost. Dies erschwert gesundes Erwachsenenleben ungemein, dies erschwert, reife Erwachsenenbeziehungen und Bindungen einzugehen, dies erschwert, notwendige Trennungen nicht als alles zerstörenden Abgrund zu erleben, vor dem Betroffene dann fortwährend auf der Flucht sind: indem sie sich nicht mehr binden, nur oberflächlich binden, starke Ängste ( Eifersucht etc.) entwickeln oder die Ängste in Süchten kompensieren.

Wenn Sie an sich selbst feststellen, das Sie immer weiter an Menschen festhalten, die Ihnen eher schaden als gut tun, kann der Blick auf die Dynamik zwischen Ihren Eltern wichtig werden. Erkannte Beziehungsabhängigkeit kann gewandelt werden, wenn es möglich wird, sie zu benennen und beschreiben… und vor allem: sie muss dann nicht von Generation zu Generation als unvermeidbares Vermächtnis weitergegeben werden. Der ehrliche, umfassende Blick auf uns selbst, verstehen können, wer und wie wir wirklich sind, führt meist in die Generation vor uns: nicht, um Schuld zu verteilen und anzuklagen, sondern um im Verstehen der generationalen Dynamik Neues im Jetzt und für die Zukunft möglich werden zu lassen.

Eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Gut in Deckung? Vom Schutz in familiären Dauerstürmen und anderen Katastrophen

Wenn Herr N, 34 jähriger Mathematiker, die Atmosphäre in seiner Herkunftsfamilie beschreibt, dann könnte man denken, man habe es mit einer Katatstrophenmeldung zu tun. „Meine Mutter ist ein Tornado!“, erzählt Herr N, „Wenn sie loslegt, fühlen wir uns alle vernichtet, kein Stein steht mehr auf dem anderen. Und das Schlimme ist: nach dem Tornado ist vor dem Tornado.“

Elterliche Tornados können tiefe Spuren hinterlassen ( Buch zum Thema).In Kindern, die die Kindheitsjahre hindurch mit einem besonders schwierigen Elternteil überstehen mussten (und manchmal dieser Belastung weit ins Erwachsenenalter hinein ausgesetzt sind), können diese Erfahrungen  nachhaltig wirksam bleiben, insbesondere, wenn sie über Jahrzehnte, oftmals ohne jede Zuwendung von Außen durchlebt werden mussten. Oft haben diese Eltern selbst als Kinder Dinge erlebt, die sie nicht verkraftet haben: ihr Blick auf ihre elterlichen Aufgaben, die sich z.B. mit Trösten und Halten, mit einfühlendem auf das Kind Eingehen beschreiben lassen, ist dann meist verstellt. Im Gegenteil fordern diese Eltern diese Qualitäten sogar von ihren Kindern selbst ein.

Was tun? Schutz ist von Nöten. Kinder verfügen teils über günstige Widerstandskräfte. sogenannte Resilienzen. Was tun, wenn die Belastung bis ins Erwachsenenalter anhält? Schauen wir pragmatisch. Was rät man Menschen, die in klimatisch schwierigen Gegenden reisen wollen: möglichst die Gegend meiden. Menschen, die dort beheimatet sind, rät man fortzugehen, wenn möglich oder entsprechenden Schutz aufzubauen ( die Seele findet Wege, indem sie etwa nicht mehr wahrnimmt)- aus therapeutischer Arbeit kennen Sie vielleicht die Arbeit mit imaginären Schutzräumen ( dazu auch Bücher von Reddemann und Huber empfehlenswert). Als Kind können die meisten nicht fort, als Erwachsene jedoch gibt es, auch wenn sich das oftmals anders anfühlt, eine Wahl: Distanzieren kann dann eine not-wendige Option sein. In Ambivalenz zwischen Liebe und Lösen gefangen, stellt dies eine schwierige Herausforderung für Betroffene dar.

Wenn das Leben der Liebe zum erkrankten Elternteil regelmäßig in Zerstörung und Selbstaufgabe mündet, kann es an der Zeit sein, das Kontaktmaß auf ein erträgliches Maß zurückzustufen und so Belastung zu reduzieren ( s.a. Beziehungs-Entlastungs-Diagramm). Herr N beschreibt, dass es ihm helfe,  das Geschehen zu Hause heute endlich zu begreifen… Worte zu finden… die Schwierigkeit bei der Mutter und weniger bei sich selbst zu suchen..und zu wissen, dass er nicht so viel Kraft habe, jeden mütterlichen Tornado mitzuerleben- Selbstschutz durch weniger Besuche laute sein Rezept. Er sei jetzt achtsam auf Tornados gefasst…

Liebe Grüße und Bestes für eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Vor das Vertrauen haben die Götter das Misstrauen gesetzt-Über-Leben zwischen Fakenews und alternativen Fakten

„Du musst Vertrauen haben!“, ist oft als  dogmatische Forderung an Menschen aus belasteten Familien zu vernehmen. Diese würden ja gerne…sie kennen aus ihrer Kindheit oft so verzerrte Wahrheiten, dass sie längst nicht mehr wissen, wem und was sie glauben schenken können. Pauschales Vertrauen erscheint da wenig hilfreich, wie uns Fakenews und andere ungute mediale Entwicklungen zeigen, nicht zuletzt auch in der Politik. Auch Politiker demonstrieren augenblicklich teils, nicht nur in Amerika,  einen sehr speziellen Umgang mit Wahrheit und Wirklichkeit: die Wahrheit, das Eigentliche und Offizielle wird kurzerhand umdefiniert, uminterpretiert oder so gezeigt ( retuschiert), wie es der eigenen Vorstellung entspricht. Dieser Mechanismus ist Kindern aus belasteten Familien oft zutiefst vertraut: Ihre Eltern haben familiäre Geschichte genauso interpretiert, umgeschrieben oder umgedeutet wie es für sie selbst am ehesten „passte“ oder wie es, so glaubten diese Eltern, für alle am ehesten zu verkraften war, so, dass  das Familiengefüge zusammenblieb. Fakenews, alternative Fakten und andere Verzerrungen sind heimatlich vertrauter Kindheitsboden. Es entsteht eine spezifische Narration (Erzählung): die Erzählung anderer Familienmitglieder muss längst nicht mit ihrer eigenen übereinstimmen ( s. Meine schwierige Mutter 2017). Diese Uminterpretation wird in manchen Familien so intensiv betrieben, dass die Betroffenen kaum noch zwischen Realität und Verzerrung unterscheiden können, weder die Erzählenden noch die Hörenden. Verwirrung ist eine Folge, blind abverlangtes Vertrauen eine andere. Alice Miller beschreibt:

„Jedes Leben ist voller Illusionen, wohl weil uns die Wahrheit zu unerträglich erscheint. Und doch ist uns die Wahrheit so unentbehrlich, dass wir ihren Verlust mit schweren Erkrankungen bezahlen.“ (Miller 1997, S.11)

Der Weg in das Vertrauen gelingt nach meinen Erfahrungen nicht über blindes Vertrauen, über ungeprüftes Zustimmen zu teils verdrehter Welt, sondern er führt über das Ernstnehmen des eigenen Misstrauens, durch vorsichtiges Überprüfen: Misstrauen ist ein notwendiger Prozess, der oft in der Kindheit und in belastetenden Situationen, auch mit den eigenen Eltern, rettend war. Nur da, wo Misstrauen und Zweifeln, Hinterfragen und in Frage stellen erlaubt ist, kann wirkliches Vertrauen entstehen. In der Politik und in der Familie.

Einen guten Start in den Frühling wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Würdige, was niemand sah: sich selbst wertschätzen lernen in einer belasteten Familie

In einer belasteten Familie geht oft viel verloren: Wahrheit, Glaube und Vertrauen beispielsweise bleiben dann auf der Strecke. Kinder aus diesen Familien gehen sich in der Folge, wenn die Belastung über lange Zeit anhält, oft selbst verloren; leben sie doch alltäglich in einem Tabu, das ihnen vermittelt, das eigentlich alles normal sei.  Ihre Nöte, aber auch ihre alltäglichen übergroßen Leistungen werden regelmäßig  übersehen. Ihre Überanstrengung und Überkompensation (Barnowski-Geiser/Geiser.Heinrichs 2017), die sie aufgrund der Erkrankungen oder Beeinträchtigungen der Eltern leisten müssen, verschwinden im familiären Nebel. Oft werden ihnen selbst diese Leistungen nie bewusst, manchmal erst im Rahmen von Therapie im Erwachsenenalter. Und dann sind Betroffene verunsichert, denn im Verlaufe ihrer familiären Zugehörigkeit zum tabuisierenden System ist ihnen auch selbst Wetschätzung und Würdigung für das von ihnen für das Familien- System Geleistete abhanden gekommen: Das Geleistete gibt es in der familiären Wahrnehmung so wenig wie es die Krankheit/Belastung der Eltern gab oder gibt. Geleistetes versinkt unter Scham, die die Kinder anstelle ihrer Eltern meist unbewusst übernehmen. Negative Selbstzuschreibungen sind dann an der Tagesordnung: „Ich bin doch so furchtbar angepasst!“ (wenn  die Überanpassungsleistung ständig nötig war),  oder „Ich hab doch so ein dämliches Helfersyndrom“ ( wenn sich Kümmern in krisenhaften Kindheiten als einzig lebbare Möglichkeit erschien) u. ä. lauten dann die unguten Selbst-Zuschreibungen.

Jetzt im Erwachsenenalter können Sie,insbesondere wenn die elterliche Belastung nun hinter ihnen liegt, neu und anders leben: indem Sie einen anderen Umgang mit sich selbst pflegen. Sie können Ihre Eltern vermutlich nicht ändern, so sehr Sie das auch wünschen, so sehr Sie sich dafür anstrengen, Als Angehörige einer belasteten Familie haben Sie vermutlich Großes geleistet (Oder tun es immer noch), entsprechende Bewältigungsmechanismen entwickelt, aus denen  spezifische, ihnen sehr eigene, Stärken entstanden sind – nur allzu lange wurden diese übersehen, von anderen und womöglich auch von Ihnen selbst. Im Heute, gerade jetzt, können diese durch Sie selbst Beachtung erfahren, neu in Resonanz und die Welt gehen, indem sie, auch wenn es ungewohnt erscheint, die Botschaft dieses Wochenimpulses umsetzen: Würdige, was niemand sah!

(Formulierung in Anlehnung an Buchtitel Barnowski-Geiser 2009: Hören, was niemand sieht) .

Sonniges auf Ihre Wege sendet

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Meine schwierige Mutter- News für erwachsene Töchter und Söhne

Frau R., 27jährige Bankkauffrau, fühlt sich gequält: sie und ihr Partner denken seit kurzer Zeit über Nachwuchs nach. Seitdem sie diesen Entschluss fassen wollten, gerät Frau R. in große Ängste. Sie erkennt sich nicht mehr wieder: sie fühle sich zutiefst verunsichert, habe Zukunftsängste, Angst vor Erkrankungen und glaube, keine gute Mutter sein zu können. Nun wird, wie so oft, die eigene problematische Beziehung zu ihrer Mutter Thema. Eine ganz andere Mutter als ihre eigene möchte sie sein, doch fehle es ihr, wie sie nun wie viele Töchter schwierig erlebter Mütter  überrascht feststellt,  ein geeignetes Rollenmodell (in Anlehnung an Barnowski-Geiser/Geiser-Heinrichs, Buch hier)

Meinen Sie manchmal am Gestern zu verzweifeln? Holen Sie oft alte Bilder ein,  Szenen die doch Jahre oder Jahrzehnte hinter ihnen liegen? Und dann reagieren Sie auf Menschen, die ihnen im Heute doch wichtig sind, nicht so wie Sie möchten, so wie Sie es eigentlich angemessen fänden, und das, obwohl Sie sie doch lieben? Womöglich spüren sie täglich neu das alte Zurückweisungsgefühl,  Bedeutungslosigkeit, empfinden schmerzhaft Lieblosigkeit…  Dann kann es sein, dass ihre Beziehung zu ihren Eltern sich schwierig gestaltete und bis heute nachwirkt. Der erste Bindunsgtanz, in der Regel zwischen Mutter und Kind, ist womöglich nicht gelungen. Wenn das so war, dann ist eine alte Rechnungen offen geblieben. Viele Kinder, die spüren, dass ihre Mütter keine guten Bindungstänzerinnen sind (etwa überfordert oder wenig feinfühlig sind), geben schlichtweg alles, damit der Tanz doch gelingen möge. Denn sie spüren , so klein wie sie auch sein mögen, dass sie auf ihre Mütter und deren Tanz angewiesen sind.Und oft sind sie in diesem Tanz dann die Erwachsenen und die Mütter leben kindliche Anteile, die in ihrer Geschichte unbefriedigt blieben. Die Rollen verschwimmen, das Kind wird, statt selbst mütterliche Zuwendung zu erfahren, allzu früh und ungefragt zur Mutter der MUtter. Es muss dem kindlichen Anteil der Mutter mit mütterlichen Anteilen zur Verfügung stehen: es wird oft besonders kompetent im Erspüren, im Feinfühligen Eingehen auf die Mutter, aber seine eigenen kindlichen Bedürfnisse bleiben auf der Strecke. Nur seine sehnsüchtige Suche nach all diesem in KIndhitstagen zu kurz Gekommenen erzählt  dann vom Mangel im  Gestern: diese Sehnsucht erscheint so unermesslich und zugleich dem Kind selbst so unangemessen, dass es sie verdrängt und abwehrt, sich dieser Sehnsucht schämt. Scham ist verschwistert mit Schuld, oftmals wurde so sich schuldig fühlen zum ständigen Belgeiter. Ob das Schwierigsein der Mutter nun einen Namen trug ( z. B- „Borderline-Störung“ oder „Suchtkrank“ etc.), öffentliche Stellen auf den Plan rief ( vielleicht als Vernachlässigung wahrgenommen) oder hinter perfekter Fassade wohnte: diese Spuren können lange nachwirken und eine Art Strippenzieher des Unterbewusten werden. Zutiefst selbstverunsichert fühlen sich diese Kinder sonderbar selbst-entfremdet, verloren und ihren Gefühlen ausgeliefert, bis dahin , dass sie nicht mehr fühlen. Die neuen Beziehungen im Erwachsenenalter scheinen das zu kurz Gekommensein, das Stehengelassen-Werden auf sonderbare Weise zu wiederholen. Zu laut tönen die verinnerlichten mütterlichten Stimmen, der gnadenlosen Richterin etwa, der Abhängigmachenden etc., um nur einige zu nennen. Werden diese Stimmen nicht gehört und erkannt, fühlen sich Betroffene oft wie Statisten im eigenen Leben. Es scheint an der Zeit, das Drehbuch des eigenen Lebens neu zu schreiben: selbstbewusst  Werden durch Bewusstheit (zit. nach Meine schwierige Mutter/ 2017.

Auch gerade jetzt, in diesem Augenblick, kann der passende Zeitpunkt gekommen sein, Ihre Fäden des Gestern in die Hand zu nehmen. Nicht länger Marionette sein, nicht länger Opfer der Geschehnisse gestern, sondern  die Chance ergreifen, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Hier setzt unser Selbsthilfeprogramm an. Denn unsere Erfahrungen zeigen: Ein Blick auf unsere Eltern lohnt, auch im Erwachsenenalter und oft gerade dann; denn oftmals ist, wenn die Kindheit belastend war, der Blick erst aus dem Abstand des Erwachsenenalters, auf dem Boden eines neuen Lebens, in dem die Eltern nicht mehr die Tage bestimmen, möglich. Das, was Sie stark gemacht hat, besonders und einzígartig auf dem Boden ihrer speziellen Muttergeschichte, gilt entdeckt zu werden: es ist der Boden für ein jetzt.besser.leben. Auch für Ihre Kinder und Kindeskinder.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Meine schwierige Mutter? News für erwachsene Töchter und Söhne/Teil 1

„Erst als ich die Beziehung zu meiner Mutter bearbeitet habe, hat sich meine Beziehung zu meiner Tochter entscheidend verbessert!“ (Frau I. , 40-Jährige Pädagogin und Mutter einer 12jährigen Tochter)

Häufig ist in der Fachliteratur von schwierigen Kindern die Rede. Aber was ist mit schwierigen Eltern?  Dieses Thema wird eher stiefkindlich behandelt… und wenn es um erwachsene Kinder mit schwierigen Kindheiten geht, erst Recht: wenig und nur vereinzelt kliententelspezifische Hilfe (wie etwa dankenswerterweise in den Beiträgen der KollegInnen Jens Flassbeck, Dami Charf); auch in der therapeutischen Szene muss man das Thema als Ordchideendisziplin bezeichnen. Die Not der betroffenen Menschen erscheint groß, die Ratlosigkeit der therapeutisch Tätigen ebenso: deshalb haben wir, meine Tochter Maren Geiser-Heinrichs ( Psychologin in einer Beratungsstelle) und ich, beschlossen, unsere Erfahrungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Begonnen haben wir diese gemeinsamen Schritte mit einem Selbsthilfebuch für erwachsene Betroffene und begrenzen aufgrund der großen Komplexität der Themen: Wir haben uns als erstes der Mütterthematik  bei erwachsenen Kindern gewidmet, die Väterthematik soll folgen. So viel vorab: wir halten beide Eltern (0der auch andere nahe Bezugspersonen) für bedeutsam in der Lebensentwicklung.

Gern möchten wir mehr Menschen für die Bedeutung kindlicher Erfahrungen sensibilisieren und für Veränderungswege öffnen. Erkennen ist der 1. Schritt auf dem Weg zur Veränderung. Die Qualität der Interaktion (wir beschreiben es in unserem Buch als lebenslangen Tanz) zwischen nahen Betreuungspersonen, meist zwischen der leiblichen Mutter und dem Kind, ist gerade in den ersten Lebensjahren des Kindes entscheidend und wird (nicht nur zu Beginn) entscheidend geprägt durch die Kompetenz der Mutter; sie sollte als die weisere  (Begriff nach Grossmann&Grossmann) agieren ( und kann es nicht zwangsläufig wie gewünscht oder angenommen).  Vor allem Feinfühligkeit und Bindungssicherheit sind als mütterliche Kompetenzen gefragt. Erlebt das Kind hier wenig Einfühlsames und wenig Sicheres, so kann dies weitreichenden Einfluss nehmen: u.a. auf seine Art und Weise in die Welt zu gehen, auf seinen Lebenserfolg, aber auch vor allem auf sein Selbsterleben. Ich empfehle zum tifergehenden Verständnis  an dieser Stelle gern einen Vortrag von Karin Grossmann, in dem sie ihre eindrucksvollen Langzeit- Forschungsarbeiten zur Bindung zwischen Eltern ( auch unter väterlich-feinfühligen Aspekten) und Kind prägnant und gut verständlich erklärt (gut investierte 40 Minuten, finde ich). Wer mehr erfahren mag, dem sei das allerdings hochpreisige Buch des Forscherpaares ans Herz gelegt.

Ein Kind einer, nennen wir sie wie im Buch  „schwierige“ Mutter, kann  an den Folgen eines nicht gelungenen Bindungstanzes zeitlebens mit Leib und Seele leiden -und doch sind die Folgen  nicht zwangsläufig, und auch nicht irreversibel oder irreparabel. Wie genau dieser Tanz zwischen Mutter und Kind vonstatten geht, wie der kindlich erlernte Tanz unser Erwachsenenleben bestimmt und vor allem, wie Betroffene sich im Erwachsenenalter selbst helfen können, möchten wir in unserem neuen Buch beschreiben: Meine schwierge Mutter. Das Buch für erwachsene Töchter und Söhne. Ein kreatives Selbsthilfeprogramm mit Selbsttest kann Sie in Ihrem persönlichen Veränderungs-Prozess unterstützen.

Unser Anliegen: Die Weitergabe durch die Generationen abmildern

In der therapeutischen Praxis zeigt sich: viele Probleme, die Mütter an ihren Kindern beschreiben, kennen diese selbst auch aus Kindheitsttagen… ohne dass ihnen dieser Teil ihrer Biografie wirklich bewusst wäre. Erst auf Nachfragen, etwa „Wie ging es Ihnen im Alter Ihrer Tochter?„, werden plötzlich Paralellen, Wiederholungen durch die Generationen überdeutlich. Die Mutter will nicht gewalttätig sein wie ihre Mutter…und findet doch in Augenblicken der Überforderung mit der eigenen Tochter keinen anderen Weg- Verzweiflung, Selbstvorwürfe, Schuld: ein ungutes Gebräu. Heute wollen diese Frauen und Männer es bei ihren Kindern anders machen: aber weit und breit kein geeignetes Modell in Sicht, ebenso kein verinnerlichtes Arbeitsmodell, das fähig schien, das Alte zu ersetzen. Wer keine feinfühligen Eltern erleben durfte, hat es schwerer, diese Fähigkeit in sich selbst auszubilden. Es wird zur Herausforderung, den eigenen Kindern das nötige Feingefühl, die erforderliche Bindungssicherheit zu geben. Dann lieber gar nicht erst Mutter oder Vater werden? Kinderlosigkeit wird oftmals die Not- Lösung, die zugleich selten gut erträglich scheint.Beim Thema schwierige Mütter bewegen wir uns in vielerlei Hinsicht auf einem engen Grat, Frauen vor allem  zwischen den Polen eine schwierige Mutter Haben und schwierige Mutter- Sein.

Muttermythos und Tabu

Ihre eigene Mutter schwierig zu empfinden, können sich manche Menschen gut eingestehen und locker darüber plaudern (in manchen Kreisen gilt das sogar als cool und chick), für andere ist das ein so verbotenes Thema, das es kaum denkbar, geschweige denn aussprechbar wäre. Wenn das Schwierigsein ein geringeres Ausmaß zeigt, ist es leichter, wahrzunehmen und mitzuteilen, wenn das Ausmaß große ist, Traumatisierung, Beschämung und wiederholte tiefe Kränkungen beinhaltet, wird der Umgang schwieriger. Erschwert wird dieser Umgang, so zeigt sich in unseren Arbeiten, durch ethisch-moralische Maßstäbe. Man darf doch nicht die eigene Mutter in Frage stellen, denken Betroffene, das wollte man als Mutter doch auch nicht! Getreu dem ethischen Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren!“, können sich dann Betroffene, die in ihrer Kindheit viel Ungutes erlebten, oft nur noch ins Verdrängen retten- in der Folge ins Verstummen- und beschreiten so unbemerkt einen unguten Pfad der Weitergabe von Schwierigkeiten an die nächste Generation… Tabuisieren und Verschweigen waren der Preis, den die Kinder für ihre Zugehörigkeit zur Familie zu zahlen hatten. Die Gefahr ist dann groß, dass aus dem betroffenen Kind einer schwierigen Mutter neuerlich selbst eine schwierige Mutter wird: wer nicht um seine Biografie weiß, wer schwere Bindungsdefizite und Leerstellen im Erleben in sich trägt, droht unbewusst Ungutes an die nächste Generation weitergzugeben. Zugleich kann das Erkennen und Auseinandersetzen ebenso wie gute neue Erfahrungen einen Weg in ein jetzt.besser.leben.  ebnen, auch im gute Mutter- oder Vater-Sein.

Im nächsten Beitrag mehr rund um diese Thematik. Für heute Danke fürs Lesen, fürs Weiterempfehlen, Diskutieren… wir freuen uns, wenn unsere Arbeit Ihnen weiterhilft.

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Wenn „immer Karneval ist“ und aus „falsch“ „richtig“ wird: wie Erfahrungen mit (sucht-)belasteten Eltern Ihre Bewertungen beeinflussen

„Bei uns zu Hause ist immer Karneval!“, lacht der Kleine (von seinen Lehrern in die Beratung geschickt wegen fehlender Impulskontrolle und unangemessenem Verhalten gegenüber seinen Mitschülern) und beschreibt damit treffend, wie seine Sucht-Familie lebt: mit ständig wechselnden Regeln, die, wenn Papa trinkt, komplett außer Kraft gesetzt sind, alles ist erlaubt… um diese Regeln allerdings dann, wenn der Vater mit dem Trinken aufgehört hat, unter Strafandrohungen wieder einzufordern. Wertungen und ethische Prinzipien werden hier immer wieder in Frage gestellt. In seiner Familie, so erzählt Herr S., Sohn eines Alkoholikers, seien alle Werte vom Alkohol bestimmt gewesen: Menschen wurden als „gut“ eingestuft, wenn sie viel Alkohol anboten und tranken, Nichttrinker galten als zu vermeidende schlechte Menschen- sie provozierten den Vater und wurden folglich gemieden. Solche Erzählungen von Betroffenen muten teils absurd an: und genau diese Absurdität stellt die Lebenswelt der Kinder und erwachsenen Kinder aus belasteten Familien dar.

Die dritte Säule der Identität, die die Normen und Werte betrifft, ist somit, wenn derartige Belastungen sich durch die gesamte Kindheit oder mehrere Jahre ziehen,  stark beeinträchtigt. Betroffene wissen in der Folge nicht mehr, was richtig und falsch, was gut oder schlecht ist: ihre eigenen Bewertungen schwappen ähnlich unsicher hin und her, wie sie es vormals bei ihren Eltern erlebt haben. Vielleicht ist falsch ja richtig, fragen sie sich, und irren kernverunsichert durch ihr Leben, jede noch so kleine kleine anstehende Entscheidung erleben sie dann als große Herausforderung.

 Nina, 17 Jahre, erzählt wie sich ihre Kernverunsicherung in den Alltag webt, hier bei ihrem Zahnarztbesuch: wegen einer  Kieferfehlstellung wurde ihr eine Zahnklammer angepasst. Sie sollte fühlen, ob diese Klammer sich nach dem Einsetzen richtig anfühle. Sie habe weinen mögen, erzählt sie, denn darauf hätte sie keine Antwort gehabt…Wie sollte Nina das auch beantworten können: ihr Kiefer hatte noch nie in der richtigen Position gestanden….Falsch ist für Nina zu richtig geworden. So verhalte es sich auch mit ihrer Gefühlswelt, beschreibt sie aufgeregt….

Wie Nina ergeht es vielen Kindern aus belasteten Familien: wenn tatgtäglich zu Hause Dinge passieren, die eigentlich unmöglich, übergriffig und unwürdig sind, diese aber keinerlei Beachtung oder Sanktion erfahren, kein Entsetzen und kein Aufschreien, keinen Trost und keinen Zuspruch, dann wird  das Übergriffige und eigentlich Unmögliche zur Normalität. Erst im Kontakt mit anderen, etwa nichtsüchtigen Familiensystemen, bemerken die Betroffenen, dass es andere Wertungen und ethische Prinzipien gibt: eine Kernverunsicherung mit großer Lebensunsicherheit ist dann oftmals die Folge. Es gibt einen Weg aus diesem Dilemma, wie sich in der Arbeit mit erwachsenen Betroffenen zeigte: sich mit  Wertvorstellungen und Sinnfragen aktiv zu beschäftigen,  eigene Werte zu definieren, zu ändern oder auch zu stärken, die eigene innere Stimme zu aktivieren, stellt dann eine Kernaufgabe für Betroffene dar. Wenn diese angegangen wird, zeigt sich das Leben oft aus neuer, eigener Perspektive, es wird sinnig-er und stimmig-er.

Ich wünsche Ihnen eine gute Karnevalszeit, wie auch immer Sie diese gestalten. Vielleicht mögen Sie die Tage nutzen als einen Freiraum, sich mit ihren Werten zu beschäftigen…oder mit der Frage Ihrer Identität, indem Sie Papierpilgern, wenn Sie diese kreative Selbsterfahrung aus der Vorweihnachtszeit noch nicht probiert haben

In der nächsten Woche erzähle ich Ihnen zur dritten Säule der Identität gern mehr und auch zu meinem neuen Buch, das ich gemeinsam mit meiner Tochter geschrieben habe. Ich freue mich auf Sie!

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

„Ich erwarte nichts, dann werd ich auch nicht enttäuscht!“ – Warum sich freuen für Kindheitsbelastete eine Mutprobe bedeutet

„Ich erwarte nichts!“, sagt Herr I.mit dem Brustton der Überzeugung, „dann werde ich auch nicht enttäuscht.“ Zugleich beschreibt er Gefühle von Verdruß, eine aufkommende Lebensunlust, nichts mache ihm wirklich Freude.

Menschen aus belasteten Familien, wie auch Herrn I., scheint manchmal die Freude abhanden gekommen zu sein: Wie bei Herrn I. ist dieser Freudverlust Teil einer lebenslangen Geschichte, Teil einer Biografie des schleichenden Freudverlustes. Erkrankte Eltern ( etwa diejenigen, die an einer Sucht leiden) versprechen oft Dinge und halten sie nicht ein. Zum x-ten Male verspricht die Mutter, nicht mehr zu trinken, zum Familienausflug „clean“ zu sein, das Kind zu begleiten…und wieder und wieder wird es nichts, wieder und wieder läuft die Freude ins Leere und wird enttäuscht. Machen Kinder, wie auch Herr I., diese Erfahrung wiederholt und über Jahre, ist einer ihrer Bewältigungswege, das Hoffen und Freuen einzustellen. Die wiederholt erlebte Frustration und Resignation wird gleichsam vorweggenommen, um sie nicht wieder zu erleben. Dieser Selbstschutzmechanismus geht oft einher mit einem Verlust von Lebensqualität. Erst wenn dieser Mechanismus erkannt wird, kann sich langsam die Freude einen Weg in das Leben Betroffener bahnen. Dies erfordert Mut, Mut, einer neuerlichen Enttäuschung ins Auge zu sehen, aber auch den Mut, sich auf eine andere Erfahrung einzulassen.

Und: worauf freuen Sie sich?

Mut zu Freudigem wünscht

IHre

Waltraut Barnowski-Geiser

Kreativ neue Wege gehen… mit dem Beziehungs-Entlastungs-Diagramm

Manchmal wirkt es so, als wäre alles schlecht: mutterseelen-allein ständen sie da, so empfinden Betroffene: von der schwierigen Beziehung ( etwa zu einem erkrankten Elternteil) ist dann alles andere überschattet, katapultiert sie immer wieder in die von Kind an so oft erfahrene Hilflosigkeit: „Ich bin alleine und nichts und niemand kann mir helfen!“ , lautet dann das wieder und wieder wiederholte Mantra. Es wird für diese Betroffenen leicht zum unguten Glaubenssatz.

Lust, einen kreativen Weg zu probieren?… arbeiten Sie mit dem Beziehungs-Entlastungs-Diagramm, einer Methode, die in meinen Arbeiten nach dem AWOKADO-Konzept entstehen konnte und vielfach erprobt istd.Aufzumalen, welche Verbindungen aktuell wichtig sind, welche Beziehungen belasten-und welche entlasten, ermöglicht ein oft überraschend erlebtes Update: Betroffene können eine neue Sicht auf ihre aktuelle Vernetzung erhalten. Meist sind sie dann überrascht, wie gut sich Ihre Netzwerke heute gestalten, und doch von ihnen übersehen wurden. Einmal aufgemalt, kann das Diagramm immer wieder hervorgeholt werden und die neu gewonnene Perspektive der sozialen Anbindung verschwindet so künftig nicht mehr unter dem Nebel des Gestern.

Führen Sie die Kreativen Selbsterfahrungen nur durch, wenn Sie sich ausreichend stabilisiert fühlen; sprechen Sie im Zweifel vorher mit einem Arzt oder Ihrem Therapeuten-.

Kreative Selbsterfahrung: Beziehungs-Entlastungs-Diagramm (60 Minuten mind)

Anleitung:

Schreiben Sie zunächst eine Liste von Menschen (20 ist dabei erprobte Obergrenze), die aktuell in ihrem Leben eine Bedeutung haben- falls Sie jemanden nicht oft sehen, aber oft in Gedanken mit ihm oder ihr beschäftigt sind, so darf dieser Mensch hier auf jeden Fall Platz finden- ebenso Vorbilder oder Öeitbilder, durch die Sie sich getragen oder inspiriert fühlen. Nehmen Sie dann ein großes Blatt und malen Sie sich selbst in Form eines Kreises in das Zentrum des Blattes: schauen Sie nun auf Ihre Liste und ordnen die Menschen anschließend mit Kreisen auf dem Blatt um Sie herum an, so nah und so fern Sie sie jeweils empfinden ( auch Tiere können hier übrigens einen Platz finden). Im nächsten Schritt malen Sie Beziehungen, die Sie als unterstützend erleben mit grünen Verbindungslinien, belastend erlebte mit roten Verbindungslinien…. Betrachten Sie: was überrascht Sie, was muss noch eingetragen werden, was möchten Sie noch zusätzlich gestalten

Nehmen Sie nun ein zweites Blatt zur Hand und malen Ihr Netzwerk so, wie Sie es gern hätten, so wie es Sie entlastet.

Vergleichen Sie  beide Gestaltungen: was können Sie aktiv tun, um Ihr Netzwerk zu stärken, was, um Belastung zu reduzieren? Gibt es Beziehungen, die Sie künftig mehr leben wollen?

Wen wollen Sie weniger treffen, an wen weniger denken?

Von wem gehen Kontakte und Treffen aus? Werden Sie ausgesucht, eingeladen, gar genötigt?

Heute sind Sie den Kinderschuhen entwachsen, Sie können Ihr Netzwerk aktiv gestalten- oftmals haben Menschen aus belastenden Familien in Ihrer Kindheit die Erfahrung gemacht, ohnmächtig in ein Netz gewebt zu sein… nicht entkommen zu können… ohnmächtig ausgeliefert zu sein…diese Erfahrung können Sie allmählich zugunsten der aktiven Beziehungsgestaltung hinter sich lassen. Das Beziehungs-Belastungs-Diagramm kann ein erster Schritt in diese Richtung sein.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

„Sei, was wir brauchen!“ -Wie Ihre familiären Beziehungen prägen, wer Sie heute sind

„Gewöhnlich haben wir die Familie als den Ort betrachtet, an dem wir Liebe, Verständnis und Unterstützung finden können, selbst wenn alles andere versagte. Sie ist der Platz, an dem wir uns erfrischen können und an dem wir auftanken, um mit der Welt draußen besser fertig zu werden. Aber für Millionen belasteter Familien ist das ein Mythos.“ (Satir 1993, S.27)

Kinder belasteter Eltern sehen es als ihre Aufgabe an, ihre unglücklichen Eltern glücklich zu machen: Diese Tatsache hat vielschichtige Folgen, die Betroffene bis ins Erwachsenenalter prägen können: das, was die anderen brauchen, ist so wichtig, dass betroffene Kinder sogar für sie existenzielle Bedürfnisse bei sich selbst übergehen, um den belasteten Elternteil glücklich und zufrieden zu machen… und dieses Beziehungsmuster im nicht seltenen Fall mit in ihre weiteren nahen Beziehungen im Erwachsenenalter nehmen. Sie scheinen sich selbst verloren gegangen zu sein.

Wie kommt es dazu? Die Antworten sind vielschichtig, ein Blick auf die Situation der Familie lohnt sich. Belastete Familien befinden sich oftmals in Dauerkrisen, in denen sie zusammenrücken müssen; oft entsteht eine besondere Abhängigkeit, ein besonderes Angewiesensein aufeinander, manchmal ohne emotionale Nähe und Liebe, die die Kinder benötigen. Diese enge Anbindung, die Minuchin Ende der 70er Jahre als familiäre „Verstrickung“ beschrieb, wurde als sehr problematisch für die Entwicklung des Individuums angesehen.IN diesem Feld hat die systemische Forschung viel Pionierarbeit geleistet.

„Aber in der verstrickten Familie geht das Individuum gewissermaßen im System verloren. Seine individuelle Autonomie ist so schwach definiert, dass ihm ein Funktionieren auf individuelle und eigene Weise so gut wie unmöglich gemacht ist.“ (Minuchin/Rosman/Baker 1978, S.43f).

Es entwickelt sich eine belastete Famlienstruktur mit einer eigenen Dynamik, sie nimmt Einfluss auf die gesamte innerfamiliäre Kommunikationsstruktur. Die verstorbene Familientherapeutin Virginia Satir beschreibt vier Formen der gestörten Kommunikation: Beschwichtigung, Anklage, Rationalisieren und Ablenken. Diese Formen begegneten mir besonders in der Arbeit mit Familien, die sich in der Phase der tabuisierten schleichenden oder/und chronischen Belastung befinden (Phasen nach Barnowski-Geiser 2009).

Beschwichtigung zeigt sich insbesondere in der Form, Empfindsamkeit zu entwerten. Sie gipfelt in Äußerungen wie „Ach, die x ist einfach so ein überempfindliches Kind!“

Rationalisieren zeigt sich oft, indem Eltern in therapeutischen Gesprächen dem Erleben des Kindes wenig angemessen erscheinende Vorträge halten. Äußern die Kinder Gefühle und weinen, zeigen sich diese Eltern in der Interaktion zu ihren Kindern seltsam erstarrt und unerreichbar, wenig tröstlich: sie rufen das KInd zurück zur Vernunft.

Anklagen Besonders bitter für Kinder werden Strukturen, die sie zum „Angeklagten“ machen; oftmals um von familiären Problemen abzulenken. Dies passiert etwa dann, wenn Eltern einen Konsens finden, etwa die Suchtbelastung und familiären Probleme weiterzuleben, ohne sie öffentlich werden zu lassen. Kinder übernehmen hier teilweise sehr selbstverständlich die Rolle des „Sündenbockes“, in die sie gedrängt werden. „Wenn Anna nicht so viele Probleme in der Schule häte, müsste ich nicht trinken“, lautet die elterliche Logik, teils vom Partner mitgetragen.

Ablenken: Während Dramatisches und Schlimmes passiert, das eigentlich die gesamte Aufmerksamkeit aller erfordert, wird der Fokus auf eigentlich Nebensächliches gerichtet, etwa“Die Kinder haben ihre Pflichten nicht erfüllt, den Essenstisch nicht abgeräumt“ etc.

Und zugleich gehen die Auswirkungen in den belasteten Familien weit über die Kommunikationsstruktur hinaus: die beschriebene Dynamik des Familiengeheimnisses bringt Resonanzmuster hervor, in denen das Eigene teilweise zugunsten der Systemschwingung aufgegeben werden muss. Betroffene spüren von Klein auf, dass sie vor allem im System einen guten Platz finden, wenn sie sind, was das System braucht. Sie leben in erzwungenen Resonanzräumen, in denen sie irgendwann vergessen haben, dass sie eigene Bedürfnisse haben und erfüllen müssen, vergessen, wer sie eigentlich sind… weil sie es schlichtweg vergessen mussten.

Die Frage: Was brauche ich? muss in diesen Fällen als neue Orientierung von Tag zu Tag gestellt werden, die Erfüllung der Bedürfnise kleinschrittig geübt werden. Probieren Sie es vielleicht in der nächsten Woche aus, nehmen Sie diese wichtige Frage als Begleiter mit in Ihre Woche, auch wenn Ihre Eltern oder Partner erkrankt und bedürftig sind…und das ist, wenn Sie zu den Betroffenen erwachsenen Kindern gehören, wirklich eine schwierige Übung!

Eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Heute schon geschrumpft?- Identität und Beziehung in belasteten Familien

 

„Heute schon geschrumpft?“, möchte ich heute Sie, Angehörige aus einer belasteten Familie, ein wenig provokativ fragen und mit Ihnen die 2.Säule der Identität „Soziale Beziehungen“, aus unseren Identitätsfragen zum Jahreswechsel genauer ansehen. Wenn Sie aus einer belasteten Familie stammen, dann kennen Sie es wahrscheinlich, viel zu früh zu Großes und zu Schweres zu tragen. Vielleicht haben Sie sogar, wenn auch mehr oder weniger unfreiwillig, die Rolle des Supermans ( auch in der Superwoman-Version) oder der Mutter Teresa übernommen…zu Großes, das eigentlich Aufgabe Ihrer Eltern gewesen wäre, lastet in diesem Falle auf Ihren Schultern (Rollenbeschreibungen aus Barnowski-Geiser 2015: Vater, Mutter, Sucht); Vielleicht schon ein Leben lang und in den Beziehungen, die Sie als Erwachsene eingegangen sind, sind Sie die tragende Säule? Dann kann es sein, dass es an der Zeit ist, auf Normalgröße zu schrumpfen: Nein-Sagen und Hilfe annehmen will dann geübt werden, die zugrundeliegende Motivation unter diesem Tun will erforscht sein -oft zeigt sich hier eine tiefsitzende Angst, nach „Schrumpfen“ nicht mehr geliebt zu werden.

Soziale Beziehungen können uns tragen – und zu Fall bringen. Erwachsene aus belasteten Familien kennen leider oft die zweite Variante. Wer von Klein auf mit zerstörerischen und selbstfixierten Gegenübern aufwachsen muss, der wird durch elterliche Beziehungen mehr belastet als gestärkt. Tragischer Weise droht dieser frühlkindliche Mangel bis ins Erwachsenenalter bedeutsam zu sein: wird er nicht als solcher erkannt und bearbeitet, drohen Betroffene das alte Leiden in neuem Gewand an Partnern zu wiederholen. Erst in der tieferen Schau sehen sie dann beispielsweise, dass der Ehemann  die narzistischen Züge der eigenen Mutter exakt verkörpert. Endlich gesehen und verstanden werden von einem so selbstbewusten Partner wünschten  sich diese erwachsenen KInder und geben schlichtweg „Alles“… und bemerken spät… „doch wieder im alten Film angekommen“.Denn nicht nur die Krankheiten der Eltern können an die nächsten Generationen weitergegeben werden, sondern ebenso Bindungs-und Beziehungsmuster. Je mehr die familiären Probleme tabuisiert wurden, umso höher ist das Risiko, nicht ohne eigene Blessuren zu entkommen… und so Ungutes an die nächste Generation weiterzugeben.

Weitere Risikofaktoren für die Weitergabe sind in der Forschung bekannt ( Klein/Zobel), etwa ob das KInd mit nur einem belastetenden Elternteil aufwächst und das Elternteil andere stabil zur Verfügung steht. Oftmals sehen  sich Kinder jedoch ungesunden Allianzen gegenüber: Die suchtkranke Mutter ist mit einem von ihr abhängigen Vater verheiratet; das Kind lernt von Klein auf, sich auf beide Eltern einzustellen und  eigene Bedürfnisse außen vorzulassen. Es lernt zudem an diesen Elternmodellen, dass Menschen existenziell aneinader gekettet zu sein scheinen und es kein Entkommen aus der Abhängigkeit gibt. Lernt das Kind hier stattdessen einen unabhängigen Erwachsenen kennen, der sich in gesunder Weise um sich selbst und um das Kind kümmert, stehen die Chancen für die eigene Entwicklung und Gesunderhaltung schon deutlich günstiger.

Schrumpfen Sie wieder auf Normalgröße… hören Sie auf, eigentlich Übermenschliches zu leisten… gestehen Sie sich Ihre eigene Bedürftigkeit ein! – Vielleicht ist dieser Impuls der Woche ein Weckruf gerade an Sie?…und Sie beginnen in kleinen Schritten…

Eine gute und entspannte Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

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ABI-„Projekt-Ich“- 2017?…auf dem Weg zu Ihrer persönlichen Belastungs-Bewältigungs-Reife

„Ich sollte anders sein, ruhiger, ausgeglichener!… aber gegen meine Gefühle komme ich nicht an!“… „Ich habe so viel zu tun, aus diesem Hamsterrad kann ich nicht einfach aussteigen, selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht!“...„Wenn ich zur Ruhe komme, fühle ich mich eh nur schlecht!“ Wenn diese Aussagen so oder in abgewandelter Form aus Ihrem Munde stammen könnten, ist es vielleicht an der Zeit für eine neue Herausforderung in Ihrer persönlichen Entwicklung: Ihr persönliches ABI- Projekt- Ich- 2017...

Schulprüfungen und Examina  begleiten, mehr oder weniger geliebt, unser Leben. Prüfungen in der Persönlichkeitsentwicklung scheinen daneben  aus dem Blick zu geraten (aus einschlägigen Märchen kennen wir oft drei Prüfungen, die  Protagonisten zu bestehen haben). Auch in meinen Studien rund um Kindheitsbelastungen zeigen sich besondere Herausforderungen für Betroffene. Jeder erlebt anders, so auch jede Belastung. Prüfungen und Herausforderungen im Leben werden auf individuelle Weise bewältigt. Herausforderungen zeigen jeweils andere Gesichter. Das Leiden kann sich hinter Masken verbergen, von denen die Betroffenen selbst nicht einmal wissen, dass sie sie tragen. Manche mussten ihre Maske früh anlegen, um die schweren Herausforderungen in ihren Familien zu überstehen, dass sie um ihre Maskierung gar nicht mehr wissen ( etwa immerzu fröhlich grinsen, obwohl sie die Situation eigentlich grauslich erleben). Drei große Herausforderungen kristallisierten sich heraus. Die Anfangsbuchstaben dieser Herausforderungen ergeben zusammen das Wort ABI (ein Anklang an das Abitur im Sinne einer persönlichen Reifeprüfung erscheint durchaus passend):

nnehmen

 B   eobachten

                                                           I  ntegrieren

1.Herausforderung: Annehmen…statt sinnlosem „dagegen Kämpfen“ und Qual an der Aussage  „Ich sollte ganz anders sein!“ („positiver, sportlicher, ruhiger, unempfindlicher“) würdigen, was ist… Annehmen, wie Sie sind: genauso aufgeregt, so empfindsam, so ängstlich, so verspannt etc.. klingt beinahe banal einfach, ist aber eine hohe Herausforderung für Kindheitsbelastete. Im Annehmen liegt die Annahme und Würdigung der eigenen Lebensgeschichte, der Identität, genauso wie sie heute ist: denn genau „die“ oder „der“ sind Sie aufgrund Ihres individuell Erlebten geworden ( und damit meine ich keine Schönfärberei oder Verklärung)- erst das Annehmen dessen, was ist, schafft inneren Frieden und kann neue Energien freisetzen.

2. Herausforderung: Beobachten...achtsam wahrnehmen, was sich im eigenen Leib „tut“. Über diese Hinwendung aus der Distanz, über das Aktivieren des inneren Beobachters, kann hilflose Identifikation aufgehoben werden: Ich habe Gefühle, Stimmungen, Körperregungen, innere Stimmen ( etwa die kritische Stimme) aber ich „bin“ diese nicht… und fühle mich ihnen somit auch nicht länger hilflos ausgeliefert.

3. Herausforderung: Integrieren…große Wunden gehen, wie uns Traumaforschungen zeigen, mit Abspaltungen einher (Reddemann, Levine, Huber, Ruppert). Es gilt diese inneren Anteile zurückzuerobern, indem wir sie nicht übergehen, sondern ihnen zuhören, und uns hin-und zuwenden. Erst so wird vollständiges „Sein“ möglich, ein Sein, in dem wir gern in uns sind, angenehm „wohnen“. Erst wenn Integration möglich wird,  sind Betroffene nicht weiter vor sich selbst auf der Flucht ( etwa ständig verloren und absorbiert in Tagesplänen- und listen). Sie müssen nicht länger kompensieren,  mit fragwürdigen Belohungen (manchmal auch Süchten).Integrieren beinhaltet Zuwendung zum Team Körper, Seele und Geist, auch als Leib bezeichnet (mehr lesen).

Es ist nie zu spät, sich auf den Weg zum persönlichen „ABI“ zu machen…vielleicht starten Sie in dieser Woche: sich 5 Minuten atmend sein lassen, ohne zu bewerten, ohne zu kommentieren: ein erster, und wirklich gar nicht leichter Schritt, für Menschen mit Kindheitsbelastungen sogar eine große „Prüfung“. Tun müssen Sie es, indem Sie anfangen…jetzt…

Machen Sie mit beim Projekt-Ich-Abi 2017? Dann starten Sie, indem Sie jetzt  notieren, wo Sie in den jeweiligen Herausforderungen gerade persönlich stehen – so können Sie am Ende des Jahres darauf zurückgreifen, vergleichen und Ihre Fortschritte würdigen.

Lust auf Kreative Selbsterfahrung?

Welche waren Ihre drei großen Prüfungen?…und wie haben Sie diese bewältigt… Vielleicht mögen Sie ein Märchen schreiben, in dem Sie HauptdarstellerIn sind…

Es war einmal…

Viel Freude beim Schreiben

Mehr Kreative Anregungen hier

Alles Gute auf Ihren Weg

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Wer bin ich…Grübel-Denker, Dauer-Fühler oder Körperfanatiker?

Wenn wir uns fragen, wer wir sind, wenn wir uns mit unserer Identität beschäftigen, dann können wir das auf vielfältige Weise tun: alle Wege entspringen letztlich einer Vorstellung, einem Modell: nie sind diese Modelle die Wirklichkeit selbst, sondern sie sind lediglich HIlfsmittel und Abbilder. Eine Herangehensweise, ein in der Praxis  erprobtes Denkmodell, ist das Modell der „Säulen der Identität“ nach Hilarion Petzold, mit dem Sie sich in meinem Blogbeitrag zum Jahreswechsel anhand von geleiteten Fragen beschäftigen konnten.

Wenn wir in einer belasteten Familie aufgewachsen sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, sich besonders intensiv mit der Frage nach dem „Wer bin ich?“ ( manche nennen es auch das „Selbst“) zu beschäftigen:  wer in seiner Familie lernen musste, sich selbst möglichst nicht wahrzunehmen und zu spüren, wer zu früh viel zu große Aufgaben, nämlich die der Erwachsenen, übernehmen musste, wer Dinge schulterte, denen er nicht gewachsen sein kann, der verliert leicht den Zugang zu sich selbst. Er weiß dann vor allem viel über die Bedürfnisse seiner Mitmenschen, seiner Eltern und Geschwister, aber wenig über sich selbst: sich selbst zu finden, das eigene Wollen, Wünschen, das rechte Maß usw. zu finden, wird dann oftmals eine Lebensaufgabe, die bis in das hohe Erwachsenenalter hineinreicht. Bei manchen dauert der vernebelte Blick auf die familiären Schwierigkeiten sogar ein Leben lang an: der Zugang zum Ich, zum Eigenen, scheint chronisch verwehrt.

Als stark beeinträchtigt empfunden wird dann die leibliche Säule der Identität. Insbesondere das Zusammenspiel zwischen Körper, Seele und Geist (in der leiborientierten Therapie auch mit dem altertümlich klingenden Begriff  Leib bezeichnet) funktioniert nicht gut, d.h. Betroffene erleben sich teils abgeschnitten, Ihnen fällt es schwer, alle  leiblichen Teile wahrzunhemen, geschweige denn sie in für sie günstiger Weise zusammenspielen zu lassen. Gehäuft tritt eine Unterbrechung zur Gefühlsleitung auf: wenn diese Betroffenen nach ihren Gefühlen forschen, so empfinden sie zunächst einfach „nichts“. Das Nichtfühlen ist hier an die Stelle der allzu negativen Gefühle gerutscht. Ebenso ist oftmals die Kontaktleitung in den Körper unterbrochen, dieser wird erst dann wahrgenommen, wenn er sich krank verweigert und Alarm schlägt. Oftmals sind die Denker dann, so beschreiben sie sich selbst, „immer im Kopf“. Halten wir fest: die leibliche Säule funktioniert nur dann gut, wenn alle Teile miteinander kooperieren können. Ins Extrem überzeichnet können wir drei Typen unterscheiden:

Denker grübeln und grübeln, stürzen sich verständlicher Weise meist auf Hilfen, die Ihnen noch mehr Kontrolle über das Denken ermöglichen,

 „Fühler“ fühlen sich oft von ihrem Gefühlsreichtum überflutet und sitzen hartnäckig in ihren Gefühlen fest (und weigern sich manchmal diese mit in ihr Denken einzubeziehen)

Körperorientierte sind oft einseitig nur noch mit dem Körper und seiner Präsentation befasst, sie richten ihr Leben extrem auf die Kontrolle über ihren Körper aus: wie die elterliche Sucht etwa wird nun der eigene Körper zum wechselhaften Schlachtfeld der Extreme von Kontrolle, eiserner Disziplin und schuldhaft erlebtem Versagen. Hier ist der Körper „Markenzeichen“, wenig Wohlfühlstätte.

Wenn Ihnen die Beantwortung der Fragen zu Ihrer leiblichen Säule teils schwer fielen, so kann dies wertvolle Hinweise über ihr individuelles Zusammenspiel von Körper, Seele und Geist liefern. Schauen Sie vielleicht die Beantwortung zur 1. Säule noch einmal mit diesem Blickwinkel an und erhalten so Aufschluss, ob sie sich zu den Denkern, Fühlern oder Körperorientierten zählen. Beginnen Sie behutsam, die jeweils anderen Bereiche achtsam mehr in Ihr Leben einzubeziehen: die Belastung Ihrer Kindheitstage kann Spuren hinterlassen haben, aber diese sind nicht unveränderbar: Jetzt besser leben!

Ziel in der leiborientierten Arbeit ist Integration.

„Manchmal dachte ich, ich werde mit diesen Trinkern um mich herum verrückt…Mir half, glaube ich Sinnlichkeit, mit allen Sinnen in die Natur gehen, zu riechen, zu schauen: dann wusste ich, dass es mich noch gibt.“ (Frau E., 37)

„Ich stehe morgens auf und frage mich, was ich heute spüre, wie es mir jetzt geht. Das erfordert täglich meinen Mut. Früher hätte ich vor meinem Inneren davonlaufen mögen. Heute muss ich mich nicht mehr übergeben, es klingt verrückt, dass ich mich erst jetzt kennenlerne. Im Alter von 42 Jahren beginnt mein Leben mit mir!“ ( Frau L., 42 Jahre)

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Der Anker in meinem Körper – Kreative Selbsterfahrung

Wie achtsame Leser bemerkten, fehlte in einem Blogbeitrag noch die angekündigte  Übung „Der Anker in meinem Körper“ zur Arbeit mit Gefühlen. Diese nun wie versprochen hier:

Kreative Selbsterfahrung: Der Anker in meinem Körper

Diese Methode möchte ich Ihnen hier zur Selbstanwendung vorstellen. Sprechen Sie diese Arbeit ggf. mit Ihrem Therapeuten ab, machen Sie die Übung nur, wenn Sie sich gerade stabil genug für neue Erfahrungen fühlen.

 Diese Übung erfordert ein wenig Zeit und einen Ort, an dem Sie ungestört sein können...setzen oder legen Sie sich nun bequem hin. Achten Sie darauf, dass Sie nicht eingeengt werden und ihr Atem frei fließen kann….

Nehmen Sie nur wahr, wie Sie aus- und einatmen…nichts ändern müssen, alles sein lassen…Denken Sie nun , wie es sich anfühlt, wenn Sie sich ganz bei sich und mit sich eins fühlen. Vielleicht erinnern Sie auch eine entsprechende Situation. Wie hat sich Ihr Körper angefühlt dabei? An welchem Punkt in Ihrem Körper ist dieses Gefühl zu Hause? Stellen Sie sich nun, wenn diese Vorstellung angenehm ist, vor, wie Sie mit jedem Ausatemzug tiefer in Ihren Körper sinken und seiner inneren Weisheit folgen. Welche Körperstelle meldet sich, bewerten Sie nicht, auch wenn Ihnen diese Stelle ungewöhnlich erscheint…. Gehen Sie mit Ihrer Achtsamkeit zu dieser Stelle: wie fühlt es sich genau an, welche Farben sind hier zu sehen, welche Klänge zu hören? Nur wahrnehmen…. Wenn diese Stelle gut mit Ihren Händen erreichbar ist, so legen Sie eine Hand über diese Stelle. Nehmen Sie die Energie wahr…verbinden Sie sich mit dieser Stelle und der Hand, so wie es angenehm für Sie ist.

Wiederholen Sie diese Übung, wenn Sie sie angenehm erleben, ab sofort täglich.

Bei aufsteigenden unangenehmen Gefühlen können auch diese, nach einiger Übung im Körper, verortet und gewandelt werden ( z. B. bemerken sie: Wut sitzt heute in meinem Kiefer). Dann mit der stabilisierenden Stelle verbinden ( Wohlfühlstelle s.o., z.B. im Herzen), indem Sie sich vorstellen, die Energie aus der Wohlfühlstelle zur unangenhemen Körperstelle fließen zu lassen- auch eine Brücke, wie in Übung 1 , kann zwischen diesen Stellen imaginiert werden. Probieren Sie aus und wandeln Sie so ab, wie es Ihnen persönlich entspricht-.

 Eine gute Zeit wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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„Wer bin ich?“ – Finden Sie beim „Papierpilgern zum Ich“ 2019/2020 neue Antworten auf eine alte aktuelle Frage

Ich hoffe, trotz der großen Umwandlungen und erschreckenden Ereignisse in der Welt,das hinter uns liegende Jahr hielt auch Gutes für Sie bereit. Der Jahreswechsel kann eine gute Gelegenheit sein, Rückschau auf die persönliche Entwicklung zu halten. Eine individuelle Möglichkeit, sich selbst anzuschauen, bietet das Modell der 5 Säulen der Identität. Es wurde vom Begründer der Integrativen Therapien Professor Hilarion Petzold entwickelt. Anhand dieses Modells habe ich Fragen entwickelt, die für Kinder und Erwachsene aus belasteten Familien ( s.a. BEL-Kids-Projekte) von Bedeutung sind. Vielleicht mögen Sie sich die Zeit gönnen, diese zu beantworten und so der Kernfrage: Wer bin ich? im Wechsel zwischen 2019/2020, ein Stück näher zu kommen. In den nächsten Blogbeiträgen werde ich mögliche Beantwortungen kommentieren. Das Jahreswechsel-Coaching „Papierpilgern zum Ich“ bietet sich an als Innenreise und Papierpilgern zum Ich für „Alleinreisende“, aber auch als gemeinsame innere Reise für Freunde und Paare, als alternative Silvesteraktivität abseits der lauten Spektakel, auch  gemeinsam rund um den Jahreswechsel zu bearbeiten und zu besprechen. Sie brauchen nicht mehr als Blätter ( gern auch ein Heft, das sie im nächsten Jahr für persönliche Überlegungen weiter benutzen) , Stifte, einige Stunden Zeit und Lust, sich selbst ein wenig näher zu kommen.

Bevor Sie mit den Fragen beginnen, möchte ich mich bedanken: für Ihre Leseaufmerksamkeit, für Ihr Mit-denken, Nach-denken, anders Denken, für Ihr Mitfühlen, ja, für das gemeinsame Weitergehen in einem tabuisierten Bereich unserer Gesellschaft: dem Bereich der  belasteten Familien und Kindheiten.

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Künstlerische Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms. Am 11.3.2017 erschien bei Klett-Cotta ihr neues Buch, das sie gemeinsam mit ihrer Tochter Maren Geiser-Heinrichs verfasst hat: Meine schwierige Mutter. Das Buch für erwachsene Töchter und Söhne.

Papierpilgern zum Ich  – Jetzt.Besser.Leben-Coaching zum Jahreswechsel.

Säule 1 Meine Leiblichkeit

Wie steht es um Ihre Gesundheit; wie war Ihr körperliches und seelisches Befinden im allgemeinen 2019?

Gab es Unfälle oder Erkrankungen, die sich auswirken?

Hat die Erkrankung/ Belastung Ihres Elternteils Einfluss auf Ihre Befindlichkeit genommen? Wenn ja, in welcher Weise?

Wie sind Sie mit Ihrer Erscheinung zufrieden? Verkörpern Sie das, was Ihnen in Ihrem Leben wichtig ist?

Wie schätzen Sie Ihre geistige Haltung ein? Woher bekommen Sie geistige „Nahrung“, Anregungen?

Was können Sie 2020 aktiv für Ihre geistige Haltung tun? Legen Sie Schritte fest, die Sie hier terminieren.

Welche Stärken haben Sie aus der Erkrankung des Elternteils erlernt?

Wie werden Sie Ihre Stärken 2020 weiter fördern?

Was möchten Sie 2020 für Ihren Körper tun, wie werden Sie sich Ihrem geistigen und seelischen Zustand passend „verkörpern“?

Kreative Übung: Malen Sie Ihre Gefühle 2019 als Landschaft.
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Säule 2 Meine Sozialen Beziehungen

Wie steht es um ihre sozialen Netzwerke: welche Beziehungen pflegen Sie in der Familie, im Freundeskreis,  bei Arbeitskollegen, in der Nachbarschaft?

Wer ist Ihnen besonders wichtig? Wer fällt aus?

Welche Beziehung fordert den meisten Teil Ihrer Energie, welche Beziehung stiftet  Energie?

Welche Beziehungen aus der Vergangenheit wirken sich bis heute aus? Wie wirkt die Erkrankung Ihres Elternteils sich auf Ihre aktuellen anderen Beziehungen aus?

Mit wem möchten Sie 2020 mehr Zeit verbringen?

Wie wäre ein idealer Freund oder Freundin für Sie?

Wollen Sie diese ideale Freund/in für jemanden sein? Wie gehen Sie das aktiv 2020 an…

Kreativ-Übung: Schreiben Sie einen Brief an eine imaginäre ideale Freund/in.
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Säule 3 Arbeit und Leistung

Wie ist Ihre Zufriedenheit in Ihrem Haupttätigkeitsfeld, etwa am Arbeitsplatz ( oder auch als Mutter etc.)?

Tun Sie Ihre Arbeit gern?

Empfinden Sie Ihre Arbeit als Bestimmung, Berufung?

Ist Ihre Arbeit Erfüllung oder nur notwendig zum Lebensunterhalt?

Wie passen Ihr Menschenbild und das Bild Ihres Arbeitsgebers überein?

Wie sicher ist Ihre Arbeit?

Welche Erwartungen haben andere an Sie?

Wo liegen Ihre Stärken, Ihre Defizite?

Aus welchen anderen Bereichen schöpfen sie Kraft? In welchem anderen Bereich sind Sie zufrieden mit Ihrer Leistung?

Wo sind Sie besonders erfolgreich, wo nicht?

Welchen Einfluss hatte die Erkrankung Ihres Elternteils auf Ihre Berufstätigkeit?

Was möchten Sie 2020 weiterführen, was hinter sich lassen?

Wie kommen Sie Ihrer Bstimmung 2020 ein Stück näher?

Was würden Sie in Ihr Leben zaubern, wenn Sie magische Kräfte besäßen?
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Säule 4 Materielle Sicherheit
Zu den materiellen Sicherheiten zählen Geld, Wohnung, Kleidung u. a. (Wenn materielle Sicherheiten wegfallen, gerät oft dadurch auch die Identität ins Wanken)

Wie stand es 2019 um Ihre materielle Situation?

Worauf können Sie sich verlassen?

Haben Sie 2019 verdient, was Ihre Arbeit wert war?

Haben Sie manchmal Existenzängste?

Wie sah Ihre finanzielle Situation zu Kindheitstagen aus?

Welche Rolle hat hierbei die Erkrankung Ihres Elternteils gespielt?

Welche Angst aus Kindheitstagen führt heute noch Regie?

Wie können Sie Ihre finanzielle Situation in 2020 optimieren?_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

Säule 5 Meine Werte
Aus Ihren Werten können Sie Sinn und Kraft schöpfen, aber auch an unpassenden Wertvorstellungen erkranken. Ihre Zugehörigkeit zu Wertegemeinschaften (Kirchen- und Glaubensgemeinschaften, politischen Organisationen, Arbeitsgemeinschaften usw.) kann Sie stärken und unterstützen, unpassende Zugehörigkeiten, anstehende erforderliche Loslösungen können alles ins Wanken bringen. Ihre Ziele werden zu großen Anteilen durch Ihre Werte bestimmt. Werte werden verkörpert, führen zu einer Haltung, die sich konkret in Verhalten zeigt.

Welche Werte sind Ihnen wichtig? Nennen Sie drei zentrale Werte…

Für welche Werte treten Sie aktiv ein?

Gibt es Werte, die Sie schwächen oder verunsichern?

Welche Rolle spielen Sucht- oder andere elterliche Erkrankungen in Ihrem Wertesystem?

Sind Ihre Werte von einer Gemeinschaft akzeptiert und getragen, wie stimmen diese mit Ihrer Familie überein?

Welche Werte Ihrer Herkunftsfamilie möchten Sie hinter sich lassen?

Welche Werte stimmen mit Ihrer Wertegemeinschaft nicht mehr überein, welche möchten Sie 2019 weiterverfolgen?

Wie passt Ihre Sorge um den Erkrankten (Partner, Eltern) zu Ihren Wertevorstellungen?

Welche Überzeugung oder Lebensphilosophie stärkt Sie?

Welche Rolle spielen Sie selbst in Ihrem Wertesystem?

Wie können Sie sich und Ihren Werten 2017 einen angemessenen Platz in Ihrem Leben geben?
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Kreativ-Coaching:

Welche Ihrer Säule erleben Sie 2019 als geschwächt, welche zeigte besondere Stärken?

Sie können auch eine Einordnung Ihrer Säulen in Zahlen vornehmen: ordnen Sie jede Säule zwischen 0 ( gar keine) und 100% (vollständig) Stabilität ein.

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Finden Sie, wenn möglich, eine grafische Darstellungsmöglichkeit Ihrer Säulen in 2019…unterscheiden Sie nach Größe, Form, Position, Farbe. Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf…Malen Sie gewünschte Veränderungen in 2020 ein, geben Sie  Ihren Wünschen grafisch Raum….schraffieren Sie, gestalten Sie bunt, in Symbolen etc.

Tauschen Sie sich mit Ihrem Partner oder einem Menschen Ihres Vertrauens aus…“Wer bin ich?“- die Antwort auf diese Frage unterliegt der Veränderung: Sie können im Jetzt Einfluss nehmen! Auch die vorhergehenden Übungen auf diesen Seiten können Ihnen weitere Anregungen zu dieser Frage bieten…

Wenn der Nebel sich lichtet… „Erwachen“ durch Klarblick

„Ich war wie in einem Hexenkessel gefangen, ich konnte nichts mehr sehen, weder Schönes, noch irgendetwas klar in meinen Problemen. Erst als ich mich um mich gekümmert habe, mich gespürt mit all meinen Gefühlen, bekam mein Leben eine neue Richtung.“ Frau L. malt für dieses „Jetzt“ ein Haus im Grünen, mit Vögeln und Weite und gibt ihm den Titel ‚Erwachen’. (Frau L., 44 Jahre, zit. nach Barnowski-Geiser, W.2009: Hören, was niemand sieht)

Manchmal beschreiben Menschen ihren Veränderungsprozess  ähnlich wie Frau L.: sie bezeichnet es eindrücklich als „Erwachen“. Wenn Belastendes tabuisiert wird oder in Kindheitstagen wurde, wenn klar Sehen im familiären Gefüge nicht erwünscht war, nicht geduldet, vielleicht sogar mit Gewalt oder Ausgrenzung beantwortet wurde, dann kann die eigene Sicht, die eigene Wahrnehmung und schließlich die gesamte Selbstwahrnehmung  dem Tabu zum Opfer fallen: Tatsachen aus der Kindheit wirken wie in einen Nebel getaucht, fühlen, erkennen, benennen war und ist bedrohlich.Der Nebel schützt zunächst die kindliche Seele…Hält die Tabuisierung über einen langen Zeitraum an (womöglich bis ins heutige Erwachsenenalter), kann dieser Nebel Teil des gesamten Erlebens werden: es prägt dann wie Betroffene sich selbst und ihre Umgebung wahrnehmen, ihren Leib und ihre Seele, es beeinflusst ihr Erinnerungsvermögen. Unter ungünstigen Bedingungen mündet es in Selbstvergessenheit bis hin zum erlebten Selbstverlust, einem chronischen Befinden, „das vielfach durch eine eigentümliche Ortlosigkeit, Verschwommenheit und fehlendes Selbstgefühl bis hin zur Entfremdung charakterisiert ist.  (Fuchs 2000, S.43f) Mit Erwachen verbunden ist oftmals eine neue Achtsamkeit, ein „Einrasten“ der Richtungen im Umraum, eine stärkere Zentrierung und  mehr Prägnanz. Das Erwachen gleicht dem Aufwachen nach dem Schlaf.  Körper und Atem , die Sinne und das Fühlen können dabei Brücken in das Erleben schlagen; über diese Brücken kann Verdrängtes und Abgespaltenes wieder integriert werden.

„Im Erwachen sucht der Leib nach den Fäden des Netzes, das ihn mit den vom Vortag her vertrauten Dingen des Umraums verbindet.“(Ebenda) Oftmals kann Erwachen erst eintreten, wenn die bedrohliche Umgebung verlassen wird und Betroffene sich um sich selbst kümmern können. Im Anschluss beschrieben sich Betroffene, wie hier Frau L., fürsorglicher und achtsamer im Umgang mit sich selbst, zuleich  ruhiger und gelöster, sie erlebten  sich selbst weniger fremd.

Buch sowie weitere leibphilosophische Betrachtungen bei Thomas Fuchs. Keine leichte Kost, aber lohnenswert.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Von der belasteten Kindheit zum besseren Leben-„…neu laufen lernen“

Wie besprochen soll es in dieser Woche weiter um Menschen gehen, die von sich sagen, dass es ihnen nach einer schwierigen Kindheit heute besser geht; in Befragungen schildern sie ihren persönlichen Weg. Heute möchte ich  Ihnen Frau L. vorstellen, eine Enddreißigerin, die ihren Beruf als Sozialarbeiterin aufgrund von Erschöpfungszuständen aufgeben musste. Ihre Mutter ist inzwischen trockene Alkoholikerin. Frau L. trifft diese etwa alle zwei Monate.

Vorher „Im Hamsterrad“

„…wie in einem Hamsterrad gefangen. Alles war schwarz und grau. Ich sah und spürte nichts mehr, ich wusste weder, wo ich hinwollte, noch warum sich alles so furchtbar anfühlte – ich gab mir selbst daran die Schuld.“

Jetzt: „Frieden“

„Jetzt fühle ich mich gut, was mir auch sehr fremd ist, da es das in meinem Leben so wenig gab. Da brauche ich immer wieder Mut, dem Neuen zu vertrauen…Ich musste ja bei jedem noch so kleinen Schritt Hilfe haben, ob er gerade wieder wirklich für mich stimmig ist, ob es richtig ist für mich – oder ob ich nur reagiere auf das, was andere erwarten. Das war mühsam, aber ich empfinde nun oftmals Frieden und Freude. Ich musste von Stunde zu Stunde Wegweiser haben, um jeweils zu wissen, wie es genau weitergeht. Ich habe eigentlich neu laufen gelernt. Es haben sich neue Ziele und Blickwinkel in dieser Zeit entwickelt. Ich habe meine Belastungen erkannt und abgeworfen.“

 Für ihre Zukunft wünscht sie sich: „Das Leben genießen“

Wie hat es Frau L. geschafft?

Wie viele Erwachsene aus belasteten Familien ist bei Frau L. im Laufe ihrer KIndheit ihre Bewertungsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigt worden. In Familien, in denen Werte nicht klar sind, wo „richtig“ und „falsch“ in der Sucht etwa durcheinandergehen, wo „wichtig“ nicht mehr von „unwichtig“ zu unterscheiden ist, beginnen die Kinder oftmals zu schwimmen ( übrigens auch eine nachhaltige Lernbeeinträchtigung bei Kindern, die meist übersehen wird). Die grundlegende Orientierung geht verloren. Aus  „Ich weiß nicht, was wichtig ist“ wird leicht: „Ich weiß nicht , was mir wichtig ist!“ und schließlich „Ich bin nicht wichtig!“Auch als Erwachsene tun sie sich dann mit  Bewertungen schwer: sie können kaum ein Maß für ihre Belastungen finden, wissen nicht mehr, was zu viel ist;jede noch so kleine Entscheidung bringt sie in existenzielle Nöte: „Bloß nichts falsch machen“ und bitte alles so perfekt, dass es keinen Fehler zu bemängeln gibt. Über diesen Prozess ist Frau L. erschöpft. Belastungen mussten reduziert, Entscheidungen unterstützt und begleitet werden ( man könnte diesen Prozess auch als kindliche Nachnährung bezeichnen, im Sinne des AWOKADO-Hilfe-Konzeptes wurde „Orientierung“ angeboten). So fand sie aus ihrer Starre und Erschöpfung in ein selbstbestimmtes Leben zurück.

Geben  Sie die Hoffnung nicht auf, wenn Sie mit einem belasteten Elternteil oder Partner leben oder gelebt haben: nutzen das Jetzt, um Ihren Weg neu und gut zu erträumen/imaginieren und ihn vielleicht auch bald tatsaechlich zu gehen.

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Leichtigkeit und Schwere haben sich zusammengefügt!“ oder wie Frau N.`s Leben besser gelingt

Menschen mit belasteten Kindheiten warten, nicht nur im Advent. Advent verbinden viele mit dem Warten auf das Licht. Christlich orientierte Menschen warten in der Adventszeit auf den Erlöser, den sie in Christus verkörpert sehen.Menschen mit Kindheitsbelastungen warten auf Heilung, auf ein besseres Leben – oft ist diese Besserung für sie gekoppelt an Veränderung erkrankter Elternteile oder Partner. Sie denken, dass ihr Leben nur besser sein kann, wenn etwa die Mutter aufhört zu trinken, der Vater nicht mehr so depressiv ist u.ä. Damit einher geht meist der Wunsch, dass der kindlich erlebte Mangel, schlechte Erfahrungen doch noch entschädigt werden, endlich Ruhe und Frieden einkehre; andere möchten endlich eine Beziehung erleben, in der sie so geliebt werden wie sind – anders als damals.

Wie haben Menschen es geschafft, die mächtigen Spuren des Gestern dennoch hinter sich zu lassen und heute besser zu leben? Dazu möchte ich Ihnen in den nächsten Wochen einige Menschen vorstellen, die ich auf kreativen Wegen interviewt habe und die auf ihre Weise ihren Weg zu einem besseren Leben schildern. Soviel vorab: Meist hatte das als besser empfundene Leben weniger mit der Veränderung des Angehörigen zu tun…

Beginnen wir mit einer jungen Frau, die ich hier Frau N. nennen möchte. Frau N. hat einen sozialen Studiengang abgeschlossen und ist aus ihrem Elternhaus erst kürzlich ausgezogen. Das war ein großer Schritt für sie. Ihr Vater ist Alkoholiker mit Dauerkonsum, „heimlich und heftig“, wie sie sagt, „mit allen Ausbrüchen  und Auswüchsen, die man sich vorstellen kann“. Auch wenn er immer noch arbeite und ein bekannter Jurist in seiner Heimatsatdt sei: sein Alkohol-Doppelleben sei für die meisten Menschen wohl nicht vorstellbar, auch nicht seine heimische Cholerik. Um ihren Weg von der Zeit vor der Therapie bis heute zu schildern, wählt Frau N. Kunstdrucke, denen sie selbst Namen gibt.

Vor der Therapie „Stürzen“ (Kunstdruck von Frida Karlo)

„Ich war stumm und drohte zu erstarren. Ich hatte lauter ungute Männerbeziehungen und war nicht aus meinem Elternhaus abgelöst, fühlte mich für alles dort zuständig, während mir die Atmosphäre gar nicht gut tat. Ich hatte wenig Selbstbewusstsein, es fühlte sich an, als würde ich demnächst tief stürzen.“

Jetzt:„Dem Gipfel nahe“ (Kunstdruck v. C.D. Friedrich)

„Ich habe sehr viel geschafft, ich bin ausgezogen und viel selbstbewusster. Ich achte auf mich und spüre mich – ich schaue vom Gipfel in eine andere Welt, von der ich früher nur eine Ahnung hatte. Ich freue mich, dass ich das jetzt auch mit einem Partner, der mich achtet, teilen kann. Das ist neu. Ich fühle mich sehr leicht, Leichtigkeit und Schwere haben sich zusammengefügt. Ich habe eine eigene Familie und lebe in einer liebevollen Atmosphäre mit viel Zärtlichkeit, die mir so fremd war. Ich traue mich heute, mich auf mir liebe Menschen einzulassen. Ich habe einen Blick für meinn Leben – früher war ich nur mit meinen Eltern beschäftigt. Ich weiß jetzt, dass ich sie nicht ändern kann und auch nicht zuständig bin. Mir half, dass ich in der Therapie ernst genommen und so wieder achtsam für mich selbst wurde. Ich fühlte mich geschützt und unterstützt – in meiner eigenen Wahrnehmung- das hatte gefehlt.“ (zit. in Anlehnung an Barnowski-Geiser, W. :Hören, was niemand sieht).

Wie gelingt Frau N ihr neues Leben: sie musste etwas zurücklassen, in diesem Fall ihr Elternhaus und die damit verbundene ungute Dauernähe zum Suchtkranken und seinen Ausbrüchen. Sie musste Abstand zu ihrer eigenen Verantwortlichkeit gewinnen und demütig einsehen, dass sie die Situation der Eltern nicht wirklich ändern kann. Sie musste einen Blick für die Leichtigkeit neben der Schwere finden, achtsam für Leichtes werden und wirklich leichter leben.

Einen guten Start in eine  Adventszeit mit wunderbaren Momenten wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

 

Spurenfrei und Tadellos? Unterwegs zwischen Schönheitswahn, Fassadenpolitur und vergoldeten Brüchen

Neulich war zu lesen, dass es eine neue Generation von Smartphones geben soll, die Kratz-und Gebrauchsspuren unmittelbar weglöscht. Was ist das für ein Zeitalter, kann man zurecht fragen, in dem Gebrauchsspuren weggelöscht werden sollen, wo alles glatt und perfekt aussehen soll? Schönheitschirurgen haben Hochkonjunktur, Anti-Aging-Produkte ebenso.

Auf subtile Weise droht sich diese „Spurenfrei-tadellos-perfekt“-Sichtweise auch in die Betrachtung der Seele zu weben. Vergangenes  wird in dieser Mentalität beiseite gewischt, so getan, als hätte es Kratzer, Belastendes nie gegeben: „man“ trägt eine polierte Fassade. Diese Mentalität zahlen gerade die Kinder belastetender Eltern mit einem hohen Preis, laufen sie doch Gefahr, sich in dieser Mentalität vollends selbst zu verlieren. Der Erfolgsmensch hat demnach möglichst auch eine Erfolgsbiografie, eine Erfolgskindheit. So wird Schmerz  weggewischt, zugedeckt und übergangen, mit einem hohen Preis: damit einher geht der Verlust von Ganzheit  und Zugang zum ureigenen gerade So-Sein.

Spurenlesen und Brüche vergolden?

Neulich erzählte eine Klientin von einer alten japanischen Tradition: Wenn Porzellan hinfällt, etwa eine Tasse, so wird diese nicht weggeworfen, sondern vorsichtig zusammengesetzt und geklebt: die geklebten Nahtstellen werden anschließend mit Gold verziert. Welch eine schöne und nachhaltige Weise mit den Dingen umzugehen: Den Bruch vergolden, die Narbe anschauen und verschönern. Wie kann das Kindern aus belasteten Familien gelingen? …nach meinen Erfahrungen vor allem, indem die Narben und Spuren gewürdigt und wertgeschätzt, anders in ihr Leben und ihre Erzählung über ihr Leben (Narration) eingebunden  werden…Diesem Themenkreis möchte ich meine Beiträge in der Adventszeit widmen! Also, lesen Sie gern wieder rein!

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Lasst eure Seele nicht zer-„Trump“-eln…und die Welt bleibt draußen

Dinge, die in der Welt draußen passieren, können uns ( und im Moment beschreiben das viele Menschen) fassungslos machen. Bei vielen kommen verzweifelte Gefühle auf, Ohnmacht, Hilflosigkeit bestimmen die aktuelle Tagesordnung. Für diese Gefühle sind gerade Menschen mit belasteten Kindsheitserfahrungen besonders empfänglich. Es gibt sicher viele Möglichkeiten mit diesen äußeren Krisen umzugehen: Ein wichtiger Weg für Menschen mit Kindheitsbelastungen kann sein, sich in sich selbst gut zu beheimaten: gerade , wenn die Kindheit innere Heimatlosigkeit oder Verlorenheit bedeutete. Dann ist der Weg nach Innen fremd und wichtig zugleich: einmal am Tag für eine Zeit die äußere Welt draußen lassen, Gedanken kommen und gehen lassen, nicht mehr um diese Probleme draußen, nicht mehr  nur um einen Menschen kreisen, sondern einfach „sein“. Aktuelle Forschungen belegen die Wirksamkeit der geübten und gelebten Achtsamkeit ( MBSR nach Kabat-Zinn, im AWOKADO-Konzept der Verfasserin usw.), jahrtausende alte Religionen empfehlen ebenso Übungswege der inneren Einkehr und der Abkehr von der Welt für einen begrenzten Zeitraum auf unterschiedliche Weise (Buddhistische Praktiken, christliche Kontemplation, Praxis im Yoga etc.). Bei regelmäßiger Übung wirkt diese Praxis: sie ist nicht Selbstzweck, sondern Menschen gehen anders in die Welt, anders durch sie hindurch und bekommen, gestärkt vom inneren Heimathafen ( manchmal von einer Macht, die größer ist als sie selbst und über sie hinausreicht) ein neues Lebens-Gefühl: dem Negativen etwas Gutes, Liebevolles entgegensetzen zu können, etwas zu tun, dass anderen gut tut: eben von einer inneren Heimat aus, in die wir jederzeit zurückkkehren können.

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Corona-Auszeit: Die Begegnung mit unserer inneren Heimat

Vor der Corona-Krise haben sich viele Menschen teils sehnsüchtig gewünscht: endlich einmal Ruhe haben, niemanden hören und sehen müssen. Und nun ist plötzlich von einem Tag auf den anderen alles anders. Die Kontaktvermeidung ist staatlich angeordnet, viele Menschen sind vom Arbeiten auswärts freigestellt, alte Menschen sitzen allein in ihren Häusern. Manche von unseren LeserInnen sitzen, wie mir geschrieben wurden, in Ländern fernab der Heimat in Quarantäne, wissen noch nicht, wann sie diese verlassen dürfen und auch nicht, wann und wie sie zurück in die Heimat gelangen können. Schlimm, besonders für Kindheitsbelastete! Von hier ersteinmal mein herzliches Mitgefühl. Die augenblickliche Sizuation lässt, wie ich schon in den letzten Tagen beschrieben habe, alte Erfahrungen hochkommen: allein, mit existentiell erscheinenden Unsicherheiten konfrontiert, stehen wir plötzlich vor uns selbst: für Menschen mit Kindheitsbelastungen oftmals eine mehr als große Herausforderung. Warum fühlt es sich im inneren Zuhause quälend, leer, verloren an…andere scheinen unter der neuen Situation doch förmlich aufzublühen? Ein erster Schritt ist nach meinen Erfahrungen, uns selbst besser zu verstehen, nicht vor dem Inneren davon zu laufen, sondern erst einmal anzuschauen, was uns dort begegnet. Wird es greifbar, wandelt es sich.

Wie wir unser Elternhaus der Kindheitstage erlebt haben, hat Einfluss darauf, wie wir unser Inneres empfinden. Haben wir diese erste Heimat  als blühende Landschaft erfahren, dann haben wir diese so als guten „Wohnraum“ in uns abgespeichert. Wohlig fühlen wir uns meist von Grund aus, heimelig, gewärmt und geborgen vielleicht. Ebenso kann es, um im Bild zu bleiben, die eiskalte einsame Fjordlandschaft sein, die uns permanent ein Frösteln in die Seele treibt, ein verloren Fühlen, wie heimatlos, auf der Flucht: Stimmungsfarben, Narben und Spuren des Gestern bestimmen Ihre innere Heimat, Ihre innere Erlebenslandschaft, maßgeblich mit. Wie sieht Ihre innere Heimat  aus?…Versuchen Sie es doch einmal mit einer Landschaftsbeschreibung in einigen Sätzen…

Welcher Ton in unserer inneren Heimat vorherrscht, die Weise, wie wir mit uns sprechen, die Weise, wie wir in uns zu Hause sind, wie wir in uns wohnen, hängt nachhaltig mit unseren ersten Beziehungen, meist zu unseren Eltern, zusammen. Wie wir uns im Zusammensein mit unseren ersten wichtigen Bezugspersonen erlebt haben, prägt die Weise, wie wir uns heute erleben. Das hat Einfluss auf unser Selbsterleben und wie wir mit uns selbst umgehen.

Unsere Kindheitserfahrungen  prägen also unsere innere Heimat, nicht unveränderbar in dem Sinne, dass diese nicht mehr zu gestalten und verändern wäre. Aber das Fundament, eine architektonische Grundanlage, Stimmung und Färbung, werden uns im Zusammenleben mit uns wichtigen Bezugspersonen als Grundsteinlegung mit auf den Weg gegeben. Menschliche Gehirne sind nutzungsabhängig („Plastitzität“), auch und gerade bei Kindern: Wie Sie sich als Kind alltäglich gefühlt haben, bildete neuronale Netzwerke, das Hirn speicherte Erlebtes als Gefühlslandschaften: es gestaltete sich Ihre innere Welt. Die Summe der vergangenen Erfahrungen und der aktuellen im Jetzt bilden Ihre innere Welt, die Welt, von der aus Sie losgehen in die äußere Welt hinein. Diese innere Welt ist vorgestaltet und doch nie vollendet: Sie lässt sich immer weiter neu gestalten. Ein erster Schritt der Veränderung ist die Innenschau aus der Sicht des eigenen Beobachters: achtsam den eigenen Stimmungen zu folgen kann eine spannende Reise sein…gerade jetzt in diesen schwierigen Tagen eine lohnenswerte Reiseform. Ich wünsche Ihnen den Mut, sich selbst zu begegnen. Sie sind nicht mehr das kleine, hilflose Kind von damals, auch wenn es sich in diesem Moment, heute zur Coronazeit, vielleicht exakt so anfühlt. Also: 1. Schritt kann sein, die Gewissheit zuzulassen, dass heute etwas anders ist als zu Kindheitszeiten und Sie erwachsen etwas tun können. Sie haben schon so vieles in Ihrem Leben geschafft, auch das werden Sie bewältigen. Ihr heutiges Mantra könnte also lauten: „Ich weiß, dass ich mir selbst helfen kann!“ und „Ich werde heute zuversichtlicher denken!“ Auf diesem Weg können Sie Ihre inneren Bilder, Imaginationen, Ihre innere Weisheit ( ja, ich bin sicher, über diese verfügen Sie) unterstützen:

Stellen Sie sich eine Landschaft vor, in der Sie sich gut fühlen, malen und gestalten  Sie diese…wenn Sie noch an den Strand, in den Garten etc dürfen, sammeln Sie doch für Sie passende Materialien, gleich bei einem Spaziergang…

Wie ist es Ihnen mit der Arbeit mit Musik gestern ergangen? Noch nicht angegangen? Das „Nichts-Tun“ ist evt Teil der alten Überzeugung, dass eh nichts gehen wird, ihr innerer Sabboteur am Werke? Dann kann das für Sie im Augenblick noch nicht der richtige Zeitpunkt sein oder: Machen Sie es doch heute einfach mal für einen Tag anders!

Ich wünsche Ihnen einen Tag, mit kleinen Glücksmomenten – Sie müssen zulassen, diese dennoch wahrzunehmen.

Alles Liebe, besonders auch in die weiten Fernen und in die „strengen“ Quarantänen, wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Mutter Teresa und co…zwischen Selbstaufgabe und Hilfe

Sie bemerken es schon lange? Das Wohl der anderen stellen Sie über Ihr eigenes, Sie kreisen ständig in Gedanken um einen Menschen ( etwa einen Süchtigen), um den sie sich sorgen? Sie denken, obwohl alles dagegen spricht, dass Sie ihn durch ihr Verhalten erretten können? Dann sind Sie vermutlich in eine abhängige Situation geraten, in der sie die Rolle der selbstlosen Mutter Teresa übernommen haben ( weitere Rollen mit Test in Vater, Mutter, Sucht/Barnowski-Geiser 2015). Mit seinem Buchtitel „Ich will mein Leben zurück“ bringt es der Autor und Psychologe auf den Punkt: selbstlose Angehörige treffen auf selbstsüchtige Süchtige. Darin liegt eine große Gefahr: „Wer ständig selbstlos ist, ist sich irgenwann selbst los.“(Barnowski-Geiser 2015).

So wichtig Hinwendung und Mitgefühl für andere ist: wenn der andere „ein Faß ohne Boden“ ist, kann dieses Helfertum zur schweren Bürde werden und letztlich krank machen. „Werden Sie wieder Sie selbst“, überschreibt Jens Flassbeck und bietet konkrete Hilfen aus seiner umfangreichen Praxis in der Suchttherapie von Angehörigen an. … ein lesenswertes Buch.

Herzliche Grüße und eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Du bist, also bin ich: was Martin Buber, eine frühkindlich erlebte Trennung und Goldgräber verbindet

Martin Buber – ein Clubmitglied im Kreise der Kindheitsbelasteten? Diese Frage muss mit „Ja!“ beantwortet werden.

Buber galt als bedeutender Humanphilosoph: in das Zentrum seiner Überlegungen stellte er die zwischenmenschliche Begegnung.  Begegnung sah er als grundlegend für menschliche Identität, das Leben selbst vor allem als Ansammlung von Begegnungen. Wenig bekannt ist, dass Buber auch zum Kreis der Kindheitsbelasteten zu zählen ist: Im Alter von 4 Jahren trennen sich Bubers Eltern, die Mutter geht, Buber leidet entsetzlich. Wiederholt beschreibt er, diesen Verlust nicht verwunden zu haben. Seine Aussage (in Fortführung des Philosophen Descartes) Du bist…also bin ich läßt sich auch im Umkehrschluss weiterdenken, dann kommt sie der Vernichtung nahe: wenn du nicht bist, kann ich nicht sein… Überall suche er nach diesem Du, nach der Mutter, so beschreibt er es. Man könnte erwarten, dass er an diesem Leiden zerbricht: er aber leidet und nutzt seine Kindheitswunde, um anderen Menschen zu helfen. Die tiefgreifende Kindheitsverletzung des Verlustes wird heute als Motor gesehen für seine teils als genial eingestuften Arbeiten zur Zwischenmenschlichkeit. Sich selbst in seinem Mutterverlust zu verstehen wurde seine Triebfeder und unermüdlicher Motor.. und dabei gelingt es ihm, ein großes Lebenswerk zu schaffen. Indem er seine Wunde zu verstehen sucht, findet er letzlich sein „Gold“: Beziehungswissen, dass er in einem großen Werk auf vielfältige Wege an andere Menschen weitergibt.

Nur eine gute Begegnung reiche, um vergangene Begegnungen zu kompensieren, schreibt Buber später ( und findet selbst ein „heilsames Du“ in der Beziehung zu seiner Partnerin). Die Wunden verwandeln, sie zum Wunder, zu Ihrem ganz persönlichen Gold werden zu lassen: wie genau haben Sie das bewerkstelligt? Dieser Blick ist vielleicht unvertraut, aber lohnenswert. Wagen Sie einen wohlwollenden, wertschätzenden Blick auf  Ihre Biografie…werden Sie ihr eigener Goldgräber. Schreiben Sie doch eine kleine Erzählung dazu…ich werde  gern lesen, wenn Sie sie mir schicken mögen.

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Gestalten Sie aktiv Ihre Gefühlslandschaft oder: auch Gefühle haben ihre Geschichte

Manche Menschen kommen verzweifelt in die Therapie: sie haben nun schon mehrere Therapien hinter sich, sie haben ihre Beziehung beendet und einen neuen Job angefangen: sie fühlen sich jedoch weiterhin schlecht und unglücklich. Ihre Lebensqualität empfinden mit „nicht so gut“ milde beurteilt. Oftmals hat die Beeinträchtigung der Lebensqualität ihre Wurzel in der Biografie der Betroffenen, hier in der Geschichte ihrer Gefühle. Versuchen wir es aus neurowissenschaftlicher Sicht vereinfacht zu erklären: unser Gehirn verschaltet sich nutzungsabhängig. Nehmen wir Herrn A: von Beginn seines Lebens an ist er mit viel Angst, Unsicherheit und Sorge aufgewachsen ( seine Eltern waren wenig beziehungsfähig und konnten, insbesondere als  er noch Kleinkind war, wenig feinfühlig auf ihn eingehen ). Man könnte im Modell sagen, dass Herr A.  die Hirnspur „Angst und Sorgen“viel genutzt hat ( natürlich unbewusst und nicht freiwillig!). Aus einem oft genutzten Hirnweg kann eine regelrechte Hirnautobahn im Kopf entstehen: breit, viel befahren und immer bereit, genutzt zu werden. Die positiven Emotionen bleiben vielleicht wenig, bis gar nicht genutzt: sie drohen im unguten Falle zu verkümmern. So auch bei Herrn A., er fühlt sich chronisch schwer und traurig, erlebt sich unbegründet dauerängstlich, sein Leben als „schwer“, ohne , dass es einen wirklichen aktuellen Grund gäbe. Über die Jahre kann aus  Gefühlen unter bestimmten Bedingungen eine dauerhafte Grundstimmung und ein allgemeines Befinden werden: es fühlt sich chronisch nicht gut an.Betroffene glauben dann, dies nie mehr hinter sich lassen zu können, schieben ihre schlechte Dauerstimmung auf ihren „Charakter“ oder glauben, sich noch mehr um ihre Probleme kümmern zu müssen: indem sie sich noch mehr änstigen und sorgen. Herr A. muss also nicht mehr nur in Problemen „wühlen“, wie er es nennt, sondern die Quaität der Leichtigkeit und Inbeschwertheit Raum geben. Kindheitsbelastete drohen, wieder und wieder auf der alten Autobahn der Angst und Sorge zu landen, so auch Herr A. Spätestens dann ist mehr desselben kontraproduktiv: nun müssen neue Wege beschritten werden. Wenn Kindheitsbelastungen bearbeitet wurden, Lebensumstände gewandelt wurden und doch die Lebensqualität beeintrchtigt ist, dann lonht sich „Gefühlsarbeit“. Um aus dem alten Dilemma herauszukommen, ist es nötig:

  • den Mechanismus der „unguten Autobahn“ zu erkennen
  • eigene Gefühle und Stimmungen wahrzunehmen und zu identifizieren,
  • Gefühle neu zu bewerten und einzuordnen
  •  einen Perspektivwechsel vorzunehmen
  • neue Gefühle zu erproben und leben.

Die gute Nachricht für alle chronisch Schlecht-Fühler: Sie können etwas tun, Sie können aktiv Einfluss auf Ihre Stimmung nehmen…und damit meine ich ein zwanghaftes „Positivdenken“ mit Schönfärberei.

Zur Unterstützung empfehle ich zwei auf diese Belastung zugeschnittene Übungen.Um anders zu fühlen (oder auch überhaupt wieder), zeigen sich in meiner therapeutischen Arbeit mit Kindheitsbelasteten als besonders hilfreich:

1  Besser fühlen…Brücken bauen

2 Der Anker im Körper

Diese beiden Methoden möchte ich Ihnen hier zur Selbstanwendung vorstellen. Sprechen Sie diese Arbeit ggf. mit Ihrem Therapeuten ab, machen Sie dies nur, wenn Sie sich gerade stabil genug für neue Erfahrungen fühlen.

Kreative Selbsterfahrung Teil 1 „Brückenbau“

Diese Übung erfordert ein wenig Zeit und einen Ort, an dem Sie ungestört sein können...setzen oder legen Sie sich nun bequem hin. Achten Sie darauf, dass Sie nicht eingeengt werden und ihr Atem frei fließen kann…. Nehmen Sie nur wahr, wie Sie aus- und einatmen…nichts ändern müssen, alles sein lassen..

Wenden Sie sich nun einem Gefühl zu, dass Sie in der letzten Zeit unangenehm erleben ( das kann auch Gefühllosigkeit sein).  Stellen Sie sich vor, dieses Gefühl wäre eine Landschaft… wie sieht es hier aus, wie riecht es, schmeckt es, welche Geräusche sind da, welche Farben sind vorherrschend? Schauen Sie nur von oben auf die Landschaft, gehen Sie nicht hinein…wechseln Sie nun die Gegend….

Wie sieht die für Sie gegenteilige Landschaft aus…wie riecht es schmeckt es, welche Farben sind hier, welche Klänge, welche Menschen? Probieren Sie aus, wie es sich anfühlt, in dieser Landschaft umherzugehen. Wie ändert sich ihr Gang, ihr Körpergefühl, ihr Gangtempo?

Lassen Sie im nächsten Schritt zwischen diesen beiden Landschaften Brücken entstehen: sie können auf dieser Brücke hin- und hergehen und die Landschaften so aufsuchen, wie  Ihnen danach ist. Sie können nun immer, wenn Sie im unguten Gefühl angekommen sind auch auf die andere Seite wechseln. Probieren Sie das ein paar mal hier und jetzt aus.

Indem Sie diese Übung nun öfter anwenden, können Sie das Verknüpfen Ihrer Gefühlswelten unterstützen. Je regelmäßiger Sie dies tun, umso nachhaltiger greift der Veränderungsprozess ( auch hier gilt: Ihr Gehirn ist nutzungsabhängig!).

2 Kreative Selbsterfahrung: Der Anker in meinem Körper

Diese beiden Methoden möchte ich Ihnen hier zur Selbstanwendung vorstellen. Sprechen Sie diese Arbeit ggf. mit Ihrem Therapeuten ab, machen Sie dies nur, wenn Sie sich gerade stabil genug für neue Erfahrungen fühlen.

 Diese Übung erfordert ein wenig Zeit und einen Ort, an dem Sie ungestört sein können...setzen oder legen Sie sich nun bequem hin. Achten Sie darauf, dass Sie nicht eingeengt werden und ihr Atem frei fließen kann…. Nehmen Sie nur wahr, wie Sie aus- und einatmen…nichts ändern müssen, alles sein lassen…Denken Sie nun , wi es sich anfühlt, wenn Sie sich ganz bei sich und mit sich eins fühlen. Vielleicht erinnern Sie auch eine entsprechende Situation. Wie hat sich Ihr Körper angefühlt dabei? An welchem Punkt in Ihrem Körper ist dieses Gefühl zu Hause? Stellen Sie sich nun, wenn diese Vorstellung angenehm ist, vor, wie Sie mit jedem Ausatemzug tiefer in Ihren Körper sinken und seiner inneren Weisheit fplgen. Welche Körperstelle meldet sich, bewerten Sie nicht, auch wenn Ihnen diese Stelle ungewöhnlich erscheint…. Gehen Sie mit Ihrer Achtsamkeit zu diese Stelle: wie fühlt es sich genau an, welche Farben sind hier zu sehen, welche Klänge zu hören? Nur wahrnehmen. Wenn die Stelle gut mit den Händen erreichbar ist, so legen Sie eine Hand über diese Stelle, andernfalls stellen Sie sich eine Hand über dieser Stelle vor. Nehmen Sie die Energie wahr und verbinden sich mit dieser Stelle.

Wiederholen Sie diese Übung, wenn Sie sie angenehm erleben, ab sofort täglich.

Bei aufsteigenden unangenhemen Gefühlen können auch diese, nach einiger Übung im Körper, verortet und gewandelt werden ( z. B. Wut, sitzt heute in meinem Kiefer). Dann mit der stabilisierenden Stelle verbinden ( Wohlfühlstelle, z.B. im Herzen), indem Sie sich vorstellen, die Energie aus der Wohlfühlstelle zur unangenhemen Körperstelle fließen zu lassen- auch eine Brücke, wie in Übung 1 , kann zwischen diesen Stellen imaginiert werden, wenn Sie dies als angenehm erleben. Probieren Sie aus und wandeln Sie so ab, wie es IHnen persönlich entspricht-.

 Eine gute Zeit wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Fühle…und verändere dein Leben

Wenn die kindliche Seele chronisch belastet und überfordert wurde, geht das nicht spurlos vorbei: Kindheitsbelastung hat oft zur Folge, dass Betroffene nicht mehr fühlen. Zu unangenehm und belastend die negativen Gefühle der Kindheitstage: der für die Seele notwendige Schutz  durch „nicht mehr Fühlen“ kann in  einer allgemeinen Gefühllosigkeit münden (fachlich Anästhetisierung genannt): Betroffene spüren so  etwa ihre Trauer und Schmerz nicht mehr, aber tragischer Weise meist auch ihre positiven Gefühle nicht. Leere und Dumpfheit belasten ihren Alltag. Oft versuchen Betroffene diesen Gefühlen zu entfliehen, verständlich-; etwa indem sie immer mehr Reize suchen: neue Arbeitsstellen, neue Menschen, extreme Abenteuer, Horrorfilme oder Gewaltspiele… all dies soll  die Gefühle ermöglichen, die ihr Alltag ansonsten kaum hergibt.  Ihre Lebensqualität ist extrem verschlechtert. Denn: Immer, wenn sie mit Gefühlen in Berührung kommen, auch mit positiven, springt die Negativfühlseite an: Fühlen tut weh! Ein frustrierendes Hamsterrad, aus dem oft ohne professionelle Hilfe schlecht auszusteigen ist. Ein Weg, positive Gefühle zurückzuerobern, sind positive neue Erfahrungen im Jetzt, wie es manche Betroffene in der Arbeit mit kreativen Medien wiedergewinnen: singen, malen ,musizieren werden zur Kraftquelle und Ressource für das anders Fühlen- im kreativen Tun kann Abgespaltenes ( „dissoziertes“) integriert werden.

Vielleicht achten Sie in dieser Woche einmal besonders darauf, wie es um Ihr eigenes Fühlen steht…bei welchen Aktivitäten empfinden Sie gute Gefühle… geben Sie diesen Aktivitäten mehr Raum:  Ihr Gehirn ist nutzungsabhängig. Sie können durch positive Erfahrungen heute neue emotionale Verschaltungen möglich machen. Wenn sie  Ihre emotionalen Hirnareale weiterhin nicht nutzen, versanden diese bildlich gesprochen, sie verkümmern: alles fühlt sich öde und leer an.

Wie Sie negativ besetzte Gefühle womöglich nutzen und wandeln können, dazu mehr im nächsten Beitrag.

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Kreativ besser leben!

 

 

Ist es wirklich möglich, kreativ besser zu leben?

Nicht wirklich zufrieden mit ihrem Leben fühlen sich Menschen mit Kindheitsbelastungen oftmals: etwas lastet schwer auf ihnen, ohne dass sie es wirklich in Worte fassen könnten…das kennen Sie?…Warum sollte ich kreativ werden, denken Sie? Bringt mir das denn etwas, denken manche Kindheitsbelastete…malen, singen… pillepalle… das ändert doch nicht das, woran ich leide…Und das ist richtig: Lebensbedingungen und Umstände können Sie durch mehr Kreativität nicht ändern…aber Ihre Lebensqualität lässt sich auf kreativen Wegen verändern. Manches, das in der Fantasie durchlebt und erdacht werden kann, kann  Realität werden. Etwas, was nicht in Worte zu fassen ist, lässt sich in Farben ausdrücken, spiegelt sich in Musik. Ausdruck löst Druck. Bei auch noch so großen Problemen hält Ihr Unterbewusstes schon die Lösung bereit: Sie müssen nur Wege dorthin finden… Kreativität beflügelt und schafft neue Räume: so lässt sich kreativ denken,kreativ  arbeiten, kreativ lernen: kreativ leben. Kreativ leben ist eine Lebenshaltung, wenn Sie mögen, nennen Sie es „Lifestyle“…gemeint ist hier ein „Style“, der von Innen kommt und Ihrem  Wesenskern entspricht. Kreativ kommen Menschen in Flow, „fließen“ (in ein Material etwa, in eine Musik), vergessen sich und die Zeit, werden aktiv, entdecken neue Qualitäten und Stärken an sich selbst: Kreativität eröffnet uns neue Hirnspuren, wir können alte Pfade verlassen und unser Gehirn, plastisch wie es ein leben lang ist, lernt Neues und verändert sich beim Tun. Deshalb ist Kreativität für Menschen aus belasteten Familien besonders empfehlenswert.Werden auch Sie kreativ, werden Sie Bildhauer und Fantast: jeder kann Kubnstwerk, Künstler seines Lebens sein, als Gestalter und Gestaltetes zugleich ( Merleau-Ponty).

 Was heißt kreativ sein…das Wort kommt von „Creare“ und meint:
Neu schöpfen
Erfinden
Herstellen
Auswählen
Crescere
Geschehen lassen und Aktiv gestalten

 

Kreativität leidet unter alltäglichen Hinderungen, Zerstörern, die Sie wahrscheinlich kennen:

 

Perfektionismus
Bewertung
Zeitdruck
Materieller Druck
Immer überall sofort
Zielorientierung
Angst vor Versagen

 

Förderer der Kreativität dagegen sind:

Achtsamkeit
Stille
Raum für sich/All-ein-Sein
Offenheit
Wertfreiheit
Kontakt zum Inneren Kind
Übung, Ritual und Regelmäßigkeit

Nutzen Sie schon Ihren Hilfefaktor Kreativität? Nein…dann überlegen Sie, was Sie gerade hindert…und ändern es! Besuchen Sie doch unsere Kreativ-Coachings und planen ein, diese als ersten Schritt in IHre neue Kreativwelt zu nutzen….

Buchtipp:

Einen kreativen Start in den herbstlichen Monat wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

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„Einfach“ glücklich sein oder: Ist es wirklich nie zu spät für eine schöne Kindheit?

In dieser Woche möchte ich mit Ihnen einer wichtigen Fragestellung folgen: Kann man eine glückliche Kindheit als Erwachsener nachholen? Diese Versprechung soll zumindest den vollmundigen Versprechungen einiger Autoren und Seminarleitern zufolge, zu jeder Zeit einzulösen sein. Wenn es möglich wäre, glückliche Kindheit nachzuholen, dann beinhaltete das doch unendliche Möglichkeiten: Vergangenes Leid wäre demnach in der Gegenwart zu verwandeln, Glück wäre machbar. Ist es wirklich nie zu spät für eine glückliche Kindheit? Machen Sie etwas falsch, wenn Sie sich aktuell nicht gut fühlen? Die Beantwortung unserer Ausgangsfrage scheint nicht leicht.

Perspektivwechsel

Ist jeder einfach seines Glückes Schmied?  Betroffene mit Kindheitsbelastungen ( im Folgenden kurz Bel-Kids genannt) gewinnen den Eindruck, einfach falsch zu denken, unfähig zu sein…oder zu sensibel…einfach „zu“: die Kette der Selbstbeschuldigungen kann unendlich fortgesetzt werden… und mündet dann oft in der Frage: Mache ich etwas falsch in meinem Leben? Oftmals stellt sich in therapeutischer Arbeit heraus, dass Eltern oder andere Menschen viel falsch gemacht haben, ihrer Sucht gefolgt sind etwa: und nicht der Belastete selbst. Um dies herauszufinden, benötigen Menschen oft Krisen: alles bricht zusammen, die alte Weise zu denken, das Wertsesystem, womöglich wichtrige Beziehungen…und nun wird die Krise zum Wendepunkt. Und damit oft zur Chance..

Auf das Maß kommt es an…

Ob „Einfach glücklich sein“ durch einen Entschluss möglich ist, ist zumindest auch maßgeblich vom Schweregrad der kindlichen Belastung abhängig. Je früher die Kindheitsbelastung einsetzte und dort womöglich frühe Traumata (tiefgreifende seelische Verletzungen) hinterließ, umso weniger können sich Menschen ausschließlich durch eine bloße Einstellungsänderung in glücklichere Menschen verwandeln. Dies zu behaupten (und das ist in bestimmten Szenen durchaus verbreitet), stellt eine große Ignoranz traumatisierten Menschen gegenüber dar. Wenn die Belastung keine tiefgreifenden seelischen Spuren hinterlassen hat, ist die Palettte des Einflußnahme größer: dann ist über den Einsatz des Willens und sogenannte kognitive Umstrukturierung (vereinfacht gesagt ein Wandeln der Denkmuster) oft ein zufriedenes und glücklicheres Leben möglich. Bei Menschen mit schweren Kindheitstraumatisierungen ist eine längerfristige Therapie meist unumgänglich: und auch diese ist längst kein Garant für ein glückliches Leben. Auch Therapieprozesse sind dann von Höhen und Tiefen gezeichnet- aber die Gesamtbilanz fällt für Betroffene in der Regel glücklicher aus.

Was bedeutet Glück?

Nehmen Sie ein paar Atemzüge Zeit… was bedeutet für Sie Glück?…Wann haben Sie sich glücklich gefühlt zuletzt?…und als Kind?…Ist Glück für Sie erstrebenswert?

Was Glück bedeutet, ist für jeden etwas anderes. In der Glücksforschung hat man herausgefunden, dass materielles Glück sich schnell verflüchtigt: wer also etwa einen großen Geldbetrag gewinnt, der kann kurzfristig mehr Glück erleben- nach kurzer Zeit pendelt sich der Gewinner jedoch auf Normalniveau ein.

Schauen wir aus philiosophischer Perspektive, so wird Glück sowohl als etwas Individuelles und als etwas Flüchtiges beschrieben. Um nach dem Glück zu suchen, muss man demnach zunächst benennen können, was glücklich macht. Als Glücksuchende brauche ich also eine Vorstellung davon, was denn Glück für mich genau ist. Um diese Vorstellung überhaupt entwickeln zu können, muss jemand glückliche Zustände erlebt haben und sie auch erinnern –  das setzt voraus, Glücksmomente auch als eben solche wahrgenommen zu haben.  Manchmal wissen Menschen mit Kindheistbelastungen schlicht nicht, wie sich Glück anfühlt – sie haben es wenig erlebt.Damit fehlt ihnen eine wichtige Voraussetzung,  glücklich zu werden: sie müssen also im Jetzt achtsam sein, was Sie angenehm, schön, bereichernd empfinden. Oft ist die kurzfristige Beglückung wenig hilfreich: ist etwas zugleich in Übereinstimmung mit dem eigenen Lebenssinn, mit dem eigenen Wesen, wird es dann besonders „glücklich“ erlebt.

Im Buddhismus geht man davon aus, dass man erst Freude und Glück  empfinden sollte, bevor man sich dem Leiden zuwendet. Wenn jemand krank ist, muss erst gestärkt werden, bevor er Schweres  erfährt (etwa das Ausmaß seiner Erkrankung). Die alltägliche Praxis der Meditation soll den Menschen darin  unterstützen. Buddha leitete an, wie man zu Freude  und Glück kommt durch die Praxis der Meditation.  Es muss erst Stärke gefunden werden, imdem man sich um Freude und Glück kümmert. Wenn man zu schwach ist, kann das Ansehen des Leides zu früh sein. Wie bei einer OP: auch hier muss das Kräftig Werden im Blick sein bevor operiert wird. Wenn man noch schwach ist, so nimmt man an, sei das Ansehen der Sorgen  zu schwierig.

„Ich achte auf mich“ statt „Ich bin für dein Glück verantwortlich“ – Loslassen, Betrauern und Selbstachtsamkeit als heilsamer Weg

Gefühle von Freude und Glück aufzubringen ist für manche alltägliche Praxis. Wie geht das? Folgt man buddhistischen Lehrern (Thich Nhat Hanh, Buddha) und christlichen Kontemplationspraktitken hat dies viel mit Loslassen zu tun. Der Buddha sagt, dass Glück hänge eng zusammen mit der Fähigkeit, loszulassen und nicht anzuhaften. Wenn man an Beziehungen und Ideen festhalte, bereite das Schmerzen. Etwas sehr Bekanntes für Menschen mit KIndheitsbelastungen: oft kreisen sie lebenslang um ihre Eltern, in der Hoffnung, dass diese doch endlich glücklich werden sollen.  Von vielem denken wir demzufolge, dass wir es nicht loslassen können, weil wir glauben, das wäre unabkömmlich für unser Glück. Oft ist gerade diese Idee loszulassen. Für Bel-Kids bedeutet dies oftmals die Aufgabe der Idee: wenn ich meine Eltern glücklich gemacht habe, werden sie mich lieben: dann werde ich selbst glücklich sein. Je mehr sie diese Vorstellung loslassen statt sie festzuhalten, um so besser scheint dann ihr eigenes Leben. Sie haben dann die Vorstellung losgelassen, das sie die Verantwortung für das Lebensglück ihrer Eltern tragen. Sie bemerken erst als Erwachsene, dass sie ein Recht auf ein gutes Leben haben; auch wenn es jemand anderem ( etwa dem erkrankten Elternteil) noch schlecht geht. Dann können eigene Bedürfnisse endlich Raum bekommen, auch kindliche Wünsche können durch den Erwachsenen, der sie im Jetzt sind, erfüllt werden. Oftmals setzt das glücklich Sein eine Zeit des Betrauerns voraus: was war nicht möglich früher, was ist nicht nachholbar?… erst dann können Betroffene  achtsam für sich selbst sorgen und sich auf einen glücklicheren Weg mit ihren verletzten kindlichen Anteilen begeben : um unsere Frage aufzugreifen. Es ist oftmals nicht zu spät für eine gute Kindheit: je schwerer die KIndheitsrefahrungen waren, umso weniger einfach ist das Nachholen.

Ich wünsche Ihnen eine erfüllte Woche mit glücklichen Momenten

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

 

Neustart: Hinwenden statt Kompensieren

In jedem Erwachsenen schlummern kindliche Anteile: teils heitere, teils verspielte… aber auch verletzte und damit Bedürfnisse, die bis ins Erwachsenenalter unbefriedigt bleiben. Viele Menschen mit tiefgreifenden Kindheitsverletzungen übergehen in der Folge  ihre kindlichen Anteile: sie spalten diese <8 nicht wissentlich) von ihrem Bewusstsein ab. Sie versuchen (und das ist aufgrund der Größe der Verletzungen, die in ihnen wohnen, nur allzuverständlich) ihr Bedürfnis nach Liebe, nach Wertschätzung oder nach gesehen und gehört Werden zu kompensieren: aus dem Hunger nach Liebe wird dann beispielsweise übermäßiges Essen oder Trinken, aus dem Wunsch nach Gesehen Werden wird übermäßiges Arbeiten etc. Manche dieser kindlichen Anteile bergen großes Gefahrenpotenzial, nicht zuletzt können sie in Süchten münden: dann ist Sucht ein verquerer Versuch, die kindlichen Anteile irgendwie zu befriedigen. Da aber der eigentliche Kern nie befriedigt wird (nämlich das kindliche Bedürfnis) brauchen Betroffene eine immer  höhere Dosis, die jedoch nie reicht. Ein Ausstieg aus diesen unguten Kreisläufen kann oftmals erst erfolgen, wenn den kindlichen Anteilen (so wie einem realen KInd) wirklich Aufmerksamkeit geschenkt wird, ihm zugehört wird.

Vielleicht möchten auch Sie eine neue Richtung einschlagen? Ihr Neustart kann sofort beginnen: indem Sie sich Ihren kindlichen Bedürfnissen zuwenden statt sie abzuwerten, zu überhören und abzutun. Ihre neue Formel (oder auch Mantra) zum Neustart nach der Sommerpause könnte etwa lauten: Hinwenden statt Kompensieren.

Folgen Sie doch in dieser Woche einmal täglich für 5 MInuten der Frage: Was brauche ich, was braucht mein inneres Kind? Seien Sie geduldig mit sich und dem kindlichen Anteil: Antworten kommen nicht wie aus der „Pistole“ geschossen…suchen Sie eine geschützten Raum, nehmen Sie wie gewohnt hier angeregt, ein paar bewusste Atemzüge…Wenn Sie keinen Kontakt oder Zugang zu kindlichen Anteilen erhalten, dann ist der Zeitpunkt vielleicht nicht passend gerade. Notieren Sie für diesen Fall doch einmal, ganz frei und ohne Zensur, was sie glauben, was Kinder überhaupt brauchen…

Eine gute Woche mit einem sanften Übergang in das mildere Klima und einer anregenden Kinderzeit wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

„Unfassbar schuldig“- Wie erwachsene Kinder belasteter Eltern zu Therapeuten ihrer Eltern werden

 Zurück nach der Sommerpause hoffe ich, dass es Euch und Ihnen gut geht. Da ich während des Schreibens an unserem neuen Buch (das schreibe ich mit meiner Tochter gemeinsam und es wird wieder um Erwachsene Kinder und ihre Eltern gehen/ erscheint bei Klett-Cotta im Frühjahr 2017)  Interessantes gelesen habe, hier zunächst Bewegendes zum Themenfeld: aus dem neuen Roman der Autorin Sarah Kuttner, den mir eine Freundin ans Herz legte. Eindrücklich schildert Sarah Kuttner, wie sich die Situation der psychisch erkrankten Mutter in das Leben der Erzählerin webt: und es auch als Erwachsene noch bestimmt. Auch ihre Beziehung. Ihr Partner fragt irritiert: „Wo bist du die ganze Zeit?“…“Ich meine natürlich nicht körperlich, sondern, keine Ahnung, dein Geist, dein Herz. Du. Wo bist du die ganze Zeit?“ (Kuttner , S. 28)

In eine andere Welt zu flüchten, ist eine der (meist nicht bewussten) Rettungsstrategien erwachsener Kinder aus belasteten Familien, vor allem dann, wenn die kindlichen Belastungen zu groß sind und allzu lange andauern. Oftmals werden die Kinder mit diesen Belastungen tragischerweise komplett alleingelassen, beispielsweise wenn das andere Elternteil „flieht“:

Die Erzählerin in Sarah Kuttners Roman: „ Zuhause war ich der Mann in der Familie, eine Verantwortung, die ich zurecht tragen musste, war der echte Mann in der Familie ja durch meine Schuld nicht mehr da….ich fühlte mich immer unfassbar schuldig.“ ( S: 31)

Immer wieder unfassbar: wie Schuldgefühle aktiviert werden, wenn KInder eigentlich Überforderndes leisten. Es ist nie genug, so erscheint es. Allzu früh werden diese Kinder Helfer, Therapeuten ihrer Eltern

„…dann bin ich eben so ein Therapeut. Ich passe auf, wende Leid ab…Wenn meine Mutter in den Hochphasen ihrer Traurigkeit so viele Beruhigungstabletten nimmt, dass sie nicht wach genug ist, um auf die Toilette zu gehen. Dann wasche ich das Laken und hänge es auf dem Balkon zum Trocknen auf. Wenn die Nachbarn auf dem NebenBalkon die Laken beäugen und fragen, ob ich nicht ein bisschen zu alt sei, um noch einzupullern, sage ich leise: „Ja“, und schäme mich, als wäre es tatsächlich mein Urin auf den Streublumen.“ (Kuttner S. 32)

Stellvertretende Scham: der siamesische Zwilling der Schuld, bei erwachsenen Kinder belasteter Eltern im Lebensrucksack: ein schweres Marschgepäck. Beschämendes und Belastendes an Eltern Stelle in der Öffentlichkeit auf sich selbst zu schieben, ebenso. Ebenso typisch, dass die Leistung des Kindes nicht gesehen wird: im eigenen kindlichen Film und in der Erkrankung feststeckend, nehmen belastete Eltern dann ihre KInder und deren Tun, ihre Fürsorge, oftmasl bis zur Aufopferung und Entwürdigung, kaum zur Kenntnis.

„Jeder zaghafte Moment der erneuten Annäherung meinerseits wird mit purer, egoistischer Vereinnahmung quittiert. Monika ( name der Mutter, Anm. d. Verf.), die einfach nur irgendwen braucht, der zuhört, wenn das Leben sich anstellt. Der ihr offiziell bescheinigt, dass sie auch nur ein Mensch ist, dass sie immer nur gibt und für andere da ist, dass sich nie jemand um sie sorgt. Nun, ich habe mich meine ganze Kindheit um Monika gesorgt. Jetzt soll bitte jemand anderes übernehmen.“ (Kuttner, S. 40)

Dauerkrisen an der Tagesordnung; und wenn keine Krise da ist, wird eine erzeugt:

„Das Übliche: Monika  spielt Notfall und redet nur über Belangloses. Probleme, die keine sind, die aber behandelt werden sollen, als wären sie welche. Fertig. Sieben Anrufe in Abwesenheit für indisches Echthaar.“ ( Kuttner, S.41)

Wenn das Zusammenleben dann noch eine Dauerfrage von Leben und Tod ist, wenn Suizidalität der Eltern von Kindern getragen wird, wird es dramatisch:  die KInder fühlen sich neben ihrer Überforderung zusätzlich isoliert. Eine Dramatik, die ihnen das Kümmern und Aufpassen, das ständig um andere Kreisen,   das kontrollieren Müssen und verfügbar Sein,  tief in die Seele brennt. Ebenso das Gefühl, ohnmächtig, ausgeliefert und hilflos zu sein, ohne wirklich etwas bewirken zu können.

„…denn Monika ist nicht nur eine arme Wurst, sondern eine arme Wurst, die ihre sechsjährige Tochter fest an der Hand hielt, als sie vor ein Taxi warf, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat, eine arme Wurst zu sein. Jemand, der auch die anderen halbgaren Selbstmordversuche nicht ohne Kinderpublikum über die Bühne bringen konnte.“ ( Kuttner, S. 40)

Lesenswert!

Wunderbare Sonnentage wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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„Ich habe doch nur mitgetrunken, um meinen Mann besser steuern zu können!“

„Ich habe doch nur mitgetrunken, um meinen Mann besser steuern zu können!“, erzählt eine Angehörige (Flassbeck 2016, MuG). In diesem Satz zeigt sich die ohnmächtige Verstrickung von Angehörigen auf erschreckende Weise. Jens Flassbeck untersucht diese in seinem Artikel in der neuen MuG  anhand eines Praxisbeispiels eindrücklich: Co-Abhängigkeit live und anfühlbar. Nur langsam arbeitet es sich in die Szene der Behandler vor: dass auch die Angehörigen, hier vor allem Kinder, die erwachsenen Kinder und Partner von sucht-und psychisch erkrankten Menschen, selbst dringend Hilfe benötigen: Hilfe, die spezifisch auf sie zugeschnitten ist, von Behandlern, die sich in diesem sich erst langsam  etablierenden neuen Themenfeld  professionell auskennen. Allzu lange wurden die Angehörigen von sucht-und psychisch erkrankten Menschen eher in die Ecke der Verursacher von Erkrankung gestellt, einbezogen in die Therapie wurden sie dann lediglich im Blick auf den Erkrankten- weniger, um ihr eigenes Leid, ihre eigenen Beziehungsmuster etwa, aufzuarbeiten.

Diesem Themenkreis hat Jens Flassbeck auch zwei lesenswerte Bücher gewidmet. Leser können umfassend aus den reichen Erfahrungen des in einer Suchtklinik tätigen Psychologen profitieren.

Cover MuG 29 Musiktherapie und sucht

Ihre neue Ausgabe der Zeitschrift von Musik und Gesundsein widmen die Herausgeber, v.a. Professor H.H. Decker-Voigt nebst Gattin, ebenfalls dem Thema Suchtbelastung mit zwei Leitartikeln:

Gegen den Strom schwimmen lernen
Der co-abhängige Fall Frau Freundlich
Jens Flassbeck

Tabu trifft … Musiktherapie. Zur Arbeit mit Kindern
und erwachsenen Kindern suchterkrankter Eltern
Waltraud Barnowski-Geiser

http://musik-und-gesundsein.net/95-mug-ausgaben/mug-29-musiktherapie-und-sucht/212-editorial

Buchdeckel „978-3-608-86045-0Buchdeckel „978-3-608-89106-5

Anregende Lesenszeiten und eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

Disziplin: Abgesang auf eine nicht immer hilfreiche Tugend

Disziplin wird in unserer Gesellschaft als eine Tugend gehandelt: wer sich selbst kasteien kann, disziplinieren für einen vermeintlich guten Zweck ( zum Beispiel für tolles Aussehen, eine schlanke Figur, ein berufliches Ziel) erhält in der Regel eine hohe gesellschaftliche Anerkennnung. Wenn diese Disziplin jedoch nicht auf einem tieferen Antrieb ruht, auf einer tieferen Sinnhaftigkeit etwa, einer Begeisterung oder Leidenschaft etwa, dann droht o gelebte Disziplin, wie es die Künstlerin Julia Cameron treffend beschreibt, eine kurzlebige Batterie zu werden. Sie kann  dann  in Leere und Sinnlosigkeit führen statt in Erfüllung,Disziplin verkommt zum Selbstzweck.

Für Menschen mit Kindheitsbelastungen hat Disziplin oftmals eine besondere Bedeutung, sie kennen Ohnmachtserfahrungen zu Hauf: Disziplin und Kontrolle erscheinen als probates Gegenmittel. Viele erlebten in ihrer Kindheit als Modelle Eltern mit schweren Belastungen, etwa mit Suchtproblemen.  Menschen mit Suchtproblemen schwappen zwischen Maßlosigkeit und Kontrolle: fehlt ein sinnhaftes Dazwischen, liegt das Abdriften in den Rausch oder andere suchtähnliche Verhaltensweisen erschreckend nah. Unter militärisch diszipliniertem Tun geht dann allzuleicht Lebensqualität verloren.In suchtfreien Phasen wird etwa in betroffenen Familien eisern Disziplin gehalten, alle wachen mit Argusaugen über ihre Einhaltung, aber irgendwie, so stellen die Familienmitglieder fest, fehlt etwas. Der Suchterkrankte versucht dies oftmals über das Suchtmittel zu finden.

„Die Qualität des Lebens steht immer im Verhältnis zu der Fähigkeit, Freude zu empfinden. Die Fähigkeit, Freude zu empfinden, ist das Geschenk, das man erhält, wenn man aufmerksam ist“ ( Julia Cameron)

Wie aber finde ich diese Lebensqualität, fragen gerade Menschen mit Kindheitsbelastungen und landen wieder und wieder in quälenden Zielvorgaben, die angeblich mit angemessener Disziplin zum Glück im Morgen führen.

Es gibt natürlich kein Rezept. Aber die Disziplin etwas loslassen und mehr Achtsamket in den Alltag bringen, beschrieben Menschen als erfüllend. Diesen Weg können Sie jetzt sofort beginnen: Erste Schritte eröffnet das achtsame Atmen ( dazu weitere Beiträge auf diesen Seiten) und die Konzentration auf Ihre Sinne. Riechen, schmecken, fühlen,tasten, sehen, hören… Machen sie doch jeden Tag dieser Woche zu einem Tag einer Ihrer Sinne…

Viel Vergnügen wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

 

„Spinn ich?“Körpersprache für Kindheitsbelastete/ Teil 2

Ich bin Zeit meines Lebens krank gewesen und habe  mich auch so gefühlt. Stimmige Diagnosen gab es kaum – meine trinkende Mutter habe ich überall verschwiegen. Das war mir sehr peinlich. Ich war ein Glanzkind, das zu strahlen hatte für meine Eltern. Erst als ich nicht mehr schlafen konnte und mich permanent übergab, bemerkte ich, dass mein Körper nicht mehr mitspielt. Dann fragte ich mich: Spinn ich? Bin ich wirklich krank oder bin ich verrückt?“ (Frau N., 35 Jahre) (zit. nach Barnowski-Geiser/2009: Hören, was niemand sieht)

Für Menschen mit Kindheitsbelastungen sind  eigene Erkrankungen oftmals besonders belastend, geraten sie doch durch Krankheit zusätzlich in eine enorme Schuldverstrickung. Wie entsteht diese ungute innere Verstrickung: Erst mit etwa 12 Jahren nehmen Kinder Schmerzen nicht mehr als etwas von außen Kommendes wahr, sondern identifizieren diese als körperliche Empfindung. „Bis dahin können Kinder Krankheit als Bestrafung für eigenes Fehlverhalten erleben und sogar Krankheitssymptome verschweigen, weil sie sich deswegen schuldig fühlen.“ (Plahl/Koch-Temming 2005, S.114) Wird dieser Mechanismus nicht aufgelöst, so kann der Vorgang, sich die Schuld für die eigene Erkrankung zuzuweisen, auch im Erwachsenenalter wirkmächtig bleiben.Es handelt sich somit im unguten Fall einerseits um einen innerpsychischen Vorgang, andererseits um eine familiäre Dynamik. Dies gilt besonders in Familien, in denen Eltern erkrankt sind sind und  für Erkrankungen, die wenig greifbar scheinen oder in die „psychosomatische Ecke“ abgetan werden.

We Wenn alles Alarm schreit: das Vegetativum als Sprachrohr

Wie wir schon in anderen Ausführungen  sehen konnten, ist das Stressniveau von Menschen mit belastenden Kindheitserfahrungen teils chronisch erhöht. Besonders stressanfällig zeigt sich das vegetative Nervensystem, das bei außergewöhnlichen Beanspruchungen eine besondere Beziehung zum Schmerz aufrechterhält. Alarmreaktionen führen zur Energetisierung der Steuerungssysteme. Wie bei Schreck und Schocksituationen wird das limbische System aktiviert und zum Sympathikusnerv geleitet. Jede Alarmreaktion erfordert höchste Aufmerksamkeit. „Wenn die Belastungen jedoch zu stark sind oder zu lange andauern, wird das Vegetativum in seinen regulativen Fähigkeiten überfordert und seine psychophysiologischen Funktionen entgleisen.“ (Seemann 1998, S.37) Betroffene bemerken Fehlreaktionen im Entstehen eines Symptoms. ,,Ein solches Symptom jedoch hat nur die Funktion aufmerksam zu machen und zu warnen und ist noch keine psychosomatische Störung im eigentlichen Sinn. Wenn allerdings solche Symptome nicht bemerkt oder nicht wichtig genommen werden, so können daraus funktionelle Befindlichkeitsstörungen entstehen, die ein Gefühl von Kranksein hervorrufen, ohne dass eine Krankheit zu diagnostizieren wäre.“ (Seemann 1998, S.37)

Unter psychosomatischen Rhythmusstörungen zeigen sich etwa bei Erwachsenen aus Suchtfamilien besonders  Anspannungsstörungen und vegetative Entgleisungen. Erwachsene Betroffene zeigten zum Teil chronische Erschöpfungssyndrome, insbesondere dann, wenn in selbst gegründeten familiären Systemen weitere Belastungsfaktoren wie chronische Erkrankungen von Kindern, Partnern auftrat oder auch weitere Suchtbelastungen . Klagen von Klienten über ihre Leiden sind eher selten- erst wenn die körperliche Situation zugespitzt und nicht mehr zu übergehen  war. Eine Aufgabe in der therapeutischen Arbeit ist zu lernen, sich dem Körper überhaupt zuzuwenden und ihn nicht nur als verräterischen Feind zu betrachten. „Abschließend können wir sagen, dass das vegetative Nervensystem ein potentes, kraftvolles und intelligentes Funktionssystem ist, das seine Regulationsaufgaben autonom erfüllen kann – vorausgesetzt, die Umgebungsbedingungen sind nicht über zu lange Zeiten zu belastend und vorausgesetzt, wir stören es nicht durch uneinsichtiges Verhalten oder schockieren es massiv.“ (Seemann 1998, S.63) Da für Betroffene diese „Einsicht“ oftmals  im Bereich des familiären Tabus liegt, stellt eine „Zusammenarbeit“ mit dem Körper eine entsorechend  schwere Herausforderung dar. Bezeichnenderweise treten viele Störungen erst nach den Extrembelastungen auf, etwa wenn die Gefahr der schleichenden oder akuten Suchtbelastung vorüber ist: Offenbar sind die Verarbeitungssysteme Betroffene in der Lage, zunächst den existentiell bedrohlichen Ereignissen den „Vorrang“ zu lassen

Bleibt Krankheit über längere Zeit unerhört, kann das nachhaltig negative Folgen haben: Die Folge sei gewöhnlich eine gesteigerte Suche nach persönlicher oder medizinischer Betreuung oder Zuwendung: eigentlich sollten die mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Problem in Zusammenhang stehenden Schmerzen schwerwiegend genug sein, um im medizinischen Kontext ernst genommen zu werden. (Seemann 1998) In der Kooperation mit Ärzten zeigte sich, dass aus medizinischer Sicht noch wenig auf Kinder in belastenden Umständen geschaut wird, erst recht , wenn diese lange zurückliegt – so gilt für betroffene Kinder und erwachsene betroffene Erkrankte durchaus in abgewandelter Form, was Hanne Seemann in ihrer Arbeit mit Schmerzpatienten über die ‚Versorgungslandschaft Psychosomatik’ konstatiert: „Auf allen Wegweisern kann man lesen, wo es nicht hingeht. Kein Organbefund, keine Erklärung, wie es emotionale Belastungen und Konflikte anstellen, Schmerzen hervorzubringen, kein Verständnis oder zumindest Anerkennung für das Leiden und die innere Beteiligung der Betroffenen, ihr Umherirren in der medizinischen Angebotslandschaft und ihren Wunsch, doch noch einen Ort zu finden, wo anerkannt wird, dass sie nicht nur Schmerzen darbieten bzw. über solche klagen, sondern dass die Schmerzen haben.“ (Seemann 1998, S.14) Eindrucksvoll schildert Hanne Seemann, wie Funktionsstörungen eine Sprache des Körpers darstellen, die Bedeutung hat und Sinn macht – belastete Kinder und Erwachsenen sprechen indirekt über den Körper aus, was sie nicht sagen dürfen – sie sind oft angewiesen auf andere Menschen außerhalb Ihrer Familie, die ihre Körper-Sprache hören und verstehen können und sie mit ihnen kleinschrittig erlernen. Bleibt dies aus, droht die Weitergabe der krankmachenden Mechanismen in die nächste Generation. Die Epigenetische Forschung liefert hier erschreckend eindrucksvolle Belege: sogar die Gene der Kinder traumatisiserter Mütter zeigen sich verändert.

 

Eine etwas andere Fremdsprache erlernen: Von der Weisheit der Körpersprache

„Mein Körper spinnt, der macht einfach nicht mit mehr mit. Der macht, was er will!“ Herr I., 29 Jahre)

„Ich hasse meinen Körper, alles würde wunderbar funktionieren, aber er macht mir alles kaputt! – Ich will ihn nicht spüren.“ (Frau N., 34 Jahre)

zitiert nach Barnowski-Geiser ( 2009) Hören, was niemand sieht. Semnos

Menschen mit Kindheitsbelastungen erleben ihren Körper oftmals als fremd, als von ihnen getrennt, eigenständig, abgelöst von ihrem sonstigen Sein: der Körper erscheint teilweise förmlich widerständig zu ihrem geplanten Handeln. Da möchte jemand immer noch mehr der an ihn gestellten Aufgaben schaffen und der Körper versagt die Funktion: Sehausfälle, Konzentrationsstörungen, bis hin zu Zusammenbrüchen häufen sich. Wenn für diese und andere Symptome keine organische Ursache auszumachen ist, lohnt es sich, „Körpersprache“ zu lernen. Oft im Nachhinein, wenn wir begreifen können, sehen wir, dass der Körper offenbar über eine höhere Weisheit, ein tieferes Bewusstsein oder Intelligenz verfügt, die uns noch nicht zugänglich war. Meist wird der Körper von Betroffenen erst dann wahrgenommen, wenn er in seiner Funktion gestört ist: Somit wird, wenn wir es leibtherapeutisch betrachten, der „Leib, der ich bin“ zum „Körper, den ich habe“. (Fuchs 2000) Während der gesunde Körper im Hintergrund als selbstverständliche und selbstvergessene Existenz nicht beachtet wird, rückt der kranke Körper als von uns losgelöstes Feindbild in den Blick: als außerhalb der eigenen Person liegendes Problemfeld. Der leibtherapeutisch orientierte Psychiater Professor Thomas Fuchs fasst Krankheit als gestörte Harmonie auf, die mit einer Entfremdung, einer „Partikularisierung“ innerhalb der Leiblichkeit einhergehe (Fuchs 2000).

Wenn etwas im Leben nicht rund läuft, wenn etwas sehr belastend ist oder in der Vergangenheit war, dann ist es manchmal der Körper, der dies als erstes ausdrückt.Gedankt wird dieses Überbringen dem Körper meist nicht, eher wird „der Überbringer der Nachricht geköpft.“ Zumindest rückt oftmals der Körper, einem Verräter gleich, in die Ecke unserer Feinde: Er bedroht uns, schreit Dinge, die wir nicht hören wollen. „Die Seele atmet durch den Körper und Leiden findet im Fleisch statt, egal ob es in der Haut oder in der Vorstellung beginnt.“ (Damasio 1997, S.19) Im Umkehrschluss heisst Verbindung zum Körper somit Integration, „ihn als Teil der eigenen Innenwelt anzuerkennen und ihn nicht nur als ein Ding, als einen Gegenstand, einen biologischen Organismus, also als Teil der Außenwelt (was der Körper natürlich auch ist), zu behandeln.“ (Seemann 1998, S.17)

Es ist für Menschen mit Kindheitsbelastungen besonders bedeutsam und lohnenswert, den Körper nicht losgelöst vom Fühlen und Denken zu sehen. Nehmen wir hinzu, dass viele Menschen unter unausgesprochenen Tabus in ihren Familien leiden, erscheint es als eine wunderbare Leistung, dass der Körper gerade das Unaussprechliche auf seine Weise  zur Sprache bringen –. Wir müssen oft sehr mühsam seine Sprache erlernen – Körpersprache ist für viele Kindheitsbelastete eine Fremdsprache, deren Erlernen dringend angezeigt ist.

Neurowissenschaftler zeigen einen engen Zusammenhang zwischen Körper und Bewusstsein. Sie finden Belege, „dass der Körper, wie er im Gehirn repräsentiert ist, möglicherweise das unentbehrliche Bezugssystem für neuronale Prozesse bildet, die wir als Bewusstsein erleben: „dass unser eigener Organismus und nicht irgendeine absolute äußere Realität den Orientierungsrahmen abgibt für die Konstruktion, die wir von unserer Umgebung anfertigen, und für die Konstruktion der allgegenwärtigen Subjektivität, die wesentlicher Bestandteil unserer Erfahrungen ist; dass sich unsere erhabensten Gedanken und größten Taten, unsere höchsten Freuden und tiefsten Verzweiflungen den Körper als Maßstab nehmen.“ (Damasio 1997, S.17)

Es kann sich lohnen, Ihrem Körper und seiner inneren Weisheit Raum zu geben. Machen Sie ab sofort mindestens einmal in der Woche (besser jeden Tag) einen Körpertreff: Nehmen Sie ein paar Atemzüge und lassen Sie dann Zeit, dass sich der Körper bei Ihnen melden kann…laden Sie Ihren Körper als Gesprächspartner zu sich ein …oder mit einem Körperteil, dass etwas erzählen kann…Fragen Sie Ihren Körper, was ihm zuviel und zu wenig ist…was er braucht, um gut zu arbeiten…

Klingt fremd? Nur Mut, probieren Sie es aus!Meist erhalten wir spannende, manchmal unbequeme Antworten vom Körperfreund…

Eine sonnige Woche wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Bücher

zum Themenfeld

Werde dein eigener DJ: Mit Nena ins Jetzt

Sitzen Sie gerade da und grübeln: wie das neulich wieder war, als sie so verletzt wurden?…Sorgen sich, was Morgen wird…Vielleicht sollte ich gehen…oder doch bleiben? Alles hinschmeißen oder durchhalten…ausziehen oder renovieren? Tägliches Tauchen im Meer von quälenden „Vielleichts“. Alles passiert: nur das eigentliche Leben nicht? Zeit, etwas Neues auszuprobieren? Werden Sie Ihr eigener DJ:

Musik kann Ihre persönliche Medizin werden: Nutzen Sie sie! Ihr Lebensgefühl können Sie aktiv durch Musik beeinflussen… Heute empfehle ich Nena, rezeptfrei auf Youtube anzuhören…Nena trifft mit ihrem neuen Song ein Lebensgefühl, das für Menschen mit Kindheitsbelastungen eine wahre Goldquelle sein kann: Genau jetzt! Probieren Sie es aus, ob es auch für sie passt und wenn der Song der deutschen Pop-Ikone Ihren Lebensnerv trifft, dann nicht wie los: tanzen, mit singen, pfeifen, machen. Genau jetzt!

Genau jetzt Songtext

Vielleicht ist es zu spät
Vielleicht ist es zu früh
Vielleicht ist es genau jetztVielleicht ist es zu früh
Vielleicht ist es zu spät
Vielleicht ist es genau jetzt
Genau jetztEin Moment
Zwei Personen
Eine Seele
Ein Herz
Zwei Personen
Ein Moment
Zwei Meinungen
Ein Ende

Manchmal sind zwei Eins
Und manchmal sind zwei Zwei
Manchmal heisst es „Hallo“
Und manchmal heißt es „Bye bye“
Bye bye

Vielleicht ist es zu spät
Vielleicht ist es zu früh
Vielleicht ist es genau jetzt
Genau jetzt

Vielleicht ist es zu früh
Vielleicht ist es zu spät
Vielleicht ist es genau jetzt
Genau jetzt

Genau jetzt
Im Moment
Was Morgen kommt weiß keiner
Leb jetzt im Moment
Wenn du auf die Fresse fällst steh auf und
Lauf weiter

Der Moment in dem es entsteht
Der Moment in dem es zerfällt
Der Moment wo ein Fremder ein Freund wird
Oder ein Freund so fremd
So fremd

Vielleicht ist es zu spät
Vielleicht ist es zu früh
Vielleicht ist es genau jetzt
Genau jetzt

Vielleicht ist es zu früh
Vielleicht ist es zu spät
Vielleicht ist es genau jetzt
Genau jetzt

Nenas Titel trifft nicht Ihren richtigen Nerv?..Was uns hilft, ist individuell. Auch in der Musik. Hören Sie in dieser Woche bewusst Musik: welcher Titel kann Sie ins Jetzt holen und gibt Ihnen ein gutes Gefühl? Konservieren Sie diesen Titel, nutzen Sie ihn wie ein Medikament: meist ohne schädliche Nebenwirkungen.

Eine gute Woche wünscht

Ihre
Waltraut Barnowski-Geiser

KidkIts Mutmachsong: Wir schaffen das!

Wochenimpuls vom 20.4.2016

Jetzt.Besser.Leben. hat Geburtstag

In dieser Woche ist Geburtstag: Am 13.4.2015, also vor 1 Jahr genau, startete Jetzt.Besser.Leben!

Grund zu feiern…Rund 15000 mal wurden inzwischen Beiträge gelesen: zu den Fach-Artikeln kamen die Rubriken „Impuls der Woche“ und „Kreativ-Coaching“.

Danke an Sie alle, die Sie lesen! An Sie alle, die in den sozialen Netzwerken (etwa Facebook) und auf andere Weise mithelfen, dass der Blog verbreitet wird

…damit Kindheitsbelastung endlich aus der Tabuzone herauskommt

….damit Betroffene nicht länger alleine dastehen.

Herzliche Grüße

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

An unsichtbaren Fäden des Gestern:Wenn Schuld das Leben bestimmt

Ein Gefühl, das Menschen mit Kindheitsbelastungen von der Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter beschäftigt, ist Schuld. Schuld ist hier gemeint als sich schuldig Fühlen, im Sinne einer inneren Bewertung .

„Das heißt, dass ein erlebtes Schuldgefühl nicht gleichsam bedeutet, dass diejenige Person, an der man scheinbar schuldig wurde, sich selbst als jemanden erlebt, dem etwas angetan wurde. Das Quälende der Schuldgefühle besteht gerade darin, sich ohne äußerlich erkennbaren Grund maßlos schuldig zu fühlen.“ (Musiktherapeutin Gitta Strehlow, 2005)

Auch die therapeutische Szene hat an diesen Entwicklungen keinen unerheblichen Anteil: lange Zeit wurden etwa im suchttherapeutischen Bereich Angehörige vielmehr als Verursacher von Krankheit angesehen (hier von Sucht), anstatt als diejenigen, die etwas erliiten. Erst in neueren Ansätzen werden spezifisch an Angehörigen orientierte Konzepte verfolgt (u.a. Flassbeck, Barnowski-Geiser).

In ihren Erklärungszuschreibungen erleben sich Betroffene diffus, beschreiben das Schuldgefühl als „einfach da“, abseits aller logischen Erklärungen. Bei vielen Kindern findet eine Umleitung statt, indem sie ihre Belastung verschieben und sich selbst als belastend beschreiben, sich damit „schuldig machen“. Manche Kinder äußerten während fortlaufender Therapie  heftige Schuldgefühle, die sogar mit Todeswünschen einhergingen. Oftmals leiden sie unter einem existentiellen Erleben von „Nicht- Gewollt- Sein“. Betroffene glauben, sich das Recht ihrer Existenz und Anwesenheit erst erarbeiten zu müssen. In diesen inneren Konstruktionen wird Eltern ein hohes Zugriffrecht zugebilligt. Erwachsene Betroffene glauben, weit über die Kindheit hinaus für ihre Herkunftsfamilie zur Verfügung stehen zu müssen: eben einfach, weil  sie sich auf ihnen selbst nicht bekannte Art und Weise schuldig gemacht hätten. Derart Betroffene scheinen diese Schuld förmlich abarbeiten zu müssen, was  eine innere Loslösung sowie Autonomiebestrebungen fast unmöglich erscheinen lässt – zumindest solange dieser Mechanismus ihnen nicht bewusst wird..

 „Und ich war ihrer Ansicht nach schuld, dass sie immer mehr trank, weil das mit mir alles nicht auszuhalten war… So äußerte sie sich… und sie sagte mir auch, dass sie, wenn sie im Auto saß, schon oft daran gedacht hatte, gegen die Wand zu rasen – wegen mir. Heute macht mich das wütend!“ (V16,HerrI.,40 Jahre).

Frau O., die sich nach ihren Erzählungen von ihrer Herkunftsfamilie deutlich gelöst habe, da es unter Alkoholeinfluss wiederholt zu sexuellen und gewalttätigen Übergriffen durch den Vater kam, wenig Loyalität durch Mutter und Geschwister gegeben habe, stellt ihre Herkunftsfamilie mit Tieren nach. Für sich selbst wählt Frau O. ein schwarzes Schaf, das die Aufschrift trägt:  ‚Welcome’. Diese Aufschrift fällt ihr erst durch einen Hinweis der Therapeutin auf. Frau O stellt sehr verwundert fest: „Und doch ist es genau so, wie ich es hier gewählt habe. Weil ich benannt habe, was sich sehe, war ich das schwarze Schaf meiner Familie, und doch würde ich bis heute alles tun, wenn meine Familie in Not ist. Ich fühle mich tief in der Schuld, die ich nicht erklären kann!“ (V17,Frau O., 46 Jahre)

Zitiert nach Barnowski-Geiser 2009: Hören, was niemand sieht

Schuld mobilisiert aktive, selbstkontrollierte Versuche, etwas wiedergutmachen zu können.“ (Strehlow 2005) Der Wunsch, sich für die Herkunftsfamilie einsetzen zu wollen, ist bei Betroffenen  besonders stark. Besonders bei Kindern, die ihre kranken Eltern durch Tod verloren haben, werden Schuldfragen existenziell. Auch berichteten betroffene Kinder von anderen Familienmitgliedern (in der näheren und erweiterten Verwandtschaft), die ihnen Schuld am Tod  eines erkrankten Elternteils zuschrieben. Manche Familiensysteme sind durch Tod oder Selbstmord eines Erkrankten offenbar so stark traumatisiert, dass es dann darum geht, die Schuld von sich selber  „wegzubekommen“. Im Sinne von ‚Angriff ist die beste Verteidigung’ scheuen so offenbar weder Großmütter davor zurück, ihre Enkel in der Verantwortung für den Tod des Erkrankten zu beschuldigen, wie Geschwister einander, Väter ihre Töchter: sicherlich ein Ausdruck allerhöchster familiärer Not.

Kann das Schuldthema nicht aufgedeckt werden, zeigte es sich bei Betroffenen als lebensbestimmende Triebfeder des eigenen Handelns: verschleißende und sich selbst missachtende Muster, einer Selbstbestrafung gleichendes Verhalten waren die Folge.  Auch Raubbau mit dem eigenen Körper, ein wenig liebevoller, fast an Selbstverachtung grenzender, nicht gesundheitsförderlichen Umgang mit sich selbst geht oftmals mit ungelösten Schuldzuschreibungen einher.

Beitrag in Anlehnung an Barnowski-Geiser:Hören, was niemand sieht 2009

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Weitere Zitate aus

Ein Schritt zurück: Ihr persönlicher Fortschritt

In unendlichen Diskussionen gefangen, nichts geht mehr, immer gleiche Gedankenstränge und keine Lösung in Sicht? Insbesondere, wenn Menschen auf andere mit vertrauten Kindheitsmustern treffen, etwa auf die eigenen Eltern, scheinen alle wie in einem dichten diffusen Knäuel gefangen.Manchmal hilft es dann, einen Schritt zurückzutreten. Abstand gewinnen und aus der verschlingenden Nähe herausgehen. Probieren Sie es bei nächster Gelegenheit aus, indem Sie den Schritt zurück konkret im Raum tun: manchmal kann  ein Schritt zurück einen entscheidenden Perspektivwechsel herbeiführen. Einen Abstand herstellen, aus der Distanz schauen, Atmen. Zum Beobachter der Situation und der eigenen Gefühle werden, Achtsamkeit zwischen Reiz und Reaktion legen. Agieren Sie gerade so, wie es Ihnen wirklich entspricht? Was brauchen Sie, um ihnen gemäß zu handeln? Lassen Sie sich Zeit, geben Sie Raum: Der so gestaltete „Schritt zurück“ kann wichtige Veränderungen zwischen ihnen und anderen einleiten, ihren persönlichen Fortschritt in Beziehungen einleiten.

Und auch bei anstehenden Entscheidungen kann dieses Innehalten, nicht gleich entscheiden und tun Müssen, zentral sein: Raum und Zeit für die eigenen Beweggründe, mit Abstand anschauen und bewerten statt sich im Meer der vielen Stimmen fortschwemmen  zu lassen.  Achtsamkeit, der erste Hilfefaktor aus dem AWOKADO-7-Schritte-Programm,  wurde von vielen Menschen aus belasteten Familien als stützender Faktor zum „Jetzt besser leben“ beschrieben. Weitere Übungen und Artikel auf dieser Seite (s.a.Kreativ-Coaching) und im Buch „Vater, Mutter Sucht“.

Sich öffnen und die heimische Burg verlassen

 Manche Familien sind in einem unausgesprochenen Pakt des Schweigens gefangen: sie reden zwar miteinander über Alltägliches, über Dinge, die zu organisieren sind, Belangloses, aber nicht über das, was sie eigentlich bewegt. Kinder erspüren in diesen Familien von Klein auf, dass das, was sie fühlen und wirklich bewegt, das, was man als den Schatten der Familie bezeichnen könnte, besser nicht ausgesprochen wird. So leben die im Tabu gefangenen zwar miteinander, aber einsam hinter unsichtbaren Burgmauern. Aussprechen bedeutete hier das Risiko, die familiäre Zugehörigkeit zu verlieren.  Nicht Aussprechen wird leider nur auch dann noch zum Muster, wenn diese Kinder ihre Herkunfts- Familien längst verlassen haben und eigene Beziehungen eingehen. Hesses Betrachtung ist in diesem Zusammenhang wertvoll…probieren Sie es aus!

Einen guten Start in den Frühling

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Leere-ueber einen heimlichen Beziehungskiller und wie Sie ihm auf die Spur kommen

Verzweifelte Paare, die in die Therapie kommen, haben manchmal Schwierigkeiten zu beschreiben, was ihr eigentliches Problem ist: der Kern der Probleme ist dann oftmals wenig mit Worten auszumachen. Irgendwie ungreifbar erscheinen ihre Beziehungsprobleme: Man streite sich wenig, es gäbe aber auch wenig Höhen, wenig Tiefen… aber irgendwie sei die Luft raus, heißt es dann. Stumm und verzweifelt, meist resigniert, wirken die derart Betroffenen. Arbeitet man als Therapeutin mit der eigenen Resonanz zum Geschehen, so wird ein ungeliebtes Gefühl spürbar, von dem die Paarthematik dominiert wird: Leere. Leere kann ein Beziehungskiller sein, der unerkannt, im Verborgenen sein Unwesen treibt.

Gar nicht schlimm?

Leere – wenn dieses Gefühl vorherrschend ist, klingt das für Menschen, die mit diesem Gefühl wenig anfangen können (da sie noch kaum Berührung damit hatten oder auch wenig darum wissen und es somit auch nicht wahrnehmen), wenig schlimm. „Leer“, das ist für sie nah an „Es ist doch nichts“, oder auch nah an einem Zustand, den es doch laut Meditations-und Kontemplationsformen gerade zu erreichen gilt. Der erstrebte Geisteszustand der Versenkung ist hier jedoch nicht am Werk, sondern etwas quälend Anderes, das offenbar schwer zu beschreiben ist -. Leere als „Nichts-Ist“. Wenn „nichts ist“, wie kann man dann darunter leiden? Leere kann, wie wir noch sehen werden, tatsächlich sehr unterschiedliche Qualitäten haben. Leere ist alles andere als „nichts“: wie wird quälend erlebt, versetzt in Starre, stumm machend, verbunden mit tiefen Einsamkeitsgefühlen, gepaart mit Antriebs- und Hoffnungslosigkeit, nah an dem, was man landläufig mit „depressiv“ verbindet. So und ähnlich beschrieben Betroffene nach allmählicher Annäherung ihr Tal der Leere. Oft überdeckt Leere andere starke Gefühle, betäubt, anästhetisiert, wie es in der Fachsprache heißt.

Das Drama der Leere im Dopelpack: Beziehungsleere

Die hier beschriebene Form der Leere möchte ich als biografisch verwurzelte Beziehungsleere bezeichen. Betroffene kennen Beziehungsleere dann seit Kindheitstagen: sie sind als Kinder bei ihren Eltern  ständig ins Leere gelaufen, wurden in der Leere stehen gelassen (zum Beispiel nach Trennungen der Eltern oder mit schweren Erkrankungen, hier oftmals nur für Stunden des Tages, aber auch hier mit nachhaltigen Verlust- und Ohnmachtserfahrungen gekoppelt), oder/und erfuhren kaum Resonanz auf ihnen wichtige Gefühle und Ereignisse. Diese Grunderfahrung der Leere, insbesondere in ersten wichtigen Beziehungen, kann dazu führen, dass diese Kinder als Erwachsene weiter suchen, um endlich einen Menschen zu finden, bei dem es eine Auflösung gibt für die in der Kindheit so schmerzlich erfahrene Leereerfahrung. Besonders schwierig wird es, wenn beide Partner als Kinder Leereerfahrungen gemacht haben – und zugleich keine angemessenen Auflösungen gefunden haben. Im ungünstigen Falle verstummen und erstarren dann beide Partner, beide „Kinder der Leere“. Trotz bester Absichten, trotz eigentlich vorhandener Liebe, steckt dann die Liebe im Leere – Drama fest. Oft endet dies mit Trennung und wiederholt sich tragischer Weise, wird der Prozess nicht erkannt, mit neuen Partnern, nur in anderer Besetzung.

Gefangen in der Leere- wenn ungute Beziehungen kein Ende finden

Menschen mit existenziellen Beziehungsleereerfahrungen treffen aud wundersam anmutende Weise immer wieder  auf andere Menschen, die ähnliche Kindheitserfahrungen gemacht haben und bei näherem Betrachten in Bindungsmustern starke Ähnlichkeit mit ihren Eltern zeigen. Die neuronalen Prägungen ziehen in Resonanz magnetisch Vertrautes an: nur unter jeweils anderen Gewändern. Wenn die Partner-Wahl auf jemanden gefallen ist, an dem ungute Erfahrungen wiederholt werden (etwa mit Suchtkranken oder bindungsunfähhigen Partnern), dann ist der Beziehungsalltag meist massiv belastet,  dann mutet es für Außenstehende wundersam an, dass Betroffene ihre Partner, trotz fortwährend beschriebener negativer Erfahrungen, nicht verlassen oder wie sie es selber erleben, nicht verlassen können. Für die Betroffenen selbst ergibt ihr Verhalten auf einer tieferen Ebene durchaus Sinn: sie hoffen, dass die Geschichte diesmal doch endlich einmal gut ausgehen möge. Es ist in ihnen etwas offen geblieben, in der Gestalttherapie spricht man von der offenen Gestalt, die geschlossen werden muss. Bei Trennungshemmung trotz unzumutbarem Beziehungsgeschehen sind oft kindliche Leereerfahrungen wirkmächtig: da auch die mit Trennungen einhergehende befürchtete Leere  unaushaltbar erscheint, wirkt Trennen letztlich schlimmer als Bleiben, ebenso wie die Hoffnung, dass es doch noch gut ausgeht und die offene Gestalt sich schließen kann, ebenso. Oftmals kehren diese Betroffenen auch nach ersten Trennungsschritten wieder um, da die sich ihnen auftuende Leere als unüberwindbarer Abgrund erscheint: Allein-Sein löst  beängstigende Leeregefühle aus, fällt auf traumatisch besetzten Boden. Betroffene haben noch keinen Weg gefunden, wie ihr Leben, abseits einer Beziehungsfixierung, erfüllt sein könnte: eine Wüste der Leere muss durchschritten werden, mit vielen Tälern von Einsamkeits- und Sinnlosigkeitsgefühlen, die neben anderen massiven Gefühlen unter der Leere verborgen sind. Kann dieses Leere – Erleben verwandelt werden, ist manchmal auch eine Partnerschaft wieder möglich – und erfüllt. Damit dies möglich wird, müssen beide Partner aktiv werden.

Kreativ-Coaching: Wege aus der Leere

Selten ist es Betroffenen bewusst, unter „Leere“ zu leiden…Betroffene beschreiben mehrheitlich Diffuses und nicht Greifbares, Leere tritt erst allmählich zutage. Wenn Sie sich mit Ihren Leeregefühlen stärker auseinandersetzen möchten, können das kreative Tun im Kreativ-Coaching der Woche ein erster Anstoß für Ihren Prozess sein. Wenn Ihr Partner dazu bereit ist, kann es bereichernd sein, zusammen zu gestalten und anschließend darüber zu sprechen. Auf kreativem Weg können Sie auf ungewöhnliche Weise etwas über sich erfahren, indem Sie vertraute Wege verlassen und neue Gehen…die Veränderung passiert unmerklich, spielerisch, je mehr Sie sich einfach von Ihrer Aufgabe mitreißen lassen.

Für die heutige Übung brauchen Sie mindestens 30 Minuten Zeit, ein großes Blatt und ein paar alte Zeitschriften, die Sie nicht mehr benötigen, mit Bildern, die sie ausschneiden können sowie ein paar Stifte.

Beginnen Sie nun mit dem Gestalten einer Collage: Knicken Sie zunächst ein größeres Blatt in drei gleich große Teile, sodass drei senkrechte Spalten entstehen. Gestalten Sie auf die linke Seite ein Bild, das die Überschrift „Leere“ trägt…

….auf die äußerst rechte Seite nun ein Bild, das für Sie das Gegenteil darstellt.

Betrachten Sie beides und gestalten nun in die Mitte Verbindungen zwischen beiden Seiten. Finden Sie auch für diese beiden Seiten eine Überschrift.

Wenn Sie gern weiterarbeiten möchten, gehen Sie nun noch einen Schritt weiter: stellen Sie sich vor, dass Ihre Collage Schauplatz eines Märchens ist. Lassen Sie diese Geschichte auf der linken Seite beginnen. Starten Sie mit dem Satz „Das hatte sie nicht erwartet“… Was ist davor passiert? Schreiben Sie einfach los und lassen Sie die Geschichte sich weiterentwickeln bis sie gedanklich auf der rechten Seite Ihrer Collage angekommen sind.

Welche hilfreichen Aspekte können  Sie aus Ihrer Collage gewinnen,  und  welche aus Ihrer Geschichte?

Sprechen Sie mit Ihrem Partner, wenn möglich…

Wenn Ihnen die kreative Arbeit Freude macht, liefert das Buch von Nick Bantock weitere Anregungen. Wenn Sie sich näher mit abhängigen Beziehungen beschäftigen möchten, ist sicher  Ich will mein Leben zurück von Jens Flassbeck interessant.

Du bist ein Künstler - Nick BantockBuchdeckel „978-3-608-86045-0

Gute Ostertage und Raum für Neues wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Und auf welcher Gedankenautobahn sind Sie unterwegs?

In einem besonderen Maße beschreiben Erwachsene aus belasteten Familien ein gemeinsames Leiden: das Feststecken in immer wiederkehrenden, sich wiederholenden Gedankenketten. Diese Ketten haben sich offenbar seit Ihrer Kindheit, um im Bild zu bleiben, (wieder und wieder gefahren), zu regelrechten Hirnautobahnen ausgebildet.“Bin ich davon auch betroffen?“, fragen Sie sich vielleicht.Eindrucksvoll in diesem Zusammenhang ist oftmals die nachfolgende Übung, die Sie nun, wenn Sie 5-10 Minuten Zeit investieren mögen, am besten gleich durchführen.

Übung Gedankenkreisel

Setzen Sie sich an einen Ort, an dem Sie für diese Zeit ungestört sein können (wenn es diesen Ort noch nicht gibt, ist das sicher eines Ihrer lohnenswerten  Projekte für die nächste Zeit, diesen einzurichten). Legen Sie Telefon und Handy so weit weg, dass auch diese Sie nicht stören.

Stellen Sie mit einer Stoppuhr ein Alarmsignal ein, dass Sie nach 10 Minuten sicher in diese Welt zurückholt.

Nun setzen Sie sich so angenehm als möglich hin und beobachten zunächst Ihren Atem…nur wahrnehmen, wie Sie ein und ausatmen…nun gehen Sie mit Ihrer Achtsamkeit auf Ihre Gedanken. Lassen Sie Ihre Gedanken einfach kommen und beobachten Sie… Geben Sie jedem aufkommenden Gedanken ein Etikett. Stecken Sie jeden Gedanken in einen Karton mit einer Aufschrift…solche Kartons können sein: Zukunft, Vergangenheit, Gegenwart   oder Druck, Sehnsucht oder Namen von Menschen. Nur wahrnehmen und sortieren…10 MInuten ca.

Fertig? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Malen Sie doch einmal Ihre Kartons auf in der passsenden Größe auf: große Kartons für viele Gedankenzu diesem Thema während dieser Übung , kleine für wenige).

Welcher Karton ist der größte?

Sind Sie überrascht von Ihrem Ergebnis,  ist das typisch für Sie und Ihre Gedanken?

Wiederholen Sie diese Übung in dieser Woche einige Male…sortieren Sie die Kartons jeweils neu.

Oftmals beschreiben Menschen mit Kindheitsbelastungen, dass ihr Denken vom Kreisen um eine Person ausgefüllt ist, d.h. sie fahren auf der Gehirnautobahn, die ich „der ersehnte Andere“ nennen möchte. Meist ist das gerade dann der Fall, wenn auch aktuelle Beziehungen sich schwierig gestalten. Wenn diese Probleme auf passende  Kindheitserfahrungen treffen,was  leider häufiger vorkommt, scheint das Fahren auf dieser mehrspurigen Autobahn vertraut und quälend zugleich.Betroffene erleben einen regelrechten „Selbstverlust im Anderen“  (Barnowski-Geiser 2009). Liebeskummer und Trauer um Verlust scheint nicht mehr aufzuhören.In diesem Zusammenhang sind die Untersuchungen von Fisher und Aron über Liebeskummer und den Vorgängen im Gehirn sehr eindrucksvoll- ich empfehle allen, die nicht verstehen, warum sie von einem Menschen nicht loskommen, in diesem Zusammenhang auch gern die spannende Arte-Doku Sleepless in New-York

Eine andere vielbefahrene Autobahn ist die Ängste und Sorgenspur, die von Menschen mit Kindheitsbelastungen manchmal dauernd befahren werden. Wie dieser Meachnismus entsteht, habe ich schon in anderen Beiträgen in diesem Blog beschrieben (Wenn gestern nicht einfach vorbei ist).

Heute möchte ich mit Ihnen schauen: wie wird man dieses Gedankenkreisen in endlosen Schleifen, insbesondere wenn man darunter stark leidet, wieder los?

Erste Hilfe für Gedankenkreiser,Hirn-Dauerautobahnfahrer und Falschfahrer

Den ersten Schritt haben Sie heute bereits erfolgreich getan: das Kreisen Wahrnehmen und es zunächst einmal so akzeptieren, wie es gerade ist: Schon allein dadurch, dass etwas wahr- und angenommen wird, kann Veränderung einsetzen.

Weitere Schritte:

  1. Aktive Geh-und Wendeübung: Versuchen Sie ab sofort, wenn Sie dieses endlose Kreisen bemerken, aufzustehen und diesen Gedankenkreis auch tatsächlich gehend zu Laufen: genau bis zu dem Punkt, an dem Sie sagen, ich möchte diese Gedanken nicht mehr. Stopp! Dann wechseln Sie die Lauf-Richtung und gehen in dieentgegen gesetzte Richtung. Ab diesem Punkt setzen Sie dem Gedankenkreisel etwas Neues, Angenehmes entgegen. Also statt Denken an den Menschen, mit dem es schwierig ist zum Beispiel: was kann ich Gutes für mich tun? Fallen Sie wieder in die Schleife zurück, wechseln Sie die Richtung und sofort…Machen Sie diese Übung genau solange und nur dann, wenn Sie sich entlastend für Sie anfühlt…
  2. Achtsamkeit für das Hier und jetzt schulen: Was umgibt Sie jetzt gerade, was tun sie jetzt, wie fühlen Sie sich augenblicklich? Seien Sie achtsam für Ihren Körper. Bleiben Sie mit Ihren Gedanken nur im Jetzt und bei sich. Regelmäßiges Üben bringt Sie näher zu sich selbst, was indirekt aus Abhängigkeiten von anderen Menschen und aus unguten Gefühlen lösen kann. Lesen Sie mehr zur Achtsamkeitsschulung in diesem Blog unter Besser leben?Warum ein Atemzug, der Mount Everest und ein ungewöhnliches Früchtchen ihre Helfer sein können
  3. Eine paradoxe Frage beantworten: Wofür ist dieses Kreisen gut? Diese Frage mag sonderbar klingen. Manchmal zeigt sich,dass die Gedankenschleifen einen Sinn im Leben des Betroffenen machen:  wenn das Kreisen um die betroffene Person das mangelnde eigene Leben ersetzt oder wenn tatsächlich immer noch Bedrohung vorhanden ist und diese Gedanken schützend einzustufen sind.
  4. Dem Gehirn Neues anbieten: Dinge tun und Entdecken, die Ihr Gehirn überraschen. Was haben Sie noch nie getan, welches Gebiet haben Sie noch nie „erlesen und erdacht“- probieren Sie dies in dieser Woche aus (übrigens laut Hirnforschung auch ein sehr gutes Mittel bei Liebeskummer…einfach eine neue Hirnspur daneben aufbauen).

Wenn Sie weitere gute Wege kennen oder neu finden beim Üben, lassen Sie dies die Leser gern in Kommentaren wissen.

Für jetzt wünsche ich Ihnen eine neue Woche, mit neuen Erfahrungen…passend zu Ihrem Frühling 2016?

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms

Werden Sie auch von Wespen aus der Kindheit verfolgt?

Vor einiger Zeit beobachte ich, an einer roten Ampel wartend, einen Jungen, der gar sonderbare Bewegungen ausführt: er springt wild unkontrolliert von links nach rechts, schreit aus Leibeskräften…ein Zaun verhindert die Vollständige Sicht, meine Fantasie auf Reisen, findet flux Diagnosen: vielleicht eine Psychose, ein Anfall, schlimme Ausprägung von ADHS? …diese und ähnliche Gedanken strömen durch meinen Kopf. Vielleicht werde ich, wenn ich um die Ecke gefahren bin, aussteigen, um zu helfen, rattert es in mir…. Die Ampel springt auf grün und ich sehe plötzlich, dass dieser Junge von Wespen verfolgt wird: als diese von ihm ablassen, geht er ruhig und „normal“ seines Weges daher. Ich bin beruhigt und verblüfft zugleich: hätte ich diese Wespen nicht gesehen, so hätte ich den Jungen also für krank gehalten.

So ergeht es auch vielen Kindern mit schweren familiären Kindheitsbelastungen: Niemand sieht ihre „Wespen“; die Kinder erhalten Krankheitsstempel, ohne dass wirklich klar wäre, worin die eigentliche Ursache für ihr Verhalten liegt, also welche Wespe sie verfolgt, um im  Bild zu bleiben. Auch als Erwachsene zeigen Betroffene  Symptome, die auf diese Kindheitsspuren zurückzuführen sind. Oftmals können sie selbst nicht einmal diese Symptome mit ihrer Kindheitssituation verbinden ( die Wespen waren und sind zu bedrohlich), in der Folge oftmals auch nicht ihre Ärzte und Therapeuten. Die unerkannten Wespen ihrer Kindheitstage verfolgen Betroffene oftmals über Jahrzehnte bis ins hohe Erwachsenenalter. Hält dieser Zustand über  Jahre ohne angemessene Hilfgestellungen an, kann es zu Erkrankungen und/oder Belastungen der Erlebens- und Beziehungsqualität kommen. Übergroße Empfindsamkeit (manchmal mit dem Wort Hochsensibilität  belegt), starke innere Unruhe und Spannungszustände, unerklärlich erscheinende Psychosomatik, unerträgliche Leere-und Verlorenheitsgefühle u.v.m. sind dann die alltäglichen Begleiter. Erst wenn die Wespen der Kindheitsatge entdeckt,identifiziert oder beruhigt werden, besteht für Betroffene Hoffnung auf Ruhe… mehr dazu in meinem Vortrag im Fimbeitrag von Kapazunda

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms

Verbitterung oder Mitgefühl: Du hast eine Wahl!

Nat

Auf schlimme Efahrungen können wir unterschiedlich reagieren, oft bewegen wir uns dabei zwischen extremen Polen, wie sie Desmond Tutu plastisch beschreibt. Gern greife ich in diesem Zusammenhang eine weise Aussage Desmond Tutus auf (er tat sie, etwas abgewandelt, über das Leben und Wirken Nelson Mandelas), weil ich sie auch für Menschen mit Kindheitsbelastungen als bedeutsam erachte. Für Menschen mit Kindheitsbelastungen zeigt sich oft  ein UND hilfreich:  beide Pole, die in der Aussage Tutus beschrieben werden, fordern ihren Platz und wollen gelebt sein. Ungelebte Trauer und Verbitterung kann zu einer mächtigen Triebfeder im Unbewussten werden, ungelebtes Mitgefühl ebenso.  Leicht werden sie unsichtbare Antreiber, die das eigene Leben negativ bestimmen und in der Folge auch das Leben der Menschen, die uns umgeben. Wurden beide Pole gelebt, zeigten sich diese kindheitsbelasteten Menschen erstarkt: sie verfügen dann über besondere Stärken und eine spezifische (Lebens-)Weisheit.

 

„Nicht müde werden“-Hilde Domin

 

„Nicht müde werden!“…wenn Sie in dieser Woche vielleicht von Tag zu Tag die Erzählungen der Kinder aus Suchtfamilien in diesem Blog verfolgt haben, dann konnten Sie lesen und wissen womöglich aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, dieser Aufforderung nachzukommen. An das Wunder glauben, die Hoffnung nicht aufgeben: eine schwierige Kunst für Kinder aus belasteten Familien. Wer von Kindestagen an in seinen ersten Bindungen und Erfahrungen, enttäuscht, angelogen, womöglich missbraucht wird, wer massive Angriffe auf Körper und Seele verkraften muss, und das in der eigenen Familie, dem Ort, an dem eigentlich Schutz und Geborgenheit erlernt werden sollte, für den kann es sehr schwierig sein, zu hoffen. Das Hoffen wil von all diesen Kindern bis ins Erwachsenenalter mühsam erarbeitet sein: Die früh erlernten Negativsätze müssen aktiv verwandelt werden. Wie der Hochspringer seinen Flopp müssen diese Kinder aus belasteten Familien das Glauben und Vertrauen ins Leben regelrecht einüben. Dazu gehört auch, das eigene Misstrauen ernst zu nehmen und nicht flüchtend in das Gegenteil zu verfallen:  allem und allen  eine rosarote Brille aufzusetzen.

Aus dieser inneren Arbeit kann dann meist eine neue Kraft erwachsen, die ich in Anlehnung an Hilde Domin die „Kraft des Dennoch“ nennen möchte. Sie ist für mich eine Meisterin der Kraft des Dennoch. Als Jüdin war sie zeitlebens Verfolgte, musste Deutschland verlassen, ihre Mutter kam in Auschwitz um: sie hat unglaubliche Worte für diese Kraft des Denoch gefunden ( Leseempfehlungen s.u.). Diese Kraft nahm sie, wie sie erzählte, aus dem, was sie in ihren Kindheitstagen mit ihren Eltern an Positivem erfahren durfte. Biografische Texte auch in Fast ein Lebenslauf

Ein eindrucksvolles Porträt der Dichterin  von Regisseurin Anne Ditges, aktuell in der WDR Mediathek- sehenswert. Ich will dich

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche und Achtsamkeit für kleine oder große Wunder, die Ihnen „dennoch“ begegnen.

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Leseempfehlungen…mehr zu den Büchern durch klicken aufs Cover

Gesammelte autobiographische Schriften

Vergessenen Kinder eine Stimme geben- Texte zur Coa-Aktionswoche 5

Raffaela, 13 Jahre:

„Ich habe jetzt einfach andere Wichtigkeiten!“

Vor der Therapie hatte ich viele Probleme mit meiner Mutter, ich dachte, dass ich schuld an allem bin. Ich war oft sehr, sehr traurig.

Es geht mir jetzt besser, ich achte mehr auf mich. Mir geht es gut, auch, wenn es meiner Mutter schlecht geht. Ich stürze nicht ab, wenn sie abstürzt, ich bin glücklicher. Ich kann mit meinen Freunden über ganz normale Sachen reden, ich bin nicht mehr nur voller Probleme, ich lache oft. Nachdem ich in der Therapie erzählt habe, was los ist, habe ich das auch ein paar anderen aus meiner Klasse gesagt, was mit Mama los ist. Die trösten mich jetzt, wenn was ist. Das hilft.

Ich habe jetzt einfach andere Wichtigkeiten. Familie, da ist so viel los, das lass ich hinter mir: ich konzentriere mich auf Freunde und Schule, dann geht’s mir gut. An dem anderen kann ich eh nichts machen.
Mein Zukunftswunsch ist, dass Mama clean ist und ich mit ihr zusammen wohnen kann.

Vergessenen Kindern eine Stimme geben-Texte zur Coa-Aktionswoche 4

Frau K., 34 Jahre:  „…Wie eine Marionette an unsichtbaren Fäden“

Wenn ich auf mein Elternhaus zufahre, ist mir bis heute mulmig: ich bekomme Herzrasen, feuchte Hände, mir wird schwindlig. Ich bin seit mehr als zehn Jahren bei meinen Eltern ausgezogen und immer noch holen mich diese alten Gefühle ein. Mein Vater hat seit meiner frühesten Kindheit getrunken, in unterschiedlichem Ausmaß, man nennt das wohl Quartalstrinken. Manchmal hat er Wochen trinkend in seinem Bett verbracht, dann stand er nur auf, um sich etwas zu trinken kaufen zu gehen und dann gab es auch Wochen, in denen er nichts trank- dann wirkte er sehr depressiv, verkatert, übellaunig. Seine Stimmung war überhaupt unberechenbar: sie konnnte abrupt wechseln  zwischen übergriffig-liebevoll und gewalttätig-aggressiv.

Lange Zeit meiner Kindheit hat niemand etwas von der Sucht meines Vaters gewusst. Er ging noch einer Arbeit nach und wenn er zu betrunken war, hat meine Mutter ihn mit erfundenen Ausreden entschuldigt. Auf Familienfesten hatte ich permanent Angst: wenn seine ausgelassenene Stimmung kippte, konnte er vor allen sehr ausfallend werden. Auch erzähte er dann gern Intimes über mich und meine Freunde und gab es zum Amüsement der anderen zum Besten. Wenn ich es je wagte, mich darüber zu beschweren, wertete er mich einfach als zu empfindlich ab und meine Mutter stand ihm bei. Wenn er nicht mehr trank, tat sie so, als wäre nur „schön gefeiert“ worden. Mit meinem heutigen Wissen kann ich sagen, dass sie die klassische Co-Abhängige ist. Ihr gesamtes Leben ist auf ihn ausgerichtet – ein einziges Warten, dass er sich mit ihr beschäftigt. Wenn er nicht zur Verfügung stand, musste ich das früher übernehmen. Hörte er auf mit der Trinkerei, wurde ich wieder auf den Kinderplatz gestellt und war von ihren Unternehmungen ausgeschlossen – meine Freunde wurden misstrauisch beäugt. Schließlich sollte niemand wissen, wie es bei uns zuging. Ich habe auch sehr oft Freunde ausgeladen oder versetzt, weil es zu peinlich war, wenn jemand meinen Vater in seiner Trunkenheit mitbekommen hätte.

Oft denke ich, ich bin verrückt: wenn ich diese Körpersymptome habe und keine Erklärung dafür zu finden ist.Seit neustem habe ich  richtige Panikattacken – Hilfe geholt habe ich mir vorher noch nicht, weil ich nicht über mein Zuhause sprechen will- ich möchte meine Eltern nicht schlecht machen. Irgendwie empfinde ich das als Verrat-ich mag meine Eltern ja auch.Ich habe mir ein paar Bücher gekauft, in denen es um Sucht geht- so habe ich ein bisschen was kapiert wenigstens.

Seit ich nun selbst Kinder habe, sind die Attacken schlimmer geworden. In meinen eigenen Kindern begegnet mir so viel, was mich an schlimme Situationen aus meiner Kindheit erinnert. Dann denke ich, dass ich besser keine Kinder bekommen hätte, weil mir bestimmt ganz viel fehlt, um eine gute Mutter sein zu können. Meine Eltern fanden das nicht gut, dass ich Kinder bekommen habe- sie haben sehr bedeckt reagiert, als ich ihnen erzählte, dass ich schwanger bin. Ich glaube, sie wollten selber weiter mehr Raum in meinem Leben einnehmen und ihren exklusiven Platz nicht mit meinen Kindern teilen. Meine Mutter beansprucht mich immer noch wie ihren Besitz. Wenn mein Vater trinkt, spüre ich das sofort – es ist , als würde ich immer noch auf ungewöhnliche Weise mit ihnen verwoben sein. Das schwappt einfach durch die Luft. Wenn es schwierig ist mit ihm, ruft meine Mutter mich bis heute an und erwartet, dass ich das übernehme: ihn ins Krankenhaus bringen, einen Arzt motivieren oder auf ihn einreden, dass er aufhören möge etc. All das ist eigentlich eh sinnlos, aber ich fühle mich wie eine Marionette an unsichtbaren Fäden, ich kann nicht nein sagen, wenn ich meine Eltern in ihrer Not sehe.

Vergessenen Kindern eine Stimme geben – Texte zur Coa-Aktionswoche/3

„Alle tun, als gäbe es das nicht!“


Dass meine Mutter trank, das hat niemand gewusst. Wir haben auch in der Familie nie darüber gesprochen, das war wie ein schwarzes Loch, jeder wusste, dass es da ist, aber alle tun so, als gäbe es das nicht. Eben unsichtbar. Für mich war es glaube ich am schlimmsten, weil ich am meisten mit ihr zusammen sein musste, ich war ja die Jüngste. Meine Geschwister haben auch nie was gesagt, zu peinlich, glaube ich. Mein Bruder verliert bis heute kein Wort darüber. Ich glaube, er denkt, wenn er nicht drüber redet, dann gibt es das Trinken meiner Mutter auch nicht. In der Schule war ich nervös, weil ich ja nicht wusste, was mich zu Hause erwarten würde. Wenn ich nach Hause kam und sie schlief, dann war es ganz gut, dann standen da leere Flaschen rum und ich wusste, heute passiert mir nichts mehr. Schlecht war, wenn sie halb voll war. Dann saß sie mit der Rotweinflasche neben mir und kontrollierte meine Hausaufgaben, da konnte ich mir dann schnell mal ein paar einfangen. Mein Vater hat dazu nichts gesagt, er hat mich manchmal in den Arm genommen, er hat gesagt: Du musst tun, was deine Mutter sagt. Sei nicht so ein Dickkopf! Meine Lehrer haben meine Eltern mal angesprochen, warum ich immer so schnell ausflippe und dass man mit mir nicht reden kann und so, da haben sie gesagt, dass ich von Klein an zickig war und dann war das Thema vom Tisch.
Mit meinen Freunden habe ich da auch nicht drüber gesprochen: ich fand das peinlich. Ich glaube auch, die fanden, wenn sie mal bei uns waren, ich durfte ja kaum Besuch haben, meine Mutter cool. Sie hat dann alle in den Arm genommen und war lustig und hat meinen Freundinnen Alkohol angeboten, den sie ja sonst noch nicht trinken durften. Ich glaube, ich war die einzige, mit der meine Mutter Probleme hatte- vielleicht bin ich schuld, dass sie so getrunken hat. Wenn man eine Tochter hat, die einen nicht versteht und zickig ist, glaube ich, dann ist man traurig und will mit Trinken vielleicht bessere Laune kriegen… Sarah, 14

   Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms

Vergessenen Kindern eine Stimme geben- Texte zur Coa-Aktionswoche/2

„Ich hatte sozusagen keine Kindheit“

Severine, 14, erzählt: „Ich weiß nicht, ob Sie sich so etwas vorstellen können, ich hatte sozusagen keine Kindheit. Bis ich drei Jahre alt war, ging es, aber dann fing mein Vater an, Alkohol zu trinken. Ab da war jeden Tag Hölle und Krieg!“
Immer wieder hat er meine Mutter vor meinen Augen verprügelt. Völlig betrunken zerrte er mich und meine Geschwister mitten in der Nacht, ohne jede Vorwarnung, aus dem Bett, stellte sich vor uns auf, um uns zu bestrafen und verprügelte uns wahllos für Dinge, die ihm gerade in den Kopf kamen. Mitten in der Nacht. Wenn dann das Strafgericht und die Schläge gerade zu Ende schienen, öffnete sich die Tür erneut, alles begann genauso wie vorher und lief erneut ab, manchmal bis in die Morgenstunden. Mein Vater, wahrscheinlich im Filmriss, erinnerte sich an nichts.“

Meine Mutter hat oft versucht, weg zu kommen, ins Frauenhaus, aber es hat nie geklappt, mein Vater hat sie immer wider zurückgeholt: Und wieder ging alles von vorne los. Als meine Mutter uns verlassen wollte, besorgt mein Vater eine Waffe, um zu verdeutlichen, was mit uns Kindern im Falle der Flucht meiner Mutter passieren werde. Ich hatte große Angst. Seit ich sechs bin, habe ich meinen Vater gebissen und getreten, habe mich gewehrt und gesagt, was er meiner Mutter antut, versucht zu sagen, was in der Familie abläuft. Es hat nichts genützt, ich bekam dadurch sogar mehr Schläge. Dann, als ich neun war, hatte mein Vater eine andere Frau. Da wollte meine Mutter sich umbringen, immer wieder. Ich konnte Tag und Nacht an nichts anderes mehr denken, ich war immer in Angst um sie, hatte aber auch Angst, dass mein Vater plötzlich wieder betrunken aufläuft und uns allen etwas antut.

Was mich rettet, fragen Sie? Ich habe, glaube ich, so etwas wie einen Schutzengel, der mir eine große Sicherheit gegeben hat. Überhaupt finde ich einen Halt in meinem Glauben. Und meine Freundin! Die ist immer für mich da.

„Und:“, zum ersten Mal geht ein Strahlen über Severines Gesicht: „Ich schreibe Lieder!“(Auszug aus Barnowski-Geiser 2009: Hören, was niemand sieht)

Vergessenen Kindern eine Stimme geben- Texte zur Coa-Aktionswoche

Eigentlich wollte ich zur Coa-Aktonswoche auch in diesem Jahr einige Vorträge beitragen: leider lässt meine Gesundheit das gerade nicht zu. Alternativ werde ich deshalb während der Aktions-Woche jeden Tag etwas hier einstellen, was Kinder in der therapeutischen Arbeit erzählt haben. ich hoffe, auf diese Weise etwas zum gehörtWerden der Kinder beitragen zu können.

Ich denke immer, dass ich schuld bin!“
Andrea, 9 Jahre, Tochter einer Alkoholikerin

Vor der Therapie sind meine Hasen sauer und ich bin traurig, uns ist was langweilig. Der Olli und der Dicki sind dann gestorben. Ich glaub,weil ich nicht gut auf die aufgepasst hatte. Ich denke, dass ich das schuld bin. Mama und Papa streiten sich immer, das war schlimm für die Hasen, die konnten  keinen Krach vertragen. Seit Mama in der Klinik ist, ist was Ruhe. Das ist schön. Ich habe jetzt auch neue Hasen und eine Menge mit denen zu tun, sauber machen und so. Die Wohnung muss ja auch aufgeräumt werden. Manchmal ist das was viel, weil ich ja jetzt auch Freunde habe, mit denen ich spielen will – dann habe ich Angst, dass ich nicht genug zuhause bin. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass Mama nicht mehr trinkt und es keinen Streit mehr gibt.“

Wenn man Andrea fragte, wie es ihr gehe, dann erzählte sie anfänglich nur über ihre Hasen: das irritierte die Menschen um sie herum sehr. Andrea hatte in ihren Hasen ein Hilfs-Ich gefunden: sie erzählte über das „Hilfs-Ich Hasen“, was sie selbst nicht aussprechen konnte und durfte.

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

   Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms

Belastungs-Fasten? So mobilisieren Sie Ihre Widerstandskräfte!

Aschermittwoch…für viele ein Start in eine vom Verzicht geprägte Zeit. Dieser Verzicht ist meist geprägt vom Wunsch nach mehr Innerlichkeit, oftmals religiös motiviert, und auch als Weg zu einem bewussteren und gesünderen Leben. Vielleicht mögen Sie diese Zeit in diesem Jahr nutzen, um Belastendes zu reduzieren und Ihre Widerstandskräfte zu stärken. Immer noch ist es für viele Menschen eher selbstverständlich, sich gegen Erkrankungen, etwa gegen Grippe, stark zu machen – die psychischen Kräfte und ihre Stärkung werden dabei leider sträflich vernachlässigt. Wenn Sie in einer belasteten Familie aufgewachsen sind, ist es wichtig, Ihre Belastungsgrenze immer wieder einmal in den Blick zu nehmen, denn:

Risikoformel für Angehörige

Je länger die Belastung andauert…
je früher sie einsetzt…
je weniger Unterstützung sie erfahren…

                      …umso höher ist das Risiko für Sie als Angehörige, selbst zu erkranken.

Der Belastung widerstehen und gesund bleiben? Das geht… Forschungen zufolge gibt es hilfreiche Resilienzen (Widerstandskräfte). Demnach können Sie etwas zu Ihrer Gesunderhaltung beitragen, indem Sie

  • Ihren Humor behalten und leben
  • die Hoffnung auf Besserung Ihrer Situation nicht verlieren
  • Unterstützung außerhalb Ihrer belasteten Familie suchen
  • Einsicht in die Erkrankung gewinnen, suchen Sie einerseits nach guten Informationen, versuchen Sie aber auch einmal, sich in den Erkrankten einzufühlen, um so  über ihn und sein Erleben zu erfahren
  • die Belastung als Herausforderung/„Challenge“ begreifen – bleiben Sie aktiv statt passiv: schauen Sie sich genau an, was Sie wirklich ändern können ( hier lohnt es sich, weitere Energie zu investieren) und was Sie als Gegeben hinnehme müssen
  • Ihrer Kreativität Raum und Zeit geben (Dafür habe ich keine Zeit, sagen Sie? Diese kreative Seite braucht nicht unbedingt viele Wochenstunden, manchmal reichen wenige Minuten Malen zu Musik, Singen, was aus dem Herzen kommt etc.)

Vielleicht wählen Sie einen schützenden Aspekt aus, um den Sie sich als Start in Ihre Belastungs-Fastenzeit kümmern mögen. Starten Sie in eine Zeit, in der Sie zugleich Belastendes, so gut als möglich, reduzieren…

Wer sich von der wissenschaftlichen Seite einen Überblick zum Weitergaberisiko informieren möchte, dem seien auch die ausführlichen Präsentationen (als Downloads dort erhältlich) auf den Seiten von Suchtforscher Professor Dr. Klein empfohlen.

Zunehmend werden Projekte eingerichtet, in denen belasteten Kindern frühzeitig Hilfe angeboten wird. Interessant sind hier auch Patenschaftsmodelle, in denen sich nicht zuletzt betroffene Erwachsene enagagieren, zum Beispiel für Kinder psychisch erkankter Eltern

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Mussten Sie auch Ihren eigenen Eltern Eltern sein?…wenn Kindsein einfach ausfällt

 

Fällt es Ihnen schwer, kindlich und verspielt zu sein? Tun Sie sich schwer mit Leichtigkeit? Dann kann es sein, dass Sie allzu früh den Ernst des Lebens leben mussten allzu früh Verantwortung in Ihrer Familie übernahmen – für bedürftige Eltern oder andere Familienmitglieder, vor allem auch für Geschwister. Selten wird diese frühe Überforderung durch die Familie gewürdigt. Meist wird die Leistung der Kinder dann sogar von den Eltern kritisiert und herabgestuft – man tut so, als wäre das normal, dass Kinder Erwachsenenarbeit tun. Für viele Betroffene endet dies in chronischen Gefühlen von Überforderung und Erschöpfung, zugleich können Sie sich als Erwachsene selbst wenig Wertschätzung entgegenbringen für all das, was Sie meist immer noch im Übermaß leisten und tun. Das für andere Dasein wird zur zweiten Haut, was sich auch in der Übernahme starrer Rollenmodelle im Erwachsenenalter zeit: Mutter Teresa, Robin Hood, Superman etc. (Barnowski-Geiser: Vater, Mutter, Sucht 2015) werden zu einem Korsett, an dem sich Betroffene dann verzweifelt festhalten. Ein Korsett, das sie aus großer Not heraus viel zu früh anlegen und schwerlich ablegen können, scheinen sie doch nur als Heilige und Retter wirklich Bestätigung und Wertschätzung zu erfahen, überhaupt Bedeutung zu erlangen. Im Titel Vater, Mutter, Sucht klingt es an: die Erkrankung (hier die Sucht) nimmt in den Familien den Platz ein, der eigentlich den Kindern zusteht.

Wie sehr sich das bis tief in die eigene Identität webt, zeigt die Arbeit mit Sammy.In seiner Traumreise begegnet Sammy seiner gegenwärtigen Rolle erneut, dadurch wird sie ihm erstmalig bewusst:

Der 14jährige Sammy sorgt bereits seit Jahren für seine Geschwister…Während einer Imagination mit der R.L.M. -Methode (Methode der Rezeptiven Musiktherapie) reist der 14jährige Sammy imaginär in sein Traumland. Hier trifft er einen alten weisen Mann, den er um Rat zu seiner augenblicklichen Situation fragen kann. Er erzählt anschließend: „Ich konnte dem alten Mann helfen, er war froh, dass ich kam, weil er konnte sein Holz nicht mehr tragen und fühlte sich so alleine. Da habe ich ihm seine Wohnung aufgeräumt und Feuer gemacht und er konnte mir auch mal alles erzählen, was ihn so belastet.“ Ich frage, ob er denn auch etwas von dem weisen Mann bekam. „Nee!“, sagt Sammy, „Ich helfe meistens den anderen, auch den Erwachsenen.“ Nach einigem Überlegen sagt er: „Hier in der Therapie ist es das erste Mal, dass ich zugebe, selber Probleme zu haben und mir dabei helfen lasse.“ (Sammy, 14 Jahre zit. nach Barnowski-Geiser (2009) Hören, was niemand sieht).

In kleinen Schritten, auch mit Unterstützung seiner Eltern, die für seine Helferproblematik sensibilisiert werden konnten, konnte Sammy allmählich sein Helferkorsett ein wenig lockern. Dieses De-Parenting (wieder kindlich werden) ist Teil der Arbeit nach dem AWOKADO-Konzept. Betroffene Kinder benötigen frühzeitig Orte, an denen Sie selbst unbeschwert Kind sein dürfen. Erwachsene müssen einerseits achtsam sein, ob sie in einer der klassischen Rollen gefangen sind und immer noch im alten Korsett stecken (vielleicht nur in einer anderen Beziehung als früher- und das fühlt sich lange Zeit sehr vertraut und richtig an).Und sie müssen suchen, wie und auf welche Weise sie ihren kindlichen Anteil nachholen können: Übungen dazu finden Sie auch auf dieser Seite. Kreativ Sein ist ein wichtiger Schlüssel zu mehr Leichtigkeit, zu einem Mehr an kindlichen Anteilen in Ihrem Leben. Auch wenn es schwerfällt, steckt hier ein großes Potenzial für ein Leben, das Sie so mit mehr Lebensqualität füllen können.

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms

Belastete Familie…im Spiegel zwischen Abgrund und Nicht-Ort

In der Indianischen Weisheit ging man davon aus, dass Menschen ein wenig so werden, wie der Ort, der sie umgibt. Der Schriftsteller Franz Kafka, von dem unser Wochenimpuls stammt, kann als Meister des Abgründigen gelten. Zeit seines Lebens hat er bei seinen Eltern gelebt (und das war in der damaligen Zeit für unverheiratete Männer nicht unüblich): er hat offenbar in seiner Familie sowohl „am Abgrund“  gelitten (ein schwieriges Verhältnis zu seinem Vater wird aus seinen Tagebucheinträgen als gesichert angenommen) und sich zugleich an diesem Ort Familie in besonderem Maße selbst erfahren – einige seiner Werke dokumentieren die schwierige Beziehung zu seinem Vater. Kafka empfiehlt, trotz und im Angesicht seiner eigenen Schwierigkeiten, in den familiären Abgrund zu schauen.

Wenn Menschen in belasteten Familien aufwachsen, dann empfinden sie den Blick auf ihre Herkunftsfamilie ebenfalls oft abgründig. Es kostet sie großen Mut, in den familiären Abgrund der eigenen Kindheit zu schauen. Vor allem scheint dieser mutige Blick eine Frage des geeigneten Zeitpunktes zu sein. Und erst dieser Blick, der genau wahrnimmt, was denn diesen Abgrund ausmacht, ermöglicht oftmals, wirklich zu verstehen, wer sie selbst sind und wie sie zu dem geworden sind, was sie heute ausmacht.

Was heißt das für Betroffene? Nehmen wir zum Beispiel eine Suchtfamilie: Kinder süchtiger Eltern beschreiben diesen Abgrund genauer. Atmosphäre und Familiendynamik lassen diese Familien offenbar zu Orten mit besonderen Merkmalen werden. Jede Familie ist anders und individuell, und doch zeigt der Ort Suchtfamilie typische Ortskennzeichen, die vielen Familien gemeinsam sind (nach Barnowski-Geiser 2015: Vater, Mutter, Sucht 2015):

  • Nicht-Ort: es wird so stark tabuisiert, das es angeblich keine Probleme gibt

  • Extrem-Ort: alle bewegen sich an kaum zu bewältigenden Grenzen und Extremen. Typisch sind Gefühlsachterbahnen, von denen alle so tun als gäbe es sie nicht

  • Arena: die Familienmitglieder kämpfen um die Sucht und deren Aufgabe, sie kämpfen um ihre eigenen Identität und um den Erhalt der Familie

  • Brutstätte der Sehnsucht: der chronische Mangel im „Nest“ wird Motor für eine beinahe rauschhaft anmutende Suche nach Liebe und Zuwendung, nach gesehen, gehört und erkannt werden

  • Festung oder Burg: nichts darf von Innen nach Außen dringen und manchmal darf niemand hinein, niemand hinter die Burgmauern schauen.

Nehmen wir die indianische Weisheit ernst, so werden auch Menschen aus belasteten Familien etwas von dem familiären Ort annehmen, der sie umgab:

  • Burgbewohner werden demnach ein wenig (oder mehr) versteinern, unzugänglich und verschlossen sein. Oft werden sie als Erwachsene neuerlich Geheimnisträger
  • Arenabewohner wachsen heran zu unermüdlichen, vielleicht sehr tapferen Kämpfern,
  • am Nicht-Ort-Lebende neigen im Angesicht von Schwierigem zum Verleugnen, werden „auffällig unauffällig“ in einer „Hier ist doch gar nichts!-Mentalität“
  • Bewohner der Brutstätte der Sehnsucht werden ewig Suchende nach Liebe – eine Suche, die sie oftmals auch in eigene Süchte katapultiert.
  • Extrem-Ort Erwachsene wirken oft wie Grenzgänger: Wanderer zwischen extremen Beziehungen, extremen Stimmungen, Emotionen und Lebensformen

Neurowissenschaftliche Untersuchungen belegen diese alte indianische Weisheit: unsere kindlichen emotionalen Erfahrungen werden neuronal abgespeichert, sie können zu prägenden Bahnungen im Gehirn führen. Wenn wir also ein Verständnis für uns und unser So-Sein entwickeln wollen,wenn wir begreifen wollen, warum wir genau so, in unserer Art und Weise in der Welt sin,d kommen wir, so anstrengend es scheint, kaum am Abgrund Herkunftsfamilie vorbei. Wenn wir um diesen Abgrund wissen, kommen wir weiter: wir können ihn besteigen, erkunden, umgehen, ihn nutzen, überspringen, umtanzen, vielleicht sogar überfliegen. Und auch sehen, mit welchen uns hier ebenso zu eigen gewordenen Stärken wir ihn überstanden haben.

Vielleicht nutzen Sie das bevorstehende Wochenende zum „Klarblick“ auf Ihre Herkunftsfamilie: mit dem Abstand des heute Erwachsenen. Wenn der Abgrund sie sehr ängstigt, Sie zu verschlingen droht, ist mehr Sicherheitsabstand gefordert: noch! Der ideale Zeitpunkt wird sich Ihnen eröffnen, wenn Ihre Seele zum Klarblick bereit ist! Vertrauen Sie auf die Weisheit Ihrer Seele.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Träume…und reise auf magischen Spuren zu dir selbst

Es kommt eine Zeit im Leben, in der man die eigenen Träume verwirklichen muss, schreibt Sergio Bambaren. „Ich habe einen Traum!“ so wiederholte Martin Luther King in seiner berühmten Rede, die in die Geschichte eingegangen ist. Sein Traum wurde für Millionen von Menschen zur Vision – zur Vision, die mehr und mehr realisiert wurde. Ein eindrucksvolles Beispiel, wie sehr Träume helfen und bewegen können, gerade in ausweglos erscheinenden Situationen. Träumen kann auch helfen, schwere Kindheitsbelastungen zu überstehen – und Sie im Erwachsenenalter weiter zu bewältigen. Wie Träumen zum existenziellen Halteseil in Krisenzeiten ihrer Kindheit wurde, erzählt eindrucksvoll eine erwachsene Tochter eines gewalttätigen Alkoholikers, nennen wir sie Frau O.:

„Ich fühlte mich gefangen hinter unseren familiären Mauern. Gewalt und süchtige Exzesse meiner Eltern waren die Normalität; niemand hat etwas bemerkt oder uns Kindern geholfen. Ich wusste aber immer, dass es außerhalb dieser Mauern eine schöne Welt gab. Eine Welt, die auf mich wartet. Davon habe ich geträumt und mir diese Welt in allen Farben  ausgemalt.Ich habe von meiner Zukunft geträumt. Das hat mich am Leben gehalten  – oftmals bin ich von zu Hause weggelaufen.“ (Frau. O., Tochter eines Alkoholikers, 37 Jahre) . 

Solange Menschen träumen, gibt es Hoffnung auf Heilung. Traumzeiten aktiv zu nutzen, sie einzubauen in den Alltag, in der Fachsprache auch „Aktives Imaginieren“ genannt, zeigte sich bei Menschen mit Kindheitsbelastungen als wichtiger Baustein zu einem besseren Leben:

  1. Entspannung wurde ermöglicht und vertieft
  2. Positive Emotionen konnten in der Imagination erlebt werden
  3. Zukunft bekam Sinn
  4.  Es kam zu verstärkter Schmerzablenkung
  5. Die Motivation zur Krankheits- und Krisenbewältigung wurde gestärkt
  • Die Kraft zum Träumen wird von vielen heilenden Verfahren genutzt, u.a. im Autogenen Training nach Schulz, in der Trauma- und Hypnotherapie sowie in der Integrativen Therapie. Luise Reddemann hat mit Imagination als heilsame Kraft ein wertvolles Buch verfasst, das sich ausgezeichnet zur Selbsthilfe eignet.

Die Kraft zu träumen muss geschützt werden, indem Sie diese nicht entwerten lassen, weder von sich selbst noch durch andere: Gern wird Träumen als vertane Zeit, als irreal oder als Faulenzertum herabgestuft.In diesem Zusammenhang mag ich Ihnen  ein ungewöhnliches Buch aus dem literarischen Bereich ans Herz legen: Auf eine magische Reise zu Träumen und Sehnsüchten, zu Bestimmung und Sinnsuche, letztlich zu  uns selbst, entführt uns Autor  Sergio Bambaren. In seinem  wunderbarem Roman „Der träumende Delfin“ beschließt Protagonist Daniel Delfin, nachdem ihn eine Stimme aus dem Meer auffordert, seinen Lebenssinn zu finden, Freunde sowie Familie zu verlassen. Seinen Traum will er fortan leben: die perfekte Welle finden. Daniel will mehr von seinem Leben, und sich nicht wie die anderen Delfine beschränken auf  fischen und schlafen. Ein  lesenswertes Buch, insbesondere (und natürlich nicht nur) für Menschen mit familiären Belastungen: Eine Ermutigung zum Anders-Sein, eine eindringliche Aufforderung, dem Weg der eigenen Träume zu folgen.

Ein Buch, das gut zu nutzen ist in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit familiären Belastungen, vielfach erprobt im Bel-Kids-Projekt. (Lesen Sie mehr zum Projekt auf der lernwelt.at von Prof. G.Hüther und Peter Schipek). Manche Kinder, die schwierige Familiensituationen durch Träumen bewältigen, erhalten die Diagnose ADS (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom ohne Hyperaktivität) – oftmals lohnt es sich, der Lebenssituation der Kinder mehr Beachtung zu schenken, anstatt ihr eigentlich kreatives Verhalten, das Träumen, vorschnell als Abweichtung und Krankheit einzustufen.

Buchdeckel „978-3-608-89034-1Der träumende Delphin


Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms.

Zuverlässiges Navi gesucht? Wie das Herz zum Kompass wird

Neue Orientierung finden mit dem eigenen Herzen? Bei solchen Aussagen sind viele Menschen geneigt, abzuwerten und solche Worte in die abstruse, wenig bewiesene Ecke zu ordnen: das Herz, ist das nicht nur etwas für Romantiker und Esoteriker? Die Wissenschaft zeigt uns Neues: Das Herz ist nicht lediglich ein dumpfer Pumpensumpf zum Bluttransport, sondern ein kluges und komplexes „Herzgehirn“. In dieser Entdeckung liegen ungeahnte Chancen zu einem besseren Leben. Wie das Herz Menschen mit Kindheitsbelastungen auf dem Weg zu mehr Lebensqualität ein wertvoller Kompass sein kann, darum geht es im heutigen Blogbeitrag.

Frau T. hat einen Entschluss gefasst: Schluss mit Zielen und Vorsätzen für 2016!  Ihre Orientierung will sie ändern: Nicht mehr zukunftsorientiert, nicht mehr „höher, schneller, weiter“, sagt sie, sondern achtsam aus ihrem Herzen im Jetzt leben wolle sie. Das andere habe nichts gebracht, schimpft sie energisch. Sie bemerke, dass weder „weniger Kilos“ noch „mehr gemessene Schritte“ sie bislang wirklich erfüllt hätten. Gut habe sich ihr Leben immer nur dann angefühlt, wenn ihr Herz berührt worden wäre: Beim Singen im Chor, in Ruhestunden mit ihrer Katze, beim Wandern in der Abgeschiedenheit fällt ihr ein.

Viele Menschen aus belasteten Familien beklagen einen Mangel an Orientierung (insbesondere dann, wenn das Kreisen um die Erkrankten aus der Familie weniger werden soll) – Sie fühlen sich verunsichert. Gerade zu Beginn ein neuen Jahres geht es vielen dann neuerlich und insbesondere um „die richtigen“ Ziele und Vorsätze. In Gazetten ist alljährlich davon zu lesen…und immer scheinen diese festen Vorsätze dann doch zu scheitern, immer wieder geraten die Vorsätze irgendwie doch in Vergessenheit. Selbst, wenn Menschen einen Teil ihrer Ziele erreicht haben, scheinen sie nicht wirklich zufrieden: irgendetwas fehlt weiterhin, die Suche geht weiter. Ziele und Vorsätze, die lediglich die eigene Perfektion, die Selbstoptimierung in den Blick nehmen (schlanker, fitter) erweisen sich als wenig hilfreich. Anke Engelke hat dazu in der ARD eine interessante Film-Dokumentation präsentiert: Fast perfekt

Zufrieden beschreiben sich Menschen oft erst dann, wenn sie mit dem Herzen dabei sind, wenn Herzensberühung spürbar wird. In Konzerten etwa, wie es Frau T. beschreibt, im gesehen und mit-gefühlt Werden, in einem von Leidenschaft geprägten Tun, bei dem Zeit und Raum vergessen werden. Eine neue Orientierung wird erforderlich. Zufriedenheit und Glück scheint sich nicht allein über „das ganz große Rad Drehen“ einzustellen, sondern  ein neuer Kompass ist gesucht: manche entdecken dabei ihr eigenes Herz als zuverlässigen Navigator. Achtsam leben aus dem eigenen Grund, nennt es Willigis Jäger und schlägt die Brücke in eine umfassende Liebe . „Was wir am Ende unseres Lebens in Händen haben, sind nicht unsere Leistungen und unsere Werke. Wir werden uns vor allem die Frage stellen müssen, wie viel wir geliebt haben.“ (W.Jäger, Perlen der Weisheit, S.97)

Gerade Menschen mit Kindheitsbelastungen stellen sich oft in Frage, vergleichen sich mit anderen: Bin ich gut genug, müsste ich nicht besser sein, mich nicht noch mehr kümmern?…Da zwei zentrale Bedürfnisse, das Bedürfnis nach Verbundenheit und das Bedürfnis nach Wachstum, oftmals in der Kindheit zu kurz kamen, sind Menschen mit Kindheitsbelastungen bestimmt vom Mangel: unterwegs auf der Suche nach Ersatzbefriedigungen. Die Suche geht weiter und weiter, da verständlicher Weise versucht wird, diesen Mangel zu kompensieren, Abhilfe zu schaffen: Chatten und Shoppen statt Liebe lautet dann etwa ein Ersatzbefriedigungs-Muster.

 „Ersatzbefriedigungen nennt man das, was nun fortan zunehmend an Bedeutung für die betreffende Person gewinnt und dazu führt, dass ihre  ursprüngliche Offenheit, Beziehungsfähigkeit, uneingeschränkte Neugier und Gestaltungslust in eine bestimmte Richtung gelenkt wurde. Dann werden allzuleicht Dinge bedeutsam, die in Wirklichkeit völlig unwichtig sind…“ ( Hüther (2014): Was wir sind und was wir sein könnten, S.46)

Auch die Medizin nimmt das Herz als heilendes Zentrum zur Kenntnis. Servan Schreiber arbeitet als Vorreiter der emotionalen Medizin mit „Herzkohärenz“ und beschreibt  ungewöhnliche Heilungswege, gerade auch über die Zuhilfenahme des Herzens. Arbeit mit Herzkohärenz sowie entsprechende Studien werden anschaulich hier im wertvollen Blogbeitrag auf MyMonk beschrieben.

Wirkliche Zufriedenheit bei Menschen mit Kindheitsbelastungen stellt sich meist erst dann ein, wenn sich Orientierung ändert. Diese geht einher mit neuem Erleben und in der Folge auch neuem Verhalten: Diese Art und Weise, in der Welt zu sein, scheint mehr Einfluss auf eine besser empfundene Lebensqualität zu besitzen als ein Bündel von selbstentfremdeten Zielen. Ein Mehr an Achtsamkeit, ein mehr an Erleben mit allen Sinnen zeigte sich in Befragungen an Betroffenen als hilfreich (AWOKADO-Konzept Barnowski-Geiser 2015).

Ein Herz ist nicht wie das andere: Sie müssen selbst herausfinden, was Ihr Herz genau möchte. Und das braucht Zeit, Raum und Übung: wie immer! Und Vorsicht: Sie riskieren, dass Ihr Leben sich verändert, wenn Sie Ihrem Herzen wirklich zuhören.

Kreativ-Coaching Mein Herzens-Kompass

Nehmen Sie sich ein wenig Zeit für sich, in einem Raum, in dem Sie ungestört sind. Gehen Sie mit Ihrer Achtsamkeit zu Ihrem Atem, indem Sie ihn für einige Minuten nur wahrnehmen… Legen Sie nun eine Hand auf den Bereich Ihres Herzens, so wie es angenehm für Sie ist. Atmen Sie in Ihr Herz: Stellen Sie sich vor, dass Ihr Herz sprechen kann und Ihnen erzählt, was es gebrauchen kann. Nehmen Sie sich Zeit zuzuhören und notieren Sie anschließend Wichtiges. Wie können Sie Ihre Herzenslust leben, z.B. aus dem Herzen singen, mit dem Herzen  sehen, zur Herzensmusik tanzen etc. Sorgen Sie dafür, dass Ihr Herz ab sofort dem ihm zustehenden Raum und Gehör findet:

Nehmen Sie in den nächsten Wochen bei anstehenden Entscheidungen und Problemen Ihr Herz mit dazu, vertrauen Sie auf Ihre Herzensweisheit. Das bedeutet nicht, den Kopf nur noch auszuschalten: sondern Ihre Entscheidungen um ein wesentliche Ebene zu bereichern.

Mehr zum Thema

auch eine literarische Arbeit von Sergio Bambaren


Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms.

Ihre Erfolgsstrategie… Beziehen Sie Probleme Ihrer Eltern nicht mehr auf sich!

Herrn R.s Vater ist depressiv…solange Herr R. denken kann. Behandlungen vermeidet der Vater, Ärzte und Therapeuten, so denkt der Vater,  machten sein Leiden nur noch schlimmer. Für Herrn R. bedeutet das, „von Kindesbeinen an mit dem Leiden meines Vaters ziemlich alleine dazustehen“ – seine Mutter tat zeitlebens so, als habe der Vater nichts, erzählt er. Sein Vater interessiere sich wenig für ihn, sei vor allem  mit sich selbst beschäftigt und schwermütig. Er wirft seinem Sohn Herrn R. vor, wie gut es ihm doch gehe… während er „vor die Hunde gehe“. Herr R. kann kaum noch abschalten, befürchtet, ähnlich depressiv zu werden wie sein Vater, hat nun Eheprobleme wegen derer er Hilfe sucht. Von seiner Frau fühlt Herr R. sich nicht wirklich geliebt (er hat Angst, dass sie ihn verlasse), seine Kinder beklagen seine Verschlossenheit.

In Gesprächen wird deutlich, das Herr R. bis heute annimmt, das Verhalten seines Vaters ginge auf ihn zurück. Er sei nicht der Sohn, den der Vater sich gewünscht habe. Er sei kein guter Gesprächspartner und hätte sich noch viel stärker engagieren sollen, dem Vater zu helfen. Er hätte wahrscheinlich nie aus dem Elternhaus ausziehen dürfen, vermutet Herr R.

Herr R. bezieht die Krankheit seines  Vaters auf sich. Er glaubt, die Depression des Vaters hätte grundlegend etwas mit ihm zu tun, sei letztlich durch ihn verursacht. Der Vater sei so, weil er, Herr R. nicht interessant, nicht kooperativ , nicht klug genug sei usw. Dies ist nicht ein „schrulliger Zug“ des Herrn R., wie vielleicht manch einer annehmen könnte, sondern eine schwere Belastung aus KIndheitstagen: da er seit Kindestagen mit der Erkrankung des Vaters belastet wird und mit dieser Belastung alleine gelassen wird, aktivieren sich seine kindlichen Erklärungen wiederholt (Geiser-Heinrichs 2017)

Eltern haben ihre Probleme in 99% aller Fälle unabhängig von ihren Kindern – dies ist wichtig zu erkennen. Der Vater ist depressiv, die Mutter trinkt. Punkt! Die Eltern haben alle damit verbundenen Probleme –  Kinder sind mitbetroffen und fühlen sich verständlicherweise diesen Krankheiten gegenüber ohnmächtig. Sie haben die Erkrankung aber nicht verursacht – ihre übernommene Verantwortung liegt meist im Verborgenen und ist den erwachsenen Kindern oftmals zunächst ebensowenig  bewusst wie die übernommene Schuld.

Wie kommt es, dass viele Kinder sich für die Krankheit der Eltern verantwortlich fühlen? Versuchen wir zu verstehen, wie es zu diesem Mechanismus kommen kann, indem wir Entwicklungspsychologie und Neurowissenschaften zu Rate ziehen: Kinder machen unterschiedliche Entwicklungsstadien durch. Im Kindesalter durchlaufen sie eine Phase, die Psychologen auch als Phase des Egozentrismus bezeichnen (Piaget). Kinder glauben in diesem Alter, alles erschaffen zu können und für alles, was um sie herum passiert, verantwortlich zu sein. Bei Streitigkeiten der Eltern etwa fragen sich Kinder, welchen Grund es dafür  wohl gibt. Da das Kind noch nicht in der Lage ist, Beziehungskonflikte und Probleme der Eltern tiefergehend zu durchschauen, gibt es sich selbst daran die Schuld. Unangemessenes Handeln der Eltern, das mit bestimmten Krankheiten wie Sucht oder Beziehungsproblemen zusammenhängt,  beziehen die Kinder auf sich (Geiser-Heinrichs/Barnowski-Geiser 2017). Halten diese Probleme über viele Jahre an, so wird diese dauernd genutzte Hirnspur „Ich bin verantwortlich für unsere familiären Probleme“, bis hin zum „Ich bin schuld am So-Sein, an der Krankheit meiner Eltern“ zu einer breiten vielbefahrenen Hirn-Autobahn, wie es die Neurowissenschaftler vereinfachend erklären (Hüther). Da die entstandenen Probleme von Kindern nicht befriedigend bewältigt werden können, resultiert daraus in der Folge meist ein herabgesetzter Selbstwert: ein grundlegendes Gefühl der Unzulänglichkeit sowie das Gefühl, überhaupt nicht liebenswert zu sein. Im ungünstigen Falle entsteht ein Lebensproblem, das mit in die nächste Beziehung genommen wird und sogar die neu gegründete Familie, wie im Falle von Herrn R., nachhaltig negativ beeinflussen kann. „Ich bezieh  nicht mehr alles auf mich“, kann ein wichtiger Schritt sein zu mehr Lebens-und Beziehungsqualität sein. Damit aus dieser Aussage eine gelebte Haltung wird, muss sie täglich, wie beim Sport, eingeübt werden: damit einen neue Hirnspur langsam aufgebaut wird, um im Bild zu bleiben, zu einer neuen Hirnautobahn werden kann. Oft hilft es, einen mantraartigen Satz zu formulieren und diesen zu wiederholen.

Eine schwere elterliche Erkrankung ist schwer auszuhalten. Viele Kinder fühlen sich ohnmächtig ausgeliefert, bis ins hohe Erwachsenenalter. Erst das Eingestehen der Ohnmacht, gerade wenn die unmittelbare Belastung vorbei ist (die erwachsenen Kinder Kontakt zu den Eltern und Dosierung des Kontaktes selbst bestimmen können), erlaubt es jedoch, aus dem Anstrengungs-Hamsterrad auszusteigen. Da Ohnmacht so schwer zu ertragen ist, erscheint der „Verursacherglaube“ der erwachsen gewordenen Kinder in manchen scheinbar als leichtere Wahl (diese Wahl wird jedoch unbewusst getroffen), gibt es doch hier einen aktiven Anteil, eine scheinbare Gestaltungsmöglichkeit. Ein Trugschluss: das Abarbeiten an der Krankheit, der Wunsch, die Krankheit zu besiegen und elterliche Liebe, „gesehen werden wie man wirklich ist“, endlich zu bekommen, werden leicht zum Sysiphos-Projekt. Ein Reset, ein zurück auf Null, tut hier oft gut: die elterlichen Probleme nicht mehr auf sich beziehen. Dabei unterstützt, den Kopf zu Hilfe zu nehmen und innerlich deutlich Stop zu sagen, wenn das Kreisen um Schuld einsetzt.

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser


Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) und Meine schwierige Mutter (gemeinsam mit ihrer Tochter Maren) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms.

Schutzengel oder Sündenbock?Wie Sie gestern wurden, was Sie heute sind und es morgen noch ändern können

Wer bin ich? Diese Frage beschäftigt viele Menschen. Antworten auf diese Frage lassen sich meist schwer finden ohne andere Menschen. Der Mensch ist ein soziales Wesen, das bedeutet auch, dass wir das, was wir sind, vor allem durch andere Menschen werden (Übung „Säulen deiner Identität“ hier)

Sie haben sich im letzten Blogbeitrag mit  33 Fragen rund um deine Welt auseinandergesetzt… Dann waren Sie auf einer spannenden inneren Reise und haben zu dieser Frage vielleicht mehr über sich erfahren. Vielleicht haben Sie nicht auf alle Fragen Antworten gewusst – manche Antworten brauchen eine lange Zeit der Reifung.  Zu den gestellten Fragen gibt es keine Test-Auflösung im klassischen Sinne: Ich möchte jedoch in den nächsten Blogeinträgen auf einzelne Fragen noch einmal genauer eingehen. Die Fragen 1-6 beschäftigten sich mit dem Selbst- und Fremdbild. Die Auseinandersetzung mit diesem Aspekt ist für Erwachsene aus belasteten Familien besonders wichtig: das Bild, das wir von uns selbst haben, ist geprägt von den Rückmeldungen und Bildern der Menschen, mit denen wir aufgewachsen sind. Was bedeutet das für Menschen mit Kindheitsbelastungen konkret?

Wenn Kinder etwa früh viel  für ihre Familie tun und dafür keine Anerkennung bekommen, das womöglich über Jahrzehnte, dann ist ihr Selbstbild von dieser Erfahrung nachhaltig geprägt. Sie leisten dann auch in anderen Zusammenhängen, auch später als Erwachsene noch, viel, oft mehr als sie können, und glauben jedoch selbst, eigentlich gar nichts Besonderes getan zu haben oder zumindest nicht genug- so wie es ihnen in ihrer Familie vermittelt wurde, haben sie es nun verinnerlicht; sie gehen so wenig wertschätzend und achtsam mit sich selbst um, wie sie es von Kindesbeinen an durch andere, zum Beispiel suchtkranke oder beziehungsbelastete Eltern, an sich erfahren haben. Es ist wichtig, diesem Aspekt Beachtung zu schenken. Das Erkennen ist ein entscheidender Schritt, damit Sie, diesem alten Rollen-Selbstbild nicht weiter folgend, sich nicht weiter ausbeuten oder sogar missbrauchen lassen. Dabei können insbesondere die Antworten zu den Fragen 1-6 unterstützen.

Einen vielleicht ungewöhnlich anmutenden Rollenaspekt möchte ich hier fokussieren: In belasteten Familien treffen wir oft auf besondere Menschen, manche könnte man durchaus als menschliche Schutzengel bezeichnen. Da finden wir Menschen, die als Kinder ihre Geschwister an Stelle der Eltern aufzogen, sie betreuten, versorgten – ohne Dank, im Gegenteil kritisiert und gestraft, wenn sie das, obwohl noch jung an Jahren, nicht perfekt wie ein Erwachsener machten. Kinder, die sich vor prügelnde Väter warfen, um Mütter zu schützen, sogar zum „Sündenbock“ wurden, um die Gewalt auf sich zu lenken, von den bedrohten anderen Familienmitgliedern weg. Kinder, die psychisch erkrankte Eltern souverän durch Krisen tragen, Partner ersetzen und doch von den erkrankten Eltern als unzureichend und nicht gut genug „bewertet“ werden. All diese Menschen wurden nicht zu Schutzengeln, Rettern und Helfern, weil sie so „co-abhängig“, „beziehungssüchtig“ oder „persönlichkeitsgestört“ sind, sondern aus einer tiefen familiären Not heraus.

Und diese menschlichen Schutzengel wissen wenig um ihre Verdienste, da die familiäre Scham ihr Tun sowie die damit verknüpften Ereignisse in Nebel hüllt, sie in die Sprachlosigkeit verbannt. Oftmals geraten derart betroffene Geschwister sogar in heftige Konflikte: anstatt gemeinsam das Geschehene zu betrauern oder sich die zustehende Wertschätzung zumindest als Erwachsene zu geben, geraten sie miteinander in Konflikte und Anklagen, die eigentlich mit den Eltern ausgetragen werden müssten. Ein tragischer Prozess.

Je klarer Betroffene ihre alte Rolle selbst erkennen, mit den Zuschreibungen der anderen abgleichen und verstehen, umso leichter lässt sich in neuen Systemen leben, ohne neuerlich in den biografischen Fallstricken zu verschleißen.

Mehr zu Co-Abhängigkeit aus neuer Angehörigen-Perspektive  können Sie hier und in Ich will mein Leben zurück bei Jens Flassbeck nachlesen. Rollenmodelle mit Selbsttest hier.

Buchdeckel „978-3-608-89106-5Buchdeckel „978-3-608-86045-0jetzt blätternjetzt blättern

In 33 Fragen rund um deine Welt

Stellen Sie sich manchmal auch ziemlich viele Fragen? Das ist gut so, denn nur indem wir Dinge in Frage stellen, können wir neu entdecken, verwerfen, finden und  sogar Welt verändern. Manchmal stecken Menschen jedoch in bestimmten Fragen fest. Insbesondere dann, wenn das Leben belastet ist und/oder schon seit Kindheitstagen war. So fragen sich manche Menschen quälend immer wieder dasselbe, warum ihr Partner wohl trinkt…warum sie früher schlecht behandelt wurden… warum sich die Mutter wieder einmal nicht interessiert und achtlos mit ihnen ist. Nur schwer lassen sich auf diese Fragen befriedigende Antworten finden. Manchmal vergessen Menschen aus belasteten Familien über das Kreisen um die anderen, Fragen zu stellen, die für sie selbst zentral und weiterbringend sind. Fragen, die zum eigenen Kern und Wesen führen. Dabei kann sogar die nicht gefundene Antwort zum Motor werden, eine unbestimmte oder unerfüllte Sehnsucht eröffnen – Sehnsucht, die voran treibt, unseren Ausschnitt von Welt ein wenig zu verbessern. Selbst die Veränderung sein, die man sich für die Welt wünscht, so wird der große Gelehrte Gandhi zitiert.

Wenn Sie hier regelmäßig Online-Gast waren, haben Sie in den letzten Monaten schon einiges zu wesentlichen Fragen rund um familiäre Belastung bearbeitet und weitergedacht. Vielleicht möchten Sie, wie so viele Menschen, am Ende des Jahres eine persönliche Bilanz ziehen. Dabei kann Ihnen die Beantwortung der Fragen hilfreich zur Seite stehen: Ich habe hier speziell für Sie 33 Fragen zusammengestellt, die Menschen mit Kindheitsbelastungen in Ihren  Prozessen als weiterbringend erlebten. Fragen, die sie als lebensverändernd und ihr Leben weiter bewegend beschrieben. Vielleicht mögen auch Sie diesen Fragen nachgehen…dann nehmen Sie sich Zeit (gut wären etwa 60 Minuten oder zwei Einheiten a 30 MInuten), Raum, Muße und ein Blatt Papier mit einem Stift. Versuchen Sie, wenn nichts anderes angegeben ist, in nur einem Satz zu antworten. Da es sich um einen persönlichen Prozess handelt, verwende ich hier als Anrede das vertrautere „Du“.

33 Fragen zu dir und Jetzt.Besser.Leben

1 Wer bist du? (auch wenn es schwer fällt,in einem Satz)

2 Wer warst du in deiner Familie?

3 Wer bist du an deinem Arbeitsplatz?

4 Wer bist du in deiner Beziehung (oder wichtigen Beziehungen) heute?

5 Wie würden die anderen Familienmitglieder deine Rolle beschreiben?

6  Für wen warst du eine Art Schutzengel, für wen möchtest du ein Schutzengel sein?

7 Wie lautet die Überschrift zu deinem Leben als Film?

8 Wie wäre ein Happy-End in diesem Film… Beschreibe in 5 Sätzen

9 Wofür lebst du?

10 Wobei fühlst du dich ganz lebendig?

11 Was wünscht sich dein Inneres 4jähriges Kind?

12 Was wünscht sich dein inneres 9jähriges Kind?

13 Stimmt das, was du überwiegend tust, mit deinen Lebenszielen überein?

14 Womit sind deine Gedanken angefüllt? Worum kreist du?
(Beobachte 5 Minuten, was du denkst. Bewerte dich nicht und bilde Kategorien für alles, was dir in den Sinn kommt)

15 Wie ist dein Lebensrhythmus?

16 Wie klingt der Rhythmus, in dem du morgens zur Arbeit gehst oder deine Tätigkeiten beginnst? (Klopfe diesen Rhythmus mit den Händen)

17 Stimmt dein Tempo für dich?

18 Was müsste passieren, um dich gerade jetzt ganz und glücklich zu fühlen? Was kannst du selbst dazu beitragen?

19 Welchen nächsten Schritt möchtest du unbedingt tun, welche Atmosphäre brauchst du dazu?

20 Was fehlt dir schon lange?

21 Was magst du jetzt ganz und ausschließlich für dich tun?

22 Woran glaubst du?

23 Wer hat dich in einer Beziehung ausgesucht, wen suchst du dir aus?

24 Auf wen möchtest du bald mehr zu gehen?

25 Wer oder was ist deine Inspiration?

26 Wie sieht deine innere Heimat aus? ( Gestalte gern ein Bild dazu)

27 Wie ist das Verhältnis zwischen Geben und Nehmen?

28 Was hält dich zurück, jetzt etwas zu ändern? Und wofür ist das gut…

29 Wieviel Macht haben Menschen, die dir nicht gut getan haben, heute noch über dein Leben?

30 Auf welche Kraft in dir kannst du immer vertrauen?

31 Bist du wirklich schuld?

32 Was würdest du auch dann weitertun, wenn niemand davon erführe?

33 Welchem Menschen möchtest du auf jeden Fall danken?

Es wäre gut, diese Fragen zu besprechen…versuche doch diesen Menschen mit dem das gut täte, noch in diesem Jahr zu erreichen…

Weitere Fragen und Anregungen finden Sie, wie auch interessante Artikel,  im Blog MyMonk

Ich wünsche Ihnen eine besinnliche gute Zeit zwischen den Feiertagen, weiterbringende Fragen und bereichernde Antworten.

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms.

„Du bist ein wunderbares Kind!“… wie Wertschätzung heilt

Liebe LeserInnen,

nun sind Sie mit vielen tausend anderen Menschen offenbar regelmäßig lesend auf dieser Webseite unterwegs. Das freut mich natürlich und es stellt sich eine Verbundenheit mit Ihnen ein: der Online – Familie der Kinder und Erwachsenen aus belasteten Familien.

Weihnachten steht vor der Tür. Ich mag Ihnen nochmal eine etwas andere Weihnachtsgeschichte zukommen lassen, die ich vor etwa 15 Jahren verfasst habe (und später dann auch gelesen habe auf der CD „Gefühlskinder“ mit dem Duo EigenARTs und Beate Theißen am Klavier): eine Geschichte, die ich damals unter dem Eindruck einer wahren Begebenheit verfasste. Ein kleiner Klient, Sohn einer trinkenden Mutter, erzählte sie mir. Diese Geschichte hat etwas Schweres und Tragisches und eine doch so, wie ich finde, gute Auflösung. Mir hat der Kleine gezeigt, wie überlebens-wichtig Wertschätzung für kleine und große Menschen ist. Deshalb möchte ich diese kleine Geschichte nochmal auf den Weg bringen, sie euch und Ihnen, als mein persönliches Weihnachtsgeschenk  zur Verfügung stellen-.

Ein gutes Weihnachtsfest für Sie und alle, die Ihnen lieb und wichtig sind wünscht Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Quer – Lage

Eine Kurzgeschichte von Waltraut Barnowski-Geiser

Endlich lag er richtig. Wie immer war es ihm schwer gefallen, eine Position einzunehmen, die ihm entsprach und doch korrekt war. Meistens lag er daneben oder war schiefgewickelt, wie Mama sagte. Jetzt ruhte er gerade, der Länge nach, quer. Zunächst hatte er in der Mitte gelegen, lang ausgestreckt, gegen die sengende Sonne blinzelnd. Er war überrascht, wie gut er dazwischen passte, aber dazwischen passen konnte er. Er passte auch zwischen Mama und Ingo, seinem 10 Jahre älteren Bruder und seit Ingo ausgezogen war, passte er auch zwischen Mama und Ken, ihrem neuen 15 Jahre jüngeren Freund, eigentlich 14 Jahre, 264 Tage und 9 Stunden! Aber so genau solle das wirklich niemand wissen, hatte Mama gestöhnt und wieder mit diesem flehenden Blick zum Himmel, “Oh dieser Junge!“ geseufzt. Das machte sie schon, seit er denken konnte, als er also noch ganz klein gewesen war.Dann wäre er am liebsten wie die Mäuse in ein Loch gekrochen. Obwohl er sich, wie er selber fand, oft ganz klein machte, war er Ken zu groß. Zu groß und zu viel! Hier draußen war sogar noch Platz um ihn herum , Bewegungsspielraum, den er nicht brauchte, nicht mehr. Die Arme eng an den Körper gepresst, fast wie die Soldaten im Counterstrikespiel, hatte er sich eingefügt. Benötigte den Adlerflügelspielraum für die Arme kaum. Im Rücken zwickte es ein wenig, eigentlich ein bisschen viel. Eigentlich bevorzugte er die Bauchlage, war in Erinnerung seiner vorgeburtlichen Eskapaden fast ein wenig stolz. Davon erzählte Mama oft, dass er schon da mit seiner Lage Schwierigkeiten gemacht hatte, er ein Kaiserschnitt wurde. Das klang so toll adelig, wenn Mama das sagte. Sie hatte sich Stunden mit ihm abgequält, weil er sich anders als andere Babies hingelegt hatte, eben quer, schon da ein Dickkopf, was er heute nicht mehr fand, fühlte er doch oft den Umfang seines Kopfes ab, Mamas Aussage, wie so oft, wörtlich nehmend. Er fand seinen Kopf eher klein, wie er ja überhaupt zu den Kleinen in seiner Klasse gehörte. Und dann hatten sie ihn erwartungsvoll aus Mamas Bauch herausgeschnitten, das Personal bestimmt enttäuscht über so einen kleinen blutigen schreienden unadeligen „Querschläger“. Das war der Beginn seines Lebens gewesen und er hatte gelesen, dass Menschen am Ende immer zurückblickten im Zeitraffertempo. „Zeitraffertempo“ war auch wieder so ein Wort, das Kinder eigentlich nicht benutzen, das tat man nicht. Immer musste er auffallen:  weil er  Worte so neu und lustig und fremd und spannend fand. Seine Deutschlehrerin gab sich begeistert, entzückt rief sie eins ums andere Mal: „Still, Kinder. Na, wie formuliert das unser kleines Sprachgenie?“ Das war ihm so peinlich, dass er sich bei ihr nicht mehr zu Wort meldete. „Sprachgenie, Sprachgenie!“, hatten die anderen gerufen, „spielt nicht mit dem, der ist doch so ein Genie, mit uns will der doch gar nichts zu tun haben.“ Er war halt so verdammt anders, hochbegabt sagten die Ärzte. „ Zu wenig Normalo, dein kleiner Typ!“ maulte Ken.

Mama fand es schlimm, dass er immer auffallen musste. Erschreckt bemerkte er nun, dass sein jetziges Vorhaben so zum Scheitern verurteilt war. Er lag tatsächlich schon wieder falsch. Natürlich, so konnte das nicht gehen, quer musste er hier liegen, quer und mit dem Kopf nach unten. Als er noch kleiner war, hatte er immer geglaubt, wenn man die Augen zu mache, würde man nicht mehr gesehen. Darauf hoffte er auch nun. Im übrigen konnte er nicht gesehen werden, er war recht sicher, hatte er sich doch bestimmt zwei Kilometer von der Bahnhofseinfahrt weggeschlichen.

Robotergleich greift sein Arm in die Eisen, zieht den Restkörper nach, die Füße reichen knapp bis zur gegenüberliegenden Seite. Er stützt seinen heute tatsächlich groß schweren Kopf auf den Armen ab , senkt ihn und drückt seine schweißnasse Stirn auf die Handoberflächen. Er findet es schön, dass die Hände sauber duften, nicht den Duft tragen all dessen, was er angefasst hatte. All das, was er nicht hätte anfassen dürfen, das Verbotene. Egal, was er anfasste, am Ende war die Mama traurig und weinte und musste wieder trinken oder diese blöden Tabletten nehmen, von denen sie dann so weg war. Dann weinte sie nicht mehr, aber dann war sie ganz weit weg, wie in Afrika. Und dabei wollte er doch eigentlich ein Glücksbringer für Mama und alle Menschen sein. Er schaffte gar nichts. Manchmal hatte er schon überlegt, sich die Hände anzuhacken, aber er war so ein verdammt ängstlicher Scheißer. Ein beschissener Hosenscheißer. Ja, nicht einmal das hatte er gekonnt, er war nicht sauber zu kriegen gewesen. Und darüber hatte Mama auch geweint, Krokodilstränen. So ein großer Junge, neun Jahre alt, wie er. In seiner Verzweiflung hatte er dann manchmal alles an die Wände geschmiert, braune Farbe, Eigenproduktion, kostenlos und reichhaltig vorhanden. Es hatte nicht geklappt , es wieder wegzukriegen, und das Malen an den Wänden hatte Spaß gemacht. Das hatte die Mama aus Afrika zurückgeholt und dann half nur noch der Stock. Er hoffte sehr, dass der Stock ein Zauberstab wäre, dass er helfen würde, und verdient hatte er es ja, aber bis jetzt hatte der Stock nicht viel ausgerichtet. Manchmal passierte das einfach, es schoss aus ihm heraus, genau so sturzbachartig wie die Gedanken, kreuz und quer und hoch und runter, wie die Figuren auf seinem Game – Boy. Falls Mama ihn nachher finden würde, konnte sie sich freuen: er hatte nicht einmal Spuren unter den Nägeln, seit neustem entfernte er die braun – kotigen Reste dort mit seiner knallgelben Zahnbürste. Nicht auszudenken allerdings, wenn Mama bemerkte, dass er sich seit Tagen die Zähne nicht mehr putzte, igitt, sich vorzustellen, dass das Zeug da in seinen Mund käme. Eklig!

Das war auch echt doof gewesen, dass er Kens beste coole Lederjacke zum Verkleiden aus dessen Schrank in sein Zimmer geholt hatte. Natürlich wie immer nicht weggeräumt und dass dann auch noch das Schlimme passiert war. Manchmal hatte er einfach pech. Eigentlich immer! Fasziniert hatte er zugesehen, wie sich sein cremiges Dunkel in das wildgrüne Wildleder gegraben hatte, interessante Formen zutage traten. Ein Zwergnase über Kens Jackentasche entstand, so weich und warm, kuschelig fast und er hatte gelacht, Fratzen geschnitten, Zwergnase hatte immer andere Formen angenommen. Im Spiel konnte er sich vergessen. Eigentlich hatte er immer jemanden zum Spielen, also nicht wirklich, jetzt flunkerte er, aber er tat so. Zum Beispiel die Figuren auf seinem T-Shirt, die waren immer dabei. Er fand es sogar peinlich, wenn sie ihm beim Pinkeln zusahen, dann hielt er das T – Shirt so hoch, dass nichts Intimes sichtbar wurde.
Er war ein echter Pingel, sagte auch Mama. Und ein kleiner Spinner, meinte Ken. Oh je, wenn Ken seine Jacke finden würde! In der Mülltonne würde er nicht suchen und mit der alten Tischdecke darüber waren nur Umrisse zu sehen gewesen. Aber auf Mülltonne würde der nicht kommen. Und heute war es heiß, warum sollte er gerade heute seine Jacke suchen. Oder? Ken tat manchmal unberechenbare komische Dinge und irgendwie wusste der immer alles. Panik stieg in ihm auf. Wenn Ken jetzt käme, sein Herz pochte wild. Aber noch konnte er das nicht bemerkt haben und so schnell konnte er nicht hier sein. Diese scheiß Gedanken sollten endlich aufhören, Scheiß, Scheiß Angst, scheiß Kopf, sein Kopf sollte absein und die schlimmen Hände auch. Einfach ratsch. Er krallte sich noch tiefer in die Eisen, spürte ein Wummern unter sich, das ihn ganzkörperlich erfasste. Endlich.

„Der Wupperexpress von Hagen nach Aachen über Rheydt, Erkelenz, Lindern trifft wenige Minuten später ein.“

Entfernt hörte er die nüchterne Lautsprecherstimme. Immer kamen alle zu spät, schon wieder, jetzt sogar der Zug, auf den er so dringlich wartete. Papa war das eine mal auch zu spät gekommen, und dann hatte es Mama gereicht, einmal zuviel meinte sie. Und sie hatte gesagt, dass sie mit so einem Unzuverlässigen nichts mehr zu tun haben wolle. Da hatte der Papa geschrieen und getobt, aber genützt hatte es ihm nichts, die Mama hatte ihn und Ingo genommen, war zu ihrer Mutter gegangen, weggezogen und seitdem hatte er keinen Papa mehr. Also, jedenfalls nicht einen, den er sah. Mama sagte, dass Papa kleine Hosenscheißer wie ihn eh hasste. Deshalb hätte der Papa ihn früher verprügelt. Klar, wie sollte der Papa ihn auch mögen. Er könne froh sein, dass er ihm nicht mehr begegnete, denn wenn der ihn zwischen die Finger kriegte, meinte die Mama…

Wie er jetzt wohl aussah? Ein zarter Kinderkörper , Kopf und Hände abschnittbereit auf den scharfkantigen Schienen präsentiert. Unsinnig sah das aus, sinnlos wahrscheinlich. Ohne Sinn, wie so vieles. Darüber dachte er oft nach, über den Sinn des Lebens. Mama mochte das nicht. “Das sind doch keine Gedanken für ein Kind!“, schimpfte sie. Die Schwester im Krankenhaus hatte ihm lange zugehört und nachdenklich gefragt: „ Wie willst du einen Sinn finden, wenn du deine Sinne nicht nutzt und schätzt.“ Das klang spannend, die Sinne nutzen, sich selbst schätzen. Und komisch! An ihm war vieles komisch, er konnte sich die verrücktesten Geschichten ausmalen, mit Menschen, die Kreide mit Ketchup aßen und für die die Sonne ein Schatz war, nicht Geld, sondern einfach Sonnenwärme. Mama wollte diese Geschichten nicht hören. „Fängst du wieder an, müssen wir dich wieder wegbringen?“ sagte sie dann und dann war er ganz schnell still. Er wollte nicht wieder in dieses Krankenhaus. Obwohl die da ganz schön nett zu ihm gewesen waren. Und die Schwester hatte sogar seine Hände geküsst und gemeint: „Du hast wunderbare Hände, Junge, du bist so ein wunderbares Kind.“ Das hatte so doll gekribbelt in seinem Bauch, fast so wie bei dem Kuss von Isa, er war ganz wild durch die Krankenstation gehüpft. Unmerklich lockerte er seinen Griff, die Beine suchten nach Boden. Kaum hörbar formten seine Lippen immer wieder dieselben Worte: „Ich bin ein wunderbares Kind.“

Weihnachtsfest jetzt neu gestalten…anders feiern mit dem inneren Team

Wenn Kindheiten belastet waren, waren es oftmals auch und sogar besonders die Feiertage. Gerade an diesen Tagen kommen dann alte ungute Erinnerungen auf – manchmal nicht einmal bewusst wahrgenommen, legt sich plötzlich eine atmosphärische Schwere über die sogenannten Feiertage – und so sind diese dann leider alles andere als ein Fest für Betroffene.

Wenn  Kindheitsfeiertage weniger schön waren, so kann ein wichtiger Helfer unsere Vorstellungskraft sein. Mit unserer Vorstellungskraft können wir diese Feiertage so schön gestalten, wir wir es jetzt gerade wünschen. Hierbei kann das sogenannte innere Team helfen.In dieser Methode, angewendet etwa in der imaginativen Traumatherapie, Integrativen  und systemischen Therapie, arbeiten  wir Anteilen aus verschiedenen Alterstufen, die wir in uns tragen: nicht real, sondern als Teile, die wir wiederbeleben können. Das ermöglicht, eine neue Welt zu schaffen:  auch eine reizvolle Aufgabe zu der Ihre Kreativität gefragt ist und der Mut, Dinge anders zu tun! Wen laden Sie zu Ihrem Fest ein? Ihr inneres Schulkind, die Pubertierende die alte weise Frau…Sie wollen das ausprobieren?

Kreativ-Übung Inneres Team

Dann nehmen Sie, wie Sie es schon öfter hier geübt haben, eine kleine Auszeit vom Alltag…suchen Sie zunächst einen ungestörten Platz. Gehen Sie nun ganz mit Ihrer Achtsamkeit auf Ihren Atem…nur wahrnehmen, wie Sie ein und ausatmen…nicht bewerten…nun stellen Sie sich, wenn Sie mögen, vor, dass Sie mit jedem Atemzug, wie mit einem Fahrstuhl, tiefer zu sich selbst und Ihren inneren heilsamen Bildern sinken.

Begrüßen Sie nun sich selbst im Schulkindalter… was hat dieses Kind an und wie sieht es aus…Holen Sie es in Ihrer Phantasie mit an einen gedeckten  Tisch… fragen Sie es, wie es sich ein tolles Weihnachtsfest vorstellt…und nun die Pubertierende…gehen Sie auf die gleiche Weise vor . Setzen Sie auch sie dazu…

Und die weise reife Frau in Ihnen…lassen Sie nun alle miteinander sprechen. Moderieren Sie zum Thema: wie wir uns ein wunderbares Weihnachtsfest gestalten! Notieren Sie anschließend Einfälle, Gedanken und Planungen

Vielleicht  haben Sie eine ungewöhnliche Feier geplant: bewerten Sie dies nicht, es ist Ihre kreative Feier, die genau den Wünschen Ihrer inneren Anteile, Ihres inneren teams  entspricht- vielleicht abseits der Norm oder ganz konventionell… sie können dieses Bild in den nächsten Tagen wandeln, vertiefen….Kommen Sie einfach immer mal wieder zu Ihrem inneren Weihnachts-Team zurück…es ist immer an Ihrer Seite, Sie können es auch bei anderen Fragen zur Hilfe nehmen und es noch erweitern…

Wenn der Kontakt schwierig war, geben Sie Ihrem team Zeit: vielleicht braucht es wiederholte liebevolle Ansprache, bevor es wieder koooperiert!

Lust auf mehr? Professorin Luise Reddemann hat diesem Thema eine CD , erschienen bei Klett Cotta, gewidmet, mit Musik und Anleitungen, auch zur Arbeit mit dem inneren Team.Dem inneren Kind begegnen

Ich wünsche Ihnen und Ihrem Team kreative Adventstage- mit Vorfreude auf das Neue, das Sie kreiieren!

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Nicht nur zur Weihnachtszeit: Im Hamsterrad der alten offenen Rechnungen

Neue Beziehungschancen durch Perspektivwechsel?

Herr N., 32 Jahre erzählt: „Ich weiß jetzt, dass ich nie die emotionalen Eltern haben werde, die ich mir gewünscht habe, aber ich bin dennoch dankbar für die Versorgung und das, was sie mir als kleines Kind, bevor ihre psychischen Probleme und Ehestreitigkeiten überhand nahmen,  gegeben haben. Ich werde versuchen, mit diesen sozialen, versorgenden Eltern in Kontakt zu bleiben – seit ich meine emotionalen Erwartungen an meine Eltern aufgegeben haben, empfinde ich nach einer Phase der Trauer nun endlich inneren Frieden.“

Gerade in der Vorweihnachtszeit, in der Familienbesuche und soziales Zusammenrücken groß geschrieben werden, geraten Menschen aus belasteten Familien unter besonderen Stress: „Soll ich meine Eltern öfter besuchen, soll ich den Kontakt zu meinen Eltern abbrechen oder diese Beziehung doch aufrecht erhalten?“… „Liebe ich meine Eltern oder hasse ich sie nicht eigentlich, nach allem, was sie mir angetan haben?“ “ Aber bin ich Innen das als Ihr Kind nicht schuldig, Sie sind doch meine Eltern?“ So und ähnlich lauten Fragen, die sich erwachsene Kinder aus belasteten Familien oftmals quälend stellen und auf die sie nur schwer im „Entweder oder“ Antworten finden. Harmonisch Weihnachten feiern im Kreise der Lieben, so wird uns nicht nur in der Werbung suggeriert, ist scheinbar das Normalste der Welt…Warum gelingt das so schwer? Beratungsstellen und Therapeutische Ambulanzen haben vor dem Fest der Liebe regelmäßig Hochkonjunktur. Menschen, die etwas durch ihre Eltern erlitten haben, fühlen sich, wenn sie sich distanzieren, allein und ausgegrenzt oder, wenn sie sich mehr in die Herkunftsfamilie begeben, in einer erzwungenen Harmoniefalle. Es scheint kaum einen Ausweg zu geben aus diesem Dilemma. Oft liegt diesem „Ich sitze in der Falle“-Gefühl“ eine „Entweder-Oder“-Sicht zugrunde. Die alte offene Rechnung mit den Eltern schmerzt und doch gibt es diese Sehnsucht nach ZUhaus…

Die schwierige Suche nach dem „Und“

Manchen Betroffenen hilft es, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Sie sehen die Elternbeziehung differenzierter an. Sie betrachten komplexer, etwa nicht mehr ausschließlich den Mangel  oder nicht ausschließlich das Gute: was konnten die Eltern nicht geben und was vielleicht doch, trotz der familiären Belastung?   Viele Eltern-Kind-Beziehungen stecken im Hamsterrad der alten offenen Rechnungen fest: die Eltern geben etwa Materielles und definieren, wie undankbar ihr Kind für ihre zahlreichen Gaben sei. Die Kinder können die elterlichen Gaben kaum würdigen, wird doch weder ihre emotionale Leistung noch ihre kindliche Belastung anerkannt, noch bekommen sie die ersehnte emotionale Zuwendung,  in Form von Resonanz, Wärme und Zuwendung.

Nicht „einfach“- Ambivalenz

Wenn die Eltern-Kind-Beziehung belastet ist, dann fühlen Kinder ambivalent: sie lieben und sie hassen, sie wollen sich distanzieren und haben doch große Sehnsucht nach elterlicher Zuwendung. Diese Ambivalenz gilt es anzuerkennen und auszuhalten. Einige negieren die Schattenseite, andere die, nennen wir sie hier „Lichtseite“, der Eltern.

Viele erwachsene Kinder  aus belasteten Familien fühlen sich zerrissen zwischen Licht- und Schattenperspektive, von Gefühlen, die sie als widersprüchlich und als ein „Entweder-oder“ empfinden. Manche finden bei genauerem Hinsehen ein „Und“, das in ihrer inneren Bewertung vorher kaum eine Rolle spielte. Oft wirken diese Sichtweisen gegensätzlich: sie wurden jedoch in der Regel beide erlebt. In unterschiedlichen Beziehungsphasen rückt dann jeweils nur die Lichtseite oder nur die Schattenseite in den Blick. In der Und-Perspektive wird manchmal beides möglich:  dass Eltern  materiell  unterstützten und das Kind doch  emotional zu kurz kam. Dass  es eine gute Versorgung  mit Essen und Trinken gab und   Kinder doch emotional unterernährt wurden: Sie waren etwa viel zu früh in der Elternrolle statt, dass ihre kindlichen Bedürfnisse befriedigt wurden (Kinder waren „Eheberater“, „Therapeuten“, „Mediatoren“ ihrer Eltern – unbezahlt, ohne Dank) und die Eltern  haben  eine freie, unkonventionelle Lebensform ermöglicht, geholfen,Träume zu realisieren etc..

Die radikale Annahme dessen, was ist, wie sie etwa im Zen propagiert wird (und von verschiedenen therapeutischen Richtungen, wie Gestalt-und Integrativer Therapie auch favorisiert wird, etwa Marsha Linehan), kann ein erfolgreicher Weg sein: Akzeptanz von scheinbar widersprüchlichen Gefühlen und Impulsen, die radikale Bestandsaufnahme, was die Beziehung zu den Eltern in ihrer Komplexität und vielleicht als widersprüchlich empfundenen Ganzheit eigentlich ausmacht: Licht und Schatten. Die Entdeckung des „Und“  anstatt des „Entweder oder“ kann  befreiend wirken.  Manche Beziehungen sind so stark belastet, dass der Kontaktabbruch als einziger Ausweg erscheint – das kann eine not-wendige Option sein, Zufriedenheit mit dieser Lösung bleibt oft jedoch aus (mehr dazu im Buch Barnowski-Geiser 2015: Vater, Mutter, Sucht). Vielleicht ist das Weihnachtsfest für Sie eine Chance, zu beobachten, nach Licht und Schatten zu suchen und auch nach dem eigenen Maß, wieviel Herkunftsfamilie Ihnen gut tut.

Eine gute Vorweihnachtszeit wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Hyperaktiv? Nein, familiär belastet

Sie fragen sich manchmal, ob Sie an ADHS leiden? Wenn sie in einer belasteten Familie aufgewachsen sind, kann es sein, dass Sie ähnliche Symptome zeigen wie diejenigen Menschen, die mit ADHS, dem sogenannten Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit Hyperaktivität (H), diagnostiziert wurden.  DENN Kinder und Erwachsene aus belasteten Familien zeigen zum Teil Symptome, die dem ADHS stark ähneln: Mangelnde Impulskontrolle, dauernde Unruhe, unerträgliche Hocherregung, abrupte Interessenwechsel und andauernde Konzentrationsstörungen,  auch in der ruhigeren Form des „Träumersyndroms“ (ADS genannt). Wie Lern-Probleme, ADHS und familiäre Belastung  zusammenhängen, erfahren Sie jetzt auf Kapazunda/Neue Denker im  Filmbeitrag.

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis ihres AWOKADO-7-Schritte-Programms.

Ob Mozart, LaFee oder Wir sind Helden…Musik hilft!

Haben Sie schon einmal bewusst darauf geachtet, welche Musik Sie meist hören und welche Sie früher viel gehört haben?
Für Menschen, die in schwierigen familiären Zusammenhängen leb(t)en, wird Musik oft besonders bedeutungsvoll. In der therapeutischen Arbeit zeigt sich, dass Musik insbesondere in bestimmten Lebenssituationen und in schwierigen Phasen eine wichtige Rolle spielt:  Musik wird zur Trösterin, Halt Gebende im Alleinsein, ein Spiegel der  gebeutelten Seele, sie schreit, was Betroffene nicht sagen dürfen…wenn wir Musik anhören, die aus einer früheren Zeit stammt, werden oftmals Szenen und Erinnerungen,  Atmosphären und Menschen lebendig – und auch die Kraft, wie diese Krisen bewältigt wurden.
So fällt einer jungen Frau, erwachsene Tochter drogenabhängiger Eltern, unter Tränen ein, wie sehr ein Stück einer Popgruppe ihr als Jugendliche den Rücken stärkte – genau dann, bemerkt sie heute, hat sie dieses Stück immerzu gehört, genau dann, als ihre Eltern sich auf sehr unschöne Art und Weise trennten. Genau dann, als  sie sich verlassen und „mutterseelenallein“ fühlte, niemanden mehr als Rückenstütze empfand.Ihr war damals nicht bewusst, wie sehr dieses Musikstück sie unterstützte.Musik war ihr unbewusst eine wertvolle Ressource.
Musik kann in der therapeutischen Arbeit als „Schlüssel“ oder „Code“, als Zugangsmöglichkeit zur Lebensbiografie und zu Kraftquellen (Ressourcen) dienen. Ein Zugang, der Möglichkeiten abseits der Worte eröffnet.
Und auch ein Sprachrohr kann Musik sein: In Familien, in denen das Tabu regiert, kann die gehörte Musik ausdrücken, worüber nicht gesprochen werden darf. So hört die 14jährige Tochter einer alkoholerkrankten Mutter fortwährend den Song „Wo bist du , Mama?“ von LaFee, lautstark lässt sie ihn immerzu durch die Räume klingen – was ihr  in der Folge von ihrer nur ab und an anwesenden Mutter und von der im Haushalt lebenden Oma verboten wird – ein Verbot, das sie zunächst nicht begreift! Bis sie versteht, dass sie auf diese musikalische Weise das familiäre Tabu hörbar gemacht hat. Sie bringt durch den Musuktitel zur Sprache, was Mutter und Oma  nicht wahrhaben wollen:  dass das Kind die Mutter an die Sucht verloren hat und unter diesem Mangel (und den damit verbundenen Folgen für ihr eigenes Leben) schwer leidet.
Und manchmal fühlen sich Menschen von einem Musikstück zum ersten Mal wirklich verstanden: Da drückt ein Song aus, was sie selber nicht so hätten benennen können. Der nachfolgende Liedtext wurde mir von einer Betroffenen für den Blog empfohlen. Sie verbindet das Abdrucken hier mit der Hoffnung, dass das Stück anderen in ihrer belasteten Situation so helfen möge wie ihr. Ich danke von Herzen für diese Empfehlung:
Wie sind Helden „Kaputt“
Dein Vater ist kaputt
aber du bist es nicht, zerbeult und verbogen
und vielleicht nicht ganz dicht
Aber irgendwo darunter bist du seltsam o.k
Beinah unversehrt unter allem, was weh tut
 Ich weiss du willst helfen. Ich weiss du grämst dich.
Ich weiss du willst abhauen.
Ich weiss du schämst dich.
Es ist okay jeder soll fliehen der kann.
Wenn du den Fluchtwagen fährst Schnall dich an

So viel kaputt
aber so vieles nicht
Jede der Scherben
spiegelt das Licht
So viel kaputt
aber zwischen der Glut
zwischen Asche und Trümmern
war irgendwas gut

Deine Mutter ist kaputt
aber du bist es nicht
Du trägst dieselben Verbände
Schicht über Schicht
Aber irgendwo darunter
bist du längst schon verheilt
Du hast viel zu lang
ihre Wunden geteilt

Ich weiss du willst helfen
aber du weisst nicht wie
Ich weiss du willst abhauen
aber das könntest du nie

Es ist okay – jeder soll helfen der kann
Wenn du die Scherben aufhebst
zieh dir Handschuhe an

So viel kaputt
aber so vieles nicht
Jede der Scherben
spiegelt das Licht
So viel kaputt
aber zwischen der Glut
zwischen Asche und Trümmern
war irgendwas gut

Du hast es gefunden
Und du musst es tragen
für dich und für alle
die dich danach fragen

Du hast es gefunden
Und du musst es tragen
für dich und für alle
die dich danach fragen

So viel kaputt
aber so vieles nicht
Jede der Scherben
spiegelt das Licht
So viel kaputt
aber zwischen der Glut
zwischen Asche und Trümmern
war irgendwas gut

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche,  „zwischen Asche und Trümmern war irgendwas gut“, im Sinne  des Zitates der Helden wünsche ich Ihnen hilfreiche Hörerlebnisse!
Ihre
Waltraut Barnowski-Geiser

Nebulöse Kindheitserinnerungen?…wie die Seele Sie vor Schlimmerem bewahrt!

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Sie können kaum noch etwas aus Ihrer Kindheit erinnern, Bilder und Erinnerungen erscheinen Ihnen wie unter Nebelschleiern? Dann ist es möglich, dass Ihre Seele Sie durch Vergessen schützt: Vor Erinnerungen, die Sie vielleicht noch überfordern.

Viele Menschen, die in Ihrer Kindheit Belastendes erlebt haben, verfügen über wenig  bis über gar keine Erinnerungen an diese Zeit. Die derart Betroffenen sind über dieses Phänomen oft verwundert. Sie glauben, einfach ein schlechtes Erinnerungsvermögen zu besitzen. Oftmals zeigt sich jedoch etwas anderes als Ursache: wenn die  Kindheit von großen oder  wiederholten seelischen Verwundungen geprägt war, dann war die kindliche Seele mit der Verarbeitung dieser als traumatisch einzustufenden Erlebnisse überfordert. Das „Vergessen“ ist dann ein kluger Schutzmechanismus der Seele. Ein Schutzmechanismus, der ihren Organismus auf diese Weise vor Schlimmerem bewahrt.

Im Erwachsenenalter zeigen sich manchmal plötzlich schemenhafte Bilder des traumatisch Erlebten, geradezu „wie aus dem Nebel“. Gerade, wenn Erwachsene die belastende Situation verlassen haben, eigentlich erstarkt sind, treten diese Phänomene auf. Warum gerade jetzt, wenn es mir eigentlich gut geht? wundern sich die derart Heimgesuchten. Ein Aspekt kann sein, dass Ihre Seele Sie gerade jetzt für reif hält, etwas Verdrängtes oder Abgespaltenes zu integrieren.Vertrauen Sie darauf, dass Ihre Seele Sie unterstützt auf Ihrem individuellen Weg! Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen und etwas Neues sucht seinen Weg.

„Wer leben gestalten will, muss zunächst für klare Sicht sorgen“, sagt der Redakteur Frank Berzbach in seinem Buch Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen. Dies mag durchaus auch für erwachsene Kinder aus belasteten Familien gelten: allerdings stellt „klare Sicht“ für Sie eine hohe Herausforderung dar. Oftmals kämpfen  sie unter und hinter ihrem Nebel mit alten Schuldgefühlen. Mit Gefühlen, die wenig klar vor ihre Augen treten, da sie unter Tabus und unter der Last des Zuviel verschwommen sind. Berzbach: „Wer sich schuldig fühlt, auch wenn er nichts Böses getan hat, wird sich nicht mehr bewegen.“ Wenn Starre quälend wird, ist meist professionelle Hilfe angezeigt. Wann der Nebel sich jeweils lichten durfte, zeigte sich in der Arbeit mit Betroffenen vor allem als Frage des geeigneten Zeitpunkts.

Ich wünsche Ihnen eine farbenfrohe Woche, hinter und unter dem Grau der Novembertage,

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

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Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In ihrer Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis ihres AWOKADO-7-Schritte-Programm.

Heimweh… von der unerkannten Sehnsucht der belasteten Kinder

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Sind Sie manchmal scheinbar grundlos traurig und niedergeschlagen, haben an kaum etwas Interesse, fühlen sich appetitlos im Wechsel mit Heißhungerattacken?…Sie haben das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören, verspüren wenig Motivation zur Arbeit und auch nicht, tatkräftig etwas Neues zu beginnen? Dann kann es sein, dass sie unter chronischem Belastungs-Heimweh leiden…

Wenn kindliche Bedürfnisse nach elterlicher Liebe und Zuwendung nicht befriedigt wurden, dann scheint oft lebenslang etwas offen zu bleiben. Etwas Unbestimmtes scheint verlo Etwas, das am ehesten mit dem Begriff Heimweh zu beschreiben ist. In der Folge richten erwachsene Kinder ihr Bemühen darauf, dieses Heimweh wegzubekommen, es von den Eltern doch noch gestillt zu bekommen oder auch, es einfach nicht mehr zu fühlen.

Viele Kinder aus belasteten Familien leiden im hohen Erwachsenenalter  an chronischem Heimweh, ohne darum zu wissen: belastete Familien sind wahre Brutstätten der Sehnsucht (zit. Vater, Mutter, Sucht, s.u.). Der Begriff Heimweh wird allgemein als Beschreibung gewählt, wenn in früher Kindheit eine Gemeinschaft verloren gegangen ist. Bei belasteten Kinder bekommt Heimweh eine andere Dimension.  Heimweh, das ich als Belastungsheimweh bezeichnen möchte, ist vielmehr bei all denjenigen vorhanden, die eine familiäre Gemeinschaft nie befriedigend erlebt haben und bei denjenigen, die sich selbst in der Suche nach elterlicher Liebe verloren gegangen sind. Belastungsheimweh ist immer auch ein Suche nach uns selbst, nach der eigenen Identität – oft einhergehend mit großer Verzweiflung.

Die junge Frau ist außer sich. Ihr Freund betrüge sie permanent, schlage sie, wenn sie ihn darauf anspreche und sie nehme diese Behandlung wieder und wieder in Kauf. Sie verstehe sich selbst nicht, Biografisches kommt ihr in den Sinn. Sie ist Tochter eines Alkoholikers und einer depressiven, tablettenabhängigen Mutter. In der Arbeit zu diesem Thema äußert sie, süchtig nach Ihrem Freund zu sein. „In meiner Familie hat das angefangen: ich bin der Liebe, die ich nicht bekam, hinterhergelaufen. Wie ein Stier hinter dem roten Tuch, so laufe  ich seitdem der Liebe hinterher!“

Belastungs-Heimweh kann zur unbestimmten Sehnsucht werden, für deren Erfüllung Betroffene oftmals „alles“ in Kauf nehmen; es ist Ausdruck  einer chronischen Mangelerfahung in der Kindheit. Es  mündet oftmals in chronischen Gefühlen von sich selbst fremd sein, bis hin zu der kindlichen Annahme, gar nicht wirklich zu dieser Familie zu gehören. Später im Erwachsenenalter gefolgt von Gefühlen, in Gruppen und Systemen Außen zu stehen.

Belastungs-Heimweh kann sich dann wandeln, wenn es vor allem als  Sehnsucht begriffen wird, selbst in etwas  Größerem einzutauchen… Oftmals führt die sehnsüchtige Suche rastlos nach Irgendwo und Nirgendwo, in Heilungsgruppen und zu Gurus. Ebenso gibt es Phasen, in denen das unerkannte Heimweh durch Beziehungen zu Partnern, Freunden, Therapeuten usw. gestillt werden soll. Meist ein erfolgloses Unterfangen. Oftmals wird erst in Krisen deutlich, dass Belastungs-Heimweh mehr verlangt als das, was Eltern, Partner usw. anbieten können. Erst nach  Trauerarbeit wird meist Neues möglich: manchmal mündet dieser Prozess in der Sehnsucht nach EinsWerden. Einswerden mit etwas, das größer ist als wir selbst und uns doch zugleich ausmacht (dazu auch Willigis Jäger/Lesetipp s.u.). Und so rückt für manche belastete Kinder dann das Eltern-und Beziehungsthema in den Hintergrund, innere Heimat wird   Musik, Tanz, Gott, Buddha, Allah, der Urgrund (W.Jäger), die Natur etc. -. Um das Leiden am Heimweh hinter sich zu lassen, muss es zunächst erkannt und betrauert werden, damit die ziellose Suche eine neue Richtung bekommen kann.

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche: den Mut, dem Heimweh ins Auge zu sehen und die Kraft, weiterzusuchen, wenn Sie Ihre innere Heimat noch nicht entdeckt haben.

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Heilung braucht Hoffnung

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„Glaube kann Berge versetzen!“ Diese Volksweisheit ist  für Menschen, die eine tiefgreifende Kindheitsbelastung erfahren haben, von besonderer Bedeutung. Viele erwachsene Kinder aus belasteten Familien haben früh Verletzungen  ihres Glauben und Hoffens erfahren. Als Erwachsene möchten sie die Folgen dieser Kindheitsbelastung verständlicherweise endlich hinter sich lassen. Wie dies auf gute Weise gelingen kann, darüber herrscht oft Ratlosigkeit, selbst bei Ärzten und Therapeuten. Schauen wir an, was Menschen als heilend auf ihrem persönlichen Weg beschreiben, so fällt auf: Wege zur Heilung sind vielfältig und individuell. Es gibt nicht  „das“ Rezept. Ob in Forschungen oder in therapeutischer Arbeit, immer jedoch zeigte sich eine Fähigkeit als zentral auf dem Weg zur Heilung: die Fähigkeit, zu hoffen. Das klingt schlicht und einfach… und ist doch für Menschen mit schweren Kindheitsbelastungen eine der schwierigsten Herausforderungen. ….mehr lesen

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin und Autorin.

Ihre Bücher zum Thema: Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht ( 2009).

Arbeit und Unterstützung nach dem AWOKADO-Hilfe-Konzept (auch in individuell zugeschnittenen Kompaktblöcken) in ihrer Praxis KlangRaum in Erkelenz

Train your hope!… oder alles beginnt mit einem ersten Schritt/mit Übungsteil

Wenn Kinder wiederholt von Eltern enttäuscht wurden, (wenn etwa das Versprechen, sich von der Sucht zu lösen oder gewalttätiges Verhalten zu unterlassen, wieder und wieder nicht eingehalten wurde oder elterliches Verhalten nicht „diskutiert“ oder angesprochen werden darf), dann fällt es  Kindern besonders schwer, noch an jemanden zu glauben.In der Folge wird es sogar zu einem Problem, auf die Möglichkeit der Veränderung überhaupt zu hoffen, auch als Erwachsene. Es fällt dann schwer, überhaupt noch hoffnungsvoll zu sein, überhaupt noch etwas zu ersehnen und wünschen.Manche dieser erwachsenen Kinder haben sich über die Jahre in der hoffnungslosen Traurigkeit eingerichtet: sie ist ihnen zur inneren Heimat geworden. Dieses Vertraute zu verlassen, ist schwer.

Manche Menschen, die in ihrer Kindheit besonderen Belastungen ausgesetzt waren, erkranken zudem körperlich oder/und seelisch. Hier wird es besonders schwierig, die Hoffnung auf die Heilung und Veränderung zu beleben, sie nicht gänzlich zu verlieren. Viele Beispiele zeigen uns, wie mächtig Hoffnung in das Leben spielt, wenn es um existenzielle Erkrankung geht: „Totgesagte“ lebten entgegen aller gegenteiligen Voraussagen lange weiter, „Kerngesunde“ starben, nachdem ihnen irrtümlich mitgeteilt wurde, dass sie nur noch sehr kurze Zeit zu leben hätten.  Ungewöhnliche Heilungswege zeigt Anne Devillard in ihrem Buch „Heilung aus der Mitte“ in Experteninterviews unterschiedlicher Couleur (Kuby, Dahlke, Dürr, Willigis Jäger  usw.) – Die Bedeutsamkeit von Einstellung, Hoffnung und Glaube zeigt sich eindrücklich – wenngleich dort, wo die persönliche Erfahrung kurzerhand zum Rezept für jedermann erhoben wird, m.E. Vorsicht angezeigt scheint.

Wie sich die Kindheitsbelastung auch im Jetzt auswirkt:  der Wunsch nach Heilung ist  groß. „Sehnsucht“  nach Heilung und einem besseren Leben, zeigt sich als wertvoller Motor: sie treibt an und ist ein guter Verbündeter. Diese Sehnsucht braucht  Unterstützung durch den Faktor „Hoffnung“.  Es mag für Sie befremdlich klingen, aber  in der Zusammenarbeit mit Betroffenen zeigte sich: Erwachsene mit schweren Kindheitsbelastungen müssen „Hoffen“ üben –  also, packen wir es mit der zeitgemäßen Formulierung an: Train your hope!

Übung Train your hope

Wenn Hoffnung, Glaube und Vertrauen auf der Strecke geblieben sind, dann ist der Weg ebendahin nicht leicht: diese Fähigkeit muss wie im Sport erst trainiert und aufgebaut werden. Beginnen Sie jetzt: Seien Sie geduldig mit sich, was viele Jahre nicht möglich war, ist nicht in einer Übungseinheit in wenigen Minuten zu ändern…

Probieren Sie aus…passt es gerade?

Dann nehmen  sich jetzt einige Minuten Zeit. Gehen Sie, so wie es auf dieser Seite an anderen Stellen beschrieben wurde, in der bewährten Weise mit der Achtsamkeit zu Ihrem Atem, gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit zu sich selbst. Nun sinnieren Sie ein wenig: was hoffen Sie ganz und gar nur für sich selber (Hinweis: in vielen Fällen etwa wünschen sich Menschen in Beziehungen, die in großer Abhängigkeit voneinander geführt werden, dass sich der Partner verändern möge, also dass er aufhört mit einem schädigenden Suchtverhalten etc.- meist erfolglos)-. 

Formulieren Sie nun diese Hoffnung, die sich auf ihr Leben bezieht, sehr genau. Schreiben Sie Ihren Satz auf und formulieren Sie ihn solange um, bis er exakt für sie stimmt. Bei anderen Betroffenen lautet ein Satz etwa :“

Ich weiß, dass ich ruhig und zufrieden leben kann!“ oder

„Unabhängig davon, wie sich die Menschen um mich herum entwickeln, weiß ich, dass ich mein Leben positiv gestalten kann.“ oder

„Ich werde ab sofort gut für mich sorgen!“

Wenn Sie Ihren Satz gefunden haben und er Ihnen, so wie er nun formuliert ist, stimmig erscheint, so ist er Satz wichtig für Ihr weiteres Leben. Ihn heute zu formulieren, war ein wichtiger erster Schritt. Damit dieser Satz Sie auf dem Weg in Ihr neues Leben wirklich stützt, also wirklich Teil ihres neuen Denkens und Hoffens wird, müssen Sie ihn fortan wertschätzen, indem sie ihn regelmäßig wiederholen. Finden Sie ein Ritual, zu einem festen Zeitpunkt am Tag, an dem Sie diesem Satz durch mehrmaliges Wiederholen einen Platz geben. Ihre Gehirnbahnen, so zeigen uns Forschungen, können neugebaut werden und damit auch ihr Hoffnungspotenzial- diese neuronalen Bahnen brauchen Wiederholung und Ihre Begeisterung bei der Sache…

Vielleicht haben Sie Bilder im Kopf, wie dieses  Leben mit Heilung sich anfühlen wird: Finden Sie ein Symbol, einen Klang oder eine Landschaftsszene, etwas, was dieses Gefühl wiedergibt.  Kombinieren  Sie dieses mit Ihrem Satz. Wichtig ist: Tun Sie es mit dem Bewusstsein, dass Sie Ihr Leben gerade jetzt in die Hand nehmen. Wenn Sie all dies halbherzig und ohne Glauben auf Hoffnung machen, diese Zeilen lesen, nur um Sie, wie gewohnt, abzuspeichern unter: „Klar, man kann viel reden, bei mir klappt das alles eh nicht!“ dann wird sich diese Aussage wahrscheinlich auch in dieser negativen Weise erfüllen.

Seien Sie in der nächsten Woche achtsam, wo Ihnen Wünsche nicht materieller Art begegnen, Visionen, Sehnsüchte…notieren Sie diese.

Wenn Sie alleine nicht zu Glaube und Hoffnung finden, suchen Sie nach einen wertschätzenden Anderen, dem Sie sich anvertrauen: auch das kann wahre Wunder bewirken! Wenn es diesen Menschen in Ihrem Leben gerade nicht gibt, schauen Sie in guten Selbsthilfeforen nach Online-Gesprächspartnern. Auch das kann ein erster Schritt sein, Ihrer Hoffnung nachzugehen.

Wie finden Menschen mit Kindheitsbelastungen ihre Heilung?…Damit beschäftigen sich viele Beiträge auf dieser Seite. Als ein entscheidender Einflussfaktor für ihr gelingendes Leben zeigte sich, wie wir nun angesehen habe, die Fähigkeit, zu hoffen. Diese Fähigkeit ist eng verknüpft mit dem, was Erikson das Urvertrauen nennt. Dieses entsteht nach Eriksons Auffassung im ersten Kontakt mit den Eltern. Petzold spricht in diesem Zusammenhang von Grundvertrauen, das auf dem Grund menschlicher Existenz fuße, einem Fundament, das unsere Existenz trage (Petzold , S.231). Diesem Verständnis nach verfügen Menschen über ein Grundvertrauen, das „einfach da“  ist. Es wird durch die frühen Beziehungen  bekräftigt. Für manche ist auf diesem Urgrund eine enge Gottesverbindung, eine Kosmos-Verbindung oder Spiritualität angesiedelt. Wie sich dieser Grund auch jeweils gestaltet, zu diesem Grund und dem Grundvertrauen müssen und können Menschen mit Kindheitsbelastungen zurückfinden. Diesen Weg zum Grund zu ermöglichen, stellt  eine zentrale Aufgabe von Therapie für Erwachsene mit Kindheitsbelastungen. Eine therapeutische Beziehung kann hier eine wichtige Rolle auf dem Weg zu Grundvertrauen und Hoffnung übernehmen. Eine andere wichtige Bedeutung kann darin bestehen, Einstellungswandel zu begleiten. Wann wir entlastet, gesund, heil sind, ist eine Frage der Perspektive:

Jacob Klaesi

„Gesundheit ist das Vermögen, auch Krankheit und Gebrechen gleichmütig, wenn nicht gar heiter und dankbar, jedenfalls aber würdig und fruchtbringend zu ertragen.“

zitiert nach Petersen, in: Die Rolle des Therapeuten und die therapeutische Beziehung, S.22/23)

Hat dieses Zitat des Schweizer Psychiaters Klaesi auch in Ihnen Widerspruch hervorgerufen?  Ein hoher Anspruch liegt in dieser Aussage: aber auch eine interessante Perspektive. Die Ansprüche an das eigene Heilsein zu reduzieren, die angestrebte Heilung nicht mit vollständiger Gesundung gleichzusetzen sondern den guten Umgang mit Krankheit als „gesund“ zu definieren, kann entlastend wirken. Betroffene, die in der Lage waren, auch kleine Verbesserungen zu würdigen (Krankheits-, Belastungs- und Schmerztagebücher waren dabei hilfreich), fühlten sich gesünder, bezeichneten sich insgesamt als „heiler“. Es zeigte sich, dass Heilung für Betroffene mit Kindheitsbelastungen das Gelingen eines Balanceaktes bedeutete: der Balance zwischen Akzeptanz und Gestaltung. Die Akzeptanz, dass kindliche Belastung nicht folgenlos geblieben ist einerseits, und das Zutrauen zur eigenen Gestaltungsfähigkeit andererseits: ein Bewusstsein für die eigene Wirkmächtigkeit, das Ausmaß und die Einstellung zu den Belastungen aktiv zu wandeln ebenso wie das Wissen, um die Grenzen des menschlichen Einfluss.

Ich wünsche Ihnen eine gute Balance und Mut zur Hoffnung. Vielleicht versetzen Sie mit Ihrem Glauben noch nicht „Berge“, aber einen kleinen wichtigen Stein in die richtige Richtung!

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Zitate aus

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin und Autorin.

Ihre Bücher zum Thema: Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht ( 2009).

Arbeit und Unterstützung nach dem AWOKADO-Hilfe-Konzept (auch in individuell zugeschnittenen Kompaktblöcken) in ihrer Praxis KlangRaum in Erkelenz

„Ich hasse dich, verlass mich nicht!“- Kriegsschauplatz Borderlinekindheit

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Auf unschöne Weise wird in den Erzählungen von erwachsenen Kindern borderlineerkrankter Eltern der Anklang an den berühmten Film wach: …“und täglich grüßt das Murmeltier.“ So wie beim Protagonisten des Films wiederholt sich von Tag zu Tag die Szenerie: eine Szenerie, die einem Kriegsschauplatz ähnelt. Nahkampfgefechte, Hasstiraden, gefolgt von Vernichtung und immer wieder plötzlich unerwartetes Überschütten mit Liebe, meist gerade dann, wenn sich die Kinder beginnen zu distanzieren. Die so betroffenen Kinder wissen nie, wie ihnen geschieht, sie wissen nie, was sie als nächstes wartet. Ein schlimmer Tango zwischen „Ich hasse dich, verlass mich nicht“ (gleichnamiger Buchtitel von Kreisman&Straus) beginnt hier oft schon mit dem Erblicken der Welt.

Sie erkennen sich hier wieder, Ihre Eltern hatten keine Borderlinediagnose? Oftmals geht die elterliche Erkrankung auch mit Suchterkrankungen einher und ist darunter /dahinter versteckt, oftmals wird die Erkrankung nie öffentlich, da die Erkrankten es scheuen, ärztliche oder therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Kinder unbehandelt Erkrankter leiden in der Regel besonders, da kaum Hilfe und Mitgefühl aus dem Außen zu erwarten ist: niemand weiß etwas, die Krankheit existiert nicht und damit auch nicht das Leiden der mitbetroffenen Angehörigen, insbesondere der Kinder!

Und immer wieder erstaunt mich, wie auch diese Kinder Wege finden, mit diesen elterlichen Erkrankungen umzugehen. Auch wenn sie oftmals noch als Erwachsene darum kämpfen, sich endlich von den Eltern im Guten lösen zu können, entwickeln sie auf ihrem Weg erstaunliche Stärken. Der erste Schritt, das Recht auf das eigene unabhängige Leben einzufordern, muss meist unter schweren Anstrengungen errungen werden. Ist dieser Schritt getan, müssen diese erwachsenen Kinder sich das sein, was sie selbst nicht hatten: gute, bindungszuverlässige und berechenbare Eltern. Gute Eltern Sein für die kindlichen Anteile, die im Inneren wach sind. Es ist nie zu spät, diesen Anteilen mit Trost und Liebend zu begegnen: es reicht meist nicht, nur um diese Anteile einfach zu wissen oder sich einmal damit zu beschäftigen: die kindlichen Anteile müssen Teil des Lebens heute werden, in das Erwachsenenleben integriert werden.

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Ich wünsche Ihnen eine gute Woche, mit warmen Kerzenlicht in der gerade so trübe wirkenden Zeit

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Vater, Mutter, Sucht.Wie erwachsene Kinder suchtkranker Eltern trotzdem ihr Glück finden

Kinder suchtkranker Eltern finden wenig Beachtung.Die Sucht von Vater oder Mutter ist tabu, das Leiden der Kinder ist tabu.Das bleibt oft auch so, wenn die Kinder erwachsen werden.Mit diesem Buch wird das Schweigen durchbrochen: Betroffene kommen selbst zu Wort. Differenzierte Einblicke in die Dynamik der Suchtfamilie. Zahlreiche Anregungen und Übungen bieten Hilfestellung und kreatives Selbstcoaching nach dem von der Autorin entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programm. Rollenmodelle mit Selbsttest.

2.Aufl. 2019 Klett-Cotta.141 Seiten, 17€,

„Ihr Programm (AWOKADO) hält Lösungen bereit…Vielen Dank für dieses tolle Buch, das der vielschichtigen Problematik „Sucht“ und allen Beteiligten mit Respekt und Würde begegnet.

Beate Dapper musik-redaktion.Gesamte Rezension hier

Ins Ungarische übersetzt, Budapest 2018. Zur ungarischen Ausgabe Apa,Anya, Pia

Schweigen…Über die vielen Gesichter eines stummen Leidens

Schweigen kann viele Gesichter haben. Während das Miteinanderschweigen in einer guten Atmosphäre des Miteinanders ein Ausdruck tiefer Verbundenheit sein kann, oder eine schweigende Gemeinschaft in einem Retreat Erholung und Getragensein ermöglicht, kennen viele Kinder belasteter Eltern besonders die Schattenseite des Schweigens: Schweigen in eisiger und gespannter Atmosphäre. Ein oftmals unbemerktes und unerkanntes Schreckensgesicht ihrer Kindheitstage, kommt es doch leise daher, ist kaum sichtbar und wird leicht überhört. Diese Kinder erinnern sich mit einem Schaudern an dieses in ihren Ohren dröhnende „eisige Schweigen“, oftmals eines Elternteils, an emotionale Kälte, die die gesamte Atmosphäre bestimmt, ihr zu Hause bewohnt und sich irgendwann in ihnen selbst niederlässt, zur unangenehmen inneren Heimat wird. Wenn die Mutter die Schweigende ist, so wird dies oft besonders schmerzlich erlebt, wenn diese von Beginn des Lebens an die meiste Zeit mit den KIndern verbringt und ihr Schweigen womöglich erpresserisch, machtvoll oder anderweitig nachteilig einsetzt

Wer zuerst spricht, hat verloren – Macht und Kontrolle durch Schweigen

Wenn Eltern beispielsweise selbst als Kinder wiederholt Ohnmachtserfahrungen machen mussten, dann sind sie gefährdet, Schweigen in ihrer elterlichen Rolle als Machtmittel einzusetzen. Schweigen wird dann zum Mittel durch das Kontrolle über andere ausgeübt wird. Die Familienmitglieder werden etwa solange ignoriert, „bekommen“ keine Worte, bis sie wieder so funktionieren, wie es dieser Elternteil erwartet. Der so agierende Elternteil siegt  so über seine eigene als Kind erlebte Ohnmacht, indem er nun Macht über die Kontaktgestaltung seiner Familienmitglieder ausübt. Er oder sie bestimmt, wann gesprochen wird und wann nicht. Schweigen wird manipulativ eingesetzt, kindliche Abhängigkeit sträflich missachtet und ausgenutzt

Wenn Krankheit stumm macht…und Kinder ins Leere laufen
Manchmal ist Schweigen Teil einer Erkrankung: maipulatives Schweigen tritt etwa bei narzistisch und borderlinestrukturierten Menschen als Teil der Störung auf. In der elterlichen Depression begegnen Kinder einer anderen Form des Schweigens: die mit der Erkrankung oft einhergehende Teilnahmslosigkeit prägt dann auch die Interaktionen zwischen Eltern und Kind. Dies  führt dazu, dass Reaktionen auf kindliche Fragen ausbleiben, kaum Einfühlung und Mitgefühl ausgedrückt wird, Kinder wiederholt ins Leere laufen. Dem depressiv Erkrankten ist dies meist nicht bewusst. Wird es ihm doch bewusst, verursacht es ihm weitere Schuldgefühle, die in der Erkrankungszeit schwer aushaltbar sind. Kinder von erkrankten Eltern brauchen dringend Hilfen von anderen Menschen: denn wenn Kinder diese Leere-Erfahrungen über längere Zeit und in den ersten Lebensjahren machen müssen, kann das nachhaltige Auswirkungen für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung haben, die weit in das Erwachsenenalter hineinreichen, hier insbesondere als Selbstwert-und Bindungsprobleme oder auch als quälende Einsamkeitsgefühle

Kollektives Schweigen: wenn das Tabu das Zepter schwingt

Besonders dramatisch ist das kollektive familiäre Schweigen, wenn einem Familienmitglied ein großes Leid zugefügt wird und darüber geschwiegen wird, wenn Missbrauch oder Gewaltanwendung durch Eltern stillschweigend geduldet wird, wenn das Wahren des Tabus stärker zählt als die Würde des betroffenen Kindes. Die Missbrauchs- oder Gewalterfahrung ist das eine, die fehlende Unterstützung durch die anderen Familienmitglieder, so beschreiben es Betroffene, ist eine weitere Quelle des Leidens, die teils traumatisch erlebt wird. Ebenso leiden oftmals Geschwisterkinder, die in ihrer Hilflosigkeit Gewalt mitansehen müssen und dem familiären Tabu stillschweigend verpflichtet werden. Der Nachhall in das erwachsene Leben ist gewaltig. Kinder in  tabuisierenden Familien brauchen achtsame Menschen außerhalb des direkten Familiensystems, die in Loyalität die Wahrnehmung der KInder stärken, eine Zuflucht außerhalb anbieten, und zunächst das Schweigen der Kinder respektieren. Manche finden diese Personen erst als Erwachsene, manche müssen aus ihren Familien genommen werden. Andere leiden insbesondere unter elterlicher Gewalt, wenn Eltern pflegebdürftig und zugleich machtvoll werden. Auch triggern neuerliche Bedrohungsszenarien die erlebte Hilflosigkeit aus Kindheitstagen.

Wenn Leid stumm macht – Leben mit traumatisierten Eltern

Auch Kinder traumatisierter Eltern beschreiben Erfahrungen mit elterlichem Schweigen: so müssen sie etwa erleben, dass die Eltern über erlebten Schrecken verstummt sind und/oder Teile von sich abspalten (in der Fachsprache auch dissoziieren genannt). Sie sprechen partiell nicht oder verstummen, wenn bestimmte Themen oder Gefühle zur Sprache kommen (tragisch eindrücklich etwa bei Kriegsgeschädigten zu beobachten). Ein Beispiel einer solch nachhaltigen Auswirkung und die damit verbundenen Folgen für das Kind beschreibt der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil eindrucksvoll in seinem autobiografischen Buch Die Erfindung des Lebens.

Wenn Vater da war, war jedoch alles viel einfacher, ich war dann erleichtert, weil ich dann nicht mehr allein auf Mutter aufpassen musste. Immerzu befürchteten Vater und ich nämlich, es könnte ihr etwas zustoßen…Ich wusste aber, dass so etwas früher einmal passiert war, und ich wusste auch, dass es etwas ganz besonders Schlimmes gewesen sein musste…gegenwärtig war die Vergangenheit in Mutters Stummsein.“ ( S. 13/14)

„…als wäre ich in meinen ersten Lebensjahren wahrhaftig nur mit zwei Menschen in Berührung gekommen und hätte in einer Art verschwiegenem Geheimbund mit nur den notwendigsten Außenkontakten gelebt.“ (S.43)

„So war die Welt der Kleinfamilie Catt damals, in den frühen fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, auf eine beinahe unheimliche Weise geschlossen, und jeder von uns wachte mit all seinen Sinnen darüber, dass sich daran nichts änderte (S.16)

Wie Worte erlösen können

In der Kindheit erlebtes Schweigen bleibt nicht folgenlos. Wer über Jahre und manchmal gar Jahrzehnte ins Leere gelaufen ist, ist oftmals stark selbstverunsichert. „Ich bin unattraktiv… Ich bin langweilig… Ich bin es einfach nicht wert, dass andere auf mich reagieren…lauten dann  Selbstzuschreibungen im Erwachsenenalter. Das Schweigen aus der Kindheit kann weiteres Leiden in den Partnerschaften der derart Aufgewachsenen verursachen. Oftmals ziehen sich derart Betroffene wie in einem unguten Schlüssel-Schloss-Prínzip an, sie finden exakt diejenigen, mit denen sie dieses schweigende Kindheitsdrama wiederholen. Manche nehmen unbewusst das schweigende Elternteil zum Modell, etwas, was sie partout vermeiden wollten: sie werden selbst zu schweigenden Partnern, schweigenden Vätern oder schweigenden Mütter.

Sie fühlen sich betroffen? Wenn Sie um Ihre eigenen Worte schwer ringen müssen, können kreative Wege für sie ein Mittel der Wahl sein. Dazu finden sie auf deisen Seiten einige Anregungen. Wenn Sie um die Worte eines anderen Menschen bis heute kämpfen müssen, sich gar durch Wohlverhalten Worte „erst verdienen“ müssen, dann sind sie und ihre Seele an diesem Ort nicht gut aufgehoben. Wenn Ich-Botschaften wie „Ich leide, wenn du nicht mit mir sprichst!“, ohne jeden Nachhall ins Leere verklingen, ist Unterstützung von anderen Menschen sicher hilfreich und von Nöten: Sie sind heute kein Kind mehr, Sie sind nicht abhängig wie früher (auch wenn sich das manchmal so anfühlt). Durchbrechen Sie die Kette: sprechen sie Worte, suchen sie „Erlösung“ – bei anderen, die Ihnen gern Ohren und Worte schenken.

(Text in Anlehnung an Geiser-Heinrichs/Barnowski-Geiser (2017): Meine schwierige Mutter)

 

 

Täter Väter: Väter als Täter am eigenen KindProdukt-Information

Wer bin ich? Übung zu den Säulen der Identität

Eine erste Anregung, Ihrem „Wer bin ich?“, Ihrer Suche nach Identität ein Stück näher zu kommen, können die nachfolgenden Fragen zu den Säulen der Identität bieten. Diese wurden in der präventiven Arbeit mit Schülern im Rahmen der BEL-Kids-Projekte entwickelt (Barnowski-Geiser 2014 in Anlehnung an das bekannte Säulenmodell zur Identität von Hilarion Petzold). In diesem Ansatz, der der Integrativen Therapie entstammt, geht man davon aus, dasss unsere Identität von 5 zentralen Säulen getragen wird…oder eben auch nicht. In der nachfolgenden Übung können Sie sich mit Ihren Säulen ein wenig beschäftigen, feststellen, wo sie sich sicher fühlen oder wo Sie Ihr Augenmerk stärker hinrichten müssen und arbeiten möchten…

Übung

Säule 1 Leiblichkeit
Wie steht es um Ihre Gesundheit; wie ist Ihr körperliches und seelisches Befinden? Wie sind Sie mit Ihrer Erscheinung zufrieden? Verkörpern, Sie das, was Ihnen in Ihrem Leben wichtig ist? Wie schätzen Sie Ihre geistige Haltung ein? Woher bekommen Sie geistige „Nahrung“, Anregungen? Gab es Unfälle oder Erkrankungen, die sich auswirken? Hat die Erkrankung Ihres Elternteils Einfluss auf Ihre Befindlichkeit genommen? Wenn ja,In welcher Weise? Welche Stärken haben Sie aus der Erkrankung des Elternteils erlernt?
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Säule 2 Soziale Beziehungen
Wie steht es um ihre sozialen Netzwerke: Familie und Familienbeziehungen, Freundeskreis, Arbeitskollegen? Wer ist wichtig? Wer fällt aus? Welche Beziehung fordert den meisten Teil Ihrer Energie, welche Beziehung stiftet  Energie? Welche Beziehungen aus der Vergangenheit wirken sich bis heute aus? Wie wirkt die Erkrankung Ihres Elternteils sich auf Ihre anderen Beziehungen aus?
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Säule 3 Arbeit und Leistung
Wie ist Ihre Zufriedenheit in Ihrem Haupttätigkeitsfeld, etwa am Arbeitsplatz ( oder auch als Mutter etc.)? Tun Sie Ihre Arbeit gern? Ist Ihre Arbeit sicher? Empfinden Sie Ihre Arbeit als Bestimmung, Berufung? Ist Ihre Arbeit Erfüllung oder nur notwendig zum Lebensunterhalt? Wie sicher ist Ihre Arbeit? Welche Erwartungen haben andere an Sie? Wo sind Ihre Stärken, Ihre Defizite? Aus welchen anderen Bereichen schöpfen sie Kraft? In welchem anderen Bereich sind Sie zufrieden mit Ihrer Leistung? Wo sind Sie besonders erfolgreich, wo nicht?Welchen Einfluss hatte die Erkrankung Ihres Elternteils auf Ihre Berufstätigkeit?
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Säule 4 Materielle Sicherheit
Zu den materiellen Sicherheiten zählen Geld, Wohnung, Kleidung u. a. Wenn materielle Sicherheiten wegfallen, wird dadurch auch die Identität in Frage gestellt.

Wie steht es um Ihre materielle Situation? Worauf können Sie sich verlassen? Haben Sie manchmal Existenzängste? Wie sah Ihre finanzielle Situation zu Kindheitstagen aus? Welche Rolle hat hierbei die Erkrankung Ihres Elternteils gespielt?
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Säule 5 Werte
Menschen beziehen aus ihren Werten Sinn und Kraft. Ihre Zugehörigkeit zu Wertegemeinschaften (Kirchen- und Glaubensgemeinschaften, politische Organisationen, Arbeitsgemeinschaften usw.). Die Ziele des Menschen werden zu großen Anteilen durch seine Werte bestimmt. Werte werden verkörpert, führen zu einer Haltung, die sich im Verhalten zeigt.

Welche Werte sind Ihnen wichtig?
Für welche Werte treten Sie aktiv ein?
Gibt es Werte, die Sie schwächen oder verunsichern?

Welche Rolle spielen Sucht- oder andere elterliche Erkrankungen in Ihrem Wertesystem?
Sind Ihre Werte von einer Gemeinschaft akzeptiert und getragen, wie stimmen diese mit Ihrer Familie überein?

Welche Werte Ihrer Herkunftsfamilie möchten Sie hinter sich lassen?
Wie passt die Sorge um den Erkrankten zu Ihren Wertevorstellungen?

Welche Überzeugung oder Lebensphilosophie stärkt mich?
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Zur weitergehenden Arbeit:
Welche Ihrer Säule erleben Sie als geschwächt, welche birgt besondere Stärken?

Sie können auch eine Einordnung Ihrer Säulen in Zahlen vornehmen: ordnen Sie jede Säule zischen 0 ( gar keine) und 100% (vollständig) Stabilität ein.

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Finden Sie, wenn möglich, eine grafische Darstellungsmöglichkeit Ihrer Säulen…unterscheiden Sie nach Größe, Form, Position, Farbe. Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf…

Geben Sie anschließend Ihren Wünschen grafisch Raum….

Tauschen Sie sich mit Ihrem Partner oder einem Menschen Ihres Vertrauens aus…“Wer bin ich?“- die Antwort auf diese Frage unterliegt der Veränderung: Sie können im Jetzt Einfluss nehmen! Auch die vorhergehenden Übungen auf diesen Seiten können Ihnen weitere Anregungen zu dieser Frage bieten…

Dein Körper: Ratgeber und Zeuge

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                                                                     copyright: Barnowski-Geiser
Viele Menschen suchen Rat: bei anderen Menschen, bei Gurus und Heilern, in Seminaren und Retreats, bei Coaches und Therapeuten, in Ratgeberbüchern, Fachzeitschriften… Die Liste scheint unendlich. Gerade, wenn die Kindheit Belastendes enthielt, ist vielen der Zugang zu einem wichtigen und zuverlässigen Ratgeber jedoch abhanden gekommen: zu ihrem Körper! Der Körper, der sie schon viele Jahre sehr weise begleitet.
Wenn man Menschen mit Kindheitsbelastung über ihren Körper befragt, etwa, was ihr Körper „möchte“, sind sie zunächst irritiert. Manche antworten dann, was sie denken, was ihr Körper fühlen sollte. Der unmittelbare Zugang zur Weisheit des Körpers ist dann lange Zeit, oft seit Kindheitstagen, gekappt. Im Körper liegen jedoch die Wegweiser und Quellen zu uns selbst bereit: sie müssen erhört werden. Oftmals erfährt der Körper erst dann Zuwendung, wenn massive Krankheiten aufgetreten sind oder wenn Schmerzen und Symptome auftreten, für die es keine körperlichen Erklärungen zu geben scheint. Wir können kaum „ganz“, „gesund“ oder „heil“ werden ohne unseren Körper.
Warum fällt Menschen mit Kindheitsbelastungen der Kontakt mit ihrem eigenen Körper oftmals so schwer? Der Körper vergisst nicht. In der leiborientierten Therapie sprechen wir auch vom Leibgedächtnis. Für Menschen mit belastenden Kindheitserfahrungen ist der Körper oftmals zu etwas Bedrohlichem, geworden, fast zu einem Feind, erzählt er doch das Schmerzliche, Schlimmes: das Herz raste immer wieder vor Angst, die Muskeln spannten sich ins Unermessliche nach und vor Verletzungen. Der Körper ist ein wahrhaftiger Zeuge aus der Kindheit. Deshalb sind viele belastete Menschen verständlicherweise vor ihrem eigenen Körper auf der Flucht. Bloß nicht mehr spüren müssen, was im Körper tobt. Das ist ein kräftezehrendes Unterfangen. Ein neuer Zugang muss gefunden werden: der Körper als Quelle von guten Erfahrungen, von Freude und Liebe. Menschen mit belasteter Kindheit müssen sich diesen Zugang zu den körperlichen Kraft-und Heilungsquellen wieder erarbeiten.

Der Körper ist eine „unerhörte Klatschbase!“, Tanztherapeutin Trude Schoop(1981):…komm und tanz mit mir!Ein Versuch, den psychotischen Menschen durch die Elmente des Tanzes zu helfen.

„Jedes Leben ist voller Illusionen, wohl weil uns die Wahrheit als unerträglich erscheint. Und doch ist uns die Wahrheit so unentbehrlich, dass wir ihren Verlust mit schweren Erkrankungen bezahlen.“  Alice Miller (1997): Das Drama des begabten Kindes. Eine Um-und Fortschreibung, S.11

„Körper scheinen das Ungesagte verdeckt zur Sprache zu bringen.“ Barnowski-Geiser (2009): Hören, was niemand sieht, S.158

Kreativ-Coaching Verbinde dich mit deinem Körper

Sie möchten diesen Zugang aktivieren? Versuchen Sie mit Liebe und Geduld erste Schritte: Nehmen Sie sich ab heute regelmäßig 5 Minuten Zeit, in denen sie nach einigen Atemzügen nur in ihren Körper hineinspüren. Nichts ändern müssen, nur sein lassen und den Körper von unten nach oben wahrnehmen, so wie er jetzt gerade ist. Seien Sie achtsam: wo fühlt es sich im Körper angenehm für Sie an? Verbinden Sie sich mit dieser Stelle… Fragen Sie Ihren Körper, was sie gerade jetzt Gutes für ihn tun können. Lassen Sie seine Antworten zu, auch wenn Sie nicht zu Ihrem erdachten Plan passen…nur 5 Minuten.
Wenn das Üben für Sie unangenehm ist, schauen Sie, was Ihnen den Zugang und das Üben erleichtern kann…gibt es Musik, die Ihnen hilft? Möchten sie beim Üben eher gehen als Liegen. Seien Sie kreativ in der Bewusstheit, dass Sie sich und Ihrem Körper die Zeit geben, die Sie eben brauchen. Wenn der bewusste Zugang zum Körper viele Jahre oder Jahrzehnte nicht möglich war, ist er jetzt nicht auf Knopfdruck „einfach da“… vielleicht tauschen Sie sich darüber mit einem vertrauten Menschen aus!

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche,
Ihre
Waltraut Barnowski-Geiser

Buchempfehlungen zum Thema:

 Produkt-InformationProdukt-Information

http://klett-cotta.de/buch/Koerperorientierte_Verfahren/Freundschaft_mit_dem_eigenen_Koerper_schliessen/4489

http://klett-cotta.de/buch/Klett-Cotta_Leben!/Mein_Koerper_und_ich_%E2%80%93_Freund_oder_Feind_/14030

Familienatmosphäre und Lebensqualität

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Fühlen Sie sich manchmal, gleichsam aus dem Nichts, scheinbar grundlos, sehr schlechter Stimmung? Fühlen Sie sich aus heiterem Himmel überfallen von Leere oder Traurigkeit? Dann teilen sie dieses Schicksal mit vielen erwachsenen Kindern aus belasteten Familien: alte Atmosphären aus der Kindheit prägen aktuelles Erleben. Verdrängte Altlasten beeinträchtigen ihr Lebensgefühl, bestimmen unbemerkt Lebensqualität (Orth, Ilse 2012).
Wenn Menschen in einer belasteten Familie aufwachsen, dann erzählen Diagnosen (etwa „Suchtkrank“ oder „Borderline“) wenig über das, was dies alltäglich für die mitbetroffenen Angehörigen, insbesondere für Kinder, bedeutet. Familienbeziehungen sind zwischenleibliche Beziehungen (Ilse Orth). Der Alltag der Familien ist geprägt durch Atmosphären, die sich aus den Gefühlen und Stimmungen der beteiligten Familienmitglieder ergeben. „Zum Zerreißen gespannt“, „Unberechenbar und ungeheuerlich bedrohlich“, „Wie ein Monster lauerte die Gewalt aus den Ecken“…, so oder ähnlich beschreiben es Betroffene. Für Kinder aus belasteten Familien ist der Vorgang, tagtäglich Krisen anzusehen, diese hautnah zu erleben, per se eine Belastung. Wenn diese Krisen zugleich tabusisiert werden, als nicht vorhanden, mit „Es ist doch nichts!“ familiär belegt werden, drohen diese Krisen zu einer Quelle großen Leidens zu werden. Als dramatisch an diesem Leiden zeigte sich insbesondere, dass die erlebten Szenen und Atmosphären Betroffenen wenig greifbar erschienen. Wenn diese nicht greifbaren Atmosphären die Kindheit bestimmen, sie „nur so in der Luft liegen“, so werden diese von den betroffenen Kindern verinnerlicht: sie wirken weiter in ihrem Denken, in ihrem Fühlen, wohnen in ihren Körpern, in einem, wie wir es in der leiborientierten Therapie nennen, Leibgedächtnis – es wird sie in ihrem Erwachsen Werden und Sein begleiten.Es entscheidet mit darüber, wie sie auf die Welt zugehen. So werden leicht aus den im Tabu gefangenen Einsamen und Stummen aus Kindheitstagen Erwachsene Burgbewohner mit Haut und Haar (Barnowski-Geiser 2015). Bleiben die alten familiären Szenen unaufgearbeitet, so weben sie ein unsichtbares Netz von Stimmungen im Heute: unbegreifliche Traurigkeit, überbordernde Ängste etc. Sie drohen eine Quelle fortgesetzten Leidens, weitergegeben von Generation zu Generation, zu werden.

Der erste Schritt heraus aus diesem Dilemma ist Achtsamkeit für die eigene Stimmung und Befindlichkeit. Dazu finden Sie auf diesen Seiten einige Übungen. Im zweiten Schritt besteht die Möglichkeit, genauer zu schauen: differenzieren Sie: welche Stimmung gehört gerade jetzt zu ihnen und welche Stimmung gehört in Ihre Vergangenheit. Gehört etwa die Ängstlichkeit eher ihren Eltern als Ihnen selbst? Überprüfen Sie…

Ihre eigenen Stimmungen und Gefühle kommen Ihnen ganz fremd vor.? Sie wissen wenig darüber, sie sind Ihnen kaum zugänglich? Es lohnt ein Ausflug in die Musiktherapie: sie enthält,vielleicht auf den ersten Blick, ungewöhnlich erscheinende Zugänge…

Was hören Sie gerne? Welche Stimmungslage ist in dieser Musik angesprochen?

Musik kann einerseits ein guter Spiegel sein, was Ihre Seele gerade stimmungsmäßig beschäftigt, andererseits können Sie mit Musik aktiv etwas in schwierigen Stimmungslagen tun.

Kreativ-Coaching Sei dein eigener DJ

Suchen Sie in dieser Woche jeden Tag ein Musikstück, das genau Ihrer Stimmungslage entspricht. Tanzen Sie zu dieser Musik- auch wenn Ihnen das vielleicht unpassend erscheint. Nach diesem Tanz suchen Sie eine Musik, die Ihnen jetzt gut tut…vielleicht ist diese Musik völlig gegensätzlich…tanzen Sie auch diese Musik. Spüren Sie nach….wie geht es Ihnen jetzt? Notieren Sie in einem Heft, welche Musik Ihnen besonders bei schlechter Stimmung hilft.

Wenn die Belastung durch ihre Stimmungen für sie quälend wird, kann es ratsam sein, Hilfe und Unterstützung professioneller Art in Anspruch zu nehmen.

Quellen
Barnowski-Geiser (2015): Vater, Mutter, Sucht. Wie erwachsene Kinder suchtkranker Eltern trotzdem ihr Glück finden.
Orth, Ilse (2012): Unbewusstes in der therapeutischen Arbeit mit künstlerischen Methoden, kreativen Medien – Überlegungen aus der Sicht „Integrativer Therapie“ (in Polyloge/Internetzeitschrift)

Mehr aus wissenschaftlicher Perspektive zu Familienatmosphäre, Stimmungen und Lebensqualität… hier weiterlesen

Ernte! Dennoch…

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„Ernten? Ich?“

Etwas zu ernten, hier im übertragenden Sinne angesprochen, ist vielen erwachsenen Kindern von chronisch erkrankten Eltern fremd. Oftmals rackern diese Kinder auch als Erwachsene unermüdlich, auch außerhalb Ihrer Familie. Doch wenn es darum geht, die Ernte einzufahren, zu bekommen, das Erarbeitete zu genießen, dann sind sie nicht dabei: sie rackern und säen (um im Bild zu bleiben) entweder schon längst woanders (verkörpert auch in der Rolle des himmlischen Kindermädchens Mary Poppins (beschrieben im Buch Vater, Mutter, Sucht/Barnowski-Geiser 2015)  oder jemand anderes erntet das eigentlich ihnen Zustehende. Ernten haben Kinder aus belasteten Familien selten gelernt. Wie kommt das?

Gerade, wenn die elterliche Erkrankung chronisch verläuft, womöglich noch tabuisiert und verschwiegen wird, ist es für die früh mitbetroffenen Kinder schwierig, sich um die eigene Ernte zu kümmern. Einserseits sind sie ganz und gar mit der Rettung der erkrankten Eltern beschäftigt.Wenn über Jahre keine elterliche Heilung eintritt, eine Krise vielmehr die andere jagt (oftmals über Jahrzehnte), gerät das eigene Säen und Ernten aus dem Blick.Zugleich wird das eigene Tun dann als erfolglos eingestuft. In ihrer Zuschreibung bewerten sich betroffene Kinder  sogar vielmehr als „Versager“, „schuldig“ etc… Solange lediglich das Ende der elterlichen Krankheit ( etwa Sucht) in der Selbstzuschreibung als „Ernte“ eingestuft wird, geht sprichwörtlich ihre Saat nie auf: also gehen diese Betroffenen über Jahre leer aus. All das, was sie „gesät“ haben, wird von den anderen in der Familie, die selbst überfordert sind, übersehen, von ihnen selbst in der Folge vergessen.

Oft haben Betroffene viel Gutes gesät: ihre Geschwister versorgt und emotional gestützt, obwohl sie selbst belastet waren… Den Kranken gestärkt und betreut…Zwischen den streitenden Eltern vermittelt, wieder und wieder…

Oftmals sind Betroffene verbittert, weil niemand in der Familie ihre Leistung gewürdigt hat – sie drohen verbittert und handlungsunfähig zu werden. Für andere ist ihr eigenes Leiden zum Motor geworden, zu helfen. Oftmals sind aus diesem aus der Not entstandenen familiären Tun besondere Stärken und Wesenszüge gewachsen, die mit hohen sozialen Qualitäten einhergehen: etwa eine große Einfühlungsfähigkeit, besondere Helferqualitäten, Sorge für das Gemeinwohl, künstlerische Ausdrucksfähigkeit, Organisationstalent etc ( s.a. Die Stärken der Suchtkinder)

Kreativ-Coaching Fahre deine Ernte ein

Nutzen Sie vielleicht die langen Abende in der beginnenden Herbstzeit, wandern Sie ein wenig mit dem Bild des Erntens umher…finden Sie einen vorgestellten Ort, an de Sie Ihre Erntegut unterbringen wollen…vielleicht passt ein großer Rucksack oder auch eine große Halle… Machen Sie sich damit vertraut und schreiben Sie nun auf:

Was nehmen Sie als Erntegut aus Ihrer Familie mit?

Welche Samen haben Sie gesät, welche möchten Sie neu oder weiter ausstreuen? Gestalten Sie ein Bild dazu.

Was können oder konnten Sie außerhalb Ihrer Familie ernten?

Welche Erntegüter brauchen weitere Unterstützung zum Weiterwachsen?

Welche Umgebung braucht Ihr Rucksack oder Ihre Erntehalle? Malen Sie die Umgebung, die Ihre Ernte braucht? Wo wird Sie ungenießbar?

Malen Sie einen imaginären Schutz!

Eine gute Woche wünscht

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

„Wer bin ich, wenn ich nicht um dich kreise?“ Säulen (d)einer Identität

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Im höheren Erwachsenenalter, oftmals nach vielen Jahren des Zusammenlebens mit erkrankten Eltern, in stillen Momenten, in Momenten des Alleinseins, wird manchmal eine innere Stimme laut. Dann kommt plötzlich die Frage auf: Wer bin ich? Und vor allem: Wer bin ich, wenn ich nicht um den Kranken kreise? Diese Frage, oftmals gerade dann gestellt, wenn sich schon eine Loslösung anbahnt, kann eine tiefergehende Identitäts-Krise auslösen. Jens Flassbeck hat diesen Prozess mit dem Buchtitel „Ich will mein Leben zurück“ eindrücklich auf den Punkt gebracht. Denn: Wenn Menschen mit Angehörigen aufwachsen, die beispielsweise sucht- oder/und psychisch erkrankt sind, dann ist ihr Leben oftmals vom Kreisen um diesen Menschen bestimmt. Die Tage und das Leben scheinen damit ausgefüllt: Kinder aus belasteten Familien müssen ständig aufpassen, dass nichts Schlimmes passiert, ob die nächste Krise bevorsteht usw,. Viele Kinder scheinen sich,  gerade wenn diese Belastung bis in das Erwachsenenalter anhält, in diesem Aufpassen und Kreisen um erkrankte Eltern zu verlieren, sie gehen sich, wie sie beschreiben, irgendwann selbst verloren. Sich nicht mehr um einen Erkrankten zu drehen (und oft geht die kindliche Sorge um erkrankte Eltern im Erwachsenenalter auf einen erkrankten Partner über), stellt eine große Herausforderung dar. Gefühle brechen auf: Trauer über ungelebtes Leben, Zorn über „verschwendete“ Energie…Ohnmacht über Sinnlosigkeit und Leere.Aus dieser entstandenen  Leere muss ein „eigenes“ Leben neu gebaut werden. Das zeigte sich bei vielen Betroffenen als schwieriger, jedoch lohnenswerter Prozess. Aber wie funktioniert das, fragen Betroffene, wie weiß ich überhaupt, was ich eigentlich will, wo doch solange nur zählte, was die anderen wollen? In diesem Prozess braucht es oft Hilfestellungen. Bücher können hierbei Hilfe sein ( s. unten) wie auch Phasen der Ruhe und Stille, der Rückbesinnung auf sich selbst. Oft macht gerade dieses „Zu sich Kommen“ Betroffenen zunächst Angst: zu ungewohnt, sich mit sich selbst zu beschäftigen, zu fremd und unvertraut.

Übung anhand der Säulen der Identität (in Anlehnung an Hilarion Petzold) hier

Literaturempfehlung Selbsthilfe:Produkt-InformationProdukt-Information

Produkt-Information… theoretisch-therapeutische Aspekte zur Identität

Co-Abhängigkeit

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CO-Abhängigkeit: dieser Begriff schwirrt durch die Szene. Lange Zeit wurden Angehörige von Suchterkrankten tragischer Weise, wenn Sie denn überhaupt in den Blick genommen wurden, vor allem als Verursacher von Suchterkrankung wahrgenommen: paradoxerweise wurden die, denen etwas angetan wurde, hier vorschnell als Schuldige identifiziert. Angehöriger eines Suchtkranken zu sein bedeutet vieles: vor allem ein Leben lang an den Folgen der Erkrankung zu leiden. Das Bemühen, die Krise irgendwie zu meistern, führt  bei Kindern von Erkrankten zum frühzeitigen  „Selbstverlust im Anderen“. Dieses Beziehungsmuster wird oft in den Beziehungen, die Betroffene als Erwachsene führen, wiederholt. (Nach Barnowski-Geiser, 2015/2009: Vater, Mutter, Sucht/Hören, was niemand sieht;s.a. Flassbeck, J.: Co-Abhängigkeit; Ich will mein Leben zurück!).

Transmission

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Tragisch zu beobachten, wie sich Belastungen in bestimmten Familien verdichten und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Kinder aus Suchtfamilien haben ein sechsfach erhöhtes Risiko selbst an einer Suchterkrankung zu erkranken gegenüber Kindern von nichtsüchtigen Eltern. So müssen wir feststellen, dass oftmals Großvater, Vater und Sohn Alkoholiker sind etc. Ebenso gibt es ein hohes Risiko für andere psychische Eigenerkrankungen, so etwa für Töchter von Alkoholikern ein hohes Risiko für Essstörungen. Jeder Erwachsene aus einer belasteten Familie bewegt sich zwischen Chance und Risiko: die Kette der Weitergabe der Sucht (Transmission) unhinterfragt fortzusetzen oder die Weitergabe der familiären Dynamik zu durchbrechen. Dies gelingt u.a. dadurch,  dass familiäre Tabus, verleugnete Gefühle und die spezifische Dynamik endlich zur Sprache kommen können.

Von Tabu und Täuschung

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Menschen aus belasteten Familien fühlen sich oftmals einsam und nicht zughörig. Zugehörigkeit zu finden wird dann eine bestimmende Lebensaufgabe.Oftmals haben diese Gefühle ihre Wurzeln in Kindheitstagen.Familien, die im Tabu gefangen sind, entwickeln eine eigene Dynamik.Die familiäre Wahrnehmung wird so ausgerichtet, dass das Tabu und die Täuschung in jedem Fall  aufrecht erhalten werden kann.Daran arbeiten alle Familienmitglieder mit, dieser Prozess läuft meist unbewusst ab. Besonders tragisch gestaltet er sich für all diejenigen, die sich in ihrer Familie um das Aussprechen der Wahrheit bemühen. Da sich das tabuisierende System bedroht fühlt, geraten diejenigen Familienmitglieder, die um Wahrhaftigkeit ringen, an den Rand des Systems: sie gelten als Sündenböcke, als Verräter, paradoxer Weise sogar als „nicht richtig“, „nicht glaubwürdig“. Wenn dieser Prozess über wichtige Jahre in der Kindheit anhält, wird die familiäre Fremdzuschreibung den betroffenen Familienmitgliedern zur eigenen Sicht, sozusagen zur zweiten Haut. MIt dieser Selbstzuschreibung gehen sie künftig in andere Systeme Gruppen, in Klassengemeinschaften, in eigene Familienbeziehungen usw.: ein zu schwerer kindlicher Rucksack, der kaum alleine zu tragen ist!

Kinderhelden

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Wenn Kinder in Suchtfamilien hineingeboren werden, so trifft  sie dies unvorbereitet: während  Sportler sich auf Höchstleistungen jahrelang vorbereiten, werden Kinder unvorbereitet mit Extremen einer Suchtfamilie konfrontiert, die sie einfach „irgendwie“ bewältigen müssen. Wenn süchtige Extrem-Belastung ihr Leben durchzieht, ist eine Bewältigungsstrategie, die unterbewusst abläuft, eine Rolle zu übernehmen.  Manche Kinder leisten dann dauerhaft schier Übermenschliches, sie gleichen „Superman“ – und bekommen für dieses Leistungen in ihren Familien leider kaum Anerkennung. Andere werden zu einer „Mutter Tereza“ oder einem „Robin Hood“.Diese Rollen sind nur leider kein Spiel, sondern werden zu einem notwendigen Korsett, das sich nur noch schwer ablegen lässt. Zugleich entwickeln  Betroffene in diesen Rollen spezifische Stärken, die sie im besonderen auszeichnen, für die sie selbst  jedoch meist wenig Wertschätzung besitzen ( Spezifischer Rollen-Selbsttest und Stärkenmodell in Barnowski-Geiser: Vater, Mutter, Sucht 2015)

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Selbstfürsorge: eine Herausforderung!

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Den Impuls dieser Woche verdanke ich einer Klientin auf dem Weg aus ihrem Burnout. Überrascht findet sie auf der Suche nach  beruflicher Orientierung diesen Satz für sich. Zunächst mag die Aussage im Wochenimpuls vielleicht ein wenig befremdlich  wirken. Für sich selbst brennen? Wo doch vielmehr Egoismus in unserer Zeit eher zu bemängeln ist?  Wenn Menschen in einer Familie mit erkrankten Eltern aufgewachsen sind, dann haben Sie meist von Anfang an gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse völlig zurückzustellen, um dem Elternteil in der Krise helfen zu können.  Sie befinden sich gleichsam auf dem Gegenpol von Egoismus: sie neigen eher dazu, wenn sie sich überhaupt in den Blick nehmen, dieses auf sich achten  als puren Egoismus zu interpretieren. Sie setzen meist über Jahrzehnte, weit über ihre eigenen Grenzen hinaus, alles daran, ihre Eltern zu unterstützen, diese etwa von der Sucht wegzubringen, sie aus der Depression zu holen etc. Sich leidenschaftlich für ihre eigenen Bedürfnisse einzusetzen, ist Kindern aus belasteten Familien meist völlig fremd. Oft führen erst Krankheiten wie ein Burnout dazu, nicht mehr ausschließlich für Andere und Anderes zu brennen, sondern endlich auch für sich selbst. Ein wichtiger Schritt auf einem Weg zu mehr Lebensqualität.

Übung: Setzen Sie sich bequem hin. Spüren Sie, wie in den ersten Übungen auf diesen Seiten angeregt, Ihren Atem und wenden Sie sich Ihrem Körper zu…Wenn sie ein wenig mit ihrem Atem und Körper in Verbindung gekommen sind, spüren sie doch einmal nach, ob sie die Flamme, die für sie selbser brennt,  in Ihrem Körper spüren können. Lassen Sie sich Zeit… Wenn sie eine Körperstelle gefunden haben, verweilen Sie ein wenig dort. Spüren Sie hin: was erhält diese Flamme, was braucht sie, um ausreichend brennen zu können… Vielleicht gestalten Sie Ihre Flamme auf ein Papier. Malen Sie eine entsprechende Umgebung. Wenden Sie sich in dieser Woche dieser Körperstelle immer wieder einmal zu…

Wenn diese Flamme für Sie in Ihrem Körper nicht auffindbar ist, lassen Sie sich Zeit. Beginnen Sie, diese Flamme zu imaginieren oder malen, so , wie Sie für sie sein müsste.

Hoffnung: „Wann reißt der Himmel auf?“

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Wenn Menschen mit Angehörigen aufwachsen, die chronisch erkrankt sind, oftmals durch ihre gesamte Kindheit hindurch und manchmal noch weit darüber hinaus, dann fühlt sich das Leben an, so beschreiben es betroffene erwachsene Kinder, wie ein endloser Sumpf, aus dem es nie mehr ein Entkommen zu geben scheint.Ob diese elterliche Erkrankung das Etikett „Sucht“, „manisch-depressiv“ oder „Kriegstrauma“ trägt: Diese mitbetroffenen Kinder fühlen sich oftmals hoffnungslos. Ihre erlebte Ohnmacht und die gefühlte Hilflosigkeit gegenüber der elterlichen Krankheit ( sowie auch ihren „am eigenen Leibe“ hautnah alltäglich erlebten Folgen) wirken endlos. Dieses dauerhafte Erleben beeinflusst, wie Betroffene ihre Welt sehen und wie sie künftig auf diese zugehen werden. Ihre persönliche Glücksdefinition ist davon geprägt, und lautet etwa:

Mein Leben wäre prima, wenn meine Eltern nicht mehr krank wären…oder:

Wenn meine Mutter nicht mehr trinkt, erst dann (und nur dann), kann ich glücklich sein.

Wenn mein Vater sich endlich seine Kriegs-Traumatisierungen in einer Therapie ansieht, dann wird es endlich auch für mich besser…

Die Erfahrung zeigt: solange diese Kinder auch als Erwachsene ihr Glück und Wohlergehen von der Gesundheit oder Krankheit ihrer Eltern abhängig machen, solange finden sie selbst kaum Frieden und Glück. Erst wenn das eigene Leben, ein Recht auf eigene Bedürfnisse und ein recht auf eigenes Glück, ohne den erkrankten Elternteil, in den Vordergund rücken kann, „reißt der Himmel“ auch für sie, um im Bild zu bleiben, ein Stück auf.

Der Song der Gruppe Silbermond kann eine gute Hilfe sein, über die Frage des Lebensglücks nachzusinnen. Viele Betroffene beschreiben es so oder änhlich: Als ich die Krankheit meiner Eltern ein Stück loslassen konnte, diese nicht mehr kontrollierte und sie auch nicht mehr besiegen musste, erst dann gewann ich selbst mehr Lebensqualität.

Es gibt also eine Aussicht auf ein besseres Leben: unabhängig davon, ob Ihr Elternteil weiter trinkt, weiter psychisch erkrankt ist usw. Geben Sie Ihre Hoffnung nicht auf, ändern Sie dort etwas, wo sie es können: bei sich selbst!

Vielleicht beginnen Sie in dieser Woche damit, den Himmel zu beobachten…einfach so!

Hier ein Link zum Video der Gruppe Silbermond

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche,

Ihre Waltraut Barnowski-Geiser

Bildhauer deines Lebens (mit Übung Skulpturenpark)

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Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: so spricht der Volksmund, um die Weitergabe bestimmter Eigenschaften von Generation zu Generation zu pointieren. Dieser Weisheit scheinen gerade manche Menschen aus belasteten Familien unbewusst zu folgen: sie schreiben sich vor allem Negatives aus ihren Familien zu, machen es sich wiederholt zu eigen. Auch wenn Kinder belasteter Eltern höhere Risiken für eigene Erkrankungen haben gegenüber Kindern aus nicht belasteten Familien, so bedeutet das jedoch nicht (und das zeigen aktuelle Studien), dass sie selbst zwangsläufig erkranken müssten, etwa Kinder trinkender Eltern zwangsläufig selbst zu Alkoholikern würden. Es gibt offenbar Schutzfaktoren, die diese Weitergabe von Generation zu Generation (auch Transmission in der Fachsprache genannt) verhindern. Eine gute Nachricht: Die weitaus höhere Zahl der Kinder von belasteten Eltern erkrankt nicht selbst an der elterlichen Sucht.Schauen wir jedoch allein auf die Weitergabe der Sucht, so greift das m.E. zu kurz. Denn: viele Betroffene im Erwachsenenalter leiden dennoch an der Qualität ihres Lebens. Sie fühlen sich schlichtweg nicht gut in ihrer Haut – sogar auch dann, wenn sie ein scheinbar erfolgreiches Leben führen. Da sie über viele Jahre Schweres erlebt haben, fällt es ihnen schwer zu glauben, dass Veränderung möglich ist: Oftmals fehlt überhaupt eine Vorstellung davon, was ein gutes Leben ausmacht und wie es sich anfühlt, da mit Eltern leb(t)en, die ihnen wenig Modell für ein gelingendes Leben sein konnten. Und wenn etwas gut läuft, so haben Betroffene durch ihre vielen ungünstigen Erfahrungen gelernt, diese gute Phase lediglich als Zwischenstadium zur nächsten Katastrophe zu interpretieren. Hier hilft es, manchmal leider nur unter großer Anstrengung, einen Perspektivwechsel vorzunehmen, die Selbstwirksamkeit und die aus den Kindheitstagen ebenso erwachsenen Stärken wiederzuentdecken, den Glauben an die Möglichkeit eines guten Lebens zurückzugewinnen. Als Voraussetzung zu diesem notwendigen Perspektivwechsel zeigte sich, dass die Betroffenen in der Lage waren, ihre Sicht als Erleidende, (in der sie sich, durchaus nachvollziehbar, als „Opfer“ ihrer erkrankten Eltern erlebten), allmählich zu wandeln und dem Wunsch folgten, aktiv ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Schon der Philosoph Foucault sah im Menschen einen „Gestalter“ , im Sinne einer Lebenskunst. Die Integrative Therapeutin und Mitbegründerin der Posietherapie Ilse Orth spricht in diesem Zusammenhang vom „Bildhauer der eigenen Existenz“.

Vielleicht nehmen Sie sich Zeit für eine passende Übung,die diesen Gestaltungsprozess auf kreativem Wege folgt. Dafür sollten sie mindestens 30 Minuten Zeit einplanen.

Übung: Skulpturenpark

Gehen Sie, wie schon in den vorhergehenden Übungen angeregt, zunächst in Ihre Atemachtsamkeit…Stellen Sie sich nun vor, dass Sie mit jedem Atemzug ein Stück tiefer zu ihren inneren Bildern reisen…

Vor Ihnen liegt ein wunderbarer Park im Sonnenschein. Sie wandern hindurch, spüren mit jedem Schritt das Gras unter ihren Füßen, spüren die Sonne auf Ihrer Haut. Sie hören die vielfältigen Geräusche im Park, sehen den Farbreichtum.

Nun entdecken Sie, dass hier viele unterschiedliche Skulpturen stehen, die jeweils den Namen einer Person tragen. Offensichtlich hat ein Künstler dem Leben dieser Person Gestalt in einer Skulptur gegeben…Sie wandern an vielen Skulpturen vorbei, die ganz unterschiedlich aussehen. Sie bekommen eine Anmututng über das Leben des jeweiligen Person.

Nun stehen Sie vor einer Skulptur, die Ihren eigenen Namen trägt. Schauen Sie das Werk genau an. Wie sieht es aus? Aus wechem Material ist die Skulptur, aus welcher Farbe? Sehen Sie Ihre Skulptur aus unterschiedlicher Perspektive an.

Betrachten Sie diese Skulptur nun mit einem wertschätzenden Blick: Was gefällt Ihnen besonders? Was macht die Skulptur einzigartig gegenüber den anderen Kunstwerken?

Möchten Sie der Skulptur noch etwas hinzufügen?…Tun Sie das nun in Ihrer Fantasie…

Vielleicht malen Sie die Skulptur später und versehen sie  mit einem passenden, ergänzenden Titel.Werden Sie Bildhauer Ihres Lebens…vom Papier sind es nur wenige Schritte bis in Ihr Leben!

(Übung in Anlehnung an Barnowski-Geiser, 2009:Hören, was niemand sieht)

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Glück braucht (d)eine Erlaubnis

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Es erscheint so selbstverständlich, ein Recht auf das eigene Lebensglück zu haben! Für Kinder und erwachsene Kinder aus belasteten Familien ist dieses Recht dagegen längst nicht selbstverständlich.

Wenn Kinder in belasteten Familien aufwachsen, dann haben sie meist von Beginn ihres Lebens an mit schwer belasteten Eltern zu tun. Oftmals erscheint es ihnen dann als größtes Glück, wenn doch dieses Elternteil endlich glücklich wäre. Dafür strengen sich diese Kinder an: lebenslang, oftmals unbemerkt und ohne Erfolg.Müssen sie doch die Erfahrung machen, dass das Glück der Eltern schlichtweg nicht in ihren Händen liegt. Es liegt außerhalb ihrer Macht, ob die Mutter mit dem Trinken aufhört, der Vater glückspielsüchtig ist etc. Der Wunsch,die eigenen Eltern glücklich zu machen gerät für Kinder meist zum Sysiphosprojekt. Und dann setzt ein unguter Kreislauf ein: wenn ich meine Eltern nicht glücklich machen kann, denken diese Kinder, dann habe ich es auch nicht verdient, selbst glücklich zu sein. Diese Kinder stehen sich dann auch als Erwachsene auf sonderbare Weise immer im Weg, wenn ihr Leben besser werden könnte. Ihr Unterbewusstes signalisiert: du darfst nicht glücklich sein, wenn die anderen in der Familie es nicht auch sind.

Wieder andere Kinder aus belasteten Familien leiden unter den häuslichen Gegebenheiten. Da diese oftmals verschwiegen und verheimlicht werden, weiß niemand um ihr Leiden. Dann dient das eigene schlechte Leben als Zeugnis des familiären Tabus. Getreu nach Gottfried Kellers Motto: soll die Mama mal sehen, wie ich friere, wenn sie mir keine Handschuhe anzieht, wird das eigene schlechte Leben  Zeuge für das kindlich Erlittene.

Aber wie komme ich aus diesen negativen Kreisläufen heraus, fragen Sie ich vielleicht. Ein erster Schritt ist es, sich mit der Qualität des eigenen Lebens zu beschäftigen. Gehen Sie der Frage nach: Wie webt sich meine Kindheit in das Jetzt? Und ist das so, wie ich mir mein Leben vorstelle…die Erlaubnis zum glücklich sein kann Ihnen niemand anderes geben: Sie sind gefragt.

Ihre
Waltraut Barnowski-Geiser

Dr. Waltraut Barnowski-Geiser ist Therapeutin, Lehrende und Autorin. Vater, Mutter, Sucht (2015) und Hören, was niemand sieht (2009) sind ihre Bücher zur Thematik. In der Praxis KlangRaum in Erkelenz bietet sie Hilfe für Menschen mit Kindheitsbelastungen auf der Basis des von ihr entwickelten AWOKADO-7-Schritte-Programms

Unterschätzt und übersehen: die Stärken der Suchtkinder

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Kinder aus Suchtfamilien, und das wurde die längste Zeit (sogar in Forschungsaktivitäten jüngerer Zeit) sträflich übersehen, entwickeln auch besondere Stärken. Diese Stärken zeichnen die betroffenen Kinder in besonderer Weise aus; sie sind ihnen jedoch meist selbst wenig bewusst. Da sie für Ihre besonderen Leistungen in ihren Familien kaum Anerkennung erhielten, sogar eher zum Sündenbock gestempelt wurden, ist ihnen der Zugang zu ihren Stärken oft verwehrt: sie übersehen diese als Erwachsene so, wie sie es im Kindesalter durch die eigenen Eltern erfahren haben. Die betroffenen Kinder geraten in eine Tabu-Stärkenfresserspirale. In der elterlichen Scham über das eigene Unvermögen, elterliche Fürsorge angemessen und dauerhaft anzubieten, sondern diese viel zu früh an das Kind delegiert zu haben, fällt die alltägliche Höchstleistung des Kindes unter den Tisch. Es beginnt eine Negativspirale in einer verquer anmutenden familiären Dynamik: Keine (Sucht)-Erkrankung, kein elterliches Versagen, kein Leiden und folglich keine besondere Leistungen der Kinder. Über Jahrzehnte gelebt, wird diese Spirale Teil der Selbstzuschreibung der Kinder: das erwachsene Suchtkind leistet und leistet, und bewertet das in vertrauter Manier: „Ich habe doch gar nichts gemacht!“ Kommen dann noch entsprechende Partner, Arbeitskollegen oder Chefs dazu, wiederholt sich die Tabu-Stärkenfresserspirale allzu ungut.Die Tabu-Stärkenfresserspirale tritt auch bei anderen elterlichen Erkranungenauf, die mit Tabusisierung einhergehen ( z.B. elterliche psychische Erkrankung, elterliche Traumatisierung etc.)

Vater, Mutter, Sucht – Wie erwachsene Kinder suchtkranker Eltern trotzdem ihr Glück finden.

Vater, Mutter, Kind: dieses alte Kinderspiel erfährt in Familien mit Suchtkranken eine tragische Abwandlung. Wenn Eltern suchtkrank sind, nehmen ihre Kinder einen anderen Platz ein, als es bei Kindern mit gesunden Eltern der Fall ist. Bei einem Menschen, der an einer Sucht leidet, kommt diese immer an erster Stelle. Die Sucht nimmt den Platz ein, der eigentlich den Kindern zusteht. Das Handeln des Süchtigen ist nicht auf seine Kinder, sondern auf sich und das Suchtmittel konzentriert, letzteres ist bei Suchtkranken der Dreh- und Angelpunkt. Wie und wann ist das Suchtmittel zu bekommen? Wie ist es zu vermeiden. Das sind die Fragen, die den Alltag bestimmen. Die Gedanken eines alkoholkranken Elternteils kreisen letztlich nur darum, wie er an Alkohol kommen kann, der Tablettensüchtige denkt ständig an seine Tabletten, der Drogensüchtige an seinen Stoff, der Workaholic an seine Arbeit usw. Dies bleibt nicht ohne Folgen für das System, für die Umgebung, in der Suchtkranke leben, hier vor allem für die Familien. Der Gebrauch des Suchtmittels greift in das Familienleben ein, bestimmt, wie die Mitglieder zusammen leben können oder eben auch nicht mehr.Featured image
So bekommen Kinder aus Suchtfamilien ungewollt einen Platz zugewiesen, der ihnen wenig gerecht wird. Die mit der elterlichen Sucht einhergehende Belastung wird nie mehr von ihnen weichen, denn wie eine Betroffene es ausdrückte: »Suchtkind bleibt man ein Leben lang!« Selbst wenn sie das Elternhaus schon lange verlassen haben oder der süchtige Elternteil verstorben ist: Sucht gleicht einem Zombie, der die Seelen der Kinder zu zerfressen droht – und das unbemerkt. Die Menschen aus dem Umfeld werden leicht zu Statisten, zu hilflosen Zuschauern, die unbeteiligt wegsehen, weil das Leid und die Ohnmacht zu unfassbar erscheinen, nicht begreifbar, nicht veränderbar. So sehen Erzieher/innen, Lehrer/innen und Nachbarn in der Regel untätig zu, während sich hinter den verschlossenen Türen der Suchtfamilie womöglich tagtäglich Dramatisches abspielt. Die Kinder dürfen nicht über ihr Leid sprechen, die Eltern schweigen aus Scham. Wenn sie doch mit ihrer Sucht an die Öffentlichkeit gehen, finden sie vielleicht einen Platz, an dem ihnen geholfen wird, ihre Kinder dagegen bleiben meistens selbst dann noch auf tragische Weise im Abseits.
Kommt die Sucht, wie so oft, nicht laut, sondern mehr schleichend, leise daher, wird es noch schwieriger, sie zu erkennen. Die Belastung für die Betroffenen nimmt immens zu, denn sie fragen sich, ob es diese Sucht überhaupt gibt oder gab, ob sie sich diese nur einbilden. »Ist das nicht normal, was meine Eltern da gemacht haben!«, lautet dann die Frage der Verunsicherten, oder: »Ist es nicht normal, dass Mama täglich Tabletten nimmt, die sie doch braucht!«, »Ist es nicht normal, ein paar Bier zu trinken?«, »Ist es nicht normal, auf sein Gewicht zu achten?« Oft noch als Erwachsene sind die Kinder suchtkranker Eltern tief verunsichert.

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Übung 4: Bin ich ein „Suchtkind“?

Vielleicht fragen Sie sich, ob sie selbst zum Kreis der betroffenen Erwachsenen gehören, die hier (auch im Buchtitel) angesprochen werden. Das wäre sehr typisch für die Art und Weise, wie erwachsene Kinder aus Suchtfamilien mit ihrer Kindheitsbelastung umgehen. »Suchtkinder«, wie ich erwachsene Kinder suchtkranker Eltern hier im Folgenden nennen möchte, nehmen oft grundsätzlich an, dass dieses Thema aus Kindertagen erledigt sei, und zum anderen, dass sie keine Probleme haben, oder wenn doch, dass diese Probleme (Symptome etwa körperlicher Art) nichts mit der früheren Situation in der Herkunftsfamilie zu tun haben. Dies kann ein tragischer Fehlschluss sein, mit weitreichenden Folgen für Ihre Lebensqualität…

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Zitate aus Befragungen (2008/2009; 2015) im Folgenden unkommentiert: Vielleicht finden Sie sich oder jemanden, der Ihnen wichtig ist, in diesen Aussagen wieder?

Die nachfolgenden Zitate stammen von Erwachsenen, die über mehrere Jahre mit suchtkranken Eltern gelebt haben:

„Es (das Suchtverhalten/ Anm. d.Verf.) war in unserer Familie zu einem stummen Thema geworden!“/Frau L.

„Es ging fortwährend darum, dass wir nach Außen eine perfekte Fassade lieferten – wie es mir ging, spielte keine Rolle!“/Frau I.

„… denn offensichtlich ist dieser familiäre Wahnsinn das Leben!“/Frau H.

„Wenn meine Mutter schreckliche Dinge im Suff getan hatte, taten alle so, als wäre nichts passiert!“/Frau Z.

„… ich bettle schon ein Leben lang um Liebe.“/Frau I.

„Entsetzt bemerkte ich, dass es dieses „Ich“ nicht mehr gab!“ /Frau I.

„… ich verschwinde, während ich sein Verschwinden zu verhindern suche.“/Frau E.

„Wir sind du und du bist wir!“/Frau E. zur Einstellung ihrer Mutter

Ich habe lieber, wenn etwas Schreckliches passiert! – Wenn es mal gut ist, warte ich nur auf das Schreckliche- das WARTEN ist noch furchtbarer“/Frau I.

„Vielleicht hätte ich ihn mehr lieben müssen! Dann hätte mein Vater vielleicht nicht getrunken“ (Frau S.)

„Ich tanze auf einer Hochspannungsleitung im kühlen Korsett!“/Frau P.

„Und ich war ihrer Ansicht nach schuld, dass sie immer mehr trank…“/Herr I.

Drogen waren für meine Eltern „Lifestyle“- sprach ich von Belastung wurde ich ausgelacht und als spießig dargestellt.“/Herr H.

„Bei uns zu Hause gab es gar keine Grenzen.“/Frau O.

„Ich habe oft schon Angst gehabt, bevor meine Mutter nach Hause gekommen ist/Felix

                                          „…alle Männer in unserer Familie waren depressiv…und süchtig.“ (Frau G)

„Ich kann ihm wirklich nicht die Mutter ersetzen!“ (Frau R.)

„Wir waren voll mit Gefühlen, die aus der Suchterkrankung resultierten und doch durften wir nie über unsere Gefühle reden. Gefühle waren das absolute Tabu!“/Herr I.

Wenn einige dieser Aussagen auch von Ihnen stammen könnten und sie sich zugleich schon lange fragen, ob das Verhalten ihrer Eltern mit dem Etikett „süchtig“ zu bezeichnen ist/war, dann könnten das Hinweise auf eine (möglicherweise auch verdeckte) elterliche Suchterkrankung oder andere familiäre Belastungen in der Kindheit sein. Vielfach ist die elterliche Suchterkrankung, wie Suchtkinder oftmals fälschlich annehmen, nicht nur an der konsumierten Menge fest zu machen (und auf die Kontrolle und Beweisführung wird oft viel Energie bei Angehörigen verwendet): Bedeutsamer und wirksamer für den eigenen Weg der Suchtkinder ist das Aufspüren krankmachender Familiendynamiken sowie der spezifischen Familienatmosphäre. Denn diese Dynamik und Atmosphäre kann massive Auswirkungen auf das Erleben der Suchtkinder haben, sogar wenn sie viele Jahrzehnte zurückliegt. Wenn Sie sich oftmals, (scheinbar grundlos) leer, schuldig und „unnütz“, nicht „richtig“, nicht zugehörig oder wertlos fühlen ( obwohl sie z.B. „objektiv“ viel leisten), dann kann die Wurzel dieser Gefühle in elterlicher Suchterkrankung begründet sein.Dann kann es für Sie wichtig sein, sich mit Familienatmosphären näher zu beschäftigen. Häufig stellen Suchtkinder in dieser Beschäftigung fest, dass diese negativen Stimmungen und Gefühle eigentlich gar nicht zu ihnen gehören, sondern zu ihren belasteten Eltern. Diese haben sie über Jahre während ihrer Erkrankung, meist unbewusst, an sie weitergegeben oder abgegeben (delegiert).

Zusatzanregung: Suchen Sie ein Musikstück, das erzählt, wie Sie sich eine gute Familienatmosphäre vorstellen…Lassen Sie sich Zeit: Hören Sie in den nächsten Tagen Stücke im Radio oder zu Hause bewusster aus dieser Perspektive.

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Zu Beginn meiner Tätigkeit habe ich, wie viele professionell Tätige in diesem Bereich, mit erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien gearbeitet, ohne wirklich das Ausmaß ihrer Belastung zu kennen. In meiner Praxis, in der Schule, in Ausbildungszusammenhängen gehörte dieses Thema zu meinem Aufgabenfeld, doch ich bemerkte zunächst nicht, wie weitreichend die Folgen der elterlichen Suchtbelastung wirklich waren – ich wusste ebenso wenig darum wie die Betroffenen selbst. Erwachsene Kinder aus Suchtfamilien ahnen oftmals nichts von ihrer Belastung und deren Ausmaß, sie sprechen nicht über ihre Herkunftsfamilie, scheint das alles doch viel zu lange her zu sein. Viele wissen nicht mehr, dass ihnen etwas angetan wurde – aufgrund diffuser körperlicher und seelischer Beschwerden merken sie nur, dass irgendetwas nicht mit ihnen stimmt. Da ihnen das Ausmaß selbst nicht bewusst ist, sie zudem gelernt haben, zu tabuisieren und zu verdrängen, sprechen sie nicht über das in der Kindheit Erlittene. Betroffene lebten und leben mit Eltern, die ihre Sucht verleugnen, und so verleugnen sie selbst, was ihnen angetan wurde.

Es soll nicht etwa »Grässliches«, Schlimmes und Traumatisches, das in Suchtfamilien passiert ist, gewaltsam an die Oberfläche gezerrt oder als Sensation zur Schau gestellt werden, vielmehr wird versucht, mit Hilfe eines gemeinsamen Blicks auf die kindliche Vergangenheit, eine neue Basis für ein zufriedeneres Leben mit sich und anderen zu schaffen.

Frau L. 44 Jahre: „Ich habe eigentlich neu laufen gelernt!“
„Ich fühlte mich vor der Therapie wie in einem Hamsterrad gefangen. Alles war schwarz und grau. Ich sah und spürte nichts mehr, ich wusste weder, wo ich hinwollte, noch warum sich alles so furchtbar anfühlte – ich gab mir daran die Schuld. Jetzt fühle ich mich gut, was mir auch sehr fremd ist, da es das in meinem Leben so wenig gab. Da brauche ich immer wieder Mut, dem Neuen zu vertrauen. Ich glaube, mir hat geholfen, dass ich in der Therapie Schritt für Schritt Begleitung hatte. Ich musste bei jedem noch so kleinen Schritt Hilfe haben, ob er gerade wieder wirklich für mich stimmig ist, ob es richtig ist für mich – oder ob ich nur reagiere auf das, was andere erwarten.

Das war mühsam, aber ich empfinde nun oftmals Frieden und Freude. Ich musste von Stunde zu Stunde Wegweiser haben, um jeweils zu wissen, wie es genau weitergeht. Ich habe eigentlich neu laufen gelernt. Es haben sich neue Ziele und Blickwinkel in dieser Zeit entwickelt. Ich habe meine Belastungen erkannt und abgeworfen.

Nach meinen Erfahrungen können erwachsene Kinder, auch wenn die Erfahrungen mit süchtigen Eltern schon Jahrzehnte zurückliegen, nur dann wirkliches Verständnis für sich selbst, ihr Verhalten, ihre Gefühle und ihre Nöte entwickeln, wenn sie einen Blick auf das, was ihnen angetan wurde, wagen. Oftmals sind sie erst dann in der Lage, ihre Stärken zu würdigen und Rollenmodelle des eigenen Lebens zu verstehen – im Buch Vater, Mutter, Sucht ermöglicht ein Selbsttest darüber näheren Aufschluss. Mittels meiner Forschungen und Praxiserfahrungen habe ich das AWOKADO-Programm zusammengestellt, das Suchtkinder auf dem Weg in ein glücklicheres Leben unterstützen kann; auch professionell Tätige können es bei der Arbeit mit Suchtkindern einsetzen. Wer verdrängt, steckt fest! Wer hinschaut und aktiv wird, kann wachsen – …

Text in Anlehnung an eine Leseprobe zu Vater, Mutter, Sucht beim Klett-Cotta-Verlag.

Hilfe für die „Vergessensten der Vergessenen“ – Das AWOKADO-Hilfe-Konzept für erwachsene Kinder sucht-und psychisch erkrankter Eltern

Erwachsene aus Suchtfamilien müssen leider zu den „Vergessensten der Vergessenen“ gezählt werden. Zwei Denkfehler begünstigen dieses Vergessen:

1. Der Fehlschluss, dass die Kindheitsbelastung doch lang vorbei sei und damit im „Jetzt“, da Betroffene nicht mehr in der Herkunftsfamilie leben, ohne Folgen wäre (und nicht einmal das trifft bei vielen Erwachsenen zu, die oft ein Leben lang mit den Sucht- und psychisch Erkrankten konfrontiert sind).

2. Der Fehlschluss, dass,wenn die Betroffenen nicht von Kindheitsbelastung sprechen, auch keine Belastung vorhanden sei. Da die Kinder über Jahrzehnte in ihren Familien lernen, erkrankte Eltern zu schützen, nicht über ihr eigenes Leid zu sprechen ( es oft nicht einmal wahrnehmen zu dürfen), fehlen ihnen Worte. In Familien, die die elterliche Erkrankung tabuisieren, werden die Kinder frühzeitig zu „Burgbewohnern mit Haut und Haar“ (Barnowski-Geiser 2015). Oft erzählt allein ihr Körper oder ihre sie überfordernde Gefühlswelt, das sie bis heute schwer belastet sind: zu wirksam ist das kindliche Tabu, auch wenn Erwachsene das Elternhaus längst verlassen haben.

Zu diesen Denkfehlern gesellt sich ein großes Manko: Therapeuten, Ärzte und Pädagogen sind zu wenig bis gar nicht auf diese Klientel hin ausgebildet worden. UNd: reine INformation über diese Familien reicht als Hilfestellung nicht aus: Das AWOKADO-Konzept schließt hier eine Lücke der erlebensorientierten  Arbeit mit Erwachsenen aus belasteten Familien.

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Quelle: Klett-Cotta

http://klett-cotta.de/buch/Fachratgeber/Vater_Mutter_Sucht/55896#buch_leseprobe

Das AWOKADO-Konzept

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Mehr als zehn Jahre lang arbeitete Dr. Waltraut Barnowski-Geiser mit Kindern und Erwachsenen aus Suchtfamilien und führte zugleich im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprojektes Befragungen und Interviews durch. Ihre Fragestellung: Was hilft „Suchtkindern“, ihr Leben zum Positiven zu verändern? Die Ergebnisse ihrer Studie und Befragungen mündeten im AWOKADO-Konzept. Dieses Konzept geht über psychoedukative Arbeit hinaus: Im AWOKADO-Konzept wird, resilienzfördernd und ressourcenorientiert, das Erleben Langzeit-Betroffener fokussiert, unter Einbeziehung der Systemperspektive. Ziel ist eine nachhaltige Verbesserung der Art und Weise „In der Welt zu Sein“.

Die Anfangsbuchstaben der ermittelten Hilfefaktoren stehen dabei für:

A Achtsamkeit
Vom Kreisen um die Suchterkrankten zur Selbstachtsamkeit im „Jetzt“
W Würdigung der Belastung und Würdigung der Stärken
Hinwendung zu den eigenen Wunden und zu den gewachsenen Kräften
O Orientierung
Finden einer eigenen Weltsicht, abseits des Familientabus
K Kreativität
Schöpferische Potenziale als Quell von Lebensfreude im „Für mich sein“
A Aus-Druck
    Eine Bewegung vom Innen ins Außen; Abbau von Spannungen und Druck
D Deckung und De-Parenting
Das Erleben von Sicherheit und sicheren Zonen (Schutzräume)
O  Offenheit und Öffnung
Positive Resonanz-und Beziehungserfahrungen in Netzwerken und Hilfegruppen

Die Namensverwandtschaft mit der Frucht Avocado schien sinnfällig: gilt die Avocado doch als äußerst heilsame und wirksame Frucht, die dosiert und maßvoll einzusetzen ist.Featured image

Auf der Basis des AWOKADO-Konzeptes, das sie seit vielen Jahren in therapeutischer Praxis anwendet, entwickelte Frau Barnowski-Geiser das AWOKADO-7-Schritte-Programm zur aktiven Selbsthilfe, das AWOKADO-Stärkungsritual sowie das schulische Präventionsprojekt BEL-Kids, das sie als modularisierte Fortbildung an Pädagogen, Therapeuten und Studierende multipliziert.

Das AWOKADO-7-Schritte-Programm konnte auch erfolgreich angewendet werden bei erwachsenen Kindern chronisch und existenziell erkrankter Eltern (z. B. bei elterlicher Krebserkrankung) sowie bei Erwachsenen von psychisch erkrankten Eltern.

Übung 3: Mein Weg zum besseren Leben

In der letzten Übung haben Sie Ihre „Besser-Leben-Landschaft“ gemalt und gestaltet. Vielleicht werfen Sie nun noch einmal einen Blick auf diese Landschaft – falls Sie diese noch nicht gestaltet haben, holen Sie dies doch heute nach…

Betrachten Sie nun mit Ruhe…Was gefällt Ihnen an Ihrer-Besser-Leben- Landschaft? Möchten Sie heute noch etwas verändern, dass Sie jetzt gern anders hätten? Dann nehmen Sie sich ein wenig Zeit und malen/gestalten das ein.

Im nächsten Schritt suchen Sie bitte ein größeres Papier als das aus der letzten Übung oder Sie legen gerade so viele Blätter um Ihre Besser-Leben-Landschaft herum, wie erforderlich sind, um einen Rahmen zu erstellen.

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Wenn ihr Bild nun eingerahmt ist, lehnen Sie sich ein wenig zurück… Gehen Sie mit Ihrer Achtsamkeit zu Ihrem Atem (so wie wir es hier schon geübt haben) und treten ein wenig beiseite. Stellen Sie sich vor, dass Sie mit jedem Atemzug ein Stück mehr zu sich und Ihren inneren Bildern kommen.

Gehen Sie nun der Frage nach, welche Umgebung Ihre Besser- Leben-Landschaft braucht, damit sie entstehen kann. Welche Farben, Personen, Tiere, Menschen, Formen, Worte, Sprüche…

Suchen Sie nun Verbindungen zwischen Rahmen und Landschaft, malen sie alles herum, was Ihnen wichtig erscheint. …Folgen Sie jeweils Ihrem ersten Impuls.

Nun schauen Sie noch einmal hin: Wo in dieser Gestaltung befinden Sie selbst sich gerade. Gibt es einen Punkt in der Landschaft, an Ihrer Grenze, im Rahmen oder weiter außerhalb? Stellen Sie  Verbindungen von Ihrem Standpunkt zur Besser-Leben-Landschaft her. Greifen Sie Formen, Farben und Verbindungen auf. Vielleicht müssen Sie auch Hinderungen, Menschen, Gegenstände auf andere Plätze setzen, übermalen, herausschneiden…seien Sie aktiv und spielerisch, weniger kopflastig. Für eine kreative Gestaltung sind Sätze „Wie soll das gehen?“ …und „das ist doch Kinderkram!“ meist hinderlich.Falls diese Fragen in den Vordergrund rücken, gestalten Sie sie als Teil des Bildes mit.

Schauen Sie nun alles Entstandene noch einmal an: Welchen Schritt zu Ihrem besseren Leben nehmen Sie sich für die nächste Woche vor? Trauen Sie sich und formulieren diesen Schritt in einem einfachen, positiven Satz.

„Ich werde…

Wichtig ist, dass Sie einen Schritt, sei er auch noch so klein, wirklich tun. Was auch immer um Sie herum passiert: Sie sind Mitgestalter Ihres Lebens. Wenn  ein Angehöriger suchtkrank oder auch anders erkrankt sind gilt: Sie können ihn oder sie nicht ändern, aber sie können Einfluss auf ihr Leben nehmen!

Wenn Gestalten heute schwierig ist, lassen Sie sich Zeit und bearbeiten diese Übung zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.

Vertiefung:

Gibt es einen Punkt im Bild, der Ihnen am wichtigsten ist? Was macht diese Stelle aus? Finden Sie fünf Begriffe, die diese Stelle beschreiben. Schreiben Sie diese fünf Begriffe auf und hängen diese so auf, dass Sie sie in der nächsten Zeit inspirieren können! Wenn das Visuelle Sie mehr inspiriert, können Sie auch eine Minikopie dieses Ausschnitts anfertigen oder Sie mit Ihrem Handy oder Kamera abfotografieren und als Handy-Upload immer bei sich tragen.

Ich wünsche Ihnen eine gute „Besser-leben-Zeit“.

Ihre

Waltraut Barnowski-Geiser

Fast ein Krimi: Von vergessenen Kindern, vermeintlichen Boykotteuren und früher Sabotage im Gehirn… was die Forschung zur familiären Alkoholbelastung sagt (Hören, was niemand sieht/Teil 2)

Aus meinen Studien 2009 und 2015, Teil 2

Vergessene Kinder

Erst seit dem beginnenden 20.Jahrhundert wurden Kinder aus alkoholbelasteten Familien überhaupt in den Blick der Forschung genommen. Zurecht spricht Cork von „vergessenen Kindern“. Besonders die Entdeckung der Tatsache, dass ca. 1/3 aller Alkoholiker selbst einen trinkenden Elternteil hat und ein sechsfach erhöhtes Risisko, selbst zu erkranken vergleicht man sie mit Kindern von nicht alkoholerkrankten Eltern, löste einen Forschungsboom aus. Die Suchterkrankung droht, so erkannte man bald, von Generation zu Generation weitergegeben zu werden – ein tragischer Fakt für die Betroffenen,ein unterschätztes Problem für die Gesellschaft: denn das Ausmaß ist riesig. Längst betrifft Alkoholismus nicht  nur sogenannte „Unterschichtsfamilien“  –  maskierte Sucht kommt auch in noblem Gewand daher. Sucht ist ein Problem in allen gesellschaftlichen Schichten – sie betrifft immer mehr Angehörige. Nicht zuzletzt, und es ist traurig, dass öffentliche Maßnahmen aufgrund des materiellen Aspektes ergriffen werden, belastet Sucht die Volkswirtschaft mit immensen Summen, insbesondere wenn man die Folgekosten und Folgeerkrankungen der Angehörigen mitberücksichtigt (interessante Zahlen von Dr. Mathias Efferts hier  nacoa.de/index.php/neuigkeiten/709-100914-berlin-zehn-jahre-nacoa-deutschland-die-vortraege-unseres-jubilaeumsfachtages-zum-downloadDass in der belastenden Kindheit auch Stärken ausgebildet werden (Barnowski-Geiser 2011/2015), wie das Erleben sich genau gestaltet und warum 2/3 der derart Betroffenen nicht selbst an Alkoholismus erkranken, muss Gegenstand weiterer Forschungen sein.

Schauplatz Familie in der Forschung: Angehörige im Boykott? Insbesondere die systemische Forschung leistete wichtige Beiträge zum Verständnis alkoholbelasteter Familien. Vor allem das Zusammenspiel in einer Suchtfamilie wurde hier genau untersucht,  vor allem Interaktionen und Dynamik, um es fachsprachlich auszudrücken. Es wurde aufgezeigt, dass alle Familienmitglieder etwas tun müssten, damit der Abhängige die Sucht ablegt. Die mit betroffenen Angehörigen wurden in dieser Prespektive vor allem entdeckt als Boykotteure und potentielle Urheber von Suchtkrankheit identifiziert und nicht als diejenigen, die etwas erlitten. In ihrer eigenen Bedürftigkeit wurden sie erst in jüngerer Zeit in den Blick genommen.Diese Perspektive ist dringend erforderlich. Hier ist ein Paradigmenwechsel angezeigt, der in den Büchern von Monika Rennert http://lambertus.de/de/shop-details/co-abhaengigkeit,1075.html , den Neuerscheinungen zur Co-Abhängigkeit von Jens Flassbeck  klett-cotta.de/buch/Fachratgeber/Ich_will_mein_Leben_zurueck!/49096 und in den Büchern der Verfasserin  klett-cotta.de/buch/Fachratgeber/Vater_Mutter_Sucht/55896 (s. a. weitere BuchLinks auf dieser Seite) angestoßen wird.

Alkoholbelastung: ein vergessenes Thema der Musiktherapie Musik kann Gefühle und Unaussprechliches zur Sprache bringen: das löst in Betroffenen Angst und Sehnsucht zugleich aus. Obwohl gerade Musik gemeinhin als ein Medium gilt, das etwas zur Sprache bringt, was Menschen nicht mit Worten ausdrücken können, muss die Thematik der familiären Alkoholbelastung in der Musiktherapie zu den vergessenen gezählt werden: weder national noch international hat dieses Thema vor dem Erscheinen der vorliegenden Studie Beachtung gefunden, obwohl Hartmut Kapteina und Isabelle Frohne-Hagemann interessante Einstiege eröffnet hatten. Auch Petzold und Michaelis griffen die Thematik in der Integrativen Therapie auf.

Die Gründe sind vielschichtig: Alkoholismus und die damit einhergehende Schädigung von Kindern durch trinkende Eltern wird einerseits gesellschaftlich immer noch stark tabuisiert, mit offenbar nicht unerheblichen Auswirkungen auf Forschungsaktivitäten. Andererseits arbeiten MusiktherapeutInnen bislang vorwiegend In Kliniken: handelt es sich dabei um Suchtkliniken, und das ist ein geringer Prozentsatz, so wurde gerade Angehörigentherapie lange Zeit  „vergessen“  oder nicht als erklärtes Arbeitsfeld definiert. In freien Praxen ist Anmeldung vor allem durch Eltern möglich – Eltern, die ihre Krankheit verheimlichen, scheuen den Weg dorthin: sie lassen sich zum größten Teil weder selbst noch ihre Kinder „freiwillig“ behandeln.

Finden Betroffene doch den Weg in die Musiktherapie (wie etwa im Angebot der Musiktherapie in der Gesamtschule Mülfort / hier auch das BEL-Kids-Projekt: lernwelt.at/projekte/bel-kids/index.html  zeigte sich, dass das Musikmachen in der Therapie nicht allen Kindern eine Freude war. Häufig wurde Musik machen genau so lange vermieden, bis Kinder und Jugendliche in der Lage waren, der Tabuisierung Eigenes entgegen zu setzen. Musik deckt auf: Musik gefährdet das Wahren des familiären Geheimnis – so ist dann die Einschätzung der im Tabu Gefangenen.

Kaum genutzt, wenig erforscht – Neurowissenschaft light für Suchtkinder Noch wenig Einzug gehalten in die Arbeit mit Kindern aus alkoholbelasteten Familien haben neurowissenschaftliche Erkenntnisse. Während dieser Bereich allgemein boomt, gibt es kaum nennenswerte Brückenschläge. Was hier im Telegrammstil beschrieben wird, muss zwangsläufig eine beinahe unverschämte Verkürzung der Vorgänge im Hirn darstellen. Interessantes zur Hirnforschung in verständlcher Sprache auch bei Gerald Hüther lernwelt.at/bibliothek/bildung/die-neue-lust-am-eigenen-denken.html

Top 1 Die Ausbildung des Gehirns ist nutzungsabhängig

Erfahrungen, die Kinder wiederholt machen, werden in ihrem Hirn abgespeichert: es bilden sich nutzungsabhängige neuronale Netzwerke. Kinder, die von klein auf in alkoholbelasteten Familien leben, speichern auch ungute Erfahrungen neuronal. Belastende Emotionen, die wiederholt und über Jahre erlebt werden, werden ebenfalls abgespeichert. Sie werden zu Trampelpfaden im Gehirn, die sie oftmals auch als Erwachsene schwerlich verlassen können. Die andauernde Hocherregung, die chronifizierte Belastung führt , gerade wenn sie viele Jahre andauert, zu Erschöpfungs-und Stressreaktionen. Für viele Erwachsene, die die familiäre Situation verdrängen mussten, empfinden sich selbst fortan  „Zu empfindlich“ ,“zu sensibel“ (Hochsensibel) und „nicht belastbar“. Meist werden diese Selbstzuschreibungen ihnen nicht wirklich gerecht.

Top 2 Eine gute Nachricht: Gehirne sind veränderbar

Das Wissen um die Plastizität  des Gehirns birgt wunderbare Chancen für KInder aus belasteten Familien. Die Verschaltungen im Gehirn lassen sich demnach verändern.Wiederholte Erfahrungen bilden gleichsam Trampelpfade im Hirn: das Kind kann also wiederholt den Pfad der Angst „laufen“ und zu einem ängstlichen Kind werden, es kann aber auch neuartige Verknüpfungen lernen, etwa den „Pfad“ des Wohlfühlens erfahren,neu begehen und als neue Hirn-Spur anlegen. Dazu braucht es frühzeitig gute Orte: gute Bindungserfahrungen und Schutzräume außerhalb der Stammfamilie.

Top 3 Ich fühle, was du fühlst – Empathie und Modell

Menschen aus Suchtfamilien verfügen oftmals über besondere Einfühlungsfähigkeiten.  Wie die Neurowissenschaft zeigt, ermöglichen dies Spiegelneuronen. Betroffene Kinder in großer Liebe und Sorge um ihre erkrankten Eltern, entwickeln besondere Fähigkeiten, sich in die innere Landschaft des betroffenen Elternteils einzufühlen. Diese Fähigkeit wird oft zu einer besonderen Stärke ausgebildet, die sie auch anderen gegenüber im besonderen Maße einsetzen können.Zugleich birgt diese FähigkeitSchatten: das hohe Stresspotenzial der Eltern kann zu Dauerüberflutung mit heftigen Gefühlen führen, die den Kindern wenig zuträglich sind. Diese Gefühlsüberforderung wird dann tragischer Weise teils durch eigenes Suchtverhalten kompensiert. (Eindrucksvoll dargestellt im Film über Anna youtube.com/watch?v=iyYJGw-efn8&feature=youtu.be Dringend brauchen diese KInder Pausen und Erholung von der elterlichen Belastung.

Wenn elterliches Suchtverhalten zur einzigen Lösungsstrategie geworden ist, droht diese zudem zum Modell für ihre Kinder zu werden – Kinder brauchen neben ihren Eltern frühzeitig weitere Bezugspersonen. Sie brauchen gute Modelle für ihr eigenes Leben, indem andere Menschen anbieten, was die erkrankten Elternteile nicht anbieten können oder konnten.

Top 4 Klatschbase Körper: Warum Körper, Seele und Geist Teamplayer sind

Eine Trennung zwischen Denken und Fühlen ist ein gedankliches Konstrukt, das mit den tatsächlichen Vorgängen in menschlichen Gehirnen wenig zu tun hat. Hirnforscher fanden heraus, „Daß Großhirnrinde und Limbisches System eine unauflösliche Einheit bilden und dass Kognition nicht möglich ist ohne Emotion, dem erlebnismäßigen Ausdruck des Prozesses der Selbstbewertung des Gehirns.“ (Roth 1997, S.178) Das Wissensgedächtnis arbeitet hier eng mit den Teilen für Gefühl und Antrieb zusammen. Jedes Denken ist eng mit Emotionen und Fühlen verknüpft und ein körperlicher Prozess. Diese Komplexität pointiert Damasio wie folgt: „Die Seele atmet durch den Körper und Leiden findet im Fleisch statt, egal, ob es in der Haut oder in der Vorstellung beginnt.“ (Damasio 1997, S.19) Wenn Kinder und Erwachsene in belasteten Familien aufwachsen, so müssen die Spuren dieser Zeit auf körperlicher, seelischer und geistiger Ebene gesucht werden. Wenn das Fühlen belastet ist, so wird dies Folgen für das Denken haben (was immense Probleme beim Lernen zufolge haben kann) und wiederum nicht spurlos am Körper vorbei gehen. Wenn Kindern und Erwachsenen aus alkoholbelasteten Familien geholfen werden soll, ein besseres Leben zu führen, so müssen alle Ebenen in den Blick genommen werden. Eine rein psychoedukative Arbeit, in der lediglich über Sucht informiert wird, greift zu kurz. Für Betroffene aus Suchtfamilien muss und darf etwas mehr an Hilfe sein, so wie es auch im AWOKADO-Hilfekonzept (Barnowski-Geiser 2009 und 2015) aufgegriffen wurde.Wir müssen uns endlich den Gefühlen der Betroffenen stellen und ihnen positive Gefühlserfahrungen ermöglichen.

In Teil 3 werde ich in Kürze über Nicht-Orte, Geheimnisträger und Burgbewohner mit Haut und Haar erzählen. Bis dahin alles Beste für Sie und Euch.

Besser leben? Warum ein Atemzug, der Mount Everest und ein ungewöhnliches Früchtchen Ihre Helfer sein können.

Von Waltraut Barnowski-Geiser

Jetzt besser leben – das wollen die meisten Menschen! Vor allem natürlich wünschen das all jene, die in ihrer Kindheit Schweres erlebt haben. Oftmals haben aber gerade diese Menschen ihre Hoffnung auf ein besseres Leben aufgegeben. Soviel Enttäuschung, so viele leere Versprechungen haben sie bereits erlebt! Jetzt besser leben: „Wie könnte das gehen?“ fragen sie sich, und vor allem: „Wie sieht mein Weg zu einem besseren Leben aus?“ Denn: jede und jeder hat eine andere Vorstellung davon, was ein Leben zu einem besseren macht

…Vielleicht wollen Sie auf kreativem Weg  etwas über Ihre persönliche Vorstellung erfahren.Dann könnte die folgende Übung hilfreich sein. Wenn Sie gerade Zeit nehmen wollen, dann starten Sie jetzt in die Übung. Sie können diese auch jetzt überspringen und später nach dem Lesen machen!

Übung MEINE Besser-Leben-Landschaft

Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit: schließen Sie, wenn Sie mögen, die Augen…nehmen Sie Ihren Atem wahr…wenigstens drei Atemzüge wahrnehmen: wie Sie ein und wieder ausatmen…

Nun lassen  Sie vor Ihrem inneren Auge langsam eine Landschaft entstehen, in der Sie sich gut und glücklich fühlen. Wie duftet es hier, wie schmeckt es, welche Farben sehen Sie. Wie klingt es, welche Geräusche hören Sie? Lassen Sie sich ein wenig Zeit…vielleicht wollen Sie diese Landschaft später malen.

 Kommentar zur Übung: Bilder können helfen, etwas zur Sprache zu bringen, für das wir noch keine Worte haben.  Indem wir unsere Sinne aktivieren, aktivieren wir auch Potenziale, Sehnsüchte und Wünsche,die vielleicht längst vergessen schienen.

Flucht aus dem Jetzt
Viele Menschen mit Kindheitsbelastungen pendeln sich mehr schlecht als recht auf einem sie wenig befriedigenden Level ein: zwischen Vergessen und Verdrängen, zwischen Trauer und Zorn. Sie beschreiben, nichts mehr zu fühlen, oftmals allenfalls Leere. Das Fühlen des Unangenehmen wurde unbewusst aufgehoben, unglücklicher Weise aber auch das Fühlen von Schönem. Andere leben ständig im Gestern, wälzen schlimme Ereignisse von damals. Sie werden bis zum heutigen Tag von der Vorstellung gequält, an den Ereignissen der Kindheit Schuld zu tragen:

Ein trinkender Vater? Das erwachsene Suchtkind denkt, es hätte damals ein besseres Kind sein müssen, dann wäre der Vater nicht unglücklich gewesen und hätte folglich auch nicht trinken müssen.

Die Mutter, die in Depressionen aus dem Leben schied? Bestimmt hätte der Sohn vielmehr für sie Dasein müssen, ihr mehr Freude bereiten sollen, mehr und Besseres leisten sollen.

In diesen und anderen Gedankenketten sitzen Menschen fest.

Andere nehmen die Flucht nach vorn: sie leben in der Zukunft. Sie träumen, nicht nur ein bisschen und manchmal, sondern eigentlich immer und überall. Träumen hat sie als Kind gerettet, um dem Schlimmen zu entfliehen. Diesem Mechanismus können sie nun bis heute schwer entfliehen (manche haben bereits die Diagnose ADS/Aufmerksamkeitsdefizitstörung ohne Hyperaktivität erhalten): So träumen sie auch heute… von einem Traumprinzen, der so ganz anders ist als der enttäuschende Mann  jetzt an ihrer Seite, anders als der Vater früher. Sie träumen von einer Zeit, in der sie endlich glücklich sind, weil sie zum Beispiel materiell unabhängig sein werden. Morgen, irgendwann in ferner Zukunft. wird alles besser sein. Und so warten sie und warten und warten, während das Leben an ihnen ungelebt vorbeizieht.

Mit einem Atenzug ins Jetzt
Bei all diesen Arten der Lebensbewältigung verpassen die Menschen etwas sehr Wesentliches: nämlich das Jetzt. Auch Glück findet immer gerade jetzt statt. Wenn keine Achtsamkeit für das Jetzt vorhanden ist, dann gehen kostbare Momente einfach verloren, dann rauscht das Glück vorbei, da es nicht einmal wahrgenommen wird.

Das Zurückerobern des Lebensglückes bedeutet, sich in das Jetzt zurückzutrauen.
Ein wichtiger Helfer in das Jetzt ist unser Atem: wahrnehmen, ohne jede Absicht und ohne jede Bewertung, wie der Atem einfließt und wie er wieder den Körper verlässt: Das ist die Brücke in die Gegenwart. Das klingt so einfach: und ist doch gerade für Menschen aus schwierigen Elternhäusern so schwer. Da damals das Jetzt so unangenehm war, haben sie, um ihre Seele zu retten, begonnen aus dem Jetzt zu fliehen. Und damals viel Lebensqualität verloren. Diese gilt es heute wieder zurückzugewinnen: und diesen Schritt können nur Sie selbst für sich tun. Vielleicht sagen Sie jetzt: „Ich habe viel zu tun, wann das noch?“ oder „Das fühlt sich so unangenehm an, wenn alles ruhig ist und ich mich spüre!“

Meditation ohne Geheimnnis

Es gibt viele Wege zur Achtsamkeit und Meditation. Als eine weise Lehrerin giltie buddhistische Nonne Ayya Khema (leider ist sie inzwischen längst verstorben, aber ihre Ausführungen sind  auf youtube abrufbar) Ayya Khema vermittelt Meditation ohne Geheimnis, aus der ich hier nur sehr vereinfachend Wichtiges zusammengefasst und sehr gekürzt darstelle. Eine Einsicht lautet, dass alle Empfindungen vergehen, wenn man sie einfach nur beobachtet: so wie alles vergeht! Auch Gedanken lassen sich demnach beobachten, sie werden in dieser Praxis etikettiert – die vorbeiziehenden Gedanken erhalten gleichsam einen Karton, in den man sie steckt. So merkt der Meditierende, welche Kartons er meistens benutzt, sprich, womit er sich meist beschäftigt und lernst sich dabei selbst bestens  (er)-kennen. Erwachsene Kinder aus Suchtfamilien beschreiben, mit ihren Gedanken ständig um einen ihnen wichtigen Menschen zu kreisen. Ihr Wohl hängt dann, so erleben sie es, von diesem einen Menschen ab – Abhängigkeit entsteht. Im Sinne der Lehre des Buddhas lässt sich hier als Methode anwenden: Etikettieren und Ersetzen. Eine spannende Idee! Probieren sie es aus: Wenn Sie an einen bestimmten Menschen denken, förmlich um ihn kreisen, sagen Sie innerlich „Stop!“ Ersetzen Sie diese Gedanken an den anderen, indem Sie zu sich selbst zurückkehren: Achten Sie auf Ihren Atem, nehmen Sie wahr, was Sie gerade spüren. Und in einem weiteren Schritt erspüren Sie, was sie selbst jetzt gerade brauchen.
Es gibt viele unterschiedliche Verfahren und Wege, um Achtsamkeit zu erlernen. Neben alten Lehren wie dem Buddhismus (hier auch Thich Nhat Hanh), unterschiedlichen Formen im Yoga usw. gibt es diese Ansätze auch in modernen Therapieverfahren, wie etwa dem MBSR nach Kabat-Zinn, der Hypnotherapie nach Milton Ericson oder auch im Integrativen und Hypnosystemischen Therapieverfahren. Suchen Sie im Vertrauen auf sich selbst den für Sie passenden Weg. Es gibt viele Cds und Bücher. zu diesem Feld, die Ihnen Hilfe anbieten können.

AWAOKADO…was für ein Früchtchen!
In meinen Befragungen von Erwachsenen und Kindern aus Suchtfamilien (Barnowski-Geiser 2009) beschrieben Menschen neben der Achtsamkeit sechs weitere Faktoren, die Ihnen auf dem Weg zu einem besseren Leben geholfen haben:
A chtsamkeit
W ürdigung der Kindheitsbelastungen, aber auch der eigenen Stärken
O rientierung finden, einen eigenen Standpunkt
K reativität und Ausdruck
A nklang und Beziehung
D eckung und De-Parenting ( Sicherer Raum und Kind sein dürfen)
O ffenheit und Öffnung
Sie haben es wahrscheinlich schon gesehen: die Anfangsbuchstaben ergeben in der Vertikalen das Wort AWOKADO und erinnern somit an eine kleine sehr heilsame Frucht. Ihre große Wirkung entfaltet diese Frucht, so wird es von Betroffenen beschrieben, indem man sie dosiert einsetzt. Das gilt auch für Sie und den Beginn Ihrer Veränderung hin zu einem besseren Leben. Dosiert sollten Sie, vertrauen wir den Erfahrungen, beginnen: der erste Baustein ist Achtsamkeit (vgl. Das AWOKADO-Hilfe-Konzept in Barnowski-Geiser/2015:Vater,Mutter,Sucht. Wie erwachsene Kinder suchtkranker Kinder trotzdem ihr Glück finden). Achtsam ist gleichsam die Mutter der Heilung!

Jetzt starten…schließlich haben Sie schon den Mount Everst bestiegen!
Alle große Veränderung, auch in Ihrem Leben, beginnt mit einem kleinen Schritt. Diesen können Sie gerade heute tun. Atmen Sie sich für Augenblicke ins Jetzt und steigern Sie diese Zeit innerhalb der nächsten Tage, wenn wir uns hier wieder treffen. Ich bin sicher: Wenn Sie den Weg auf diese Seite gefunden haben, dann haben Sie in ihrer Kindheit viel zu früh Großes geleistet. Sie haben wahrscheinlich schon ganz früh, um einen Vergleich zu wählen, den Mount Everest bestiegen. Nur: Das hat Ihnen niemand gesagt, man hat Ihnen erst recht nicht gedankt, weil vielleicht die Probleme ihrer Eltern, um die sie sich viel zu früh kümmern mussten, angeblich gar nicht vorhanden waren. Tabuisieren war dann der Weg ihrer Eltern; Ihre Eltern haben es nicht anders geschafft. Es ist wichtig, aus dieser familiären Negativkette auszusteigen, damit Sie Neues an ihre Kinder und Partner weitergegeben können. Mit nur einem Atemzug kann Neues in ihr Leben und das Leben Ihrer Familie treten.

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Interessante Blogs im Themenfeld:

http://www.projekt-gesund-leben.de/achtsamkeit-mbsr/

http://burnout.blog.de/

https://meditationfuerskeptiker.wordpress.com/

Video

Einführung in die Meditation, Teil 1/4 – Ayya Khema

Vielen Betroffenen hilft zu Beginn das mit der Wahrnehmung verbundene Loslassen, wie es

Thich Nhat Hanh hier vorführt

Kabat-Zinn/MBSR

Wenn gestern nicht einfach vorbei ist… Schwierige Kindheitstage trotzdem überwinden!

Wenn Menschen als Kinder in ihren Familien Ungutes erlebt haben, und das oftmals über Jahre hinweg, manchmal von Geburt an, dann trifft der Ausspruch „Vorbei ist vorbei!“ bei ihnen oftmals einen sehr empfindlichen Nerv. So wahr diese Aussage, (oftmals von Angehörigen oder Freunden sogar durchaus gut gemeint) auch an den aktuellen Fakten gemessen sein mag, so wenig hilft sie Betroffenen: denn ihr tägliches Erleben ist ein anderes. Sie fühlen sich oftmals innerlich, scheinbar grundlos, ängstlich, überfordert und hilflos, und das, obwohl sie im Außen oftmals Ungeheures leisten.

Was passiert genau bei diesen Menschen? Lassen Sie uns, um das genauer zu verstehen, neurowissenschaftliche Erkenntnisse zu Rate ziehen. Wir wissen heute (und natürlich sind Beschreibungen für diese hochkomplexen Vorgänge zwangsläufig sehr vereinfachend), dass unser Gehirn sich so aufbaut, wie es genutzt wird. Die Verschaltung der Synapsen ist also nutzungsabhängig,  bestimmt von anschwellenden und abschwellenden Erregungspotenzialen. Das gilt auch, so beschreibt es etwa Gerald Hüther in seinem Buch „Biologie der Angst“, für emotionale Verschaltungen. Wenn also ein Kind in eine Familie hineingeboren wird, in der die Eltern große eigene Probleme haben, dann wird es schon als Säugling viel davon mitbekommen, dazu in Resonanz gehen. Wir wissen heute aus entwicklungspsychologischen Forschungen, dass schon Säuglinge viel mehr wahrnehmen als wir je angenommen haben: auch Atmosphären, Stimmungen, Emotionen. Stellen wir uns eine Familie vor: vielleicht  lebt hier ein suchtkranker Vater, der, wenn er trinkt laut wird und Streit anfängt, täglich über sich die Kontrolle verliert und eine Mutter, die sich liebevoll um ihr Baby kümmert, aber durch die Probleme mit dem Ehemann gereizt und an ihren Grenzen der Belastbarkeit angekommen ist: all dies wird ihr Baby mitbekommen, Angst und Schrecken gleichsam mit der Muttermilch aufsaugen. Auf das Wahrgenommene kann das Baby unterschiedlich reagieren: eine Möglichkeit zu reagieren kann sein, Angst zu entwickeln. Aus dieser befeuerten Hirnspur der ersten Lebensmonate, der verschalteten Synapsenspur der Angst, wird leicht ein breiterer Hirnweg, wenn er künftig täglich genutzt wird. Wird, um im Bild zu bleiben, die Angstspur lange Zeit und wiederholt gefahren (etwa weil die Sucht und die damit vorhandenen familiären Probleme stärker werden),kann sie zu einem breiten Trampelpfad, einer regelrechten Hirnautobahn werden. Wird diese Autobahn über Jahre, gar Jahrzehnte so weiter genutzt, dann kann es passieren, dass unser Säugling, nennen wir ihn hier Suchtkind, auch als erwachsene Frau mit 40 oder gar 60 Jahren alltäglich auf dieser Angstautobahn fährt. Sie hat den Eindruck, gar nicht anders fahren zu können. Scheinbar hat sie grundlos Angst, gibt es doch aktuell gar keinen Anlass zu Ängsten und Sorgen. Frau Suchtkind fühlt sich nun ihren Gefühlen hilflos aufgeliefert.Doch das heutige Gefühl ist nicht sinnlos, auch wenn Frau Suchtkind es berechtigter Weise als unangenehm empfindet: dieses Gefühl macht unsere Frau Suchtkind darauf aufmerksam, dass das früh als Kind Erlebte heute Hinwendung und Zuwendung verlangt.

Nicht mehr Fühlen – auch ein (Paar)-Problem
So wie sich Frau Suchtkind ständig sorgt und ängstigt, gibt es andere Menschen mit unguten Kindheitserfahrungen, die andere Bewältigungsstrategien gefunden haben: sie fühlen nicht mehr. Gefühle, das haben sie bemerkt, sind ungeheuer schmerzhaft. Damit soll Schluss sein! Sie wollen sich nicht mehr erschüttern lassen. Dieser Vorgang läuft nicht bewusst ab, sondern ist oftmals ein Schutzmechanismus der Seele, den Betroffene selbst nicht einmal bemerken,Oftmals bemerken sie erst erst durch die Rückmeldungen von anderen, dass etwas problematisch und nicht ganz in Ordnung ist. Die Partnerin etwa drängt: „Mach mal Therapie, ich komme nicht an dich heran!“ Eine neuerliche Verzweiflung. Sich mit diesen schlimmen Erfahrungen auf einen fremden Menschen einlassen, gar einen Therapeuten, wo sich Betroffene selbst schon manchmal fragen, ob mit ihnen noch alles stimmt. Dann besser nichts machen! Und nun stecken sie fest. Derart Betroffene und ihre Partner stecken oft in Krisen fest, die von großer Sprach-und Hilflosigkeit gezeichnet sind. Neben Angst und Gefühllosigkeit, Scham und Schuld, leidet dann mit der Zeit vor allem eines: das eigene Selbstwertgefühl. Die Lebensqualität leidet, Betroffene bleiben unter ihren eigenen Möglichkeiten zurück- sie sind unzufrieden, fühlen sich diffus unzulänglich – ihr Umfeld leidet oft mit.Und wieder droht eine Familie unglücklich zu werden, so wie es die Betroffenen aus ihrer Herkunftsfamilie kennen- und gerade das wollten sie in ihrem Leben doch unbedingt vermeiden. Ein Teufelskreis.

Der erste Schritt aus dem Dilemma
Was kann aus diesem Dilemma heraushelfen? Der erste Schritt ist der schwierigste: er bedeutet, wahrzunehmen, was wirklich los ist. Dazu gehört viel Mut. Vielleicht brauchen Sie dabei Unterstützung. Einen Menschen, der die Belastungen, die sie getragen haben, würdigen kann, aber der auch mit ihnen einen Blick auf Ihre Stärken und das, was sie bis heute geschafft haben, werfen kann.  Die Würdigung der Belastungserfahrung und die Würdigung der eigenen Stärken, die sie aus und in diesen Krisen entwickelt haben, beschrieben Menschen in meinen efragungen als einen der wichtigsten Hilfefaktoren, sich besser und entlasteter zu fühlen (Barnowski-Geiser (2015): Vater, Mutter, Sucht). Kreative Wege eröffnen Möglichkeiten, sich diesen Stärken anzunähern. Sie ermöglichen uns, neue Hirnspuren zu ebnen und Abfahrten von der alten Autobahn. Da folgt der zweite Schritt, der im Angesicht von schwierigen Kindheitserfahrungen zugegeben sehr schwer ist: Sie müssen an die Möglichkeit der eigenen Veränderung glauben!

Hören, was niemand sieht.Musiktherapie für Erwachsene Kinder alkoholerkrankter Eltern,Teil 1

„Als ich in der Therapie Musik gemacht habe, habe ich zum ersten Mal gespürt, dass es mich gibt.“
Sammy, 14 Jahre
Waltraut Barnowski-Geiser
Hören, was niemand sieht: Musiktherapie mit Kindern und Erwachsenen aus alkoholbelasteten Familien/Teil 1 von 5
Was passiert, wenn Kinder alltäglich von Erwachsenen umgeben sind, die krankhaft trinken und im Letzten nur noch um sich kreisen? Welche Folgen hat das für die kindliche Seele, ihren Körper und Geist, insbesondere dann, wenn über das, was zu Hause passiert, nicht gesprochen werden darf? Kann Musik das Unaussprechliche zur Sprache bringen, sodass wir endlich „Hören, was niemand sieht!“, wie es der Titel der Studie verspricht. Betroffene Kinder frühzeitig entdecken, obwohl ihre Eltern im Tabu gefangen sind und keinen Auftrag zur Therapie erteilen, sie nicht allein zu lassen in ihrer Not und ihre gesunden Potenziale zu stärken, sind gesellschaftliche und therapeutische Herausforderungen, die neue Wege der Hilfe erfordern. Und ebenso für Erwachsene, die meist noch Jahrzehnte an den lang zurückliegenden Kindheitsbelastungen tragen, exakt zugeschnittene Hilfen anzubieten: dieser abenteuerliche Pionierweg  soll mit Musik und Musiktherapie beschritten werden. Wie Musik, Tanz und Phantasie das beinahe unmöglich Erscheinende möglich macht, darum geht es in der vorliegenden Forschungsstudie. Und: obwohl Musik so besonders geeignet erscheint, ohne Worte zu helfen, ist die vorliegende Studie die erste (auch international), die diesen kreativen Weg untersucht und verfolgt. Die gute Nachricht vorab: sanfte Entlastung und Hilfe durch Musik für betroffene Kinder ist möglich! Und wie, das erzählen uns vom Alkoholismus ihrer Eltern betroffene Kinder am Ende sogar selbst mit Worten und auf Instrumenten.

Wie es in einer alkoholbelasteten Familie klingt
Wenn Kinder mit Musik über den Alltag in ihren Familien erzählen, dann klingt das oftmals sehr abenteuerlich. Ich möchte sie einladen, vor ihrem inneren Ohr diese Musik mit mir anzuhören. Manche wählen zur Beschreibung das Stück „Dialogue du vent et de la mer des französischen Komponisten Claude Debussy, das ich hier mit meinen Eindrücken und Stimmungsbildern füllen mag: grollend, fast unheimlich schon zu Beginn. Es tönen die tiefen Blechbläser und Streicher, lassen die Unberechenbarkeit des Meeres erahnen, Wellen beginnen sich zu türmen. Ungeheure Anspannung, Anschwellen, starke Crescendi und Decrescendi, drängende Erregung, kaum aushaltbar! Aufsteigende Bilder, immer neu und anders das Meer, wohin zuerst schauen? Unberechenbarkeit der Naturgewalten, klingend in Szene gesetzt, auch nach mehrfachem Hören neu und nicht in allen Facetten er-hört. Suche nach friedvollem Miteinander, Geborgenheit nun. Nach den abrupten stürmischen Szenen fast seltsam anmutende Sanftheit, sehnsüchtig wirkende Klänge der Oboe. Rührung, Elegie, Verspieltheit, Anmut, fragile Zartheit tönt.“
Wie ging es Ihnen beim Hören dieser Musik? Haben Sie sich vielleicht ausgeliefert und bedroht, unsicher gefühlt? Hatten sie den Eindruck, dass sie nicht berechnen können, was als nächstes passieren wird, während doch schon wieder Frieden einkehrt, der zu verkünden scheint: es ist gar nichts, hier war nichts. Sie fragen sich, ob sie eben wirklich richtig gehört haben, wo es doch nun so friedlich um sie herum erscheint, während die Musik neuerlich losschlägt – diese Musik, wie sie oft von Betroffenen für die Situation in ihren Familien gewählt und gespielt wird, ermöglicht Anklänge an das Unberechenbare, an das Tobende und Verschlingende, an die von Hocherregung bestimmten Krisensituationen, an die abrupten Stimmungswechseln, denen betroffene Kinder und Erwachsene aus alkoholbelasteten Familien ausgesetzt sind. Sie drohen neben den im Kampf um die Sucht gefangenen Elternpaar förmlich unterzugehen. Die Atmosphäre in diesen Familien ist extrem belastet, geht es doch vor allem um eines: den Alkohol und den Elternteil, der diesen trinkt. Schuld wird weitergegeben, willkürlich und unangemessen und alles oftmals unter einem Mantel des Geheimen. In Schulen weiß niemand so recht, was mit diesen Kindern eigentlich los ist, sie sitzen dort meist unerkannt und leiden stumm – allenfalls abweichendes Verhalten erzählt verdeckt von ihrem häuslichen Leiden.
Erinnern Sie sich an das Hören der Musik! Lassen Sie uns gemeinsam darauf achten, wie Sie sich gegen die Musik geschützt haben: haben sie sich die Ohren zugehalten? Haben sie versucht, innerlich abzuschalten, aus der Situation zu fliehen oder sich wegzuträumen? Dann haben sie all das getan, was auch Kinder in alkoholbelasteten Familien tun, um sich zu retten. Und allzu oft wird dann dieser Schutz, wenn er alltäglich nötig wird, förmlich zur zweiten Haut und Natur der Kinder. Sie spielen, dass „nichts ist“, vielleicht in leisen, friedlich wirkenden Harfenglissandi, während innerlich das Chaos tobt: das Meer stürmt und die Kinder sitzen äußerlich scheinbar unberührt da. Ein anstrengender Kampf, der Folgen hat für die Seele, für das Denken, aber auch für den Körper der Kinder. Die Folgen können massiv sein, wenn keine Hilfe im Kindesalter erfolgt.

Zum Beispiel Frau R.

Frau R., 37 Jahre alt, kommt zum ersten Mal zur ambulanten Musiktherapie. Sie hat zwei mehrjährige Gesprächstherapien hinter sich. „Diese Therapien waren in Ordnung!“, meint sie, „aber ich fühle mich nicht gut. Mir geht es einfach oft schlecht und ich habe gar keinen Grund dazu.“ Die Frage, ob sie dieses Gefühl auf einem Instrument ausdrücken möchte, verneint sie vehement. „Es fehlt noch, dass das auch noch zu hören ist!“, runzelt sie entsetzt die Stirn. Sie schaudert förmlich, „Musik ist furchtbar, da muss ich ja nur heulen!“ Sie springt in ein anderes Thema… „Ich habe oft schlimme Kopfschmerzen und panische Wellen beim Auto fahren. Manchmal denke ich, dass ich spinne, weil ja eigentlich gar nichts ist. Ja, in meiner Beziehung läuft es nicht so toll, aber…!“ Sie seufzt. „Ah, da fällt mir ein, träumen“, meint sie, „meine Träume sind ganz schrecklich. Können Träume in der Therapie auch ein Thema sein?“, fragt sie. Ich bejahe. „Ich habe ganz oft einen Traum, nach dem es mir dann immer sehr schlecht geht. So ein ganz bescheuerter. Ich sehe ein Kind, das auf einer heißen Herdplatte sitzt und dann sehe ich sein verbranntes Gesicht. Das Kind hat ein verbranntes Gesicht… Puh, danach ist mir immer furchtbar beim Aufwachen! Ich möchte endlich wissen, was das bedeutet.“ In der Identifikation mit dem Traum stellt Frau R. fest, dass sie das Geträumte tatsächlich erlebt hat. „Ich hatte tatsächlich Verbrennungen als Kind. Das hatte ich völlig vergessen. So mit drei oder vier Jahren war das, diese Szene haben mir meine älteren Geschwister erzählt!“, erinnert sie sich nun. „Meine Mutter hat gekocht und mich dabei auf der heißen Herdplatte vergessen.“ Frau R. lacht, sie wirkt ungerührt. Ich äußere meine Betroffenheit. „Meine Mutter hatte halt viel mit dem Haushalt zu tun und vergessen, dass ich dort sitze. Das kann ja mal passieren!“, meint Frau R. Ich äußere mein Entsetzen über das Vorgefallene. Frau R. findet nun viele entschuldigende Worte für ihre Mutter, und dass diese ihr ja nicht wirklich Böses gewollt habe. Dann stellt sie in Frage, ob es wirklich so gewesen sei, verwirft diesen Gedanken jedoch, da dieser Vorfall so durch ihre älteren Geschwister erzählt und bestätigt wurde. „Ach, wissen Sie, ich war so ein nerviges Kind, dass ich meine Mutter damit an ihren nervlichen Rand gebracht habe.“ Erst nach beständigem Nachfragen äußert Frau R., dass ihre Mutter Alkoholikerin war und meist nicht zurechnungsfähig durch ihre Betrunkenheit. Solange Frau R. denken kann. Immer.„Aber darüber haben wir nie gesprochen, meine Mutter hatte einen angesehen Beruf, also, das hätte niemand erfahren dürfen. Nur mein Vater wusste das, klar, aber der ist dann gegangen, als ich elf war. Ich glaube aber nicht wegen meiner Mutter. Dem war ich zu viel, wir Kinder überhaupt.“ Ihre Mutter sei inzwischen gestorben, Frau R. hat nun ein schlechtes Gewissen, ihre Mutter so negativ dargestellt zu haben. Thema in den vorherigen Therapien sei das nicht gewesen, weil Frau R. daran gar nicht mehr gedacht habe…( Barnowski-Geiser 2009)
So wie Frau R. erleben sich viele Kinder und erwachsene Kinder trinkender Eltern: sie erleiden oftmals Schlimmes, sie wissen aber nicht um sich und ihr Leiden, ihre Symptome und Krankheiten setzen sie nicht in Zusammenhang mit dem häuslich Erlebten, sie finden Entschuldigungen für ihre Eltern, auch wenn diese ihnen großes Leid zugefügt haben und geben sich sogar selbst die Schuld daran, wenn sie sich schlecht fühlen. Sie wissen nicht mehr, was sie wirklich fühlen und was sie fühlen sollten, sie verlieren oftmals ein Gespür dafür, was sie wirklich wollen, wer sie wirklich sind. Oftmals sind ihnen ihre Probleme im Zusammenhang mit dem elterlichen Trinkverhalten wenig bewusst. Ihre Probleme und Leiden gibt es nicht wie es auch die elterliche Sucht nicht gibt. Ein paar Zahlen: in Deutschland leben 1,6 Millionen Alkoholabhängige, mehr als 10 Millionen Erwachsene gelten als riskant Konsumierende, 2-3 Millionen Kinder leben diesen Zahlen zufolge mit alkoholerkrankten Eltern. Nur 14,5% aller Alkoholabhängigen jedoch nimmt überhaupt je therapeutische Hilfe in Anspruch, wenn wir aktuelle Erhebungen (etwa im Suchtbericht) ernst nehmen. Nur eine verschwindend geringe Zahl betroffener Kinder erfährt infolge dessen tatsächlich eine ihnen wirklich angemessene Behandlung. Es ist von einer wenig erforschten und stark gefährdeten Hochrisikogruppe für Eigenerkrankung auszugehen sowie von einer weitaus größeren Zahl mit betroffener Angehöriger.Immer mehr Kinder werden selbst frühzeitig zu Komatrinkern. Da die Kinder über ihre Leiden nicht sprechen dürfen, gilt es neue Wege zu finden, Betroffenen zu helfen. Hier bietet sich das Medium Musik als Sprache an, die Ausdruck über das gesprochene Wort hinaus ermöglicht. Ein neuerliches Erstaunen: national und international gibt es bislang keine Forschung zu Musiktherapie bei Kindern aus alkoholbelasteten Familien. Wie Musik und kreative Medien eine Hilfe sein können, zeigt sich im AWOKADO-Konzept. Zu den Ergebnissen der Studie und mehr in Teil 2-5 in Kürze.

Schule braucht Gefühl

Ein Thema, das mir am Herzen liegt und an und in dem ich viel gearbeitet habe. Musiktherapie kann Schule und Kinder bereichern,emotionale Aspekte von Lernen werden zu stark vernachlässigt, das ist meine Überzeugung nach mehr als drei Jahrzehnten Tätigkeit in diesem Feld. Und dies gilt auch und gerade in Coronazeiten. Von meiner Pionierarbeit als Musiktherapeutin in der Gesamtschule Rheydt-Mülfort erzähle ich in diesem Buch – von Vorurteilen bei PädagogInnen, Rückschlägen und Begeisterung bei Kindern und Jugendlichen . Die Konzeption zur kreativtherapeutischen Arbeit in Schulen wird vorgestellt.

Semnos-Verlag,Neukirchen-Vluyn, 2009,128 Seiten, 11.95€

„Wieder einmal gelingt es der Autorin die Dinge klar und präzise zu benennen, ohne anklagend zusein und nicht nur zu reden, sondern praktische, (selbst)erprobte, wirkungsvolle und innovative Lösungsmöglichkeiten zu beschreiben und anzubieten…Ich danke Frau Dr.Barnowski-Geiser für ihre Pionierarbeit und dieses Buch.“

Elke Haubold,Musiktherapeutin, Rezension bei Amazon

„Schule braucht Gefühl und zwar ganz schnell…Unsere Kinder sind unsere Zukunft, es muss endlich etwas passieren und dieses Buch zeigt einen echten neuen Weg auf.“

Karin Tuxhorn,Rezension bei Amazon

Keine Angst vor der Schule. Was Eltern tun können.

In meiner mehr als drei Jahrzehnte währenden Arbeit in Schulen ist mir in der therapeutisch-beraterischen Arbeit bei vielen SchülerInnen ein Gefühl begegnet:Angst. Erstaunlicherweise war dieses Gefühl selten Thema offizieller Gespräche mit Eltern und Lehrenden.Angst und damit Angst vor und in der Schule gehört nicht zu den beliebten Gefühlen. Angst löst Hilflosigkeit aus – das Gefühl droht folglich übergangen, verleugnet und abgewertet zu werden. Mit erschreckenden Folgen: die Zahl der Kinder, die nicht mehr in die Schule wollen, nimmt zu. Psychosomatische Symptome schon bei Grundschulkindern sind leider keine Seltenheit.Kurz und präzise werden in diesem Buch, das ich mit Udo Baer in der Reihe kinderkinder vom Beltz-Verlag verfasst habe, Gesichter von Schulangst beschrieben. Die Quellen der kindlichen Angst werden beleuchtet: etwa Überforderung vom Übergang zur neuen Schule, Druck, Mobbing, Einsamkeit sowie Probleme durch Beschämung und Scham. Auch wird in den Blick genommen, was außerhalb des Systems Schule ängstigt, was unter dem Gefühl der Angst im Verborgenen schwelen kann. Konkrete Hilfestellungen für Eltern und Kinder.

Waltraut Barnowski-Geiser&Udo Baer; Beltz-Verlag 2010

Ins Italienische übersetzt

Hören, was niemand sieht.Kreativ zur Sprache bringen, was Kinder und Erwachsene aus alkoholbelasteten Familien bewegt

Kinder aus alkoholbelasteten Familien erleben täglich Krisen, die von ihren Eltern oftmals verleugnet und von ihrem Umfeld nicht wahrgenommen werden – mit teil großen Folgen für ihr Leben und Erleben. Im Buch werden praxisnahe Hilfen und kreativtherapeutische Wege für diese vergessene Hochrisikogruppe aufgezeigt. Grundlage dieses Buches ist meine Dissertation zur leiborientierten Musiktherapie an der Hochschule für Musik und Theater/Institut für Musiktherapie der Universität Hamburg.

Semnos-Verlag, 2009, 320 Seiten, 19,50€

„Wenn man dieses Buch gelesen hat, lichtet sich der Nebel, der immer wieder über dem Thema Alkoholismus schwebt, das Diffuse wird klarer, das Unfassbare greifbarer…Die Tendenz wegzuschauen, einem unangenehmen Thema, das Ohnmacht und Hilflosigkeit hervorruft, aus dem Weg zu gehen, verwandelt sich in einen starken Wunsch nach tatkräftigem Handeln.“

Ute Torspecken amazon Rezension

Jetzt reden wir.Diagnose AD(H)S und was die Kinder wirklich fühlen

Viele Jahre habe ich mit Kindern (vor allem in Schulen) gearbeitet, die die Diagnose AD(H)S erhalten hatten oder im Verdacht standen, dieser zugeordnet werden zu müssen. In den persönlichen Begegnungen mit diesen Kindern in Einzel-und Gruppensets haben sie mich sehr berührt- ich begann, ihre Erzählungen zu notieren. In der Literatur fiel damals (2009) auf, dass die Perspektive der Kinder in der Regel fehlte. In diesem Buch wird das Erleben der Kinder mit AD(H)S in den Mittelpunkt gestellt, die betroffenen Kinder kommen hier erstmals selbst zu Wort. Mit überraschenden Einsichten, die Udo Baer und ich Eltern, Lehrenden und therapeutisch Tätigen als Orientierungshilfe anbieten wollen. Der einjährige Therapieprozess mit dem kleinen Ole wird beispielhaft ausführlich dargestellt.Ein Buch, das Gemüter erregt und kontrovers diskutiert wird: wir sind keine Ritalingegner, aber der festen Überzeugung, dass zur medikamentösen Behandlung immer auch therapeutische Hilfe für die betroffenen Kinder und Eltern gehört.

„Das Buch bringt uns wahrlich anrührende Geschichten von AD(H)S-Kindern nahe und leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Entmytologisierung des Begriffs…Die sehr detaillierten Schilderungen lassen mit Recht eine medikamentöse Behandlung als nachgeordnet erscheinen. Das macht Mut.“

Gesamte Rezension Prof. Dr. Manfred Gerspach auf socialnet

Das Buch erschien 2005 erstmalig im Semnos-Verlag in der Reihe Würde-Bücher,Bd1.

Zur leiborientierten Arbeit mit hyperativen Kindern wurde ein Hilfe-Konzept entwickelt, nachzulesen im Buch Baer/Barnowski-Geiser Hyperaktive Kinder kreativ. Das Semnos-Konzept in Therapie und Pädagogik .

Hyperaktive Kinder kreativ.Das Semnos-Konzept in Therapie und Pädagogik

Mit diesem Buch möchten wir das Erleben der AD(H)S-Kinder würdigen. Wir werfen einen kritischen Blick auf gängige Diagnosekriterien und stellen das Erleben der Kinder in den Mittelpunkt.Das Semnos-Hilfe-Konzept und musiktherapeutische Arbeit in Schulen wird vorgestellt.

Semnos-Verlag, Neukirchen-Vluyn 2005,152 Seiten, 12€

„Hier setzt das therapeutische Konzept des Autors und der Autorin an. Mit Hilfe kreativer Therapieformen (z.B. Musiktherapie) und zwar auch in der Schule, lernen die KInder sich wieder wertzuschätzen. Ihnen wird mit Würde und Respekt begegnet und im geschützten Raum finden ihre Unruhe, ihr Durcheinander einen Platz…Ein wunderbares Buch, das mich diese Kinder besser verstehen lässt und sie mir wieder näher bringt.“

Eva.Maria Lütkemeyer, Rezension Amazon

Prosa&Lyrik: Und noch hundert Tage Gedanken an dich.

2021 Neu und überarbeitet als Hard-Cover

Thalia, 19.99€

Neben meinen Ratgebern und Fachbüchern hier ein belletristisches Buch. Abschied von einer heimlich gelebten Liebe: die Protagonistin gibt sich 100 Tage Zeit zum Abschiednehmen. Worte will sie finden für das Unsagbare im Tabu. Tagebucheintragungen, Prosa und Lyrik im neuartigen Stil-Mix.

2015 im Kindlepublishing veröffentlicht, 152 Seiten. 5,71€

„Von der ersten Seite an einfach unheimlich berührend, tiefgründig, abgrundtief ehrlich, emotional, lyrisch.“ (Chasteff)